100 Deutsche Lieblingsfilme # 39: Etwas Besseres als den Tod (2011)
„Now you say you’re lonely“
„Now you say you’re sorry“
„Now you say you love me“
Ein Märchen, eine Parabel, ein Geschichte mit einer Moral, die versucht etwas auf den Punkt zu bringen. Nur, was ist die Moral, und was ist die Geschichte? In Christian Petzolds meisterlich traumwandlerischem Etwas besseres als den Tod, suchen die Hauptfiguren genau das. Nur, was ist es?
Scheinbar geht es um eine Liebesgeschichte, um zwei Figuren. Aber das ist es nicht. Das wichtige ist der entflohene Gewalttäter, der Mörder, der in jeder Szene des Films präsent ist. Er ist die Geschichte, er vermittelt sie. In dieser Kleinstadt, in der jeder langweilig und gewöhnlich erscheint, in der das Leben still steht, und alle darauf warten, dass es vielleicht anfängt, die Jugendlichen mit hoffnungsvollem Widerstand, die Älteren mit geduldiger Resignation, in diese Stadt bricht das Leben ein, offensiv, direkt, klar, mit der Figur des Mörders. Doch das Leben ist zu viel, das Leben ist der Überfluss. Der Mord als direkter Ausdruck der Bedürfnisse eines sozial gestörten, kehrt nach außen, was vorher unter der Oberfläche versteckt lag, hinter den Türen, in den Zimmern, unter den Bettlaken, in den Rückzugsräumen der Seele. Die Verschlossenheit der deutschen Gesellschaft, einer jeder zivilisierten Gesellschaft, in der der Alltag scheinbar alles verdeckt.
Ana, das Zimmermädchen aus dem Balkan, ist ebenso langweilig und gewöhnlich wie alle anderen. Sie ist nur ein bisschen anders, kommt aus einer anderen Stadt, einem anderen Land, und kennt die Gepflogenheiten dieses Landstrichs noch nicht so gut. Jedoch kommt ihr als einziger die Gnade zuteil, darf sie als einzige diesem sanften Purgatorium entfliehen. Sie wird als einzige erlöst. Ein Kieselstein aus einem Meer von Kieselsteinen. Der Mörder war ihr über den Weg gelaufen, zufällig nur. Am Anfang des Films begegnet sie ihm im Wald. Rotkäppchen begegnet dem Wolf. Sie ist halbnackt, fällt neben einem Baumstamm zusammen, Johannes der Zivildienstleistende, der Protagonist des Films, findet sie und trägt sie nach Hause. Der Rest des Films, zwischen dieser Begegnung und dem finalen Tod ist nur der Alltag, eine banale Liebesgeschichte.
Petzolds Blick ist sanft, die Kamera ist sanft, die Landschaft ist sanft. Der Mord fast zögerlich. Gewalt ist woanders. Gewalt wird aus den Personen und den Bildern gedrängt. Gewalt, das ist der Alltag, Grausamkeit ist unfassbar banal. Auf einer unsagbar tristen Geburtstagsfeier, finden sich an einer Stelle des Films alle zusammen. Und das Fest ist eine Bestätigung, das Zusammensein eine Bestärkung, der Banalität, des Alltäglichen und der Grausamkeit.
Einmal ist die Rede von Los Angeles, in dieser Konfiguration die Hölle, in die Johannes und Ana entfliehen wollen – überall ist es besser wo wir nicht sind. Sie werden dort gemeinsam nicht ankommen, zum Glück. Glücklich sein. Das wollen die Figuren alle irgendwie auch. Aber sie verstehen nichts davon. Am Ende sagt Sarah, die große Liebe von Johannes: „Ich bin glücklich“.
Etwas besseres als den Tod – Deutschland 2011 – 88 Minuten – Regie: Christian Petzold – Drehbuch: Christian Petzold – Produktion: Florian Koerner von Gustorf, Michael Weber – Kamera: Hans Fromm – Schnitt: Bettina Böhler – Musik: Stefan Will, „Cry Me a River“ von Arthur Hamilton (gesungen von Julie London) – Darsteller: Jacob Matschenz, Luna Mijović, Vijessna Ferkic, Rainer Bock, Konstantin Frolov, Florian Bartholomäi, Stefan Kurt, Kirsten Block, Deniz Petzold, Evelyn Gundlach, Kristof Gerega, Thomas Fränzel, Eberhard Kirchberg
Das hört sich natürlich sehr faszinierend an und vor allem macht es Lust sich doch mal mit Dreileben auseinander zu setzen, was ich bisher gar nicht mal sosehr hatte, dafür war, das was ich bisher hörte, zu durchwachsen. Jedenfalls hat es keinen Hunger gemacht. Das hört sich aber nach einem Film an, der gerade mir gefallen könnte. Muss ich mal sehen. Guckst du die anderen bald oder bist du zu abgeschreckt, dass Graf und Hochhäusler abstinken? Wenn ja, kannst du vll kurz Rückmelden, ob sie wie erwartet abstinken oder doch mithalten können?
Ich hatte auf Dreileben nach den ersten Berichten von Eskalierenden Träumern auch nicht so recht Lust. Hat sich aber gerade aus aktuellem Anlass ergeben, dass ich die Trilogie schaue. Werde dir dann innerhalb der nächsten Tage an dieser Stelle über den Graf und den Hochhäusler berichten. Wobei der Graf nach den ersten Minuten bereits gewohnt großartig aussieht.
Habe daher auch nicht die Befürchtung, dass Grafs Film wirklich „schlechter“ als Petzolds sein könnte. Nur bin ich bei Graf ja inzwischen daran gewohnt, das jeder Film von ihm ein Erlebnis ist. (Wenn ich zur Zeit eine Top 100 meiner liebsten Filmemacher machen müsste, wäre Graf schlechtestenfalls auf dem dritten Platz vorzufinden). Bei Petzold hat mich die Intensität von Etwas Besseres als den Tod aber noch überrascht. Selbst nach Jerichow und Barbara, habe ich mit so einem Film nicht gerechnet und hätte ihn von Petzold auch nicht (mehr) erwartet. Das ist schon eine Bemerkenswerte Steigerung für mich von Yella über Jerichow zu Etwas Besseres als den Tod. Wie da direkter Abfolge für mich Verkrampfungen und Perfektionsbestrebungen der Regie teilweise abfallen ist fast atemberaubend.
wäre eh mal interessant, wenn du die Liste oder deine Top Filme mal aktualisierst. Plane gerade eine Top 100 meiner Lieblingsfilme, eigentlich schon seit einem Jahr, aber ich versuche sie in nem Monat fertig zu haben. Ich merke jetzt schon wie unmöglich das wird, sich so zu begrenzen. Danach werde ich wahrscheinlich vom gerade vorherrschenden Listenwahn meinerseits wohl befreit sein. Sowas ist ja dann immer unerträglich schlimm und ich will immer nochwas ändern. Aber naja, gerade denke ich da noch mit Lust dran.
Ansonsten freue ich mich auf deine Berichte 🙂
Ja, es ist wirklich der Gipfelpunkt des Cinemasochismus. Deshalb mache ich das ab und zu zwar gerne (und hatte ursprünglich auch vor die 100 Filme mit den 100 Filmemachern im jährlichen Rhythmus sich abwechselnd zu erneuern), aber oft ist es dann einfach zu Nervenaufreibend und schlicht unmöglich. Habe an der letzten 100 Filme Liste (die irgendwann(!) vermutlich schon noch erscheint) bis Anfang dieses Jahres Wochen zugebracht, und musste dann einsehen, dass es vorläufig nichts damit wird. Aber ein paar habe ich in den letzten 10 Jahren ja doch zustande gebracht, und die letzte von 2010 geht so schon in Ordnung (obwohl ich vermute, dass momentan wohl nur ein Drittel der dort gelisteten Filme noch drinnen sein würden).
Eine solche Anstrengung von dir würde ich aber sehr gerne lesen! Zumal du mir ja scheinbar im Listenmasochismus in wenig nachstehst, und noch nicht zu den Wonnen der grenzenlosen Aufgeschlossenheit von Andi oder gar Christoph vorgestoßen bist. 🙂
Ich bin noch sehr zuversichtlich, auch wenn ich mir gerade mal ne Top 50 angeguckt habe, die ich vor zwei-drei Jahren erstellte. Die ist gar nicht mal so schlecht, wie ich in Erinnerung hatte, was mich aber wieder erinnert, was ich an Qualität rausschmeissen muss. Das wird ein Massaker! 🙂
Schön, auch mal was Positives zu diesem meiner Meinung nach schönsten „Dreileben“-Teil zu lesen. 🙂 Wobei er mich, wie so mancher Petzold, in Summe nicht hundertprozentig überzeugt hat.
(Von „Barbara“ hatte ich daher wenig erwartet und der hat mir dann ganz subtil immer mehr gefallen).
Dennoch, zu EBADT, die Atmosphäre ist toll und manche Szenen grandios (wie etwa der intime Tanz)..
@vannorden
Ja, die Qual der Wahl, diese Selbstgeißelung! Ich sehe schon, es überkommt mich wieder. 😉
@Paul
Intime Tanzszenen sind meistens toll, und wie wir mal gemeinsam mit Andi festgestallt hatten: Wenn in einem Film eine Disco-Szene vorkommt, ist es fast unweigerlich die beste Szene des Films. 🙂 Mir gefiel an D-EBADT aber vor allem der Schluss. Diese Autofahrt, die Musik, die Dialoge, und dann die letzte Einstellung. So Monumetal wie die Wiedergeburt in Kubricks Raumfahrtodyssee. Wahnsinn!
Naja, Disco Szenen gibt es mittlerweile aber in fast jedem neuen Film, zumindest in deutschen, österreichischen oder französischen. 😉 Aber meistens sind sie super, das stimmt.
Das Ende fand ich auch sehr schön. 🙂
@ vannorden
Habe inzwischen noch die übrigen 2 Teile der DREILEBEN-Trilogie gesehen und wollte dir wie an dieser Stelle versprochen ein paar Eindrücke schildern. Hat aber doch etwas länger gedauert bis ich nach dem Graf auch den hochhäusler gesehen habe.
Also der Graf war dann doch nicht ganz so gut wie erwartet. Der Film macht jetzt meiner Meinung nach nichts falsch und war gewohnt souverän inszeniert. Er hat mich aber nicht so berührt wie die besten Filme von Graf. Also sehenswert mit leichten Abstrichen – Andreas und Christoph sehen das aber übrigens anders. Mit Petzolds Film hat er so gut wie gar nichts zu tun, wobei die verweise auf den „ersten“ Teil aber sehr gelungen sind.
Hochhäuslers Film ist dann eher etwas was man allgemein wohl als gescheiterten Versuch einstufen würde. Er bekommt sein material nicht in den Griff und kann sich nicht entscheiden was er eigentlich haben will. Habe Vorschneiders Kameraarbeit noch nie so verschenkt gesehen wie hier. Ein bisschen wirkt das ganze wie ein Autounfall, aber EINE MINUTE DUNKEL war für mich (im Gegensatz zu einem halben Dutzend ETlern die ihn gänzlich misslungen finden) ein sehr faszinierender Film. Nichts funktioniert, wenig passt zusammen, viele verschiedene Richtungen werden eingeschlagen und keine verfolgt – irgendwie entstand dabei für mich ein faszinierendes Gemenge. Im Kontext der Trilogie ist dieser Film jedoch noch uninteressanter als Grafs, da selbst die Überschneidungen mit den vorherigen Teilen wie Fremdkörper wirken – nicht innerhalb Hochhäuslers Film sondern innerhalb der (virtuellen) Verbindungslinien der Trilogie.
Das Projekt an sich empfinde ich als gescheitert, und das zugrundeligende „Revolver-Gespräch“ als solches ergiebiger. Man sieht hier meiner Meinung nach nichts, was man nicht auch zu sehen bekäme, wenn man drei beliebige jüngere Filme von Graf, Petzold und Hochäusler hintereinander ansehen würde. Das einzig wirkunsvolle des Projekts, das ich retrospektiv bemerken kann ist die Tatsache, dass den Zuschauern in Deutschland (und vielleicht vor allem im Ausland) drei talentierte Filmemacher zusammen vorgestellt werden können, und die Zuschauer sich dann vielleicht auch in Zukunft für ihre weiteren Arbeiten interessierter zeigen könnten.
Was man vielleicht hätte versuchen können (und ich mir bei kommenden vergleichbaren Filmprojekten wünschen würde):
– die drei hätten ihre Drehbücher getauscht, so dass jeder das eines anderen verfilmt hätte.
– die drei hätten untereinander ihre Crew getauscht
– sie hätten eine chronologische durchgehende Geschichte verfilmt, mit der Option, dass zum Beispiel einer (auch unabhängig) angefangen hätte, und der Film dann von den zwei folgenden weitergesponnen worden wäre
– sie hätten alle drei den gleichen Film gedreht. Also die gleiche Geschichte mit den gleichen Schauspielern (vielleicht auch ein gemeinsam erstelltes Drehbuch)
Die letzte Option hätte ich als die spannendste empfunden. So wie das Projekt im fertigen Zustand jetzt auf mich wirkt, ist das Schlimmstmögliche (sprich, das Langweiligste und Uninteressanteste) eingetroffen: Die Filme stehen eher für sich, funktionieren unabhängig voneinander, und jegliche Verbindung ist mehr Behauptung als Sein. Gegenseitige ästhetische Einflüsse waren ebenfalls nicht auszumachen (also nicht mehr oder weniger stark als sowieso schon vorhanden).
Alles in allem gibt es für mich keinen Mehrwert der aus dieser „Trilogie“ entspringt – die Filme hätten auch drei andere Filmemacher drehen können. Was aber natürlich nicht gegen die einzelnen Filme (und ihre Macher) an sich spricht. Lediglich das Potential einer solchen Unternehmung wurde für mich verschenkt. Das kann man jetzt gut oder schlecht finden. Ich finde es vor allem enttäuschend.
Mich würde aber interessieren, was du zu den einzelnen Filmen und zum Projekt als ganzes sagst. Also, schau dir die Filme an! 🙂
Werde mir jetzt auch mal das Making Of ansehen und mich in die übrige (vor allem auch internationale) Berichterstattung stürzen, die ich bisher aufgrund meiner Unkenntnis der Filme zum größten Teil gemieden habe. Vielleicht ergeben sich dann noch andere Perspektiven.
Dieses Konzept, dass drei Geschichten erzählt werden, die in einer „Realität“ spielen und nur aus verschiedenen Perspektiven aufeinander ausstrahlen finde ich sehr spannend. Will auch schon ewig das ALEXANDRINER QUARTETT von Lawrence Durrell lesen. Bisher kenne ich auch nur Ansätze, wo einer es versucht umzusetzen.
Bei der DREI FRABEN-Trilogie von Kieślowski war es so fragil wie überflüssig. Nur um die „Fahne“ zusammen zu halten, wie mir damals schien.
Bei Lucas Belvauxs Trilogie kann ich nicht viel zu sagen, weil ich schon beim ersten (EIN TOLLES PAAR / UN COUPLE ÉPATANT) ausgestiegen bin, nach ner halben Stunde, weil es diese Art von süßlicher Komödie war, die sich abkrampft möglichst geistreich und menschlich zu sein, aber auf alles Unanständige verzichten möchte. Ich hatte dann auch keine Lust den Rest zu sehen. (Ich mache höchst ungerne Filme aus (bzw. schalte weg, weil der kam auf arte damals, aber das war anstrengender für mich zu sehen, als der State Building Film von Warhol.)
Was ich damit sagen möchte, die Idee finde ich super, vor allem von auch noch drei verschiedene dran arbeiten. Aber das Problem ist, dass es eine gute Idee ist, rein abstrakt, die dann auf Zwang umgesetzt zu werden scheint und nicht aus sich geboren wird. Dadurch wird es (fast) immer ein Störkörper sein. Ich hoffe ja noch auf eine gelungene Version und mir mal meine eigene Meinung machen … und auch endlich Durrell lesen. Ich werde dir dann hier berichten … in drei Jahren oder so, wenn ich tatsächlich so weit bin und Zeit dafür finde 😉
Bei Belvaux habe ich auch den Eindruck, dass es nur ein Gimmick ist und sich die Filme scheinbar, was ich bisher hörte, verstärken. Dass in einem Film Details zu finden sind, die den anderen verständlicher machen. Mich würde aber daran genau das Gegenteil interessieren, dass (lächerlich und naiv) z.B. jemand einen Slasherfilm dreht, in dem ein Hinterwäldermanic über Jugendliche herfällt und klar macht, dass der Killer ein psychopathischer Urböser ist. Nicht so was japanische smit Erklärungen 😉 Und dass dann jemand einen Film dreht, indem die selbe Geschichte erzählt wird, aber aus seiner Perspektive, wo plötzlich, alles anders aussieht und die Jugendlichen diese Urbösen sind, ohne den anderen Film irgendwie durchzuerklären, dass die beiden eine innere Logik hätten, die alles klar auflösen … Da fällt mir ein, dass ich Rashomon mag 😛 Auch wenn da alles in der gleichen Art erzählt wird …