AKTUALISIERT: Links zu Cannes



Ein paar Links zum Filmfestival in Cannes, auf die Schnelle zusammengestellt, laufend aktualisiert:

    15. Mai:

  • Rüdiger Suchsland schreibt auch ein Cannes-Tagebuch für critic.de!
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    14. Mai:

    #8

  • Über die Filme der Semaine de la critique berichtet der Blog der ganz jungen Kritik bei critic.de. Da zu den Filmen der Semaine immer mehrere Kritiken (auf deutsch und französisch) gepostet werden, ergibt sich jeweils ein schönes Stimmungsbild. Neben 24 Schülern sind auch zwei Redakteure von critic.de vor Ort, die beide auch über den offiziellen Wettbewerb und Reihen wie Un certain regard schreiben. Das Programm der Semaine klingt fast vielversprechender als die Filme, die um die Goldene Palme konkurrieren.
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    13. Mai:

    #7

  • Wer sich selbst ein kurzes Bild machen möchte: Auf der offiziellen Homepage des Filmfestivals gibt es die Trailer zu 14 der 18 Wettbewerbsbeiträge, dazu auch noch zu vielen Filmen aus den Nebenreihen.
  • #6

  • Der Schweizer Filmjournalist Michael Sennhauser schreibt in seinem Blog aus Cannes, in bemerkenswerter Aktualität. Während die deutschen Medien, evtl. auch feiertagsbedingt, sich noch über den Eröffnungsfilm ROBIN HOOD mokieren, bespricht er bereits die ersten Wettbewerbsbeiträge: TOURNÉE von Mathieu Amalric und RIZHAO CHONGQING von Wang Xiaoshuai.
  • #5

  • Der von Variety entlassene Todd McCarthy berichtet jetzt für indieWIRE aus Cannes. Die Seite hat auch einen Minute-für-Minute-Service, mal abwarten was der taugt.
  • #4

  • Noch nicht so viel tut sich dagegen in den Blogs der deutschen Filmzeitschriften. CARGO bietet auch dieses Jahr wieder seinen SMS-Service mit Kurznachrichten aus Cannes an. Die beiden Filmzeitschriften aus dem kirchlichen Umfeld epd Film und film-dienst haben zwei eigene Blogs eingerichtet, auf denen sich bisher aber nur Vorberichtserstattung und noch keine aktuellen Beiträge zu Filmen finden. Bei artechock wird Rüdiger Suchsland wohl wieder regelmäßig seine Notizen posten, Nummer Eins ist bereits erschienen.
  • #3

  • Den Cannes-Ticker mit Zusammenfassungen der Online-Berichterstattung bietet Movies & Sports.
  • #2

  • Für The Auteurs berichtet David Hudson aus Cannes.
  • #1

  • Ansonsten natürlich die üblichen Verdächtigen für Reviews zu fast allem: Variety, Hollywood Reporter, Screen Daily und Total Film.

Im Kino: Les herbes folles (Vorsicht Sehnsucht)

„Wenn man aus dem Kino kommt, kann einen nichts mehr überraschen. Alles kann mit größter Selbstverständlichkeit passieren“, sagt der Off-Erzähler in LES HERBES FOLLES, kurz bevor Georges aus dem Kino kommt, in dem er sich gerade THE BRIDGES AT TOKO-RI mit William Holden und Grace Kelly angesehen hat. Wenn man selbst abends aus LES HERBES FOLLES aus dem Kino kommt und in die Nacht mit ihren bunten Leuchtreklamen tritt, weiß man vielleicht für ein paar Sekunden nicht, ob man sich nicht doch noch im Film befindet – so intensiv strahlen die Farben aus Resnais’ neuem Film nach. Und wenn man langsam merkt, dass der Film jetzt wirklich zu Ende ist, dann ist man vielleicht ein bisschen enttäuscht, weil die Realität so nüchtern gegenüber der farbenfrohen Verspieltheit des Filmes wirkt.

Georges hat das Portemonnaie von Marguerite gefunden und war fasziniert von den zwei Fotos, die er darin entdeckt hat: auf dem einen, dem auf dem Ausweis, schaut sie so ernst und auf dem zweiten, dem auf dem Flugschein, so lustig, sie hat sogar ihre Fliegerbrille dafür hochgeschoben. Weil Georges das Fliegen liebt, vielleicht aber auch weil er von ihrer knallroten Mähnenfrisur fasziniert ist, fängt er an Marguerite nachzustellen: erst mit Anrufen, dann mit Briefen, schließlich schlitzt er – weil sie ihn immer noch nicht beachten will – ihre Reifen auf. Eine ganze Weile ist nicht so ganz klar, ob LES HERBES FOLLES ein Liebesfilm oder ein Film über einen Stalker ist, ob Marguerite nur die Verliebtheit eines Verehrers nicht sieht oder ob sie in tödlicher Gefahr schwebt. Auch Georges scheint sich nicht ganz sicher zu sein, seine Gedanken, in die man als Zuschauer immer mal wieder kurze Einblicke erhält, schweifen manchmal in aggressive Tötungsphantasien ab und auch der Off-Kommentator deutet einmal etwas an, will es dann nicht weiter ausführen. Resnais löst das schließlich – mehr oder weniger – auf, aber er hätte jederzeit auch den anderen Weg einschlagen können, im Film liegt das Reich der Möglichkeiten immer nur einen Schnitt oder einen Kameraschwenk weit entfernt und jede Szene setzt den Ton einer Erzählung neu. Ein bißchen funktioniert LES HERBES FOLLES wie ein Kaleidoskop: Am Ende ergeben das Magische und das Reale, das Dramatische und das Absurde, das Traurige und das Farbenfrohe eine bunte Mischung, die sich im Kopf des Zuschauers zu einem Muster zusammensetzt – und das nach jedem Drehen immer wieder neu.

Der Kommentator, den man nie selbst zu Gesicht bekommt, erzählt in manchen Szenen, das was gerade eben schon zu sehen war, dann schweigt er lange Zeit wieder – auch die Handlung von THE BRIDGES AT TOKO-RI erzählt er dem Zuschauer nach, aber wenn man wirklich wissen will, was passiert, sollte man den Film wohl selbst noch einmal sehen, denn zuverlässig ist der Erzähler nicht. Als der Film dann zu Ende sein sollte (so würde es zumindest das Genre wollen) und der „FIN“-Schriftzug eingeblendet wird, geht er dann doch einfach weiter, und als er dann aufhört, hat er kein wirkliches Ende. Es ist eben alles möglich in dieser federleichten Meditation über die Variationen einer Erzählung und die Freiheit des Kinos, die so ungezähmt daher kommt wie wilde Gräser, die aus einer Asphaltdecke hervorbrechen.

VORSICHT SEHNSUCHT ist am 22. April in den deutschen Kinos angelaufen.

Bild: Schwarz-Weiß Filmverleih

100 Deutsche Lieblingsfilme #9: Sylvie (1973)

SYLVIE von Klaus Lemke ist eine Liebeskomödie voll verschmitzter Ironie und sanfter Melancholie. Eine ziemlich waghalsige Mischung aus direct cinema-Doku über den Alltag des Fotomodells Sylvie Winter und fiktiver Liebesgeschichte zwischen Sylvie und ihrem Taxifahrer Paul. Heimlich und leise ist es auch ein Film über das Nord-Süd-Gefälle in Deutschland, und über den großen Sehnsuchtsort Amerika, an dem man doch nie bleiben kann. Und vielleicht ist SYLVIE auch die Verfilmung des Liedes „Backstreet Girl“ von den Rolling Stones, dessen wehmütiges Akkordeon-Solo den Soundtrack liefert.

Paul ist Sylvies Taxifahrer, aber eigentlich ein Seemann und lebt in München bei seiner Mutter. „Er ist ein bisschen schwer von Begriff“, meint sie einmal über ihn und wirklich etwas anfangen kann er mit ihrer Zuneigung dann auch nicht. Obwohl er sie zuerst geküsst und in einem wahren Redeschwall von seinen Seemannsabenteuern in New York erzählt hat. Er will lieber wieder aufs Meer fahren und als sie ihn abends mit zu sich nehmen will, fährt er heim zu Mama. Für ihn ist sie das, was er an Land erlebt hat, das Pin-Up-Girl für einsame Nächte auf See. Eine Sehnsucht, der man besser nicht zu nah kommt. Eine kurze Liebe, ein großes Missverständnis.

Lemke hat wunderbar trockene Dialoge geschrieben, aber es ist vor allem eine Geschichte der Blicke. Die professionellen Blicke, die Sylvie in die Fotokameras und von den Magazincovern wirft, und die zärtlichen, herausfordernden Blicke, mit denen sie Paul anschaut. Die begehrlichen Blicke der älteren Herren und der neugierige, distanzierte Blick von Paul. Vermutlich ist es gerade seine Begriffsstutzigkeit, die Sylvie so an ihm mag, denn ihre Welt ist eine ganz andere: Reiche Männer. Exzentrische Photographen (einer davon gespielt von Werner Bokelberg, dem Society-Fotograf der Sechziger). Champagner. New York.

Bei Lemke in den Siebzigern schreiben immer alle über den Schnitt von Peter Przygodda, zu Recht, aber ich will die knappen Zeilen lieber nutzen um von Lothar Stickelbrucks Kamera zu schwärmen. Als Sylvie in New York ist, gibt es eine unglaubliche Hubschrauberfahrt, um das World Trade Center schwingt die Kamera sich herum bis hoch zum Dach, auf dem gerade die Fotosession stattfindet. Wie er in der Stadt ihre Sehnsucht filmt, wenn sie mit dem groben Fotografen auf die U-Bahn wartet, er unscharf im Vordergrund und sie hinten in die Ferne blickend. Und dann gibt es auch eine Szene in einem New Yorker U-Bahn-Waggon, die damals noch richtig heruntergekommen waren, die Kamera schaut sich neugierig um, den anderen Fahrgästen direkt ins Gesicht. Es ist an diesem Ort, als Sylvie entdeckt, dass sie in Paul verliebt ist, und seinen Namen zu den anderen Graffitis an die Wand schreibt.

Später, wenn er zurück nach Hamburg muss, läuft sie seinem Zug hinterher, aber er besäuft sich lieber als Zeit mit ihr zu verbringen. Er liegt dann betrunken brabbelnd da und sie schaut ihn verliebt an und wirft ihm Schlaftabletten in die Bierdose, in der Hoffnung, er würde die Endstation verschlafen. Das sind vielleicht die schönsten und traurigsten Momente des ganzen Films, denn so schauen wie Sylvie Winter konnte keine Zweite.


Sylvie – Deutschland 1973 – Regie & Drehbuch: Klaus Lemke – Produktion: Harald Müller, Willi Segler – Schnitt: Peter Przygodda – Kamera: Lothar Elias Stickelbrucks – Darsteller: Sylvie Winter, Paul Lys, Ivan Desny, Guido Mangold, Werner Bokelberg, Peter Böhlke, Heinz Badewitz

– SYLVIE ist als selbst gemachte DVD in großartiger Bildqualität bei Hanseplatte erschienen. –

1. Hamburger SciFi-Horror-Festival

scifihorrorfestival

Angesichts der eher trostlosen Meldungen aus Berlin kommt diese Nachricht doch gerade recht: Es gibt ein neues Filmfestival und dann auch noch ein Retrospektivenfestival, das sich ganz dem phantastischen Film widmet und die Lücke füllen möchte, die der Wegfall der Klassikersektion beim Fantasy Filmfest hinterlassen hat. Ralph Lorenz von monstercon.de und Andreas Schiefler von vintagemovieposters.de sind die Organisatoren dieser so vielversprechend klingenden Veranstaltung, die Anfang Mai 2010 im Metropolis Kino in Hamburg stattfinden wird. Einen wirklichen Themenschwerpunkt gibt es nicht, das Programm ist angenehm bunt gemischt. Und ESKALIERENDE TRÄUME würde nicht auf dieses Festival hinweisen, wenn die Veranstalter nicht versichern würden, das alle folgenden Filme in 35mm gezeigt werden:


Freitag, 7. Mai 2010

– CONAN – DER BARBAR (Conan the Barbarian, Regie: John Milius, USA 1982)

– FRANKENSTEINS HÖLLENBRUT (Chikyu kogeki meirei: Gojira tai Gaigan, Regie: Jun Fukuda, Japan 1972)

– DER TOTE KEHRT ZURÜCK (Misterios de ultratumba, Regie: Fernando Méndez, Mexiko 1959)

Samstag, 8. Mai 2010

– DAS PENDEL DES TODES (The Pit and the Pendulum, Regie: Roger Corman, USA 1961)

– MONSTER AUS DEM ALL (The Green Slime, Regie: Kinji Fukasaku, Japan/USA 1968)

– ANDY WARHOL’S DRACULA (Regie: Paul Morrissey, Frankreich/Italien 1974)

– DRACULA JAGT FRANKENSTEIN (Los monstruos del terror, Regie: Hugo Fregonese, D/IT/ESP 1969)

Sonntag, 9. Mai 2010

– WIE SCHMECKT DAS BLUT VON DRACULA? (Taste the blood of Dracula, Regie: Peter Sasdy, GB 1970)

– PLANET DER VAMPIRE (Terrore nello spazio, Regie: Mario Bava, IT/ESP 1965)

Passend zur Berlinale: TWO LOVERS im fsk-Kino

Ein Hinweis für alle Berliner und alle die aufgrund der Berlinale in Berlin weilen: Sollte einen der wie schon die letzten Jahre eher fad wirkende Kosslick-Wettbewerb all zu sehr langweilen, empfiehlt es sich einen Abstecher ins fsk-Kino am Oranienplatz zu machen: Dort erlebt einer der besten Filme des letzten Jahres endlich seine deutsche Kinopremiere: TWO LOVERS von James Gray. Gezeigt wird der Film in der Woche vom 11. bis 17. Februar täglich um 20.30 und um 22.45 Uhr und – wichtig! – in OmU. Und wenn alle ganz fleißig ein Ticket lösen, besteht ja vielleicht sogar die Chance, dass das fsk ihn über seinen eigenen Verleih Peripher auch in die Kinos anderer deutscher Städte bringen wird. Verdient hätte es TWO LOVERS und sein Regisseur in jedem Fall. Während Gray in Frankreich bekannt, beliebt, aber auch umstritten ist wie kaum ein anderer zeitgenössischer amerikanischen Regisseur, beschäftigt man sich in Deutschland leider kaum mit ihm.

Wer mehr über TWO LOVERS erfahren will, dem empfehle ich folgendes Essay über den Film von Ryland Walker Night bei The Auteurs (die deutsche Übersetzung erschien in der zweiten Ausgabe der Filmzeitschrift CARGO) und denjenigen, die sich näher mit der Kritik an Grays Werk (und an TWO LOVERS) beschäftigen wollen, vielelicht als Einstieg Notes pour une étude en Gray (Notes for a study in Gray) von Emmanuel Burdeau bei den Cahiers du Cinéma. Letzterer Artikel lässt sich leider nicht direkt verlinken, ist aber über die Suchfunktion der Homepage des Magazins in französischer und englischer Fassung leicht zu finden. Nach der Berlinale wird sich auch ESKALIERENDE TRÄUME ausführlich mit TWO LOVERS und Grays Gesamtwerk beschäftigen, so viel sei schon mal versprochen.

Filmbücher – Fünf Empfehlungen

Filmbücher sind bisher viel zu kurz auf unserem kleinen Blog gekommen und das bevorstehende Weihnachtsfest ist die ideale Gelegenheit, das zu ändern. Im Folgenden will ich fünf Bücher aus meinem Regal vorstellen, Geschenkideen in der letzten Minute für kinobegeisterte Familienmitglieder und Freunde oder Möglichkeiten das Weihnachtsgeld von Oma nach dem Fest schnell wieder loszuwerden. Bei der Auswahl handelt es sich absichtlich nicht um Neuerscheinungen (obwohl durchaus einige neuere Bücher dabei sind), auch habe ich darauf geachtet, dass es sich um Bücher handelt, die vielleicht noch nicht in jeder deutschen Tageszeitung ausführlich besprochen wurden. Alle hier vorgestellten Titel sollten noch problemlos im Buchhandel erhältlich sein, falls nicht sind sie mit Sicherheit noch über Ebay oder den Amazon Marketplace zu bekommen. Eines haben auf jeden Fall alle Bücher gemeinsam: Sie zählen zu meinen Lieblingen und ich kann sie vorbehaltlos empfehlen.

americanmoviecriticsPhillip Lopate: American Movie Critics. An Anthology From the Silents Until Now. Expanded Edition. The Library of America, New York 2008. Preis: c.a. 14 $, c.a. 10 € (Softcover)

Welch größeren Stellenwert die Filmkritik in den USA im Vergleich zu Deutschland einnimmt, kann man daraus ersehen, dass die Library of America (eine Institution vielleicht vergleichbar mit der Bundeszentrale für politische Bildung – nur mit Schwerpunkt auf belletristischen und journalistischen Texten und auch nur teilweise staatlich finanziert) regelmäßig Sonderausgaben bedeutenden Filmkritikern widmet (gerade ist eine Gesamtausgabe zu Manny Farbers Schriften erschienen). American Movie Critics – An Anthology From the Silents Until Now bildet dabei eine Art Schlüsselwerk: ein 800-Seiten-dickes Kompendium, ein gigantischer Kanon der amerikanischen Filmkritik von Vachel Lindsay und Hugo Münsterberg bis Kenneth Turan und Jonathan Rosenbaum. Das Konzept ist einfach: Über siebzig amerikanische Filmkritiker von der Stummfilmzeit bis heute werden vorgestellt, mit einer kurzen Biographie (besser: Schaffensüberblick) und dem Abdruck mindestens einer ihrer Originaltexte. Angenehmerweise sind gerade einige der unbekannteren Namen (Otis Ferguson, Vincent Canby) mit mehreren Texten vertreten, während für eine breit rezipierte Journalistin wie Susan Sontag der Abdruck eines Essays ausreicht. Und es entsteht auch ein Kaleidoskop der Filmgeschichte und ihrer Rezeption: Von der Konsolidierung des neuen Mediums, dem Übergang vom Stumm- zum Tonfilm, dem Aufkommen der Autorentheorie, New Hollywood bis zu Tarantino und der Postmoderne. Es sind etliche sehr bekannte Texte enthalten, Pauline Kaels Trash-Essay, Paul Schrader’s Notes on Film Noir oder die Billy Wilder (Reconsidered)-Artikel von Andrew Sarris, aber auch einige (zumindest hierzulande) unbekanntere Sachen. Etwas schade vielleicht, dass die feministische Filmkritik nur am Rande auftaucht und Debatten und Kontroversen innerhalb der amerikanischen Filmkritik völlig außen vorbleiben, die Texte manchmal etwas isoliert stehen. Trotzdem, gerade als Einstieg in die wunderbare Welt der Filmkritik und um zu verstehen, wo die heutigen Autoren ihre Wurzeln haben, ein großartiger Sammelband.

gdinetmaoRainer Knepperges (Hg.): Gdinetmao – Abweichungen vom deutschen Film, Maas Verlag, Berlin 2001. Preis: 14 €
Gdinetmao war der Name einer Filmzeitschrift aus dem Umfeld des Kölner Filmclubs 813, die von Rainer Knepperges herausgegeben wurde. Da der Großteil der 13 erschienenen Hefte vergriffen ist, ist das Buch „Abweichungen vom deutschen Film“ eine willkommene Best Of-Sammlung von Texten, die sich alle mit einem Thema beschäftigen: der Sorte von deutschen Filmen, die in anderen Monographien nur am Rand oder gar nicht auftauchen. Das heißt konkret: Interviews mit Zbynek Brynych, Hartmut Bitomsky und Christian Petzold, Kurzbesprechungen jeder einzelnen Folge von DER KOMISSAR (inklusive einer längeren zu Folge 17 PARKPLATZ-HYÄNEN, Regie: Zbynek Brynych), Artikel zu Tresslers SUKKUBUS und Fleischmanns HERBST DER GAMMLER, eine schwärmerische Jugenderinnerung von Olaf Möller an die Edgar Wallace-Filme, Stefan Ertls Liste mit Lieblingsfilmen von Nadja Tiller, ein Essay mit dem schönen Titel „Helge Schneider verstehen“ und und und… Man sieht schon, vieles davon bewegt sich auf dem Terrain, auf dem heute SigiGötz-Entertainement unterwegs ist und gerade für die treuen Leser jener Zeitschrift (aber nicht nur die!) bekommt Gdinetmao – Abweichungen vom deutschen Film meine wärmste Empfehlung. Bestellen kann man das Buch noch direkt beim Verlag, im Handel scheint es schon vergriffen zu sein.

theycamefromwithinCaelum Vatnsdal: They came from within – A History of Canadian Horror Cinema, Arbeiter Ring Publishing, Winnipeg 2001. 256 Seiten. c.a. 23CDN$, c.a. 15€

Kanadischer Horrorfilm? Das kanadische Kino an sich (mit einem noch einmal sehr eigen ausgeprägten cinéma québécois) ist für viele schon eine Unbekannte, aber dann auch noch Horrorfilme? In der Tat sind Horrorfilme für das durch das staatlich finanzierte National Film Board mit seinem Schwerpunkt auf Dokumentar- und Animationsfilmen geprägte Land nicht gerade typisch. Dass David Cronenberg Kanadier ist, wissen vielleicht die meisten Cineasten, aber wer weiß schon, dass viele der besten Produktionen der großen Slasherwelle von Mitte der Siebziger bis Anfang der Achtziger kanadische Filme waren: BLACK CHRISTMAS, MY BLOODY VALENTINE, HAPPY BIRTHDAY TO ME, PROM NIGHT oder HUMONGOUS. Steuererleichterungen der kanadischen Regierung mit dem Ziel den Aufbau einer eigenen Filmindustrie voranzutreiben, die der Konkurrenz durch den großen Bruder südlich der Grenze standhalten sollte, ermöglichten einen (eher kurzzeitigen) Boom des Genrefilms, besonders des Horrorfilms. In Caelum Vatnsdals Geschichte des kanadischen Horrorfilms nehmen David Cronenberg und die Slasherwelle natürlich viel Raum ein, aber er beginnt seine Reise durch diese unbekannte Welt viel früher und gestaltet sie viel umfangreicher, von den ersten horrorähnlichen Stummfilmen über wildernde Grizzlybären bis zu den neuesten Wiederbelebungsversuchen (die GINGER SNAPS-Reihe beispielsweise). Immer wieder kreist Vatnsdal dabei um Probleme, die das kanadische Kino generell kennzeichnen: Wie kann man Filme drehen, wenn im (gleichsprachigen!) Nachbarland, die mächtigste Filmindustrie der Welt sitzt? Kann der Staat die private Industrie ersetzen? Wie kann man Genrefilme machen in einem Land, das sich von seinem großen Nachbarn durch möglichst künstlerisch ambitionierte Projekte abheben möchte? Was sind eigentlich das spezifisch Kanadische an den Filmen, gibt es so etwas wie kanadische Ängste, eine kanadische Identität? Und wie spielt das Kino aus der Provinz Québec und der dort seit den Sechzigern und der „Stillen Revolution“ grassierende Nationalismus da mit rein? Kanadische Filmgeschichte, von den marginalisierten Rändern her beschrieben in einem Buch, das sich weniger mit den einzelnen Filmen, als vielmehr mit den kulturellen und wirtschaftlichen Zusammenhängen auseinandersetzt. Ob es mal ein ähnliches Buch zum deutschen Horrorfilm geben wird?

ritualundromantikOlaf Möller, Hans Schifferle, Sascha Westphal: Ritual und Romantik. Das Kino des Eckhart Schmidt, belleville Verlag, München 1997. 120 Seiten. 7,50€
Eine ekstatische Liebeserklärung aus München an einen der großen verkannten Regisseure aus München – in drei Teilen. Zuerst Hans Schifferle über die wilden Sechziger: Schmidt als Filmkritiker (für die SZ und film, gemeinsam mit Rudolf Thome), als Teil einer Gruppe von Filmemachern (Thome, Lemke, Zihlmann, Gosov), die versuchten die Nouvelle Vague, aber vielleicht doch direkt Hawks und Walsh an die Isar zu holen. Die ersten Kurzfilme und die ersten beiden Spielfilme: JET GENERATION und ATLANTIS – EIN SOMMERMÄRCHEN. Dann, das große Loch, knapp zehn Jahre dreht Schmidt nicht mehr, auch das Buch versucht diese Lücke nicht zu füllen. Erst 1981 das Comeback mit DER FAN (genau genommen drehte Schmidt schon ein Jahr vorher eine Dokumentation über Douglas Sirk), dieser New Wave-Thriller über Pop und Faschismus und die alles verzehrende Liebe. Sascha Westphal widmet sich Schmidt in den Achtzigern. Ein fulminantes Essay, das so brennend Lust macht, die Filme zu sehen, das es kaum auszuhalten ist, insbesondere auf den anlässlich eine DAF-Konzerts in Wien eher spontan entstandenen DAS GOLD DER LIEBE (der nicht in der Schmidt-DVD-Box enthalten ist, in der sonst alle wichtigen Spielfilme der Achtziger dabei sind). Auf knapp dreißig Seiten wird auf alles eingegangen, was für das Verständnis von Schmidts Filmen auch nur irgendwie wichtig ist: das Kino der Achtziger, die Achtziger in den USA und Deutschland, Pop und NDW, Ästhizismus (cinema of narcissism, wie Westphal es nennt, und die Verbindung von Schmidt und Mann und Schrader), Hochkultur (Oper, Romantik, Kleist, Antonioni) und low culture (Genrekino, die BRAVO als Inspirationsquelle, Melodramatik und Emotion, das deutsche Kino der Fünfziger) und ihre Verbindung in Schmidts Werken usw. Geschrieben ist der Text nie distanziert-hochgestochen, sondern leidenschaftlich-einfühlsam und geprägt von einem Wissensdurst, den man nur für die Dinge entwickeln kann, die man wirklich liebt. So wie die Achtziger das Herzstück in Schmidts Filmographie sind, so ist Westphals Artikel das Herzstück des Buches. Eckhart Schmidt und die „Hochkultur“, darüber schreibt auch Olaf Möller in seinem Text über die Neunziger und Schmidts Opernfilme und seine E.T.A. Hoffmann-Verfilmung DER SANDMANN. Es ist ein nicht weniger leidenschaftlicher Versuch den späten, manchmal doch etwas rätselhaften Schmidt zu erfassen. Anstatt des sonst in solchen Sammelbänden üblichen Interviews ist eine umfangreiche Filmographie enthalten, die Schmidt selbst kommentiert, dazu gibt es einen seiner Texte als Kritiker, ein zehnseitiges Essay über Budd Boetticher. Erschienen ist das Buch 1997 anlässlich einer umfangreichen Retrospektive im Münchner Filmmuseum. Das ist jetzt zwölf, fast dreizehn Jahre her und so wirklich wiederentdeckt worden ist Schmidt immer noch nicht. Und auch wenn das Filmmuseum weiter regelmäßig seine Filme zeigt – es wäre an der Zeit für eine weitere große Retrospektive, schon allein weil seit 1997 über fünfzig neue Filme entstanden sind, die zum Großteil im TV-Programm untergehen. Vielleicht ja mal im Rahmen eines großen deutschen (Münchner??) Festivals?

japanmonsterinselJörg Buttgereit & Freunde: Japan – Die Monsterinsel, Martin Schmitz Verlag, Berlin 2006. Hardcover. 256 Seiten. 24,50€
Ein wunderschönes, mit viel Liebe zusammen gestelltes Buch in edlem Einband, das ich immer wieder gerne aus dem Regal hole und sei es nur um den ausführlichen Bildteil zu bewundern. Buttgereit und seine Freunde (u.a. Hans Schifferle und Marcus Stiglegger) meistern den schmalen Grat: sie sind Fan genug um begeisternd mitreissen zu können, wahren aber immer genügend analytischen Sachverstand um glaubwürdig und interessant zu bleiben und haben ein Auge für Trash genau wie für die gesellschaftlichen Entwicklungen, die in den Filmen anklingen. Das Buch steht in der Tradition der guten alten Filmführer, durch einzelne Besprechungen der meisten seit 1954 in Japan entstandenen Monsterfilmen (in jedem Fall sind alle in Deutschland erschienenen enthalten) – eingeteilt nach ihren Hauptdarstellern Godzilla, Gamera und einer Sammelkategorie für den Rest – bekommt man einen Überblick über das gesamte Genre. Sehr nützlich sind die DVD-Tips am Ende jedes Artikels, die immer auf die weltweit besten Veröffentlichungen verweisen, aber auch jede deutsche DVD berücksichtigen. Dazwischen gibt es Interviews, die Buttgereit in Japan alle selbst geführt hat – mit Haruo Nakajjima, dem Mann im Godzilla-Kostüm genau so wie mit Gamera-Regisseur Noriaki Yuasa. Am Schönsten ist aber der große Bildteil mit vielen Kinoplakaten (deutschen wie ausländischen), Magazintiteln, Monsterspielzeug und Fotos aus Buttgereits Privatsammlung.

Zitat der Woche

„Wenn der Tod der VHS-Kassette nicht gebührend betrauert wird, dann aus Geringschätzung des Unbeabsichtigten ganz allgemein. Es gibt auf manchen alten Bändern dieses krude „Hintendran“ und „Zwischendrin“, das beim Überspielen ungewollt entsteht. Durch brodelnde Spratzer hindurch, aus elektrischen Wogen tauchen die Enden von Filmen auf, die man nie mehr sehen wollte. Wie Gespenster spotten sie: „Du wolltest mich vergessen, aber hier bin ich.“ Und manchmal freut man sich sogar. Die Rückseiten von Zeitungsausschnitten sind meist interessanter als die Vorderseiten, hat Farocki mal geschrieben. Wer, anders als die davon schweigende Mehrheit, seinen Videorekorder tatsächlich auch zum Aufnehmen zu gebrauchen weiß, der ist im Besitz solcher Kassetten, in denen sich Filmschlüsse abgelagert haben wie Erdschichten. In Stufen liegt da der Wandel im persönlichen Filmgeschmack offen zu Tage. Lehm, Kalk, Kohle und Erz.“

zitiert nach: Rainer Knepperges: Die Tiefe der Schublade, aus: SigiGötz-Entertainment, Die dreizehnte Wiege, München, Februar 2008. S. 17.

Die aktuelle Ausgabe von SigiGötz-Entertainment mit – unter anderem – einem Überblick über den deutschen Genrefilm seit 2001 (eine schöne Ergänzung zum Kanon des deutschen Films aus Ausgabe 12) und einem manchmal schockierenden Rückblick auf die Bewertungstabelle der FILMKRITIK kann man hier bestellen.

Ghosts of Mars (2001)

Je mehr ich von Carpenters Filmen ab 1990 sehe, desto mehr drängt sich mir der Verdacht auf, dass die immer mal wieder aufgeschnappte Behauptung Carpenter habe nach THEY LIVE konstant abgebaut, nicht mehr als ein böswilliges Gerücht ist. GHOSTS OF MARS zum Beispiel, wurde bei seinem Kinostart übelst verrissen,  zwei Jahre nach MATRIX hatte offenbar niemand mehr Lust auf handgemachte Genrekost, selbst eingefleischte Carpenter-Fans loben höchstens noch den Trash-Faktor des Films. Aber mal im Ernst: Allein die Idee, ASSAULT – ANSCHLAG BEI NACHT ein futuristisches Update auf dem Mars zu geben, mit Courtney Love in der Rolle von Ethan Bishop und Ice Cube als Napoleon Wilson, hat einen sehr verrückten Charme.

Und wenn Courtney Love nicht eine Woche vor Drehbeginn die Ex-Frau ihres Lovers über den Fuß gefahren wäre, Carpenters Casting-Coup wäre voll aufgegangen. Mit Love als Vertreterin des (feministischen) Hardcorepunks und Grunge und mit Ex-N.W.A.-Mitglied Ice Cube als Vertreter des Westküsten-Hip Hops, bzw. Gangsta Raps wären die Verteter zwei der wichtigsten amerikanischen Subkulturen der Neunziger (die 2001 natürlich schon längst Geschichte und in Mainstream und Ausverkauf angekommen waren) aufeinander getroffen. Wenn man sich jetzt noch daran erinnert, dass die Gangproblematik und Ghettobildung in L.A. eine Art mythologischen Hintergrund für ASSAULT bildete, ist die Besetzung von dem aus South Central stammenden Ice Cube, der mit Liedern wie „Black Korea“ den Soundtrack zu den Rodney King riots von 1992 lieferte, doppelt interessant.

Leider kann Natasha Henstridge Love nicht wirklich ersetzen, aber das wäre auch schon der einzige Kritikpunkt den ich vorbringen kann. Ansonsten hat der Film einen wunderbar trashigen, hemdsärmeligen Charme und wirkt mit seinen Pappkulissen in Zeiten als CGI und Blue Screens gerade groß im Kommen waren natürlich völlig aus der Zeit gefallen, aber eben auch wie eine nostalgische Hommage an die anpackende, schnörkellose Kunst B-Filme zu drehen. Toll auch die sexuell aufgeladene Atmosphäre in der sich die Figuren ständig Anzüglichkeiten an den Kopf werfen und sich gegenseitig flachlegen wollen, aber nie richtig zum Zug kommen (Jason Stathams Begehren erinnert da doch sehr an die Zigarette, die Napoleon Wilson in ASSAULT so vehement verlangt und erst von Laurie Zimmer gegen Ende des Films überreicht bekommt). Und wie immer bei Carpenter ist natürlich der Western nicht weit: Die verlassende Stadt in der Wüste, der Saloon, der großartig inszenierte Zugüberfall am Schluß. Ein wirklich starker Film.

Tatort und Tangerine Dream

Bin gerade etwas auf dem Tatort-Trip und versuche mehr über die wunderbar sleazig klingende Folge Der gelbe Unterrock aus dem Jahr 1980 herauszufinden, die nach ihrer Erstausstrahlung im Giftschrank des SWR verschwunden ist. Generell faszinieren mich die Tatort-Folgen aus den Achtzigern, schon allein wegen den so merkwürdig fremd und fern wirkenden Bildern aus der „alten“ BRD. Zum Beispiel im Schimanski-Tatort Das Mädchen auf der Treppe, wenn die Kamera über den Tatort schwenkt und sich hinter den klobigen Einsatzwägen und den grauen Mietshäusern vor einer brachen Wiese die riesige Zeche aufbaut. Oder das blinkende, alte Bierschild im Hintergrund der Kneipenszene. Überhaupt wirkt das alles gar nicht so wie die meisten Fernsehfilme, die man heute so sieht, sondern viel filmischer, näher am Kino. Und das nicht nur, weil der Soundtrack wie bei Michael Mann oder Kathryn Bigelow von Tangerine Dream stammt:




(Über das Benutzerprofil des Users bei Youtube findet man noch eine Zusammenstellung des Tatorts Miriam von 1983, bei dem die Musik ebenfalls von Tangerine Dream stammt.)


Übrigens zeigt 3sat nächsten Sonntag (also den 23. August) die Folge Reifezeugnis von Wolfgang Petersen mit Nastassja Kinski aus dem Jahr 1977. Und Dominik Grafs Jubiläumstatort Frau Bu lacht wird am 24. August im SWR und am 10. September im WDR wiederholt.

Aktuelle Festivalrundschau

Eine kurze Link- und Neuigkeitensammlung zum aktuellen Festivalgeschehen, das jetzt von Spätsommer bis Herbst mit den drei „Großen“ Locarno, Venedig und Toronto hoffentlich für viel Diskussionsstoff sorgen wird:

Gestern abend ist das 62. Filmfestival in Locarno zu Ende gegangen, Sieger des Goldenen Leoparden ist der chinesische Film She, A Chinese von Xiaolu Guo. Zweiter großer Gewinner ist der russische Film Buben, Baraban von Alexei Mizgirev, der sowohl den Spezialpreis der Jury, als auch den Preis für die beste Regie gewann. Alle Preisträger gibt es auf der offiziellen Festivalhomepage.

Ausführliche Berichterstattung über das Festival gab es von Lukas Foerster bei CARGO und im (auch sonst sehr lesenswerten) Blog von Michael Sennhauser vom Schweizer Radio DRS.

Noch interessanter als der aktuelle Wettbewerb dürfte die Reihe Manga Impact zum japanischen Animationsfilm gewesen sein, die einen kompletten Abriss seiner Geschichte von den Anfängen bis heute darstellte. In ihrer Ausführlichkeit ist diese Retrospektive bisher in Europa wohl kaum übertroffen, leider lassen sich darüber bisher abgesehen von den beiden schon erwähnten Festivalberichten kaum nennenswerte Artikel im Netz finden. Lediglich von Rüdiger Suchsland gab es in der Printausgabe (aber nicht online) der FAZ vom 13. August einen Bericht, in dem er vor allem von First Squad: The Moment of Truth von Yoshiharu Ashino schwärmte, in dem japanischer Anime und russisches Revolutionskino aufeinandertreffen. Auch Michael Sennhauser war sehr angetan von dem Film, der in Locarno internationale Premiere hatte. Den Trailer dazu gibt es hier.

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