Directed by Robert Hampton #5:
Geheimauftrag CIA – Istanbul 777 (1965)



„Die beiden berühmten Wissenschaftler Bolz und Schwartz sind nach dem Krieg nach Frankreich geflohen und befinden sich jetzt in einer äußerst bedrohlichen Situation. Der französische Geheimdienst ist diesen beiden ehemaligen Mitarbeitern von Hitlers Atomzentrale Peenemünde auf den Fersen. Doch auch der israelische Geheimdienst ist hinter ihnen her. Um alles in der Welt muss verhindert werden, dass mit ihrer Hilfe den Ägyptern die Atombombe in die Hände gerät!
Eine wilde, unglaubliche Verfolgungsjagd aller gegen alle beginnt…“

(Covertext der Kaufkassette von „Vision Video Selection“)

Soviel und doch so wenig verspricht also der unvergleichlich charismatische Klappentext der deutschen Videokassette. Der Film selbst platziert sich mit der Anlage seiner im Film selbst kaum präsenten atomaren Weltbedrohung noch deutlicher in der Nähe der James Bond-Filme, stellt dabei aber zugleich ein ausgesprochen kühles Desinteresse an den in dieser Inhaltsangabe geschilderten Aktionen und deren Antrieb aus. Ein Desinteresse, dessen Proportionen Staunen machen, dass Riccardo Freda zwei Jahre später tatsächlich noch einen weiteren Teil der insgesamt sechs Filme umfassenden Reihe um den CIA-Agenten Francis Coplan (in der deutschen Fassung Jeff Collins, im Nachfolgefilm Frank Collins) inszenierte – erstaunlich sowohl von Seite des offensichtlich vom Stoff selbst wenig begeisterten Regisseurs, als auch von Seite des offenbar entweder von Gutgläubigkeit oder Blindheit geschlagenen Produzenten Robert de Nesle.

Die Coplan-Filme waren neben der OSS 117-Reihe eines der langlebigeren französischen Abwehrprodukte gegen die britische Flut 007. Nicht ganz so aufwändig und ambitioniert wie die OSS-Reihe – die im Übrigen bereits vor dem Welterfolg von DR. NO aus der Taufe gehoben worden war – basierten sie immerhin nicht auf generischen Drehbüchern sondern auf den in Frankreich populären Pulp-Romanen des unter dem amerikanischen Pseudonym „Paul Kenny“ bekannten belgischen Autorenduos Jean Libert und Gaston van den Panhuyse. Und trotz ihrer „B“-Aura wurden zwei von ihnen inszeniert von einem Veteranen wie Freda, der ohne jeden Zweifel 1965 noch ein klangvollen Namen als Regisseur schillernder Erfolgsfilme hatte.

Schillernde, klassische Erfolgsfilme. Die „alte Schule“. Große, zweifellose Gefühle. Großes, ehrliches Pathos. Ewige Romantik, tiefe Melancholie. Naive Komik, heimliche Erotik. Bilder, die nicht aus unserer Welt kommen können. Märchenwelten, über die ich im Text zu AGI MURAD IL DIAVOLO BIANCO bereits geschrieben habe.
Und nun der Eurospy-Film: Gefühl als Risiko und antagonistisches Pathos. Purer Sex ohne Romantik. Abgeklärter Humor, melancholischer Sadismus. Wirkliche Bilder einer unwirklichen Welt.
Amerikanische Studioregisseure aus Fredas Generation hatten zu dieser Zeit noch die Wahl, sich entweder zur Ruhe zu setzen oder aber weiterhin die alten Mühlen mahlen zu lassen – der Zusammenbruch ihres Systems stand erst noch bevor und dass 1965 ein aus der Zeit gefallener Film wie THE SOUND OF MUSIC noch ein Welterfolg vergönnt war, zeigt, dass auch der schillernde, klassische Erfolgsfilm zumindest in Hollywood noch weiterlebte.

In Italien hingegen hatte sich das Prinzip der Genregebundenen Massenproduktion mit den Sandalen- und Agentenfilmen sowie den Italowestern so sehr gefestigt, dass sich ein „Spezialist“ wie Freda plötzlich mit dem Wechsel vom Kostüm- und Sandalenfilm hin zum Western und Agentenfilm, seiner vertrauten und wohl tatsächlich auch bevorzugten Topoi beraubt sah. Seiner ein Jahr vor COPLAN FX18 CASSE TOUT entstandene ROMEO UND JULIA-Verfilmung war kein besonderer Erfolg beschieden. Freda stand inmitten einer Filmindustrie, die nach jungen Regisseuren für „moderne“ Stoffe suchte – wie es die häufig durchaus noch alten Produzenten, die diese modernen Stoffe umsetzen wollten, gerne ausdrückten – und diese Regisseure nicht selten unter den aufstrebenden Cuttern, Kameramännern, Regieassistenten und Drehbuchautoren fand, die gestern noch unter Regisseuren wie Freda gearbeitet hatten.

Statt zu gehen, gab Freda nach. COPLAN FX18 CASSE TOUT ist allerdings kein nachgiebiger Film. Er ist ein filmischer Kampf seines Regisseurs mit einem Sujet, einer Attitüde und einer Ästhetik, aus der er zu diesem Zeitpunkt noch keine Inspiration zu ziehen vermochte, der er unter seiner Regisseursgewalt strikt verweigert, so zu funktionieren, wie vorgesehen.
Die Kamera steht häufig mit beinahe schon sturer Starrheit im Raum, nicht willens, den Kopf zu drehen oder einige Schritte zu gehen, zu träge selbst um nur zu beobachten. Stattdessen sitzt sie ungerührt wie angewachsen und wohnt den Räuber- und Gendarme-Spielchen der Agenten und Bösewichter mit größtmöglicher Gleichgültigkeit bei. Suspense und Action werden nicht dem Ethos des Genres entsprechend hergeleitet und vorbereitet sondern offenbaren sich abrubt – wie ein vorzeitiger Samenerguß, wie unmotiviert. Die Actionszenen verzichten auf Dynamik. Sie sind eine beinahe willkürlich anmutende Zusammenstellung abgehackter, einzelner Einstellungen, die keinen Fluss entwickeln und offensichtlich nicht entwickeln sollen. Der Schnitt arbeitet dagegen. Das erste große „set piece“, die Verfolgung eines LKW durch einen Segelflieger, gerät so zu einem bizarren, gänzlich unaufgeregten und unaufregenden Moment des Zeigens – an Stelle des üblichen Demonstrierens.

Übliche Handlungsstationen und humoristische Einschübe erhalten nach der eigensinnigen Logik, die Freda hier verfolgt, den Beigeschmack des Überflüssigen, die Lächerlichkeit der Konstruktion: Als Coplan und sein Kollege Gil Delmare im Bauch eines Schiffes gefangen sind, offenbart sich mit halsbrecherischer Plötzlichkeit ohne jegliches Grübeln sofort eine „naheliegende“ Lösung für die missliche Lage: Man zündet einen Haufen Wolle an, um mit den Rauchschwaden ein Feuer vorzutäuschen. Das, was man neuzeitlich als „McGuyver“-Effekt bezeichnet, ist für Freda in dieser Szene unzweifelhaft. Coplan ist ein Superman und muss gar nicht erst überlegen, wie er sich befreien könnte.
Als er zwei Gehilfen des Bösewichts auf einem Motorrad durch Istanbul verfolgt, starrt im Bildvordergrund eine alte Frau durch dicke Brillengläser entsetzt dieser wilden Hatz nach. Ein absolut ursprüngliches Bild, eine unentbehrliche Requisite der Actionszene seit den frühesten Tagen des Kinos. Bei Freda allerdings schwenkt die Kamera unvermittelt wie zufällig in leichter Unschärfe an dieser alten Frau vorbei und gibt diesem Moment etwas Groteskes, das Gefühl von etwas Deplaziertem, Unverständlichen, Rätselhaften – und ganz bestimmt nicht Amüsanten.

Die Anzahl derartiger Momente in diesem Film ist satt und sie wissen zu faszinieren. Über weite Strecken gelingt es Freda, auch den Zuschauer von der Sinnlosigkeit und der Redundanz der dargebotenen Aktionen zu überzeugen. Stellt sich dieser Effekt ein, trägt er den Film über einen großen Teil seiner Laufzeit, doch irgendwann ist man überfüttert mit diesem forcierten „nicht Funktionieren lassen wollen“ und „mutwillig daneben schneiden“ und „schadenfroh in phlegmatischer Starre verharren“.

Angesichts von Fredas sehr eigenem Sinn für symbolischen Sarkasmus scheint es vorstellbar, dass er just diesen Effekt im Sinn hatte. Nicht zum Wohle seines Publikums allerdings. In der Fortsetzung, die er zwei Jahre später drehte, COPLAN OUVRE FEU LA MEXIKO, präsentierte er sich jedenfalls anders: Bereitwilliger, schalkhafter, von der Absurdität des Sujets zu einer absurden Umsetzung angeregt und in seinem Sarkasmus entspannter, sich weniger vom Publikumsgeschmack verstoßen gefühlt und seine Agressionen in herzlicher Ironie auf den Gegenstand seines Film ablenkend. COPLAN FX 18 CASSE TOUT ist hingegen eine schmerzhaft angespannte Kette von kaputtinszenierten Szenen, die aus ihrer „Pflichtverweigerung“ kaum künstlerischen Mehrwert zu ziehen weiß – der Kampf zwischen Filmemacher und Film wird, ohne sich selbst dafür wirklich zu öffnen, zum Gegenstand der Rezeption. Es ist ein trotziges Anfilmen gegen ein Kino, mit dem dieser Regisseur nichts anfangen kann. Einzig in einer ausgesprochen spitz montierten und architektonisch gefilmten Schlägerei zwischen Coplan und seinen Häschern in einem Badezimmer, kommt der imponierend fiese Freda zu sich:

Jener Freda also, der ebenfalls zwei Jahre später mit DER TOD ZÄHLT KEINE DOLLAR einen Italowestern drehen sollte, der sich beinahe zur Gänze aus derartigen, diffusen Szenen zusammensetzte und in dem sich das persönliche Übel seines überrumpelten Regissseurs in ein notgedrungenes Festmahl destruktiver, in einen tendenziell postmodernen Surrealismus mündenden Kreativität verwandelte. Wir können uns also glücklich schätzen, dass Freda keiner jener alten Hasen war, den die Filmindustrie kurzerhand aussortierte, weil er der Zeit nicht hinterherkam – aber auch dankbar sein, dass Freda soviel länger brauchte, um seine Zeit einzuholen. Sonst müssten wir absonderliche Reibungs-Staubwolken wie diesen genuin cinephoben Film, so sperrig und kratzig er auch ist, missen.
Eine Kuriosität, sicherlich, die kein Hauptwerk ihres Regisseurs darstellt, jedoch einen unverzichtbaren Einblick in die filmische Wahrnehmung eines klassisch geschulten Handwerkers in einer Zeit des ästhetischen Umbruchs darstellt – ein Dokument eines erbitterten Kampfes zwischen Kamera und Kinoleinwand. „Uninspiriert“ wäre hier das falsche Adjektiv. „Gereizt“ wäre treffender. Oder vielleicht sogar „cholerisch“.
Die expressive, zynische Weltsicht, die ein Film wie dieser dem sentimental-introvertierten Hobby-Zyniker Freda abverlangte, war schlicht zu direkt, in sich nicht widersprüchlich genug, zuviel. Und doch hat sie geradewegs auf die Figuren späterer, persönlicherer Freda-Filme abgefärbt und das rituelle Melodram seiner weiteren Filme merklich verändert, der vagen Isoliertheit seiner Figuren eine menschliche und eine sinnliche Erdung gegeben, die der ganz persönlichen Melancholie des Menschen Freda einen direkteren Weg in seine Filme ermöglicht hat. Trotzdem in ornamentaler Beleuchtung, versteht sich. Mit großer Neugierde harre ich nun der Sichtung von Mario Bavas Italowestern, von denen ich mir ähnlich aufschlußreich-anstrengende Stunden verspreche wie von Fredas Coplan-Filmen.

COPLAN FX18 CASSE TOUT – Frankreich/Italien 1965 – 85 Minuten
Regie: Riccardo Freda – Drehbuch: Claude-Marcel Richard, nach einem Roman von Paul Kenny (= Jean Libert und Gaston van den Panhuyse) – Produktion: Robert de Nesle – Kamera: Henri Persin – Schnitt: Renée Lichtig – Musik: Michel Magne
Darsteller: Richard Wyler, Gil Delamare, Robert Manuel, Jany Clair, Valeria Ciangottini, Maria-Rosa Rodriguez, Jacques Dacqmine, Robert Favart, Christian Kerville, Bernard La Jarrige, Guy Marly

Directed by Robert Hampton #1: Der Tod zählt keine Dollar (1967)
Directed by Robert Hampton #2: The Spectre (1963)

Directed by Robert Hampton #3: Das Schwert des roten Giganten (1960)

Directed by Robert Hampton #4: Hadschi Murad – Unter der Knute des… (1959)

Dieser Beitrag wurde am Mittwoch, April 6th, 2011 in den Kategorien Ältere Texte, Blog, Blogautoren, Christoph, Filmbesprechungen, Filmschaffende veröffentlicht. Sie können alle Kommentare zu diesem Beitrag über den RSS 2.0 Feed verfolgen. Sie können diesen Beitrag kommentieren, oder einen Trackback von ihrer eigenen Seite setzen.

4 Antworten zu “Directed by Robert Hampton #5:
Geheimauftrag CIA – Istanbul 777 (1965)”

  1. Sano on Juni 15th, 2011 at 23:14

    Sehe dein unspäktakuläres Review als ziemlich passend für eine unspäktakuläre Sichtung eines unspektakulären Films, und du sprichst mir in etwa aus der Seele. Wenngleich deine Freda-Verehrung den Vorteil hat, dem Film mit mehr Interesse und Wohlwollen entgegenzutreten als ich es getan habe, und das Lesen deines Textes mir bei ähnlicher Rezeption doch ein größeres Maß an Verständnis und Toleranz näherbringt. Also meine eigene Wut/mein eigenes Entsetzen/mein eigenes Erstaunen angesichts dieses Antifilms – wie du treffend implizierst – etwas mildert.

    Vielleicht wollte Freda mit diesem “Filmklumpen”, als den ich ihn während der Sichtung immer wieder verwundert “erlebte”, wirklich provozieren. Mir scheint es eher ein einfacher gestricktes Desinteresse zu sein (ohne deine Mutmaßungen nicht gelten lassen zu wollen, die sich sicherlich am Film manifestieren). Könnte mir aber – im gegensatz zu dir? – sehr gut vorstellen, dass Freda während der Dreharbeiten “kurz” Kaffee trinken gegangen ist, oder die einfachere Variante des sich-vom-Set-Entfernens oder sich-dem-Film-verweigerns gewählt hat: ein kleines Nickerchen während die Kamera rollt. Im Schnitt hat er dann wohl endgültig teilweise den Zufallsgenerator angeschmissen.

    Wie auch immer. Manches am Film mag auch so exzentrisch aufgrund der VHS-Fassung erschienen sein, die wir beide gesehen haben. Da gibts ja 2(!) Laufzeitangaben auf dem Cover. Einmal 83 Min. und einmal 90 Min. Und bei mir lief das Teil ziemlich genaue 86 Min. – sehr schön…

    Auf jeden Fall merkt man, dass der Film in der (dieser?) deutschen Fassung gekürzt wurde. Wobei es sich wohl vor allem um „Gewalt-Schnitte“ handelt. Möchte mal wissen, was an diesem 60er Jahre Film so brutal gewesen sein muss. Vermutlich sind da ein paar zusätzliche sardonische Spitzen Fredas der Zensur zum Opfer gefallen.
    Angeblich soll der Film ja auch in Scope gedreht worden sein. Auf meinem 4:3 Röhrenfernseher gabs auf jeden Fall nur einen schmalen schwarzen Balken am unteren Rand. Die deutsche Synchro zumindest ging von meiner Seite aus in Ordnung. Würde den Film aber sehr gerne noch einmal auf französisch im richtigen Bidformat und möglichst restauriert ansehen. Nicht mehr ganz frische europäische Farbfilme der 60er machen auf mich (vor allem auf Video) oft einen furchtbar ranzigen Eindruck, und mir fehlt dann teilweise das Abstraktionsvermögen, um das visuelle Leid zu transformieren. Daher auch ein Kompliment an deine Bearbeitung der Screenshots. Da hast du wirklich das Beste aus dem Material hervorgeholt. Und auch dein Rip sieht besser aus als die eigentliche VHS. Hätte ich vielleicht davon schauen sollen. Aber ich bin halt immer für Stilecht zu haben, und es ist mir immer noch ein großer Genuss eine VHS-Kassette in meinen Videorekorder zu schieben.

    PS: Du hast definitiv die beste / am besten funktionierende Filmszene für den Upload ausgewählt. Da lässt sich dann auch die absurde Qualität des wunderbaren zweiten Freda-Coplans erahnen.

  2. EUROKULT on Juni 15th, 2020 at 18:16

    Sehr schön zu sehen, daß Riccardo Freda, ein im Genre-Zusammenhang international stiefmütterlich behandelter Regisseur hier einigen Platz einnimmt, zum Beispiel mit diesem signifikanten Film. EUROKULT mag Fredas Giallo „L´ iguana dalla lingua di fuoco“ besonders gern und hat sich an einer fragmentarischen Interpretation versucht: https://eurokult.blogspot.com

    Kollegiale Grüße X

  3. André Malberg on Juni 21st, 2020 at 23:15

    Hallo und einen herzlichen Dank für deinen Hinweis auf diesen wirklich tollen Text zu “L’iguana dalla lingua di fuoco”! Gelegentlich habe ich den Drang verspürt, auf die fast obsessive Weise, in der dieser massiv unterschätzte Film Höhe Weite in den Bilderwelten vorzieht, selbst hinzuweisen – das ist dann wohl hinfällig und viel besser erledigt worden. Ich finde, Kollege Draxtra sollte sich diesen lobenden Hinweis auf seine unvollendet gebliebene Freda-Reihe indes zu Herzen nehmen und endlich erneut den Stift auspacken!

    Die besten Grüße,

    André

  4. EUROKULT on Juni 22nd, 2020 at 11:52

    Freue mich sehr, daß der Text dir gefällt. Und ganz herzlichen Dank für die Aufnahme von EUROKULT in Eure Linkliste. Das ist Ansporn, regelmäßig zu posten, soweit möglich, und soweit es das berufliche Eingespanntsein erlaubt. Sicher wird sich die Lektüre von ESKALIERENDE TRÄUME hierbei inspirierend auswirken. X.

Kommentar hinzufügen