100 Deutsche Lieblingsfilme #48: Laß jucken, Kumpel 5 (1975)

Lass jucken, Kunpel 5

Für Alex P.

Wenn ein Film einen in die eigene Kindheit zurückversetzt und unschuldige Erinnerungen an unbeschwerte Freuden weckt, die sich damals wie selbstverständlich von einem Tag in den anderen ergossen, dann muss er schon etwas ganz Besonderes besitzen, dieses „gewisse Etwas“, welches frei von der Filmhandlung und ihren spezifischen Gegebenheiten eine Assoziationskette der Vertrautheit auszulösen vermag, während der man sich in jeder Situation des Films zu Hause fühlt, ohne sie je (mit)erlebt haben zu müssen. Ein bezaubernder Film ist das, ein Film voll reinem Wohlgefallen, in dem jeder Konflikt ein fröhliches Ende findet, sodass auch die Schurken, liebevoll gezeichnet und voller Verständnis betrachtet, als intergrierte Außenseiter eines harmonischen Ganzen, in ihrer Funktion als Katalysatoren selbst zum kleinen Glück der kleinen Leute beitragen können. Magische Filme sind das, Filme für einen Sonntagnachmittag, zu Hause oder im Dorfkino um die Ecke, mit Kakao und Keksen, Filme wie Pippi Langstrumpf (1969), oder „Der Zauberer von Oz“ (1939), Filme wie Laß jucken, Kumpel 5. Weiterlesen…

100 Deutsche Lieblingsfilme #47: Verspieltes Leben (1949)

Wo kommen sie nur her, fragen einige von uns bei Eskalierende Träume sich immer noch und immer wieder, diese vielen unbekannten deutschen Filme, diese bizarren Meisterwerke, die uns jedes Mal von Neuem erstaunt auf die Leinwand blicken lassen, und denen es so einfach gelingt uns zu überrollen und in ekstatische Schwärmerei zu versetzen (und ab und an auch dazu zu bewegen, einen Text für diese Reihe zu verfassen)? Wie die meisten ihrer Filme über die Jahrzehnte verloren und verschütt gegangen, erscheint uns die deutsche Filmgeschichte (vor allem in ihrer eigenen Geschichte, den zahlreichen Erzählungen von sich selbst), als ein nicht versiegen wollendes Füllhorn, dessen Faszination für uns bevorzugt von den unzähligen, teilweise unerforschten Neben- und Seitensträngen augeht, und deren enorme Vielfalt bis heute bevorzugt unterdrückt, missachtet oder verkannt worden ist. Wer hat sie schon gesehen und wer interessiert sich überhaupt für die hunderte von Filmen, die in Deutschland jedes Jahr entstanden sind und immer noch entstehen? Die FFA benennt allein für 2012 die Zahl der in den deutschen Kinos gestarteten Spielfilme(!) mit 149 (man sollte sich diese Zahl einmal auf der Zunge zergehen lassen…) und rein quantitativ gehörte Deutschland, auch über die politischen Veränderungen hinweg, zu allen Zeiten zu den produktivsten Filmländern der Welt. Deutschland, eine filmverrückte Nation? Es bleibt wohl weiterhin eines der großen ungelösten Rätsel, warum bis auf die beliebten Schlagwörter Expressionismus und Neuer Deutscher Film generell immer noch gerne ein qualitatives Dahinvegetieren des heimischen Filmschaffens perpetuiert wird. Weiterlesen…

100 Deutsche Lieblingsfilme #46: Haut für Haut (1961)

“I’m innocent
But the weight of the world is on my shoulders
I’m innocent
But the battles started are far from over“  (The Offspring)

Am Anfang: Ein Zug fährt durch eine karge Landschaft, auf ihm bewaffnete Soldaten, sie sind kampfbereit, auf dem Weg, vielleicht an die Front. Der Zug fährt in einen Tunnel, und in der nächsten Szene sind die Soldaten bereits besiegt, bezwungen, tot oder gefangengenommen. Die Kamera fängt scheinbar ikonische Momente ein, die Bilder wirken monumental, erinnern an Kompositionen aus der klassischen Historienmalerei.

Große Ereignisse glänzen jedoch durch ihre Abwesenheit. Wie zu Beginn, werden wir auch bis zum Ende nur das Davor oder Danach erleben, die Auswirkungen von Ereignissen, oder besser gesagt von den Ereignissen die allgemein als wichtig erachtet werden. Der Film ist voller Begegnungen, aber statt Gruppen, begegnen sich Individuen, nachdem der Starre Verbund von Schwarz und Weiß, von „Ihnen“ und „Uns“, sofort nach dem obigen Prolog zu zerfallen beginnt. Beschrieben wird ein Zerfallsprozess, ein Weg der Desillusionierung, das Abfallen aller erlernten Vorstellungen und Ideale, und der Verlust jeglichen Halts; auf Begegnungen folgen immer auch Abschiede und das Epos wird zum Kammerspiel. Konsequent daher das Ende, dass man so oder so interpretieren kann, positiv wie negativ. Für mich war es voller Hoffnungen, ein Anfang, endlich ein Neubeginn, nachdem alle Konventionen über Bord geworfen werden, obwohl sie auf der Oberfläche scheinbar gewahrt worden sind. Weiterlesen…

100 Deutsche Lieblingsfilme #45: Der Mond (2010)

“One of these days I’m going to cut you into little pieces“

Ein selbstgebasteltes Schild erscheint. Titeleinblendung, liebevoll, ungelenk. Wir befinden uns im Universum von Super 8, dem Filmformat für Filmliebhaber, günstig und magisch zugleich. Es ist ein Farbfilm, den Klaus Schneider uns vorführt, ich sitze neben Andreas im dunklen Raum, und ich fühle mich fast wie ein Kind, das wieder das Kino für sich entdeckt. Zeit und Raum verschwimmen, in diesem Film ganz besonders, für mich der Höhepunkt aus Klaus‘ Kurzfilmprogramm, das selbst wie eine Aneinanderreihung von Höhepunkten erscheint. Weiterlesen…

100 Deutsche Lieblingsfilme #44: Großstadtmelodie (1943)

Am Anfang sind wir gleich in Bayern, mitten auf dem Land, in einer Kleinstadt. Trachten, Feste, Volksmusik, und ein Familienessen, wie es im Heimatfilm der 50er Jahre hundertfach zu sehen sein wird. Großstadtmelodie ist ein Heimatfilm. Doch die Heimat liegt in der Fremde. Dem Zuhause, dem Ort wo man geboren, wo man aufgewachsen ist, wollen viele entfliehen. Er kann einengen, verhindern etwas zu sein, das zu sein, was man ist, oder das man werden möchte, werden könnte. Jeder kennt einen, jeder beobachtet einen, jeder kommentiert einen. Und bevor man sich versieht, glaubt man vielleicht selbst an das Bild das die Anderen von einem haben. Man passt sich an, man fügt sich ein. Weiterlesen…

100 Deutsche Lieblingsfilme #43: Die Katze (1988)

Es gibt ein deutsches Kino vor Die Katze und nach Die Katze. Die Filmgeschichte ist voller solcher Werke. Zäsuren, Unikate, Momente in denen der Film eine Neugeburt erfährt, indem jemand mit ihm etwas macht, was so noch nicht da gewesen ist. Dazu braucht es gar nicht viel. Was es aber auf jeden Fall braucht ist einen Regisseur, der weiß was er will und sich auch etwas traut. Das ist dann wie ein gewagtes akrobatisches Kunststück, dieser eine Augenblick, in dem das Publikum die Luft anhält und sich fragt ob es tatsächlich gelingt. Danach orientieren sich alle daran, müssen es zwangsläufig, oder versuchen es zumindest – eine Weile lang. Wenn es weiteren Personen glückt, normalisiert sich wieder alles, und der Alltag nimmt seinen Lauf. Vor dem Ereignis ist nach dem Ereignis, und Vieles was vorher wunderbar klang wird nachher selbstverständlich. Wem Die Katze während dem Ansehen ganz alltäglich erscheint, der hat etwas vergessen: Dass es keinen Fortschritt gibt, und die Illusion einer neuen Hürde die es nun zu bewältigen gilt, im Grunde immer noch und immer wieder die alte bleibt. In der Kunst ist nichts wiederholbar. Zeiten vergehen, Geschmäcker ändern sich, und das bemühte Etikett des „Zeitlosen“ ist ein Spiegelbild vergeblicher Hybris. Denn Kunstwerke sprechen ihre eigene Sprache. Dominik Grafs Die Katze ist so ein Film, ein Film bei dem man meint, es permanent raunen zu hören, ein Monument. Wenn zukünftige Generationen ihn betrachten werden, stehen sie vielleicht vor ihm, staunend wie Kubricks Affen vor dem Monolithen. Nur dass der Monolith in diesem Fall eigentlich Dominik Graf ist. Weiterlesen…

100 Deutsche Lieblingsfilme #42: Kennwort… Reiher (1964)

Ein Mann liegt auf einer Pritsche, entspannt, konzentriert, scheinbar in sich ruhend. Ein anderer spricht zu ihm. Der Andere bittet ihn, einen Brief zu überbringen, ihn mit sich zu tragen, und ihn abzuschicken. Es ist ihm dringend – es ist ihm wichtig. Die zwei Männer befinden sich in einem Gefangenenlager. Sie sind Kriegsgefangene. Einer von ihnen wird fliehen, der andere wird ihm seine Hoffnung mit auf den Weg geben. Und wir werden dem Mann und seinem Brief den Film über folgen.

Im Grunde ist es aber egal wer diese Männer sind, ist es egal wie sie heißen. Der Krieg anonymisiert die Menschen. Und Persönliches findet nur noch im Verborgenen statt. In der Öffentlichkeit herrscht die Identifizierung mit dem Kollektiv. Rudolf Jugerts Kennwort… Reiher ist ein Film, der den Krieg betrachtet, der ihn zu beschreiben versucht, in seiner Spezifik und in seiner Allgemeinheit. Den Krieg den wir erfunden haben. Die Methode, die Schule gemacht hat. Bei uns, in Europa, im 20. Jahrhundert. Einfach, direkt, klar, ohne die dichterischen Möglichkeiten des Kinos zu vernachlässigen, die scheinbar Nebensächliches ins Zentrum der Aufmerksamkeit zu erheben imstande sind, aber auch ohne auf etwas zu bestehen, das der gewählten Wahrnehmung zuwiderlaufen würde. Er sucht nicht, sondern zeigt. Weiterlesen…

100 Deutsche Lieblingsfilme #41: Zu jung für die Liebe? (1961)



„16 Jahre und schon einen Kerl im Bett – mit Sekt und Kaviar!“

„Normal zu denken hilft dir nichts, wenn du verstehen willst, wie die Erwachsenen denken.“

Jugendliches Treibgut in den engen Schlingen einer autoritären und vorurteilsbehafteten Gesellschaft. Bei der jungen Liebe zwischen Katja, 16, und Klaus, 17, zeitigten die ungeheuren Gefühle rasch biologische Resultate. Sie, Waise und unter Vormundschaft des Jugendamtes, und er, Oberschüler und ein Sohn reicher Eltern, wollen daher heiraten, um sich auch als Minderjährige eigenständig um das erwartete Kind kümmern zu können. Es folgt ein Kampf um Mündigkeit, den sie gegen allen Widerstand der Erwachsenen und mit der Unterstützung gleichaltriger Freunde nicht aufgeben. Als sie erfahren, dass es für Fälle wie ihren in Schottland eine Möglichkeit zur selbstbestimmten Heirat gibt, schrecken sie auch vor diesem Weg nicht zurück. Weiterlesen…

100 Deutsche Lieblingsfilme #40: Aquaplaning (1987)

Phantasie der Entspannung

Die vom Wasser reflektierten Sonnenstrahlen tanzen auf dem 5-Meter-Turm. Immer wieder ist dieses Bild zu sehen. Jedenfalls am Anfang. Vom sanften Wogen dieser gleißenden Wärme geht eine ungemeine Ruhe aus, ob sie nun auf dem Turm, auf den Gesichtern oder auf den Körpern tanzt. Das Schwimmbad Neukölln ist geradezu ein Hort von meditativer Sicherheit… zumindest aus der Sicht von Herrmann Ort. Als seine Mutter in Rente geht, wird ihm das BAföG aufgrund fehlender Unterlagen gestrichen und er nimmt einen Job in besagter Schwimmanstalt an. Es ist nicht übermäßig schön, modern, sauber oder perfekt, aber hier findet er seinen Frieden mit der Welt.

Kaum etwas passiert, wenn er in der ersten Hälfte des Films durch die Anlage schlendert. Doch wer sich darauf einlassen kann, findet in Aquaplaning das, was Herrmann in seinem Schwimmbad erblickt. Es ist kaum mehr als ein Aufatmen. Ein befreites Aufatmen, nachdem all die Last, welche Filme oft niederdrückt, verschwunden ist. Vielleicht wird dieser Ballast auch erst bewusst, wenn sich die Schultern plötzlich so frei anfühlen. Und in Aquaplaning schaffte es Eva Hiller, ungekünstelt einen Mann durch ein Schwimmbad schlendern zu lassen, ihn aufatmen zu lassen und mit ihm den Zuschauer. Voller Selbstvertrauen umgeht sie blendende Dramatisierungen. Ihr Film ist einfach nur und kümmert sich nicht zwanghaft um Dramaturgie oder Aufbau einer Handlung. Um Action oder Pointen. Nirgends gibt es groß angelegte Kunstgriffe, die Aussagen oder Gefühle verdeutlichen. Auch lange Einstellungen, Montage oder ähnliche Kunstgriffe, welche dem Zuschauer mitunter nichts anderes vermitteln wollen, als dass sie sich ein sehr ernst zu nehmendes Kunstwerk ansehen, gibt es nicht. Kurz, sie verzichtet auf jeden Tand um ihren Film denkwürdig zu machen. Weiterlesen…

100 Deutsche Lieblingsfilme # 39:
Etwas Besseres als den Tod (2011)

„Now you say you’re lonely“
„Now you say you’re sorry“
„Now you say you love me“

Ein Märchen, eine Parabel, ein Geschichte mit einer Moral, die versucht etwas auf den Punkt zu bringen. Nur, was ist die Moral, und was ist die Geschichte? In Christian Petzolds meisterlich traumwandlerischem Etwas besseres als den Tod, suchen die Hauptfiguren genau das. Nur, was ist es? Weiterlesen…