STB Robert 2020 II

„Bei der Toten handelt es sich um unsere Agentin. Ich habe sie nicht gleich erkannt, weil sie nackt war.“ (Zimmer 13)


Wertung: Ich kann nichts mit Zahlen zur Bewertung anfangen. Deshalb gibt es hier ein System der euphorischen Aufnahme des Films. In Zahlen übersetzt wäre es wohl ungefähr: fantastisch 10 – 9 / großartig 9 – 7 / gut 7 – 6 / ok 6 – 4 / mir zur Sichtung nichts sagend 4 – 3 / uff 2 – 1 / ätzend 1 – 0. Diese Skala ist mit der Qual verbunden, Filme in eine lineare Skala zu quetschen. Deshalb hat die Wertung eine Y-Struktur für freieres Atmen. So kann ein Film eine Wertung der Verstörung erhalten: radioaktiv 10 – 9 / verstrahlt 9 – 7. Wertungen in Klammern verweisen auf das ein oder andere Nickerchen beim Schauen.

Legende: Ist im Grunde selbst erklärend. Wenn hinter der eckigen Klammer eine Zahl steht, dann gibt sie die Anzahl der Sichtungen wieder. Je höher die Zahl, desto mehr ist sie geschätzt. Da ich mit Fernsehen und Kino aufgewachsen bin, wo nur gekennzeichnet wird, wenn ein Film nicht in deutscher Sprache läuft, tue ich das schändlicherweise auch. (OmU=Originalfassung mit Untertiteln, OmeU=Originalfassung mit englischen Untertiteln, OF=Originalfassung, EF= englischsynchronisierte Fassung, OZmeU=Originalzwischentitel mit englischen Untertitel) Hinzu kommen die Zeichen ł, wenn der Film gekürzt war, und ≠, wenn ich mitbekommen haben sollte, dass das Format nicht hinhaute. Ein kleines K hinter einem Titel bezeichnet einen Kurzfilm (bis 20 Minuten), während ein kleines M einen mittellangen Film (21 bis 60 Minuten) kennzeichnet.


Vorangegangene Sehtagebücher:
2012/II | 2013/I | 2013/II | 2014/I | 2014/II | 2015/I | 2015/II | 2016/I | 2016/II | 2017/I | 2017/II | 2018/I | 2018/II | 2019/I | 2019/II | 2020/I

to be continued … und zwar hier

Dezember
Donnerstag 31.12.

Moana / Vaiana – Das Paradies hat einen Haken
(Ron Clements, John Musker, USA 2016) [3D blu-ray] 2

gut

Die entscheidenden Dinge des Films, die Farben und die leider nur zeitweise eingesetzten Pop-Up-Buch-Schnörkel, sind in 3D noch schöner.

Inner Workings / Herz oder Kopf k
(Leo Matsuda, USA 2016) [3D blu-ray]

nichtssagend

Im Duden ist neben dem Wort generisch ein QR-Code, der zu diesem Film führt.

Gone Fishing / Angeln gehen k
(Ron Clements, John Musker, USA 2017) [blu-ray]

uff

Filme, bei denen ich auch nicht weiß, wo der Sinn ihrer Fertigung zu finden ist. Denn selbst Geld wird damit sicherlich kaum zu verdienen sein – wenn ich meiner beschränkten Phantasie in Gelddingen glauben kann – und Werbung für den Hauptfilm und die Kunst der Macher ist es schon gar nicht.

Dredd
(Pete Travis, RSA/UK 2012) [3D blu-ray, OF] 3

großartig

Relativ zu Beginn meiner Schreibtätigkeit habe ich schon über DREDD auf demverehrten Blog the-gaffer.de geschrieben. Ich verweise mal auf den dortigen Text und den zutreffenden Kommentar am Ende, dass DREDD aus seinen besten Momenten, den Slomow-Glitzer-Action-Sequenzen, nichts macht. Es ist wirklich schade, denn mit mehr davon, wäre er ein Meisterwerk.

Jackass: The Movie / Jackass: Der Film
(Jeff Tremaine, USA 2002) [stream, OmU]

ok +

Zu der Hochzeit der Serie hatte ich sämtliche Folgen auf VHS und habe sie hoch und runter geschaut, diese logische Folge der Skatervideos, in denen die Fetischisierung von Können völlig wegfällt und nur die Fetischisierung von Schmerz und (Selbst-)Zerstörung übrigblieb. Den Film habe ich dann aber schon nicht mehr geschaut. Ich finde es nun erschreckend zu sehen, dass dieser wirklich nichts anderes versucht, als eine längere Folge der Serie zu sein. Den Abspann finde ich vielversprechender als den Rest des Filmes, wenn auch mal der herkömmliche Modus gebrochen wird. Aber dagegen spricht ja nun gar nicht soviel und für mich ist es in der Form ein nostalgisches Vergnügen. Was sich aber auch sofort wiedereinstellte, war der Überdruss, der irgendwann dazu führte, dass ich alle Folgen auch wieder überspielte. Nicht die Stunts meine ich, sondern wie bei geringsten Gründen die Kotze hochgedrückt wird. Irgendwie fühlt es sich für mich bequem an, wenn sich Übergeben wird, weil es einem Vergnügen bereitet und nicht mehr der richtig derbe Ekel gesucht wird. Was auch immer das über mich sagt.

Mittwoch 30.12.

Patton / Patton – Rebell in Uniform
(Franklin J. Schaffner, USA 1970) [blu-ray, OF]

gut

Die Nazis zu den größten Fanboys Pattons zu machen, ist vll. der spannendste Schachzug bei diesem Portrait eines aus der Zeit gefallenen Don Quichote, dessen romantische Ritterlichkeit von seinen Mitstreitern alles abverlangt und die ihn immer wieder in Palästen enden lässt, in denen der für die Moderne Nutzlose weggesperrt wird. Für einen Krieg, der nicht auf Zivilsein zurückgreifen darf, weil er sonst verliert, ist er noch gut, für ein Leben im Zivilen … oder schon im Erfolg nicht. So einfach die Dualität, auf die die zwei Teile mit ihrem jeweiligen Wandel von Erfolg in die schleichende Niederlage hinausläuft. Dass seine besten Charakterzüge dabei eben den teuflischsten aller Hollywoodmenschenarten gefällt, sagt entweder alles über Patton oder ist in seiner Heldenverehrung damit selbst schon äußerst fragwürdig.

Interstellar
(Christopher Nolan, USA/UK 2014) [blu-ray, OmeU]

gut

Vor einiger Zeit erhielt ich eine Abmahnung. Ich hätte INTERSTELLAR per torrent illegal im Internet zugänglich gemacht. Hanebüchener Quatsch, aber es endete vor Gericht. Alles, was offensichtlich dagegen sprach, spielte keine Rolle. Nach diversen paranoiden Szenarien, die nicht das auf der Hand Liegende, wie ich fand, betrachteten, sondern immer wieder die Möglichkeit geradezu professioneller Tauschbörsentätigkeit postulierten – ich war zu einem der festgestellten Zeitpunkte mit meinem Laptop nachweislich nicht zu Hause, sondern in Nürnberg, konnte also doch nicht als Täter in Frage kommen, wurde mir gesagt, dass dann ein Computersystem mit den anderen Nutzern des Internetzugangs einspringen hätte können; ich habe es nicht ganz verstanden – wurde mir dann vom Richter gesagt, dass nun mal ein Schaden entstanden ist und ich auch an den Geschädigten (Warner) denken solle. Ich solle die inzwischen vierstellige Summe, die das alles mit sich brachte, als Lehrgeld sehen. Und als dann noch eine cinephile Diskussion zwischen Richter und gegnerischem Anwalt über mich hereinbrach, was ich denn nun eigentlich gegen die Filme Christopher Nolans habe und wie ich als Filmfan dieses Meisterwerk noch nicht gesehen haben könne, da fühlte ich mich tatsächlich so verhöhnt und erniedrigt, wie selten zuvor in meinem Leben.
Letztens stand ich nun vor einem Filmträgerregal mit der Offerte, drei der angebotenen Filme kaufen zu können, aber nur zwei bezahlen zu müssen. Mir fehlte ein dritter Film und INTERSTELLAR fiel mir ins Auge. Nachdem ich ihn wirklich gekauft hatte, empfand ich es, als hätte ich gemeinsame Sache mit diesen beiden Protagonisten gemacht, die ich VOR DEM GESETZ getroffen hatte. Vielleicht liegt es an diesen Gefühlen, dass ich mit diesem überraschend gefühligen Film nicht ganz warm wurde.

Dienstag 29.12.

Moana / Vaiana – Das Paradies hat einen Haken
(Ron Clements, John Musker, USA 2016) [blu-ray]

gut

Viele bunte Farben und gute Songs … manchmal reicht dies, um einen Film, der vom langen Weg zur Akzeptanz der Verantwortung handelt, erträglich zu machen.

日子 / Days
(Tsai Ming-liang, TW 2020) [stream, OF]

großartig

Das Gegenstück zu STRAY DOGS. Wieder passiert nichts … bzw. noch mehr so, da sich das Nichts auch nach noch so langer Zeit nicht zu einem Drama zusammenzieht. Erst wenn in einer der letzten Einstellungen ein Mann alleine raucht, dann liegt plötzlich nahe, dass doch wieder alles Schmerz war und ist … von dem dieser schlendernde Film eines banalen Alltags eine kleine, Körper rubbelnde Auszeit genommen hatte.

Montag 28.12.

MacArthur / MacArthur – Held des Pazifik
(Joseph Sargent, USA 1977) [blu-ray, OF]

nichtssagend

Gregory Peck spielt Douglas MacArthur – einen General, der so enttäuscht war, dass der Kelch des Namens seines Großvaters und Vaters an ihm vorrüberging, dass er ihn seinem Sohn gleich wieder gab und Arthur MacArthur nannte – als Huhn. Mit zusammengekniffenen Augen schaut er bei seinen Reden – und davon wird es nicht wenige geben – in zuckenden Kopfbewegungen hin und her. Kurz vor APOKALYPSE NOW steht dieser General MacArthur auch mehrmals im Bombenhagel und zuckt nicht, als wolle er uns gleich sagen, wie sehr er den Geruch von Napalm am Morgen lieben würde. Nicht die Bomben sind es also, die ihm Angst machen, sondern die Leute im Zivilleben und in Befehlsketten … mit ihrer Fähigkeit sich nicht immer überzeugen zu lassen. Er schaut, als wolle er mit einem Feuerschwert die Worte den Ungläubigen ins Herz brennen, als könnte sie von überall plötzlich auf ihn eindringen.
Mehrmals wird dieser Douglas MacArthur erwähnen, dass es gerade die Soldaten sind, die den Krieg nur als letztes Mittel ansehen würden. Zu entbehrungsreich sei er, als dass sie ihn wünschen würden. Als er nach dem Zweiten Weltkrieg den Oberbefehl im Koreakrieg bekommt, nennt er es ein Geschenk an einen alten Krieger. Das Interesse, die Hauptfigur als widersprüchlich zu zeichnen, ist überdeutlich. Dabei sind solche Momente, die ihn im Bombenhagel zeigen, welche die Realität und Gegenwart des Krieges zeigen, aber Mangelware. Er lenkt aus Büros, Besprechungsräumen, Zugabteilen und anderen identitätslosen Orten, in denen nach der Herrschaft über die Realität getrachtet wird. Immer wieder befindet er sich an den Wendepunkten und muss erklären, rechtfertigen und mit Pathos überziehen, was geschehen wird bzw. was geschehen war. Die Geschichte geschieht. Dass er in Japan den New Deal verbreiten möchte und das Frauenwahlrecht, dass er als leidenschaftlicher Kämpfer für die Freiheit der Philippinen gezeigt wird, bleiben nur Teil seiner endlosen, leeren Reden. Dergestalt wird sicherlich seine Gockelhaftigkeit festgesetzt. Der Film hätte aber gerne hier oder da doch noch etwas anderes hinzufügen oder entgegensetzen können.
In der Suche nach Widersprüchlichkeit wird dieser zum Despotismus Neigende vom Film aber umgehend entmachtet. Wenn er tatsächlich durch Befehlsverweigerung gegenüber Präsident Truman zum Caesar hätte werden können, der den Rubikon überschreiten wollte, dann wird dies hier nie zur Bedrohung. Zu selbstverständlich werden seine politischen Niederlagen, heißt: seine Wahlniederlagen, dargestellt. Zu sehr entwerten sie seine Erfolge und seine Popularität. Macht hat er nur im Krieg, nie aber im Frieden. Wir sehen nie einen Sieger, sondern stets einen Verlorenen.
Zurück bleibt ein Film voll melancholischem Pathos mit Weichzeichner, der – es ist der große Spaß des Films – mehr als an allem anderen an der Halbglatze MacArthurs interessiert ist. Als ob der Blick von hinten auf die kahle Stelle des Kopfes den eitlen und selbstverliebten Trauerkloß und Macher schon längst entlarvt hätte.

Laurin
(Robert Sigl, BRD/H 1989) [blu-ray]

großartig +

Aus der Luft kommen mystische Wesen in schwarzen, flatternden Kleidern auf Leute/Kinder nieder; nachts verschwinden Kinder, die noch, gegen das Fenster eines anderen Kinders gepresst, um Hilfe schreien können und so Träume terrorisieren; alle Schauspieler werden spürbar synchronisiert, wenn sie sich in ihrer tendenziell vormodernen, abergläubischen, vorurteilsbehafteten Welt unterhalten: LAURIN ist eines dieser Märchen aus einer Parallelwelt, in dem kindliche Angst und Phantasie geradezu greifbar sind. So entrückt es ist, so wurzelt der Horror hier aber in etwas sehr Realem. Der Mythos entpuppt sich als Schleier über einem Grauen, das nur schwer zu verarbeiten ist. Ein Cocktail aus Mord, sexueller Gewalt und Heuchelei liegt darin begraben. Das Schweigen und die Lügen der Erwachsenen machen die Vorgänge für die Kinder nicht anders fassbar. Und das Beste an diesem atmosphärischen Film ist aber der makabre Witz, wenn beispielsweise wieder ein Kind verschwunden ist und nach einem Schnitt von einem Tatverdächtigen befriedigend unter ein Diktat geschrieben wird.

Sonntag 27.12.

The Kid / Der Vagabund und das Kind m
(Charlie Chaplin, USA 1921) [blu-ray, OZmU]

gut

Lotti Z. (4 Jahre) merkte irgendwann an, ob es nicht mal aufhören könnte, dass jemand versucht das Kind und den Vagabunden zu trennen. Für sie war es einfach brutal und sie wollte das es vorbei ist, trotzdem hatte sie aber auch auf einer anderen Ebene recht. Denn von einer Traumsequenz abgesehen, in der sich Chaplins Talent spät doch noch zeigt, verlässt sich der wenig subtile und vielschichtige THE KID auf simple emotionale Situationen und Bilder und wendet sie in der Ruine einer Geschichte immer wieder an.

Der Zinker
(Alfred Vohrer, BRD 1963) [blu-ray] 2

großartig

Klaus Kinski hat eine kurze sexuell aufgeladene Szene mit einer Python: Die Ermittlungen des von Heinz Drache gespielten Inspektors sind zwar höchst trist, aber die perverse, hinterhältige, verschrobene Welt eines Zoos, in welcher der Zinker operiert, macht dies mehr als wett.

Sonnabend 26.12.

Long Weekend
(Colin Eggleston, AUS 1978) [blu-ray, OmeU]

großartig +

Peter (John Hargreaves) und Marcia (Briony Behets) verbringen ein verlängertes Wochenende am Strand. Er schießt sinnlos in der Gegen herum und schmeißt seinen Müll überall hin. Sie sprüht Insekten-Ex großzügig auf alles, was nicht in ihre urbanen Ansprüche passt, und schmeißt ein Vogelei gegen einen Baum. Die Kamera fährt schlussendlich auch eine Schneise des Abfalls ab, den das Ehepaar hinterlässt, während am Strand eine Seekuh durch ihre Hand verendet. Die beiden scheinen ebenso im Krieg mit der Umwelt zu sein, wie sich diese übernatürlich gegen sie verschworen zu haben scheint – sie werden von wilden Tieren angegriffen und von Bäumen und Sträuchern im Nirgendwo gefangen zu halten.
Diese Motiven ergeben jedoch keinen ökologischen, sondern ein Ehedrama. Mehr als alles sind nämlich Peter und Marcia miteinander im Krieg. LONG WEEKEND lässt es lange schwelen, aber die Ausbrüche sind immer entschiedener, brutaler und niederträchtiger … während nicht unweit die Ruinen ihrer gescheiterten Träume zu finden sind … in Form eines vom Tod heimgesuchten Campingplatzes einer anderen Familie mit Hund … die anders als Peter und Marcia aber ein Kind bekommen haben. Die Widrigkeit des Außen spiegelt die Widrigkeit des Innen der Dyade. Die (mysteriös) zurückschlagende Natur wechselt sich mit den sehr klaren Ausbrüchen zwischen den beiden ab, weshalb schlussendlich alles ineinander fällt.
Die Schauspieler füllen die verschiedenen Stufen eines Hasses, der trotz allem noch auf Liebe hofft, während die Bilder von Untergang, Verlorenheit und Feindseligkeit künden. Es ist ein riesiges (unangenehmes) Vergnügen, wie die beiden am langen Arm verhungern, weil der Film ihnen eine Katharsis (lange) vorenthält. Die Zeichen der Dysfunktionalität sind überwältigend und doch bleiben sie zusammen und quälen sich. Das Heim in der Stadt wird schnell hinter sich gelassen und fast alles entspinnt sich in einer oft paradiesischen Wildnis, und doch sehen wir SZENEN EINER EHE mit einer okkulten Natur.

Peter Pan / Peter Pans heitere Abenteuer
(Clyde Geronimi, Wilfred Jackson, Hamilton Luske, USA 1953) [blu-ray] 2

gut

In der fantastischen Kindertraumwelt Nimmerland gibt es Piraten, Meerjungfrauen und Indianer. Gleichzeitig werden dabei die amerikanischen Ureinwohner repräsentiert, als auch ihre Darstellung als irreale Projektion gekennzeichnet. Oder ist es so, dass sie sowohl nicht repräsentiert werden, weil alles zu einem klischeehaften Mischmasch verwurstet wird, der nichts mehr mit Apachen, Sioux uswusf. zu tun hat, und dass die Repräsentation der Klischees die irrealen Projektionen bekräftigt? Tatsächlich ist es das alles auf einmal. Wer sich vergegenwärtigen kann, dass dieser Film also etwas enthält, dessen Existenz gleichzeitig negiert wird, hat womöglich Hegels Ausführungen zum Widerspruch in der WISSENSCHAFT DER LOGIK verstanden. Möglicherweise. Denn wer kann schon etwas über Hegels Texte mit Sicherheit sagen.

悪い奴ほどよく眠る / The Bad Sleep Well
(Kurosawa Akira, J 1960) [DvD, OmeU]

gut +

Die Verkommenheit des japanischen Wirtschaftswunders als überdrehte schwarze Komödie, die gleichzeitig von einer strikt geometrischen Formalität bestimmt ist. Zumindest in der ersten Hälfte. Wenn die Abwandlung von HAMLET dann aber in der Ruine einer Fabrik/eines Gewerbegebiets ankommt, die für den moralischen Bankrott beider Seiten einsteht, dann möchte THE BAD SLEEP WELL auch noch sehr ernsthaft von Moral erzählen und den Kompass unseres Gewissens ausdiskutieren. Der Wahnsinn, der diesem Film bis dahin und am Ende wieder sehr gut zu Gesicht steht, kommt hier etwas arg kurz.

Freitag 25.12.

Das Gasthaus an der Themse
(Alfred Vohrer, BRD 1962) [blu-ray] 2

gut +

Manchmal wirkt es wie ein Popup-Bild, wenn Vohrer seinen Film die Kneipe an der Themse betreten lässt. Dieser wunderbare Pulport ist neben den Unterwasseraufnahmen das Highlight eines Films, der – gerade wenn es um die Ermittlung geht – von einer selbstbesoffenen Männlichkeit erzählt.

Donnerstag 24.12.

The King of Staten Island
(Judd Apatow, USA 2020) [blu-ray, OmeU]

großartig +

Final wird ein Abschluss der mäandernden Lebensabschnittsgeschichte angedeutet. Der Slacker Scott Scotts (Pete Davidson) scheint sein Leben auf die Reihe zu bekommen und zudem seine Beziehungsangst zu überwinden. In der Tragödie stirbt der Held und wird so gleichzeitig von der Mühsal des Lebens befreit. Aber im Melodram lebt er weiter – ein unglückliches Happy End. So hat Douglas Sirk einst gesagt. Vor dem Tod ist keine Lebensgeschichte zu Ende … und THE KING OF STATEN ISLAND setzt am Ende auch nur kurze Eindrücke, die auf eine mögliche Zukunft weisen. Überhaupt hat Scott lediglich einen Männerbund (Kiffer) durch einen anderen (Feuerwehr) ausgetauscht, womit sich zwar sein Fokus ändert, aber seine Probleme nicht gelöst sind. So unkonzentriert, frei und ziellos alles davor eben war, so bleiben weiterhin nur Potentiale bestehen. Das Kino von Judd Apatow ist halt nicht so konserva- und normativ wie sein Ruf. Es verfolgt nur keine Utopien, sondern blickt von einer Existenz, die in eine bestimmte, meist randbürgerliche Gesellschaft geworfen wurde, auf deren schmerzhaften und absurden Potentiale. Und seine Klasse liegt darin, dass er keine Ergebnisse anstrebt, sondern den Unbeholfenen ihren schlingernden Weg lässt.

Mittwoch 23.12.

The Age of Innocence / Zeit der Unschuld
(Martin Scorsese, USA 1993) [blu-ray, OmeU]

großartig

Wir beginnen in einem Opernhaus. Überall verschnörkelte Schönheit und soziale Beziehungen. Vor allem ist es Zuviel. Schnitt auf schnellen Schnitt bekommen wir Eindruck auf Eindruck, Information auf Information. Es fällt einmal in eine Montage auseinander, die sich durch den Raum bewegt. Es wirkt dabei, als ob es nicht zu einem Ganzen verbunden werden kann. Die muffige Überladenheit der Räume wird uns ständig begleiten, die schnell aneinander geklebten expressiven Impressionen werden etwas weniger konzentriert über den Film verteilt wiederkehren.
Erzählt wird eine Dreiecksliebesgeschichte. May Welland (Winona Ryder) steht lange wie im Hintergrund und wird oft nur wegen ihrer (scheinbaren) Unschuld betrachtet. Langsam wird aber deutlich und mit einem brutalen Lächeln in die Kamera festgesetzt, bei der sich die Unschuld in absolute Kontrolle wandelt: Virtuos kann sie die Klaviatur ihrer Gesellschaft spielen. Sie geht völlig darin auf. Ihre Cousine Ellen Olenska (Michelle Pfeiffer) ist in dieser Gesellschaft aussätzig und auf eine ganz andere Art randständig als May. Ihre Trennung von ihrem Ehemann, das Anstreben einer im damaligen New York unschicklichen Scheidung zementieren ihre gesellschaftliche Ausgeschlossenheit. Während May durch ihr Aufgehen in der Gesellschaft nicht weiter auffällt, steht Ellen im Mittelpunkt, ob sie möchte oder nicht. Sie ist das Andere der porträtierten High Society. Im Zentrum der Erzählung befindet sich Newland Archer (Daniel Day-Lewis), der mit May verlobt ist und sich in Ellen verliebt, der es sich im Status quo seines Umfelds bequem gemacht hat, aber mit der Dissidenz sympathisiert, der immer wieder in den Opernhäusern und Abendgesellschaften bedeutungsschwer die Gruppen wechselt.
THE AGE OF INNOCENCE ist also ein Melodrama, in dem unterdrückte Gefühle in einer moralisch rigiden Gesellschaft um ihre Verwirklichung kämpfen und in der herrschenden Klaustrophobie der Benimmregeln nicht ausgelebt werden können. Ein Leben nahe am Ersticken wird porträtiert. Am Ende wird Scorseses expressiver, überdeutlicher Film – neben der filmischen Extravaganz bestimmt eine Erzählerin den Film, eine alles ausbuchstabierende Märchentante, die auch das halbwegs Subtile noch für die Blinden (wie Newland) übersetzen muss – aber auf etwas anderes weisen, weil es sich eben um einen Scorsese-Film handelt. Der Mann steht nicht umsonst im Mittelpunkt und von seiner Männlichkeit wird erzählt, wie der Film am Ende andeutet…, wenn sich all das versagte Glück auch nach Wegfallen der gesellschaftlichen Schranken nicht einstellt, weil Newland lieber ein weiteres Mal flieht. Nicht wie sonst von Besessenheit wird erzählt, sondern vom völligen Fehlen derselben.

Montag 21.12.

Us / Wir
(Jordan Peele, USA 2019) [blu-ray, OmeU] 2

großartig

Bei der zweiten Sichtung ist mir erst richtig klar geworden, dass es sich weniger um einen Horrorfilm mit Pointen handelt als um eine Komödie mit Schauerelementen. Und beide – der Witz wie der Grusel – drehen sich um Identitäten und ihre Double bzw. ihre verdrängten Potentiale. Leute werden von ihren Doppelgängern ausgemerzt, die sich nicht artikulieren können, aber sichtbar sein wollen. Die in der weißen Bürgerlichkeit angekommenen afroamerikanische Familie wird so von ihrer schwarzen Ghetto-Identität eingeholt, die gutbürgerliche Gesellschaft vom Lumpenproletariat, das vom Über-Ich-Normierte vom Es, das Bewusste vom Unterbewussten. Die Beach Boys treffen auf N.W.A. Doch US fasst nicht alles zu eindeutigen Symbolen oder einer klaren Botschaft zusammen, wodurch eben der Grusel eines hochgejazzten Zombiefilms und der Horror des eigenen Ichs und der einen umgebenden Gesellschaft fast schon albern erscheint, wie unsere Albernheit erschreckend ist.
Und so kurz der Auftritt von Elisabeth Moss, so toll ist er. Ob sie nun beim Familientreffen am Strand feststellt das vodka o’clock ist oder als psychopathische Killerin genussvoll ihre Opfer auf deren Tod vorbereitet.

Sonntag 20.12.

Les 12 travaux d’Astérix / Asterix erobert Rom
(René Goscinny et al, F 1976) [DVD] 62

großartig +

Wenn nicht immer wieder durchkommen würde, dass anscheinend ADHS beim Publikum vermutet wird, weshalb diesem/uns immer wieder hektisch überdrehte wie trübe Albernheiten untergeschoben werden müssen/muss, dann wäre dies ein Meisterwerk.

Shutter Island
(Martin Scorsese, USA 2010) [blu-ray, OF] 2

großartig

Wie in INCEPTION steht hier ein von Leonardo DiCaprio gespielter Mann im Mittelpunkt, der Abenteuer erlebt, um sich nicht seinen Problemen stellen zu müssen. Ist INCEPTION aber gar nicht an seinen Traumata und deren Grundlagen interessiert, sondern lediglich an ineinander verschachtelten Spannungsmomenten, da wird hier ein ganzes Arsenal aufgefahren, um den Knacks zu unterfüttern: Die Unmenschlichkeit der Konzentrationslager – bzw. die Grauen durch die Frage, was etwas wie die Konzentrationslager der Nazis und etwas Unvorstellbares, aber doch Geschehenes wie die Endlösung der Judenfrage über die Menschlichkeit aussagen –, die Paranoia der McCarthy-Ära, die engen moralischen Schranken der 50er Jahre, Alkoholismus und vor allem und – überall seine Marker setzend – eine sich über Gewalt und realitätsflüchtigen Rationalisierung der eigenen Gewalttätigkeit bestimmende Männlichkeit.
Während INCEPTION eben von der Undurchdringbarkeit der Selbsttäuschung erzählt, indem es durch ein Spannungskino erzählt, das jeden Platz für sich beansprucht und DiCaprios Probleme verdrängt, da drängen in diesem sensationell hässlich aussehenden Neo Noir, der auf einer Insel spielt, die als Anstalt dient, aus allem die Zweifel. Die Anstrengungen diese Welt am Laufen zu halten und sich ins Zentrum einer Heldengeschichte zu denken, in der alle anderen schrecklich sind, scheint Unmengen an Energie zu fressen. Wo also INCEPTION davon erzählt, wie einfach es sei wegzuschauen, da erzählt SHUTTER ISLAND davon, wie schwer es sein muss, den Blick abzuwenden, selbst wenn die Welt nur aus Schmerz besteht.

Sonnabend 19.12.

絕代雙驕 / The Proud Twins
(Chor Yuen, HK 1979) [blu-ray, OmU]

ok +

Vll. einer der schönsten Filme von Chor Yuen – das Arrangement der Flora in verschnörkelten Studioanlagen, das ins Orange gehende Rot des Sonnenuntergangs, der durch einen Wasserfall leuchtet, uswusf… hach –, der sich aber im vielen Kleinklein der Handlung verrennt und mit Alexander Fu Sheng einen Hauptdarsteller hat, der die spaßige Seite des Films trägt, aber das epische Drama, dass den meisten Platz des Films einnimmt, seiner Kraft beraubt.

Finding Nemo / Findet Nemo
(Andrew Stanton, USA 2003) [blu-ray] 6

ok +

Ich mag, wie der Ozean mal als buntes Wunder inszeniert wird, mal als graublaues, endloses Nichts, mal als dunkler Hort mannigfaltiger Bedrohungen. Ich mag, dass Tiere über Zahnheilkunde und Bohrer fachsimplen. Ich mag, dass es tatsächlich emotionale Fallhöhen gibt. Immer wieder gibt es Dinge, die ich mag. Aber vll. habe ich ihn mir übersehen, als ich ihn mit Freunden immer wieder sah, oder es ist die totale, aalglatte Souveränität in der Abhandlung der unterschiedlichen Stationen der Odyssee … jedenfalls nervt mich FINDET NEMO trotz all der Sachen, die mir gefallen, tierisch.

Ghost in the Machine / Killer im System
(Rachel Talalay, USA 1993) [blu-ray, OmeU]

ok

Die Moderne greift in Form eines psychopathischen Killers an, der aus Steckdosen und Telefonleitungen kommt und allmächtig unsere Welt zu seinem Spielplatz macht. Mehr zu diesem Film, der hätte toll sein können, aber ziemlich trist wird, sobald es um den Komplex Familie geht, auf critic.de.

Freitag 18.12.

Der Fälscher von London
(Harald Reinl, BRD 1961) [blu-ray]

ok

Eine Hochzeit gleicht hier einem Alptraum. Dr. Reinls Kamera schaut genüsslich in die vor Angst oder Unbehagen aufgerissenen Augen einer Braut. Leider ist es einer der wenigen nennenswerten Momente. Die Ausstattung und Interieurs von DER FÄLSCHER VON LONDON sind sensationell. Der Gothic Horror, der aus ihnen spricht, wird aber durch Dialoge und einen Ansatz zerstört, der Paranoia nur als trüben Ulk versteht. Dr. Mabuse wird zitiert, aber Angst darf nicht sein. Genau wie Unsicherheit. Siegfried Lowitz als Ermittler sucht nicht, sondern spielt Katz und Maus. Er weiß alles … und der Fall fühlt sich nur wie Schabernack für ihn an.

Mittwoch 16.12.

背叛師門 / The Master
(Tony Lou Chun-Ku, HK 1980) [DVD, OmU]

gut

Ein Film, der zwischen zwei Erzähloptionen hin und her wechselt. Hier: durch Reißzooms intensivierte Kampfszenen. Her: Klamauk um Korruption und Unfähigkeit in Kampfschulen. Hier meistert THE MASTER deutlich besser als her, aber am markantesten ist eh die Frisur mit der Gao Jian (Yuen Tak) ausgestattet wurde: Ein Pferdeschwanz, ein Pony über den Augen und links und rechts fallen zwei massive Strähnen, die wie riesige Kotelettbuschen sein Gesicht mit einem geschmacklosen Helm aus Haaren umranden. Der Horror.

Dienstag 15.12.

A Beautiful Day in the Neighborhood / Der wunderbare Mr. Rogers
(Marielle Heller, USA/CHN 2019) [blu-ray, OF] 2

großartig

Von einem Tom Hanks-Film habe ich am wenigsten erwartete, dass sich eine zweite Sichtung aufdrängen könnte, um ungefähr eine Ahnung davon zu haben, mit was ich es tun habe. Und doch war es bei A BEAUTIFUL DAY IN THE NEIGHBORHOOD der Fall.

Montag 14.12.

Small Axe (Folge 5) Education
(Steve McQueen, UK 2020) [stream, OmeU]

ok

Hier könnte das Gleiche wie bei ALEX WHEATLE stehen, nur dass es eben um einen Jungen geht, der vom Bildungssystem benachteiligt wird. Leider gibt es dieses Mal nicht mal Reggae. Genaueres zur gesamten Miniserie findet sich bei critic.de.

Sonnabend 12.12.

A Beautiful Day in the Neighborhood / Der wunderbare Mr. Rogers
(Marielle Heller, USA/CHN 2019) [blu-ray, OF]

großartig

Ein Film der vorgibt etwas zu sein, um etwas im Augenwinkel in den Blick zu bekommen, was dem Offensichtlichen entgegensteht. Mehr dazu auf critic.de.

Freitag 11.12.

Small Axe (Folge 4) Alex Wheatle
(Steve McQueen, UK 2020) [stream, OmeU]

ok

Jede Folge erzählt von einem anderen Thema mit anderen Figuren an einem anderen Ort (in London) zu anderer Zeit (während der 60er bis 80er Jahre) mit jeweils unterschiedlichen Erzählweisen. Und doch fühlt es sich vor allem generisch an. Gerade ALEX WHEATLE ist nur noch blutleer. Musik und Thema sind super, die Geschichte eines entwurzelten jungen Mannes, der nach einer Heimat sucht und im Gefängnis landet, ist spannend. Aber es ist, als ob ich es schon tausende Male gesehen habe.

Donnerstag 10.12.

Awesome; I Fuckin‘ Shot That!
(Nathaniel Hörnblowér, USA 2006) [DVD, OF] 2

großartig

Fünfzig Besuchern eines Konzerts der Beastie Boys von 2004 im Madison Square Garden wurde eine Kamera in die Hand gedrückt und aus ihren Aufnahmen ein Film geschnitten. Der Plan geht völlig auf. Der Film ist spontan und energiegeladen. Schon allein die Bildqualität rückt das Ereignis Richtung Psychedelic. Und wenn mal die Kamera nicht mit aufs Klo mitgenommen wird, Stars im Publikum gestalkt werden oder eben das Bühnenprogramm verfolgt wird, dann lässt es sich Adam Yauch nicht nehmen im Schnitt die Bilder noch mehr zu einer knalligen Popartexzentrizität zu machen.

Small Axe (Folge 3) Red, White and Blue
(Steve McQueen, UK 2020) [stream, OF]

gut

Die Dokumentation einer Isolation und eines Vaterkomplexes. Leroy Logan (John Boyega) wird Polizist, um die Institution der Polizei von innen zu bessern. Umgeben ist er aber von Rassisten, die seinen Spind beschmieren, die ihn in Gefahr nicht unterstützen, die ihn bei Beförderungen übergehen, während diejenigen, denen er helfen möchte und denen er ein besseres Bild der Polizei vermitteln möchte, in ihm nur einen Verräter sehen. Dass sein Vater ein akutes Problem mit Polizisten und seiner eigenen Hautfarbe hat, belastet Leroy zusätzlich.
Der Vaterteil des Ganzen beinhaltet die besten Momente der Serie (bisher), weil die Schweigsamkeit des Vaters – seine Schimpftiraden sind nicht unbedingt Ausdruck eines Kommunikationsdranges – verhindert, dass die theatralen Dialoge einem wieder alles erklären. Eine unbeholfene Umarmung konfrontiert einen eben mehr mit Leuten, die nicht Herr ihrer Gefühle und Existenz sind. Empowerment bedeutet hier auch etwas Subjektives und ist nicht nur Teil eines ausdiskutierten gesellschaftlichen Prozesses und eines klar entworfenen Filmkonzeptes.

Mittwoch 09.12.

Small Axe (Folge 2) Lovers Rock
(Steve McQueen, UK 2020) [stream, OF]

gut

Diese Folge ist den Lovers und Rockers gewidmet. Fast ausschließlich spielt sie während einer Hausparty im Jahr 1980, wo schwelgende Liebeslieder und drückender Dub die Atmosphäre setzten. Denn es wird weniger einer Erzählung gefolgt, als ein Milieu und ein bestimmter Punkt in deren Geschichte beobachtet.
Die Liebeslieder bilden dabei die Mehrheit und auf dem Papier könnte LOVERS ROCK tatsächlich luftig und romantisch sein. Es gibt auch einen bezaubernden Moment, wenn SILLY GAMES von Janet Kay endet und die Leute auf der Tanzfläche minutenlang weiterwippen und -singen. Doch selbst hier kann die Kamera ihren starrenden Duktus nicht ablegen. Sie wird nie Teil des gezeigten Aufgehens im Moment. Stattdessen ist sie ein starrender Fremdkörper. Egal wie lange sie durch das Publikum wandert … oder gerade je länger, umso entschiedener. Tatsächlich scheint sie auch zuvorderst ein Aufeinandertreffen von jungen Frauen und vor Testosteron überschäumenden Männern wahrzunehmen, bei der eine Vergewaltigung nur eine Sache der Zeit ist. Der kommende Täter wird auch wiederholt im Bild stehen und Frauen anstarren, als seien sie Kühe, die, trotz aller entgegensprechenden Bezeugungen, doch gerne geschlachtet werden wollen. LOVERS ROCK scheint immer nur zu warten, wann die Zärtlichkeit endlich zerstört wird.
Im Laufe der zweiten Hälfte wird der Dub einsetzen und die Stimmung kurz ekstatisch. Zum KUNTA KINTE DUB von The Revolutionaries finden sich dann fast nur noch Männer auf der Tanzfläche. Sie springen durcheinander, gerieren sich in ekstatischen Spasmen und bilden einen Moshpit. Der Moment ist ebenso ausgestellt wie das Fortführen des verklungenen Gesangs von zuvor. Hier findet sich die Kamera viel eher mittendrin, statt nur dabei. Die Feier der Rockers ist viel gelöster und die Kamera Teil seines Objekts geworden. Einerseits, weil im Tumult weniger ruhig gefilmt werden kann, andererseits, weil hier keine Intimität herrscht, die auf Distanz gehalten werden muss. Es ist schon ein Offenbarungseid des Filmemachers Steve McQueen, der eher in der Ferne von Intimität zu Hause zu sein scheint.

Dienstag 08.12.

Small Axe (Folge 1) Mangrove
(Steve McQueen, UK 2020) [stream, OF]

ok

Nach einem kurzen Spaziergang durch die Black Community von Notting Hill und dem Setzen einer Aufbruchsstimmung in dieser, folgt ein atmosphärisch harter Schnitt zu einem Polizisten. Er sitzt in einem Auto und beobachtet das Mangrove, ein just geöffnetes Restaurant für westindische Küche und Hort der aufkommenden Hoffnung. Dem neuen Beamten neben sich erklärt er, dass er das Ausbreiten dieser niederen Rasse verhindern werde. Der Konflikt zwischen Empowerment und Rassismus ist effektiv gesetzt. Schikanen und institutionelle Benachteiligungen werden ebenso folgen, wie ein sich radikalisierender Kampf dagegen.
Wenn MANGROVE zum Gerichtsdrama geworden ist, dann schallt dieser Anfang und andere Momente nach, in denen der junge Polizist mit dem offenen, brutal ausagierten Rassismus seiner Kollegen nichts anfangen kann. Die Bedrohung, dass der Film umschwingt und zum moralischen Konflikt eines Weißen wird, verwirklicht sich aber zum Glück nicht. Was aber ein zweischneidiges Schwert ist. Der erzrassistische Polizist und Antagonist wird, nachdem er vor Gericht der Lächerlich preisgegeben wurde, wieder im Auto vor dem Mangrove sitzen. Dieses Mal aber in zivil. Sein Kampf scheint nun persönlich zu sein und sein Fanatismus nur umso bedrohlicher. Denn er sitzt dort schweigend und wird nie wieder auftauchen. Statt sein letztes Auftauchen zu definieren, bleibt es einfach in der Luft hängen. Sein Potential ist spannender und fesselnder, als all die schwarzen Schicksale, denen nicht von der Pelle gerückt wird und die den Kern und roten Faden der Geschichte bilden.
Immer wieder werden Weiße vom Film hinter sich gelassen und werden nicht verarbeitet. In einem Film, der sonst sehr didaktisch und effektiv erzählt, der darauf aus ist, die Stellschrauben seines Ermächtigungsdramas möglichst festzusetzen und jede filmische Expressivität in den Dienst seines Plots stellt, der mit all diesem durchexerzierten Drama seine Figuren kein Leben einhaucht, sondern sie zu den Puppen macht, sind es ausgerecht die Polzisten, Richter und weißen Geliebten, welche die Phantasie anregen.

Sonntag 06.12.

蝴蝶杯 / The Butterfly Chalice
(Chang Cheh, Yuan Qiu-Feng, HK 1965) [DVD, OmeU]

ok

Bei genau einem Kampf in dieser gediegenen Peking-Oper-Verfilmung mit Gesang und onkeligem Witz spritzen plötzlich Blutfontainen und Schwerter durchtrennen Körper. Mit einem Mal wird dann doch spürbar, dass die Geschichte nicht nur Chang Cheh gefallen könnte, da ein Gelehrter mit seiner Kampfkunst und männerbündlerisch erworbenen Ehre über einen korrupten Staatsapparat triumphiert, wo Wissen und Ideale nicht weiterhelfen, sondern dass er ihn auch inszeniert hat.

Widows / Widows – Tödliche Witwen
(Steve McQueen, USA/UK 2018) [blu-ray, OmeU]

ok

Was als THE WIRE-artige Gesellschaftsanalyse im Genregewand beginnt, schlägt gänzlich in eine Ermächtigungsgeschichte um. Dabei wird aber nicht nur die aufgebaute Weite der Erzählung aus den Augen verloren, auch wird alles auf klare Bilder heruntergebrochen, in denen die Figuren für mehr als sich selbst stehen. Sie verkommen zu einfachen Symbolen. Wenn Viola Davis Figur beispielsweise ihren weißen Mann (Liam Neeson) erschießt, dann scheint das Band zwischen den Rassen – wie erfrischend war ihr Eheleben davor – dann doch wieder zerbrochen … nur dass es dann kurz darauf durch ein Hallo und ein erstes Lächeln zu Elizabeth Debickis Figur doch wieder kittbar erscheint. Oder anders: Steve McQueen inszeniert gekonnt, kann sein Können aber nicht auf das Leben seiner Figuren ausweiten. Alles wirkt wie als Mittel für eine moralische Geschichte erdacht.

Sonnabend 05.12.

幕末太陽傳 / A Sun-Tribe Myth from the Bakumatsu Era
(Kawashima Yūzō, J 1957) [blu-ray, OmeU] 2

großartig

Kawashimas Meisterwerk. Einer der größten japanischen Filme überhaupt. Zumindest wenn wir der Kinema Junpo glauben wollen … und wohl auch anderen japanischen Veröffentlichungen und Polls. Tatsächlich finde ich ihn jetzt auch bei der zweiten Sichtung großartig. Kawashima hat seinen Spaß mit den Sun-Tribe-Filmen (z.B. CRAZY FRUIT), die zu der Zeit kurzzeitig populär in Japan waren, und versetzt diese Halbstarken-Sommer-Filme ans Ende der Zeit der Shōgunate und in den Winter. Und auch wenn alles anders ist, ist es auch immer noch gleich. Nationalistische Samurais kämpfen gegen den steigenden Einfluss der internationalen Öffnung/der Amerikanisierung. Wobei sie aber eher großmäulige Slacker sind, die am Horizont vll. ein Ziel verfolgen. Gleichzeitig bietet er ein Panoptikum der Prostitution der Zeit, welche 1957 wiederum kurz vorm Verbot steht. Und in der Mitte gibt es einen Till Eulenspiegel (Frankie Sakai), der alle zum Narren hält und sich durch die Welt der Reichen und Mächtigen durchmogelt. Der Film ist witzig bis albern, politisch und poetisch, reich und einfühlsam. Aber doch fehlt mir noch das letzte Verständnis dafür, dass er einen solchen Ruf in seinem Heimatland hat. Noch.

どですかでん / Dodeskaden – Menschen im Abseits
(Kurosawa Akira, J 1970) [DVD, OmU]

gut

Kurosawas erster Farbfilm ist vor allen Dingen wunderschön. Den ausschließlichen Handlungsort bildet ein Schrottplatz … oder eine Müllhalde … oder die Postapokalypse. Darin leben Leute wie in einem expressionistischen Gemälde. Kindliche Gemälde werden als Tapete genutzt. Die Sonne sieht zuweilen wie gemalt aus. Und ihr Orange legt sich sowieso über alles und kämpft gegen das allgegenwärtige Grau an. Von Phantasie und einer selbstgeschaffenen Welt kündet die Optik.
Es lässt sich aber eine klare Linie von BILANZ EINES LEBENS über DODESKADEN zu TRÄUME ziehen. Die Abkehr von der Menschheit, die sich in den drei Filmen abzeichnet, schaut hier zuweilen wie Elendstourismus aus. Es gibt diese zwei Ehepaare, die alle paar Tage im Alkoholrausch ihre Männer austauschen. Es wird aber nur am Rande auf die utopische Potentiale dieses Selbstentwurfs geachtet. Stattdessen finden sich im Mittelpunkt der Chor der nörgelnden Frauen im Zentrum des (Müll-)Dorfes, der sich über die moralischen Renegaten auslässt, und die Selbstzerstörung durch den Alkohol. Ein heruntergewirtschafteter Mann phantasiert von dem geschmackvollen Haus, welches er für sich und seinen Sohn bauen werde. Dieser Sohn wird aber in Realität qualvoll sterben. Zerstörte Leben in einer zerstörten Welt, die an ihren Träumen scheitern oder in Irrationalität leben. Der Zugang zu dieser Welt ist sentimental, niedergeschlagen und (selbst-)mitleidig.

Freitag 04.12.

Murder Mystery
(Kyle Newacheck, USA 2019) [stream, OmU]

gut

Gutgelaunte und vor allem kenntnisreiche Persiflage und Ehrerweisung an das Genre der Whodunits. Bzw. eine romantische Ehekomödie, die zeigt, dass es manchmal nur Tote und die Verfolgung durch die Polizei braucht, um sich wieder zusammenzuraufen und um die Gemeinsamkeiten und die Liebe zueinander zu erkennen.

Donnerstag 03.12.

Al Pereira vs. the Alligator Ladies
(Jess Franco, E 2013) [DVD, OmU]

verstrahlt

Die erste Hälfte ist ein aus nackten, tanzenden Frauen bestehender Experimentalfilm über Körper und Blicke. Darüber wie Frauen Macht über Männer bekommen, da diese sich im Angesicht der Körper in lächerliche Kasper verwandeln, die ihre Unsicherheit in klägliche Machtdemonstrationen umwandeln. Der Clou dabei ist, dass Al Peirera (Antonio Mayans) nach einer solchen verschwindet und wir als Zuschauer scheinbar seinen Platz als Gaffer einnehmen. (Auch oft mit im Bild: Jess Franco und seine Kamera.) Es wird aber auch verhandelt, wie Männer Macht bekommen, weil sie in den Frauen eben nur Körper sehen. Keine Kleidung wird sie verhüllen. Sie werden auf ihre physischen Merkmale reduziert.
Die zweite Hälfte ist dann eine HOLY MOUNTAIN-artige Clowneske, in der ein Mystery-Thriller lustvoll an die Wand gefahren und alles zum Metafilm erklärt wird.

Mittwoch 02.12.

Derrick (Folge 242) Abendessen mit Bruno
(Alfred Weidenmann, BRD 1994) [DVD]

verstrahlt

Es fängt gleich schmerzhaft an. Ein Arzt schließt seine Anstalt, um ein Buch schreiben zu können – seine später von Derrick besuchte Villa wird auch nahelegen, dass er genug Geld eingenommen hat und es jetzt genießen möchte. Deshalb müssen Leute wie Bruno (Philipp Moog) zurück in den Schoß ihrer Familie. Und mit den ersten Worten macht die Folge klar, dass es keine Belastung für die Familie ist, sondern für Bruno. Die Fragen, die sein von Sebastian Koch gespielter Bruder stellt, wie er in dessen Anwesenheit über Bruno redet: Es ist brutal. Bruno wird am Rand stehen und beobachten, wie macht- und geldgierige Dämonen in menschlicher Form rauben, morden und kaltblütig arrangieren, dass er als Schuldiger für den Mord herhalten muss. Er, sensibel und weltabgewandt, ist es, für den es die Polizei gibt. Für die, die nicht für sich einstehen (können). Das gezeichnete Gesellschaftsbild ist wirr und irrwitzig, aber die porträtierte Kälte ist scharf wie ein Skalpell.

Dienstag 01.12.

十字鎖喉手 / Shaolin Hand Lock
(Ho Meng-Hua, HK 1978) [DVD, OmU]

nichtssagend

Ein Mann (David Chiang) möchte seinen Vater rächen, bekommt es mit jeder Menge Gimmicks zu tun, mit welchen gegen ihn gekämpft wird, und erhält am Ende seine lang verlorene Familie wieder. Doch statt auf die Gimmicks und das wirre Melodrama setzt SHAOLIN HAND LOCK auf eine öde Doppelagentengeschichte, bei der sich Chiang beim Mörder seines Vaters einschleicht. Zwischenzeitlich findet er im Dojo seines Gegners eine menschengroße Puppe, die im Schritt völlig demoliert ist. Welche tödliche Kampfkunst dahinter steckt, wird nie ausreichend erklärt, geschweige denn für den Film nutzbar gemacht. Es ist der Kardinalsfehler des Films, in dem alle anderen Versäumnisse kulminieren.

November
Sonntag 29.11.

Oliver & Company / Oliver & Co.
(George Scribner, USA 1988) [DVD]

nichtssagend

Weil ich ihn noch nie sah und dachte, dass es Spaß machen würde, ihn mit Lotti Z. (4. Jahre) zu schauen, habe ich DVD gekauft. Lotti weigerte sich aber immer, obwohl sie nur Oliver, eine süße Katze, auf dem Cover sah. Ich hätte auf sie hören und ihn nicht einfach an einem Sonntagnachmittag einlegen sollen. Diese OLIVER TWIST-Version setzt als letzter Ausläufer der von Don Bluth geprägten Zeit Disneys zwar auf Düsternis – womit ich nicht gerechnet hatte –, ist aber nur an oberflächlichen bis grotesken Charakterzeichnungen interessiert. Die entstehende Welt ist spannenderweise nur noch kaputt. Unspannenderweise behaupten die Figuren wie der Film, dass sie alles in Kontrolle haben und ziemlich cool sind.

鐵旗門 / The Flag of Iron
(Chang Cheh, HK 1980) [DVD, OmeU]

großartig

Neun Jahre nach THE DUEL drehte Chang Cheh das Remake eines seiner beste Werke. Den gleichen Eckpunkten folgend ist der Film aber ein gänzlich anderer. Statt Ti Lung und David Chiang spielen Philip Kwok und Lung Tien-Hsiang die Hauptrollen. In jeder Hinsicht sind diese ihren Vorgängern athletisch überlegen, aber zwischen ihnen gibt es keine Chemie, keine sehnsuchtsvollen Blicke. Die Körper und ihre Wunden sind damit nicht mehr die Träger von Gefühlen, sondern materialistische Dinge. Wenn Ti Lung in THE DUEL gefoltert wird, dann trieft es nur so vor Sex und Gefühl. Wird Philip Kwok in FLAG OR IRON gefoltert, dann macht sich dabei niemand mehr die Hände schmutzig. Aufgehängt wird er von Seilen zerschunden, die sich durchs Trocknen in der Sonne zusammenziehen. Sex findet sich in einem solchen Aufbau sicherlich immer noch, aber er ist klinischer und weniger eruptiv.
Wie die Vorwegnahme eines Videospiels wirkt es an manchen Stellen, wenn Gegner auf Gegner mit immer neuen Charakteristika überwunden werden müssen. Wie eine Schachpartie (und Vorgänger von RED CLIFF) wirkt es wiederum an anderer Stelle, wenn jeder gegen die Strategien der Gegenseite planen muss und seine Gedankengänge ausbuchstabiert. Mit vielen Attraktionen weiß FLAG OF IRON aufzuwarten. Der Flaggenkampf zwichen Kwok und Lu Feng gehört gar zu den Highlights des Schaffens Chang Chehs. Aber rein menschlich bedeutet er nichts mehr. Seine Welt scheint in Einzelteile zerfallen. Kein Drama bindet sie mehr zusammen.

Inception
(Christopher Nolan, UK/USA 2010) [blu-ray, OmeU] 2

nichtssagend

Als Jugendlicher war ich von einem Interview mit Francis Ford Coppola beeindruckt. In diesem hatte er erklärt, wie er die Szene aufgebaut hatte, in der Michael Corleone im Restaurant den korrupten Polizisten und den Mafiosi, welcher für das Attentat auf seinen Vater mitverantwortlich ist, erschießt. Er erzählte, wie er sich beim Lesen von Mario Puzos Buch Notizen machte, bis die Ränder voll waren, und wie an sämtliche Seiten Papier anklebte, um die Ränder zu vergrößern und so noch mehr Notizen machen zu können. Er legte minutiös dar, wie er es anstellte, dass der Zuschauer in dem Moment, nach dem die Schüsse fielen, das fühlt und denkt, was er, Francis Ford Coppola, wollte. Es war beeindruckend, weil ich bei den vorangegangenen Sichtungen genau das gedacht und gefühlt hatte, was er in meinen Kopf entstehen lassen wollte. Ein wenig kam ich mir benutzt vor, aber vor allem war ich erstaunt. Zuvor hatte ich scheinbar nicht realisiert, dass sich Filmemacher so auf Manipulation verstehen können. Es war einer der Momente, in dem ich ein Stück meiner Naivität hinsichtlich des Mediums Film verlor.
Heute finde ich sein Vorgehen weitaus weniger grazil und subtil. (Zumindest erzählerisch. Wie Coppola von der Wolke Blut sprach, die er unbedingt nach den Schüssen in der Luft hängen haben wollte, dass gehört – zumindest in meinem Gedächtnis – immer noch zu dem, was mir erklärt, warum ich Coppola als Filmemacher sehr mag.) Aber die Inception funktioniert immer noch. Auch heute noch kann ich nicht umhin, Michael Corleone Vorwürfe zu machen, weil er die Pistole nicht beim Laufen vom hängenden Arm fallen lässt, sondern alle Aufmerksamkeit auf sie zieht. Dass er sich an keine der Hinweise hält, die ihm gemacht wurden.
INCEPTION nun hätte durchaus ein Metafilm werden können, der sich daran versucht, Bilder, Gefühle und Gedanken in den Köpfen seiner Zuschauer zu implementieren. Es gibt auch den Moment, in dem er es für mich schafft. Wenn sich das Sehnsuchtsbild der Hauptfigur (Leonardo DiCaprio als Dom Cobb) erfüllt und er endlich sieht, wie sich seine Kinder umdrehen, er endlich ihre Gesichter sehen kann und diese auch das erste Mal im Film sichtbar werden. Es ist dabei nicht klar, ob er träumt oder die Realität erlebt. Selbst bei dieser zweiten Sichtung hatte ich nun spürbar Bammel davor, was zu sehen sein wird. Diverse Fratzen sah ich vorm inneren Auge, die da hätten anstelle der Gesichter sein können, wenn es sich um einen Alptraum handeln würde. Ansonsten sind die Versuche spürbar, dass im Kopf des Zuschauers eingedrungen werden möchte, aber mehr noch als beim Beispiel von DER PATE wird sehr grobschlächtig vorgegangen, ohne Fortüne und Geschick.
Zu sehen bekommen wir eine Version des kurz zuvor in den Kinos gestarteten SHUTTER ISLAND – ebenso mit Leonardo DiCaprio in der Hauptrolle. Ein Mann, steckt in seiner eigenen Illusion fest. Es wird zwar großflächig etwas anderes erzählt – eine Heistgeschichte, in der in eine schwerbewaffnete Psyche eingestiegen wird, um dort einen Gedanken in den Tresor des Unterbewusstseins einzuspeisen und damit einen jungen Mann von seinen Vaterkomplexen zu befreien –, aber immer wieder werden die Hinweise gestreut, dass alles nur Illusion ist. Vor allem: Diverse Psychen werden verkuppelt, aber die Erinnerungen und Projektionen des Einzigen, der von einer Kupplung ferngehalten wird und der eigentlich so ziemlich überflüssig im Heist ist, nehmen die Traumwelten immer wieder gefangen. Seine tote Frau (Marion Cotillard) schwirrt wie durch Zauberhand in jedem Geist herum, der betreten wird, und sabotiert die Vorhaben ihres Mannes.
Wenn sich am Ende drei bis vier Spannungsmomente überlagern, wenn der Film hauptsächlich aus Erinnerungen daran besteht, wie knapp es auf den vier Ebenen der Träume in den Träumen zugeht, dann wird nicht nur darauf bestanden, dass Spannung darin besteht, dass wir nicht vorwärtskommen, sondern wie überflüssig das alles ist. Die Geschichte ist nur nichtiges Brimborium, um irgendwann irgendwo beim Hauptaugenmerk anzukommen. Statt einer Inception, dem Einpflanzen eines Gedankens, erleben wir nur wie er uns in riesigen Neonlettern immer wieder präsentiert wird, während ein Actionfilm abläuft, der sich nicht nur keine Sperenzchen gönnt, sondern offensiv postuliert, dass in Träumen alles bierernst, phantasielos und möglichst wenig sinnlich ist, weil einem sonst das Unterbewusstsein aufs Dach steigen würde. Träumen bedeutet hier im Kunstunterricht pädagogisch wertvoll von den paradoxen Bildern M.C. Eschers erzählt zu bekommen.
Aber es geht eben um etwas anders. Um einen Mann, seinen Verlust und seine Fähigkeit bzw. Unfähigkeit, sich dem zu stellen. Seine Karriere, seine Liebe, sein Vatersein, alles ist zerstört. Er ist ein Wrack. Immer wieder gibt es traumatische Bilder, Bilder von Fragmentiertem und von unklaren Realitäten. Handelt es sich bei allem um einen Traum eines sich selbst Quälenden oder ist es Realität? Trotz seiner enormen Laufzeit schafft es INCEPTION aber nicht, auch nur an den Potentialen zu kratzen, für die TOTAL RECALL wenigen Minuten und eine einzige Schweißperle benötigt.
Es gibt einen Moment, in dem ein nebensächlicher Nebendarsteller einer anderen nebensächlichen Nebendarstellerin einen Kuss raubt und dies mit einem charmanten Spruch rechtfertigt. In diesem einen Moment aus Liebe, Sex und Leichtigkeit, steckt mehr Leben und Witz als in dem sonstigen Ernst einer schwerfälligen Täuschung, die so enervierend prosaisch ist, dass Gefühle und Gedanken Fremdkörper bleiben.

Sonnabend 28.11.

斷腸劍 / The Trail of the Broken Blade
(Chang Cheh, HK 1967) [DVD, OmeU]

gut +

Jimmy Wang Yu als ritterlicher Märtyrer auf der Flucht vor der Liebe. Das Schönste an diesem epischen Drama, in dem sich Männer ohne Unterlass für Frauen opfern, ist, wenn sich ganz am Ende die Liebe wie bei ROMEO UND JULIA verwirklicht, und Jimmy Wang Yus Figur auf dem Weg in den Himmel nicht wirklich erfreut aussieht, weil die Frau ihn nicht alleine ins Jenseits fliehen lässt, sondern ihn mit ihrer Liebe belästigt.

Pineapple Express / Ananas Express
(David Gordon Green, USA 2008) [blu-ray, OmeU]

ok

Der Film war nur so ok, dass ich mir nur diese naheliegende Bemerkung gönne: Mit ein oder zwei Joints wäre das sicherlich witziger gewesen.

Freitag 27.11.

書劍恩仇錄 / The Emperor and His Brother
(Chor Yuen, HK 1981) [blu-ray, OmeU]

ok +

Es wirkt wie ein Zusammenschnitt von drei-vier erzählerischen Eckpunkten aus einer langläufigen Serie. Es beginnt mitten in der Geschichte, es endet bevor eine Entscheidung herbeigeführt wurde. Von dem Erbfolgekrieg wird aber nicht gehetzt erzählt, sondern als ob alle Zeit der Welt herrscht. An einer Stelle handelt der Film ausführlich von einem amourösen bis sexuellen Abenteuer, das zu nichts beiträgt und zu nichts führt. Es hängt genauso im Leeren, wie das Epische. Das Fragmentierte dieser Erzählung bietet kaum etwas, dass es bei Chor Yuen nicht schon spannender, frischer, lebendiger gab, und lässt einen eigentlich nur die Frage, wieso die Struktur der Erzählung so gewählt wurde, wie sie gewählt wurde.

Donnerstag 26.11.

西遊 / Journey to the West
(Tsai Ming-liang, F/TW 2014) [DVD]

großartig

Ein Mönch (Lee Kang-Sheng) läuft sehr langsam, wie in Zeitlupe, durch ein Paris in normaler Geschwindigkeit und ein Affenkönig (Denis Lavant) schließt sich ihm an. Kein Experimentalfilm, sondern eine Komödie.

Mittwoch 25.11.

Murder on the Orient Express / Mord im Orient-Express
(Sidney Lumet, UK 1974) [stream, OmeU] 2

ok +

Wo Branagh in seiner Version von der ersten Minute an eine Dynamik zwischen Innen und Außen des im Schnee festsitzenden Zuges aufbaut, wo er ständig durch Fenster blicken lässt und die Abteile, Gänge und Wägen strikt voneinander abgrenzt, da gibt es bei Lumet fast nur das Innen. Große Teile der Geschichte – die Vernehmungen und die Auflösung – spielen einfach im Bordrestaurant. Zu Beginn sehen wir die Insassen des Zuges ihre großen Auftritte durch einen internationalen, bunten Großstadtbahnhof im Orient machen, an dem sich Europa, Asien, Afrika und Amerika zu treffen scheinen. Die ständig ins Bild gerückten Massen dieses Bahnhofs teilen sich immer wieder und die weißen Herrschaften, vor allem Briten, schweben wie auf einem Laufsteg ins Bild und in den Zug. Der MORD IM ORIENT-EXPRESS von Lumet, der seinen späten Höhepunkt in der Rekonstruktion einer entrückten Mordszene findet, zeigt, wie Kolonialherren stickig zusammensitzen und ihre Rechnungen miteinander begleichen. Mit Albert Finney gibt es dann eben auch noch nicht den Detektiven von Welt, den Ustinov spielen sollte, sondern ein Faktotum, das Produkt eines verengten Genpools, das der Absonderlichkeit in diesem Zug seinen passenden Ausdruck verleiht.

Dienstag 24.11.

Murder on the Orient Express / Mord im Orient-Express
(Kenneth Branagh, USA 2017) [stream, OmeU]

ok

Gäbe es nicht diesen monströsen Bart, die verdoppelnden Fenster oder meinen Verdacht, dass dies ein sorgfältig konstruiertes Stänkern gegen die scheinbar zu einfache Moral in den Werken Charles Dickens’ ist – leider muss ich zugeben, dass ich bisher keines seiner Bücher gelesen habe –, ich würde dies (die Bilder (vor allem die außerhalb des Zuges), den Schnitt, die Musik, das Schauspiel, die Dramaturgie, die Wende zu einem sentimentalen Rührstück, dass so tut, als würde es von einer moralischen Auferstehung erzählen) ermüdend finden. Aber dieser glorreiche Bart…

Montag 23.11.

街市英雄 / Shaolin Rescuers
(Chang Cheh, HK 1979) [blu-ray, OmeU]

ok +

Die spielerischen Kämpfe zwischen Lo Meng und Philip Kwok sind schön, wie die Intensität spürbar anzieht, sobald Lu Feng in Kämpfe verwickelt wird. Ansonsten wieder viel zu viel Hin und Her, viel zu viel Geschichte, für einen Film, der sich einzig und allein für Physis interessiert.

Sonntag 22.11.

The Hustle / Glam Girls
(Chris Addison, USA 2019) [blu-ray, OmeU]

ok

Am Einsatz liegt es nicht. Anne Hathaway und Rebel Wilson werfen sich durchaus ins Zeug, um die schwankende Qualität der zur Sketchparade auseinanderfallende Geschichte aufzufangen. Doch die Diskrepanz zwischen dem einen herausragenden Gag – Frauen in Abendkleidern verstecken sich in Müllbeutelbergen oder Geschenkhaufen und machen das entsprechende Bild zum kaum lösbaren Suchbild – und der sonstigen uninspirierten Massenware ist nicht zu überspielen.

Donnerstag 19.11.

Sex Is Comedy
(Catherine Breillat, F 2002) [DVD, OmU] 2

gut

Der Film in Breillats Filmographie, der am offensichtlichsten eine Komödie ist – in dem der Dreh von À MA SOEUR! zum Wettstreit der Eitelkeiten erklärt wird –, ist auch derjenige, der bei allem Spaß, der am wenigsten bissige und damit komödiantische Film ist.

Mittwoch 18.11.

Sale comme un ange / Schmutziger Engel
(Catherine Breillat, F 1991) [dvd, OmeU]

großartig

Eine neuerliche Version von POLICE, die vll. aufzeigt, wo der Unterschied zwischen Pialats und Breillats Kino liegt. Statt dem Polizei-Procedural voller naturalistischer Streufeuer – meint: voller scheinbar willkürlicher Alltäglichkeiten, die sich zufällig in die Handlung schieben – wartet die erste Hälfte mit dem Psychogram eines alternden Polizisten auf, das durchaus wie ein Light-Version von BAD LIEUTENANT erscheint. Und statt der zum Scheitern verdammte Liebesgeschichte, die gegen jede Chance kurzzeitig blüht, gibt es eine sadomasochistische Liebesbeziehung, die nicht nur auf Erniedrigung und Ausnutzung passiert, sondern auch auf dem zweischneidigen Glück, das es sein kann, sich so richtig gehen zu lassen und andere zu quälen.

Dienstag 17.11.

Une vraie jeune fille / Ein wirklich junges Mädchen
(Catherine Breillat, F 1976) [DVD, OmU]

großartig +

Der Absprungpunkt von Catherine Breillats Kino, bei dem stumm ins Bild gerückt wird, was ansonsten groß diskutiert wird: das Unbehagen mit dem eigenen Geschlecht. Spätestens hier – oder eben schon hier – zeigt sich, dass all der Bodyhorror und die existentielle Trennung zwischen den Menschen zu weiten Teilen komödiantisch gedacht ist. Eine junge Frau macht eklige oder von ihr als eklig empfundene Dinge und es ist ein riesiges Vergnügen, den Schmutz und die Innereien entgegengeworfen zu bekommen.

Montag 16.11.

À ma soeur! / Meine Schwester – Ihr erstes Mal
(Catherine Breillat, F 2001) [DVD, OmU] 2

großartig

Urlaubsimpressionen zweier jugendlicher Schwestern und ihrer ausgesuchter Rivalität, die auf drei zentrale, ausladende Szenen hinauslaufen: das ellenlange, mit fürchterlichen Scheinargumenten kaum auszuhaltende Einreden auf die ältere, sechszehnjährige Schwester (Roxane Mesquida) bis zu ihrer (analen) Entjungferung – während in der anderen Ecke des Raumes die jüngere Schwester (Anaïs Reboux) sitzt und alles mit anhören muss; die Reprise des Ganzen, weil einmal schwerlich ausreicht, um das Entsetzen dieser Entjungferung zu verarbeiten; und die von elterlicher Wut und Zurückweisung geprägte Abreise, die mit aggressiven Impressionen von Autobahnen unterlegt sind. Ein Film, der es schafft, Spaß, Fremdscham und den Horror der Jugend zu einer völligen unwahrscheinlichen schwarzen Komödie zu verbinden. Und der größte Spaß war, dass Denise Z. (20 Jahre) kurz vor ihrem Auszug sich hinzusetzte und mitschaute. Am Ende sagte sie nur, dass sie jetzt wieder wisse, warum sie mit mir keine Filme schaue.

Sonntag 15.11.

Bilitis
(David Hamilton, F 1977) [blu-ray, OmU]

verstrahlt/uff

Die Geschichte einer jungen Frau, die mit ihrer erwachenden Sexualität im Unreinen ist und sich in einer Welt wiederfindet, in der sexuelle Gewalt an der Tages- bzw. Nachtordnung steht. Im krassen Gegensatz zu diesem Drehbuch von Catherine Breillat steht die Inszenierung mit Weichzeichnern und melancholischer Musik, welche das Unbehagen zu einer verträumtem Coming-of-Age-Erzählung verklären möchte. Die Kamera kann oder will auch, sobald sich junge Frauen ausziehen, nichts Anderes als Lust erkennen, egal wie brutal der Kontext ansonsten ist. Und schließlich wird der porträtierte Unschuldsverlust dermaßen sehnsuchtsvoll betrachtet, dass die Geschwindigkeit herunterfährt und das Verweilen möglichst lange anhält. BILITIS ist dergestalt schwer ertragbar, aber ziemlich faszinierend.

Police / Der Bulle von Paris
(Maurice Pialat, F 1985) [DVD, OmeU] 2

fantastisch

Wie bei BILITIS hat auch bei POLICE Catherine Breillat das Drehbuch geschrieben. Nur hat sie bei Zweiteren die Produktion während des Drehs verlassen, weshalb in den Credits mehrere Drehbuchautoren genannt werden. Es gibt deshalb auch mehrere Versionen, wie groß ihr Einfluss war. Laut Pialat ist die erste Hälft die ihre, während die zweite Hälfte mehr durch ihn und seine anderen Kollaborateure bestimmt ist. Andere Quellen sagen, dass sich nach ihrem Absprung kaum etwas verändert hat und der Film komplett auf ihren Recherchen im Milieu (der Polizei und des Drogenhandels auf Straßenlevel) beruht. So kann es im Booklet zur DVD-Veröffentlichung bei den Masters of Cinema nachgelesen werden.
Spürbar zerfällt POLICE in diese zwei Teile. Die erste Hälfte zeigt Verhöre, Hausdurchsuchungen und Drogenhändler beim Beraten. Im Polizeirevier stehen dabei immer mal wieder Polizisten im Vordergrund, die ihren Kollegen von ihrer neuen Lederjacke erzählen, während nebenher im Bild die mutmaßlichen Verbrecher diverse Schikanen und Gewalt über sich ergehen lassen müssen. Oder wir sehen, wie eine Anzeige gemacht wird und direkt neben dem Polizisten und dem unbeteiligten Bürger ein des Drogenhandels verdächtigter Mann sich ausziehen muss.
Ein strukturalistisches Essay über die Obszönität der Macht bekommen wir zu sehen … wie auch ein Essay über symbolische Kommunikation, da die Verhörten im Revier alles leugnen, untereinander und außerhalb der Polizeistation aber alle Vermutungen, die gemacht wurden, bestätigen, und sich bei Letzterem bestenfalls auch nicht davon stören lassen, wenn ein Polizist anwesend ist. Es geht in der Sprache nicht mehr um einen Wahrheitsgehalt. Es wird nur gesagt, was in der Situation eben gesagt werden muss. Egal wie dreist die Lüge ist, egal wie jeder am Tisch weiß, dass es eine Lüge ist, sie muss doch gesagt und beteuert werden. Der Einzige, der sich nicht an dieses Spiel hält, wird nach geraumer Zeit den Tod finden.
In einzelne Momentaufnahmen fällt dies auseinander. Zwischen ihnen finden sich Ellipsen, deren Größe kaum nachzuvollziehen ist. Sekunden oder Monaten können die Situationen trennen. Und doch fließt das Geschehen ohne große Irritationen. Jede Szene folgt auf etwas in der vorangegangenen. Ein Mann verrät etwas, die Durchsuchung schließt sich an. Nachdem mit Einsatz des Films lange alles aus Sicht der Polizei zu sehen ist, führt ein Telefonat direkt vom Revier zur Kneipe, in dem sich die Dealer beraten. Erst mit diesem Übergang ist der Ort etabliert und kann, so scheint es, Handlungsort sein. Der Fluss des Geschehens – mal von seinem Inhalt abgesehen – ist äußerst sanft.
Die zweite Hälfte erzählt von der unwahrscheinlichen Liebesgeschichte zwischen einem knallharten Polizisten (Gérard Depardieu) und einer Dealerin (Sophie Marceau), welche ihm zuvor systematisch schikaniert wurde. Die erste Hälfte mit ihren institutionalisierten Lügen setzt eine sehr fatalistische Stimmung. Was die zweite Hälfte antreibt, ist dabei nicht das Drama einer zwangsläufig scheiternden Liebe, falls es sie überhaupt gibt, sondern die Unwirklichkeit und die Intensität, die durch zwei Leute entsteht, die sich etwas gegenseitige Wärme gönnen und gleichzeitig sichtlich auf den Moment des Schiffbruchs warten. Es geht nicht um eine Amour fou, sondern um ein irrationales Flackern in einem eingespielten System aus Erniedrigung, Hilflosigkeit (der Polizei, die keinen entscheidenden Schritt vorankommt, und deshalb umso brutaler agiert) und Impertinenz.
Und es ist dann diese zweite Hälfte, die sich viel mehr wie ein Film Catherine Breillats anfühlt: die Leute, die ihren Begierden offenen Auges ins Unglück folgen; der Sex und die nicht überbrückbare Lücke zwischen den Menschen … die sich hinter ihren Floskeln und Erklärungen verbarrikadieren, auf das niemand ihnen zu nah kommt. Aber vll. ist ihr Einfluss hier doch niedriger, weil die Ausweglosigkeit für eine gewisse Zeit tatsächlich glaubhaft geleugnet wird. Ein bisschen vermag POLICE tatsächlich zu hoffen, egal wie sehr es keinen Anlass dafür gibt.

Sonnabend 14.11.

Anatomie de l’enfer / Romance 2 – Anatomie einer Frau
(Catherine Breillat, F 2004) [DVD, OmeU] 2

großartig

Eine Frau (Amira Casar) bezahlt einen homosexuellen Mann (Rocco Siffredi), sie nachts zu beobachten. Er soll für sie sehen, wie sie ohne Begehren aussieht, wie sie aussieht, wenn sie sich selber nicht sieht. Was auch immer das heißt. Rein praktisch schläft sie. Der zumindest verbal immer wieder als homosexuell gekennzeichnete Mann wird mehrmals von ihre befriedigt werden oder sich an ihr befriedigen. Von fehlendem Begehren kann nicht die Rede sein. Er verzweifelt vielmehr an diesem Körper und den zwiespältigen Gefühlen, die er in ihm hervorruft. Mal bemalt er ihre Schamlippen mit Lippenstift, steckt einen Rechen in ihre Vagina oder weint eben wie ein Schlosshund, wenn er wieder mit ihr geschlafen hat. Die aggressiven Gefühle gegenüber diesem Körper, werden von der Frau triumphierend und morbide als absolute Reaktionen von Männern gegen Frauenkörper gewertet.
Gespielt wird dieser schwule Mann aber eben auch von einem Pornodarsteller, der in Filmen die Köpfe von Frauen in Klos stopfte und spülte, während er ihren Anus penetrierte. Rocco Siffredi zu casten ist eine Wahl, die offenkundig den Plänen der Frau entgegenläuft. Sie wird eben von einer Ikone beobachtet, die für ein ganz bestimmtes Begehren steht. Wenn die ratlosen Off-Kommentare des Mannes dann auch noch von Catherine Breillat eingesprochen werden, dann ist das Tohuwabohu der Zuschreibungen und Identitäten komplett. Statt eine Geschichte zu erzählen, erleben wir viel eher einen verwinkelten, mehrfach gespiegelten (Selbst-)Exorzismus. Einen Essayfilm über Geschlechter und die Ideologien und Begehren, welche sie begleiten, und wie diese sich beeinflussen.
Von Beginn und Ende abgesehen, wird das Haus, indem die Frau sich beobachten lässt, ausschließlicher Handlungsort sein. Mehrfach wirkt der Ort wie ein Traum, in welchen es den Mann verschlägt. ANATOMIE DE L’ENFER beobachtet. Genau und mit stechenden Blick. Als ob der Blick nicht abgewendet werden kann, als ob die Kamera/wir genau hinblicken müssten. Immer wieder kippt der Realismus um und zeigt fast schon surreale Zwangshandlungen und/oder verfällt in tranceartigen Expressivität. Die Frage ist nur, wessen Traum wir sehen, wessen Exorzismus wir erleben. Den der Regisseurin, die sich hinter allen Figuren versteckt? Oder ist es eine Vision der Kasteiung eines Mannes durch eine zwanghafte Selbsterkenntnis und Erkenntnis des Frauenkörpers, oder so? Falls das überhaupt ein Unterschied macht.

Die Sweethearts
(Klaus Lemke, BRD 1977) [stream]

verstrahlt

Klaus Lemke lässt wieder Figuren in Situationen totaler Fremdscham um ihre Würde kämpfen. Sein Kino der Zeit ist deutlich von John Cassevetes geprägt. Doch die Unterschiede haben einen für meinen Haushalt sind interessanten Effekt. Nähert sich Cassevetes seinen Figuren mit einer Härte, die ihnen nichts schenkt, wodurch diese aber einen Erfolg gegen die Umstände erringen, da sie sich von ihren Limitierungen nicht unterkommen lassen, da sind Filme wie DIE SWEETHEARTS absurde Zirkusnummern, die den noch hysterischeren Figuren einen Erfolg schenken, sie finden Liebe oder (eine eigene Form von) Erfolg. Lemkes Filme sind nachgiebiger zu den Figuren, aber unnachgiebiger zum Zuschauer, der die Energie und Wahnsinn der Filme – sicherlich waren hier Paul Morrisseys und Rosa von Praunheims Filme ein weiterer Einfluss – nicht durch poetische Zärtlichkeit auffängt, sondern bunt und kreischend auf einen loslässt. A WOMAN UNDER INFLUENCE, ein, wenn nicht der Lieblingsfilm von Sabrina Z., den sie am liebsten einmal im Monat schauen würde, ertrage ich kaum. DIE SWEETHEARTS haben mir Spaß gemacht, während Sabrina neben mir hörbar litt.

Freitag 13.11.

Brève traversée / Brief Crossing
(Catherine Breillat, F 2001) [DVD, OmeU]

großartig

Eine mittelalte Frau (Sarah Pratt als Alice) und ein Teenager (Gilles Guillain als Thomas) haben während einer Überfahrt von Le Havre nach Portsmouth eine Affäre. Einerseits wird die zögerliche bis sprunghafte Annäherung während einer Nacht in der irrealen Zwischenzone einer Fähre verfolgt. Es ist schwer zu sagen, was unwirklicher ist. Der Duty-Free-Shop oder die triste Disco mit seiner noch tristeren Zaubershow. Der Sex, wie könnte es anders sein, ist der Höhepunkt auf den alles zusteuert und nach dem alles auseinanderfällt und die Realität wiedereinsetzt. Auf der anderen Seite geht es um die Gespräche und die Lügen – mal mehr, mal weniger offensichtlich, mal mehr, mal weniger groß –, die die beiden sich erzählen. Es wird miteinander geredet und sich dadurch körperlich angenähert, aber ein Graben zwischen den beiden entsteht durch die tatsächlichen Worte … und auch die beiden selbst, vor allem scheinbar Alice, entfernen sich von einem direkten Verständnis ihrer selbst.

Amore
(Klaus Lemke, BRD 1978) [stream]

gut

Ein etwas gediegenerer Nachsatz zu DIE BETTWURST. Eine RomCom nicht als Triumph zweier Liebender über die sie trennenden Hindernisse, sondern über ihre hysterischen Selbstentwürfe, ihren Stolz und die peinlichen Intrigen und Komplotte, mit denen sich eifersüchtig gemacht wird, unter dem Vorwand der Freundschaft Konkurrenten ausgeschaltet werden und hinter denen überhaupt versteckt wird, was sie wirklich fühlen. Manchmal deutet sich an, dass ANGST ESSEN SEELE AUF noch Einzug halten wird, aber es bleibt bei der Absurdität des menschlichen Daseins, in dem die Figuren völlig hochgejazzt sind. Und trotzdem behält AMORE doch seine Achtung vor ihnen und bedrängt die Figuren nicht mit Erklärungen oder anständigen Entwürfen ihres Schicksals, sondern lässt sie durch eine abenteuerliche Odyssee der tendenziellen Selbstfindung schippern.

Mittwoch 11.11.

Barbe bleue / Blaubart
(Catherine Breillat, F 2009) [DVD, OmeU]

großartig +

Was Catherine Breillat am Märchen BLAUBART fasziniert, ist kaum zu übersehen. Das körperliche wie seelische Ungleichgewicht zwischen dem Fürsten Blaubart und seiner (kommenden) Gattin steht in zahlreichen Einstellungen eingeschrieben. Teilweise wirken diese wie Gemälde, welche die Spannung expressiv im Moment festhalten. Auf der einen Seite der grobschlächtige, alle überragende Mann (Dominique Thomas), der zurückgezogen und in sich verschlossen lebt, der durch seine massige Körperlichkeit aber kaum verhindern kann, Mittelpunkt der Bilder zu sein. Auf der anderen Seite die zierliche Frau (Lola Créton als Marie-Catherine – es ist nicht uninteressanterweise eine Mischung der Vornamen von Catherine Breillat und ihrer großen Schwester), die weiß, was sie will, die schwer auszurechnen ist und deren verletzliche Schönheit – ihr Lächeln! – sie ebenso ins Zentrum der Aufmerksamkeit rückt.
Es fällt nicht schwer, die Geschlechterentwürfe aus sämtlichen Filmen Breillats darin wiederzufinden. Es setzt sich aber ebenso fort, hier vll. noch deutlicher als sonst, dass unter diesem widerspruchreichen, aber klaren Anschein ein undurchsichtiger Strom fließt. Marie-Catherine sieht Blaubarts Schloss und erklärt, dass sie eines Tages reich sein werde. Nach einem solchen Zitat wirkt ihre Heirat berechnend. Und es gibt diese Momente, in denen sie mit einem anderen – jugendlichen, schmalen – Mann ertappt scheint. Aber mit am schönsten sind die intimen Momente zwischen dem ungleichen Paar, bedrohliche, blutrünstige, fatalistische Momente voller Zärtlichkeit und Romantik. Der Film unterminiert mit ihnen jede voreilige Annahme und versucht seine Figuren, so eng ihre Korsette sind, möglichst undurchsichtig zu gestalten.
Gerahmt wird die Erzählung von BLAUBART von zwei Kleinkindern, Schwestern, die sich das Märchen unterm Dach eines Heuschobers heimlich vorlesen. Laut Catherine Breillat war es eine Möglichkeit eine autobiographische Note einzubringen, aber auch um ihre Schwester fiktional töten zu können. Die Wirkung der Geschichte wird durch diese Rahmung noch verstärkt, weil sie immer wieder auf jemanden rekurriert, für den diese Geschichte Bedeutung hat und von ihr beeinflusst wird. Der eh schon wenig aufdringliche, sondern eher spröde, impressionistische Film wird noch luftiger durch diese.

Dienstag 10.11.

The Waterboy / Waterboy – Der Typ mit dem Wasserschaden
(Frank Coraci, USA 1998) [DVD, OmeU] 2

fantastisch

Auf der einen Seite eine brutale Leistungsgesellschaft in Form von Collegesport, dem Hort einer brutalen Hackordnung, welche durch Versagen und Versagensängste am Laufen gehalten wird und das Leben für alle zur Hölle macht. Die Abgehängten liegen hier allgegenwärtig im Saufkoma herum. Auf der anderen Seite das Lumpenproletariat, das Probleme mit Autorität hat und/oder das sich aus Angst vor weiterem Schmerz in eine bizarr überhöhte Redneck-Hillbilly-Sumpfwelt fern von Bildung und Moderne zurückzog. Das dortige Essen – eine wunderbare Mischung aus Ekel und liebevoller Zubereitung – ist alleinschon den Blick in den Film wert. Und in der Mitte zwischen dieser gespaltenen Gesellschaft findet sich Bobby Boucher (Adam Sandler), jemand der verloren zwischen zwei Extremen steht. Ein wissensaffiner Nerd und wegen seinem Unwissen und seinen Verklemmungen verlachtes Faktotum. Mittler wird er zwischen den Eliten und den Rednecks, in einem Film der aktueller kaum sein könnte. Die Utopie des Ganzen liegt nämlich darin, die innere Witzfigur anzuerkennen und zu umarmen … und andere respektvoll zu behandeln … und in einem generischen filmischen Korsett jede Idiosynkrasie auf die Spitze zu treiben.

Sonntag 08.11.

Schneeweißchen und Rosenrot
(Siegfried Hartmann, DDR 1979) [DVD] 12

ok

Als Kind habe ich diesen Film sehr gerne gesehen. In meiner Erinnerung bestand er aber nur aus den Momenten, wo der wallende Bart des Berggeistes (Hans-Peter Minetti) durch zwei junge Frauen (Julie Juristová & Katrin Martin) immer noch mehr beschnitten wird, um ihn aus Gier induzierten Problemlagen zu retten. Vor allem Minettis abwechselnden Extreme – Jammern und Schimpfen – waren mir noch sehr präsent. Jetzt musste ich allerdings feststellen, dass dies weit weniger Laufzeit einnimmt, als ich dachte. Ebenso musste ich erkennen, dass es einen Grund dafür gibt, dass mir der Rest fast völlig entfallen war…

Tinker Bell / Tinkerbell
(Bradley Raymond, USA/IND 2008) [DVD]

nichtssagend

Es ist immer wieder erschütternd wie lieblos und hässlich die digitale Animation der TINKER BELL-Filme ist. Mir vergeht jedes Mal die Lust, dies anzusehen. Wie die Filme und ihr Stil auf Lotti Z. (4 Jahre) wirken werden, wenn sie erwachsen geworden ist und die Patina der Nostalgie auf diesen liegt, kann ich mir nicht im Entferntesten vorstellen.

Sonnabend 07.11.

Tinker Bell and the Pirate Fairy / TinkerBell und die Piratenfee
(Peggy Holmes, USA 2014) [DVD] 2

ok

Kleine Libellen-artige Mädchen, die mit ihren Minisäbeln (sowie Witz und Verstand) gegen (für sie riesige) Piraten/Männer kämpfen: Es ist in mehreren Hinsichten ein vielsagendes Bild – das zunehmende vordringen von weiblichen (Super-)Helden ins Genre der (im weitesten Sinne) Actionfilme oder die Wahrnehmung des Kampfes des schwachen Geschlechts gegen eine destruktive Übermacht – und macht zudem Spaß. Das Problem des Filmes ist aber, dass hier eine Fee einen Weg findet, den goldenen Feenstaub mittels Wissenschaft in andere Farben umzuwandeln und ihm so andere Kräfte zu verleihen. Das Versprechen dieses regenbogenfarbenen Glücks (und die Andeutung, dass damit Probleme entstehen,) bleibt aber bloßes Versprechen, das mit der Zeit unter den Teppich gefegt wird. Zurück bleibt ein hässlich animierter Film mit Kriegerinnen, die lediglich so niedlich und toll wie ihr Konzept hätten sein können, es aber nicht sind.

Romance
(Catherine Breillat, F 1999) [blu-ray, OmeU] 3

großartig

Der Riss, der durch den Film verläuft, wird kurz vor Schluss direkt ins Bild gesetzt. Diverse Frauen liegen in einem Traumbild in einem hellerleuchteten, völlig weiß eingerichteten Kreissaal an den Wänden. Kinder haben sie auf dem Arm und liebevolle Gefährten/Kindsväter stehen an ihrer Seite. Um den Saal herum findet sich ein in rot getauchter, schäbiger Raum, in dem unzählige schwitzende, muskulöse Männer einer Orgie mit den Unterleiben der Frauen feiern, die durch ein Loch aus den Wänden des Kreissaals herausragen.
Marie (Caroline Ducey) ist entzwei. Ihre Beziehung ist entweder in eine sexlose, weiße, twilight-zone-artige Wohnung gesperrt – beziehungsweise hat der Mann (Sagamore Stévenin) darin, quasi invalide immer im Bett liegend, nur dann eine Erektion, wenn er sich Turner im Fernsehen anschaut – oder sie wird durch andere Frauen und die Libido des Mannes bedroht, sobald sie diese Wohnung verlassen. Ihren Unterleib führt Marie in der Nacht spazieren. Sie erlebt sexuelle Abenteuer, in denen sie keine Erfüllung findet, sondern die sie fast maschinell verfolgt. Ob sie sich nun einem Mann hingibt, sich fesseln oder missbrauchen lässt, Sex außerhalb ihrer Beziehung ist für sie sichtlich eine Strafe für ihre Lust.
Die Dualität von Heiliger und Hure hat Marie anscheinend internalisiert. Ihr Leiden daran macht jeden Dia- und Monolg zum wirren Kampf und zur Anmaßung. Was Frauen und Männer ausmacht, wird in äußerst eng abgemessenen Arealen diskutiert. Es fehlen eigentlich nur die Pointen eines Mario Barth. Dafür wiederrum ist das Geschehen zu verbissen. Die Dialektik dieser Dualität vergiftet einfach alles. Marie ist unerträglich zu ihrem Umfeld, wie es dieses auch ihr gegenüber ist. An Schemen arbeiten sich Figuren wie Film ab, was den Film doch äußerst anstrengend macht. Bleierne Schwere liegt über dem Austarieren der eigenen Sexualität und des eigenen Liebeslebens, die mehr als alles einem masochistichen Traktat gleicht, das an Leib und Seele der Figuren, des Zuschauer und Breillats ausagiert wird.
Es gibt Inseln des Lebendigen. Wenn Rocco Siffredi beispielsweise als Liebhaber ziemlich verloren ist, solange er seinen Schwanz nicht auspacken und gebrauchen kann. Oder wenn Marie eine Freundschaft mit dem Direktor ihrer Schule (François Berléand), der sie in ihrer Freizeit fesselt, entwickelt und sie sich treffen, ohne das zu hören wäre, was sie sagen.
Tatsächlich gibt es aber auch die Momente, die die Schwere wie wegblasen. Wenn die Dialektik des Films nämlich plötzlich wie ein makabrer Scherz wirkt. Wenn beispielsweise der Direktor für mehrere Minuten darüber referiert, dass er trotz seiner Hässlichkeit ein Casanova ist, da er wisse, wie er mit Frauen umzugehen hat, während er dabei die halbnackte Marie mit Stricken bindet … und wenn dies darin endet, dass dieser scheinbare Gockel Marie trösten muss und sich für alles entschuldigt. Wie seine Selbstsicherheit plötzlich vor den weiblichen Tränen dahin ist. Oder, wenn ein Cumshot auf Maries Bauch mit dem Gel gematchcutted wird, das ihr beim Ultraschall auf den Bauch gespritzt wird. Oder wenn die Synthese des Films so aussieht, dass Marie/Frauen keine Männer brauchen, sobald sie Mutter geworden sind … und dazu FREE YOUR MIND AND YOUR ASS WILL FOLLOW von Funkadelic extradiegetisch aus den Boxen peitscht.

La vampire nue / Das Lustschloss der grausamen Vampire
(Jean Rollin, F 1970) [blu-ray, OmeU] 2

fantastisch

Dem euphorischen Kommentar aus dem STB von 2014 könnte noch hinzugefügt werden, dass die Zukunft, die propagiert wird und welche die Gesellschaft der Elterngeneration wohl wegfegt, keine utopische ist. Vielmehr kommt sie aus einem lovecraftschen Schlund ewiger Vergangenheit. Die Zukunft kommt, weil sie kommen muss und wie sie es will. Es ist nicht der Traum der damaligen Zeit, eine neue Welt entwerfen zu können, sondern ein Biest, dass jeden verschlingt, der oder die nicht zu ihm passt.

Une vieille maîtresse / Die letzte Mätresse
(Catherine Breillat, F/I 2007) [DVD, OmU] 2

großartig

Ein Film über übermächtige Leidenschaften, welcher Hauptdarsteller Fu’ad Aït Aattou (buchstäblich) an den Lippen hängt. Nicht nur weil dieser die größte Zeit des Films seine Geschichte erzählt, sondern auch weil die Kamera zu anderen eher auf Distanz bleibt, bei ihm aber gar nicht nah genug ran kann, ohne aufdringlich zu werden – aber vll. liegt es ja auch nur an mir und meiner Aufmerksamkeitsökonomie.

Freitag 06.11.

La Nuit des traquées / Die Nacht der Gehetzten
(Jean Rollin, F 1980) [blu-ray, OmeU] 2

fantastisch

Ihre Beteiligung an diesem in 9 Tagen abgedrehten Horrorfilm, in dem ihre Figur an einem absoluten Gedächtnisverlust leidet, war Brigitte Lahaie völlig entfallen … bis der Film Jahrzehnte später fürs Heim veröffentlicht wurde. Weniger Anekdotisches zu diesem unwahrscheinlicherweise zentralen Film in Rollins Filmographie gibt es beim Perlentaucher.

Dienstag 03.11.

Debt Collectors / The Debt Collector 2
(Jesse V. Johnson, USA 2020) [stream, OmeU]

ok +

French (Scott Adkins) und Sue (Louis Mandylor) dürfen das Grab verlassen, damit sie sich nochmal voll Zuneigung anbitchen können und zwischen drin prügeln. Da wo der erste Film eine klare Dramaturgie aufwies, wo es darum ging, mit immer mehr Verlust immer brutalere Gegner zu besiegen, da geht es hier darum, die beiden fast ohne Dramaturgie in neue Situationen zu versetzen – einen Boxkampf, ein Parkourrennen oder einen Kampf gegeneinander –, um am Ende das Wahllose mit großen Feuerwerk untergehen zu lassen.

Sonntag 01.11.

My Little Pony: Equestria Girls
(Jayson Thiessen, USA 2013) [stream]

gut

Ein bisschen ein One-Trick-Pony, das sich auf die Anpassungsschwierigkeiten eines Einhornponys verlässt, welches nach einem Dimensionssprung in Menschengestalt zur Highschool gehen und dort Ballkönigin werden muss. Aber dieser Trick, sich einen Menschen wie ein Pony benehmen zu lassen, ist auf wundersame Weise eine ziemlich passende Metapher für das gezwungene Zusammenleben von Jugendlichen.

座頭市関所破り / Adventures of Zatoichi
(Yasuda Kimiyoshi, J 1964) [stream]

ok +

Verschwundene Väter und dafür einspringende Ersatzväter soweit das Auge reicht … in einer Erzählung über Chancen auf Neuanfang. Statt die Optik eines Zatoichi-Films zu variieren, versucht sich Yasuda daran, das Gleiche besser und rasanter zu inszenieren. Am Ende wird Zatoichi und die ihn umgebende Landschaft in ein goldenes Licht getaucht. Es ist eine große Lüge, denn weder ist es das Licht eines Sonnenunter- noch -aufgangs. Weder gibt es wirklich einen Neuanfang, noch einen Abschluss. Schöner wäre es deshalb, wenn die Geschichten, in die Zatoichi stolpert, (wieder) mehr Platz erhalten würden, statt, dass sich immer wieder an der Hauptfigur abgearbeitet wird, die inzwischen unwiderruflich feststeht.

Oktober
Sonnabend 31.10.

哪吒 / Na Cha the Great
(Chang Cheh, HK 1974) [DVD, OmeU]

großartig

Das Leben mit einer aristokratischen Klasse und der Kampf gegen diese als mythologischer Kindergeburtstag. Könige und Fürsten sind hier Götter und Drachen, denen sich nicht mit einer Odyssee genähert wird, sondern mit einem bunten Frontalangriff, bei dem der Sohn eines Lakaien der Adligen, die ihre Untertanen wie Vieh behandelnden, erst einmal einen moralischen Kompass entwickeln muss und dann mit einem goldenen Ring und wilden Pappspecialeffects gegen die Ungerechtigkeit der Welt vorgeht.

The Week Of
(Robert Smigel, USA 2018) [stream, OmeU] 2

fantastisch

In einer perfekten Welt schaue ich diesen Film mit Lotti Z. (4. Jahre) am Abend vor ihrer Hochzeit … falls sie denn in vielen Jahren einmal vorhaben sollte zu heiraten. Dann liegen wir uns weinend in den Armen und sind glücklich, dass wir uns haben und dass THE WEEK OF zwar ziemlich präzise über familiäres Zusammenkommen berichtet, wir aber nicht durch dieses gerade erlebte Extrem durchmüssen.

Freitag 30.10.

鷹王 / King Eagle
(Chang Cheh, HK 1971) [DVD, OmeU]

großartig

THE ONE-ARMED SWORDSMAN ohne Kastrationsphantasien, der dadurch zum Vorläufer von JOHN WICK wird. Der übermächtige Schwertmann Jin Fei (Ti Lung), genannt King Eagle, landet durch Zufall mitten im Machtkampf eines Clans, welcher ihn nicht in Ruhe lassen wird, obwohl er gerade nur diese haben möchte.
Hier ein Mann, der sich von der Welt zurückzieht. Dort Leute, deren einziges Ziel es ist sich einzumischen und an der Welt herumzudoktern. Helden, die sie verbessern wollen, als auch Schufte, welche sie sich Untertan machen wollen. Hier Wald, Schweigen und Egalität, dort Throne und Paläste, die von namenlosen, spalierstehenden Minions umringt sind. Hier eine große Schwester (Li Ching), die sich unauffällig kleidet, ausgeglichen und aufrecht ist, dort die in knalliges Rot gekleidete kleine (auch Li Ching), die aufbrausend, nachtragend und niederträchtig ist.
Durch diese Dualitäten entwickelt KING EAGLE seine Spannung. Die schwesterliche Entgegenstellung von Weiblichkeit, die hochgradig moralisch ist – und zweifelhaft –, gibt dem Film eine leicht unangenehme Note. Ansonsten geht es um einen verletzlichen Mann, der nur noch mit Kellnern und Zimmermädchen trinken und Geschichten erzählen möchte, aber von den Dingen der Welt und der Liebe zerstört werden wird. Der Körper ist gestählt und in allen Kämpfen unbesiegbar. Das Herz aber ohne Verteidigung. KING EAGLE ist vll. nicht der aufregendste und phantasievollste Film Chang Chehs, aber er dafür ist er tatsächlich melancholisch und versöhnlich (auf seine Art). Auch mal etwas.

赤壁 / Red Cliff
(John Woo, CHN 2008) [blu-ray, OmeU]

ok +

Symbole und ihre Erklärungen: Der erste Teil von RED CLIFF gibt sich mit einer Stunde Exposition und nie abreißenden Erklärungen dessen, was wir da sehen und wofür Schildkröten u.a. in ihm nun genau stehen, sehr viel Mühe.

赤壁2:決戰天下 / Red Cliff Part II
(John Woo, CHN 2009) [blu-ray, OmeU]

großartig

Warlord Lui Bei (Yu Yong) und der Herzog von Wu Sun Quan (Chang Chen) müssen sich gegen den kaiserlichen Kanzler und Despoten Cao Cao (Zhang Fengyi) und dessen riesigen Armee zur Wehr setzen, um ihre Unabhängigkeit zu wahren. Wenn RED CLIFF von der Entstehung der Zeit der Drei Reiche (ca. 208–280 n.u.Z.) als militärische Auseinandersetzung zwischen zwei kleinen Armeen mit einem übermächtigen Gegner erzählt, dann ist deutlich, dass wir uns in einer Zeit nach Zack Snyders 300 befinden. Nur ist es alles etwas farbiger und so besessen von sexuellen … Verunglimpfungen.
Die Schlacht am roten Felsen ist bei John Woo ein Schachspiel. Mehrmals stellen Parallelmontagen nebeneinander, wie die Chefstrategen der beiden/drei Seiten und Hauptdarsteller von RED CLIFF (Cao Caos Gegenspieler werden von Tony Leung und Kaneshiro Takeshi gespielt) sich ihre Taktiken zurechtlegen. Ihr Genie wird dadurch veranschaulicht, dass alle drei (fast) alle ihrer Schritte voraussehen und sie beim Brainstormen auf die Gedanken der anderen reagieren, als hätten sie sie wie der Zuschauer gehört. Jeder Zug ist weit in die Zukunft gedacht und jede Kalkulierung wird sich mehr oder weniger verwirklichen. Die Spannung dieses Schlachtenthrillers liegt so nicht nur in den Gefechten selbst, sondern in den Zügen, welche sie vorbereiten, und der Frage, wer dabei zuerst einen Fehler macht.
Da es sich nun um einen John Woo-Film handelt, kommt die Action aber nicht zu knapp. Solange diese Schlachten über heldenhafte Krieger – fast alle dem Warlord Liu Bei zugehörig – erzählt werden, die sich unbesiegbar durch die Massen kämpfen, gibt es dann auch Actionkino satt. Sind sie aber abwesend, ändert sich RED CLIFF unmerklich, aber entschieden. Dann kämpft nämlich nicht mehr Gut gegen Böse, sondern namenlose Kämpfer schlachten sich gegenseitig ab, ohne dass immer auszumachen wäre, wer auf wessen Seite steht. Neben dem Schach der Feldherren und dem Heldenmut der Besonderen wird so von einem Krieg erzählt, der dreckig, brutal und für die Bauern der Strategen und Herrscher größtenteils sinnlos ist.
Die Schwester Sun Quans (Zhao Wie) spioniert beim Gegner und freundet sich in der feindlichen Armee mit einem Soldaten/Bauern an. Bei aller echter Zuneigung nutzt sie aber auch seine naive Treuherzigkeit aus, um an die wichtigen Informationen zu kommen. Tony Leungs Zhou Yu wird ebenso einen alten Schulfreund ausnutzen, um Cao Cao mit Falschinformationen versorgen. Beide nehmen den Tod ihrer Freunde skrupellos in Kauf. Auch dies findet parallel seinen Höhepunkt. In diesem Moment scheint Red Cliff nochmal unterstreichen zu wollen, dass dies eben keine heldenhafte und ehrbare Sache ist, Krieg. Selbst wenn er dann doch mitunter heroisch aussieht und historischen Erfolg bringt.
Am schönsten ist dabei, dass Zhou Yu seinen emotionalen Aufruhr zweimal – einmal pro Teil – mittels atemberaubender Montagen seines musikalischen Zusammenspiels mit Kaneshiros Zhuge ausdrücken darf und einer Musik, die sich teilweise wie antikes John Zorn-Geschranze anhört.
Am spannendsten ist, dass Chinas Zensoren scheinbar nicht mitbekamen, dass ca. zehn Jahre nach Anschluss Hongkongs an China hier ein hongkonger Regisseur von kleinen Herrschaftszonen erzählt, die sich erfolgreich gegen die Vereinnahmung durch ein großes, korruptes chinesisches Großreich zur Wehr setzen.

Anam
(Buket Alakuş, D 2002) [35mm]

ok

Eine Ex-Freundin erzählte mir einmal, dass ihre Vorstellung eines ideellen Zusammenlebens die Gemeinschaft mehrerer befreundeter (also nicht zwangsläufig verwandter) Frauengenerationen unter einem Dach ist. Ich denke, dass ihr ANAM gefallen könnte. Dessen Drehbuch ist zwar äußerst schwach auf der Brust und erzählt von der Suche einer muslimischen Frau nach ihrem heroinsüchtigen Sohn möglichst spannungs-, aufregungs- und ideenarm. So befindet sie sich auch auf der Suche nach ihrer Identität zwischen islamischer Tradition und deutscher Moderne, eine Spannung, welche durch einen heuchlerischen Noch-Ehemann und einen aufrechten, an Intimität interessierten Polizisten versinnbildlicht wird. Die beiden genannten symbolischen Männer verschwinden zwar glücklicherweise irgendwann einfach aus dem Film, aber doch stehen sie für die Simplizität und Offensichtlichkeit des Ganzen. Was ANAM aber tatsächlich antreibt, ist das Frauenensemble, die sich beschimpfen, miteinander lachen und versuchen ihr Leben zu leben. Ein wenig Anarchie steckt in ihnen, die auch der Plot nicht tot bekommt.
Die beste Stelle kommt leider sehr früh im Film: Anam steht dabei irritiert vor einem Fahrtstuhl, dessen schließungswillige Tür repetitiv gegen ein in den Türrahmen gesteckten Schuh stößt, während auf der Tonspur das Stöhnen einer Kollegin Anams zu hören ist, die sich gerade mit Anams Ehemann vergnügt.

Donnerstag 29.10.

富貴列車 / Millionaires Express
(Sammo Hung, HK 1986) [blu-ray, OmeU]

großartig

Der durchaus typische Aufbau eines Sammo Hung-Films der Zeit – lange Zeit mäandert eine grob zusammengeschusterte Geschichte, wenn es denn so bezeichnet werden möchte, von Kalauer über ein Bisschen Actiongeplänkel zu Kalauer, um dann in ein langgestrecktes, ausladendes Actionfest zu münden – spielt hier irgendwo im chinesischen Nirgendwo zwischen den Weltkriegen. Genre wie Western, Orient-Express-Spionagegeschichte und Abenteuerfilm werden dabei großzügig vermengt. In einem Expresszug nach Shanghai befindet sich der Schüssel zum Aufenthaltsort der Terrakotta-Armee. Japanische Agenten, eine Räuberbande, korrupte Polizisten, aufrechte Feuerwehrleute, ein Abenteurer, der seinem Heimatdorf mittels Hotel, Casino, Sexarbeiterinnen und unfreiwilligen, aber gut betuchten Gästen etwas Gutes tun möchte, ahnungslose Beisteher wie ein Ehemann, der versucht seine Frau zu betrügen, Kampfkunstmeister mit ihren Kindern, oder Dorfbewohner: Das Personal mit seinen unterschiedlichen Konflikten ist reichhaltig und prallt am Ende eben in einer fantasievoll inszenierten Massenschlägerei zusammen. Wie immer ist es wunderbar so durchgerüttelt zu werden, aber die Einzelteile befinden sich selten am Limit. Allein dass Jimmy Wang Yu Teil des ausufernden Personals aus zwei bis drei Generationen Hongkonger Filmkunst vor der Kamera ist, aber nicht mehr in die Action eingreifen darf, fühlt sich wie ein Frevel an.

我的特工爷爷 / The Bodyguard
(Sammo Hung, HK/CHN 2016) [DVD, OmeU]

großartig

Zu diesem wahlweise aufmunternden oder zerschmetternden Film Sammo Hungs über das Alter und Vergessen gibt es etwas bei critic.de.

Pippi Långstrump på de sju haven / Pippi in Taka Tuka Land
(Olle Hellbom, S/BRD 1970) [DVD] 8

gut

Der Film, in dem dem Piraten Messer-Jocke das Messer gemopst wird und er daraufhin überlegen muss, wer er denn ist. Und Carlotta Z. (4 Jahre) kann inzwischen den Namen von Pippilotta Viktualia Rollgardina Pfefferminz Efraimstochter Langstrumpf auswendig.

少林門 / Hand of Death
(John Woo, HK 1976) [blu-ray, OmeU]

ok +

Jackie Chan kurz vor seiner kosmetischen Augenlidoperation und Sammo Hung mit einer expressiven Zahnprothese … und auch sonst etwas hiervon, etwas davon. Vor allem aber Sammo Hung als Actionchoreograph, was schon an der Wirkkraft der Tritte erkennbar.

Mittwoch 28.10.

郊遊 / Stray Dogs
(Tsai Ming-liang, TW/F 2013) [DVD, OmeU]

fantastisch

Glich VISAGE noch dem Versuch den ultimativen Tsai Ming-liang-Film zu machen, der die Motive der vorherigen Filme nochmal aufgriff, in einem neuen Kontext presste und dabei zu jedem Zeitpunkt sich als Teil des Werkes seines Regisseurs auswies, da jede Neuerung dem Tsai Ming-liang-Handwerk entsprach, da ist STRAY DOGS so etwas wie ein Neuanfang. Der Entfremdung wird sich dabei nicht mehr durch Verfremdung genähert, nicht mehr über assoziative Kombination, sondern (zumeist) über die Leere langer Einstellungen, die kaum bis keine Anknüpfpunkte an die langen Einstellungen davor und danach haben. Es ist ein beträchtlicher Schritt Richtung Lav Diaz. Wurde noch jede Isolationserzählung und wurden noch die größten Dramen bis zu diesem Zeitpunkt in ein absurdes Gewand gesteckt, da offenbart sich hier noch die minimalsten Ansätze von Witz als Ausdruck einer tiefsitzenden Verzweiflung. Bzw. geschieht dies offensiver und karger als zuvor.
Von einem emotionslosen Punkt startet STRAY DOGS und streunt (scheinbar) ungerichtet durch das Leben einer Frau und einer Familie (Lee Khang-Sheng als Vater), die am Rande der Gesellschaft existieren. Statt Drama gibt es Dinge, die geschehen. Werbeschilder werden gehalten, Kinder geduscht, Hund gefüttert. Das Ungerichtete und Freie dieses Verweilens im Nichts ist aber trügerisch. Plötzlich wird der Bruch kommen, nach dem die schleichende Odyssee zum emotionalen Kern beginnt. Fremde Betten, Alkohol, zertrümmerte und aufgefressene Kohlköpfe mit Gesicht, ein Zeitsprung oder eine, wenn nicht mehrere unklare Realitätsverschiebungen hin zu einem Ort mit schwarzen, schimmeligen Wänden: Die Emotionen brechen ein und machen retrospektiv aus der Ungebundenheit der ersten Hälfte Ruinen eines Familienlebens. Zusammenhänge setzen ein und STRAY DOGS bewegt sich zum Auge eines Orkans.
Final stehen zwei simple Einstellungen, in denen wiederrum nichts geschieht. Hier kulminiert das Niedergeschlagene und Niederschlagende, dass sich – so viel ist von Tsai Ming-liangs Kino der ironischen Brechung geblieben – mehr andeutet als aufdrängt. Ein langanhaltendes, beredsames Schweigen steht hier, dass gleich einem Schwarzen Loch alles Vorherige in sich einschließt und eine unerwartete, bebende Intensität erreicht. Zwei Leute, eine Wand und ein Ozean von Unausgesprochenem, Geschehenem und noch nicht Geschehenem, ein Ozean von Trauer, Hass und Reue finden sich hier. Es bleiben einem keine Worte, sondern nur noch Tränen.

四騎士 / Four Riders
(Chang Cheh, HK 1972) [blu-ray, OmU] 2

fantastisch

Anfang der 70er gibt es einen kurzen Moment im Werk Chang Chehs, in dem es plötzlich vermehrt impressionistische Tendenzen gibt. Studiokulissen dominieren zwar immer noch die Optik, und die Geschichten bleiben auch sehr klar, aber doch schlendern Film und Figuren ebenso durch luftige Löcher in denen nichts geschieht. Landschaften, Gebäude, Flora und Fauna ziehen vorbei. Die Leben der Figuren erscheinen voller Potentiale. Der Fatalismus der Filme wird so durch eine zusätzliche Note bereichert, die – die erste Hälfte von FOUR RIDERS ist vll. das sprechendste Beispiel – dem Zwanghaften Freiheit beistellt. Die Fallhöhe wird dadurch umso höher. Es ist deshalb ziemlich betrüblich, dass sich dies schnell wieder verflüchtigte.

Dienstag 27.10.

Pride & Prejudice / Stolz & Vorurteil
(Joe Wright, USA/UK/F 2005) [blu-ray, OmeU]

gut

Ein Husarenstreich sondergleichen ist es, wenn Elizabeth (Keira Knightley) staunend durch das Anwesen Mr. Darcys (Matthew Macfadyen) wandelt. Ergriffen betrachtet sie die unfassbaren Reichtümer des gerade Abwesenden. Wahrscheinlich stehen die Statuen und all die hochkulturellen Güter für die tatsächliche Persönlichkeit des verschlossenen Adligen ein, in welche sie sich zum Zeitpunkt der Geschichte gerade verliebt. Tatsächlich sehen wir aber eine Frau, von der beständig erzählt wird, dass sie entsprechend ihrer Ideale handelt und nicht nach Nötwendigkeiten ihres Ranges und des Erhalts des gesellschaftlichen Standes, die sich aber in materiellen Reichtum verliebt. Diesen Spagat unausgesprochen zu lassen ist so toll.
Das Drama von PRIDE AND PREJUDICE ist ziemlich packend und fährt auch immer wieder mal kleine Momente der Irritation der Liebe auf – wie die erste Berührung zwischen Elizabeth und Mr. Darcy, aber filmisch … es gibt diesen anderen Moment, wenn Elizabeth niedergeschlagen an einem Weiher steht und ihr Vater (Donald Sutherland) zu ihr kommt, um sie zu trösten … und ein Schwarm Schwäne landet dessen in dem güldenen Bild auf dem Wasser. Jede Einstellung sieht nach ausgewähltem, hochgradig gekonnten Postkartenkitsch aus, dass der Film hässlich und unerträglich anzusehen ist. Vom Score gar nicht anzufangen.

La noche de los sexos abiertos / The Night Of Open Sex
(Jess Franco, E 1983) [blu-ray, OmeU]

verstrahlt +

Auf der einen Seite Schamlippen, die im Close Up mit einem heißen Lockenstab gefoltert werden, und eine Vergewaltigung, bei der Lina Romey ein Pfirsich in den Mund gestopft wird und von dem der Täter während seiner Untat immer wieder abbeißt. Auf der anderen Seite teilen hier Widersacher am Ende einen Goldschatz, statt darum zu kämpfen, und Sex, der immer wieder Schauplatz von Spässken wird. Hier ein funky Discostampfer zum Thema Sperma, da eine melancholische Fado. Escher-artige Gebäude, räudige Hauptfiguren, die, wenn sie neue Orte betreten, dort in die Aschenbecher greifen und einen Kippestumpen weiteraucht und ständige Stimmungswechsel: Ein Noir, irgendwo zwischen Garstizismus, Dekonstruktion und fröhlicher, selbstvergessener Absurdität.

人皮燈籠 / Human Lanterns
(Sun Chung, HK 1982) [DVD, OmU, ł] 2

großartig +

Die Konkurrenz zwischen zwei egoistischen Helden (Tony Liu und Chen Kuan-Tai), die nicht einmal nebeneinanderherlaufen können, ohne dies zu einem Wettstreit zu machen, und die keine Möglichkeit auslassen, um den anderen ohne Rücksicht auf Verluste bloßzustellen, macht eine ganze Stadt blind dafür, dass ein Psychopath (Lo Lieh) nachts herumschleicht, die Lieben (bzw. eher die menschlichen Statussymbole) der beiden entführt, aus deren Haut Laternen macht und die beiden mittels der Verluste und der sich anbietenden gegenseitigen Verdächtigungen aufeinanderhetzt. HUMAN LANTERNS ist dabei ein Proto-CatIII-Schocker mit gotisch-romantischer Sensibilität in Farben, Licht, Locations und Sadismus, mit einem Schuss Albernheit und Shaw-Kampfkunstfertigkeit und Leuten, die ständig lachen, als hätten sie gerade ihren Plan zum Erlangen der Weltherrschaft offenbart. Wie ein äußerst sinnlich eingefangener Wettkampf wirkt der Film, in dem drei Leute darum streiten, wer am unsympathischsten ist. Und wenn sie etwas Näheres über den Autoren dieses Sehtagebuchs wissen wollen: Beim Endkampf zwischen den vier Parteien – es gibt noch die von Sun Chien angeführte völlig inkompetente Polizei – fieberte ich mit den wunderschönen Laternen mit, auf dass wenigstens sie in der finalen Zerstörungswut nicht kaputt gehen.

Montag 26.10.

Bahía blanca
(Jess Franco, E 1984) [blu-ray, OmeU] 2

fantastisch

Vor allem auch ein Film, dessen Blick wiederholt abschweift und sich stellvertretend für sein Klientel nach der Ferne, der Vergangenheit oder einer anderen Identität sehnt.

豪俠 / Last Hurrah for Chivalry
(John Woo, HK 1979) [blu-ray, OmeU]

großartig

In diesem Wuxia, also in dieser Erzählung über Ritterlichkeit, ist das Heldenhafte Ursprung und Bedingung einer Verliererballade. LAST HURRAH FOR CHIVALRY zeigt den Machtkampf zweier Clans. Hinterlistig, durchtrieben und Skrupellos sind beide Seiten, nur weiß es der eine besser vor seinem Umfeld zu verstecken. Der Film strotzt also nur so vor Wendungen und unterschiedlichen MacGuffins und Nebenplots. Auch die Kämpfe haben ungewöhnliche Perspektiven und Personen und Dinge, die in die Einstellungen schnellen. Besonderes Highlight: ein Kämpfer, dessen Körper schläft, dessen Geist aber hellwach ist – oder war es umgedreht –, der mal schlaff in der Ecke liegt und dann wieder mit geschlossenen Augen tödlich angreift, der mal da ist und dann wieder verschwunden, dessen Verortung folglich leicht ins Surreale reicht. In dieser korrupten, aufreibenden Welt von unklaren Identitäten und Absichten bleibt dem Aufrechten – hier ein Schwertmeister, der untergetaucht ist, (Wai Pak als Chang San), und ein virtuoser, aber erfolgloser Auftragskiller (Damian Lau als Tsing Yi)* – nur der Alkohol, das Träumen (in vor Blumen, Duft und melancholischer Musik strotzenden Bordellen) und das Scheitern zum Retten der Seele bleibt.
*****
* Beide Rollennamen bedeuten wohl so etwas wie anonym und inkognito bedeuten.

賣命小子 / The Magnificent Ruffians
(Chang Cheh, HK 1979) [blu-ray, OmU]

gut +

Wieder ein wunderbarer Metamoment im Werk von Chang Cheh. Ein mächtiger Verbrecher möchte vier Kämpfer korrumpieren und für sich einnehmen. Er lässt sie also jeden Luxus erfahren, den er bieten kann. So dürfen sie auch sein Badehaus benutzen. Sobald sie nun in Handtücher bekleidet hineingehen, kommen sie auch sofort wieder hinaus. Da drin sind ja Frauen. Erst als diese herausgeschickt wurden, können die vier männlichen Männer ganz unter sich und nackt sich gegenseitig mit Wasser bespritzen und vergnügt sein. Männerbünde…
Ansonsten ein toller Score, ziemlich viel Jux und Tollerei (vor allem um Zechprellerei) – der Beginn ist etwas sehr von Erklärungen bestimmt und auch sonst ist THE MAGNIFICENT RUFFIANS ziemlich arg, wenn es darum geht, alles sehr deutlich zu machen – und Körperbeherrschung. Einziger Wermutstropfen ist weiterhin, dass Chang Cheh zu diesem Zeitpunkt seiner Karriere noch das blutigste Massaker einfach geschehen lässt, ohne dass es irgendwie dramatisch scheint.

Sonntag 25.10.

A Quiet Passion
(Terence Davies, USA/UK/B 2016) [blu-ray, OF]

großartig +

Wenn Emily Dickinson (Cynthia Nixon) ihren Bruder Austin (Duncan Duff) in flagranti beim außerehelichen Verkehr stellt – zumindest bahnt sich dieser an –, dann wird Sex das einzige Mal direkt aufgegriffen. Austins Ehefrau Susan (Jodhi May) hatte sich mit Emily zuvor einmal über Sex unterhalten. Beide waren aber nicht in der Lage, die Dinge beim Namen zu nennen. Weshalb es auch sehr schlüssig erscheint, wenn Susan dabei erklärt, dass Austin zwar zärtlich ist, dass der Sex für sie dennoch eine Pflicht ist, die sie als liebende Ehefrau eben über sich ergehen lässt. Die Kleidung, die Sprache, die formvollendeten, aber reizlosen (im Sinne von Sex und Aufreizendem) Arrangements: Das protestantische Massachusetts des 19. Jahrhunderts wird durch seine ausgesprochene Steife charakterisiert … und es wird nahegelegt, dass sich Emily Dickinson ins Elysium der Poesie und höheren Werte rettet, weil sie es nicht schafft, die engeren, durchaus auch intensiven Beziehungen auf einer körperlichen Ebene auszuleben. Vulgär gesagt: Emily Dickinson ist unterfickt und es bestimmt ihr Leben.
Nur werden daraus keine weiteren Schlüsse gezogen. Überhaupt ist A QUIET PASSION nicht an (eindimensionalen Lösungen) interessiert. Oft sehen wir Emily in frontalen Einstellungen ihrem Umfeld entgegen. Oft gibt es subtile Wortgefechte, mal offenen Disput. Und stets sind die Gründe sehr verständliche. Der Vater (Keith Carradine) besteht darauf, dass Frauen auf ihrem gottgegebenen Platz bleiben. Der Bruder verteidigt seinen Ehebruch mit maßloser Heuchelei. Ein Verleger ändert die Punktsetzung in ihren Gedichten. Uswusf. Aber all dies bleibt Momentaufnahme in einem Leben, in dem sich nichts auf eine Front verkürzen lässt. Der Vater ist nämlich auch entschiedener Gegner der Sklaverei und ziemlich verständig gegenüber seinen Kindern. Der Bruder hat vielleicht Bedürfnisse in der Liebe, die über Pflichterfüllung hinausgehen. Emily liebt es anderen vor den Kopf zu stoßen, weshalb die Punktsetzung nicht immer das Problem bei einer Auseinandersetzung ist.
Sehr gesprächig mäandert A QUIET PASSION dahin und bleibt immer uneindeutig. Zugleich eine Heldenerzählung über eine kompromisslose Poetin und das Drama einer Frau, die in ihrem Leben immer wieder scheitert und sich mit den Konsequenen arrangieren muss. Die Einzelteile sind dabei durchaus expressiv. Wenn beispielsweise die Kamera mit einer 360° Drehung die Familien Dickinson abfährt, nur um bei Emily zu enden, welche wie der Zuschauer die Idylle respektive Leblosigkeit beobachtete. Oder wenn in einer geradezu symbolistischen (Traum-)Sequenz – zu einer Musik, die zwischen Kenny G-Smooth Jazz und einem vorklassischen Gesangsstück wechselt – ein Mann aus einer bunten Welt die Treppe zu Emily hochkommt, die Tür aber in Zeitlupe zufällt und Emily eingesperrt. Diese Expressivität bleibt stets vereinzelt in einem gleichmäßigen Fluss bestehen. Einem Fluss, der so wenige Wegweiser für seine Figuren und Zuschauer bereithält wie das Leben selbst. Beiläufig entwickelt sich alles, voller Leerstellen … und dann ist es vorbei. Zwischendrin, irgendwo, Leidenschaft.

群龍戲鳳 / Pedicab Driver
(Sammo Hung, HK 1989) [DVD, OmeU]

fantastisch

John Shum spielt einen irrationalen, sich unangreifbar fühlenden Zuhälter. Mit manischem Overacting und dem typischen Over-the-Top-John-Shum-Sein stellt er die Bruchstelle zwischen den sympathischen, akrobatischen und albernen Teil des Films dar und dem Melodrama. Wobei es selbstredend nicht so ist, dass diese sehr gerade durch den Film verläuft. Ohne größere Anbindung an die restliche Geschichte gibt beispielsweise einen sensationellen Kampf zwischen Lau Kar-Leung und Sammo Hung, der einfach mal so stattfindet. Durch seine Anwesenheit wird der Film besser, aber er macht das Durcheinander ebenso größer. Denn sehr grob werden die Einzelteile verbunden, wenn wieder zusammengefasst wird, was schwerlich kombinierbar scheint.
Aber zurück zu John Shum. Das nun nicht einfach irgendein Bösewicht, sondern ein so übertrieben wahnsinniger genommen wird, der zwar Witzfigur ist, dessen Befehle aber äußerst bittere Auswirkungen haben, ist mehr als sprechend. Das Melodrama beginnt als Liebesgeschichte. Moralische Hindernisse müssen in ihr überwunden werden und den Männern des Films – zumindest den positiv besetzten – wird einmal so richtig den Kopf gewaschen, weil ihre Heuchelei gegenüber der doppelten – körperlich wie moralischen – Ausbeutung von Frauen ihnen mittels der Liebe vor Augen geführt wird. Ohne Sinn und Verstand wird aus dieser Liebesgeschichte aber ein äußerst schmerzhaftes Drama, dass geschundene Körper – Sammo Hung besteht teilweise nur noch aus blauen Flecken – und Tod bringt. Durch den Wahn eines jämmerlichen Jokers mit Macht verwandelt sich einen lockeren Film in einen intensiven.
Das ist auf einer Seite wiedermal nicht geschmackssicher, zumindest nach den Ansprüchen wohltemperierter Drehbüchern in Hollywood oder bei Filmförderanstalten, auf der anderen Seite kündet es von einem existentiellen Schmerz. Es gibt zweifelhafte, aber wirkmächtige Ideologien und ihre Macht ausnutzende Figuren, die jedoch überwindbar sind. Dann wurde aber noch John Shums Zuhälter-Gangsterboss installiert, der wie ein Blitz einschlägt und als tollwütiger Schalk alles Schöne und Anmutige des Films zerstört. Leben hat hier etwas ungemein Masochistisches, weil es eben diesen Schmerz gibt, der irrational auf einen niederkommen kann … und Filme sind im angesicht dessen ein sadistsiches Mittel, dass mittels Figuren, wie der von John Shum, Glück zerstört, um Adrenalin und Aufregung bieten zu können, die einen fesselt.

Sonnabend 24.10.

快餐車 / Wheels on Meals
(Sammo Hung, HK 1984) [blu-ray, DFmU] 2

großartig +

Jackie Chan und Yuen Biao als zwei Freunde in totaler Symbiose. Ihre Bewegungen entsprechen einander und mitunter scheinen sie wie Spiegelbilder voneinander, die sich an einer Achse in der Einstellung spiegeln. Sammo Hung mit Minipli spielt hingegen jemand, der zu niemandem passt. Zwischendrin noch Lola Former als Schönheit, die zwar von allen gewollt wird, die sich aber kleptomanisch ihre Unabhängigkeit wahrt. WHEELS ON MEALS ist mit diesem Personal eine Komödie, die im Umfeld von Diebstahl und käuflicher Liebe von (zu viel) Familie, (zu viel) Nähe und von Außenseitern handelt, von den Möglichkeiten von Intimität, wenn sich die Figuren im Zweifel als die überdrehtesten Versionen ihrer selbst geben. Drei Hongkonger in Spanien werden in Erbstreitigkeiten verwickelt und stehen sich in der Liebe/Lust auf den Füßen. Überhaupt ist glückliche Liebe nur in einer Anstalt möglich. Wirr, absurd und atemberaubend ist das entstehende Hin und Her, in dem unsagbar wuchtige Tritte Leute kurzerhand wieder auf Distanz bringen. So wuchtig, dass jeder Shaw-Brothers-Film – zumindest was Intensität und Körperlichkeit der Kämpfe angeht – nicht mithalten kann.

邊城三俠 / The Magnificent Trio
(Chang Cheh, HK 1966) [DVD, OmeU]

gut +

DIE SIEBEN SAMURAI oder eben DIE GLORREICHEN SIEBEN so umgestellt, dass der Masochismus der Helden, hier drei an der Zahl, zentral im Bild steht. Auf der einen Seite ein ruchloser kaiserlicher Beamter, der seine Untergebenen ausquetscht und sehr viel Platz erhält, um mal teuflisch zu hintergehen und dann wieder jämmerlich vor jeder Bedrohung zu kriechen. Auf der anderen Seite erhalten die drei Helden des Titels noch viel mehr Platz, um an den Umständen zu leiden. Jimmy Wang Yus Figur schaut lieber ins Weite, wo vll. seine Ideale stehen, als auf die ihn umgebenden Korruption … weil er sonst platzen würde, so scheint es. Lo Liehs Figur hingegen schaut melancholisch auf das Hier und Jetzt, weshalb er ob all der Niedertracht traurig zu sein … denn was kann schon getan werden, außer das eigene Wohl zu schützen. Und so leiden sie still bis alles zu viel ist und eben der Heldentod gewählt werden muss. Oder wie es der Bruder von Emily Dickinson in A QUIET PASSION in etwa sagt: Virtue is a vice in disguise. Ritterlichkeit ist hier vor allem weltabgewandte Schwermut und Überheblichkeit. Chang Cheh befand sich 1966 auf dem Weg zu sich selbst. Nur gibt es noch wenig Blut, aber dafür rettende Interventionen, die das finale Massaker vor einem allgemeinen Tod unterbrechen, und Frauen, die halbwegs Subjekte sein dürfen.

Freitag 23.10.

A Message of Importance k
(???, USA 1944) [stream, OF]

tba.

The Fighting Generation k
(Alfred Hitchcock, USA 1944) [stream, OF]

tba.

Zwei Kurzfilme, die beide Kriegsanleihen verkaufen sollen. Während Hitchcock Jennifer Jones als Krankenschwester in einer einzigen Nahaufnahme an unsere Gefühle appellieren lässt, versucht es A MESSAGE OF IMPORTANCE mit Eddie Bracken ganz sachlich zu erklären. Er tritt vor ein Kinopublikum und argumentiert unbeirrt und gelassen zwei Minuten lang …bis die Zwischenrufe eines Zuschauers (auch Eddie Bracken) die Stimmung unwillkürlich kippen lassen. In einen Ton von Befehl, Schuldzuweisung und Zwang verfällt es. Die Sachlichkeit wird scheinbar nicht vertraut und aus Zuschauern auf Augenhöhe werden Kinder gemacht, denen mal richtig der Marsch geblasen werden muss. Vll. konnte Hollywood einfach nicht ohne Dramatugie und Gefühl, wodurch THE FIGHING GENERATION auch eine Art Horrorfilm wird, in dem eine Gesellschaft ihren Willen dem Individuum gewaltsam aufzwingt.

Mittwoch 21.10.

Rebecca
(Ben Wheatley, UK 2020) [stream, OmeU]

nichtssagend

Ein Film wie ein gänzlich rasierter Körper, der über die Fitness seiner selbst vergessen hat, sich um eine Persönlichkeit zu kümmern. Oder so. Etwas hoffentlich Konstruktiveres gibt es bei critic.de.

Dienstag 20.10.

神打 / The Spiritual Boxer
(Liu Chia-Liang, HK 1975) [blu-ray, OmeU]

gut

Lau Kar-Leungs Regiedebüt, bei der ein gutmütiger Boxer (Wong Yu) kurz vor Ausbruch des Boxeraufstands die Leichtgläubigkeit der Leute ausnutzt und sich mit Tricks als unverwundbarer Spiritist inszeniert, aber auch geschundenen Bauern und Händlern gegen Banditen hilft. Mit der Zeit verliert sich THE SPIRITUAL BOXER, ein Film, der, wie bei Lau Kar-Leung nicht anders zu erwarten, wunderbares Bewegungskino bereithält und bei dem sich traditionell zum Affen gemacht wird, etwas im Kleinklein von Tricks, möglichen und tatsächlichen Entlarvungen und dem Robin Hood-Momenten, weshalb er vor allem ein nettes Vergnügen bleibt.

Sonntag 18.10.

東方秃鷹 / Eastern Condors
(Sammo Hung, HK 1987) [blu-ray, OmeU] 2

fantastisch

Wir sehen zwei Pobacken wie zwei Bergkuppeln in den Bildausschnitt ragen, und wie jemand von jenseits dieser Backen auf diese zugesprungen kommt und ein Messer zwischen sie stößt. Oder wir sehen mehrmals, wie Sammo Hung die mittlere Ader eines schmalen Palmenblattes auf seinem Zeigefinger hält und mit der anderen Hand die Blattspreite der einen Blatthälfte ruckartig abzieht, sodass die mittlere Ader loskatapultiert wird und den Hals eines Gegners durchbohrt und ihn lautlos tötet. Wir sehen wie Sammo Hung mehrere Metalplatten wie Trampoline benutzt, um wie ein epochaler Frosch zu einem MG-Nest der vietnamesischen Armee zu gelangen. Wir sehen Yuen Biao mit einer gewagten Popperfrisur. Wir sehen, einen sterbenden Mann am Boden liegen, der zusammen mit anderen aus einem Flugzeug sprang, wonach sie bis zwanzig zählen sollten und die Leine ziehen, der ihre Fallschirme öffnet, und wir hören den Stotterer vor seinem Tod sagen: Sech-Sech-Sech-Sech-Sechzehn. EASTERN CONDORS bedient sich großzügig bei RAMBO II, den MISSING IN ACTION-Filmen oder THE DEER HUNTERS und macht daraus einen optisch, emotional und die Kalauer betreffend durchdrehenden Film, in dem Fremde zu einer Einheit zusammenwachsen, während sie nach und nach Sterben … wie in einem Whodunnit, nur das der Mörder, der Krieg, bekannt ist.

The Big Sleep / Tote schlafen fest
(Howard Hawks, USA 1945) [blu-ray, OF] 5

großartig

Diesmal habe ich die Pre-Release-Version gesehen. Die Form, die auf der eigentlichen künstlerischen Vision basiert. Und was ist jetzt besser? Dieser Originalcut oder die aufgrund von Produzenten-/Agenten-Memos geänderte Scnittfassung, die sich weniger Zeit lässt, um den verwirrten Zuschauer auf dem neuesten Stand zu halten, aber stattdessen mehr saftige Zusammenstöße zwischen Bacall und Bogart enthält? … und ja, das ist eine rhetorische Frage.

Sonnabend 17.10.

龍的心 / Heart of the Dragon
(Sammo Hung, HK 1985) [blu-ray, OmU] 3

radioaktiv

Es endet mit einer Montage, die das Happy End dieses reißenden Melodramaklamaukactionthrillers über Jahre hinweg ausgebreitet und zelebriert. Es ist das I-Tüpfelchen dieser unfassbaren Geschmacksverirrung, in der Sammo Hung den übergewichtigen 30-jährigen Dodo spielt, der den Geist eines Vorschulkindes besitzt.
Ein Melodrama ist HEART OF THE DRAGON, weil der gutmütige Dodo immer wieder in Situationen landet, in denen er von seinen fast durchweg fürchterlichen Mitbürgern misshandelt wird. Weil sein Bruder, der Polizist Ah Tad (Jackie Chan), ihn ständig aus diesen befreien und sich allgemein um ihn kümmern muss, obwohl er eigentlich lieber zur See fahren möchte. Weil Ah Tad zwiegespalten ist, wie sein Umfeld, im dem seine Freunde ihn immer wieder anhalten, das Richtige zu tun, während seine Verlobte auf mehr Eigensinn und der Vertreibung Dodos besteht. Weil der Film alles daran setzt die Einsätze bei diesem Konflikt zu erhöhen und Ah Tad mental zu zermalmen, während Dodo nur bedröppelt dreinschaut und gar nicht versteht, was los ist. Es ist hochgradig manipulativ, billig und einseitig … und eine emotionale Dampfwalze.
Eine klamaukige Komödie ist HEART OF THE DRAGON, weil … naja, weil eines der Kinder, mit denen Dodo um die Häuser zieht, einmal in dessen Hose greift, um etwas Geld herauszuholen, aber verschreckt die Hand zurückzieht, da Dodos Hosentasche nämlich ein Loch hat und er keine Unterhose an. Oder weil all der Kram, den Dodo erlebt und der einem als Zuschauer Beklemmungen beschert, auch – aus einer wohl sehr sadistischen Perspektive – als Spaß verstanden werden kann.
Ein Actionthriller ist HEART OF THE DRAGON weil Jackie Chan eben dauernd in Schlägereien und Schießereien landet, die der Film nicht immer kohärent in die Erzählung einzubinden weiß. Die einfach da sind, weil sie da sein sollen/müssen. Wenn am Ende ein Triadenclan Dodo entführt hat, um so von Ah Tad die Freilassung eines Verräters zu erpressen, dann führt das zu einer Befreiungsaktion, die eines der anschaulichsten Beispiele für das Können Sammo Hungs als Inszenator von Action ist.
Der Effektivität und/oder Virtuosität der Einzelteile steht ihre imposante Geschmacklosigkeit entgegen … sowie die kaum vorhandene Sorgfalt beim Zusammenschustern dieser zu einem Ganzen. HEART OF THE DRAGON ist ein unförmiges Erlebnis. Wenn Sammo Hung in der finalen Montage als Dodo fröhlich und in Zeitlupe über einen Strand rennt, dann zwingt sich die Frage auf: Warum schickt sich ein Regisseur selbst durch eine solche Fremdschammangel? Wahrscheinlich steckt viel über einen ungemein gelenkigen und begabten Kampfkünstler darin, der in einem Körper steckt, der ihn immer wieder einen Rollennamen wie Fatty einbringt. Wenn er als Dodo dann doch fröhlich über den Strand hopst, dann besteht wenigstens die Hoffnung, dass Hung sich so einen Platz schaffte, an dem er einfach sein konnte, wie er wollte. HEART OF THE DRAGON ist so ein sensationeller Wohlfühlfilm, der einem keine Chance gibt, sich wohl zu fühlen.

Rebecca
(Alfred Hitchcock, USA 1940) [blu-ray, OF] 2

gut +

Das gotische Melodrama über einen zurückgezogenen, bestimmenden, auch sadistischen Mann (Laurence Olivier) und eine unsichere Frau voller Minderwertigkeitskomplexe (Joan Fontaine) gefällt mir sehr. Dieses Melodrama dessen Sinn darin liegt, letztere ständig an ihre Banalität zu erinnern. Manderley, wo sie nach einer Impulsheirat wohnt, ist ein Hort von Größe und ausgesuchtem Geschmack. Sie läuft darin in Schullehrinnenkleidung herum und jede Annährung an die Dinge und Kleidungen der Herrschaften endet katastrophal. Riesige Türen, phantastische Dekors und eine herablassende Dienerin (Judith Anderson), die ihr Über-Ich personifiziert und die der Herzkönigin oder der bösen Hexen des Westens gleicht, machen aus dem Handlungsort ein der Frau feindlich gesinntes Wunderland. Und selbst der allgegenwärtige Nebel in der Szenerie (selbst im Inneren des Herrschaftshauses) verhöhnt sie zusätzlich. Im Angesicht der nicht vergehenden Gegenwart ihrer Vorgängerin als Ehefrau (die Rebecca des Titels) – das Anwesen scheint von ihrem Geist besessen zu sein – wird er mittels Sonnenschein etwas Sakrales, während er feucht, kalt und undurchdringlich ist, sobald sie auf sich zurückgeworfen wird. Er ist Marker ihrer fehlenden inneren Sicherheit.
Wenn dann ca. eine dreiviertel Stunde vor Schluss dieses Drama Hals über Kopf aufgelöst wird und ein Suspense-Gerichtsdrama daraufhin einsetzt, in dem es um Schuld und die Garstigkeit hinter einer gewinnenden Persönlichkeit und aristokratischen Zusammenhalt gegenüber demokratischen Dingen wie Justiz geht, dann dauert es viel zu lange, bis die Flammen und der Wahnsinn in einem plötzlich viel zu sachlichen Thriller wieder züngeln.
*****
Am Ende dieses Podcasts könnt ihr euch erklären lassen, dass Rebecca das wahre Opfer des Films ist.

Freitag 16.10.

Hubie Halloween
(Steven Brill, USA 2020) [stream, OmeU]

ok

Adam Sandler scheint es nicht leicht zu haben. Der von ihm gespielte Hubie wird als Running Gag den ganzen Film lang von seinen Mitmenschen mit zunehmend martialischeren Dingen beworfen. Halloween ist für ihn ein Spießrutenlauf, in dem fast alle darauf aus sind, ihn fertig zu machen. Die Frage, wie mit dieser Schickane umzugehen ist, steht im Mittelpunkt von HUBIE HALLOWEEN und steht programmatisch für die Situation Sandlers in der heutigen Filmlandschaft, welche er im Netflix-Exil – nun auch von den Massen und nicht nur von vielen Kritikern gehasst und verstossen – erlebt. Die Frage wird dann auch höchstironisch wie aufrichtig beantwortet, Hubie/Adam wird eben beneidet. Was aber alles noch schlimmer macht, ist, dass ich den kompletten Film das Gefühl hatte, dass ich unbedingt mal wieder WATERBOY anschauen muss. Denn HUBIE HALLOWEEN wirkt wie der Versuch eines alternden Komikers an seine frühen Erfolge anzuschließen, wobei alles arg aufgewärmt wirkt.

Donnerstag 15.10.

Schlaf
(Michael Venus, D 2020) [stream]

gut

Zu diesem Jengaturm von einem Film gibt es von mir etwas auf critic.de.

Mittwoch 14.10.

Derrick (Folge 241) Nachtgebete
(Theodor Grädler, D 1994) [DVD]

großartig

Theodor Grädler in seiner grünen Phase: dem alleinstehenden und bei seiner Mutter lebenden Ägyptologen Dr. Roth (Gerd Anthoff) wird ein bizarres Kuckucksei gelegt, als eine Bekanntschaft aus dem letztjährigen Urlaub ihn kurz vor ihrer Ermordung vor Gericht als leiblichen Vater ihrer 17-jährigen Tochter angibt … und die Wände und Hintergründe sind dabei allzuoft von unterschiedlichen Schattierungen von Grün bestimmt. NACHTGEBETE ist trotz giftiger Färbung ganz herzlich, weil Dr. Roth zwar um keine trübschwammige Ausrede verlegen ist, zuletzt aber das Richtige tut und die Kuckuckstochter aufnimmt, weil der richtige Vater sie gewaltsam prostituieren möchte. Außerhalb der heimeligen Wände des Bürgertums wartet dabei ein verkommener Zirkus, in dem in Discos junge Frauen von einem freigiebigen Bajazzo an alte Männer versteigert werden … und in ihnen, also den Wänden, findet sich das Vergnügen der Mutter und Derricks, den sich windenden Sohn doch noch mit Rückgrat und Nachwuchs zu erleben.

Dienstag 13.10.

方世玉與胡惠乾 / The Shaolin Avengers
(Chang Cheh, HK 1976) [blu-ray, OmU]

gut

Im Grunde ein neunzigminütiger Aufbau für eine bitterböse Pointe, oder eine Frage, auf die nur das Hongkongkino eine Antwort geben konnte: Was wäre, wenn das Lindenblatt beim Bad im Drachenblut nicht auf Siegfrieds Schulter gefallen wäre, sondern auf seinen Anus?

Montag 12.10.

Uncle Buck / Allein mit Onkel Buck
(John Hughes, USA 1989) [blu-ray, OmeU]

gut

UNCLE BUCK startet aus der Perspektive einer Teenagertochter, die sich von ihren Eltern vernachlässigt fühlt. Dann aber wechselt die Perspektive zum unverantwortlichen Onkel Buck (John Candy), der für ein paar Tage für die Eltern einspringen muss und irgendwo ähnliche (emanzipatorische) Erfahrungen macht, wie Kevin in KEVIN ALLEIN ZU HAUS … nur, dass er es eben nicht mit feuchten Banditen zu tun bekommt, sondern mit Kindern. Klassisches John Hughes-Terrain eben, bei dem die beiden Hauptausprägungen – Teeniekomödie und Familienfilm – verbunden werden.
Tatsächlich handelt UNCLE BUCK aber wie kein anderer Film Hughes‘ aus einer elterlichen Perspektive heraus, wobei nicht weniger als ein Wunschtraum ausgelebt wird. Der Traum zu Hause und für die eigenen Kinder da zu sein. Der Traum sie so zu quälen, wie sie es mit einem tun. Und das beste: Onkel Buck darf damit noch siegen und mit Penetranz, Liebe und Bohrmaschinen das Vertrauen eines missmutigen Teenagers gewinnen. Wäre UNCLE BUCK etwas anarchischer in seinem sadistischen Teil dieser Wunscherfüllungsmaschine, nicht so behäbig und ein kleinwenig inspirationslos hier und da – was ua. auch heißt: würde er sich nicht so oft selbstrecyclen) –, dann wäre dies ein allgegenwärtiger Klassiker. Zumindest bei den (berufstätigen) Eltern der westlichen Welt.

Sonnabend 10.10.

Un fiume di dollari / Eine Flut von Dollars
(Carlo Lizzani, I 1966) [DVD, OmU]

gut

Während der Opening Credits werden mehrere Jahre in einem Militärgefängnis per Montage verkürzt. Nicht nur zeitlich, sondern auch inhaltlich. Isolation, Schmerz und Zeitverlust, teilweise mit ins Surreale reichenden Bildern, machen aus einer Haftstrafe einen Aufenthalt in der Hölle. Ein Schmerz wird implementiert, der EINE FLUT VON DOLLARS bestimmen wird. Denn die Protagonisten stehen immer wieder an der Weggabelung zu einem geplanten Vorgehen. Doch Impulsivität bleibt der Primat des Handelns – beim Rächenden (Thomas Hunter), der immer wieder eine heile Welt am Horizont seiner Rache sehen könnte, aber in einem Wahnsinn gefangn ist, der ihn alles zerstören lässt, oder beim Oberhandlanger (Henry Silva) des Wildwestbarons, an dem es sich zu rächen gilt, dessen Handeln von homosexuellen Gefühlen bestimmt sein könnte, von seinem irren, übertriebenen Jokerlachen oder eben von beidem gleichzeitig.
EINE FLUT VON DOLLARS spielt kurz nach dem Sezessionskrieg. Chaos herrscht, in dem schnell aufgestiegen werden kann, eine Existenz aber auch schnell zerstört ist. Die Bilder sind von Leere, kargen Landschaften und prekären Gebäuden bestimmt. Die Gebäude sind entweder alt und heruntergekommen oder neu mit einem Hauch von Vorläufigen. Heißt: überall stehen Ruinen … die von heute und die von morgen. Es wird keine Fluten noch Dollars geben. Kümmerlich und abstrakt ist dieser Western, in dem die Gegenwart wie eine Marionette der Geister einer verkürzten Vergangenheit wirkt und wo sich deshalb keinen Weg in eine rosige Zukunft findet.

H.M. Pulham, Esq.
(King Vidor, USA 1941) [35 mm, OF]

verstrahlt

Harry Moulton Pulham (Robert Young) schaut auf sein Leben zurück und muss sich durch das Auftauchen seiner ehemaligen Geliebten Marvin Miles (Heddy Lamarr) wieder zwischen dem Leben entscheiden, in das er hineingeboren wurde, und einem freien, selbstentworfenen. Zwischen Vernunft und Romantik, zwischen einer heimeligen Heimat und den Abenteuern einer offenen Welt, zwischen der Verzweiflung, nicht er selbst sein zu wollen, und der Verzweiflung, er selbst sein zu wollen.
Klassischerweise wird sich in der Traumfabrik für die Romantik entschieden. Nicht so in H.M. PULHAM, ESQ. Zu wenig würde dies zu seiner Hauptfigur passen, die von Robert Young als kanten- und anspruchslosen Verzichter gespielt wird. Jede seiner Entscheidung ist ein Nachgeben geben den Willen seiner Familie oder seiner Freunde. In Rückblenden und in der Gegenwart wird erzählt, wie sich ein Konflikt zwischen dem Willen seiner Geliebten und seiner Familie aufbaut, und wie Harry versucht zwischen diesen Widersprüchen zu vermitteln und wie er schließlich gegen sein Wesen zu einer Entscheidung gezwungen wird.
Wenn sich nicht für die Romantik entschieden wird, dann müsste sich für die Vernunft entschieden werden. Nicht so in H.M. PULHAM, ESQ. Harry befindet sich zwischen zwei Frauen. Seiner Ehefrau (Ruth Hessey) in der Gegenwart, die ihren Mann als kurz wahrzunehmende Entität zwischen ihrem Klatsch und Tratsch akzeptiert hat, und Marvin, die aktiv über sein Leben bestimmen möchte, die nur den anker- wie heimatlosen Harry akzeptieren kann, damit sie gleichfalls nicht an Orte und ein familiäres wie soziales Erbe gebunden wird.
Harry steht nicht zwischen einer Utopie und einer zu ertragenden Realität, sondern zwischen zwei Ideologien, die mit ihrer Knute über ihn herrschen wollen. Da H.M. PULHAM, ESQ aber mehr leichte Komödie als Melodrama ist, steht Harry nicht zwischen zwei düsteren Aussichten, sondern zwischen dem taumelnden Gefühl der Liebe und einer fröhlichen Beständigkeit, die durchaus mit Flexibilität aufwartet … vor allem aber mit der Freundschaft zu Eichhörnchen auf dem Arbeitsweg. Überall warten Vorzüge und Nachteile.
Den Weg des kleinsten Widerstands wird unser Harry immer nehmen. Weshalb H.M. PULHAM, ESQ. eben auch kein wilder oder emotionaler Film ist, sondern ein hinnehmender. Der seiner Dualität durchaus nicht in Kontrasten aufzeichnet, sondern in einem gesitteten Fluss ohne große stilistische Grelle. Harry wird sich eingangs fragen, ob er glücklich ist bzw. ob er all die Jahre seiner Ehe glücklich war. Es wird schlussendlich nie geklärt werden und er wird es sich nicht klarmachen, weil es eben nicht um solch dramatischen Kategorien gehen kann. Sondern um einen stets Lächelnden, der überall Vorzüge findet. Wir sehen jemanden dahinsegeln, der höchstens ab und an durch zu fällende Entscheidungen etwas Enge und Flauten erlebt, der sich aber nie in einem Sturm befindet. H.M. PULHAM, ESQ. scheint uns sagen zu wollen, dass wir uns Verzichter als glückliche Menschen vorstellen müssen.

Love Me Like I Do / Die sexuellen Wünsche der Männer
(Jean Van Hearn, USA 1970) [35 mm, ł]

verstrahlt

Was als Roughie einer eskalierenden Party mittelalter Ehepaare beginnt, die sich gegenseitig miteinander betrügen, schlägt ziemlich unvermittelt in eine schäbige Version von SZENEN EINER EHE um, wobei die Dialoge von einem Milieu zeugen, in dem sich niemand ausdrücken kann oder überhaupt nachvollziehen, was man selbst möchte. Stattdessen gibt es gegenseitige Provokationen und provozierendes Ausleben der ersten Impulse. Heißt: Bei LOVE ME LIKE I DO handelt es sich um ein ziemlich garstiges Portrait der Conditio humana, in dem es um große Brüste und fleischige Oberkörper geht, die Richtung Sex tanzen und die sich in diesem Tanz zerfleischen. Nur der Sex bleibt ewig abstinent. Vll. auch ein Grund warum diese Filmfiguren so handeln, wie sie handeln.

Bahía blanca
(Jess Franco, E 1984) [blu-ray, OmeU]

(fantastisch )

Das Drama des Films entsteht durch die riesige Lücke zwischen dem wiederkehrenden Bild eines der Protagonisten – sie wechseln sich dabei ab –, der aufrecht auf einem Ruderboot steht und der in der ihn umgebenden Weite verloren und kontemplierend wirkt – der Schmerz des ewig wiederholten melancholischen Songs findet hier seine optische Entsprechung – und den ständigen Handlungen der selben Protagonisten, die dumme und gehässige Dinge tun und es nicht sein lassen können. Ein Melodrama wird BAHÍA BLANCA trotz aller Hysterie aber nicht, weil das Drama nicht verschärft wird. Die Leute wirken wie gestrandet, optisch im Nirgendwo einer verlassenen Insel mit Bar, moralisch in einem Labyrinth ihrer Seele, aus dem sie keinen Ausweg finden und deshalb darin kraftlos umherirren. Franco selbst spielt einen Weissager, der von Hexen spricht, die Männer ins Unglück stürzen. Tatsächlich gibt es aber nichts Übernatürliches, nur Leute, die sich allzu gern von ihren Begierden, Ängsten und Wünschen hypnotisieren lassen und diese schöne Landschaft von BAHÍA BLANCA zu einem seelisch-moralischen Ödland machen.

Freitag 09.10.

Greta – Haus ohne Männer
(Jess Franco, CH/BRD/CA 1977) [35 mm]

(großartig)

Zu dem Verweis auf den Sehtagebucheintrag von 2015 (II), zu dem ich kaum etwas hinzufügen kann, weil den Film jemand sah, der aufnahmefähiger war, weil er nicht so mit der Müdigkeit kämpfen musste, möchte ich noch anmerken, dass Dyanne Thornes Augen in diesem Film, der am Ende in den Raum stellt, dass nicht einmal die von ihr gespielte sadistische Anstaltsdirektorin – trotz aller Macht – dem männlichen Blick in diesem Pandämonium von Männerphantasien entkommen kann, ätzender sind als Säure, reißender als Kettensägen uswusf.

Mittwoch 07.10.

State Secret / Staatsgeheimnis
(Sidney Gilliat, UK 1950) [DVD, OF]

ok

Ein Unschuldiger auf der Flucht: STATE SECRET ist sichtlich im Fahrwasser von diversen Hitchcock-Erfolgen entstanden. Dr. Marlowe (Douglas Fairbanks jr.) wird unter einem falschen Vorwand in einen fiktiven osteuropäischen Staat gelockt, wo er eine Operation am Diktator vollziehen soll. Als er erkennt, wer sein Patient ist, ist sein Leben nicht mehr sicher. Denn die Führungsriege ist sich sicher, dass nur ein toter Arzt sein Geheimnis für sich behält, weshalb er durch ein fremdes Land ohne Sprachkenntnisse fliehen muss. Dabei trifft er auf Denunzianten, Schmuggeler, Showgirls und verkrachte Existenzen – in einem Staat, der alles daransetzt, dass seine Subjekte nur das wissen, was sie sollen. Und möglicherweise ist das das Problem von STATE SECRET. Weil eben alles darangesetzt wird, die stereotypen Nachteile eine Diktatur abzuhaken, sich aber nicht wirklich für die Leute interessiert wird, die in ihr leben. Ein propagandistischer Stichpunktzettel.

Dienstag 06.10.

The Crimson Pirate / Der rote Korsar
(Robert Siodmak, USA 1952) [DVD, OF]

gut

Nachdem Burt Lancaster sich mit einem Seil von einem Mast zum nächsten geschwungen hat, erklärt er wie ein Marktschreier in die Kamera, dass Abenteuer auf uns warten. Tatsächlich versteht THE CRIMSON PIRATE seinen Piratenfilm als Zirkusattraktion. Burt Lancaster und sein alter Artistenpartner Nick Cravat schlagen unzählige Salti und dürfen eine ganze Verfolgungsjagd selbst inszenieren, um ihre akrobatischen Talente unter Beweis stellen zu können. Die Witze wirken wie aus einem Film der Marx Brothers oder bieten erste Anzeichen einer ZAZ-Komödien. THE CRIMSON PIRATE ist buntes Treiben, das nebenher erzählt, wie ein ungebundener Pirat seine soziale Verantwortung erkennen muss und durch die Liebe aus seinem schelmischen Jungscharisma eine Führungspersönlichkeit bildet. Nur hier und da wirkt es etwas gediegen, wenn noch der absurdeste Schabernack ziemlich gemächlich geschnitten wird.
*****
Die DVD von Pidax ist übrigens schon traditionell lieblos: Keine Untertitel und die Bildqualität einer schlecht gerippten TV-Matz (d.i.: unscharf und interlaced).

Montag 05.10.

東邪西毒 / Ashes of Time
(Wong Kar-wai, HK/TW 1994) [DVD, OmU] 2

großartig +

Gern würde ich mal den originalen Kinocut sehen, aber ich würde diese psychedelischen Digitalfarben schon auch vermissen, die in der Redux-Version über die Bilder gelegt wurden und den Film wie einen verfaulenden Neonobstteller aussehen lassen. Das retrospektive bzw. vorausschauende von ASHES OF TIME, der in einer Gegenwart spielt, die sich nur aus Erinnerungen und Ausblicken zusammensetzt, aus Flicken von bereits Geschehenem und Ahnungen davon, dass noch so viel mehr geschehen wird, wird durch diese Irrealität der Bilder nur noch auf schönste, aufdringlichste verstärkt. Dazu ein Film, der sich seiner Schmierigkeit nur bedingt erwehren kann und wo die Lust aus Bildern dringt, in denen beispielsweise ziemlich zweideutig an Pferdehälsen gegrabscht wird, Pferdehälsen, die nur noch als pulsierende Phallen ohne den Rest des Pferdes im Bild sind.

Sonntag 04.10.

十面埋伏 / House of Flying Daggers
(Zhang Yimou, CHN/HK 2004) [blu-ray, OmeU]

gut

Staatsräson und -umsturz werden in HOUSE OF FLYING DAGGERS mit Liebes- und Eifersuchtsdramen gleichgesetzt. Bzw. entwickelt sich das Eine aus dem Anderen. Wenn die Erzählung allgegenwärtiger Täuschungen dann auf seinen lang hinausgezögerten Höhepunkt zusteuert, dann ist das schlimmste in einem bunten Herbstwald zu stehen, wenn es doch Ecken in der Welt gibt, wo alles grün oder blau ist, wo alles einfach ist und einen nicht zerreißt … oder Ecken in denen es vor Raum nur strotzt und wo der Blick nicht durch die ewigen Gitter der Bäume völlig verstellt ist.

Sonnabend 03.10.

少林與武當 / Two Champions of Shaolin
(Chang Cheh, HK 1980) [DVD, OmU]

ok +

Lo Mengs Charakter weint, weil seine Braut noch vor der Hochzeitsnacht ermordet wurde. Ihm wird aber gesagt, dass er sich nicht so haben soll. Im Kampf um Rache (im kampf zwischen Shaolin und Wu-Dang/der Qing-Dynastie) sind schon viel mehr Leute gestorben und jeder hat schon jemanden verloren, der ihm nahestand. Er reißt sich deshalb zusammen. Stellte Rache in den Filmen Chang Chehs Ende der 60er und Anfang der 70er noch eine Möglichkeit dar, höchste emotionale Höhen zu erreichen, weil sie eben sehr persönlich war, ist Rache in TWO CHAMPIONS OF SHAOLIN ein Abstraktum. Es führt zu einer Spirale der Gewalt, die nie auch nur angezweifelt wird. Kalt wird sich umgebracht, und kalt wird es beobachtet.
Die erste Hälfte des Films, nach dem zwei langen Erklärrunden hinter sich gebracht sind, handeln von Bumerangmessern und wie diese gemeistert werden können. Es ist amüsanter akrobatischer Quatsch. Wenn der Film aber in sein Melodrama abbiegt, seiner Hauptfigur das Melodrama aber versagt, dann wird der noch eklatantere Bumerang der Rache von niemanden gemeistert. Die Shaolin bekommen zwar die moralische Hoheit, weil sie nicht mit den Qing-Tyrannen kooperieren, aber beide Seiten töten sich nur mehr mit der Begründung, dass die andere Seite jemanden zuvor getötet hat. Wenn am Ende dann alle als Leichen am Boden liegen, dann hat dies nicht den aufwühlenden Charakter früherer Chang Cheh-Filme. Bzw. ist es auf andere Weise aufwühlend. Nicht mehr wegen der Emotionalität, sondern auf Grund der allgemeinen Kälte. Der Kälte des Geschehenden, aber auch die Kälte, mit der dies verfolgt wird.

Freitag 02.10.

Velluto nero / Black Emmanuelle, White Emmanuelle
(Brunello Rondi, I 1976) [dvd, OmeU] 2

fantastisch

Dass ich dies vor nunmehr fast zehn Jahren las und dann SCHWARZER SAMT auch sah, hatte nicht wenig Enfluss darauf, dass sich meine Wahrnehmung von Filmen grundlegend verändern sollte. Dafür bin ich Christoph immer noch ziemlich dankbar. (Ich habe den Text auch herumgereicht, aber niemand war davon so beeindruckt wie ich.) Zum 70. Geburtstag von Laura Gemser gibt es eine Textreihe bei critic.de, weshalb schnell klar war, worüber ich dort schreiben wollte.

Donnerstag 01.10.

東方不敗之風雲再起 / Swordsman III: The East Is Red
(Ching Siu-Tung, Raymond Lee, HK 1993) [DVD, OmU] 2

großartig +

Als ich in meiner Jugend anfing, mich für Wuxias zu interessieren, war THE EAST IS RED einer der ersten dieser Filme, die ich sah. Es war ein einschneidendes Erlebnis, weil es viel zu viel auf einmal war und ich absolut keinen Durchblick hatte, was da eigentlich passierte. Ich habe den Film in bester Erinnerung behalten, durch ihn aber auch für gewisse Zeit einen gehörigen Respekt vor dem Genre bekommen. Sich einen Wuxia anzuschauen, hieß sich scheinbar auf einen totalen Overload einzustellen. Später stellte es sich viel eher als Problem heraus, überhaupt solche Filme zu finden, in denen Leute von unklarem Geschlecht, während des Versuches die Welt zu einem besseren Ort zu machen, auf Schwertfischen surfen, um später kurz Prostituierte zu werden, nur um später als Ninja-Samurai-Schiffskapitäne die Macht im Land an sich reißen zu wollen, weil das ignorante, hysterische Fußvolk und andere Machthabende sie/ihn bis aufs Blut reizen, nur um am Ende zu erkennen, dass all seine/ihre Anstrengungen umsonst sind, weil es im Weltlichen nichts zu holen gibt, was die Seele heilt … und wo es auch noch um Liebe geht. Filme wie HERO mussten dann erstmal sehr bieder wirken. Ich habe viel zulange gewartet, die Erinnerung aufzufrischen, nur um jetzt zu entdecken, dass THE EAST IS RED wirklich dieser seltsame, wunderbare Film ist, der andere Vertreter des Genres ziemlich gediegen aussehen lassen kann. Oder um es kurz zu machen: Asia, die Unbesiegbare (Brigitte Lin) ist die Beste.

September
Mittwoch 30.09.

Om det oändliga / Über die Unendlichkeit
(Roy Andersson, S/D/N 2019) [DCP, OmU]

ok +

Wäre dieser Text bei critic.de nicht gewesen, hätte ich ÜBER DIE UNENDLICHKEIT wohl nicht geschaut. Am tollsten ist aber, wie kurz der Film ist und wieviele der einzelnen Szenen alleine stehengelassen werden, ohne dass sie wiederkehren würden. Sprich: die Gags werden nicht wie zuvor endlos breitgelatscht.

Dienstag 29.09.

笑傲江湖II東方不敗 / Swordsman II
(Ching Siu-Tung, HK 1992) [DVD, OmU]

fantastisch

SWORDSMAN II lebt eine ganz eigene Dekadenz aus: noch mehr Kampf, mehr Liebesgeschichten und -konflikte, mehr Quatsch, noch mehr Geschlechtertohuwabohu als sonst eh schon bei Ching Siu-Tung und Tsui Hark. Das Ergebnis ist aber keine Ikone der Ramontik, wie es A CHINESE GHOST STORY ist, oder sonst wie ikonisch. Vor allem, weil SWORDSMANN II eben nicht klar ist. Ein heidenloses Durcheinander der Liebe und moralischen Handlungen in einer korrupten Welt entspinnt sich, das formell durchdreht, weil die ganze Welt der Liebe und Politik irre ist.

Montag 28.09.

Planes, Trains and Automobiles / Ticket für zwei
(John Hughes, USA 1987) [blu-ray, OF] 2

großartig

Als Jugendlicher, als ich Filme mit Steve Martin mehr oder weniger geguckt habe, wie sie kamen, habe ich PLANES, TRAINS AND AUTOMOBILES großflächig gemieden. Der tatsächliche Sadismus dieses Films war schon von weitem her zu spüren. Denn John Candy macht mit seiner naiven Aufdringlich- und Tollpatschigkeit Martin das Leben zur Hölle. Aber das war nicht das ganze Problem, damit hätte ich bestens leben können. Es war aber auch abzusehen, dass Steve Martin nämlich noch ein schlechtes Gewissen bekommt, sobald ihm der Kragen platzt und Candy ihn mit Hundsaugen anschauen wird, bis Martin, so toll in diesem Film als Schnellkochtopf, der das Überkochen nur schwer unterdrücken kann, nur wieder der Leidtragende geworden ist, nur jetzt als Täter. Der Film bietet ihm kein Entkommen.
In dieser hundsgemeinen Sentimentalität ist PLANES, TRAINS AND AUTOMOBILES wirklich Spitzenklasse. Am schönsten ist jedoch etwas, das nicht so offensichtlich ist. Dieses Roadmovie mit den sich zusammenraufenden Gegensätzen funktioniert nämlich wie ein Liebesfilm. Von den komödiantischen körperlichen Annäherungen im Schlaf im viel zu kleinen Bett bis hin zum finalen Moment, wenn Steve Martins Figur in die S-Bahnstation zurückgerannt kommt, um John Candys Figur seine Liebe zu gestehen – ok, er gesteht nicht seine Liebe, sondern liest ihn lediglich auf und nimmt ihn mit nach Hause, aber –, dramaturgisch unterscheidet sich dies alles nicht von einer RomCom. Es sind eben nur zwei Männer in den Hauptrollen, die sich nie küssen werden. Aber wahrscheinlich sind PLANES, TRAINS AND AUTOMOBILES und/oder seine Hauptfiguren noch etwas zu schüchtern.

Sonntag 27.09.

Die bitteren Tränen der Petra von Kant
(Rainer Werner Fassbinder, BRD 1972) [DVD] 2

großartig

DIE BITTEREN TRÄNEN DER PETRA VON KANT bestehen fast ausschließlich aus theatralischen Mono- und Dialogen. In den Monologen erklären sich die Figuren, vor allem Petra von Kant (Margit Carstensen), gegenüber anderen und wahrscheinlich auch sich selbst. Die tatsächliche Offenbarung ist aber eine indirekte, weil mit den Worten versucht wird, sich das eigentliche Ich vom Leib zu halten und ein potentes Ich zu schaffen. Doch in den Dialogen, vor allem mit und um Karin Thimm (Hanna Schygulla), der Geliebten von von Kant, wird all dies dann lustvoll zertrümmert und die Jämmerlichkeit aller Beteiligten vorgeführt. Oder genauer: eigentlich sind schon die Monologe Dialoge, da die Kamera ruhig und analytisch den Handlungsort des Kammerspiels durchschreitet und als zusätzliches garstiges Luder das Gesagte kommentiert, bloßstellt und unterminiert. Das Ergebnis ist eine stickige Komödie von teilweise wunderschöner, teilweise kaum erträglicher Affektiertheit.

Sonnabend 26.09.

Alice in Wonderland / Alice im Wunderland
(Hamilton Luske, Wilfred Jackson, Clyde Geronimi, USA 1951) [blu-ray] 2

gut

Die Verspieltheit des Buches wird hier zwanghaft in Schnelligkeit überführt. Verrücktheit ist so nichts Verworrenes mehr, sondern vor allem Stress.

Häschen in der Grube
(Roger Fritz, BRD 1968) [stream] 3

fantastisch

Ich habe den Film nochmal geschaut, um parallel dazu mit Christoph über den Film zu skypen. Vll. wird sich das auch in irgendeiner Form darüber hinaus gelohnt haben, dass ich Christophs Gedanken zum Film mal wieder sehr bereichernd fand. Mal sehen.

Freitag 25.09.

Enfant Terrible
(Oskar Roehler, D 2020) [stream]

gut

Schon 1 Spaß, dieser Film, der weniger von Rainer Werner Fassbinder handelt, als seine Wahrnehmung als Farce überzieht. Genaueres findet sich hier.

Donnerstag 24.09.

Häschen in der Grube
(Roger Fritz, BRD 1968) [stream] 2

fantastisch

Am schönsten an diesem John Ford-artigen Film, in dem es um den Widerstreit zwischen Zwang und Zwanglosigkeit geht – wobei der Zwang hier inzestuös ist, das Individuum entwertend, und er im Grunde eine fortschreitende Zerstörung ist, vor der es zu fliehen gilt –, finde ich, wenn von einem Hippie-Happening, bei dem abwechselnd alle etwas frei Schnauze vortanzen und jemand dieses nachtanzen muss, zu einer Ballettprobe geschnitten wird. Die Unterschiede zwischen diesen Aufführungen sind auf den ersten Blick äußerst marginal, weil beide ziemlich unpopuläre Extreme sind. Progressive Kunst sind beide. Nur ist das eine improvisiertes Affentheater, während das andere fest strukturierte, hart erarbeitete Hochkultur ist. Mit einem einfachen Schnitt werden beide nicht nur gegenübergestellt, sondern auch verbunden, um den Konflikt eines Mädchens zwischen Freiheit und Knute nicht zum Widerstreit werden zu lassen, sondern auch untrennbar in sie einzuschreiben.
Zudem: Wie in FRANKFURT KAISERSTRASSE und mit Abstrichen in MÄDCHEN MÄDCHEN gibt es hier am Ende ein Lachen irgendwo zwischen unendlichem Glück und Wahnsinn. Befreiung ist bei Roger Fritz vll. generell etwas, das einen nicht geringen Anteil Horror in sich trägt.

Mittwoch 23.09.

Mädchen mit Gewalt
(Roger Fritz, BRD 1970) [blu-ray] 2

großartig

Mitten im Film hält Mike (Arthur Brauss) einen sehr langen Monolog darüber, was geschehen wird, wenn Alice (Helga Anders) zur Polizei geht und ihre Vergewaltigung durch Mikes Freund Werner (Klaus Löwitsch) meldet. In schönsten Bildern malt er ihr aus, wie geifernde Männer jedes Detail hören wollen, wie ihre Lebensweise auseinandergenommen wird und sich die Justiz im Grunde mit den beiden Männern verschwören wird. Vom Anfang abgesehen, der etwas von einem SCHULMÄDCHENREPORT hat, in dem Mike und Werner in manchen Einstellungen eingefroren sind und wie dämonische Statuen wirken, in dem ein Cartrennen zu mehr oder weniger inkohärenten Einzelteilen von Adrenalin und Testosteron zerfallen, in dem Gesellschaft wie der organisierte Kampf von Primaten um Sex wirkt, der vll. das schönste von MÄDCHEN MIT GEWALT ist, … von dem also abgesehen, spielt der Film ausschließlich in einer Kiesgrube. Mit besagtem Monolog verstärkt sich noch das Gefühl, dass dieser Film nicht über Realismus arbeitet. Einem Gleichnis bzw. einer Abhandlung wohnen wir bei, einer dialektischen Aufarbeitung von psychologischen Dynamiken. MÄDCHEN MIT GEWALT ist dergestalt eine zielgerichtete Version von WER HAT ANGST VOR VIRGINIA WOOLF?
Es ist aber auch so, dass Mike und Werner sich zwischendrin wie in den damals noch gar nicht existenten Bud Spencer und Terence Hill-Filmen prügeln. Als ob das Themendrama mutwillig torpediert werden soll. Und so stark der Hang zum Diskurs ist, so gelangt der Film doch immer wieder an diese Punkte, wo Reden schwerlich hinkommt. MÄDCHEN MIT GEWALT ist vll. der offensivste der Filme Roger Fritz, aber doch findet sich auch in ihm diese spröde Schlichtheit des Geschehens, die die Dinge so vage macht, dass es sich noch im offensivsten Sinn nicht erschöpft.

Dienstag 22.09.

Three Styles of Hung School’s Kung Fu k
(Chang Cheh, HK 1974) [stream, OF]

gut

Alexander Fu Sheng, Chen Kuan-Tai und Chi Kuan-Chun führen in diesem kurzen Imagefilm Kung-Fu Techniken vor, die nach Tieren und Dingen benannt sind. Und die Kamera führt vor, wie durch Fahrten nicht kämpfende Kämpfer dramatisiert werden. Lotti Z. (4 Jahre) meinte, dass dieser Kampfsport wie Tanz aussähen und ihr der Storch am besten gefalle.

Montag 21.09.

Visage
(Tsai Ming-Liang, F/TW/B/NL 2009) [DVD, OmeU]

gut

Hsiao-Kangs Mutter stirbt in VISAGE. In religiösen Zeremonien muss sich von ihr verabschiedet werden, die Wohnung leergeräumt und grundsätzlich weitergelebt. Und Tsai Ming-Liang macht dies zum Spiegel von WHAT TIME IS IT THERE?, in dem der Vater seiner ewigen Hauptfigur starb, in dem dessen Mutter begann alle Fenster zuzukleben, bis kein Licht mehr in die Wohnung dringt, in dem Chen Shiang-Chyi nach Paris ging und Jean-Pierre Léaud trifft, während Hsiao Kang in Taipeh zwanghaft Uhren umstellt. In VISAGE ist er nun selbst in Paris, um einen Film mit Jean-Pierre Léaud zu drehen. Seine Hauptdarstellerin (Laetitia Casta) klebt immer wieder mit Gaffer Tape Fenster zu, womöglich um vorm Begafftwerden in die Dunkelheit zu fliehen. Shiang Chyi hingegen überwacht die Wohnungsauflösung in Taiwan. Und der Geist des verstorbenen Elternteils geistert nun durch beide Weltteile, zuweilen um Suppe während sexueller Handlungen ihres Sohns zu essen.
Es gibt auch wieder Musicalnummern, viele Perspektiven spielen mit Brechungen durch Spiegel und überhaupt ist VISAGE vielleicht der schönste Film Tsai Ming-Liangs. Optisch ist er hier auf dem Höhepunkt seines Werks angekommen … und doch ist es vll. sein uninteressantester Film, da die Schönheit kalt bleibt und mit nichts und niemanden tiefere Verbindungen eingeht. Vll. ist es der Fluchtpunkt des Films, die Leere des Schönen, – oder wie es Lukas F. bei letterboxd schreibt, dass es in VISAGE wie ein Fluch wirkt, dass jeder ein Künstler ist und alles nur eine Selbstaufführung ist, oder so. Aber um den Film zu tragen, ist dies ein bisschen kurz und wenig aufregend.

Sonnabend 19.09.

Tinker Bell and the Legend of the NeverBeast / TinkerBell und die Legende vom Nimmerbiest
(Steve Loter, USA 2011) [DVD]

ok

Wo die anderen Filme der Reihe allumfassend ziemlich hässlich sind, da leuchtet das Nimmerbiest in wunderschönen Farben.

Mädchen Mädchen
(Roger Fritz, BRD 1967) [blu-ray] 2

fantastisch

Ein Wald mit Weiher und ein Tagebau, der diesen Hain langsam abträgt. Ein Kind, das mit Tieren spielt bzw. diese quält. Ein Herrenhaus voller Geweihe an der Wand, mal in Abwesenheit der väterlichen Macht, mal unter dieser. Eine Ansammlung einfacher Leben und Situationen, in deren Fugen sich das Unklare unserer Protagonisten befinden. Sexuelle Abhängigkeit hier, sexuelle Selbstbestimmung da. Schwere und Leichtigkeit. MÄDCHEN MÄDCHEN, ein sagenhaft schöner Film, besteht aus Dualismen, die sich wie Wellen verstärken oder abschwächen. Das Ergebnis ist zu jedem Augenblick einfach und übersichtlich … und doch vieldeutig und unklar. Pösie des Menschseins mit einem allgegenwärtigen Strom aus Schmier.
*****
Tatsächlich finde ich es schwer, etwas zu MÄDCHEN MÄDCHEN aufs Papier zu bringen. Das Geschehen ist auf sich zurückgeworfen … und klar. Es passieren Dinge und damit hat es sich auch auf gewisse Weise. Das, was der Film in mir auslöst, dass finde ich aber schwer aufzuschreiben. Da müsste ich tief in den Film und in mich tauchen. Sehr viel Zeit und Arbeit wäre das, dabei sollen das hier ja nur kurze Notizen sein. Ich möchte deshalb nur darauf hinweisen, dass sich MÄDCHEN MÄDCHEN, so verständlich er auch ist, sich sehr präzise und bohrend mit solchen Dingen beschäftigt, die schwer in Worte zu bringen sind.

Bill & Ted’s Bogus Journey / Bill & Ted’s verrückte Reise in die Zukunft
(Peter Hewitt, USA 1991) [blu-ray, OmeU] 5

ok

Wenn der Faith No More Gitarrist Jim Martin in der Zukunft von Disziplinterroristen als Geisel genommen wird, wenn evil Roboterdouble Bill & Ted töten und diese im Nachleben DAS SIEBTE SIEGEL als auch HELLBOUND: HELLRAISER II uminterpretieren dürfen, dann ist BILL & TED’S BOGUS JOURNEY wirklich wunderbar. Die erste Hälfte ist der inspirierteste Teil der Reihe. Leider folgt mit dem Himmel und dem damit einsetzenden Happy End aber nur noch Verzögerung, weil der Film nicht über Konflikte funktioniert, sondern als bunter Strauß von Ideen … und BOGUS JOURNEY scheitert völlig daran, im Himmel und im Glück weiterhin Absurdes zu finden.

Freitag 18.09.

Bill & Ted Face the Music / Bill & Ted 3
(Dean Parisot, USA/CA/I 2020) [stream, OmeU]

nichtssagend

Zu diesem gelingenden Film übers Scheitern bzw. diesem scheiternden Film über Erfolg gibt es etwas von mir auf perlentaucher.de.

Donnerstag 17.09.

Bill & Ted’s Excellent Adventure / Bill & Teds verrückte Reise durch die Zeit
(Stephen Herek, USA 1989) [blu-ray, OmeU] 6

gut

Im Gegensatz zu seinen Fortsetzungen ein in sich ruhender, auf das Wesentliche beschränkter Film darüber, dass die Eloi nicht Ausdruck einer Dystopie sind, sondern die Rettung vor Disziplin, Militär, Druck und Stress. Also vll. ein John Ford Film für die MTV-Generation.
Ich habe ihn dieses Mal erstmals im Originalton erlebt. Da wo die Synchronisation auf Grelles setzt, da findet sich im Englischen tatsächlich eine Sprache voll Adel in ihrer Simplizität und ausgestellter Zuvorkommenheit. Be excellent to each other! And party on, dudes! eben, statt: Bunt ist das Dasein und granatenstark. Volle Kanne, Hoschis!

Mittwoch 16.09.

Assault on Precinct 13 / Assault – Anschlag bei Nacht
(John Carpenter, USA 1976) [35mm] 5

fantastisch

Wieder durfte ich eine Einführung zu einem Film in der 35mm Kino-Reihe des Schillerhofs halten. Und wieder habe ich erzählt, dass es sich um einen Übergangsfilm handelt, filmisch wie gesellschaftlich.
Obwohl ASSAULT im (fiktiven) Ghetto Anderson von Los Angeles spielt und seine urbanen Gefilde nicht verlässt, handelt es sich um einen klassischen Western. Ein Polizeirevier wird belagert und das Fremde/das Andere versucht einzudringen, bis am Ende die Kavallerie kommt. Nach dazu ist RIO BRAVO ein direkter Einfluss. Auf der anderen Seite weist ASSAULT aber auch ins kommende Blockbusteractionkino der 80er Jahre. Die Lehren aus den Italowestern oder von DIRTY HARRY wurden gelernt. So gibt es beispielsweise den Running Gag, dass Napoleon Wilson (Darwin Joston) ständig nach einer Zigarette fragt. Nur ist dies anders inszeniert als im klassischen Hollywood. Machismo und Coolness bestimmen diesen einen Satz, der gut und gerne in einem Schwarzenegger/Stallone-Vehikel Platz finden würde: Got a smoke?
Einer der Gangmitglieder, welche das Revier in Anderson angreifen werden, sieht aus, als wäre Che Guevara sein Idol. Die Bürgerrechtsbewegung uswusf. sind am Rand von ASSAULT noch zu spüren. Aber das Streben nach einer Utopie wandelte sich zu Terrorismus und vor allem Desillusion. Hat Carpenters Hauptthema des Films noch einen warmen Bass und sphärische Synthesizer, so sind ein paar Jahre später nur noch die von Hall erkalteten Hi-Hats übrig und begründen den Gangsta-Rap, als Schooly D fragte, was PSK bedeutet. Irgendwo zwischen den Black Panther und Bloods and Crips befinden wir uns.
Die gesellschaftliche Verortung ASSAULTs findet sich auch in vier Western wieder. Die Kavallerie-Trilogie John Fords und deren Fortführung in THE SEARCHERS spürte einer Eskalation nach. In FORT APACHE kippt die Stimmung zwischen den Vertretern der USA und den Native Americans langsam und führt zu den American Frontier Wars (Indianerkriegen). Ein Dialog wäre und ist noch möglich. Tatsächlich wird er eher einseitig aufgekündigt, da ein faschistischer General (Henry Fonda) in den Apachen nur Befehlsempfänger sieht. Er sieht zwar ein, dass sie von skrupellosen Händlern in ihrer Existenz bedroht werden, aber etwas selbstständig unternehmen dürfen sie nicht. Sie müssen warten bis die Armee sich herablässt etwas für sie zu tun. Und weil sie dies nicht akzeptieren, bricht ein Kampf zwischen Armee und Apachen aus. In SHE WORE A YELLOW RIBON ist der Dialog nur noch Ausnahme und in RIO GRANDE nicht mehr möglich. Im dritten Teil dieser sich surreal zusammensetzenden Fortsetzungen herrscht auf beiden Seiten lediglich Hass aufeinander. In RIO GRANDE sind die Apachen lediglich das bedrohliche Andere, dass nur noch mit Gewalt handelt. Mit den vorangegangenen Filmen war dies aber eine nachvollziehbare Entwicklung, die in Paternalisierung und Rassismus von Seiten der weißen, protestantischen Angelsachsen begründet lag. In THE SEARCHERS ist der Schmerz dann tief verankert und den Leuten fehlt es noch im Frieden schwer, von ihrem Hass abzulassen.
ASSAULT beginnt mit einer Handvoll Leute, die mit Gewehren durch eine enge Gebäudeschlucht laufen. Ein Radiosprecher wird sie später als Gang identifizieren, aber zu diesem Zeitpunkt ist es nicht ersichtlich. Sind es militante Bürgerrechtler, die Symbionese Liberation Army oder Verbrecher? Auf die Bedrohung, die von ihnen ausgeht, wird mit einem Massaker reagiert. Sie werden von anonym bleibenden Gewehrläufen exekutiert, wie in den Erschießungsgräben der mexikanischen Revolution in GIÙ LA TESTA. Der Dialog ist sichtlich vorbei. Auf der einen Seite unverbesserliche Rassisten, die ihre Macht pervers ausnutzen. Auf der anderen stummbleibende Gangmitglieder, deren Sturm in ASSAULT als direkte Kopie aus NIGHT OF THE LIVING DEAD inszeniert ist. Die Marker sind da, dass hier mal jemand nach einer Utopie suchte. Die Zeiten sind aber lange vorbei.
Und doch steckt in ASSAULT ein Hoffnungsschimmer. Dieser wird direkt aus RIO BRAVO entlehnt. Dort schlossen sich ein alternder Sheriff, ein Trinker, ein Gehbehinderter, ein Jüngling und eine Spielerin zusammen, um der Belagerung zu trotzen, wobei sie zu einer Art Familie wurden. Hier sind es ein afroamerikanischer Polizist, eine Sekretärin, ein Rebell – der wie ein Vorgänger von Hannibal Lecter behandelt wird, aber im Film vor allem sympathisch wirkt – und ein afroamerikanischer Verbrecher die zusammen fürs Überleben und einen traumatisierten, hilflosen weißen Mann kämpfen und zusammenwachsen. Diversität scheint die Rettung zu sein.
*****
Nachteil der schönen Kopie war die deutsche Synchronisation. Das Schnoddrige war dabei gar nicht mal das größte Problem, sondern die kleinen Unfeinheiten in der Übersetzung. Wenn beispielsweise aus ca. There’s a war going on and we can’t find it. in etwa Folgendes wird: Da sind wir in einem Krieg und können den Feind nicht finden. Oder wenn Wells Entsetzen über das Cholo, die formelle Kriegserklärung der Gang, völlig entfällt.

Dienstag 15.09.

Rio Bravo
(Howard Hawks, USA 1959) [DVD, OF] 2

großartig

Wenn die Antagonisten nach dem finalen Shootout das Haus verlassen, in dem sie sich verschanzt hatten, dann sind sie lediglich in einer ziemlich weiten Totalen zu sehen. Sie tauchen auch nicht nochmal auf. Es gibt keine befriedigende Einstellung, die uns die Besiegten vorführt. RIO BRAVO gibt sich nicht mal mehr den Anschein, als wäre der von ihnen ausgelöste Konflikt irgendetwas mehr als ein McGuffin. Tatsächlich geht es im Film aber um Außenseiter, die zu einer Familie zusammenwachsen. Um Trinker, die ihre zittrigen Hände in den Griff bekommen müssen. Um ewig schimpfende Faktotums mit einem Herz aus Gold. Um junge Helden, die herausbekommen müssen, was ihnen wichtig ist. Vor allem aber um John Wayne, der von Angie Dickinson, von ihrer kecken Unbeugsamkeit und ihrem noch kecker eingesetzten Körper in die Unsicherheit eines grünen Jungen versetzt wird, wo er sonst alles im Griff zu haben scheint. Oder wie es David Thomson in seinem THE NEW BIOGRAPHICAL DICTIONARY OF FILM (4. Ausgabe) schreibt: ‘Rio Bravo‘, apparently a Western – everyone wears a cowboy hat – is a comedy conversation piece.

Montag 14.09.

Assault on Precinct 13 / Assault – Anschlag bei Nacht
(John Carpenter, USA 1976) [blu-ray, OF] 4

fantastisch

Eine der schönsten Momente des Kinos überhaupt ist, wenn die supercoole Polizeireviersekretärin Leigh (Laurie Zimmer) und der gefühlige Gefängnisinsasse Wells (Tony Burton) sich gegenüberstehen. Wells möchte wegrennen, weil er die Belagerung des Polizeireviers, in dem er sich befindet, nicht erträgt. Weil er den Kopf verliert. Leigh möchte ihn aufhalten, weil sie eh zu wenige sind, um den Ansturm der Gang lebender Toten von draußen abzuwehren … und weil er sinnlos in den Tod rennen würde. Aus der Hüfte hält Wells eine Pistole mit Schalldämpfer – einen enormen Phallus – zwischen sich und Leigh … um sie zu bedrohen und sie auf Distanz zu halten. Um sie einzuschüchtern. Sie greift aber einfach danach … und sobald sich ihre Finger um den Schaft legen, zuckt Wells leicht zusammen, als wäre es nicht ein Schaft, sondern seiner. Daraufhin ist er Wachs in ihren Händen. Auch weil sie nun erkennt, dass seine Waffe – durch so viel forsche Weiblichkeit mglweise – gar nicht geladen ist.

Sonntag 13.09.

Tenet
(Christopher Nolan, USA/UK/EST 2020) [DCP, OmU]

gut

Relativ früh im Film steht der Protagonist (John David Washington) an einem Tisch, auf dem eine Kugel liegt. Er hält seine Hand über die Kugel und sie fliegt in diese hinein. Eine Videoaufnahme zeigt den Vorgang rückwärts und siehe da, die Kugel war aus dieser Perspektive auf den Tisch gefallen. Aufhänger von TENET ist, dass Dinge invertiert sind und sich rückwärts in der Zeit bewegen. Aus Sicht der Kugel war also alles normal, aus Sicht des Protagonisten, der sich vorstellte sie fallen gelassen zu werden haben sein – leider greift der Film auf diese Kraft, soweit ich es nach der ersten Sichtung überblicke, nicht mehr zurück –, wirkt es wie Magie. Würde der Protagonist die Kugel aufheben und auf den Tisch fallen lassen, dann sähe es für ihn normal aus. Eine zurücklaufende Videoaufnahme, welche die Perspektive der Kugel offenbaren würde, würde dann die Magie zeigen.
In diesem simplen Aufbau ist der Sachverhalt noch übersichtlich. So überschaubar und klar TENET auch sonst ist, so wird genau dieser Umstand nicht in einer solchen simplen Anordnung weiterverwendet werden, sondern möglichst wirr. Der Protagonist wird später gegen eine invertierte Person kämpfen. Hektisch und unübersichtlich ist das Geschehen. Den Sinn hinter den einzelnen Bewegungen der zwei Kämpfer, die auf jemanden reagieren, dessen Bewegungsabläufe rückwärts erscheinen, sind schwer bis gar nicht nachzuvollziehen. Es ist eine Spielerei und Spiegelung, die TENET für eine gesamte Schlacht benutzen wird. Hier, mit diesem Kampf wiederholt er aber auf andere Weise, was schon mit der Kugel und der Videoaufnahme geschehen war. Vor und zurück war die Aufnahme zu sehen, immer wieder. Zumindest einmal wird die Kampfszene zwischen den beiden später im Film wiederholt werden. Doch auch hier ergibt alles kaum Sinn. Es gibt kein vor- und sofortiges Zurücklaufen, um die einzelnen Bewegungen verständlich zu machen. Auch beim zweiten Durchlauf ist intuitiv nur schwer bis gar nicht nachzuvollziehen, was hier (genau) passiert.
Der Umstand, dass ich tatsächlich Lust habe TENET wiederzusehen, liegt vor allem in der Lust begründet, diese Bewegungen besser zu verstehen … weil TENET in seinem Spieltrieb mit diesem Quatsch verwickelter Zeitabläufe am spannendsten ist. Mein Verdacht ist sowieso, dass wenn in einem Film von Christopher Nolan etwas nicht durcherklärt wird, dass damit etwas nicht stimmt. Nur spannender wird es dadurch. Wahrscheinlich ist es aber auch, dass zu viel Analyse der Einzelteile und ein entstehendes Verständnis auch die verbleibende Spannung zerstören würde … Aber so wie es ist, steht alles eh noch im Konjunktiv.
*****
Thomas G. bietet beim Perlentaucher einen schönen Überblick darüber, was gut und nicht so gut an TENET und dem Kino Christopher Nolans ist. Das Beste an dem Text ist aber, dass mich nach dem Lesen jedes Mal der Drang überkommt, in Futur V zu reden. Darüber hinaus stimme ich mit Thomas nur dahingehend nicht ganz überein, dass mich der Infodump etwas mehr eintrübt. Gerade in der ersten Hälfte wirkt es, als ob aus Wikipedia-Artikeln vorgelesen wird. Wenn er da vll. eine verspieltere Form finden könnte, wäre schon viel geholfen.

Sonnabend 12.09.

The Big Sleep / Tote schlafen fest
(Howard Hawks, USA 1946) [blu-ray, OF] 4

großartig +

Als Bogarts Marlowe an einem Punkt nicht weiterweiß, sehen wir ihn in einem Diner sitzen und überlegen, bis eine Lampe über ihm aufleuchtet. THE BIG SLEEP, ein Film, der mehr von sexuellen Anspielungen als von seiner übermäßig verwickelten Handlung angetrieben wird, ist manchmal sehr cartoonhaft. Wenn Bogart Bacall dann aus dem Diner anruft, um Unanständigkeit auszutauschen, steht zum Beispiel auf einem Schild hinter ihm: sausage. THE BIG SLEEP ist dergestalt nicht nur einer der großen Klassiker des Film Noir, sondern auch ein Vorbote des Kinos von Mel Brooks.

Freitag 11.09.

叉手 / Masked Avengers
(Chang Cheh, HK 1981) [blu-ray, OmeU]

gut

Das größte Problem mit den späten Filmen Chang Chehs sind die Darsteller. Jede der Phasen seiner Karriere wurde von charismatischen Hauptdarstellern begleitet, welche einen großen Einfluss auf Stimmung und Stil der Filme hatten. Die romantischen Blutbäder mit Jimmy Wang Yu waren grundlegend andere als die mit Ti Lung und David Chiang. Die Verspieltheit mit Alexander Fu Sheng ist eine andere als die mit dem Venom Mob. Auf die Venoms folgte aber nichts mehr. Sie verließen nach und nach die Filme, welche langsam ausbluteten. Philip Kwok, Lu Feng und Chiang Sheng spielen hier zwar noch mit, aber vor allem Chiang Sheng wird überhaupt nicht genutzt. Statt ihnen stehen gesichtslose, austauschbare Schauspieler im Mittelpunkt, die verhindern, dass dieser zuweilen verspielt sadistische Film richtig zu glänzen beginnt.

Mittwoch 09.09.

笑傲江湖 / Swordsman
(King Hu, Tsui Hark et al, HK 1990) [DVD, OmU]

großartig

Zu Beginn sind noch einzelne Momente im Film, die erahnen lassen, dass King Hu – laut Credits für die Regie verantwortlich, aber während der Produktion gefeuert – hier mal sowas wie die Entscheidungshoheit gehabt haben könnte. Relativ schnell wirkt es aber wie ein generisches Film Workshop-Produkt … weshalb auch Tsui Hark selbst, Ching Siu-tung und Raymond Lee als zusätzliche Regisseure geführt werden. Ann Hui als auch Andrew Kam hatten wohl auch ihre Hände im Spiel.
Generisch ist hier aber keinesfalls negativ gemeint. SWORDSMAN steht nie still, lässt die Hauptfigur drei Liebesgeschichten parallel und nebenher erleben, ist dreist, albern und wunderschön, jagt einem durch seine Welt und wieder zurück – es ist schwer vorstellbar, wie dieser Film aus der Hand King Hus ausgesehen hätte und wahrscheinlich kam es auch einfach zur Trennung, weil Tsui Hark keinen ruhigen Film haben wollte. Einzig Sam Hui steht dem Film (leider) ein wenig im Weg, weil er hier über seinem Zenit nur noch wie ein blasser Ersatz für jemanden wie Stephen Chow oder Jet Li wirkt, welche den Film alberner respektive akrobatischer gemacht hätten.

Dienstag 08.09.

Weird Science / L.I.S.A. – Der helle Wahnsinn
(John Hughes, USA 1985) [blu-ray, OmeU] 2

großartig

Zu dieser Comicverfilmung ohne Vorlage, in der es darum geht herauszufinden, wann man ein Mann ist, gibt es bald einen Text auf critic.de.

Freitag 04.09.

蔡李佛小子 / The New Shaolin Boxers
(Chang Cheh, Wu Ma, HK 1976) [blu-ray, OmeU]

gut +

Triaden nehmen Chung Chiens (Alexander Fu Sheng) Nachbarschaft aus und alle ducken sich weg. Er jedoch kämpft ohne Plan, Voraussicht und Rücksicht auf Verluste gegen sie … und gegen den ausdrücklichen Wunsch derer, die er retten möchte. Ein Pfad aus Zerstörung und Tod entsteht um ihn. Doch Chang Cheh scheint es hier nicht um eine weitere Ausformulierung seiner yang gang-Ideologie zu gehen, also um seine Vorstellung von harten Männern, weil THE NEW SHAOLIN BOXERS einfache nur eine Dichotomie bereithält. Hier sind die Duckmäuser, die jämmerlich sind, dort der harte Kämpfer, dessen Handeln idiotisch ist und das Leid um ihn nur vergrößert. Es gibt keine Lösung dafür, wie es kein übermäßig blutiges Finale gibt, dass zu einer Form von Katharsis führt. Es bleiben lediglich die Gangster und die Hilflosigkeit, in der sie den Rest der Welt festsetzen.
Wenn die finalen Kämpfe einsetzen, dann wird ziemlich früh im Kampf die Einstellung pausiert und von der Ausgangshaltung Alexander Fu Shengs zu einer Vorführung seines Kampfstils in Schwarzweiß geschnitten. Einer Vorführung ohne Gegner. Das bekannt pessimistische Weltbild der Chang Cheh Filme bietet hier also lediglich die Bühne für eine spezielle Form von Kampfkunst, dem Choy Li Fut.

Donnerstag 03.09.

The Hangover Part III / Hangover 3
(Todd Phillips, USA 2013) [stream, OmeU]

nichtssagend

Ein Remake von APOCALYPSE NOW!, in der ins Herz von Alans (Zach Galifianakis) Asozialität vorgedrungen wird. Überall finden wir Dopplungen seiner fehlenden sozialen Fähigkeiten, mal als Schrecken, mal als Aussicht auf Rettung in einer Liebesgeschichte. THE HANGOVER 3 macht dabei das genaue Gegenteil des zweiten Teils. Es wird nämlich nichts mehr kopiert. Es werden zwar immer wieder Absprungstellen geboten, von denen es doch scheinbar doch zur normalen HANGOVER-Erzählung übergehen müsste. Doch jedes Mal wird der Haken zum Bekannten verweigert. Abermals sind es jedoch die weniger spannenden Orte, zu denen sich begeben wird.

Mittwoch 02.09.

The Hangover Part II / Hangover 2
(Todd Phillips, USA 2011) [stream, OmU]

nichtssagend

Wenn der zweite Teil von THE HANGOVER keine 1zu1-Kopie des Vorgängers ist, dann ist er eine Variation, die mit unserem Wissen um das Original spielt. Dann macht THE HANGOVER 2 eben etwas anders als THE HANGOVER, obwohl es so schien, als würde er wieder alles nochmal genauso machen, nur diesmal in Bangkok statt in Las Vegas.
Nur verlieren hier alle Beteiligten ihre Sympathiepunkte. Stattdessen bekommen wir das Gerüst einer sehr düsteren Erzählung über gehemmte Familienväter, die sich zu Hause ständig gezügelt fühlen und die in Südostasien die Sau rauslassen. Alles was in Las Vegas also schon im Kleinen passierte, geschieht folglich hier im Großen, weil Bangkok noch gesetzloser ist. Im Abspann hätte auch SAMURAI von der E.A.V. laufen können und es hätte formidabel gepasst. Aber um eine wirklich bittere Vision zu sein, verfolgt er wieder zu wenig die dunklen Seiten seiner Protagonisten – diese sind nur kurze Nebenbemerkungen –, sondern vergrößert die Krimibetriebsamkeit um noch mehr fruchtlose Nebenschauplätze wie die polizeiliche Verfolgung von Faktotum Leslie Chow (Ken Jeong).

Dienstag 01.09.

The Hangover / Hangover
(Todd Phillips, USA/D 2009) [stream, OmeU] 2

ok

THE HANGOVER versucht einen nicht darstellbaren Exzess durch dessen Abwesenheit indirekt darzustellen. Drei Freunde folgen der Zerstörungsschneise ihrer vergangenen Nacht, da die Erinnerungen an diese von einem Blackout ausgelöscht sind. Dieser Krimi erzählt folglich nur mit Surrogaten von Erfahrungen. Da der Film aber keinen Weg findet/sucht, die Stimmung dieses indirekten Geschehens anders zu setzen, folgt Montage mit Musik, auf Montage mit Musik. Das Ergebnis ist ein durchaus sympathischer Film, aber auch einer, der ein wenig mau ist. Stellen wir uns vor, was jemand wie Wong Jing mit diesem Konzept gemacht hätte…
Dass der Umstand bis kurz vor Ende verschleiert wird, dass der Lebemann der drei (Bradley Cooper als Phil) tatsächlich Ehemann und Vater ist, ist eine der spannendsten Dinge des ersten Teils. Es ist eine dunkle Vorahnung auf die Fortsetzungen.

August
24.08. – 31.08.: Il cinema ritrovato

Sonntag 30.08.

Les Travailleurs de la mer
(André Antoine, Léonard Antoine, F 1918) [35mm, OZmeU]

gut +

Gilliat (Romuald Joubé), der Außenseiter in einem Fischerdorf, muss das Meer, Klippen und einen Oktopus bekämpfen, um das Herz einer Frau zu erobern. Vor allem bezieht er seine Kraft dafür aus Büschen, aus welchen er die von ihm Geliebte des nachts beobachtet und die ihn mit Phantasie aus Mondlicht versorgen, die so schön sind, dass er es einfach mit der Realität, ihren Monstern und brutalen Felsriffen aufnehmen muss. Phantasien, die ihn aber auch zerstören … denn doch liebt sie einen anderen. Final ist so sehr ans Leiden gewöhnt, dass er sich auch noch für die Erfüllung ihrer Liebe uneigennützig abrackern wird.

Levande färg / Vivid Colors k
(Gösta Werner, S 1961) [35mm, OF]

gut +

Die Zurschaustellung eines optischen Effekts. Mehrere Glasquader in unterschiedlichen Größen sind nebeneinander aufgebaut. Alleine sind sie durchsichtig. Wird durch zwei oder mehr geschaut, sehen die Schnittstellen farbig aus. LEVANDE FÄRG fährt die Installation ab und umkreist sie. Der Effekt ist einfach und für die sieben Minuten des Films imposant: Oh Farben!. Jemand müsste das hiesige optische Museum mal auf diesen Film aufmerksam machen…

Mauritz Stiller m
(Gösta Werner, S 1966) [16mm, EF]

ok

Ein klein wenig bietet diese Dokumentation auch eine biographische Erzählung zum finnisch-schwedischen Regisseur Mauritz Stiller. Es sind aber Bewegtbilder, die für diesen Film alles sind. Wenn zum Beispiel über den familiären Hintergrund der Familie Stiller erzählt wird, dann sehen wir ausgiebig historische Aufnahmen des schwedischen Königshauses. Scheinbar ging es nicht näher an die Stillers heran, weshalb eben dieser Kontext reichen musste. Hauptsache die Bilder bewegten sich. Wenn der Film jedoch darlegt, dass Greta Garbo nach der perfekten Nutzung durch Stiller in Hollywood erst völlig falsch eingesetzt wurde, dann sind Fotos zu sehen. Alles andere würde diesen Werken wahrscheinlich zu viel Respekt zollen.
Da es keine Heimvideos von Mauritz Stiller gibt, sehen wir den größten Teil des Films dann auch eine Art Best-of seiner Filme. Die Ausschnitte könnten möglicherweise als Beweise des Können Stillers gedacht worden sein. In ihrer schlechten Qualität – vor allem sind die Kontraste und Schärfe dahin – ist nicht ganz klar, was sie beweisen sollen. Das Baumsurfen aus DAS LIED DER ROTEN BLUME sah letztes Jahr sehr beeindruckend aus. In dieser 16mm Doku macht sie wenig her. Weshalb dies wie der scheiternde Versuch eines Fanboys wirkt, der nicht die Mittel hat, um seine Liebe zu vermitteln.

Goya – oder Der arge Weg der Erkenntnis
(Konrad Wolf, DDR/UdSSR 1971) [35mm] 2

fantastisch

Zuletzt, wenn der Großinquisitor bedeutungsschwer in die Kamera schaut und anklagend für Zensur im Allgemeinen einsteht, dann haben wir einen langen Weg hinter uns gebracht: das Kostümdrama über einen Gockel am spanischen Königshof; eine Klamotte, die den Einbruch von Egalität in der Monarchie in direkter Nachbarschaft zur französischen Revolution begleitete; ein Beziehungsdrama, dass in jemanden endet, der sich von Dämonen verfolgt fühlt; eine Don Quichottenade; den Verlust und die Zerstörung von Zusammenhängen und damit einer entschiedenen Weltordnung. Wenn dieser Blick des Inquisitors also etwas prätentiös wirkt, dann ist das nicht weiter schlimm, weil es das letzte Zuviel eines riesigen, schwer verdaulichen Brockens ist.

Buba m
(Nutsa Gogoberidze, UdSSR 1930) [DCP, EZ]

gut

Die Musik dieses Stummfilms war Teil der DCP und wurde ausnahmsweise nicht live eingespielt. Leider, weil sich der Ton wie eine mp3 anhörte, die mit 96 kBit gerippt worden war. Die Musik klirrte also fürchterlich, während sie die Dokumentation über das Leben in einer abgelegenen georgischen Bergregion – es ging um die Schwere des dortigen Lebens, um Erde und Getreide, Brücken und Gletscher, Touristen, die das alles genießen, und Kinder, die zum Lebenserhalt des Dorfes Nesseln pflücken müssen, – nicht begleitete, sondern die Aufmerksamkeit auf sich zog.

Užmuri / Uzhmuri: The wicked deity of Mengrelian swamps – tropical malaria m
(Nutsa Gogoberidze, UdSSR 1934) [DCP, oZ]

ok

Die Zwischentitel fehlten und die schwarzen Einstellungen, welche sich an den Stellen befanden, wo diese hätte sein sollen, waren lediglich italienisch untertitelt. Deshalb war ich während der Sichtung von UŽMURI etwas verloren. Aber auch weil sich die unpassende Musik wie zuvor in BUBA als aufdringlicher Stimmungsmacher verstand. Von der Musik her könnte diese Auseinandersetzung des Konfliktes von (sowjetischen) Fortschritt und heidnischer Tradition, bei der die Tradition das lächelnde Gesicht des Fortschritts in einem Sumpf lockt und dort umkommen lassen möchte, wie dort zuvor der Ochse, das wichtigste Arbeitstier des Dorfes, im unentrinnbaren Matsch Lebenswille und Leben verlor, auch eine Hexengeschichte sein. Der englische Titel gibt es her. Nur findet sich nichts Übernatürliches – auch nichts, das an den Glauben der Figuren an solches verweist – in den Bildern.
Es ist aber auch nicht eine der Stärken UŽMURIs, eine Geschichte über die Bilder zu erzählen. Die einzelnen Einstellungen waren für sich zwar sehr stark, aber das Zusammenführen dieser schuf keinen Kontext. Wie gesagt, handelt es um die zentrale Stelle des Films, wenn ein Mann im Sumpf feststeckt. Zwischen diversen Dingen schneidet der Film währenddessen hin und her. Der Mann, der umgeben von Matsch seine Kraft verliert und sich zunehmend hängen lässt. Eine Frau, die, von einem Hund gerufen, ihm zur Hilfe eilt, leidet unter ihrer Hilflosigkeit und dem drohenden Verlust ihres Geliebten. Die alte Frau, die den Mann in den Sumpf lockte, legt ein Feuer im Schilf der georgischen Pampa. Arbeiter machen eine Pause. Alles für sich war sehr klar und eindrucksvoll. Aber war der Mann durch das Feuer bedroht? Waren die Pause machenden Männer in seiner Nähe, um ihm möglicherweise helfen zu können? War die Frau nah genug an ihm, um ihn mit einem Ast oder ähnlichem zu helfen? Es gab zwar emotionale Eindrücke, aber schon einfachste Informationen konnte UŽMURI nicht vermitteln … gerade, wenn die Zwischentitel fehlten.

Smash-Up: The Story of a Woman
(Stuart Heisler, USA 1947) [35mm, OF]

gut

Eine Frau (Susan Hayward als Sängerin Angie Evans, die zur überflüssigen Hausfrau degradiert wird) fürchtet sich vor Stresssituationen und kann sich diesen nur mit Alkohol stellen. Passenderweise heißt sie auch noch Angie, was der Film deutlich als Version von Engel versteht. Der Druck auf sie ist enorm, weil schon der Name ihr vor Augen hält, dass sie sich gefälligst wie ein Engel zu verhalten hat, weil es sonst etwas setzt. Aus der Krücke wird so schnell eine Krankheit und SMASH-UP ein weiterer Film Stuart Heislers über Alkoholismus.
Ein Mann (Lew Bowmann beeindruckend als Superstar ohne Charisma Ken Conway) erträgt nicht mehr, dass er von seiner Frau ausgehalten wird. Also wird er reich und berühmt, um sie im Wohlstand zu ersticken. Tatsächlich spricht er immer wieder von Liebe, aber fast wirkt es wie Rache für die empfundene Erniedrigung, dass Angie ihm das Taxi bezahlte, wenn er sie in einen goldenen Käfig sperrt, wegrennt und wenn seine Verachtung für sie mit jedem ihrer Ausbruchsversuche wächst.
Der Name von SMASH-UP sagt im Grunde alles. Sensationsgeil wird auf eine Frau eingedroschen. Der Traum von Liebe wird mittels besagten Mannes, der da ist, um sie zu quälen, zur Hölle. Beide bekommen ein Kind. Nach seiner Geburt verschwindet es aber auch völlig aus dem Film, bis es endlich eine lebensbedrohliche Lungenentzündung bekommen kann. Denn es befindet sich solange in Obhut eines Kindermädchens, bis mit ihm Angie seelisch und moralisch zerstört werden kann. Alles wird dafür getan, um ihren Alkoholpegel hochzuhalten.
Das Ergebnis ist sadistisch. Nicht nur weil Angie gequält wird, sondern weil hier absolut niemand bekommt, was er oder sie sich wünscht. Weshalb SMASH-UP eben von einer Welt handelt, in der harter Alkohol und Zigaretten wie Süßigkeiten ausgegeben werden, und von dem sozialen Kitt, der eine kaputte Gesellschaft zusammenhält.

Sonnabend 29.08.

Hostages
(Frank Tuttle, USA 1943) [35mm, OF]

großartig

Wenn hier eine einheitliche Front von Untergrundpartisanen gegen eine Ansammlung von Banditen (Nazis) und Kollaborateuren kämpfen, dann ist der Titel HOSTAGES über die Tatsache hinaus sprechend, dass der Film von Geiseln handelt, mit denen die Nazis sich bereichern wollen und die es zu befreien gilt. Vielmehr wird eine allgemeine Geiselnahme porträtiert. William Bendix, der den Untergrundkämpfer Karol Vokosch spielt, kann sich keine vielseitige Persönlichkeit mehr leisten. Um seinen Häschern zu entgehen, muss er seine Masche einer unbedarften Jämmerlichkeit aufrechterhalten, damit er stets unterschätzt wird. Er ist zu einem Leben als Clown und One-Trick Pony verdammt. Und so muss jeder eine Rolle spielen, die von den Nazis akzeptiert wird. Von Nazis, die hier nicht aus ideologischen Gründen handeln, sondern weil sie Verbrecher sind, die sich alles so zurechtbiegen, dass sie ihre Macht und ihren Reichtum erhalten und vergrößern können. Weshalb die Nazis selbst dazu verdammt sind, untereinander Rollen zu spielen. Denn die Bedrohung aus dem Raster zu fallen und versetzt, zusammengeschlagen oder getötet zu werden, besteht auch für sie immer und überall. Und so existiert die Prager Resistance lediglich in Bars und Hinterräumen, wie die Nazis nur in Büros und Verließen existieren können. Jeder bekommt die passende Bühne.

Storm Warning / Der Gefangene des Ku-Klux-Klan
(Stuart Heisler, USA 1951) [DCP, OF]

großartig

In der ersten Hälfte wird ziemlich viel Didaktik betrieben. Die Bewohner einer Stadt in den Südstaaten werden sehr sanft angefasst. Oft kommt STORM WARNING auf den Punkt zurück, dass diese in der Mehrheit den Ku-Klux-Klan nicht unterstützen, dass sie lediglich Angst vor einem korrupten Verein haben, der Steuern hinterzieht und Kritiker mit Gewalt einschüchtert. Dass der KKK die Stadt in Geiselnahme hält. Und dies sei größte Problem. Afroamerikanischen Bürger gibt es in dieser Innenstadt auch nicht. Der Rassismus, der den Klan antreibt, wird zu keinem Zeitpunkt thematisiert.
Wenn in der zweiten Hälfte aber der Sturm einsetzt, dann besteht STORM WARNING nicht mehr aus Erklärungen, sondern aus Menschenmassen. Menschenmassen vor einem Gerichtsgebäude, wo der Klan mit einem Mord belangt werden soll. Menschenmassen in einer Stadt im Feiermodus, nachdem das Verfahren scheiterte. Die Stadt wird zu einer einzigen Fratze, die sich zusätzlich in einem hochintensiven Missbrauchs- und Ehedrama versinnbildlicht. Menschenmassen bei einer Klanzusammenkunft. Überall stehen sie. Massen, durch die sich gekämpft werden muss, die einen zu verschlingen drohen, die einem alleine beim Zusehen ein Verlangen zur Flucht verursachen. Vorbei ist die Zeit einer wiederholt dargestellten Ideologie, dass das Problem durch eine Minderheit verursacht würde, die nicht in der Mitte der Gesellschaft verankert wäre. STORM WARNING wird im Gegensatz zum Portrait von Ohnmacht im Angesicht einer Übermacht.
Einen hilfreichen Ansatz gegen das soziale Problem KKK bietet STORM WARNING auch am Ende nicht. Der Klan beziehungsweise ein für ihn einstehender Schläger muss das Fass zum Überlaufen bringen, damit etwas geschehen kann. Es ist keine systematische Lösung, aber eine wunderschön anzusehende, wenn ein von Ronald Reagan gespielten Anwalt mit seinen One-Linern die Masse anstrengungslos teilt. Nach einem Hello Ed. How’s the dairy?, nach dem Herausgreifen aus der Allgemeinheit lässt sich eben nicht mehr so einfach hinter Kapuzen, Gewehr und dem Glauben, Teil einer Mehrheit zu sein, verstecken. So sanft STORM WARNING lange ist, so brutal macht er aus einem Übel eine Ansammlung von stupid, rigorous apes und bietet einem eine gutgelaunte Dekonstruktion von Leuten, die sich hintereinander verstecken, um in der Masse unangreifbar zu sein.
*****
Da Ginger Rodgers die einzige Person ist, die vom Ku-Klux-Klan gefangenen genommen wird, stellt sich die Frage, wer der Gefangene ist, von dem der deutsche Titel spricht. Verschwindet ihr Geschlecht nur hinter dem generischen Maskulinum, ist es die Gesellschaft oder sind es sogar die Männer, die Mitglieder des Klans, die von der Ideologie des Klans gefangengenommen wurden – und sich nicht diese Ideologie suchten, um sich machtvoll zu fühlen und dreist ihre Verbrechen zu legitimieren?

Грозный Вавила и тётка Арина / Terrible Vavila and Auntie Arina k
(Nikolai Khodataev, Olga Khodatayeva, UdSSR 1928) [DCP, OZmeU]

ok

Ich möchte hier die Chance nutzten, um auf einen Kommentar bei letterboxd.com hinzuweisen, der den Film schön zusammenfasst:
a cool little short illustrating that men will have to be beaten and literally dragged into accepting rights for women
love that all the women get together and organize and the big lesbian sun shines down upon them with a warm, smiling face

Гаврош / Gavrosh
(Tatyana Lukashevich, UdSSR 1937) [35mm, OmeU]

ok

LES MISÉRABLES wurde in GAVROSH fast bis ins Abstrakte verkürzt, wobei süße Tiere und süße Kinder in einem korrupten Pfuhl ums Überleben kämpfen. Wenn sich der Film darauf einschießt, eine Revolution zu porträtieren, dann tauchen Figuren wie alte Bekannte auf. Nur waren sie davor nur minimalst Teil der Erzählung. Und trotzdem sind sie einem nicht weniger fremd als die restlichen Figuren.

洲崎パラダイス 赤信号 / Suzaki Paradise: Red Light
(Kawashima Yūzō, J 1956) [DCP, OmeU] 2

großartig

Wiederholt wird Tsutue (Aratama Michiyo) in SUZAKI PARADISE sehr subtil Hure genannt. Der Film spielt am Rand des Rotlichtmilieus und wenn Sexarbeiterinnen an ihr vorbeigehen, fragen sich diese laut, ob sie Tsutue nicht kennen, ob sie nicht eine alte Kollegin sei. Sie kommt ihnen so bekannt vor. Dieser abermalige Ensemblefilm Kawashimas, der seine Aufmerksamkeit zwischen drei Personen wechseln lässt, die Teil von zwei Paaren sind, deren Schicksale und Obsessionen sich doppeln bzw. spiegeln, zeigt die dunkle Seite des Wirtschaftswunders in Japan. Er zeigt die Teile der Gesellschaft, wo der einsetzende Reichtum nur indirekt hin kleckert, wo dieser nur durch Mittel zu erreichen ist, die zu gesellschaftlichen Brandmarkungen führt, wo sich nicht von selbstzerstörerischen Liebesbeziehungen gelöst werden kann, wo direkt an der Brücke zu Ausbeutung und Heuchelei gelebt wird … immer in Gefahr einmal die Brücke (nicht zum eigenen Vergnügen) zu überqueren.

The Blacksmith m
(Buster Keaton, Malcolm St. Clair, USA 1922) [DCP, OZ, ł]

gut

Keaton selber war wohl nicht so glücklich mit THE BLACKSMITH. Er drehte zwar noch Szenen nach, um dem Film noch etwas aufzuwerten, diese landeten aber nie im Film. Sie wurde 2013 zufällig entdeckt und wurde nun bei dieser Vorstellung als Bonus nachgereicht. Im Grunde handelt es sich um eine Ansammlung von einzelnen Situationen, die mal mehr, mal weniger gelungen sind. Spannend ist dabei vor allem, wie wenig nötig ist, um eine verständliche Geschichte daraus zu erhalten. Denn eigentlich gibt es keine. Es fängt ohne Exposition an – wir bekommen weder Ort, Figuren, noch ihre Verhältnisse zueinander erklärt – und die Einzelteile drehen sich lediglich um die (phantasievolle) Zerstörung von Dingen. Aber doch wirkt es am Ende, als ob dies eine Liebesgeschichte gewesen war.

The Triumph of Lester Snapwell k
(James Calhoun, USA 1963) [DCP, OF, ł]

nichtssagend

In den 50ern und 60ern drehte Buster Keaton einige Werbespots. Il cinema ritrovato versucht wohl schon seit Längerem einige davon aufzuführen, jedoch sind die von den Rechte innehabenden TV-Sendern aufgerufenen Gebühren wohl opulent. Mit einem hat es nun funktioniert … und es fehlten gleich die ersten ca. 8 Minuten. (In dem oben verlinktem Stream ist der Film vollständig zu sehen.) Nach der Szene mit dem bärtigen Polizisten setzt die Version ein, die zu sehen war. Im Gegensatz zu THE BLACKSMITH, wo sich Buster Keaton vll. noch finden musste, ist dies nur noch ein Schatten seines Könnens. Der Film nutzt im Grunde nur sein Gesicht, verzichtet aber fast völlig darauf etwas von den Stunts und Situationen zu rekreieren, welche ihn berühmt machten.

This Gun for Hire / Die Narbenhand
(Frank Tuttle, USA 1942) [DCP, OF]

gut

Es gibt:
– einen altersschwachen, an einen Rollstuhl gefesselten Bondbösewicht, der hinter sieben sich automatisch öffnenden Türen an der Spitze eines Hochhauses lebt, der seine Kekse in Milch tunken muss, weil er keine Zähne mehr hat, der seine Angestellten mit Gasmasken herumlaufen lässt und der bis zum Ende erzniederträchtig ist.
– einen Killer, der keine Gewalt gegen gelähmte Kinder und Katzen erträgt, der aber doch eine Katze tötet, damit diese seine Häscher nicht auf ihn aufmerksam macht. Danach – es muss sich um ein Highlight in der Schauspielkarriere von Alan Ladd handeln – schaut dieser gefühlskalte Auftragsmörder ziemlich bedröppelt drein.
– eine zaubernde Veronika Lake, die nach zwei Nummern damit aufhören muss, weil es wichtiger ist, dass ihre Figur dem Killer in einem irrlichternden Plot hinterherhechelt.

Freitag 28.08.

Roman Scandals
(Frank Tuttle, USA 1933) [35mm, OF]

nichtssagend

Eine von Busby Berkeley choreographierte Tanzszene, die um Kontraste konzipiert wurde – hellhäutige Blondinen vor dunklem Hintergrund und Afroamerikanerinnen vor hellem Hintergrund umkreisen einander – und ein Sklavenmarkt, der die Möglichkeiten des Pre-Code-Hollywoods ausreizt: es gibt tolle Momente in ROMAN SCANDALS. Größtenteils wirkt dieses Vehikel für Komiker Eddie Cantor aber wie eine Marx Brothers Komödie auf Ritalin.
Nebenschauplatz: in diesem Film, welcher die Fantasie eines Sonderlings darstellt, der sich ins Römische Reich träumt, haben weiße Sklavinnen, die zur Unterhaltung gedacht sind, selbst schwarze Sklavinnen. Die Hierarchie der Segregation wird noch in die Antike verschleppt.

Among the Living / Zum Leben verdammt
(Stuart Heisler, USA 1941) [35mm, OF]

großartig

Vll. fehlte am Ende das Budget für mehr. Für mehr Szenen in denen Albert Dekker als evil twin gleichzeitig im Bild zu sehen ist. Für ein Ende, dass nicht nach einer Stunde so überstürzt zu einem glücklichen Ausgang findet, wo doch alles bereit war, um noch mehr zu eskalieren. Dieser Film aus Schatten, southern gothic und verrückter Professor-Kulissen, aus aufgepeitschten Lynchmobs und Leuten, die psychopathische Entscheidungen treffen, aus wunderschönen Bildern und manischen Schauspieler, dieser Film zwischen bedrohlichem Sex und bedrohlichen Verwandtschaftsverhältnissen, welche die eigene geistige Gesundheit beeinträchtigen, hätte nur mit etwas mehr, so viel besser sein können.

The Battle of Midway / Schlacht um Midway k
(John Ford, USA 1942) [DCP, OF] 2

nichtssagend

Ich finde keinen Beweis dafür, aber: Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich THE BATTLE OF MIDWAY bereits sah. Fast genauso sicher bin ich mir, dass ich ihn hier in Bologna bereits als 240p-youtube-stream-artige DCP sah – der Film wird zumeist als Propaganda mit beeindruckenden Kriegsaufnahmen beschrieben, wahrscheinlich liegt es an der ausbaufähigen Qualität, dass ich bisher nicht beistimmen kann.

Daisy Kenyon
(Otto Preminger, USA 1947) [35mm, OF] 2

fantastisch

Anwalt Dan O’Mara (Dana Andrews) steht mit seiner Tochter in einem Zwischenraum. Zwei (gerade geschlossene) Türen gehen von diesem ab. Hinter der linken wartet der Aufbruch des Vaters in die Zukunft – in Form des Ehemanns (Henry Fonda) seiner Geliebten (Joan Crawford), mit dem er die Weichen für eine Scheidung stellen möchte. Hinter der rechten wird seine Vergangenheit abgewickelt – dort wird sein Büro in der Kanzlei seines Schwiegervaters geräumt, dem er gekündigt hat, als er seiner Ehe den Rücken kehrte. Die Tochter, welche von ihrer Mutter misshandelt wird und sich zum Vater retten möchte, schiebt er hinter die rechte Tür ab. Zur Krönung nennt er sie zum Abschied noch Honeybunch, womit er lächelnd Leute tituliert, die ihm im Grunde egal sind. (Die Steigerung wäre Sugarplum, womit er freundlichst seine Verachtung ausdrückt.)
DAISY KENYON ist ein sehr dichter Film, der seine Dreiecksgeschichte als ständiges Hin und Her versteht. Tatsächlich sehen wir den emotionalen Zweifrontenkrieg Daisy Kenyons (Joan Crawford), die sich abwechselnd mit ihrem Liebhaber und ihrem werdenden Ehemann herumschlägt. In einem Café findet sich das Vorgehen des Films im Kleinen. Alle drei sitzen zusammen und im beständigen Schuss und Gegenschuss sitzt sie je nach Entwicklung mal mit dem einen, mal mit dem anderen in einer Einstellung, dem jeweils Übriggebliebenen gegenüber. Die Front steht nie still zwischen den Dreien, weil Liebe in DAISY KENYON keine Rettung ist, sondern ein Kampf. Ein Kampf, der wie in der oben beschriebenen Szene recht sachlich erzählt wird. Unterhalb dieser Sachlichkeit lauern aber Sadismus, Hysterie, Achtlosigkeit und der Kampf mit den eigenen Dämonen.
Lediglich das Entscheidende wird in diesem Liebeskrieg gezeigt. D.h. nur die Momente, die zu Entscheidungen führen, nicht unbedingt aber die, in welchen sie umgesetzt werden. Die zeitlichen Sprünge in der Handlung können deshalb durchaus groß sein, mit ihnen fiel aber nichts Dramatisches weg. Das Intensitätslevel von DAISY KENYON ist folglich beständig hoch. So hoch, dass irgendwann ein Telefonklingeln brutaler ist, als die Messerstiche in der Dusche von PSYCHO.
Ein schöner Einfall: Wenn die Figuren von Dana Andrews und Henry Fonda im Kampf um die Liebe Daisy Kenyons Ernst machen, dann trinken sie vorher Milch, um sich zu stärken.

銀座二十四帖 / Tales of Ginza
(Kawashima Yūzō, J 1955) [35mm, OmeU]

nichtssagend

BETWEEN YESTERDAY AND TOMORROW nur als überspanntes Feststecken in einer Gegenwart, die sich nicht von der Vergangenheit zu lösen vermag. Drogenthriller, Melodrama und Essay ist TALES OF GINZA, aber alles steht still. Es ist Spannungskino, in dem jeder Schritt in Richtung Auflösung tatsächlich niemanden weiterbringt. Die Spannung löst sich nie, weshalb der Film von einem Gefühl ewigen auf der Stelletretens bestimmt ist. Und wenn sich dann doch zum Finale geschleppt wurde, dann wird wieder unendlich nochmal über alles geredet. Die Hölle…

The Negro Soldier m
(Stuart Heisler, USA 1944) [35mm, OF]

ok

Ein Essay über afroamerikanische Soldaten. Den Rahmen bildet ein afroamerikanischer Priester, der zu seiner Gemeinde von diesen spricht. Vom Unabhängigkeits- bis zum Zweiten Weltkrieg wird ihre Bedeutung aufgearbeitet und für den gerade herrschenden Krieg unterstrichen. Viele wichtige Fakten (für eine immer noch rassistische USA) werden darin präsentiert. Das Problem ist aber, dass dieser Film nicht für Kinos gedacht war, in denen Weiße verkehrten. Diese Propaganda ist einfach als Fänger afroamerikanischer Bürger gedacht. Und damit entsteht ein unangenehmer Beigeschmack. Vor allem weil in den Spielszenen das Bild einer diversen Armee gezeichnet wird, während die Dokumentaraufnahmen nur Segregation bereithalten.
Ein schöner Moment ist, wenn der Priester zu Beginn erklärt, dass er seine vorbereitete Rede nicht halten wird und stattdessen über etwas reden möchte, dass ihm unter den Nägeln brennt. Spontan zückt er während dieser so als Improvisation gekennzeichneten Rede MEIN KAMPF, um daraus zu zitieren und die Gefahr zu verdeutlichen. Es wirkt dadurch wie ein Buch, dass er immer griffbereit auf seiner Kanzel aufbewahrt.

The Star
(Stuart Heisler, USA 1952) [DCP, OF]

großartig

Eine Studie für WHATEVER HAPPENED TO BABY JANE?, bei der Betty Davis dabei beobachtet werden kann, wie sie Gefallen daran hat, sich selbst zu entstellen … und wie sie Anlauf nimmt, um bei Aldrich noch viel weiter zu gehen. Bei aller Selbstreferentialität ist dies aber keinesfalls ein autobiographischer Film, sondern der Legende nach ein Wunsch Davis‘ für Joan Crawfords Karriere/Leben.

Donnerstag 27.08.

The Glass Key / Der gläserne Schlüssel
(Frank Tuttle, USA 1935) [35mm, OF]

großartig

Am schönsten ist THE GLASS KEY, wenn George Raft von einem Schläger mit einer Faust aus Gold – statt einem Herz aus solchem – zusammengeschlagen wird. Die dabei gebotene Physis ist beeindruckend. Und überhaupt geht es weniger um die hard-boiled Detektivgeschichte ohne Detektiv, sondern um den kriminellen Unterbau der Politik. Der Politiker, der Wahlmänner in der Hand hat, agiert hier eben auch wie ein Gangster. Statt auf Kompromisse und Strategie setzt er auf Durchschlagskraft und Freundschaft. Das im Drehbuch am Rande mitfließende Thema vom Aufstieg vom Straßengangster zum Politiker, wobei die Straße nicht abgeschüttelt wird, dringt in THE GLASS KEY aus jedem Bild. In den Kaschemmen, der Gewalt und der Körperlichkeit.

The Glass Key / Der gläserne Schlüssel
(Stuart Heisler, USA 1942) [DCP, OF]

ok +

Jede Figur, egal ob sie gut oder schlecht besetzt ist, entwickelt hier weniger Charisma als in Tuttles Version von 1935. Ebenso sieht alles weniger räudig aus. Selbst die heruntergekommenen Ecken wirken bei Heisler in ihrer expressiven Gestaltung noch aufgeräumt. Die Direktheit/Plumpheit dieser Version führt dann auch erst vor Augen, wie leger Tuttles Ansatz war. Statt einzutauchen wird hier der Plot vorangetrieben, wobei alles auf Veronica Lake – die jede Szene ein neues Kostüm vorführt – und Alan Ladd – der wie ein Schüler aus den PORKY’S-Filmen wirkt, der so tut als sei er ein hard-boiled Gangster – zugeschnitten wird. Zwischen ihnen sprühen zwar die Funken, aber nur solange sie sich anschauen. Da sie aber ständig (miteinander) reden müssen, sind sie nur Teil der Tendenz zur Steife.
Bestes: Wie schmierig ein Zeitungsherausgeber in den Tod getrieben wird und wie der Politiker in dieser Variante unmotiviert jemanden durch ein Fenster in einen Pool wirft.
Nicht so toll: Das White Washing, durch das nicht nur alle Afroamerikaner fast vollständig verschwunden sind, sondern auch irische und jüdische Nachnamen ausgetauscht wurden.

Den muso / The Young Girl
(Souleymane Cissé, MAL 1975) [DCP, OmeU]

gut

Der Vater thront und verteilt Richtsprüche. Der junge Mann treibt sich herum und bringt sein Leben zunehmend in Unordnung. Die Tochter wird vergewaltigt und geht daraufhin trotzdem eine Beziehung mit dem Täter ein. Nur vage ist es aus dem elliptischen Geschehen zu entnehmen. Und so geht es nicht um Rape & Revenge, sondern um all die Zwischentöne, welche die Richtsprüche nicht erreichen.

愛のお荷物 / Burden of Love
(Kawashima Yūzō, J 1955) [35mm, OmeU]

großartig

In THE YOUNG GIRL hätte jemand durchaus sagen können, dass wir uns nicht in einer Komödie befinden, so absolut ist das Drama. In BURDEN OF LOVE darf es dann aber jemand feststellen: Wir befinden uns ja nicht in einem Melodrama. Es ist sehr viel los und es ist dabei durchgängig zu spüren, dass der Film auf einem Theaterstück basiert. Die Bühne vor der Kamera wird beständig von Figuren betreten, die wichtige Nachrichten bringen … und/oder Nachrichten, die das Tohuwabohu nur noch absurder machen. So sehr die Leben der Familienmitglieder aber von Katastrophen bedroht sind, so wenig dramatisch wirken diese Nöte.
Nach der Niederlage im Zweiten Weltkrieg wurde der Kampf gegen die Überbevölkerung auf der kleinen Insel von der Eroberung neuer Länder auf die Körper der Bevölkerung verlegt. Der Minister für Bildung und Kultur hat den Auftrag das rasante Bevölkerungswachstum zu stoppen. An einer Stelle liegt er aber mit seiner Frau während eines Jagdausflugs im Wald. Sein Patronengurt befindet sich breit auf seiner Hüfte. Prall gefüllt mit Munition ist der Gurt, aber wir sehen so auch, wie prall gefüllt die Lenden des Trägers sind. Denn BURDEN OF LOVE stellt der Ratio der Bevölkerungskontrolle einen überdrehten Wahnwitz unbändiger Fruchtbarkeit entgegen, der hoffnungsvoll wie General Kutusow in KRIEG UND FRIEDEN auf einer Veranda sitzt, wohlwissend das dieses Drama nur ein vorübergehendes ist, wegen dem sich nicht so fertiggemacht werden muss.

小武 / Pickpocket
(Jia Zhangke, CHN 1997) [DCP, OmeU]

großartig

If I could do it again I’d make more mistakes
I’d not be so scared of falling
If I could do it again, I’d climb more trees
I’d pick and I’d eat more wild Blackberries

Ein handlungsverweigernder Film über einen handlungsverweigernden Taschendieb. Trotz freundlicher oder drohender Aufforderungen möchte Xiao Wu (Wang Hongwei) nicht singen, nicht tanzen, nicht aussteigen. Er sitz, guckt oder durchstreift die Gegend. Er lebt von den Erfahrungen anderer. Pessimistisch ist PICKPOCKET nicht nur wegen der Atmosphäre eines marternden Stillstands, sondern auch weil Xiao Wu gleich festgenommen wird, sobald er dann doch etwas ändert.
Das China, in dem er lebt, möchte Tabula rasa machen. Die Durchsagen, dass alle Verbrecher sich bitte bis Dienstag, oder so, stellen mögen, weil sie sonst mitleidslos verfolgt werden, sind so allgegenwärtig, wie die Verweise an Xiao Wu, dass ein ehemaliger Weggefährte inzwischen kein Taschendieb mehr ist, sondern einer der größten Tycoone der Stadt.
PICKPOCKET ist dabei fast surreal, weil er mit kleinsten Mitteln auf der Straße gedreht wurde. Besagter Entrepreneur, der ein Imperium aufgebaut haben soll, wirkt im Film wie ein kleiner Caterer. Immer wieder stehen Gaffer am Rand der Handlung. Und die Polizisten, welche Xiao Wu verhören, wirken wie Bauerntheaterschauspieler. Wie Leute, die nicht in ihre Uniformen passen wollen. Die porträtierte Welt mit ihren verfallenen Straßenzügen ist klein, himmelschreiend trügerisch, postapokalyptisch. Und der angestrebte Abriss erscheint eben nicht wie ein Aufbruch, weil er nie vermitteln kann, dass etwas folgen könnte.

Mittwoch 26.08.

Οι απαχηδες των Αθηνων / The Apaches of Athens
(Dimitrios Gaziadis, GR 1930) [DCP, OZmeU]

nichtssagend

Armut und Reichtum werden als unterschiedliche Oberflächenstrukturen – bröckliger Putz vs. schöne Parks – und Umgangsformen ausgestellt, aber weder moralisch, ästhetisch oder atmosphärisch unterschieden… in einer uninteressanten und interessenlos erzählten Geschichte über einen Mann zwischen einer reichen und einer armen Frau. Exemplarisch ein Konflikt, der nicht dramatisch verdichtet wird: Er liebt zwar die Reiche, nimmt am Ende aber einfach die Arme, weil es für ihn einfacher ist.

Gatan / Straße der Sünde
(Gösta Werner, S 1949) [35mm, OmeU]

ok +

Britt (Maj-Britt Nilsson) entscheidet sich in GATAN für einen Mann (Peter Lindgren), der sie prostituieren möchte. Sie verdächtigt ihn dieser Absichten und schaut ihn verabscheut an, dennoch fühlt sie sich zu ihm hingezogen und lässt die Sicherheit ihres harmonischen, mittelständischen Ehelebens hinter sich. Es ist die Geschichte einer sich quälenden Frau in einem Frauen quälenden Film, in dem Frauen lediglich in unterschiedlichen Formen von Prostitution existieren. Mitunter ist es poetisch gefilmt – das Glück wird beispielsweise wiederholt beim Untergehen durch symbolische Vertreter im Wasser verfolgt –, vor allem werden aber Momente eines Abstiegs sachlich aneinandergereiht. GATAN ist so zuvorderst Protokoll einer Welt apathischer Menschen ohne Solidarität. Wenn der Film von der Einblendung des schwedischen Äquivalents von Fin oder The End beendet wird, dann ist es in diesem Fall der letzte tragikomische Marker für einen Film, der sexuellen Frauen keine Chance lässt … beziehungsweise, der eine Welt porträtiert, in der sexuell aktive Frauen keine Chance erhalten und teilweise wie Freiwild von der Polizei gejagt werden. Groß wird es zum Schluss wie eine letzte Beschimpfung eingeblendet: Slut.

[Les Arts ménagers] k
(???, F 1920) [35mm]

Ein kurzer Film über Hauswirtschaft. Er ist Opfer des größten Feindes einer solch großen Ansammlungen von Filmen geworden: der Vergesslichkeit.

Kohlhiesels Töchter
(Ernst Lubitsch, D 1920) [35mm]

gut

Den größten Spaß zieht der Film aus der Gegensätzlichkeit der beiden Töchter – beide gespielt von Henny Porten. Sobald Liesel – die burschikose, gescheite – jedoch verheiratet ist, bleibt dem Film nur noch seine Geschichte zu Ende zu verwalten, da Gretel – die grazile, einfältige – keine Rolle mehr spielt und Liesel eine Mischung aus sich und ihrer Schwester wird. Das Problem ist irgendwie, dass das Lederhosrige dabei verloren geht.

昨日と明日の間 / Between Yesterday and Tomorrow
(Kawashima Yūzō, J 1954) [35mm, OmeU] 2

fantastisch

Der Titel ist äußerst sprechend. BETWEEN YESTERDAY AND TOMORROW erzählt eben von Leuten, die zwischen Vergangenheit und Zukunft festhängen.
Shirato Kaitaro (Kôji Tsuruta) ist eine Art von Peter Pan, denn er möchte nicht erwachsen werden. Überall springt er ab, sobald er mit den Aufgaben reifen müsste. Immer sucht er eine neue Aufgabe. Im Film ist es die Gründung eines Flugunternehmens, die er in Angriff nimmt … zusammen mit seinen Verlorenen Jungs, ehemaligen Kriegspiloten. Wenn dort auf der Regel gepocht wird, dass keine Frau Mitglied werden darf, dann wirkt es wie seine Version des He-Man Women Haters Club.
Zwischen zwei Frauen steht er. Danjo Reiko (Awashima Chikage) ist westlich, teilweise sehr, sehr stylisch und androgyn gekleidet. Ihre Handlungsorte sind durchweg urban. Bars sind ihre Heimat. Vor Rückenprojektionen und Kinoleinwänden wird sie gefilmt. Und fast ist sie Teil des He-Man Women Haters Club. Anders als Kaitaro kämpft sie aber mit jugendlicher Energie – es grenzt an Fanatismus – für die Aufrechterhaltung ihres Status Quo, der Beziehung zu Kaitaro, der sich von ihr trennte. Brutal und wahnsinnig ist ihr verkrallen in etwas, das die Zeit unwiederbringlich davongetragen hat.
Saita Toko (Tsukioka Yumeji) trägt Kimonos und bewegt sich in traditionellen Rahmen. Sie sitzt in einer Zweckehe (Shindô Eitarô spielt ihren Ehemann) fest, in der sie von Vereinsamung und Gefühllosigkeit aufgefressen wird. Mit Kaitaro entwickelt sich sachte eine Beziehung, wobei sie zwischen Pflichtgefühl und Fluchtgedanken pendelt. Die Beziehung verwirklicht sich dann auch richtig. Mit Kaitaro trifft sie sich jedenfalls in Parks und Wäldern, die von Menschenhand erschaffen wurden. Statt urbaner Dschungel ist sie von kultivierter Natur umgeben. Sie möchte aus einem sterbenden Leben ausbrechen und sucht deshalb die Jugend von Kaitaro. Ihr stilles Leiden ist aber nicht weniger brutal und wahnsinnig als das Brennen Reikos.
Vergangenheit und Zukunft, Werden und Stagnation bringen sich so gegeneinander in Stellung. Aber nicht in einer einfachen Dichotomie. Toko (Vergangenheit Japans und Alter) möchte Veränderung, während Reiko (die Moderne Japans und die Jugend) sich dagegen wehrt. Und Kaitaro strebt die Stagnation im Aufbruch an. Die Tradition zieht ihn an, aber sein Jugenddrang unvereinbar mit ihr. Die drei Dreiecksgeschichten dieser drei Personen sind verworren und widersprüchlich, weil es die Gefühle und Beziehungen der drei sind. An diesem komplexen Ort der beständigen Konfrontationen – mal sind sie still, mal laut, mal zärtlich, mal gewalttätig – entsteht phantasievolles, intensives Kino endloser Spannungen. Mal werden dabei leichte Töne angeschlagen, mal schwere. Nur eines ist BETWEEN YESTERDAY UND TOMORROW nicht: ruhig.

I Died a Thousand Times / Gegen alle Gewalten
(Stuart Heisler, J 1954) [35mm, OF]

großartig

Der frisch aus dem Gefängnis entlassene und gleich wieder einen Überfall planende Roy Earle (Jack Palance) wird von einer Zeitung Mad Dog getauft. Nichts könnte mehr danebenliegen. Denn Roy Earle bellt zwar beständig, aber er beißt nicht. Ein tatsächlicher Hund (ein kleiner Terrier?) gesellt sich zu dem Gangster. Jenem hängt ein schlechtes Omen an, da seine vorherigen Besitzer allesamt schnell ablebten. Und dieser Hund ist das spirit animal Earles. Denn der Hund sieht so knuffig aus, wie Earle unter seinem harten Äußeren ist. Wie ein guter Opa lässt er sich von dem ihn umgebenden Jungvolk gegen besseres Wissen zu Dingen breitschlagen, die seine Pläne zerstören werden. Er löffelt aus, was andere anrichten. Alten und Verwundeten hilft er selbstlos. Sein Tod wird kommen, weil er einfach zu niedlich für seine Umwelt/die Welt ist.
Jack Palance‘ Lächeln hat etwas von einem Haifisch. In I DIED A THOUSAND TIMES liegt darin – wie so oft – aber sehr viel Unsicherheit. Nur vorsichtig setzt er es ein. Oft scheint dieses Lächeln zurückzuschrecken, weil zu viel von den brutalen Zähnen zu sehen sein könnte. Einerseits steckt darin die Vorsicht, das Gegenüber nicht verschrecken zu wollen, aber auch die Angst die eigene Verletzlichkeit zu offenbaren. Mich verfolgt diese Sensibilität in etwas, das vor allen Dingen einschüchtert. Jack Palance und sein Lächeln tragen diesen Film ganz alleine.
Darüber hinaus ist I DIED A THOUSAND TIMES ein wunderschöner Herbstfilm, über einen alternden Mann in einer jungen Welt. Das Rot herbstlichen Laubs ist bestimmend. Schräge Winkel sprechen von der Schieflage eines Menschen wie Roy Earle im Jetzt. Die schneebedeckten Gipfel der Sierra, die der Freiheit der flachen Weite ein drastisches Ende setzten, sind Endpunkt wie Sehnsuchtsort, der Tod. Diesem netten, alternden Hund muss alles Gute gewünscht werden, aber der Film hat andere Pläne.

Dienstag 25.08.

Ladies Should Listen / Meine Damen, zugehört!
(Frank Tuttle, USA 1934) [35mm, OF]

gut

Während Howard Hawks in seinen Screwballkomödien eine solche Geschwindigkeit an den Tag zu legen versucht, dass diese sich am Rande eines Nervenzusammenbruchs bewegen, macht Frank Tuttle in LADIES SHOULD LISTEN das genaue Gegenteil. Die Dialoge sind zwar pointiert und spritzig, doch der zögerliche Schnitt bremst sie aus. Gerade wenn zu den Reaktionen auf eine Pointe geschnitten wird, dann vergeht nicht nur eine gefühlte Ewigkeit, bis der Schauspieler zu sehen ist. Auch ist es so montiert, dass noch zu sehen ist, wie sich der Schauspieler mimisch in Stellung bringt. Und dann ausdauernd auf dem Gesicht verweilt. Manchmal wirkt Cary Grant so wie jemand, der sich gemächlich zur Statue verfestigt.
Zum Ausgleich gibt es aber ebenso viele Türen wie bei Lubitsch. Telefone und Telefonoperatoren kommen aber hinzu, die noch mehr als die Türen und Fenster einen Zugang für Leute und Nachrichten bilden. Nur werden durch sie nicht nur Informationen geliefert, mit ihnen werden auch Informationen abgezogen. Der Einbruch von Ungebetenem, Erlösendem und Überraschenden ist nur den Bruchteil einer Datenübertragung entfernt. Ein Spionagethriller könnte es sein, würde dieses Mehr an Wissen nicht für die Liebe genutzt werden.
Bonus: Eine Einstellung zeigt einen breitbeinig dasitzenden Mann. Seine Frau streichelt ihm die Hand, welche leger auf seinem Oberschenkel ruht. Aus der Perspektive der Kamera könnte die Auf- und Abbewegung des Streichelns eines nackten, harten Körperteils im Schritt des Mannes – Ärmel und Hose haben die gleiche Farbe, weshalb nur die unbedeckte Haut in den Blick fällt – kaum obszöner wirken.

Force of Evil / Die Macht des Bösen
(Abraham Polonsky, USA 1948) [35mm, OF]

gut

Die Kräfte des Bösen sind eigentlich ganz praktisch … zumindest, wenn jemand selbst im moralischen Sumpf steht und sein moralisches Heil in Gefahr ist. Für die tatsächlichen Opfer des Bösen sind diese Kräfte auch in FORCE OF EVIL nicht schön. Aber der Reihe nach.
FORCE OF EVIL vollführt eine moralische Einkreisung. Anwalt Joe Morse bandelt aus Gewinnsucht mit der Mafia an. Eigentlich ist er lediglich ein Anwalt für einen Mafiachef, doch je mehr er mit ihr zusammenarbeitet, desto mehr involviert er sich in deren Arbeit. John Garfield spielt diesen Joe Morse und ist sensationell fehlbesetzt, weil er nie wie ein Anwalt wirkt, sondern immer schon wie ein grobschlächtiger Gangster.
Mitten im Film wird er zwischen zwei Türen stehen. Hinter der ersten befindet sich das Büro seines Bruders, der ein illegales Wettbüro als kleines familiäres Unternehmen führt. Gerade ist es mit Mafiosis gefüllt, die diese Bank mit Hilfe von Gewalt und Joe übernehmen wollen. Hinter der anderen Tür befinden sich die Angestellten seines Bruders, die der Möglichkeit einer Übernahme durch ein gewalttätiges Verbrechersyndikat angsterfüllt entgegensehen. Zwischen Schuld und Unschuld ist er so eingeklemmt.
Die Erzählung von FORCE OF EVIL besteht nun darin, diese beiden Türen Joe – im übertragenen Sinn – einengen zu lassen. Ihm müssen die Augen geöffnet werden, er seinen inneren Widerspruch gar nicht gelten lassen möchte. Seinem Bruder verhelfe er doch nur zu mehr Geld. Aber die Kräfte des Bösen wirken und das Leid, die Angst und der Hass nimmt immer mehr zu.
Über Telefone versucht er alles zu klären und zu regeln. Diese sind Agenten seiner Kontrolle über das Geschehen. Nur gleitet sie ihm aus der Hand … bis sie nur noch paranoide Ängste transportieren. Immer größere schwarze Schatten, schwarzen Löchern gleich, sieht er sich gegenüber. Sie scheinen ihn verschlucken zu wollen und offenbaren erschreckte Blicke in eine sich selbst erkennende Seele.

Рваные башмаки / Torn Boots
(Margarita Barskaya, UdSSR 1933) [35mm, OmeU] 2

ok

Als ich den Film nach der Sichtung bei letterboxd in meinem dortigen Sehtagebuch vermerken wollte, offenbarte mir das Programm, dass ich TORN BOOTS bereits gesehen hatte. Einige Recherchen später zeigte sich, dass er 2012 Teil meines Berlinalepogramms gewesen und ich nicht sehr begeistert war. Während der Sichtung selber kam aber kein Gefühl der gegenseitigen Bekanntschaft auf … was kein gutes Zeichen sein kann.
Kinder in einem präfaschistischen Deutschland werden porträtiert. Erst ist TORN BOOTS ein Film, der wie eines der Kinder durch die Stadt streift und sich die Dinge fasziniert anschaut. So wie dieses Kind aber auch zu Hause ankommen wird, so findet auch TORN BOOTS zu seiner Aufgabe: Propaganda über ein zerrissenes Deutschland, dass seine schreckliche Zukunft offenbart, sobald böse Menschen Kindern böses antun.

とんかつ大将 / Our Chief, Our Doctor
(Kawashima Yūzō, J 1952) [35mm, OmeU]

großartig

Bei einem bundesdeutschen Remake dieses Films hätte wahrscheinlich Roy Black die Hauptrolle gespielt, denn wie für ihn geschaffen ist diese. Nur ist OUR CHIEF, OUR DOCTOR (der japanische Titel bedeutet in etwa DER SCHWEINEKOTLETTSHOGUN) einen Tick unordentlicher als das ottonormale Black-Vehikel. Nur führt die moralische und könnende Überlegenheit unserer Hauptfigur – es gleicht einem Wunder, wenn Dr. Araki (Shûji Sano) bemerkt, dass er, der eigentlich alles kann, von Architektur keine Ahnung hat – nicht zur Heilung aller. Vielmehr weckt sie Chaos und Niedertracht, die selbst am Ende unaufgelöst bestehen bleiben.
Vier Frauen sind in unseren Alleskönner verliebt. Jede rettet er auf eine Weise. Der einen gibt er das Augenlicht wieder, der anderen kittet er die Ehe, einer bringt er das Familienleben in Ordnung und die Letzte bekommt halt ihn und berufliche Erfüllung mit dem Krankenhaus, dass sie sich wünschte. Aber stets stellt dies nur einen fragilen Trost für Tieferliegendes dar. Und bei allem Können stellt Dr. Araki in seiner Unfähigkeit, Schwäche zu zeigen, ein toxisches Element in seinem Umfeld dar … auch wenn dieser fröhliche wie chaotische Film nur am Rande Augen dafür hat. Dieses Augenzudrücken vor dem Unschönen sowie diese verstrahlten Wendungen des Unschönen in arge Fröhlichkeit würde ja aber auch wieder zu Roy Black und den bundesdeutschen Film der – im weitesten Sinne – Nachkriegszeit.

Дело с застежками / An Affair of the Clasps m
(Aleksandra Khokhlova, UdSSR 1929) [DCP, OmeU]

großartig +

Ein mäandernder Tag und ein Gleichnis über christliche Nächstenliebe bzw. Heuchelei. Eine ältere Frau engagiert drei Tagelöhner, welche die alte Sauna in ihrem Garten abreißen sollen. Der Film rückt dabei ins Bild, wie sie ihr Geld freizügig an die Kirche weitereicht und aus edlen Bibelausgaben vorliest. Und dem wird beigestellt, wie die drei Lumpenproletarier hungern, wie sie arbeiten, wie sie von Inhalt bzw. Garnitur der Bibel fasziniert sind, wie sie Pause machen, wie sie doch noch an Essen kommen, wie sie nichts außer zerrissene Kleider und Freiheit haben. Dabei geht es offensichtlich um die zweifelhafte Religionspraxis der alten Dame, wenn sie die angeheuerten Arbeiter um den vereinbarten Lohn bringen möchte und diese auch sonst wie Abschaum behandelt. Es geht um Gier, Rechtschaffenheit und praktisch denkende Unverschämtheit, Eigenschaften, welche sich jeweils in einem der drei jungen Männern versinnbildlichen … weshalb alle drei unterschiedlichen Erfolg im Umgang mit dem Hunger und ihrem Seelen- wie Leibesheil haben werden. Schließlich ist dies alles allegorisch zu verstehen.
Das hoffnungslose Lümmeln, die schweißtreibende Arbeit, das hinterhältige Lachen, das ergriffene Blicken, das Schimpfen, die (niedlichen) Tiere, das Verzehren nach Essen bzw. des Essens, das Kochen und die Speisen: es sind sinnliche Eindrücke, die AN AFFAIR OF THE CLASPS ausmachen. Mal sind sie Impressionen eines launenhaften Tages – so entspannt wird erzählt, dass es sich wie ein sonniger Nachmittag anfühlt –, mal Teil von Tableauxs, mal ergeben sie durch eine sinnstiftende Montage bittere Zusammenhänge. Das Ergebnis ist ein assoziativer Film, der neben des sich aufdrängenden, aber offenen Gleichnisses ein sinnliches Vergnügen ist, das einer frischen Prise von Eindrücken und Ideen gleicht, einem aber auch ordentlich Hunger macht.

Саша / Sasha m
(Aleksandra Khokhlova, UdSSR 1930) [35mm, OmeU, ł]

ok +

Der Stil von AN AFFAIR OF THE CLASPS findet sich in SASHA nicht wieder. Impressionistisches Streifen ist Nüchternheit gewichen. Da einige Rollen fehlten – die zweite und die letzte(n?) –, endet SASHA, der offensichtlich als Propagandavehikel gedacht war, in dieser erhalten gebliebenen Form tragisch. Die junge Witwe vom Dorf, die in der großen Stadt landete und bei der stets hilfsbereiten Polizei – es gibt aber selbstredend auch ein schwarzes Schaf – unterkam, verschwindet, durch eine Intrige entmutigt, in der Nacht. Statt dass der realexistierende Kommunismus doch noch alles in den Griff bekommt, ist das Portrait desselben plötzlich ein bitteres. Womit SASHA in dieser Version vll. aufwühlender ist als intendiert.

Ekstase / Symphonie der Liebe
(Gustav Machatý, CS/A 1930) [DCP, OmeU]

gut

Statt Ekstase zu beschwören, bewegt sich der Film mit seinem Willen zu ebenmäßigen Formen in einem Bereich von ironischer Distanz. Schon die erste Szene setzt alles Kommende fest: Eva (Hedy Lamarr) und Emile (Zvonimir Rogoz) kommen zur Hochzeitsnacht ins neue gemeinsame Heim … und EKSATSE kostet in der Gegenüberstellung der Temperamente der beiden aus, wie wenig Glück diese Ehe verspricht. Er sortiert alles minutiös, sie freut sich auf die hoffentlich bald einsetzende Ekstase und vergisst die Dinge um sich herum. Er schläft beim Aufräumen ein, sie bleibt allein. Und EKSTASE sortiert ebenso minutiös wie Emile das Gezeigte im Sinne eines Vorhabens. Die effektiven Szenen sorgen dafür, dass auf erzählerisches Ausbuchstabieren verzichtet werden kann, weshalb sich der Film in großen Schritten bewegt. Das Drama des Films will aber nie wirklich zünden, da die Aufgeräumtheit einen von Teilhabe und Gefühlen distanziert. Eine Aufgeräumtheit, die noch dazu von einer säuselnden Musik umschmeichelt wird, die vermittelt, dass dies eh nur ein kleiner Schabernack ist. Wir bekommen sie ein schnell erfassbares Analyseobjekt.
Tatsächlich könnte dies aber ein ziemlich schöner Film sein, besser als er mir dieses Mal vorkam. Ich hatte aber einen Rausch erwartet und landete deshalb vor einer kalten Wand.

Montag 24.08.

Showreel: Gaumont Chronochrome
(???, F 1912) [DCP]

ok +

– Reproduction d’un bouquet par cinématographie ordinaire. La même bouquet filmé par le Chronochrome Gaumont
– Venise, reine de l’Adriatique
– Le dernier roi de Grèce. L’arrivée à Athènes de la dépouille royale
– La Fête des fleurs à Nice. Dimanche 2 février 1913 (F 1913)
– La Grèce pittoresque. Environs de Mégare et Corinthe
– Février en Provence. Scènes rustiques
– La Mode de Paris. Chapeaux de la dernière collection printemps
*****
Im Gegensatz zu letztem Jahr sind mir bei Chronochrome Gaumont diesmal keine starken Lilas aufgefallen, die der Farbgebung etwas Irreales gaben. Die griechische und französische Küste wartete vll. mit stechenderem Licht und natürlicheren Farben (im Gegensatz zur Bademode des letzten Jahres) auf, was die Farbgebung allgemein milderte. Dafür sind es die Farben überhaupt, die in den beiden Aufnahmen eines Blumenbouquets ziemlich vulgär wirken. Erst wurde er in Schwarzweiß aufgenommen und dann mit Gaumonts Farbverfahren. Die Wirkung der plötzlichen Explosion der Sinnlichkeit ist eine solche Bereicherung, dass sie auch wie Homer wirken kann, der Marge gerade mit seinem Schminkgewehr beschossen hat.

La Traversée de Paris / Zwei Mann, ein Schwein und die Nacht von Paris
(Claude Autant-Lara, F/I 1956) [DCP, OmeU]

nichtssagend

Jean Gabin und Bourvil laufen durch abstrakte Kulissen eines nächtlichen, von Nazis besetzten Paris, die vermuten lassen, dass hinter jeder Ecke Tänzer lauern. Das Musical scheint jeden Moment loszubrechen zu wollen, aber es wird effektiv aus diesem wenig musikalischen Film herausgehalten. Stattdessen gibt Bourvil, wie so oft, einen aufrechten Trottel und Gabin ein ziemliches Arschloch, dass den Film über lustvoll nach unten tritt und final die bittere Pille schlucken muss und erkennen, dass er nach oben buckelt. Bourvil darf an der Großkotzigkeit Gabins, welche die eigene Unannehmlichkeit genießt, leiden, sie aber auch ein bisschen bewundern. LA TRAVERSÉE DE PARIS ist durch diese Konstellation – die große Bühne für einen eingebildeten Gabin, die mit Bourvils (Fremd-)Scham und leuchtenden Augen angeschaut wird – eine ziemlich triste Angelegenheit. Erst der Punkt auf den dies alles hinausläuft, die Pille, ist spannend … und wunderbar bitter eingefangen. So niederschmetternd ist die Intensität des eigentlichen Endes, dass ein fröhlicher Epiloge völlig unmotiviert hinten dran gepappt wurde. Wie um zu unterstreichen, dass der eine Moment emotionalen wie intellektuellen Nachdrucks nur ein Ausrutscher war.

Sonntag 23.08.

黑眼圈 / I Don’t Want to Sleep Alone
(Tsai Ming-liang, TW/MY/A/F 2006) [DVD, OmeU] 2

fantastisch

Bei moviepilot habe ich anlässlich der Erstsichtung Folgendes geschrieben:
Matratzen, Smog & gute Laune. Ein fast nur noch aus Grundmauern bestehendes überflutetes Hochhaus wird mit zwei kleinen Pumpen ohne Eile trockengelegt. Und genauso gemächlich schmust sich Tsai Ming-liang an seine Darsteller heran. Ein sprachloser Obdachloser kommt zusammengeschlagen bei einem Inder unter, während eine Frau für einen Mann im Koma sorgt, während dessen Frau darunter ein Imbiss betreibt. Oder ist Letztere gar die Mutter? Alles bleibt im Nebel, denn Tsai interessiert sich nicht dafür Hintergründe aufzudecken. Stattdessen beobachtet I DON’T WANT TO SLEEP ALONE Menschen, die durch die Nacht und dreckige Straßen schlendern, die in heruntergekommenen Häusern wenig aufregende Dinge tun, die in einem babelschen Gewirr meist nur passiv antizipieren. Gescheiterte, antriebs- wie orientierungslose, betrügerische wie zu wenig berührte Existenzen bevölkern diesen vorsichtigen Film, der sich, wie gesagt, an diese herantastet, als ob er sie nicht aufscheuchen und vertreiben möchte. Der im Verlauf zunehmend leicht unwirkliche Orte und Lebenssituationen ansammelt und so kaum merkbar gen traumhafter Atmosphäre abgleitet. Einem Traum, in dem Menschen langsam, ganz langsam gen Wärme und fragilem wie obskuren Glück treiben. Wo beim unbeholfenen Sex auch mal durch die Hose geatmet werden muss. Einen Traum, der die Sinne öffnet.
Heute würde ich noch anmerken, dass I DON’T WANT TO SLEEP ALONE – ebenso wie THE HOLE – als Traum aus der Welt von Hsiao-Kang (Lee Kang-Sheng) gelesen werden kann. Vor allem als Weiterfühlung des Endes von THE WAYWARD CLOUD. Chen Shiang-Chyi ist hier nach Malaysia/in einen Traum geflohen, bei dem sie Hsiao-Kang als Paralysierten und so vom Leben Geschiedenen pflegt, während sie ebenso von ihm verfolgt wird. Spiegelnde Oberflächen doppeln die Welt, wie Hsaio-Kang gedoppelt wurde. Das emotional aufgeladene, womöglich traumatisierende Ende des Vorgängers hat hier einen Riss für die in die Welt getragen, die mit dem Geschehenen leben müssen und die langsam aus dieser Spaltung ein neues Zusammenleben formen.

Sonnabend 22.08.

天涯明月刀 / The Magic Blade
(Chor Yuen, HK 1976) [DVD, OmeU]

großartig

Alleine Ti Lung mit seinem Schwert hantieren zu sehen und wie er es wie ein Hubschrauberrotor dreht, ist jede Minute dieses Films wert.

The Breakfast Club / Der Frühstücksclub
(John Hughes, USA 1985) [blu-ray, OmeU] 2

großartig

John Hughes hätte den Figurenaufbau gut und gern symmetrisch gestalten können. Nur ein Mädchen fehlt beim Nachsitzen, um auch Anthony Michael Hall am Ende mit einer romantischen Begegnung aus dem Film zu entlassen. Die Liebesgeschichten zwischen dem Ringer (Emilio Estevez) und der Außenseiterin (Ally Sheedy) sowie die zwischen der Prom Queen (Molly Ringwald) und dem Rowdy (Judd Nelson) sind aber auch so schon unsagbar fragil und seltsam, dass sie eher wie kleine Trostpflaster wirken. Denn tatsächlich ist die Welt von THE BREAKFAST CLUB unsagbar brutal und bitter, wie der Film auch mit Trotz und Brüchigkeit von Ermächtigungs-strategien in dieser erzählt … und alles Gute, Zwischenmenschliche, Aufrichtige, was darin geschieht, wirkt wie eine Lüge, um besser mit der allgemeinen Trostlosigkeit klarzukommen. We could be heros. Just for one afternoon. … und dann tritt der seelenzermalmende Trott wieder ein. So hoffnungsvoll dieser Film wirkt, so pessimistisch ist er.

Freitag 21.08.

第三類打鬥 / Heaven and Hell
(Chang Cheh, HK 1980) [DVD, OmeU]

großartig

Eine Ansammlung kleiner Happen, die im Himmel, auf der Erde, in der Hölle und in Rückblenden auf inzwischen beendete Leben spielen. Diese haben den Tenor, dass es überall ähnlich schlimm ist. Im Himmel steht repressive Rechtschaffenheit einer Liebe im Weg, während es auf der Erde Gier und Machtgeilheit sind. In der Hölle ist sowieso alles schlimm, aber hier hilft einem wenigstens der Buddha gegen all den Wahnsinn, den Egoismus und die Verlorenheit (wenn es einen zu Unrecht dorthin verstieß). Wenig überraschen mag es dabei, dass Chang Cheh seinen Himmel in einem spannungsarmen, hell erleuchteten Weiß hält, während in der Hölle Farbe und Kontraste hochgefahren werden und die Sünder wie bei Dante gestraft werden… dass die Hölle bei ihm der aufregendere Ort ist.

死角 / Dead End
(Chang Cheh, HK 1969) [DVD, OmeU]

großartig

Ti Lung als Michel Poiccard/Jean-Paul Belmondo. Seine Anstellungen verliert der notorisch labbernde Querulant durch Aktionen, wie nachts ins Büro einzubrechen, um dort einen One-Night-Stand auf seinem Schreibtisch zu haben. Wenn er einmal im Kugelhagel sterben sollte, dann möchte er – wie in einem Film der Neuen Welle – seine Augenlider selber noch schnell mit seinen Fingern schließen. Von James Dean träumt er, wenn er mit Freund (David Chang) und Freundin (Angela Yu Chien) im Oldtimer durch Hongkong braust. Und Chang Cheh möchte hier wahrscheinlich wirklich sein eigenes À BOUT DE SOUFFLE machen, wenn immer wieder von Hollywood geschwärmt und die klassische Filmsprache dekonstruiert wird – wenn beispielsweise ein Liebespaar hörbar miteinander redet, aber die gezeigten Bilder aus einer anderen Zeit stammen, als sie sich nur anblicken. Aus irgendeinem Grund heißt das aber auch, dass das seiner Zeit hochintensive Kino Chang Chehs ziemlich entspannt durch ein hippes Hongkong scharwenzelt.

Jaws: The Revenge / Der weiße Hai 4 – Die Abrechnung
(Joseph Sargent, USA 1987) [blu-ray, OmeU]

nichtssagend

Das, was der dritte Teil kurz anriss, wird zum Zentrum von JAWS: THE REVENGE. Ein neuerlicher weißer Hai möchte mit den verbliebenen Brodys abrechnen und folgt ihnen auch auf die Bahamas – wo er symbolisch gleichzeitig für zweierlei Bedrohungen des Familienkerns eintritt. Für die Angst der Mutter (Lorraine Gary) zu weit von ihren Kindern und Enkelkindern entfernt zu sein und sie nicht unter Kontrolle zu haben. Und dafür, dass eben diese Mutter mit einem Spieler und Piloten (Michael Cain) flirtet und so einen unerwünschten potentiellen Stiefvater in die Familie bringt. Mit dabei ist Mario van Peebles, der als Freund und Kollege von Michael Brody (Lance Guest) tatsächlich gar kein Ziel des Hais ist, weil er eben kein Brody ist und der trotzdem in dessen Maul landet … und der trotz seines dicken jamaikanischen Akzent Anwärter auf einen Doktortitel sein darf. Mit ihm kommt überraschende Diversität in den Film, aber sie führt zu wenig, wie auch der Hai viel zu wenig Schaden anrichten darf und viel zu oft Pause bekommt, da sein Opferkreis sehr eingegrenzt ist.

Donnerstag 20.08.

白痴 / Der Idiot
(Kurosawa Akira, J 1951) [DVD, OmU]

nichtssagend

Schwerfällig und unbeholfen folgt Kurosawa den Stichwörtern Dostojewskijs Roman. Seine Messer und Verfolgungsmetaphern sind behäbig und dem Melodrama über innerlich Zerrissene wird vor allem den Zahn gezogen, weil diese Zerrissenheit in der ersten Stunde als Selbstinszenierung inszeniert wird. Alle Hauptfiguren befinden sich auf Bühnen, auf denen sie von Blicken umringt sind. Ihre Probleme sind etwas zu Schaugetragenes. Wenn sie dann eskalieren, fehlt so die Verankerung in den Figuren, weil sie eben nur oberflächlich aufgetragen scheinen. Sie bleiben oberflächlich und wirken nicht. Und Kurosawa scheint schlussendlich auch einzig für Akama (Mifune Toshirō als Rogoschin-Wiedergänger) Verständnis aufzubringen, wenn er am Ende geistig umnebelt einen Mord begeht und von Nekrophilie schwärmt. Die restlichen Problemlagen – eher weiblich konnotiert – sind nicht so sein Metier.

Sixteen Candles / Das darf man nur als Erwachsener
(John Hughes, USA 1984) [blu-ray, OmeU]

verstrahlt +

Zu diesem Film, der sich mehr auf Kaputtes konzentriert und die Chance auf Heilung irgendwo am Rand mitschwingen lässt, gibt es auf critic.de.

Mittwoch 19.08.

La semana del asesino / Cannibal Man
(Eloy de la Iglesia, E 1972) [35mm] 3

fantastisch

Vor dem Film in der 35mm-Reihe des Schillerhofs habe ich eine Einführung halten dürfen. Auch weil ich es war, der sich den Film gewünscht hatte. U.a. habe ich dort erzählt, dass LA SEMANA DEL ASESINO wie ein Scharnier während einer Zeitenwende ist.
Die spanische Filmindustrie war nach dem Bürgerkrieg mehr oder weniger in der Hand der Diktatur. Die Folge war eine gewisse Verkrüppelung. Im Jahr 1955 hat es Juan Antonio Bardem so ausgedrückt, dass das spanische Kino politisch wirkungslos, in sozialen Themen unaufrichtig, intellektuell wertlos, in ästhetischer Hinsicht nicht existent sei. Das populäre Kino kopierte oder trat als Co-Produzent auf. Wenn großflächig in dieser Industrie tolle Filme produziert wurden, dann hat diese Information noch keine große Bekanntheit erreicht. Die aufstrebenden Filmemacher der 60er Jahre wiederum, die eine spanische neue Welle hätte bilden können und sich auch am franquistische Spanien abarbeiteten (Saura, Erice, Portabella uswusf.), wurden zu sehr von der Diktatur aufgerieben, um als Einheit wahrgenommen zu werden. Hauptdarsteller Vincente Parra kommt genau aus diesem Kino. Berühmt wurde er in ¿DONDE VAS, ALFONSO XII?, einem SISSI-Rip-off von 1959. Langsam ging es im Folgenden für ihn bergab, bis er Anfang der 70er ähnlich wie KARLHEINZ BÖHM mit PEEPING TOM, sein Image änderte und im folgenden eher Exploitatives spielte. Zentral dafür war eben LA SEMANA DEL ASESINO.
Auf den Tod Francos folgte eine Befreiung, die erst langsam und dann explosiv vonstattenging. Vor allem die Movida Madrileña spülte all das an die Oberfläche, was unter Franco gerne verschwiegen bis verfolgt wurde: Homo- und Transsexualtität, Pluralismus, Rausch, Ekstase, Blasphemie, Drogen. Mittendrin befand sich Eusebio Poncela, der in den frühen Filmen von Pedro Almodóvar mitspielte, aber auch der Hauptdarsteller in Iván Zuluetas ARREBATO war. Und der eben eine progressive, homosexuelle, dekadente Nebenfigur in LA SEMANA DEL ASESINO spielt.
Regisseur Eloy de la Iglesia war wiederum jemand, der gerne zwischen den Stühlen stand. Einerseits drehte er Filme, die von respektabler Filmkunst gekennzeichnet waren. Kubrick, Antonioni oder Hitchcock waren an allen Ecken zu spüren. Nur da wo Kubrick beispielsweise den Widerspruch seiner Filme versucht möglichst festzuschrauben, da ist nach LA SEMANA DEL ASESINO gar nicht klar, was über den Text hinaus aus dem Film herausgelesen werden kann, da seine impressionistische Offenheit unzählige Anschlusspunkte bietet. Traumwandlerisch wird der kommende Untergang der Franco-Diktatur vorweggenommen, obwohl diese auch als übermächtige Gegebenheit dargestellt wird. Innerhalb einer Woche vollzieht sich die Handlung von LA SEMANA DEL ASESINO (auf Deutsch: Die Woche des Mörders) und an jedem Tag tötet die Hauptfigur. An deren Ende ruht der Mörder. Dieser biblische Kontext steht aber nie im Vordergrund, sondern läuft implizit mit.
Andererseits unterminierte de la Iglesia jede Notabilität durch exploitative Gewaltspitzen und der Zuwendung zu ausgegrenzten Figuren wie Drogensüchtigen, Homosexuellen, Arbeitern und Kriminellen. Vielfilmer irgendwo zwischen Kunst, Exploitation und Populärem war er, was in LA SEMANA DEL ASESINO an jeder Ecke spürbar ist.

Dienstag 18.08.

The Legend of Lylah Clare / Große Lüge Lylah Clare
(Robert Aldrich, USA 1968) [DVD, OF]

radioaktiv

Immer mal wieder ist klar, was hier geschieht. Aldrich kreuzt VERTIGO – Kim Novak als Lylah Clare – mit WHAT EVER HAPPEND WITH BABY JANE? bzw. lässt er schon den Schatten von THE KILLING OF SISTER GEORGE erahnen. Immer wieder mündet dies in überdeutlichen Momenten, die aber genauso stetig als Absprungpunkt dienen, um diese ätzende Hollywoodfarce über Besessenheit, Wiederholung des eigenen Schicksals und Inzest nochmal mehr durchdrehen zu lassen … um im totalen Delirium zu enden. Es wird wohl noch mehrere Sichtungen brauchen, um THE LEGEND OF LYLAH CLARE zu verarbeiten.

Knocked Up / Beim ersten Mal
(Judd Apatow, USA 2007) [stream, OmeU]

großartig +

Ein tatsächlicher (Paul Rudd) und ein werdender Vater (Seth Rogen) sitzen an einem Spielplatz und unterhalten sich darüber, dass die Kinder mehr Begeisterung für Seifenblasen empfinden, als die beiden für irgendetwas. Der dabei offen artikulierte Neid steht im Herzen von KNOCKED UP. Denn hinter all den Lachern dieser scheinbaren Komödie steckt – kaum verdeckt – ein bitterer Film über neurotische Erwachsene und deren existentielles Leid, das es für sie ist nun erwachsen zu sein. Die einen werden als Kindsköpfe im Alter zu etwas, was der Film als liebenswerte Freaks versteht. Die anderen schlucken und schlucken, weil sie keine andere Möglichkeit mehr haben, und versuchen sich mit Verantwortung und Ernüchterung zu arrangieren. Was KNOCKED UP dabei in seinem entspannten Fluss der Verspannungen schafft, ist nicht weniger als dass Hollywoodkomödienäquivalent zu einem Naruse-Film. Und über allem thront der Moment, in dem Paul Rudds Figur maßlos beschimpft wird und bevor er reagieren kann, singend mit der Geburtstagstorte zu seinem Kind herausgehen muss und lächeln. Wir sehen ihn nur von hinten. Jedes vorstellbare Lächeln seinerseits ist in diesem Moment zu brutal, um es darstellen zu können.

Montag 17.08.

八道樓子 / 7-Man Army
(Chang Cheh, HK 1976) [blu-ray, OmeU]

gut

Chang Chehs 300, also seine Version der Schlacht bei den Thermopylen, die auch auf Historischem während der Invasion Japans in der Mandschurei basiert. Sieben chinesische Soldaten werfen darin Armee um Armee zurück und, nachdem wir ihre sie motivierenden Hintergrundgeschichten in Rückblenden vorgeführt bekamen, heroisch wie symmetrisch ableben. Überhaupt ist die Figurenkonstellation sehr regelmäßig. Ti Lung und David Chiang, Alexander Fu Sheng und Chi Kuan-Chun, Pai Ying und Li Yi-Min bilden drei Paare, die parallel leiden und ableben und deren Funktionen verbunden sind … und die alle neben dem oberlippenbebarteten Chen Kuan-Tai verblassen, der mit Breitschwert durch die Schützengräben dessen rennt, was einmal der Zweite Weltkrieg werden wird. Nur einer sticht Letzteren aus: Gordon Liu als Mongole mit langen Zottelhaaren.

Sonntag 16.08.

射鵰英雄傳續集 / The Brave Archer 2
(Chang Cheh, HK 1978) [DVD, OmeU]

gut

Der tapfere Bogenschütze Guo Jing (Alexander Fu Sheng), der im zweiten Teil nicht einmal mehr im Vorspann einen Bogen abschießt, wird verwundet und verbringt zur Heilung eine nicht unbedeutende Zeit des Films mit seiner Braut Huang Rong (Nau Nau) in einem dunklen Raum. Sieben Tage lang laden sie dort gegenseitig ihre Energie mittels einer taoistischen Meditation auf. Sie sitzen sich gegenüber und halten Hände Backe, backe Kuchen-Stil. Durch ein Loch in der gegenüberliegenden Wand fällt ein sehr heller Lichtstrahl auf ein Loch direkt neben ihren Köpfen. Durch dieses Loch können die beiden die Geschehnisse im nebenan liegenden Gastraum beobachten. Chang Cheh lässt seine Hauptfiguren so eine halbe bis dreiviertel Stunde der Filmzeit in einer Art Kino sitzen und die Handlung kommentieren, welche sich vor ihren Augen abspielt.
Was dort zu sehen ist, gleicht dem Rest von THE BRAVE ARCHER 2. Leute aus diversen Winkeln des unübersichtlichen Figurenarsenals betreten eine Bühne, reden und/oder kämpfen … und werden durch die nächsten Leute abgelöst, die reden und/oder kämpfen. Aus diesen unzähligen Figuren und ihren Verbindungen zu- und Verhältnissen miteinander ergibt sich so etwas wie eine mäandernde, weitschweifige Geschichte, in der nichts unmittelbar zu Ergebnissen führt – nach dem zweiten Teil sind wir immer noch mittendrin in etwas, dass wohl nicht so bald ein Ende findet, aber trotzdem weniger episch als einfach nur sehr wenig dringend wirkt. Und Chang Cheh, lange Zeit in seiner Karriere Verfechter von realer Action ohne Qi-Strahlen und -Winden, geht in der wilden Phantastik übernatürlicher Kampfstile auf. Genauso wie er es zu genießen scheint, dass dieses kunterbunte Etwas ohne Dramaturgie auskommt und einfach nur die Seele mit assoziativer Fantasie baumeln lässt. Einfach etwas zum Dasitzen und zum Beobachten – durch ein Loch in der Wand –, weil eh nichts anderes zu tun ist. Nach zehn Jahren hochdramatischen ist sein Kino eben nicht nur zynisch geworden, sondern auch entspannt.

Unhinged / Unhinged: Ausser Kontrolle
(Derrick Borte, USA 2020) [DCP, OmU]

gut

Das Verbindungsstück zwischen Spielbergs DUEL und Schumachers FALLING DOWN. Denn Michael Douglas‘ Amokläufer aus dem zweiten Film wird durch Russell Crowes fleischige Präsenz und Dampfwalzigkeit mehr Richtung dämonischer Präsenz gedrängt, die weniger über Motivationen funktioniert, als als toxischer Racheengel. Das Drama wird zur Horrorgeschichte. Und der gesichtslose Verfolger aus DUEL bekommt so eine Identität und eine Antriebsfeder: männliche Selbstgerechtigkeit. Ein netter Slasher ist die Folge, der am besten funktioniert, wenn er physisch Bedrohung und Gewalt wirken lässt.
Seine soziale Geschwätzigkeit und sein Drang möglichst viel Kontext zu bieten, bremsen den Film zuweilen aus … aber am schönsten ist, wenn UNHINGED gegen Ende offensiv nahelegt, doch bitte (im Straßenverkehr) zivil und verantwortungsbewusst zu agieren. Wer einem da gegenüber steht, wen wir beschimpfen, wissen wir ja nicht. Nicht dass uns auch mal ein Verrückter verfolgt, weil wir einmal zu viel hupten. Mit seinen Bildern von sich im Verkehr schminkenden Fahrerinnen und ihrem genüsslichen Tod, mit seiner Lust an Roadrage und an dem brutalen Bestrafen ungebührlichen Verhaltens, spielt der Film aber nicht Zuwenig der Perspektive seines Monsters in die Hand. Es kann eben auch so gelesen werden: Reißt euch zusammen, sonst bekommt ihr, was ihr verdient.

Sonnabend 15.08.

仇連環 / Man of Iron
(Chang Cheh, Pao Hsueh-Li, HK 1972) [blu-ray, OmU]

großartig

Die Fortsetzung und Wiederholung von THE BOXER FROM SHANTUNG, die 20 Jahre nach dem Original spielt und in der Chen Kuan-Tais Figur als neue Version seiner selbst da weitermachen darf, wo sein Charakter zuvor gestorben war, ist ein Film, in dem der beste Freund (Wang Chung) jedes Mal nahtot- bis totgeprügelt wird, sobald die Hauptfigur den Aufstieg in den Triaden vernachlässigt und sich eine Auszeit in den Armen einer Frau (Ching Li) nimmt. Sex verursacht also heroische Blutbäder, die selbstredend heroische Blutbäder nach sich ziehen, in denen das heroische Ableben des Freundes gerächt wird. Intime Zweisamkeit ist dergestalt die Quelle zweierlei Arten von Glück, sozusagen.

La semana del asesino / Cannibal Man
(Eloy de la Iglesia, E 1972) [blu-ray] 2

fantastisch

In gewisser Weise ist dies die Putzszene aus PSYCHO auf einen Film ausgedehnt. Nur dass hier nicht penibel das Weiß von den dunklen Flecken gereinigt wird, sondern Marcos (Vicente Parra) wie hypnotisiert in seinen Leichenresten sitzt und den Nebel in seinem Blick nicht genug beseitigt bekommt, um konzentriert vorzugehen. Und genauso entgeht ihm, dass er irgendwann in einem Liebesfilm gelandet ist.

The Three Caballeros / Drei Caballeros
(Norman Ferguson, USA 1944) [DVD, OF] 2

ok

Ein größtenteils einfallsloser Film, der ab einem gewissen Zeitpunkt schöne Musik hat und der gegen Ende plötzlich doch aufregend wird, sobald Donald Duck in Mexiko wie ein Cartoonwolf Jagd auf Frauen im Bikini macht. Vll. ist am besten abzulesen, wie nah die raunchy Unterströmungen der Gesellschaft an der Oberfläche lagen, wenn selbst ein Disneyfilm sich in diesem Maße erlaubte raunchy zu sein … und es auch noch audiovisuell ausstellt, als sei der Höhepunkt erreicht.

ABBA: The Movie / ABBA: Der Film
(Lasse Hallström, AUS/S 1977) [blu-ray, OmeU]

verstrahlt

ABBA: DER FILM hat mich irgendwie an eine Familienfeier erinnert. Der doch beträchtliche, wenn auch ein wenig verklemmte Sex(-appeal) der Band ABBA ist nämlich respektabel – an allen Ecken geht es sowohl um Sex, als auch um die bodenständige Sauberkeit der vier –, solange er gesellschaftlich akzeptabel bleibt, solange keine Drogen, keine harten Fetische und keine Vulgarität mit ihm verbunden sind. Und dass dem so ist, darauf wird wiederholt hingewiesen. Es ist eben wie bei Familienfeiern, wo durchaus respektable Personen plötzlich anfangen können Zoten zu reißen und Schlüpfrigkeiten zu erzählen.
Am schönsten fand ich bei diesem sehr seltsamen Dialektikmonster, dass vor allem von der Unnahbarkeit einer nahbaren Band erzählt wird … oder von einer Marketingmaschine und genügsamen Künstlern, die nur an ihrer Kunst interessiert sind … oder wenn explizit Agnethas Arsch angesprochen wird. Beim ersten Mal, wenn sie auf einer Pressekonferenz auf einen obskuren Preis für den sexisten Arsch der Welt angesprochen wird, ist Frida ein Teil des Bildes. Steinern ist ihr Gesichtsausdruck, bevor sie sich ein mageres Lächeln für die süffisante Antwort ihrer Kollegin abringt. Beim zweiten Mal wird im Hotelzimmer etwas zu besagtem Arsch und seiner Sexyness aus einer Zeitung vorgelesen. Frida ist dabei am markantesten in der Kadrage, während der Rest der Band, wenn überhaupt, nur am Rand zu sehen ist. Wenig amüsiert sieht sie aus, während sich niemand um sie kümmert. Alleine scheint sie mit dem Gefühl, nur die zweite Geige zu sein. Und während ABBA: DER FILM ein sehr widersprüchliches Zeitbild malt, interessiert er sich implizit auch für die Risse in den Fugen einer scheinbar heilen Welt.

Freitag 14.08.

Una gota de sangre para morir amando / Dead Angel – Einbahnstraße in den Tod
(Eloy de la Iglesia, E/F 1973) [DVD]

großartig

A CLOCKWORK ORANGE wird hier im Fernsehen ausgestrahlt. Und nicht einfach nebenher. Die Ansage zum nun startenden Film wird in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit gestellt. Dass es sich bei EIN TROPFEN BLUT, UM LIEBEVOLL ZU STERBEN (wie sich der spanische Originaltitel übersetzen lässt) um eine Variation von Kubricks Film handelt, ist an allen Ecken spürbar – eine Familie wird von einer durch die Nacht fahrenden Jugendbande überfallen und vergewaltigt, die Inneneinrichtung der Filme sind vergleichbar expressiv gestaltet, und Verbrechern soll hier wie da medizinisch die Lust am Verbrechen genommen werden. Und doch ist EIN TROPFEN BLUT, UM LIEBEVOLL ZU STERBEN eine gänzlich andere Art von Tier.
Wo A CLOCKWORK ORANGE nämlich versucht den moralischen und humanitären Widerspruch festzusetzen, dass ein groß in Szene gesetzter Unsympath von der Gesellschaft geschändet wird, die er in der gleichen Form schändete, da ist Iglesias Film nicht an dieser Klarheit interessiert. Von der offensichtlichen Hommage/Kopie fällt der Film mit der Zeit dann auch ab und erzählt von einer Serienmörderin und mit ihr von Irrwegen und vom Irrlichtern sowie vom Zusammenfallen von Zärtlichkeit und Tod. Der Widerspruch des Vorbilds kommt gegen Ende auch ins Bild, aber Iglesia braucht nicht das Brimborium um etwas viel Unmenschlicheres zu zeigen: Menschen, die nur noch Automaten sind, … und ein befreiendes Blutbad.

Donnerstag 13.08.

Jaws 3-D / Der weiße Hai 3
(Joe Alves, USA 1983) [blu-ray, OF]

ok

Wenn der Film mit einem abgebissenen Fischkopf beginnt, der vor dem Hintergrund eines psychedelisch rot leuchtenden Meeres voller Blut auf den Zuschauer zu schwimmt, oder wenn Wasserskipyramiden von Leuten in der Disneyversion bajuwarischer Tracht gebildet werden, dann verweist JAWS 3-D auf seine unzähligen Camp-Potentiale. Es könnte aber auch ein in Horror übersetztes Familiendrama sein … oder eine PORKY-Variation mit tödlichen Haien … oder ein Film, der das Morden des Hais zur Rache der Natur an einer Technik versessenen Moderne macht (die noch dazu das Kind des Hais unbedacht als Tierparkattraktion tötet), … oder ein Film voller muskulöser Kerle mit Schnurrbart, die zeitweise überall herumstehen und JAWS 3-D für einen kurzen Moment mit einem sehr deutlichen Village People-Vibe versehen. Aber nichts von diesen kurz aufgegriffenen Dingen verfolgt er. Ein schöner Film nach dem nächsten deutet sich an oder die Phantasie eines wilden Füllhorns, aber zielstrebig verfällt es darauf wieder ins maue Grau-in-Grau einer emotions- wie interessenlosen Fortsetzung.
*****
Da der 3D-Fernseher meiner Eltern den Geist aufgegeben hat, habe ich ihn nur simpel in 2D sehen können.

Dienstag 11.08.

五毒天羅 / The Web of Death
(Chor Yuen, HK 1976) [blu-ray, OmeU]

großartig +

Die Verkommenheit der Guten und die Tugend der Bösen als überfülltes Shakespeare Drama, in dem einerseits Corporate Design vom Five Venoms Clan großgeschrieben wird, weshalb sich ihre Inneneinrichter austoben durften und alles, wirklich alles mit dem entsprechenden Tiersymbol versehen durfte, und in dem andererseits die Magie der Shanghai-Wuxia-Tradition so umarmt wird, dass in diesem kurzen Film mehr Achterbahn irrwitziger Ideen herrscht als im gesamten MCU.

Sonntag 09.08.

馬永貞 / The Boxer from Shantung
(Chang Cheh, Pao Hsueh-Li, HK 1972) [blu-ray, OmU] 2

großartig +

Was den Film noch besser machen würde, wären noch mehr dieser Szenen, in denen Chen Kuan-Tai und Ching Li sich voller Begehren anschauen, wobei sein Leben als Gangster aber wie ein unüberwindlicher Abgrund zwischen ihnen steht, weshalb es immer wirkt, als ob sie Kilometer weit auseinander stehen.

Sonnabend 08.08.

One Hundred and One Dalmatians / 101 Dalmatiner
(C. Geronimi, H. Luske, W. Reitherman, USA 1961) [blu-ray] 3

gut +

Um Lukas F.s knappen Kommentar noch knapper zu machen: Why smoke at all if you can’t smoke like Cruella smokes, enchanting the world with green veneer.

Blue Crush 2
(Mike Elliott, USA/RSA 2011) [blu-ray, OF]

nichtssagend

Bei den Surfszenen kopiert BLUE CRUSH 2 seinen Vorgänger teilweise fast eins zu eins und setzt sie auch dramaturgisch vergleichbar ein. Ansonsten verwehrt sich die Fortsetzung gegen das Primat des Fortzusetzenden fast durchgängig. Schon allein: Hier wird niemand gecrusht. War BLUE CRUSH ein Film über prekäre Verhältnisse und Existenzkampf, da ist Lohnarbeit im zweiten Teil etwas am Rand Wahrgenommenes, womit eigentlich nur die Elterngeneration zu schaffen hat. Existenzsorgen gibt es in diesem Sommer, Strand und Sonnenschein-Urlaubsfilm nicht. Die (wohl) Millionenerbin Dana (Sasha Jackson) reist nach Südafrika, um mehr über ihre früh verstorbene Mutter zu erfahren … und um dort zu surfen, wo diese auch surfte. Die sich auftuenden Handlungsstränge sind dabei mannigfaltig: Dana organisiert ihren Selbstfindungstrip, ihre Freundin Pushy (Elizabeth Mathis) möchte von einem professionellen Surfteam aufgenommen werden, ein Dieb, der Dana ausraubt, führt die Mädchen zu einem Elfenbeinschmuggelring, dem provisorischen Dorf einer Hippiekommune droht der Abriss, es gibt Liebesverstrickungen und Zickenkriege. Aber all dies bleibt oberflächlich und verschwindet genauso schnell wieder aus dem Film, wie es in ihn herein brandete. Was BLUE CRUSH 2 tatsächlich interessiert ist nämlich die Schaffung einer Familie für Dana, in der es keine Probleme gibt. Der Vater, der auf ihre Zukunft pocht, wird irgendwann vollendetes Vertrauen zu seinem Kind geschöpft haben, und mit ihrer Ersatzfamilie hat sie Montage auf Montage einer tollen Zeit. Probleme sind in diesem Fiebertraum absoluter Harmonie nur da, um eine schnelle Aussöhnung zu ermöglichen.

An einem Freitag um halb zwölf
(Alvin Rakoff, BRD/F/I 1961) [DVD]

gut

Eine eiskalte Frau (Nadja Tiller) legt einer Gruppe von kaum minder eiskalten Gangstern, bestehend aus dem Boss (Rod Steiger), dem Tresorfachmann (Jean Servais), dem Mann fürs Grobe (Peter van Eyck) und dem Fahrer (Ian Bannen), einen sicheren Plan vor, um eine Millionen Dollar aus einem fahrenden, als nichtausraubbar geltenden Tresor zu holen. Karten werden gespielt und Pläne geschmiedet. Die Phantasien des perfekten Raubes werden vorgeführt. AN EINEM FREITAG UM HALB ZWÖLF ist aber – trotz dieses Beginns – gar nicht daran interessiert sich auf die Coolness des Genres und eines Raubzuges einzulassen. Vielmehr besteht die Lust des Filmes darin, diese fünf Großklappen – nur der Fahrer meldet Zweifel an – scheitern zu lassen. Schon der erste Überfall, um ans Budget für den Coup zu gelangen, lässt die Fünf an ihre Grenzen gelangen. Wenn sie dann mitten im Geschehen sind und mit dem Tresor mitten unter Urlaubern landen, dann reicht schon ein sensationelles Tristkind, dass zu viele Fragen stellt, damit sie vollends aus dem Tritt kommen. Schade ist lediglich, dass AN EINEM FREITAG UM HALB ZWÖLF seine Kontenance wahrt und nicht völlig zur Komödie umschlägt. Denn anders macht die gezeigte Clownerie dieser kläglichen Verbrecher auch keinen Sinn.

Freitag 07.08.

夢 / Akira Kurosawa’s Träume
(Kurosawa Akira, J/USA 1990) [35mm] 4

nichtssagend +

Aus acht Episoden besteht TRÄUME, die auf tatsächlichen Träumen Kurosawas basieren und einen Bogen durch (s)ein gesamtes Leben spannen bzw. durch Japan im 20. Jahrhundert. Aber der Film könnte auch als Kurosawas Kampf mit dem schlechten Gewissen bekannt sein. So verfolgt sein filmisches Double in der fünften Episode Van Gogh durch dessen Gemälde, weil er dem Eifer und der Obsession des Meister hinterherläuft, während er selbst es nicht schafft zum Pinsel zu greifen. In der ersten und schönsten der kurzen Geschichten – bei den ersten vieren handelt es sich um ziemlich klassische Kaidan – beobachtet er als Junge entgegen dem Verbot seiner Mutter eine Fuchshochzeit im Wald. Dafür, dass er die Wunder der Welt entdeckt, wird er bei seiner Heimkehr von seiner Mutter gebeten Seppuku zu begehen. In der dritten verführt ihn ein Geist während eines Schneesturms zum Schlaf. Kurz vor seinem Ziel kommt er fast zur Ruhe, die hier mit dem Tod gleichgesetzt ist.
Mit der zweiten Episode bilden die genannten die offensten Momente des Films. Auch wenn TRÄUME mit seinen langen Einstellungen und seinem ruhigen Rhythmus, mit seiner Konzentration auf eine klare Dramaturgie wenig traumhaft wirkt, ist der Film hier bildgewaltig und voller Phantasie. Die zweite Episode, ein Junge bekommt von Kabuki-Baum-Geistern noch mal blühende Pfirsichbäume vorgeführt – der bunte, sachte Blütenregen steht im krassen Gegensatz zum eisigen Schneesturm, der folgen wird –, weist aber schon in die Richtung, den der Rest des Films einschlägt. Denn hier geht es nicht um etwas, das er getan hat. Seine Familie hat die Pfirsichbäum gefällt, was sein kindliches Ich beklagt.
Die vier noch nicht genannten Episoden könnten auch als Kurosawas Strafpredigten für die Menschheit bekannt sein und setzen dieses Beklagen verschärft fort. Die Schimpftiraden eines alten Mannes drängen dabei den fantastischen Moment in den Hintergrund. Episode vier und acht, Kriegsveteran Kurosawa trifft auf dem Heimweg auf die Geister seiner gefallenen Kameraden und damit auf seine Fehler, aber auch die Schrecken des Krieges, bzw. sein Double trifft in einer vormodernen Idylle, die es so nie gab, an einem Bach – Wasser und Beerdigungslied sind leider Highlight des Films – auf einen alten Mann, der ausgeglichen gegen Moderne und Wissenschaft schimpft, sind noch am erträglichsten. Sechs und sieben sind absolute Tiefpunkte im Schaffen Kurosawas. Der irrwitzige Hintergrund atomarer Verwüstung bildet lediglich die vom Film ignorierte Bühne für das Beklagen der Dummheit der Menschheit. Die Themen durchaus mehr als diskussionswürdig, es ist nur die Form, die hier aus TRÄUME ein Ausbund ermüdender Penetranz macht.

Donnerstag 06.08.

Blue Crush
(John Stockwell, USA/D 2002) [blu-ray, OF]

großartig

Der Musikeinsatz gleicht einer übergriffigen Jukebox. Hit wird an Hit gepappt, auf das unsere Gefühle befingert werden. Aber es ist egal, weil es ansonsten das Meer als brausende Geliebte gibt. Anne Marie (Kate Bosworth) steht an einer Gabelung. Entweder lebt sie ein selbstbestimmtes Leben. Dann muss sie sich aber in Wellen werfen, die sie brutal zerstören können – aber auch Erfüllung bringen. Alphatiere warten hier, die einen beschimpfen, die bedrohen und gewalttätig werden. Oder Freundinnen (u.a. Michelle Rodriguez), die Anforderungen an einen stellen, Schwestern, die ein einziges Problem sind. Die aber auch Geborgenheit bieten. Anderseits bekommt sie die Möglichkeit prince charming – hier ein NFL-Quaterback – zu heiraten. Mit ihm wäre das Leben einfach und luxuriös. Eine nicht enden wollende Kur ohne Anspruch.
BLUE CRUSH erzählt diese Allgemeinplätze mittels Wasser … und seiner Schnittfrequenz. Über intensive Wellen und laue Pools. Über Brecher, die Ruhm und Adrenalin bedeuten, und beruhigende Duschen. Über unruhiges hin und her Schneiden und einen angenehmen Rhythmus. Was die Dualität nicht weniger simpel macht, aber doch die Einfachheit der Wahl zur Selbstbestimmung erodiert. Anne Marie wird das Offensichtliche nicht leicht gemacht. Immer und immer wieder wird aus dem euphorischen Nass etwas Brutales. Immer wieder wird sie gecrusht. Immer wieder scheißt sie sich davor in die Hose. Ein Genre-Poem aus einer tückischen Gischt.

Mittwoch 05.08.

大殺四方 / The Rebel Intruders
(Chang Cheh, HK 1980) [blu-ray, OmeU]

großartig

In China herrscht Bürgerkrieg. Wir befinden uns in einer Stadt in unmittelbarer Nähe der Front. Flüchtlinge strömen in sie und wir sehen die Erfolgsgeschichte dreier Flüchtlinge, die als Bordelltürsteher (Philip Kwok), Casinosecurity (Chiang Sheng) und Soldat (Lo Meng) einen Job finden. Und auch wenn THE REBEL INTRUDERS sich sichtbar versucht im Fahrwasser von DRUNKEN MASTER (1978) und DIE SCHLANGE IM SCHATTEN DES ADLERS (1979) zu bewegen und Kung-Fu mit akrobatischem Witz verbinden möchte, zeigt der Film aber auch gerne Leute, die mit Fackeln durch die Straßen patrouillieren. Eine Lynchmobstimmung steht in sie geschrieben, welche die Flüchtlinge letztendlich von einer vollkommenen Aufnahme in die Gesellschaft trennt. Als Sündenböcke für politische Intrigen werden sie auch bald durch die Stadt gejagt werden, wo der Film seine klassische Qualität findet. Wenn nämlich Gewalt und Widerstand zu einem Tanz werden, bei dem dann auch mal für den Bruchteil einer Sekunde von einem Stab, der sich auf vier Köpfe zubewegt, zu vier Eiern geschnitten wird, die zerschlagen werden.

Montag 03.08.

Fehérlófia / Son of the White Mare
(Marcell Jankovics, H 1981) [stream, OmU]

gut

Was ist eigentlich die Vagina-Entsprechung für Phallus? Hätte ich es herausgefunden, hätte ich es exzessiv im Text auf critic.de benutzt.

Sonntag 02.08.

一代宗師 / The Grandmaster
(Wong Kar-wai, CHN/HK 2013) [blu-ray, OmU]

gut

Selbst die Kampfszenen in dieser Biographie von Ip-Man (Tony Leung) und seinem Zeitalter haben diese kurzen Momente, in denen sie wie Erinnerungen wirken. Wir befinden uns eben in einem Wong Kar-Wai-Film, also in einem retrospektiven Blick auf etwas unwiederbringlich Verlorenes. Das furchtbare Color Grading rechtfertigt sich so auch: Die ungesund aussehende Haut verschmilzt fast mit den Hintergründen, als ob alles schon am Vergilben ist.

 

醜聞 / Skandal
(Kurosawa Akira, J 1950) [DVD, OmeU]

verstrahlt +

Sängerin Saijo (Shirley Yamaguchi) wird im Urlaub zusammen mit Maler Aoye (Mifune Toshirô) fotografiert und obwohl sich beide nur kurz über den Weg gelaufen sind, macht die Klatschpresse aus den Bildern eine Liebesgeschichte. Aoye hält zu Beginn des Films große Reden darüber, dass er sich als Künstler nicht an die Realität halten darf, sondern zeichnen muss, was er fühlt. Wir werden weder den Berg sehen, den er malt, noch das fertige Gemälde, wie der Film es auch vermeidet, der Klatschgeschichte oder der sich tatsächlich anbahnenden Liebesbeziehung der beiden, die sich im Widerstand gegen die Zeitung ergibt, größeren Raum zu geben.
SKANDAL zielt nicht auf Realitäten ab, sondern auf die Wahrnehmungen seiner Protagonisten. Was vor allem heißt, dass Aoye und der Herausgeber der Zeitung (Ozawa Eitarô) die Sonne der Aufmerksamkeit genießen dürfen. Reden schwingen sie unentwegt, um sich in ihrer Selbstgerechtigkeit aufzuplustern. Wenn sie in einer Parallelmontage alternieren, verschwinden dann auch ihre gegensätzlichen Argumente hinter ihrer physischen Gleichförmigkeit, da alle beide als von Kameras und Mikros umringte Gockel gezeigt werden.
Aber SKANDAL handelt nur bedingt von eben diesem Gerangel um einen Skandal. Tatsächlich bewegt sich Kurosawas Film in Richtung Lacrima, sobald Aoye seinen Anwalt findet. Ebenjener Anwalt Hiruta (Shimura Takashi) ist eine heruntergekommene, klägliche Gestalt, die säuft, wettet und völlig inkompetent ist. Aoye wählt ihn lediglich aus Mitleid wegen dessen tuberkulöser Tochter Massako (Katsuragi Yôko) aus. Diese ist eine himmelsgleiche Gestalt ohne Fehl und Tadel, die den ganzen Film über im Bett liegt und an Krankheit und Vater, wenn da ein Unterschied gesehen werden möchte, leidet. SKANDAL ist auf perfide Weise dann auch nur darauf aus, sie leiden zu lassen und ihren Vater mit seiner eigenen Jämmerlichkeit, die seine Tochter quält, zu quälen.
Weil die tränenreiche Mühsal der Reinen und der Sünder noch nicht genug ist, lässt SKANDAL Anwalt, Maler, Tochter und Sängerin zusammen ein völlig wahnwitziges Weihnachten feiern. Die dort ausgestellte Dualität aus Trübnis – Brackwasser Teiche zwischen den ramponierten Hütten der Armensiedlung und sentimentale Sauflieder – und strahlenden Bilder von Glückseligkeit – das Fests der Liebe bringt vor allem unwirklich viele Lichterketten mit sich – lässt den Film jedes Maß für Anstand und Subtilität verlieren. Die Lust am Leiden und sich Aufplustern führt hier dazu, dass SKANDAL fast surreal wird.

Sonnabend 01.08.

射鵰英雄傳 / The Brave Archer
(Chang Cheh, HK 1977) [blu-ray, OmeU, ł(?)]

großartig

Die erste Hälfte erzählt einen äußerst verstrickten Familienplot, der in seiner Schicksalshaftigkeit an griechische Dramen erinnert, nur 500mal mehr Personal aufbietet. Deshalb wird vor allem geredet, im Versuch das Geschehen verständlich zu halten. Was wiederrum etwas den Spaß schmälert, der es ist diese Fülle an bizarren Figuren zu erleben. In der zweiten Hälfte wird das versprochene Schicksalsduell, auf das die wirre Handlung scheinbar zusteuerte, einfach unaufgelöst hinter sich gelassen und ein poetisches Land betreten, voller leuchtend bunter Flora (womöglich ein Set, das für Chor Yuen gebaut wurde), mit den simplen Freuden einen grenzpsychopathischen Schwiegervater in spe von sich überzeugen zu müssen und mit Philip Kwok in einer völlig überdrehten Performance, welche die Ruhe und Gelassenheit, in welche THE BRAVE ARCHER sich manövriert, konterkariert, aber auch die einziehende Heiterkeit des Films doppelt. Und: Lediglich kurz vor der Titeleinblendung wird ein Bogen abgeschossen. Ansonsten gibt es weder Bögen, noch Pfeile.

Jaws 2 / Der weiße Hai 2
(Jeannot Szwarc, USA 1978) [blu-ray, OmeU]

nichtssagend

Einerseits ein Film über ältere Männer, die ihre Macht missbrauchen, also über Väter, die nur Befehle bellen und die ihren seelischen Ruin mit Alkohol ertränken wollen, und Politiker, die Frauen begrabschen. Andererseits ein Highschoolfilm, der am Strand und auf dem Wasser stattfindet, sich für seine Figuren aber erst zu interessieren scheint, wenn sie traumatisiert werden. Für Haie und Wasser interessiert sich stattdessen niemand.

Juli
Freitag 31.07.

新獨臂刀 / The New One-Armed Swordsman
(Chang Cheh, HK 1971) [blu-ray, OmeU, ł]

fantastisch

Könnten sich Schauspieler routinemäßig so anblicken wie David Chiang und Ti Lung in THE NEW ONE-ARMED SWORDSMAN (während der nominelle Love Interest der beiden (Li Ching) danebensteht und nicht so wirklich weiß, was als fünftes Rad am Wagen zu tun ist), dann wären Liebesfilme das einzige Genre, dass verbleiben würde.

Donnerstag 30.07.

The Strangers
(Bryan Bertino, USA 2008) [DVD, OmU]

ok

Es ist eine Darlegung. Unbekannte terrorisieren aus unbekannten Gründen ein Paar. An einem Punkt werden diese Fremden ihre Masken abnehmen, THE STRANGERS wird ihre Gesichter aber aus Prinzip trotzdem nicht zeigen. Denn davon abgesehen, dass der Film ein Horrorwochenende zeigt, nachdem Kristen (Liv Tyler) den Heiratsantrag von James (Scott Speedman) ablehnte und sie trotzdem zusammen im Urlaub feststecken, verwehrt sich der Film jeglicher Erklärung. Jeder Grund für das Handeln der Fremden ist lediglich Fiktion und Verfälschung dieser Situation und dessen, was Leute dazu bringt andere zerstören zu wollen. THE STRANGERS zeigt folglich nur Suspensemoment nach Suspensemoment. Alle für sich ergeben sie Sinn, aber zusammen wirken sie wie ein Laufband, an dem der Zuschauer steht und verschiedene Produkte gezeigt bekommt. Als Kurzfilm wäre das vll. noch spannend. So ist es das … weniger.

Dienstag 28.07.

獨臂刀王 / Return of the One-Armed Swordsman
(Chang Cheh, HK 1969) [blu-ray, OmeU]

fantastisch

Anders als sein direkter Vorgänger (THE ONE-ARMED SWORDMAN) und sein indirekter Nachfolger (THE NEW ONE-ARMED SWORDMAN) interessiert sich dieser Mittelteil kaum für symbolische Kastrationen. Vielmehr geht es um strotzende Potenz. Ein Schwertclan möchte alle anderen zerstören und niemand hat etwas gegen die acht Schwertkönige und ihre Schergen in der Hand. Deshalb suchen die Söhne der abgeschlachteten Meister der unterlegenen Clans Hilfe beim One-Armed Swordman (Jimmy Wang Yu).
Einerseits wird die Geschichte mit einer unbändigen Phantasie erzählt. Die acht Chefantagonisten (ua. Liu Chia-liang) oder ihre Boten, der schwarze und der weiße Ritter, sind opulent entworfen. Jeder hat seinen eigenen Stil, eine einzigartige Waffe und Kostüm. Jeder für sich wäre ein würdiger Hauptgegner für einen Film alleine. Zudem strotzen die Kämpfe, das Sterben und die Geschichte vor Schönheit und Ideenreichtum.
Dieser Fülle stellt RETURN OF THE ONE-ARMED SWORDSMAN aber absolute Zerstörung(-slust) entgegen. Kaum eine Szene vergeht ohne Tod. Wie als Gegenentwurf zu A TOUCH OF ZEN sind die Protagonisten größtenteils so selbstbesoffen und auf Überlegenheit aus, dass es keine Strategien gibt, um Kämpfen aus dem Weg zu gehen. Shan Hsiung (Chan Sing) ist beispielsweise ein der hilfesuchenden Söhne. In einer Rede macht er klar, dass er nicht um Hilfe betteln werde. Lieber benutzt er Druck … und entführt deshalb die Frau des einarmigen Schwertkämpfers (Lisa Chiao Chiao), um ihn gefügig zu machen. Dieser reagiert mit blinder Wut, während Shan Hsiung so sehnsüchtig in den Tod geht, wie er Verhandlungen verbissen verweigert.
Diese grenzenlose Lust am Erschaffen und Zerstören mündet in einem Film, der nur mit Sex und Alkohol zur Ruhe findet. Eine trügerische Ruhe. Es wird nur noch mehr Tod und Verheerung folgen. Das ADHS-Kino Tsui Harks kündigt sich an … nur ist es verbissener gegenüber Entspannung, nur hält es viel weniger von den Menschen und der Welt, deren Schönheit nicht von innerer Hässlichkeit zu trennen ist. Vll. glich Chang Cheh seiner Figur aus DISCIPLES OF SHAOLIN, dem verbissen Stoffe webenden Huang Han, der seinen Blick von der Welt abgewendet hat und mit Galle (wunderbare) Textilen produzierte.

Montag 27.07.

洪拳小子 / Disciples of Shaolin
(Chang Cheh, HK 1975) [blu-ray, OmeU]

großartig +

Im Wesentlichen wird die gleiche Geschichte erzählt wie in BOXER FROM SHANTUNG (1972) oder CHINATOWN KID (1977): Ein Landei kommt in die große Stadt und steigt dort durch sein überlegenes Kung Fu in Gangsterkreisen auf. Über ersehnte Statussymbole (Schuhe und Uhren) – welche für die Annehmlichkeiten und die Entfremdung der Moderne einstehen – wird erzählt, wie die naiven, gutmeinenden Protagonisten korrumpiert werden.
Bei BOXER FROM SHANTUNG läuft dies alles auf ein Inferno hinaus, in dem alle sterben. DISCIPLES OF SHAOLIN endet zwar auch im Tod der Hauptfigur Kuan Fung Yi (Alexander Fu Sheng), der Unmengen an Gegnern mitnimmt, aber hier ist der Ton schon etwas milder. Etwas weniger Blut fließt, etwas weniger Gegner sterben, etwas weniger episch ist Kuan Fung Yis Ableben. Kuans Bruder Huang Han (Chi Kuan-Chun), der sich desillusioniert aus einer korrupten Welt zurückgezogen hat und seine Tage verbissen am Webstuhl verbringt, alles um ihn herum außer seiner Lohnarbeit ignorierend, der als Gegenpol von Kuan dient und voraussieht, dass dieser nicht den Status quo aufmischt, sondern von ihm gefressen werden wird, darf ihn nach dem Inferno light sogar noch rächen. Ein Hauch von Hoffnung mischt sich in die fröhliche Resignation. In CHINATOWN KID schließlich gibt es viel weniger Gegner und viel weniger Blut. Alexander Fu Sheng stirbt hier tragisch, aber nicht mehr mit der operettenhaften Tragik. Diese Entwicklung über drei Filme in 6 Jahren ist emblematisch für den zunehmenden Verlust an Intensität im Verlauf der Karriere Chang Chehs.
DISCIPLES OF SHAOLIN beinhaltet dabei einen wunderbaren Kommentar zur Sexlosigkeit – zumindest zum Fehlen von Sex in einem Sinn, der das Stimulieren von erogenen Zonen und Genitalien beinhaltet – von Changs Chehs Filmen. Kuan soll mit Bordellbesuchen gefügig gemacht werden. Im Bordell fragt die Chefin aber, was für einen komischen Kunden sie da bekommen hat … woraufhin wir ihn fröhlich von Sexarbeiterinnen umringt schaukeln sehen.

Sonntag 26.07.

蕩寇誌 / All Men Are Brothers
(Chang Cheh, Wu Ma, HK 1975) [blu-ray, OmeU]

gut +

Der Rhythmus des Films findet sich nicht wie in seinem Vorgänger THE WATER MARGIN in funky Psychedelic-Rock, sondern im Abtreten seiner Protagonisten. Ein impulsiver Kämpfer kann nicht von dem Spaß ablassen, die unzähligen Gegner zu verprügeln, und zerstört damit einen gefassten Plan. Das wiederum hat zur Folge, dass einer nach dem anderen der abgeordneten 108 Rebellen des Liang-Schan-Moors stirbt, die versuchen eine Stadt einzunehmen. Ebenmäßig folgt Heldentod auf Heldentod. Zur großen Oper fehlt diesem rituellen, epischen Ableben nur ein wenig die verspielte Individualität der meist nur angerissenen Kämpfer wie der emotionale Wahnsinn. Es sterben einige von vielen. Keiner davon ist einem vorher nahgekommen, jeder Tod ist mehr ein Weiterer, als ein großes Drama für sich. Im Vergleich mit THE DELIGHTFUL FOREST wird schmerzhaft deutlich: wenn Chang Cheh sich Zeit genommen hätte und die Shaw Brothers es ihm erlaubt hätte, dass wenn er also eine große Filmreihe, die den gesamten Roman DIE RÄUBER VOM LIANG-SCHAN-MOOR verfilmte, geschaffen hätte, dass dies sein Opus Magnus geworden wäre. So fehlt den Filmen etwas, das sie über den Nimbus des Beiläufigen hinwegbringt.
*****
Teil des Sterbens ist auch Chen Kuan-Tai. In THE WATER MARGIN, einen Monat nach seinem großen Durchbruch in BOXER FROM SHANTUNG erschienen, war er nur einer der vielen Genannten, die keine weitere Rolle spielten. Hier darf er nun seinen Beitrag in der großen Abfolge des tragischen Hinscheidens leisten.

Jaws / Der weiße Hai
(Steven Spielberg, USA 1975) [blu-ray, OF] 2

gut +

Von den beiden Teilen, in die JAWS zerfällt, gefällt mir der erste, mit seinen Versuchen einer Familie (mit einem überraschend gruseligen Kleinkind) sich einzuleben, aber nur Halbfertiges und Haipanik bekommt, besser, als die Lagerfeuerversion von DER ALTE MANN UND DAS MEER im weiteren Verlauf, welche die Verbrüderung diverser Formen von Männlichkeit (herb, nerdig und praktisch) bereithält.

Sonnabend 25.07.

水滸傳 / The Water Margin
(Chang Cheh, Pao Hsueh-Li, Wu Ma, HK 1972) [blu-ray, OmeU]

gut

Zu psychedelischer Rockmusik fährt Chang Cheh womöglich alle männlichen Schauspieler auf, die bei den Shaw Brothers damals unter Vertrag standen. Die Geschichte der 108 Rebellen vom Liang-Schan-Moor soll erzählt werden und da braucht es eben Personal. Da es aber unmöglich ist, in der Spielzeit eines Spielfilms die Hintergrundgeschichten aller 108 zu erzählen, greift THE WATER MARGIN lediglich 5 Kapitel aus der Mitte des Buches auf, zu einem Zeitpunkt, wenn fast alle schon vereint sind.
Der Name jedes Schauspielers sowie der seiner Rolle wird bei dessen ersten Auftritt eingeblendet. Zeitweise geht dies wie am Fließband voran. Was unter all dieser Fülle von Informationen und Personen, die größtenteils gar keine Bewandtnis für das Erzählte haben, leicht zu übersehen ist, ist wie simpel die Geschichte tatsächlich ist. Um Rache für den Mord eines Mitstreiters zu verüben, sollen zwei neue Helden rekrutiert werden. Doch allein durch die Anwesenheit der Handvoll Rebellen, die diese überreden sollen, halten die Agenten des Kaiserreichs diese schon für Aufrührer. Bevor sich die neuen Helden entschließen können, wird ihr Leben schon zerstört.
In Folge passiert dann, was von einem Chang Cheh Film zu erwarten ist: männliche Männer tun Männliches. Was nicht so zu erwarten ist, ist, dass einer der kommenden Anführer der Rebellen vom Liang-Schan-Moor wiederholt Skrupel hat, jemanden zu töten. Nicht nur gibt der Film ihm einen guten Grund zum Morden, nicht nur hat er die Fähigkeit dazu. Er tut es aber trotzdem nicht. Er zögert. Unerwartet erhält THE WATER MARGIN ein Korn von dessen, was sonst abwesend ist: Skrupel und Zweifel.

Les amours imaginaires / Herzensbrecher
(Xavier Dolan, CA 2010) [blu-ray, OmeU]

nichtssagend

Die Fingernägel Dolans stellten das einzige Faszinosum dar, welches diese Komödie über menschliche Unzulänglichkeit, die fast nur aus offenbarenden Monologen besteht, für mich bereithielt.

Freitag 24.07.

沖霄樓 / House of Traps
(Chang Cheh, HK 1982) [blu-ray, OmeU]

gut +

Ich sage es ungern, da mir im Werk Chang Chehs ab Ende der 70er die menschlichen Dramen fehlen und der Fetisch für Abläufe etwas überhandnimmt, aber mit weniger Doppelspionen (also zwischenmenschlichen Fallen) und einem größeren Haus mit mehr mechanischen Fallen wäre dies ein viel besserer Film.

Mittwoch 22.07.

The Exorcist / Der Exorzist
(William Friedkin, USA 1973) [35mm, OF] 2

nichtssagend

Es gibt ein paar Dinge, die ich mag. Vor allem Lee J. Cobb als cinephilen Cop oder die (auch mit ihm zusammenhängenden) homosexuellen Zwischentöne – bekommt Father Dyer (William O’Malley) durch Regan (Linda Blair) einen Abschiedskuss von Father Karras (Jason Miller) aus dem Jenseits? Auch die sehr intensive wie blutige Operation ist ein Highlight, wie es Ellen Burstyns theatralisches Spiel ist, dass kaum zu ertragen ist, aber passt, da sie eine kaum zu ertragende, egozentrische Mutter spielt. Aber im Grunde verliere ich schon beim Auftakt jede Lust. Den Irak, der wie eine Tapete verwendet wird, und die Ausgrabungen, die wohl auf einen lovecraftschen Grusel aus der Zeit abzielen, geben mir genauso wenig wie die Angst vor der Pubertät, welche den Film antreibt. Der Sprung vom heilen Heim, in dem Regan als kleines Kind ausgestellt wird, zum broken home, in welchem sie ein Monster ist, ist überhastet und lieblos, während die Schulmedizin, dafür, dass klar ist, dass wir einen okkulten Film sehen, sich zu lange versuchen darf. Der katholisch-statistische Krempel ist so lauwarm, wie die liebevollen Gore-Effekte verpuffen, da sie in dieses leblose Umfeld eingelassen wird. Ich mag die anderen Filme von Friedkin zu der Zeit sehr, aber wenn es hier Schönes, Wahres und Gutes zu bergen gibt, dann übersehe ich es großflächig.

Montag 20.07.

At the Earth’s Core / Der sechste Kontinent
(Kevin Connor, UK/USA 1976) [DVD, OF] 2

gut

Mittels eines riesigen Bohrers reisen Peter Cushing und Doug McClure zum Mittelpunkt der Erde und setzen dort die englische Kolonialgeschichte fort, indem sie halbwegs erziehbare Menschen in einen Aufstand gegen hypnotisch anmutende Vögeln führen, die ihre Sklaven Lavakanäle immer wieder neu verlegen lassen, damit die Hitze ihre Stadt nicht zerstört … glaube ich verstanden zu haben. Und da diese Edgar Rice Burroughs-Verfilmung Mitte der 70er Jahre sich ganz der Absurdität hingibt, ein Méliès-Film der 5. Generation zu sein, sprich eine Hommage an die der entsprechenden Abenteuerfilme der 50er Jahre, welche eine Hommage an die Filme der 30er Jahre waren, welche eine Hommage an frühere Stummfilme waren, die eine Hommage an DIE REISE ZUM MOND waren, was wiederrum heißt, dass AT THE EARTH’S CORE sich kaum von DIE REISE ZUM MOND unterscheidet, weil das Ganze schon etwas moderner ist, aber auch nicht zu viel des alten Charmes verlieren möchte, dabei aber nicht auf die Imaginationskraft Méliès zurückgreift, sondern auf die Sonderbarkeit von Wilden und sonderbaren Wesen in Pappmaché, deshalb also ist AT THE EARTH’S CORE nicht nur ein psychedelisches, sondern auch ein sehr verkantetes Vergnügen zwischen stählerner Naivität und aberwitzigem Metaschangel. Dazu hüpft Peter Cushing völlig von Sinnen durch den Film und verhält sich wie ein Clown, der eine Britishness und Kolonialherrschaft nicht mal mehr den Respekt einer Farce entgegenbringt, sondern es nur als jämmerliche Schrulle versteht.

Sonntag 19.07.

天邊一朵雲 / The Wayward Cloud
(Tsai Ming-liang, F/TW 2004) [DVD, OmeU] 3

fantastisch +

Vor langer Zeit habe ich eine Top 100 erstellt. Als ich den Film, der dort den ersten Platz belegte, das nächste Mal sah, hat das keinen Spaß gemacht, weil ich ihn daraufhin untersuchte, ob er diesen Platz auch wirklich verdient hatte. Die Vergabe der Nummer eins im Angesicht der vielen tollen Filmen, die ich kenne, nehme ich offenbar zu ernst … außerdem ist es auch ein bisschen pervers sich auf einen Film festzulegen. Deshalb möchte ich, solange sich keiner von alleine als solcher herausschält, keinen absoluten Lieblingsfilm mehr benennen.

静かなる決闘 / Das stumme Duell
(Kurosawa Akira, J 1949) [DVD, OmeU]

verstrahlt

Dr. Fujisaki Kyoji (Mifune Toshirô) und seine Verlobte Misao (Sanjô Miki) geilen sich am Leiden auf. Der eine, ein Arzt, der sich im Zweiten Weltkrieg bei einer Operation mit Syphilis infiziert, wird von DAS STUMME DUELL wie ein Fels in der Brandung inszeniert. Stets steht oder sitzt er stumm da und erträgt alles, was auf ihn einwirkt. Unbeirrbar ist er in seiner Selbstgerechtigkeit, welche den Film antreibt. Wer an der moralischen Integrität des Doktors zweifelt, der erfährt, wie unschuldig er an seiner Krankheit ist, und der muss ihn daraufhin für sein stummes Leiden verehren. Sein Vater darf auch den folgenden sensationell abartigen Satz sagen: If he had been happy, he might have become just a snob. Der Lebemann, der Kyoji infizierte, trampelt als dessen moralisches Spiegelbild auch durch den Film. Dieser babbelt, schreit und nimmt Tod und Verdammnis um sich in Kauf, weil er sich den Konsequenzen seiner Krankheit nicht stellen möchte. An ihm fühlt sich der Arzt in seiner Überlegenheit noch mehr bestätigt.
Misao hingegen, die von Kyoji keine Erklärung erhält, warum er ihre gemeinsame Verlobung löst, darf ihre Gefühle etwas geregelter Bahn brechen lassen. Sie verschwindet immer wieder aus dem Film verschwindet, nur um dann wieder ihr Leiden in den Film zu tragen. Sie ist die stärkste der Wellen, die immer wieder gegen unseren Felsen schlagen. Vereint werden beide in dem wiederkehrenden Bild eines überwucherten Zauns, dessen harten, kalten Streben Herzen formen.
DAS STUMME DUELL kennt keine Nuancen und geht völlig in den Selbstkasteiungen auf. Es wäre so schon ein eigenwilliges Vergnügen, aber dem Ganzen wird noch die Krone aufgesetzt, sobald Kyoji an einem Punkt tatsächlich seine Kontenance verlieren darf und weinend und schimpfend offenbaren, was ihn wirklich schmerzt. Dass er sich nämlich als dreißigjährige Jungfrau den gesamten Krieg auf Sex nach der Eheschließung gefreut hat und nun keinen haben kann. Dass er einfach nur mal flachgelegt werden möchte, seine Integrität ihn dies aber verbaut. Die Tragikomik dieser Figur und dieses Films ist an dieser Stelle völlig entrückt.

Sonnabend 18.07.

八國聯軍 / Boxer Rebellion
(Chang Cheh, HK 1976) [blu-ray, OmeU]

ok +

Der Boxeraufstand – wie immer bei Chang Cheh bestenfalls rudimentäres historisches Ornament für die überschaubaren Geschehnisse – als Ort für Helden, Ritter und Blender. Im Kampf offenbaren sie sich. Während sich Johnny Wang als Boxerführer vor einem Kampf lieber drückt und sich mit fremden Federn schmückt, erkennt der deutsche General Waldersee (Richard Harrison) nach einem Kampf mit Tsang Hin Hon (Alexander Fu Sheng) und Shuai Fang Yun (Chi Kuan-Chun), dass diese ehrbare, weil machtvolle, ihm im individuellen Kampf überlegene Männer sind. Die Repressalien, welche er auf den Aufstand folgen ließ, lässt er folglich umgehend einstellen. Folglich handelt es sich um einen Film über Körper und deren Schinden, um zu erkennen, ob Ehre in sie eingeschrieben ist.
Am schönsten ist der Beginn, wenn Chang tatsächlich in opulenten Bildern die Korruption und Niedergang des chinesischen Kaiserhauses als Labyrinth aus Farben, Stoffen und Festmahlen zeigt. Am wenigsten schön ist, dass abermals tragische Liebesgeschichten angerissen werden, diese aber hinter den Körpern zurückstehen müssen. Die Leiber irren so durch Fragmente eines Dramas und einen irrlichternden historischen Plot.

The Nightingale
(Jennifer Kent, AUS 2018) [stream, OmU]

ok

Ein Wohlfühl-Rape-&-Revenge-Film, auch so eine Sache. Mehr dazu auf critic.de.

Freitag 03.07. – Freitag 17.07.

Too Old to Die Young
(Nicolas Winding Refn, USA 2019) [stream, OmeU]

gut +

Zwei kurz angerissene Dinge:
1. Miles Teller passt hervorragend zu Refn und den Dialogen in TOO OLD TO DIE YOUNG. In seinem Gesicht steht nichts geschrieben. Es ist, als ob rein gar nichts in ihm vorgehen würde. Höchstens hier und da ein wenig Bange, dass er auf andere reagieren müsse, obwohl da eben keine Reaktion in ihm ist. Wenn er, wie eigentlich alle in der Serie, erst nach einer langen Pause etwas sagt, dann ist es, als ob sich in ihm dieses Nichts langsam zusammenzieht und sich in einem Wort oder einem knappen Satz äußert. Schaufensterpuppen auf Abenteuerreise und Teller ist ihr König.
2. Über weite Strecken ist TOO OLD TO DIE YOUNG super … mit seinem Kink, dem langsamen Fließen, der Absurdität (William Baldwin!), der Musiksetzung, dem langen Halten von Spannung und Bedrohung, dem unbefriedigenden Ende. Doch irgendwie hält sich meine Lust in Grenzen, dass allzu bald mal wieder zu sehen. Zu sehr scheint an manchen Stellen durch, dass Refn sich als seltsamer Filmemacher gefällt und sich als solcher geriert. Manchmal wirkt es, als ob er seine eigene dritte TWIN PEAKS-Staffel machen wollte, wobei seine Seltsamkeit aber zuweilen in Shtick verfällt. Er ist sich sehr bewusst, was es braucht, damit er als eigenwilliger Filmemacher erkannt wird, weshalb die 9 kurzen und langen Filme der Serie regelmäßig sehr gewollt wirken.

Donnerstag 16.07.

金臂童 / Kid with the Golden Arm
(Chang Cheh, HK 1979) [blu-ray, OmeU]

großartig

Eine Ladung Gold soll von A nach B transportiert werden und eine Bande wartet unterwegs, um es mit Gewalt an sich zu bringen. Ganz grob wird die Ausgangslage von HAVE SWORD, WILL TRAVEL hier wieder aufgegriffen. Wo der frühere Film aber die Kämpfe hinauszögerte, Heldenhaftigkeit verhandelte, eine Liebesgeschichte in seinen Thriller einwebte und generell seine Dramatik genoss, da ist KID WITH THE GOLDEN ARM eine Art Modeschau für Kämpfe. Das Drehbuch von Ni Kuang und Chang Cheh ist vollkommen abstrakt. Es gibt keinen Handlungsstrang, keine tiefere Motivation der Charaktere. Es werden lediglich die Schauplätze (der Catwalk) gewechselt, den Leute betreten, die mit phantasievollen Gimmicks und Choreographien gegeneinander kämpfen. Eine kleine Eifersuchtsgeschichte gibt es auch hier … und Twists und Turns, aber geradezu surreal wird diese simple Ausgangslage gestreckt und seiner Bestimmung zugeführt: Höherem Unsinn.

Dienstag 14.07.

Gemidos de placer / Cries of Pleasure
(Jess Franco, Lina Romay, E 1983) [blu-ray, OmeU]

großartig

Henri-Georges Clouzots DIE TEUFLISCHEN als Film, in dem jede Liebesversicherung gelogen ist und in dem lange Kameraeinstellungen an stöhnende Körpergebilde heranzoomen und wieder von diesen weg. Hin und her. Von weitem Überblick in ein abstraktes Etwas und wieder zurück. Und immer weiter. Ein Tanz von Konkretem und Unklarem/Verschwommenem. Rein und raus. Franco als Experimentalfilmer.
*****
Die blu-ray von Severin hat die Struktur des Filmmaterials nicht bis kaum weggefiltert, dafür Farben und Kontraste, die den Film gegen alle sonstigen Marker (Architektur, Flora, Fauna…) aussehen lassen, als wäre er in Hamburg im Herbst gedreht worden und nicht an der einer sonnigen spanischen Mittelmeerküste.

Sonntag 12.07.

Peter Pan / Peter Pans heitere Abenteuer
(Clyde Geronimi, Wilfred Jackson, Hamilton Luske, USA 1953) [blu-ray]

gut

Mareike B. wollte unbedingt PETER PAN mit ihrer Nichte zweiten Grades schauen. Als Lotti Z. (4 Jahre) ihn daraufhin auch am dritten Tag in Folge sehen wollte, habe ich mitschauen können. Kinderfilme sind manchmal wirklich seltsam. Der Film handelt von Frauen, die aufeinander eifersüchtig in ihrer Liebe zu Peter Pan sind und sich gegenseitig ertränken, erschießen und sonst was wollen. PETER PAN handelt von einem Hahn im Korb und dem Streit um ihn…

Freitag 10.07.

裸体 / Ihr Körper
(Narusawa Masashige, J 1962) [35mm] 2

nichtssagend

Schon bei den ersten Bildern hatte ich es geahnt, aber nicht glauben wollen: Als ich mich in Jena ins Kino setzte, um einen 35mm Überraschungsfilm zu sehen, lief dort derselbe seltene japanische Film in seiner deutschen Kinofassung, der genau ein halbes Jahr zuvor in der gleichen Fassung als einer der Überraschungsfilme beim 19. außerordentlichen Filmkongress des Hofbauer-Kommandos lief und den ich schon damals eher durchgestanden habe. Dieses Mal war es noch freudloser.

Donnerstag 09.07.

快活林 / The Delightful Forest
(Chang Cheh, Pao Hsueh-Li, HK 1972) [blu-ray, OmU]

fantastisch

Dass das Hongkongkino lustvoll bei anderen Soundtracks und musikalischen Werken Raubbau betreibt, ist keine große Neuigkeit. THE DELIGHTFUL FOREST setzt aber Maßstäbe, denn der Musik-Credit hätte Ennio Morricone mehr als zugestanden. Die Themen von Cheyenne und Frank aus SPIEL MIR DAS LIED VOM TOD werden ebenso schamlos wie der Score von GIÙ LA TESTA verwendet. Doch anders als bei Leone wird der melancholische Unterton dabei fast völlig ignoriert. Spaß und Action untermalen sie … und es ist für mich äußerst seltsam diese Musik, die mit den Filmen, für die sie geschrieben wurde, so wesentlich verbunden ist, in diesen anderen Kontexten zu hören. Es ist befreiend und ziemlich surreal.
Die Geschichte von Wu Sung (Ti Lung) aus DIE RÄUBER VOM LIANG-SCHAN-MOOR, einem der sogenannten vier klassischen Romane der chinesischen Literatur, der von 108 Rebellen während der Song-Dynastie erzählt, wird bei Chang Cheh zur Sauftour. Der Sauftour eines blasierten, selbstgerechten Helden, der sich an Wein und sich selbst besäuft und gar nicht realisiert, welches Unwetter er heraufbeschwört. Yang gang („harte Männlichkeit“) steht dabei wieder im Mittelpunkt, aber wie so oft führt sie nicht ins gelobte Land, sondern bringt nur Zerstörung. Melodramatische, rauschhafte Zerstörung am Rande zur Absurdität. Ein Fest.
*****
Ich habe mich durch die ganzen deutschen Filmtitel der Chang Cheh-Filme, die völlig identitätslos immer wieder auf gelbe Drachen, Tiger, Krallen und Shaolin rekurrieren, wodurch ich die Filme anhand dieser Titel nicht auseinanderhalten kann, nun entschlossen, nicht immer die deutschen Titel bei dem Eintrag des Filmes zu verwenden. Ich nehme nun, was mir besser in dem Kram passt. Hinzukommt, dass ich bei asiatischen Filmen nun die Schriftzeichen für den Originaltitel verwende, denn: Wenn schon Kauderwelsch (für mich Ignoranten, der dieser sehr schön klingenden Sprachen nicht mächtig ist), dann in einer schönen Form.

Dienstag 07.07.

Radioactive / Marie Curie – Elemente des Lebens
(Marjane Satrapi, UK/H 2019) [stream, OmU]

uff

Der angeklebte Bart von Sam Riley als Pierre Curie hat mir tatsächlich am besten an diesem Film gefallen, der ansonsten nichts von dem wissen möchte, was die Figuren in ihm antreibt. Mehr dazu auf perlentaucher.de.

Sonntag 05.07.

Pets / Animal Women – Animalische Frauen
(Raphael Nussbaum, USA 1974) [blu-ray, OF]

ok +

Aus drei Domestikationsversuchen besteht PETS. Ausgangspunkt ist, dass Bonnies Bruder sie (Candice Rialson) nach Hause holen möchte. Ihr freizügiger Lebenswandel passt ihm nicht. Doch sie möchte frei bleiben und flieht. Im Folgenden muss sie sich dann einem kriminellen Feminismus, einer Ehe und der Haltung in einem privaten Zoo erwehren. Mit Zufallsbekanntschaft Pat (Teri Guzman) nimmt sie zuerst einen Mann gefangen. Zusammen verhöhnen sie ihn, weil er wie ein Haustier in einer Ehe lebe. Während Pat das Haus ausräumt, hat Bonnie aber Mitleid und schläft wenigstens mit dem Ausgenommenen. Daraufhin landet sie bei der Künstlerin Geraldine Mills (Joan Blackman), der sie als Muse dient. Doch je mehr Geraldine Ansprüche auf Exklusivität an Bonnies Liebe hat, desto mehr fühlt sich Bonnie eingeengt, weshalb sie sich einen Mann ins Haus holt. Auf der Flucht vor Geraldine landet Bonnie dann bei Kunsthändler Victor Stackman (Ed Bishop). Der nimmt sie mit in sein Haus und sperrt sie in einen Käfig, denn Frauen sind für ihn zu zähmende Tiere. PETS wandelt sich dergestalt vom Exploitationthriller über ein Melodrama zum surrealen Gendergleichnis, dass beide vorangegangenen Abschnitt genretechnisch inkorporiert. Und der Film gleicht darin seiner Hauptfigur: All das wird ausführlich mitgenommen, aber nicht an sich herangelassen.

Sonnabend 04.07.

Night Owl
(Jeffrey Arsenault, USA 1993) [blu-ray, OF]

großartig

Dass Abel Ferrara von NIGHT OWL zu THE ADDICTION inspiriert wurde, liegt nahe: die zeitliche Nähe, New York, Schwarzweiß, Vampirismus als Symbol für Sucht und Aids. Doch wo Ferrara eine klar aufgebaute Selbstmarter des Menschseins erstellt – mit ethischen Diskussionen und Dissertationen, mit Aufnahmen aus Konzentrationslagern und mit HipHop-Beats, die das Triebhafte mit bedrohlichen Vibes aufladen – da verweilt NIGHT OWL in einem emotional distanzierten Hedonismus – es gibt ordentlich Lokalkolorit der damaligen House-Szene –, in seinem subjektiven Leiden an Unsterblichkeit. und daran, dass Zerstörung anderer von einem ausgeht. Nähmen wir aber den Vampirismus weg, könnte dies auch eine Fußnote zu Tsai Ming-liangs THE HOLE sein. Denn der Hauptteil des Films ist durch Jake (James Raftery) bestimmt, der sich in einem Loch (einem leerstehenden Haus) verkriecht und Leute auf Distanz hält. Der dahin lebt, wobei seine innere Leere nach außen gestülpt wird … in gritty 16mm Aufnahmen von Leben als Dahinvegetation, bis ihn die Lust wieder überkommt. Die ein Frau, die es wagt sich in ihn zu verlieben … oder etwas Interesse an ihm zu zeigen, muss dann sterben. Als Lektion für sie und als Explikation des Leidens von Jakes an sich selbst. Männliche Qualen, die erträglich bleiben, weil sie in einem unbestimmten Wabern verbleiben.

Olivia / Olivia – Im Blutrausch des Wahnsinns
(Ulli Lommel, USA/BRD 1983) [blu-ray, OF]

fantastisch

De Palmas OBSESSION,
wäre Brian kein Creep mit Kontrollfetisch,
sondern Spaziergänger.
*****
Haiku-Variente eines englischsprachuigen Gedichts bei letterboxd:
This is what De Palma’s OBSESSION would have looked like
if Brian wouldn’t be a creep who’s compulsively in need for control
but a creep who likes to stroll.

Donnerstag 02.07.

Undine
(Christian Petzold, D/F 2020) [DCP]

fantastisch

Ein Film voller Dualismen. Stadt und See. Struktur und fehlende Definiertheit. Schweißarbeiten an einem Damm … an dem sich mythische Fische herumtreiben. Ratio und Romantik. Dramatische Liebesgeschehnisse und stadthistorische Vorträge. Macht und Machtlosigkeit. Zwei Bewegungen dabei: Wassergeist Undine (Paula Beer) muss im Laufe des Films wieder ins Wasser, während Industrietaucher Christoph (Franz Rogowski) zu Beginn einem Aquarium entsteigt und Mensch wird … unauslöschlich getrennt von seinem Ursprung. Alles verwoben und unvereinbar. Zusammen: Eine grenzenlose Melancholie.

Mittwoch 01.07.

Nurse Sherri
(Al Adamson, USA 1978) [blu-ray, OF]

ok +

Nach dem Tod eines Predigers dringt dessen Geist als grüner, statischer Dunst – mittels sexuellem Übergriff – in eine Krankenschwester ein, um sich an der Schulmedizin zu rächen, die ihn gegen seinen Willen auf einen Operationstisch legte. Im Krankenhaus, in dem die Schwester arbeitet, liegt ein erblindeter Footballstar, der sich als Experte für Okkultes erweisen wird. Wahn, Sex und nette Kollegen, die Leichen exhumieren, um die Besessenheit der Krankenschwester zu beenden. Oder auch die Geschichte eines Machoarztes, der jede Art von freiem Willen seiner Geliebten als Besessenheit versteht. Aber vll. ist es auch einfach unangebracht, NURSE SHERRI mit einem Sinn zu versehen, weil er gerade Klammerungen und Konzentrationen aus dem Weg geht und sich in Details verliert, die nebeneinanderstehen und durch etwas Gore und keuschem Sex seltsam leblose Adrenalinstöße bekommen sollen.