Filmbücher – Fünf Empfehlungen
Filmbücher sind bisher viel zu kurz auf unserem kleinen Blog gekommen und das bevorstehende Weihnachtsfest ist die ideale Gelegenheit, das zu ändern. Im Folgenden will ich fünf Bücher aus meinem Regal vorstellen, Geschenkideen in der letzten Minute für kinobegeisterte Familienmitglieder und Freunde oder Möglichkeiten das Weihnachtsgeld von Oma nach dem Fest schnell wieder loszuwerden. Bei der Auswahl handelt es sich absichtlich nicht um Neuerscheinungen (obwohl durchaus einige neuere Bücher dabei sind), auch habe ich darauf geachtet, dass es sich um Bücher handelt, die vielleicht noch nicht in jeder deutschen Tageszeitung ausführlich besprochen wurden. Alle hier vorgestellten Titel sollten noch problemlos im Buchhandel erhältlich sein, falls nicht sind sie mit Sicherheit noch über Ebay oder den Amazon Marketplace zu bekommen. Eines haben auf jeden Fall alle Bücher gemeinsam: Sie zählen zu meinen Lieblingen und ich kann sie vorbehaltlos empfehlen.
Phillip Lopate: American Movie Critics. An Anthology From the Silents Until Now. Expanded Edition. The Library of America, New York 2008. Preis: c.a. 14 $, c.a. 10 € (Softcover)
Welch größeren Stellenwert die Filmkritik in den USA im Vergleich zu Deutschland einnimmt, kann man daraus ersehen, dass die Library of America (eine Institution vielleicht vergleichbar mit der Bundeszentrale für politische Bildung – nur mit Schwerpunkt auf belletristischen und journalistischen Texten und auch nur teilweise staatlich finanziert) regelmäßig Sonderausgaben bedeutenden Filmkritikern widmet (gerade ist eine Gesamtausgabe zu Manny Farbers Schriften erschienen). American Movie Critics – An Anthology From the Silents Until Now bildet dabei eine Art Schlüsselwerk: ein 800-Seiten-dickes Kompendium, ein gigantischer Kanon der amerikanischen Filmkritik von Vachel Lindsay und Hugo Münsterberg bis Kenneth Turan und Jonathan Rosenbaum. Das Konzept ist einfach: Über siebzig amerikanische Filmkritiker von der Stummfilmzeit bis heute werden vorgestellt, mit einer kurzen Biographie (besser: Schaffensüberblick) und dem Abdruck mindestens einer ihrer Originaltexte. Angenehmerweise sind gerade einige der unbekannteren Namen (Otis Ferguson, Vincent Canby) mit mehreren Texten vertreten, während für eine breit rezipierte Journalistin wie Susan Sontag der Abdruck eines Essays ausreicht. Und es entsteht auch ein Kaleidoskop der Filmgeschichte und ihrer Rezeption: Von der Konsolidierung des neuen Mediums, dem Übergang vom Stumm- zum Tonfilm, dem Aufkommen der Autorentheorie, New Hollywood bis zu Tarantino und der Postmoderne. Es sind etliche sehr bekannte Texte enthalten, Pauline Kaels Trash-Essay, Paul Schrader’s Notes on Film Noir oder die Billy Wilder (Reconsidered)-Artikel von Andrew Sarris, aber auch einige (zumindest hierzulande) unbekanntere Sachen. Etwas schade vielleicht, dass die feministische Filmkritik nur am Rande auftaucht und Debatten und Kontroversen innerhalb der amerikanischen Filmkritik völlig außen vorbleiben, die Texte manchmal etwas isoliert stehen. Trotzdem, gerade als Einstieg in die wunderbare Welt der Filmkritik und um zu verstehen, wo die heutigen Autoren ihre Wurzeln haben, ein großartiger Sammelband.
Rainer Knepperges (Hg.): Gdinetmao – Abweichungen vom deutschen Film, Maas Verlag, Berlin 2001. Preis: 14 €
Gdinetmao war der Name einer Filmzeitschrift aus dem Umfeld des Kölner Filmclubs 813, die von Rainer Knepperges herausgegeben wurde. Da der Großteil der 13 erschienenen Hefte vergriffen ist, ist das Buch „Abweichungen vom deutschen Film“ eine willkommene Best Of-Sammlung von Texten, die sich alle mit einem Thema beschäftigen: der Sorte von deutschen Filmen, die in anderen Monographien nur am Rand oder gar nicht auftauchen. Das heißt konkret: Interviews mit Zbynek Brynych, Hartmut Bitomsky und Christian Petzold, Kurzbesprechungen jeder einzelnen Folge von DER KOMISSAR (inklusive einer längeren zu Folge 17 PARKPLATZ-HYÄNEN, Regie: Zbynek Brynych), Artikel zu Tresslers SUKKUBUS und Fleischmanns HERBST DER GAMMLER, eine schwärmerische Jugenderinnerung von Olaf Möller an die Edgar Wallace-Filme, Stefan Ertls Liste mit Lieblingsfilmen von Nadja Tiller, ein Essay mit dem schönen Titel „Helge Schneider verstehen“ und und und… Man sieht schon, vieles davon bewegt sich auf dem Terrain, auf dem heute SigiGötz-Entertainement unterwegs ist und gerade für die treuen Leser jener Zeitschrift (aber nicht nur die!) bekommt Gdinetmao – Abweichungen vom deutschen Film meine wärmste Empfehlung. Bestellen kann man das Buch noch direkt beim Verlag, im Handel scheint es schon vergriffen zu sein.
Caelum Vatnsdal: They came from within – A History of Canadian Horror Cinema, Arbeiter Ring Publishing, Winnipeg 2001. 256 Seiten. c.a. 23CDN$, c.a. 15€
Kanadischer Horrorfilm? Das kanadische Kino an sich (mit einem noch einmal sehr eigen ausgeprägten cinéma québécois) ist für viele schon eine Unbekannte, aber dann auch noch Horrorfilme? In der Tat sind Horrorfilme für das durch das staatlich finanzierte National Film Board mit seinem Schwerpunkt auf Dokumentar- und Animationsfilmen geprägte Land nicht gerade typisch. Dass David Cronenberg Kanadier ist, wissen vielleicht die meisten Cineasten, aber wer weiß schon, dass viele der besten Produktionen der großen Slasherwelle von Mitte der Siebziger bis Anfang der Achtziger kanadische Filme waren: BLACK CHRISTMAS, MY BLOODY VALENTINE, HAPPY BIRTHDAY TO ME, PROM NIGHT oder HUMONGOUS. Steuererleichterungen der kanadischen Regierung mit dem Ziel den Aufbau einer eigenen Filmindustrie voranzutreiben, die der Konkurrenz durch den großen Bruder südlich der Grenze standhalten sollte, ermöglichten einen (eher kurzzeitigen) Boom des Genrefilms, besonders des Horrorfilms. In Caelum Vatnsdals Geschichte des kanadischen Horrorfilms nehmen David Cronenberg und die Slasherwelle natürlich viel Raum ein, aber er beginnt seine Reise durch diese unbekannte Welt viel früher und gestaltet sie viel umfangreicher, von den ersten horrorähnlichen Stummfilmen über wildernde Grizzlybären bis zu den neuesten Wiederbelebungsversuchen (die GINGER SNAPS-Reihe beispielsweise). Immer wieder kreist Vatnsdal dabei um Probleme, die das kanadische Kino generell kennzeichnen: Wie kann man Filme drehen, wenn im (gleichsprachigen!) Nachbarland, die mächtigste Filmindustrie der Welt sitzt? Kann der Staat die private Industrie ersetzen? Wie kann man Genrefilme machen in einem Land, das sich von seinem großen Nachbarn durch möglichst künstlerisch ambitionierte Projekte abheben möchte? Was sind eigentlich das spezifisch Kanadische an den Filmen, gibt es so etwas wie kanadische Ängste, eine kanadische Identität? Und wie spielt das Kino aus der Provinz Québec und der dort seit den Sechzigern und der „Stillen Revolution“ grassierende Nationalismus da mit rein? Kanadische Filmgeschichte, von den marginalisierten Rändern her beschrieben in einem Buch, das sich weniger mit den einzelnen Filmen, als vielmehr mit den kulturellen und wirtschaftlichen Zusammenhängen auseinandersetzt. Ob es mal ein ähnliches Buch zum deutschen Horrorfilm geben wird?
Olaf Möller, Hans Schifferle, Sascha Westphal: Ritual und Romantik. Das Kino des Eckhart Schmidt, belleville Verlag, München 1997. 120 Seiten. 7,50€
Eine ekstatische Liebeserklärung aus München an einen der großen verkannten Regisseure aus München – in drei Teilen. Zuerst Hans Schifferle über die wilden Sechziger: Schmidt als Filmkritiker (für die SZ und film, gemeinsam mit Rudolf Thome), als Teil einer Gruppe von Filmemachern (Thome, Lemke, Zihlmann, Gosov), die versuchten die Nouvelle Vague, aber vielleicht doch direkt Hawks und Walsh an die Isar zu holen. Die ersten Kurzfilme und die ersten beiden Spielfilme: JET GENERATION und ATLANTIS – EIN SOMMERMÄRCHEN. Dann, das große Loch, knapp zehn Jahre dreht Schmidt nicht mehr, auch das Buch versucht diese Lücke nicht zu füllen. Erst 1981 das Comeback mit DER FAN (genau genommen drehte Schmidt schon ein Jahr vorher eine Dokumentation über Douglas Sirk), dieser New Wave-Thriller über Pop und Faschismus und die alles verzehrende Liebe. Sascha Westphal widmet sich Schmidt in den Achtzigern. Ein fulminantes Essay, das so brennend Lust macht, die Filme zu sehen, das es kaum auszuhalten ist, insbesondere auf den anlässlich eine DAF-Konzerts in Wien eher spontan entstandenen DAS GOLD DER LIEBE (der nicht in der Schmidt-DVD-Box enthalten ist, in der sonst alle wichtigen Spielfilme der Achtziger dabei sind). Auf knapp dreißig Seiten wird auf alles eingegangen, was für das Verständnis von Schmidts Filmen auch nur irgendwie wichtig ist: das Kino der Achtziger, die Achtziger in den USA und Deutschland, Pop und NDW, Ästhizismus (cinema of narcissism, wie Westphal es nennt, und die Verbindung von Schmidt und Mann und Schrader), Hochkultur (Oper, Romantik, Kleist, Antonioni) und low culture (Genrekino, die BRAVO als Inspirationsquelle, Melodramatik und Emotion, das deutsche Kino der Fünfziger) und ihre Verbindung in Schmidts Werken usw. Geschrieben ist der Text nie distanziert-hochgestochen, sondern leidenschaftlich-einfühlsam und geprägt von einem Wissensdurst, den man nur für die Dinge entwickeln kann, die man wirklich liebt. So wie die Achtziger das Herzstück in Schmidts Filmographie sind, so ist Westphals Artikel das Herzstück des Buches. Eckhart Schmidt und die „Hochkultur“, darüber schreibt auch Olaf Möller in seinem Text über die Neunziger und Schmidts Opernfilme und seine E.T.A. Hoffmann-Verfilmung DER SANDMANN. Es ist ein nicht weniger leidenschaftlicher Versuch den späten, manchmal doch etwas rätselhaften Schmidt zu erfassen. Anstatt des sonst in solchen Sammelbänden üblichen Interviews ist eine umfangreiche Filmographie enthalten, die Schmidt selbst kommentiert, dazu gibt es einen seiner Texte als Kritiker, ein zehnseitiges Essay über Budd Boetticher. Erschienen ist das Buch 1997 anlässlich einer umfangreichen Retrospektive im Münchner Filmmuseum. Das ist jetzt zwölf, fast dreizehn Jahre her und so wirklich wiederentdeckt worden ist Schmidt immer noch nicht. Und auch wenn das Filmmuseum weiter regelmäßig seine Filme zeigt – es wäre an der Zeit für eine weitere große Retrospektive, schon allein weil seit 1997 über fünfzig neue Filme entstanden sind, die zum Großteil im TV-Programm untergehen. Vielleicht ja mal im Rahmen eines großen deutschen (Münchner??) Festivals?
Jörg Buttgereit & Freunde: Japan – Die Monsterinsel, Martin Schmitz Verlag, Berlin 2006. Hardcover. 256 Seiten. 24,50€
Ein wunderschönes, mit viel Liebe zusammen gestelltes Buch in edlem Einband, das ich immer wieder gerne aus dem Regal hole und sei es nur um den ausführlichen Bildteil zu bewundern. Buttgereit und seine Freunde (u.a. Hans Schifferle und Marcus Stiglegger) meistern den schmalen Grat: sie sind Fan genug um begeisternd mitreissen zu können, wahren aber immer genügend analytischen Sachverstand um glaubwürdig und interessant zu bleiben und haben ein Auge für Trash genau wie für die gesellschaftlichen Entwicklungen, die in den Filmen anklingen. Das Buch steht in der Tradition der guten alten Filmführer, durch einzelne Besprechungen der meisten seit 1954 in Japan entstandenen Monsterfilmen (in jedem Fall sind alle in Deutschland erschienenen enthalten) – eingeteilt nach ihren Hauptdarstellern Godzilla, Gamera und einer Sammelkategorie für den Rest – bekommt man einen Überblick über das gesamte Genre. Sehr nützlich sind die DVD-Tips am Ende jedes Artikels, die immer auf die weltweit besten Veröffentlichungen verweisen, aber auch jede deutsche DVD berücksichtigen. Dazwischen gibt es Interviews, die Buttgereit in Japan alle selbst geführt hat – mit Haruo Nakajjima, dem Mann im Godzilla-Kostüm genau so wie mit Gamera-Regisseur Noriaki Yuasa. Am Schönsten ist aber der große Bildteil mit vielen Kinoplakaten (deutschen wie ausländischen), Magazintiteln, Monsterspielzeug und Fotos aus Buttgereits Privatsammlung.
Tut mir leid Alex. Hab grad 2 Stunden an nem persönlichen Kommentar zu deiner tollen Sammlung geschrieben, aber das Internet hats irgendwie gefressen.
Schreib das jetzt nur, um dich wissen zu lassen, dass mich dein Beitrag sehr inspiriert, und zur bisher bei weitesten ausführlichsten Antwort auf unserem Blog verleitet hat.
Naja, wie auch immer. Zumindest hab ich mir ein paar Stunden intensive Gedanken zum Stand der Filmpublizistik gemacht. 😉
Wie wärs mit 5 weiteren Empfehlungen? 🙂