STB Robert 2019 II

„I’ve been around so long, I knew Doris Day before she was a virgin.“ (Oscar Levant)


Wertung: Ich kann nichts mit Zahlen zur Bewertung anfangen. Deshalb gibt es hier ein System der euphorischen Aufnahme des Films. In Zahlen übersetzt wäre es wohl ungefähr: fantastisch 10 – 9 / großartig 9 – 7 / gut 7 – 6 / ok 6 – 4 / mir zur Sichtung nichts sagend 4 – 3 / uff 2 – 1 / ätzend 1 – 0. Diese Skala ist mit der Qual verbunden, Filme in eine lineare Skala zu quetschen. Deshalb hat die Wertung eine Y-Struktur für freieres Atmen. So kann ein Film eine Wertung der Verstörung erhalten: radioaktiv 10 – 9 / verstrahlt 9 – 7. Wertungen in Klammern verweisen auf das ein oder andere Nickerchen beim Schauen.

Legende: Ist im Grunde selbst erklärend. Wenn hinter der eckigen Klammer eine Zahl steht, dann gibt sie die Anzahl der Sichtungen wieder. Je höher die Zahl, desto mehr ist sie geschätzt. Da ich mit Fernsehen und Kino aufgewachsen bin, wo nur gekennzeichnet wird, wenn ein Film nicht in deutscher Sprache läuft, tue ich das schändlicherweise auch. (OmU=Originalfassung mit Untertiteln, OmeU=Originalfassung mit englischen Untertiteln, OF=Originalfassung, EF= englischsynchronisierte Fassung, OZmeU=Originalzwischentitel mit englischen Untertitel) Hinzu kommen die Zeichen ł, wenn der Film gekürzt war, und ≠, wenn ich mitbekommen haben sollte, dass das Format nicht hinhaute. Ein kleines K hinter einem Titel bezeichnet einen Kurzfilm (bis 20 Minuten), während ein kleines M einen mittellangen Film (21 bis 60 Minuten) kennzeichnet.


Vorangegangene Sehtagebücher:
2012/II | 2013/I | 2013/II | 2014/I | 2014/II | 2015/I | 2015/II | 2016/I | 2016/II | 2017/I | 2017/II | 2018/I | 2018/II | 2019/I

to be continued … und zwar hier

Dezember
Dienstag 31.12.

Liliom
(Frank Borzage, USA 1930) [DVD, OmeU] 2

fantastisch

Das Selbst als Karussell, dessen Zentrifugalkraft selbst im Himmel nicht zu entkommen ist. Das Selbst als Twilight Zone, die das in sie gesogene Subjekt verspottet. Und von den drei Versionen, die ich sah, die Verfilmung mit der interessantesten Frauenfigur … wohl auch weil es die Verfilmung ist, die am meisten an ihr interessiert ist.

Robin Hood: Men in Tights / Robin Hood – Helden in Strumpfhosen
(Mel Brooks, USA/F 1993) [DVD] 12

ok

Dass ROBIN HOOD – HELDEN IN STRUMPFHOSEN nicht das Meisterwerk ist, dass ich in meiner Jugend darin sah, war mir bei der letzten Sichtung schon aufgegangen. wie wenig hier noch funktioniert, ist aber schon erschreckend. Der Lichtblick: Wenn er denn funktioniert, dann richtig.

Montag 30.12.

Carousel / Karussell
(Henry King, USA 1956) [DVD, OmU]

gut

Ist LILIOM von 1930 ein Film über das Gefangensein in einem/mehreren Karussells des Seins/der Identität und LILIOM von 1934 einer über die Gefangenschaft in einem Verwaltungsapparat, da ist CAROUSEL einer über gesellschaftliche Wirkweisen. Dem hier charakterlos knuffigen Grobian, der hier nicht mehr Liliom heißt, steht hier eine Gesellschaft entgegen, die ihn verhöhnt und ausgrenzt, die ihn in seinen schlimmsten Charaktereigenschaften erst erschafft. Nebenher ist CAROUSEL auch ein Film über die verwischenden Grenzen zwischen kecken Benehmen und sexueller Übergriffigkeit.
Vor allem hat die Version LILIOMs von 1956 entgegen seines Namens mit Karussells nun wirklich nichts am Hut. Den Beschränkungen der damaligen CinemaScope-Technik (CinemaScopeMumps) tritt CAROUSEL nämlich mit geräumigen Einstellungen entgegen. Geschnitten wird erst, wenn es absolut nötig wird. Steif ist das Geschehen dadurch … während im Hintergrund zumeist ein gezeichnetes Meer zu finden ist (Handlungsort ist nicht mehr Ungarn, sondern eine Bucht). Die Handlung wird immer wieder für nicht selten plotfremde Gesangsnummern unterbrochen. Und so zieht sich alles dahin. Die Emotionen befinden sich ergo in Entfernung, während die hilflosen Figuren versuchen mit sich zu Rande zu kommen. CAROUSEL ist halt ein Film, der sich um seine Figuren kümmert, statt sie auszubeuten. Und damit taucht er seinen kleinen Zeh schon leicht in die Verstrahlung.

Sonntag 29.12.

The Way Back
(Peter Weir, USA/UAE/PL/IND 2010) [blu-ray, OmU]

nichtssagend

Eine kleine Gruppe flieht während des Zweiten Weltkriegs aus einem Lager in Sibirien über die Mongolei und den Himalaya nach Indien. Zu Fuß. Als Gleichnis über das Durchhalten während des Kommunismus möchte sich THE WAY BACK offensiv verstanden wissen. Am stärksten ist er so auch, wenn es einfach nur um Körper geht, die extremen Bedingungen ausgesetzt sind. Mit den Leuten selbst weiß der Film dann aber nicht so wirklich etwas anzufangen. Ihre angerissenen Hintergrundgeschichten dienen als künstlicher Antrieb für das Weitermachen. Geradezu nihilistisch ist dieser Umgang mit der Menschlichkeit der Körper, als Treibstoff wird er ausgenutzt, ohne sich weiter darum zu scheren.

The Song of Bernadette / Das Lied von Bernadette
(Henry King, CUSA 1943) [DVD, OmU]

großartig

For those who believe in God, no explanation is necessary. For those who do not believe in God, no explanation is possible. Nach diesem dem Film vorangestellten Motto ergibt sich der Aufbau. Auf der einen Seite: Bernadette, die von Jennifer Jones mit einem unfassbar entwaffnenden Lächeln gespielt wird. Sie ist ein heiliger Narr, der gerade wegen seiner kindlichen Verletzlichkeit in THE SONG OF BERNADETTE gequält wird. In jedem Stadion ihrer gesellschaftlichen Brandmarkung bzw. Anerkennung, als Schülerin, als vermeintlich Verrückte, als Heilige wird sie beschimpft, verhöhnt und entmündigt. Ihre Lebensträume wie ihre Liebe werden zerstört, sie wird mit Krebs und Tuberkulose gestraft und selbst dafür noch angegangen. Und alles nur, damit sie wieder ihr Lächeln lächelt, dass einem vermittelt, das alles ok ist. Dass Gott uns liebt.
Auf der anderen Seite: der kaiserliche Staatsanwalt Vital Dutour (Vincent Price), der nicht glauben kann und will. Er wird auch mit Krebs gestraft, aber er findet keine Rettung, weil er nicht so unschuldig lächeln kann. Stattdessen lässt ihn THE SONG OF BERNADETTE sich – solange er nicht redet – die Nase putzen. Und wenn er mal kein Taschentuch an die Nase hält, dann streicht er sich eben seinen unterkühlten Arsch am Kamin. Eine riesen Schau ist es, wie in diesem Wald aus Kreuzen steht, welche die Schatten beständig an die Wand werfen, und wie er diese nicht bemerkt. Er wird von THE SONG OF BERNADETTE zum Narren mit laufender Nase gemacht, der am Ende vor einem heilenden Brunnen steht, aber durch die Gitter des Unglaubens diesen nicht erreichen kann.
Und so pendelt der Film zwischen sadistischer Erbauung und verhöhnendem Schlemihlsein und schafft es dabei in seinem schlendernden Ton nicht garstig zu wirken. Auch trotz der wiederkehrenden Versicherungen, dass die Welt ein Jammertal ist – selbst für die Heiligen. Als erstes tauchen eben die Würstchenverkäufer an der Heilquelle auf. THE SONG OF BERNADETTE zeigt voller Hingabe stets das versöhnlich Absurde des Ganzen.

Sonnabend 28.12.

Dragged Across Concrete
(S. Craig Zahler, CA/USA 2018) [blu-ray, OmeU]

fantastisch

Eine angesteckte Zigarette liegt auf einem Geländer und droht hinabzufallen. Cop Brett Ridgeman (Mel Gibson) starrt sie an. Er wartet, ob sie fällt oder nicht, wie er auch darauf wartet, dass ein Kollege an der Tür des Apartments klopft, vor dessen Fenster er auf der Feuerleiter hockt. Oder Ridgeman (sicherlich nicht zufällig klanglich sehr nah an Riggs) sitzt mit seinem Partner Anthony Lurasetti (Vince Vaughn) in einem Auto, während sie ein Haus observieren. Lurasetti isst ein Sandwich und genießt jeden Tropfen, den er noch vom Finger lecken kann, während Ridgeman es nicht abwarten kann, dass dieses – für ihn fühlt es sich so an – Trauerspiel ein Ende hat. Es sind zwei der schönsten Momente in DRAGGED ACROSS CONCRETE, einem Film, dessen Protagonisten sich immer wieder in Warteschleifen wiederfinden. Die in unbewegten Einstellungen wie eingefroren wirken. Sie warten. Sie warten, dass sich etwas für sie entscheidet. Die vll. handeln wollen, aber im Schock festhängen. Sadismus, Folter und Mord sind die einzigen Auswege, die es in DRAGGED ACROSS CONCRETE für sie gibt. Auswege die meist nur kurz etwas beleben.
Es steckt auch ein sozialer Kommentar im Ganzen, wenn Ridgeman, ein Cop der die Schuld für sein Feststecken in seinem Job und seinem Leben gerne bei anderen sucht, mit einem afroamerikanischen Kriminellen gespiegelt wird. Beide treffen ähnliche Entscheidungen, beide handeln simultan, beide sitzen in ähnlichen Situationen fest. Nur hat der eine deutlich weniger mit seiner Engstirnigkeit für seine Lage gesorgt. Doch das Gesellschaftliche ist ein Ding, das nur mitschwingt. DRAGGED ACROSS CONCRETE erzählt stattdessen von Verbrechen und Verbrecher als Träger einer Gefühlslage. Melancholisch und mit trockenem Witz von Staumomenten – lange kommt gar nichts voran, voller Genuss – und fließend von ausagierter Wut. Von eisigen Oberflächen und den scharfen Kanten, wird erzählt, die bei deren Zerbrechen entstehen.

Freitag 27.12.

Baan sau chuk dak hin dui / Shark Busters
(Herman Yau, HK 2002) [stream, OmU]

ok

Wenn der anzunehmende wilde Sprachwitz des Originals in den Untertiteln nicht wiederzufinden ist, dann fällt in einem Film wie SHARK BUSTERS fast alle komischen Elemente weg. Die Geschichte von sich verschuldet habenden Polizisten, denen die Handhabe fehlt, um gegen die Kredithaie vorzugehen, bei denen sie verschuldet sind, wirkt so zwar weiter wie ein Cartoon, aber es entsteht eine gewisse Orientierungslosigkeit, weil die Lacher fehlen.

Donnerstag 26.12.

Liliom
(Fritz Lang, F 1934) [DVD, OmU]

gut

Die kurz zuvor unter Borzages Regie entstandene Version des Theaterstücks Ferenc Molnárs hat Fritz Lang so gar nicht gefallen. So scheint es zumindest. Statt der entweltlichten Handlungsorte wird hier nämlich auf sehr physische, heruntergekommene bestanden. Dort, wo sich die Kreise des Karussells bei Borzage auch noch im Himmel drehen, da ist es der die Leute drangsalierende Verwaltungsapparat, der hier auch im Himmel zu finden ist. Und wo Charles Farrell ein armer Tropf ist, dessen Brutalität sichtlich aus seiner Hilflosigkeit entsteht, da ist Charles Boyers Liliom in seiner Rabiatheit charismatisch und ein leidenschaftlicher Aufschneider. Die beiden Versionen stellen im Grunde ziemlich gute Konterparts dar, ließe sich die zu deutlich mehr Ausführlichkeit neigende Prosa dieser Fassung im Himmel nicht völlig gehen, wodurch hier alles im zu Tode verwaltenden Stillstand endet.

Cats
(Tom Hooper, UK/USA 2019) [DCP, OF]

???

Auch wenn ich im Ganzen doch einen Tick mehr angetrübt war, als von der offensichtlichen Spinnertness angetan, sagt es Kamil M. im Gesichtsbuch sehr passend:
CATS ist ein Film, der aus Sensibilitäten entstanden ist, die so überhaupt nicht meine sind, und den ich dennoch gerade in all dem, was er unbewußt seiner selbst macht, sehr gern mochte. Das, was er gar nicht sein will oder gar nicht weiß, dass er sein könnte, ist er umso hemmungs- da ahnungsloser (eine tolle Rezension dazu schrieb vor ein paar Tagen Beatrice Behn im Sissymag: „Divine und horny im Tal des Unbehagens“). Für das, was er sein will, hat er hingegen erst mal keine so richtig gute Form: Will man anhand des Films beurteilen, was für Musik Andrew Lloyd Webber macht, trifft bei ihm ein ungesund wohlinformiertes Talent für britische Music-Hall-Lieder auf eine erstaunlich kompromisslose Vorliebe für die Effekte des Synthclaviers aus den 80ern. „Memory“, als Musical-Song traditioneller Machart allemal ganz nice, ist zu Recht das einzig bekannte Stück daraus – ansonsten ist die Musik vor allem aufgescheucht, dramatisch und gut drauf. Da ich der Story kaum folgen konnte, hätte nahezu jeder Song ein effektiver Schlusspunkt sein können. Unter Music Production in den Credits wird unter anderem auch Nile Rodgers aufgeführt, aber „additional“ heißt in diesem Fall vermutlich: wird erst nächste Woche in einer der fortlaufend aktualisierten Fassungen enthalten sein. Weniger gelungen ist auch die bewährt trübe One-Note-Inszenierung von Tom Hooper, dessen ästhetische Vorstellung im Wesentlichen daraus besteht, Orangetöne von der Seite blau oder rot anzustrahlen. Und dennoch: Wie kann man einen Film nicht mögen, in dem sich zwei Stunden lang Schauspieler als dauerrallige Cat People aneinanderreiben, anschnurren, die rauschhaft hypersexualisierte Fellorgie frei von jeglicher Genderbinarität die naheliegendste Art von Kontakt und Kommunikation ist? In der großartigen, leider viel zu kurzen Performance von Taylor Swift, für mich eines der größten Filmhighlights in diesem Jahr, sieht man für einen Moment auch, was für ein Film CATS hätte sein können, hätte er das sexuell performative Potenzial dieses dämlichen Musicals so bewußt genutzt, wie es Swift macht.
Das CGI-Fell, seit Monaten Anlass für Spott, sieht übrigens bei allen Schauspielern sehr schön aus.

Wem das nicht reicht, für den hat es Jochen W. im perlentaucher noch umfangreicher ausgeführt.
Den von Lukas F. bei letterboxd beschriebenen Film hätte ich aber am liebsten gesehen.

Mittwoch 25.12.

Jet Pilot / Düsenjäger
(Josef von Sternberg, USA 1957) [blu-ray, OmU, ≠]

großartig

Die Verquickung von Spionage und Gegenspionage entspricht grundsätzlich der von DISHONORED. Nur ist John Waynes Figur kein schmieriger Russe, sondern ein prüder US-Amerikaner, und Janet Leigh keine mit allen Wassern gewaschene Österreicherin, sondern eine indoktrinierte Sowjetrussin, die sich von dem Glanz des Kapitalismus verführen lässt. Und von Sternberg erzählt diese Geschichte vom Kalten Krieg als Kampf der Geschlechter ähnlich überdreht wie DISHONORED. Statt edlem Schwarzweiß eben in giftigem Grün … mit Fetischkleidung, mit der hysterischen Angst des Manns vorm anderen Geschlecht, mit durch die Luft rasenden Phallen, die nach Andrew Sarris mehr Sex haben dürfen als die Leute. Kurz er passt seinen Spionage-Cartoon einer neuen Zeit an.

Dienstag 24.12.

Psycho II
(Richard Franklin, USA 1983) [blu-ray, OmeU]

großartig

Eine Liebesbeziehung, ein ehemaliges Opfer, eine neue Mutter: von diversen Winkeln wird auf einen nur noch hilflosen Norman Bates (Anthony Perkins) eingewirkt, um ihn wieder in sein heimatliches Gefängnis zu stecken. In PSYCHO II wird ein kleiner Junge im Körper eines mittelalten Mannes gequält und überfordert, bis er zerbricht … wobei in den gorigen Spitzen der Morde die entstehenden Risse in seiner Seele auf die Leinwand/den Bildschirm gebracht werden.

Montag 23.12.

Star Wars: Episode IX – The Rise of Skywalker / Star Wars: Episode IX – Der Aufstieg Skywalkers
(J.J. Abrams, USA 2019) [3D DCP, OF]

uff

Die ersten zehn, fünfzehn Minuten fühlten sich wie eine Lobotomie für THE LAST JEDI an. Alles was ihn ausmachte, wird zurückgenommen, alles was der vorherige Teil zuführte, ausgelöscht, um J.J. Abrams‘ Nostalgiekaffeefahrt Platz zu machen. Die Albernheit und der Ernst werden wieder fein getrennt, alte Bekannte (Ewoks, Lando, Han Solo uswusf.) werden, nur für das Gefühl Oma besucht zu haben, kurz durch den Film geschleift, die Figuren verlieren ihre Spannung und fallen zu Leuten ab, die mit ihren angestrengt coolen Oberflächen zusammenfallen. Und wenn hier tatsächlich Einflüsse von außerhalb des STAR WARS-Referenzsystem Einzug halten dürfen, dann wird die dort schon überstrapazierte Dramaturgie von AVENGERS: ENDGAME recycelt. Oder anders: eine der ersten Amtshandlungen ist, dass Keylo Ren seinen Helm wieder aufsetzt. Oder noch anders: wie Thomas G. hier sagt.

Sonntag 22.12.

Jumanji: The Next Level
(Jake Kasdan, USA 2019) [DCP]

ok +

Ein schöner Film hätte es darüber werden können, dass sich Leute in anderen Identitäten ausprobieren. Das tatsächliche Heil, das JUMANJI: THE NEXT LEVEL sucht, ist aber das des Wohlgefallens in sich selbst. Statt Bereicherung (des Films und der Charaktere) wird sich auf Redundanz zurückgezogen und auf Wiederkehr von Bekanntem ohne Mehrwert. Noch dazu werden Abenteuer und Gefühlslage der Protagonisten nicht verwoben, weshalb das Abenteuer immer wieder Pause machen muss, um zu den Emotionen der Spieler unter den Avataren zurückzukehren. Nichtsdestotrotz handelt es sich lange um einen quatschigen Film, der seine Potentiale nicht verstecken kann, bis e irgendwann nur noch den Verunsicherten Sicherheit bieten möchte. Damit ist er zwar ein sehr schöner Film für seine Zeit, aber auch ein bisschen langweilig.

Star Wars: Episode VIII – The Last Jedi / Star Wars – Episode VIII: Die letzten Jedi
(Rian Johnson, USA 2017) [blu-ray, OmeU]

großartig

Der Ansatz von THE LAST JEDI ist dem von THE FORCE AWAKENS nicht unähnlich. Im Grunde sind sämtliche Szenen, Handlungsorte, Konstellation uswusf. Entsprechungen von etwas, dass sich in der Originaltrilogie finden lässt. Doch anders als bei J.J. Abrams‘ Remix des eigentlichen KRIEG DER STERNE wird unter der Regie von Rian Johnson nicht versucht zu einer verehrten Heimat zurückzukehren. Noch weniger erstickt alles unter Ehrfurcht und Selbstreferenzialität. THE LAST JEDI fordert die heilige Trilogie heraus, denkt sie gnadenlos weiter, stellt sie ins Unrecht und hat einen riesigen Spaß dabei, mit dem Urtext zu spielen und ins Unbekannte zu führen. Und vor allem hat er optisch mehr im Köcher, als die Ruinen einer untergegangenen Welt. Programmatisch lässt THE LAST JEDI Keylo Ren (Adam Driver) seinen lächerlichen Helm, der ihn zu einem kleinen, nacheifernden Trotzjungen macht, an einem Fahrstuhlschacht zerschleißen und ihn zu ihm selbst werden.

Freitag 20.12.

The Force Awakens / Das Erwachen der Macht
(J.J. Abrams, USA 2015) [blu-ray, OmeU] 2

nichtssagend

Vll. das denkbar unspannendste Produkt eines geradezu opaken Inzestgenpools.

Donnerstag 19.12.

We Own the Night / Helden der Nacht
(James Gray, USA 2007) [blu-ray, OmeU] 2

fantastisch

Auch: die Geschichte eines Mannes (Joaquin Phoenix), der zum frustrierten Ordnungshüter wird, weil er nicht zum Koitus vordringen kann. Die erste Szene nach dem Vorspann, der über melancholische Schwarz-weiß-Schnappschüsse von Süchtigen, Toten und Untersuchenden – einer äußerst ernsten Lage – läuft, besteht nur aus wunderschöner Geilheit … bis das Klopfen an der Tür einsetzt.

Dienstag 17.12.

Sommer, Sonne, AK 8 k
(Helmut Schneider, DDR 1956) [DCP]

großartig

Ein Werbefilm für eine Super-8-Kamera aus der DDR, der einer Abhandlung über die Auswirkungen einer Kamera auf das Gefilmte gleicht. Ist es in KID AUTO RACES AT VENICE noch Charlie Chaplins Tramp, der sich wie ein Pfau vor die Kamera stellt und so den Willen zur Selbstdarstellung karikiert, da ist es hier nicht die Anwesenheit eines Geltungsgeilen, welche zwischen einem Dokumentierenden und seinem Sujet steht, sondern die Kamera selbst. Nacheinander leihen sich Leute diese Kamera aus und das Vorgefundene verändert sich. Von Strohheims werden aus den Leuten hinter der Kamera, welche die Bäume in ihren Gärten fällen, um die richtige Perspektive auf ihre Familienfeiern zu bekommen, und die Realität ist irgendwann so verzerrt, dass die Kamera am Grund eines Sees, indem sie ausversehen viel, eine Skatrunde antrifft. Oder die Kamera wird zum Spanner, die durch das fehlende Wissen der Gefilmten, diese zu Entlarvten und Ertappten macht, die beispielsweise beim Gammeln auf der Arbeit gefilmt werden. Der Off-Kommentar erzählt nur von Vorzügen eines konsequenzloses Vergnügen. Die Bilder zeigen aber eine Maschine, die einen Pakt mit dem Teufel gemacht zu haben scheint und die nur das eine nicht liefern kann, nämlich ein Vergnügen ohne Konsequenzen.

Kleines Zelt und große Liebe
(Rainer Geis, BRD 1956) [35mm]

großartig

Karin Faber (Susanne Cramer) sagt in KLEINES ZELT UND GROSSE LIEBE zweimal, dass sie heiraten möchte, um frei zu sein. Zweimal bringt sie mit diesem Bonmot ihre Naivität zum Ausdruck. Dergestalt wird sie zur Hauptfigur einer Läuterungsgeschichte, in der aus einem verwöhnten Gör eine selbstständige Frau (gemacht) wird. Ein wichtiges Mittel der Vermittlung ihrer Wandlung sind ihre Kleider. Sieht sie erst aus wie ein Vamp aus einem Hitchcock Film (wie ein Tippie Hedren Lookalike bevor Tippi Hedren Karriere machte), kämpft sie sich als Ruderin wider Willen mit übergroßen und zu wenig Kleidung durch die Camping- und Ruderabenteuer. Erst zum Schluss, wenn sie die Dinge des Haushalts und des einfachen Lebens meistert, darf sie wieder passende Kleider tragen, nur sind diese viel einfacher.
Doch neben diesem antimodernen Narrativ, wo die Vogue die Leute zu Luftikusen macht, erzählt KLEINES ZELT UND GROSSE LIEBE aber eben auch eine andere Geschichte. Wenn Karin aus einem Internat flieht, um zu heiraten und eben vom Ruderer Peter Brahm (Claus Biederstaedt*) mitgenommen und zum einfachen Leben (in einem gemeinsamen Schlafsack) gezwungen wird, dann wird dies wie ein Ausbruchsfilm inszeniert. Die Außenfassade des Internats besteht nur aus Gittern, die Inneneinrichtung wie die Realisierung der Miefigkeit hinter dem Glanz ihres Goldenen Käfigs zu Hause. Mit Hunden wird sie verfolgt. Und unterwegs ist alles voll mit Förstern und Beamten, die ein Verbot nach dem anderen aussprechen… oder es sind eben soziale Fallstricke, die ein einfaches Handeln verhindern. Die BRD in KLEINES ZELT UND GROSSE LIEBE ist so eng, dass selbst bei einer Flucht in die Wildnis niemand sicher vor ihr ist.
*****
* Ein Schauspieler mit einer unglaublichen Präsenz. Ich habe mal nachgeschaut und gerade einmal drei Filme mit ihm gesehen (und dazu eine Hand voll DERRICK-Episoden). Mir kam es so vor, als hätte ich schon tausende gesehen.

Sonntag 15.12.

Yi boh lai beng duk / Ebola Syndrome
(Herman Yau, HK 1996) [DVD, OmeU] 2

radioaktiv

Letztens gab es hier ja anlässlich eines Films Til Schweigers ein paar erklärende Worte zu der hier gebräuchlichen Wertungsskala. Dass Filme die mit uff und ätzend eingeschätzt werden, als Seherlebnis irgendwo eben nicht ok waren. EBOLA SYNDROME – ein Film, der es sich einen Spaß daraus macht, dass er einen triebgesteuerten, stinkenden Anthony Wong als Geisel der Menschheit loslässt und lange mit hemmungslosen Witzen (Ebola Viren, die im Inneren von Wongs Mund aus Sicht der Kehle zu sehen sind, mit Blick auf die von den Viren Bedrohten) so tut, als würde er Kinder und diverse Frauen nicht zu Opfern eines immer widerlicher wütenden Irren machen, und es dann doch eiskalt macht, war als Seherfahrung irgendwie nicht ok. Aber aus Gründen von Verkommenheit des Sehenden und brutaler, unnachgiebiger Kraft des niederträchtigen Films war es eben auch ein Vergnügen. Radioaktiv eben.

The Last Wave / Die letzte Flut
(Peter Weir, AUS 1977) [blu-ray, OmU]

gut

White guilt – der Film. Das Terrain, welches THE LAST WAVE den Aborigines zuweist, ist das eines Horrorfilms. Sie tauchen in Träumen auf, verfolgen einen in der Nacht, sie sind Zauberer mit unheimlichen Kräften, sie sind Teil einer verschworenen wie verschwiegenen Gemeinschaft. Die Kamera untersucht ihre Körper und Gesichter in der Angst, dort nur Gewalt und Terror zu finden. Und vor allem wissen sie Bescheid über die kommende Flut, die vll. Sydney ertränkt, vll. aber auch Australien, vll. die ganze Welt. Eine Flut, die sich mal in kurzen Momenten in Form von brutalem Hagel ausdrückt oder eben durch Wasser in allen Formen, das vor allem aber durch den ewigen Regen in alle Ritzen der Häuser und in alle Ritzen der Psychen dringt.
Und David Burton (Richard Chamberlain) ist Träger der Sehnsucht danach, dazu zu gehören, statt sich schuldig für den Genozid der eigenen Vorfahren zu fühlen. Nicht das Außenvor als Horror zu empfinden, sondern Teil des Anderen zu sein. Sein Sehnen und Ringen ist das von THE LAST WAVE und es ist ein äußerst effektives und aufrichtiges. Sobald sich aber herausstellt, dass er eine Art Messias der Aborigines ist, dass er ein Prophet der Flut ist, passiert das Seltsame. Denn der Film dreht bei einer solchen unverfrorenen Gemütslage nicht durch, sondern trocknet aus, wird ganz ernst und verliert sich in engen Gängen. Gänge, die erst von Rohren (zivilisierten Adern) bestimmt sind, aber zu Höllen mit Schädeln und Malereien werden. Die Bilder von feuchter Übermacht und klammen Ausgeliefertsein werden mit impotenten Bildern von Zähmung dieser Macht ersetzt. Und vll. ist es ganz gut so, dass THE LAST WAVE den fantastischsten Sprung der white guilt, wo aus Schuld nicht nur Teilhabe, sondern auch Übermacht wird, wie das Irrelevanteste seiner selbst aussehen lässt.

Jam
(SABU, J 2018) [stream, OmeU]

ok +

SABU rennt inzwischen wie eine seiner ewig rennenden Figuren … und zwar seiner Form hinterher. Er holt langsam auf und wird dabei zur Entsprechung von volkstümlichen Schlager, wie hier steht.

Sonnabend 14.12.

Ad Astra / Ad Astra: Zu den Sternen
(James Gray, USA 2019) [DCP, OmU] 3

fantastisch

Auf critic.de wurde nach den besten Filmen des nun bald endenden Jahrzehnts gefragt und nach dem besten Kinomoment von 2019. Auf beiden Fragen habe ich (teilweise) mit AD ASTRA geantwortet.

Freitag 13.12.

Polizeiruf 110 (Folge 358) Wölfe
(Christian Petzold, D 2016) [stream]

fantastisch

In der Mitte zwischen zwei stringenten Polizeirufen, die Petzold dem Ermittler Hanns von Meuffels (Matthias Brandt) auch spendierte und wo Symbolik, Krimi und die über ihn vermittelten Liebesgeschichten ineinandergriffen, dies. WÖLFE. Die von von Meuffels geliebte Constanze Herrmann (Barbara Auer) ertränkt die Spannung, die KREISE hinterlassen hat, in Alkohol und Zigaretten. Irgendwo tut sie es nur, damit der auf dem Silbertablett gelieferte Täter nicht sofort Hops genommen wird und damit WÖLFE noch mehr dieser obskuren Plotlinien verfolgen kann, die schon die Suche nach dem realen Täter ist. BND, türkische Faschistengruppen, Lynchmobs, Werwölfe mit stechend roten Pupillen, riesige zoologische Aquarien, wo bisher Leichen untersucht wurden: alles reiht sich ein in eine Liebe, die nichts so richtig mit sich anzufangen weiß, die impulsiv und zurückhaltend schlingert. Ein Telefon, das immer klingelt und die Welt zwischen die Liebenden und ihre Möglichkeiten zur Aussprache treibt, macht Leute hier zu Leuten, die ihren eigenen Emotionen gegenüber Wölfe sind. Aber vll. auch etwas völlig anderes in dieser Wirren Ansammlung von romantisch eingefärbten Nachtspaziergängen und verwirrtem Herumirren an unklaren Orten.

Donnerstag 12.12.

Polizeiruf 110 (Folge 381) Die Lüge, die wir Zukunft nennen
(Dominik Graf, D 2019) [stream]

großartig

Wie zuletzt bei Graf öfter eine peitschende Springflut an Impressionen und Offenbarungen einer offenen, weitreichenden Gesellschaft, dessen Krimi nur in der Mitte eines lediglich erahnbaren Netzes von Auslösern und Folgen steht. Ein Einsatzkommando wird wegen Insidergeschäften untersucht und im Zuge dessen tun sich Fragen auf Makro und Mikroebene über Integrität, Gerechtigkeit, Kapitalismus, Politik, Aktienmärkte, Ambitionen, Liebe, Ausgrenzung uswusf. auf. Und alles mit einem Personal, das die Ehrbarkeit der Institutionen, als deren Vertreter sie auftreten, mit Schmutz befleckt. Polizisten, die als Stricher arbeiten oder zu psychotischen Säufern geworden sind. Politiker, die ihr Aufgabenfeld für persönliche Vendetten nutzen. Aktienhändler, die ihre Töchter prostituieren. Eine Springflut, die also auch wieder als fröhliche bis melancholische Dreckschleuder funktioniert. Am Ende gibt es per Twist zwar noch einen Moment, der so etwas wie einen Abschluss vortäuscht, aber die Melancholie über den Zusammensturz einer Liebelei steht dann eben mehr für ein Wegbrechen, statt ein Aufarbeiten des Geschehenen. Weitergehen ohne Lösung als einzige Möglichkeit.

Dienstag 10.12.

Meine Frau macht Musik
(Hans Heinrich, DDR 1957) [DCP]

gut +

Am schönsten ist auch, dass sich MEINE FRAU MACHT MUSIK am Ende tatsächlich traut ein Vincente Minnelli-inspiriertes Musical zu sein, statt wie zuvor nur den großen Zeh hineinzuhalten … und dass der Film darunter förmlich kollabiert und sich nach seiner großen Revue völlig befriedigt ins ansatzlose Happy End fallen lässt.

Wir spielen Hochzeit
(Klausdieter Roth, DDR 1964) [???]

ok +

Eine poetische Warnung vor zu frühen Eheschließungen. Eine heuchlerische, bürgerliche Moral muss doch nicht im realexistierenden Sozialismus fortgesetzt werden.

Doctor Sleep / Doctor Sleeps Erwachen
(Mike Flanagan, USA 2019) [DCP]

nichtssagend

Etwas musste ich an die Erzählungen eines getriebenen Edmund Husserls denken, der extra Steno lernte, damit er nachts seine Gedanken schneller aufschreiben konnte, um wenigstens etwas Schlaf zu bekommen, und am Ende sind vor allem immer neue Grundsteine seiner Phänomenologie herausgekommen. Immer wieder nur ein neuer Beginn.
DOCTOR SLEEP baut nun die Welt von THE SHINING aus und macht aus ihr eine der Jedi-Ritter. Der dunklen Seite des Shinings folgen traumatisierte Leute, die vom Leid ihrer Mitmenschen leben und von dort eine fast ewige Jugend erhalten. Vampirische Unsterbliche sind es, die den Pfad der Rache so weit gegangen sind, bis sie nur noch Monster waren. Auf der anderen Seite finden sich Kinder mit enormen Potentialen, die von der Aussaugung, Ermordung oder Assimilation durch die dunkle Seite bedroht sind. Kinder, die vor Unheil beschützt werden müssen, damit sie ihre Kräfte voll ausschöpfen können. Zwischendrin die Anonymen Alkoholiker in Form von Danny Torrance (Ewan McGregor). Zwar erhielt er kurz nach den Geschehnissen von THE SHINING die Kräfte, die ihn verfolgenden Geister des Overlook Hotel in sich wegzuschließen, der aber trotzdem Alkoholiker wurde und erst spät einen Weg findet, auch diesen Dämon in den Griff zu bekommen.
Der Kampf zwischen dieser dunklen und der hellen Seite des Shinings bzw. der Einfall von nonkonformistischen (Zombie-)Landstreichern in idyllische, heile Familien in idyllischen, heilen Vororten ist nun einer der Phantastik. Realitätsebenen werden sich gegenseitig vorgegaukelt und damit Fallen gestellt. Bilder der Vergangenheit verfolgen einen in Visionen und mehrere Kilometer entfernte Personen können doch als Präsenz vor Ort sein. Reichlich lässt sich DOCTOR SLEEP einfallen, um eine schöne, aufregende, faszinierende Welt zu erhalten. Doch das Meiste findet nur einmal Verwendung. Nach einem kurzen Anreißen wird es dann einfach liegen gelassen und sich neuen Dingen zugewandt.
Danny Torrance wird beispielsweise einmal von einer Vision eines One-Night-Stands verfolgt, neben dessen Leiche er am nächsten Tag aufwachte. Die tote Frau ließ er mit deren Baby alleine zurück. Genau einmal wird er von diesem Umstand heimgesucht, dann ist auch wieder gut. Oder es sind die Guten die plötzlich gegenüber ihren Widersachern einen gravierenden Sadismus entwickeln. Ihre geistige Gesundheit wird davon aber nicht bedroht. Als ob sich vor Ambivalenzen gesträubt wird.
Abra Stone (Kyliegh Curran), ein besonders begabter Teenager, soll von Rose the Hat (Rebecca Ferguson), einer der stärksten der dunklen Seite, ausspioniert werden. Aufenthaltsort und Schwachstellen möchte Rose in Erfahrung bringen, indem sie die Erinnerungen Abras durchforstet. Zugänglich werden sie ihr mittels des Shinings. Ein riesiger Aktenschrank steht plötzlich vor Rose in Abras Schlafzimmer. Doch schnell stellt es sich als Falle Abras heraus, die ihrerseits in Roses Kathadrale von hunderten Jahren Erfahrungen eindringt und den Spieß umdreht.
Es hört sich hier vll. ziemlich trocken an, aber etwas Fantasievolles deutet sich an, das sich vor SPONGEBOB SQUAREPANTS nicht verstecken braucht. Die Leute in DOCTOR SLEEP sind begehbar. In ihnen befinden sich unendliche Weiten und Möglichkeiten, um ihnen Leid und Glück zuzufügen und um dies filmisch darzustellen. Doch weder werden diese Orte nutzbar gemacht (heißt: sie tauchen trotz ihrer Potentiale nie wieder auf), noch haben sie einen erzählerischen Nutzen (heißt: niemand gebraucht das, was er in den Akten vorfand). Außer zu etwas Gore mit einer Hand führt diese Szene mit den Aktenschränken zu nichts. Gerade für einen Film, der von Traumata, Schuld und Bedrohung von Geborgenheit erzählt, entwickelt DOCTOR SLEEP unglaublich wenig Gravitas. Da, wo bei Husserl die Getriebenheit hinter den ständigen Neubeginnen stand, scheint hier einfach kein Interesse vorhanden zu sein, aus einer Idee mehr als ein Gimmick zu machen. Fast alles wird hingeworfen und brach liegengelassen.
Am schlimmsten ist dabei, dass Abra bei jeglichen Aufeinandertreffen mit ihren Gegenübern so überlegen ist, dass Danny zwar immer wieder davon erzählt, wie übermächtig die von der dunklen Seite sind, es wirkt aber nie so. Vll. handelt es sich bei DOCTOR SLEEP um ein Essay um selbstbehindernde Selbstzweifel. Mglweise ist er aber vor allem das Hoffnungsvollste, was es gerade zu schauen gibt. Denn die von Leid und Schmerz lebenden Aasgeier der dunklen Seite, die in der Vergangenheit der Menschheit Imperien erschufen und zerstörten (wieder etwas, was DOCTOR SLEEP einmal knapp anspricht und nicht darauf eingeht), sind in der Gegenwart des 21. Jahrhunderts nur eine verhungernde Bande von Rumtreibern. Netflix und Smartphones betäuben uns und überall gibt es offene, helfende Leute sowie Traumata verhindernde glückliche Ehe (zwischen Afroamerikanern und Kaukasiern). Für zweieinhalb lange Stunden hat das Böse keine Chance, so umsichtig und gesund ist die Welt fast ausschließlich. Die Auseinandersetzung mit dem Trauma der Vergangenheit (d.h. dem Overlook Hotel), zu dem schlussendlich selbstredend zurückgekehrt wird, wird deshalb lediglich wie eine nostalgische Spritztour begangen.
Singuläre Highlights eines Films ohne Atmosphäre und Faszination für sein Sujet sind Rebecca Fergusons Hut und die große, auf Zehenspitzen sich an sie heranschleichende Kiste im Irrgarten vor dem Overlook.

Montag 09.12.

The Lighthouse / Der Leuchtturm
(Robert Eggers, CA/USA 2019) [DCP, OmU]

großartig

Zwei Strategien verfolgt THE LIGHTHOUSE. Einmal zeigt uns der Film das Geschehen konsequent aus der Perspektive eines unzuverlässigen Erzählers. Ephraim Winslow (Robert Pattinson), wie er sich zeitweise nennt, hat gleich nach seiner Ankunft auf der abgelegenen Insel, auf der er für 4 Wochen mit Thomas Wake (Willem Dafoe) als Leuchtturmwärter arbeitet, eine Vision. Leichen und Meerjungfrauen sieht er. Ein Anblick, der ihn wie hypnotisiert ins Meer lockt. Zudem widerspricht er sich ständig. Wir erleben ihn beim Lügen, und sein Name wird sich als Verdeckung seiner wahren Identität herausstellen.
Sein Gegenüber werden wir u.a. sehen, wie er eine Axt auf einen Tisch schlägt und wie er wenige Sekunden später Winslow beschuldigt, es getan zu haben. Es ist ein wiederholt verwendetes Muster: Wake tut etwas und bezichtigt den anderen, es gewesen zu sein. Und da Winslow eben nicht vertraut werden kann – gerade bei dem zunehmend fließenden Alkohol und gerade da der scheinbar zu Unrecht Angeklagte außerhalb solcher Situationen zu Jähzorn neigt – besteht THE LIGHTHOUSE ziemlich schnell aus einer unsicheren, gallertartigen Realität, bei der es unmöglich ist zu sagen, wem oder was wir glauben können.
Thomas Wake wird in einer seiner wunderbaren, literarisch hochwertigen Schimpftiraden gegen Ende Winslow entgegenblaffen, dass dies alles – die Gewalt, die Insel, Wake selbst – vll. nur Ausgeburt seiner Phantasie ist. Es ist ein Meta-Witz, der eben auch darin liegt, dass der absolute Megagau an Einfallslosigkeit angesprochen wird, der omnipräsent über all dieser systematischen Zerstörung von Sicherheit lauert.
Wakes Identität wird über diverse trunkene Geständnisse zunehmend mit der eines ehemaligen Vorgesetzten Winslows, der tatsächlich Träger des Namens Ephraim Winslow war und möglicherweise von Winslow umgebracht wurde, verschmelzen, wie Winslow scheinbar mit den Autoritätsfiguren des Films verschmelzen möchte, da er sich beständig nach ihnen benennt. All dies in seiner zwanghaften Unterminierung der Wirklichkeit ist am besten, wenn eine große Offenbarung angedeutet wird, sich aber nur etwas ganz Bodenständiges aufgedeckt wird. In seiner Masse ist es aber vor allem enervierend und vor allem überflüssig.
Die zweite Strategie ist eine sinnliche. Robert Pattinson erinnert beim Kohleschaufeln mit seinem Hut, seinem Schnurbart und seinen mit Hosenträgern bespannten Muskeln an Tom of Finland. Kotze wird in seinem Bart kleben. Willem Dafoe wird den Film über Pissen, Furzen und in einer fast prophetischen Sprache Schimpfen. Beide werden beim Masturbieren zu sehen sein. Schleim und Sperma werden tropfen. Ärsche werden verstohlen bespannt werden. Nässe, Schmutz und Schlamm wird das Innere des Leuchtturms übernehmen. Wind pfeift ständig. Ein Horn wird repetitiv dröhnen. Riesige Vaginas auf Meerjungfrauen werden zu sehen sein, ebenso wie Tentakel, die durch den Leuchtturm streifen. Der Alkohol wird fließen.
Und all diese Körperlichkeit des Films läuft in dem Fakt zusammen, dass nämlich Thomas Wake Ephraim Winslow nicht zur Lampe des Leuchtturms vorlässt und ein großes Geheimnis daraus macht. Noch verführerischer wird sie leuchten, diese riesige, geheimnisvoll Weggesperrte. So intensiv wird sie werden, dass ihre Wärme Erleuchtung und Tod verspricht. Wiederholt sehen wir Leute, die töten wollen, aber zögern. Oder wir sehen ihre Perspektive, d.h. einen nichtsahnenden Hinterkopf und die Worte aus dem Off, die von dem Drang des Mordens sprechen. Oder wir sehen Wake und Winslow besoffen und umschlungen, die kurz davor sind sich zu küssen. Der eine wird den anderen aber doch wegstoßen, weil sein Ekel über seine Neugier gewinnt.
THE LIGHTHOUSE ist ein Film über den Kampf gegen die ungeheuren Gefühle, über Hürden in einem, und darüber, wie der eigene emotionale Haushalt sich im Angesicht einer widersprüchlich empfundenen, wie überwältigenden Sinnlichkeit auffrisst. Das Spiel mit den Identitäten passt sich in seinem Wunsch nach Verschmelzung sehr gut darin ein. Es ist nur zu aufdringlich und unproduktiv, weil es mit uninteressanten Nichtigkeiten über unsichere Faktizität die Zerstörung der Realität betreibt, die in einem solchen Sumpf eh keine Chance gehabt hätte.

Sonntag 08.12.

Anatahan / Die Sage von Anatahan
(Josef von Sternberg, J 1953) [blu-ray, OmeU] 2

großartig

Bevor ich ANATAHAN das erste Mal sah, hatte ich gelesen, dass die Künstlichkeit von von Sternberg hier ihren Höhepunkt erreicht hatte. Jegliches Wasser sei noch durch wellende Plastik ersetzt. Diese Anmerkung war aber wohl eher sinnbildlich gemeint. Ein bisschen bin ich jedenfalls auch beim zweiten Schauen enttäuscht, wenn das Meer zu sehen ist und es tatsächlich aus Wasser besteht. Seine HERR DER FLIEGEN-artige Geschichte über eine kleine Gruppe Gestrandeter packt von Sternberg aber tatsächlich in ein großes Terrarium. Die Bilder von Leute in einem sichtlich menschlich geschaffenen Dschungel entsprechen ihrer Geworfenheit in eine künstliche Situation. Diverse Soldaten und eine Frau finden sich auf dem Eiland wieder. Und während die alte Gesellschaft von ihnen abfällt und sich ein einfacheres System in dieser Mangelwirtschaft herausbildet, werden von außen Dinge wie Alkohol und Waffen eingefügt … und damit die Eskalation von Kontrollverlust und einer Macht, die hier immer Missbrauch ist. Die Situation wird so simpel aufgebaut, wie ein Cartoon mit dem Roadrunner und Willy Coyote. Nur geht es nicht um fröhliche Lacher, sondern darum Menschen in einer Art Naturzustand zu zeigen. Wölfe, die ohne größere gesellschaftliche Strukturen einander Wölfe werden. Wölfe, die beim Anblick von Frauen hier nicht Jaulen und deren Herz nicht meterweit aus ihrer Brust pocht, sondern Wölfe, die Starren und Gieren. Um triebhafte Männer geht es und eine Frau, die geschmeichelt zu spät erkennt, dass sie nicht Herr der Attraktionen und Zuneigungen ist, sondern von diesen bedroht wird. Dass sie für die Männer nur der nackte Körper im Badefass oder vorm Meer ist, zu dem ANATAHAN sie wiederholt macht. Die Karten sind gezinkt … was nicht heißt, dass es nicht stimmen könnte, was geschieht. Es heißt aber durchaus, dass von Sternberg aus seinem vorletzten Film eine vereinfachte Abrechnung mit dem Menschsein bzw. dem Mannsein macht. Macht und Machtlosigkeit rufen hier nämlich einfache Dinge hervor, die klar verständlich sind: Unterdrückung, Bedrohung, Jagd, Mord. Aber selbst der ewig traurige, nach Verständnis suchende Off-Kommentar vergrößert nur die lediglich erahnbare Schwärze, die in ANATAHAN die Herzen mit triebhafter Gier an sich reißt. Menschsein bedeutet in diesem ruhigen, bedachten, fast apatischen Film Reue.

Sonnabend 07.12.

The Bravados / Bravados
(Henry King, USA 1958) [blu-ray, OF] 2

fantastisch

Alleine wegen den Farben werde ich THE BRAVADOS immer wieder schauen … und für Gregory Peck, der bei King immer wieder Faschisten spielen durfte, die aus nachvollziehbaren Grund sich Ganzkörperpanzer bauen und darunter zerbrechen. Kantige Züge mit zarten Augen, die ernste Starrwettbewerbe immer verlieren.

Akasen chitai / Die Straße der Schande
(Mizoguchi Kenji, J 1956) [DVD, OmeU] 2

großartig

Aus dem fast hoffnungsvollen Geisha-/Prostitutionsgewerbe von EINE FRAU, VON DER MAN SPRICHT ist ein hoffnungsloses geworden. Schulden, die einen zu dieser Arbeit zwingen; gesellschaftliche Ächtung; skrupellose Raffgier als einziger Ausweg; der Verlust von Würde; Verelendung: STREET OF SHAME dekliniert an mehreren Einzelschicksalen durch, wie unmenschlich die Arbeit als Prostituierte (geworden) ist. Nicht die Arbeit an sich, sondern wie sie, am Rande eines potentiellen Prostitutionsverbots, in die Gesellschaft eingelassen ist. Der Zuhälter und die Puffmutter des Films rationalisieren ihre Ausbeutung mehrmals als Arbeitsbeschaffungsmaßnahme, gar als Wohlfahrt, die der Staat nicht zu leisten vermag. Die diversen scheiternden Ausbruchversuche der Prostituierten geben ihnen durchaus recht. Am Rande der Handlungen sind sie mit Geld aber ziemlich freigiebig, während ihre Angestellten finanziell Abgehängte sind. Ausweglos ist die soziale Situation auf die mit Resignation, Kampf und zynischer Akzeptanz reagiert wird. Passend dazu ändert sich Mizoguchis Stil kurz vor seinem Tod gravierend. Ich müsste nochmal nachzählen, aber ich glaube, es gibt in STREET OF SHAME mehr Schnitte mit Achsensprung als (größere) Plansequenzen. Statt Einbettung der Figuren in ihre Welt wird hier ein Zusammenbruch beschrieben.

Mittwoch 04.12.

The Moderns / Wilde Jahre in Paris
(Alan Rudolph, USA 1988) [35mm, OF]

großartig +

In diesem Film, der von Kopien in Form von Spiegeln, Miniaturnachbildungen (des Eifelturms), gezeichneten Hintergründen oder gefälschten Gemälden – der Akt der Fälschung wird sensorisch zelebriert, wenn Nick Hart (mit stummen H gesprochen; Keith Carradine) in der Projektion eines Fotos eines Gemäldes steht und die Struktur abpauscht – bestimmt ist und in dem Maler und Schriftsteller, Künstler und Persönlichkeiten in einem von Sepia getragenen melancholisch wieder- bzw. neuerdachten Paris der 20er Jahre nach einer modernen Form für sich und ihre Erscheinung suchen, werden drei Originalgemälde verbrannt, die durch ein Missverständnis für Fälschungen gehalten werden (wollen) – ein Cézanne, ein Modigliani und ein Matisse* –, während daraufhin die Fälschungen gemeinhin den Nimbus des Originalen erhalten. Und während dieser Verbrennung war die Spannung im Saal spür- und hörbar, weil eben das Echte, das Wertvolle zerstört wird. Dabei würde das THE MODERNS umschließende Bonmot, das der vom Rand Denksprüche beitragende Ernest Hemingway (Kevin J. O’Connor**) – ein Postkartenfake seiner selbst – beigetragen hätte, lauten: Wir sind alle Kopien ohne Originale. Aber dafür braucht es schon sehr viel Modernität, um diese Erkenntnis existentiell zu akzeptieren.
*****
* Ich wollte die drei Gemälde eigentlich verlinken, aber nach kurzer Recherche ergab sich, dass dies nicht so einfach ist. Wenig überraschend handelt es sich nämlich um kunstgeschichtliche Fälschungen. Die Version von Modiglianis NU COUCHÉ ist eine direkte Nachstellung, die (wohl) nur im Detail offenbart, dass es sich nicht um eine direkte Kopie handelt. Es ist wahrscheinlich der Tropfen Wahrheit, der einem die Lüge verkaufen soll. Das Gemälde Badender, dass THE MODERNS zum Werk Paul Cézannes erklärt, ist eine freie, schon kitschigere Variation seines LES GRANDES BAIGNEUSES – hier und hier zwei digitale Versionen, die einerseits darauf verweisen, wie wenig digitalen Wiedergaben getraut werden kann, aber auch indirekt darauf wie wichtig die Bedingungen (Lichteinfall, Umfeld, Stimmung uswusf.) für die sensorische Wahrnehmung (von Gemälden) ist. Weitere Badende finden sich hier, aber keines will besser passen. Schließlich der Matisse. Dass nicht einer der Tänze (hier und hier) verwendet wird oder ein Blauer Akt sollte wohl schon misstrauisch machen. Henri Matisse hat diverse Nacktportraits gemalt – hier und hier zwei Beispiele –, aber keines entspricht auch nur ansatzweise dem Akt im Film. Hart darf ihm eh ein anderes Gesicht aufzeichnen und ich glaube die Nippel dieses Gemäldes – eine Fälschung, die ihm Film ein Original ist und für eine Fälschung gehalten wird – wurden von einem Kunstkritiker in THE MODERNS für Matisse unwürdig erklärt.
** Dass ich nur zwei Schauspieler benenne und beide männlichen Geschlechts sind und prominent mitwirkende Schauspielerinnen wie Linda Fiorentino, Geneviève Bujold und Geraldine Chaplin unbenannt lasse, lässt sich auch damit erklären, dass THE MODERNS in gewissem Masse von der Marginalisierung der Frauen in dieser Welt erzählt, die nur als Musen, Kunsthändler und Schutzpatrone wahrgenommen werden.

Dienstag 03.12.

Witwer mit 5 Töchtern
(Erich Engels, BRD 1957) [DCP]

(gut)

Wer fand, dass Bill Haley mit seinen 30 Jahren zu seinem Durchbruch etwas alt für ein Jugendidol aussah, der muss mal den Rock’n’Roller sehen, der hier auf einer Burg für die aufmüpfige Jugend aufspielt. Eine aufmüpfige Jugend übrigens, die eigentlich ziemlich normal ist, aber eben von bundesdeutscher Spießigkeit umzingelt und belagert ist, was eine triste Situation nach der anderen beschwört und ein Land porträtiert, in dem die Waffen der Vergangenheit nur unter Widerwillen wieder in die Burgen geschafft werden, wo Leute mit einer freieren Lebensauffassung Selbsthass indoktriniert bekommen und niemand vorhat die Mauern um sich einzureißen. So richtig fand ich aber nicht in diese tieftraurige Alles-ist-in-Ordnung-Komödie, was wohl auch an einer massiven Müdigkeit lag, die mich zeitweise ausknockte.

Subjektitüde k
(Helke Sander, BRD 1967) [DCP]

gut

POV-Impression einer Frau und zweier Männer, die an einer Straßenecke stehen und die sich unbekannterweise füreinander interessieren. Und aus dem Off kommen Gedankenimpressionen, die nach einer Definition der Bilder tasten. Die Suche nach einem Partner als Suche nach sich selbst.

Montag 02.12.

Mamma Mia!
(Phyllida Lloyd, USA/UK/D 2008) [DCP]

großartig

Ein Film, in dem Frauen Latzhosen, Anzüge oder Badeanzüge tragen, während die Kamera die nackten Oberkörper der Männer, wenn nicht ganz ableckt, so doch genießt. Ein Film, der von Träumen und der konsequenten Verheimlichung der eigenen Wünsche vor anderen (und sich selbst) erzählt, wo deshalb gutgemeinte Intentionen und zwangsläufige Missverständnisse den Status Quo bilden. Und ein Film, dessen Haupthandlungsort wie eine Sitcomkulisse aussieht. Hinter den Schauspielern, die sich vor einem auseinanderfallenden Hotel auf einer abgelegenen griechischen Insel befinden sollen, steht eine kleine Steinmauer, und über dieser Mauer ist ein etwas tiefer liegendes Meer zu sehen, dass so unecht wirkt, als sei es von der Imagination der Figuren dorthin projiziert worden. (Obwohl wohl on Location gedreht wurde.) Ein Film, der Pierce Brosnan und andere gebrochen singen lässt, statt Könner zu nehmen. Ein Film, der nicht auf große oder dekadente Choreographien setzt, sondern auf Gebrochenes, Unfertiges. Ein Film, der die Fehler seiner Protagonisten in Form seiner eigenen Limitierung umarmt. Ein Film, in dem sich Meryl Streep in besagter Latzhose sich auf einem Dach wälzt und sich wiederholt in den Schritt fasst, weil sie gerade drei Männer gesehen hat. Ein Film, der seinen zottigen und lüsternen Urgrund (ABBA-Lieder) nicht wegdrängt. Aber eben auch ein Film, in dem fast zwanghaft alle paar Sekunden ein ABBA-Lied einsetzt…

Sonntag 01.12.

Mei Gong he xing dong / Operation Mekong
(Dante Lam, CHN/HK 2016) [blu-ray, OmU]

verstrahlt

Am augenfälligsten ist OPERATION MEKONG ein Propagandafilm. Der chinesische Staat gleicht darin einer gut geschmierten, menschlichen Maschine. Die Wohlfahrt der Bürger ist deren oberste Priorität, auch wenn diese fast ausschließlich als Vertreter der potenten Bürokratie auftreten. Bedroht wird China und ihr Ansehen vom unkontrollierten Drogenhandel im Goldenen Dreieck (an der Grenze zwischen Thailand, Laos und Myanmar). Dort herrschen schreckliche Lebensbedingungen und die Bösewichte, die es dort auszuschalten gilt, sind überdrehte Karikaturen des Verkommenen. Der Oberbösewicht ist beispielsweise scheinbar darauf aus einen imaginären Koksziehwettbewerb mit Tony Montana zu gewinnen. Die kaum weniger grob geschnittenen Angehörigen der entsandten Spezialeinheit bekommen zumindest Momente von Zuneigung und Mitgefühl. Auf einer wahren Begebenheit soll dies alles beruhen, aber das Erhaltengebliebene dürfte minimal sein. Die Propaganda ist aber so hemmungslos, dass sie sich vor allem selbst entlarvt und den Irrwitz des Films nur potenziert. Vor allem ist OPERATION MEKONG nämlich ein Fest der Zerstörungswut (und ein Lob sensationell billiger Verkleidungen). Slums, Kaufhäuser, der Dschungel: alles dient nur den Körpern in Bewegung als Parcours und als Träger von Verwüstung. Da Dante Lam das eine, die libidinös besetzte, völlig überzogene wilde Action voller clownesker Figuren, genauso ernsthaft inszeniert wie den chinesischen Staat, ist es geradezu subversiv, dass der Actionfilm auch zur Karikatur des offiziellen chinesischen Selbstbilds wird.

 

November
Sonnabend 30.11.

Utamaro o meguru gonin no onna / Utamaro und seine fünf Frauen
(Mizoguchi Kenji, J 1946) [DVD, OmeU] 2

fantastisch

Bei critic.de findet sich ein Text, der aus all diesen Mizoguchi-Sichtungen entstand und der eine kurze Erläuterung enthält, dass dieser Film eine Art Selbstportrait Mizoguchis als Spanner und Vampire darstellt.

Uwasa no onna / Eine Frau, von der man spricht
(Mizoguchi Kenji, J 1954) [DVD, OmeU] 2

großartig +

Wie die beiden Gion-Filme handelt UWASA NO ONNA von Frauen im Rotlichtmilieu auf dem Weg zur Erkenntnis, dass sie nur ausgenutzt werden. Anders als in den anderen, finden sie hier aber einen Weg zu Solidarität und aus dem Selbsthass heraus (- schon vorher: Bilder von Gruppen und Alltag). In der letzten Einstellung ist das verbale Klagen nur noch eine Show für den Laufsteg. Aber da hier eigentlich alles aus Bühnen und Zuschauern besteht, gibt es kein Ende des Schauspiels. Alles ist Theater. Weshalb sich UWASA NO ONNA nicht wie eine Vermessung von Leben und Lebensentwürfen anfühlt, sondern wie eine Kriegserklärung an die Männer, die in UWASA NO ONNA mit ihren Manipulationen für die bestimmenden Seifenoperkonflikten zwischen den Frauen sorgen, die teilen und herrschen.

Chikamatsu monogatari / Die Legende vom Meister der Rollbilder
(Mizoguchi Kenji, J 1954) [DVD, OmeU] 2

großartig

Als sich die beiden Hauptfiguren nach einem Meer an Melodrama und der Vertreibung aus ihren beengten Lebensentwürfen in einem Boot auf einem nächtlichen See ihre Liebe gestehen … sich selbst eingestehen, dann fällt der Kopf des japanischen Ultramegastars Hasegawa Kazuo nach hinten und der Kopf von Kagawa Kyôko in seinen Schoß. Lange wird die Position gehalten. Nur der Kopf der Kagawa geht ab und zu nach oben und wieder hinab. Explizit ist es kein Blow-Job. Aber das enthüllte Geschlechtsteil ist das Einzige, was fehlt.

Freitag 29.11.

Chen mo de zheng ren / Bodies at Rest
(Renny Harlin, CHN/HK 2019) [blu-ray]

großartig

Renny Harlin kehrt zu seinen Wurzeln zurück und dreht eine Hommage an STIRB LANGSAM. Nur stellt sich diesmal ein Gerichtsmediziner in den unteren Stockwerken eines Hochhauses gegen ein paar korrupte Polizisten. Von dem Widerstreit zwischen dumpfer Machtanwendung (die Polizisten) und schnellem Denken (der Mediziner), der mit ein paar Kämpfen auf engen Raum angereichert wird, wird erzählt. Nur leider verliert der Film etwas, als die Bösewichte ihre Masken abnehmen. Es ist eine klare Fehlentscheidung den Gegenspielern menschliche Gesichter zu geben, statt die riesigen Wangen zu belassen.

Donnerstag 28.11.

Oyû-sama / Frau Oyu
(Mizoguchi Kenji, J 1951) [DVD, OmeU] 2

fantastisch +

Unter einem Bild von wunderschön leuchtenden Blumen findet sich das Tor zur Perversion, wo die edlen Asketen dieses Films sich an ihrer Selbstgeißelung verlustieren. Von Anfang bis Ende: drei Menschen, die es genießen sich zu verleugnen, und ein Film der ihren Aureole in entsetzlich schöne, gleisende Bilder überführt.

Mittwoch 27.11.

Naniwa erejî / Elegie in Naniwa
(Mizoguchi Kenji, J 1936) [DVD, OmeU] 2

fantastisch

Am schönsten: der comic relief-Arzt, der immer wieder in die Aufprallpunkte von Ehefrau und Geliebter stolpert. Für den Rest sei einfach Lukas F. zitiert: For long stretches, starting with the super sweet shot of Asai’s wife sleeping next to her dog, this plays more like a comedy of manners than like a melodrama. There’s a stylish coldness to it that makes it hit all the harder once Ayako’s loneliness becomes front and center. Sitting in her fancy flat, waiting for her old lover, wrapped up in her own smoke… Hurriedly leaving the house to meet her young lover, desperately hopefull… wasting away whistling behind the mosquito net…

Dienstag 26.11.

Die Halbstarken
(Georg Tressler, BRD 1956) [DCP]

ok +

Im Grunde ähnelt die Welt von DIE HALBSTARKEN der von BERLIN – ECKE SCHÖNHAUSER. Auf der einen Seite eine unerträgliche Bevormundung durch die Elterngeneration, welche diese nachdrücklich ins Unrecht setzt, und auf der anderen Rebellen, die sich von solchen Menschen schon gar nichts sagen lassen wollen. Nur legt Tresslers Film mehr Augenmerk auf den zerstörerischen Hedonismus der Jugend, die bei Gerhard Kleins Film mit Dieter noch so etwas wie einen ungeschliffenen moralischen Anker hatte, auf den die Gesellschaft in Zukunft hoffen konnte. Hier nur Aufschneider, durchtriebene Flittchen (Karin Baal), befehlshörige Bluthunde und naive bis wehrlose Mitläufer.
DIE HALSTARKEN verstrickt sich nur etwas zu oft in die hohle Betriebsamkeit seiner Figuren und bietet nur Schlaglichter in die viel interessanteren Phantasiegebilde ihrer Wünsche und Träume. Wie einmal, wenn Freddy (unfassbar enervierend und damit eine Traumbesetzung: Horst Buchholz), ein geschundener, ständig bellender Hund, auf der Suche nach ein wenig bedingungsloser Zuneigung einen tatsächlichen Hund innig umarmt, als er sich unbeobachtet fühlt. Oder der Umstand, dass Reichtum hier nur von Italienern, also Zugezogenen, besessen wird.

Whitsun Holiday k
(Peter Baylis, UK/BRD 1953) [stream, OmU]

uff

Ein Postillonpropagandafilm über die Vorzüge der DDR. Die Quintessenz ist, dass der wohlorganisierte Kommunismus, so sehr dieser im Film heuchlerisch gelobt wird, wie eine triste Freiheitsberaubung aussehen soll, und dass das Chaos des Kapitalismus so wirken soll, als würde jedem seine Freiheit gelassen. Und der aufdringliche Witz des Films stößt einem sofort und andauernd in die Rippen und möchte alles sofort als bittere Pointe verstanden wissen, also die, dass der Kommunismus schön und sauber sei. Tatsächlich noch nerviger, als der wahnhafte Propagandafilm aus der DDR eine Woche zuvor.

Gion bayashi / Die Festmusik von Gion
(Mizoguchi Kenji, J 1953) [DVD, OmeU] 2

fantastisch

GION BAYASHI ist eine Art Variation von GION NO SHIMAI. Nur geht es nicht um Schwestern, sondern um eine angesehene Geisha, Miyoharu (Kogure Michiyo), und die 16-jährige Tochter einer ehemaligen Kollegin, Eiko (Wakao Ayako), die unter ihre Fittiche der Älteren genommen und zur Geisha ausbildet wird. Gion sieht luftiger aus, als 17 Jahre zuvor. Die Gänge sind breiter, sonniger und Türen sowie abbiegende Gassen sind spürbar. Wie eine Bühne fühlen sich die Einstellungen der Gassen an. Das Bittere von GION BAYASHI ist dadurch, dass sich zu diesem Weg entschieden wird. Dass sich etwas darauf eingebildet wird, eine Geisha zu sein. Hinter diesem scheinbar ehrenhaften Status warten aber schnell die Übergriffe (betrunkener) Männer und eine Gesellschaft, die einen ausschließt, wenn dies nicht einfach hingenommen wird. Es geht also nicht um zwei extreme Handlungsentwürfe, sondern um eine Desillusion, die langsam aber sicher ins Bewusstsein tröpfelt. Statt Gift und Galle gibt es vor allem Ohnmacht.

Montag 25.11.

Gion no shimai / Die Schwestern von Gion
(Mizoguchi Kenji, J 1936) [DVD, OmeU] 2

fantastisch

Zwei Schwestern, zwei Geishas, zwei Lebensentwürfe. Umekichi (Umemura Yôko) fühlt sich traditionellen Werten verpflichtet und damit schuldig, Furusawa (Shiganoya Benkei) nach dessen Bankrott zur Seite zu stehen. Er hatte sie unterstützt, um in ihrer Profession Fuß zu fassen und ein Leben ermöglicht, in der sie kaum ihre Rechnungen bezahlen kann. O-Mocha (Yamada Isuzu) hat überhaupt kein Verständnis dafür, dass Furusawa bei ihnen einziehen soll. Sie sieht sich in einem ständigen Kampf gegen Männer, die sich einen Dreck um Frauen scheren und die wie Parasiten von Frauen leben (können, weil das althergebrachte Wertesystem Japans, es möglich macht). Die eine ist eine passive Figur im Film, der Dinge geschehen. Die andere geht los und nutzt einen Mann nach dem anderen aus. Formal ist GION NO SHIMAI und vor allem sein Plot klar aufgebaut. Am Ende löst sich aber nichts aus, weil die Lebensentwürfe beider ganz humorlos scheitern. In nonchalanter Garstigkeit lässt Mizoguchi seinen Film, lange eine dahinschreitende Bedrohung, dass O-Machas Kartenhaus zusammenstürzt, in Gift und Galle aufgehen. Am Ende gibt es nur Hysterie. Aus der Kampfansage O-Machas zu Beginn wird ein manisches Strampeln in der optischen Zwangsjacke dieser Gesellschaft. Denn Gion, der Geisha-Viertel von Kyōto, wird vor allem durch lange, dunkle, schlauchartige Gasse gezeigt, die keinen Ausweg gewähren und einen nur den Ausblick gönnen, das Unheil (oder Leute) langsam näher kommen zu sehen.

Sonntag 24.11.

Sanshô dayû / Sansho Dayu – Ein Leben ohne Freiheit
(Mizoguchi Kenji, J 1954) [DVD, OmeU] 2

gut

LIFE OF OHURA und UGETSU MONOGATARI waren Publikums- und Kritikererfolge und wurden beide beim Festival von Venedig ausgezeichnet. Vll. wollte Mizoguchi sein gerade erarbeitetes Erfolgsrezept nicht ändern und nahm deshalb sogar in Kauf, dass er, der auf (die Anwesenheit von) Kinder(n) keinen Wert legte, einen Film mit Kindern machte. Von seinem Drehbuchautoren Yoda ließ er sich lediglich einen Zeitsprung in die Geschichte von Mori Ogai schreiben, damit die Kinder nach ca. 40 Minuten Film mit einem Schnitt erwachsen geworden sind.
Ein bisschen wirkt SANSHÔ DAYÛ auch so, als ob der Gaul der humanistischen Meditationen im alten Japan für Mizoguchi langsam totgeritten war. Danach kehrte er auch zu den Melodramen zurück. Doch wunderschön ist der Schwenk, der das leicht trist-leidvolle des Films auffrischt, nachdem sich Anju (Kagawa Kyôko) für ihren Bruder – beide waren trotz hochwohlgeborener Herkunft in die Sklaverei verschleppt worden – opfert und in einen wunderschön anzusehenden Freitod geht. Zushiô (Hanayagi Yoshiaki) bekommt daraufhin wie durch ein Wunder Amt und Würden seines Vaters und wird ein mächtiger Beamter im Staat. Doch statt etwas nachhaltig zu ändern, baut er an das ihn umgebende gesellschaftliche Pulverfass eine Zündschnur, steckt diese gierig an, schaut sich die ersten Explosionen aus der Ferne an und verschwindet dann. Er flieht vor den Konsequenzen und zurück ins Leid. Und der Film, der kurz Orgien ins Bild rückt und Wahnsinn, kommt wieder im heiligen Leid zur Ruhe. Denn leiden scheint nach dieser bitteren Pointe von SANSHÔ DAYÛ bequemer, als etwas dagegen zu tun.

Sonnabend 23.11.

Zangiku monogatari / Erzählung von den späten Chrysanthemen
(Mizoguchi Kenji, J 1939) [DVD, OmeU] 2

großartig

Ein Ausbund an Stil und Zurückhaltung, in dem der Protagonist an den traditionellen wie heuchlerischen Werten der japanischen Gesellschaft leidet und wie Sherlock Homes angezogen durch die traditionell gekleideten Passanten eines nicht modern aussehenden Japans schreitet, wenn er mal unterwegs ist.

Freitag 22.11.

Donnybrook
(Tim Sutton, USA 2018) [blu-ray, OmeU]

nichtssagend

Ihr kennt den Drill. Bei critic.de findet ihr etwas Ausführlicheres zu diesem Film, der, so sieht es am Anfang aus, gerne etwas von CLOCKWORK ORANGE haben möchte, leider.

Mittwoch 20.11.

Ford v Ferrari / Le Mans 66: Gegen jede Chance
(James Mangold, USA/F 2019) [DCP, OmU]

großartig

Die ziemlich tristen Trailer von FORD V. FERRARI, die ich sah, stellten sich bei Sichtung des Films nicht als Trailer für den Film heraus. Lediglich der Titel fand in ihnen Widerhall. Eine banale Underdoggeschichte und der verpflichtende Sieg gegen jede Chance wird dort versprochen. Ford gegen Ferrari eben – mit einem manierlichen Christian Bale und abgelutschten Bildern einer abgelutschten Dramaturgie. Das alles steckt auch durchaus drin, der Trailer lügt nicht, aber es sind nicht nur die uninteressantesten Stellen des Films, sondern offensichtlich auch die, für die er sich kaum interessiert.
Stattdessen hätte der Film vll. VS. FORD AND VS. FERRARI heißen müssen. Denn es handelt sich um einen Zweifrontenkrieg, den der Individualismus von Traumverwirklichung zweier Autokonstrukteure (Matt Damon und Bale) kämpft. Der eine Gegner: Ferrari und die Fiktion eines alten Europas, wo nicht nur das Beste, sondern auch das Schönste zu finden ist. Einem adligen, hinterhältigen Snobismus gilt es auf den Boden der Tatsachen zurück zu holen und all-american Werte gegen ihn zu verteidigen. Diese Werte sind in Form von Ford aber korrumpiert, weshalb der eigene Auftraggeber der zweite Gegner ist. Die gleichmachenden Kräfte des Marketings und damit die des jedem-gefallen-Wollens-und-Müssens sowie die Bürokratie großer Unternehmen, kurz: dem Grauen einer gesichtslosen Masse und der Selbstaufgabe muss widerstanden werden.
Dieser Zweifrontenkrieg ist aber nicht ganz simpel. Das Europäische und das Amerikanische bleiben nämlich höchst widersprüchliche und vage Konzepte. Der Individualismus des amerikanischen Traums, das Herausstechen aus der Masse rückt die beiden beständig in die Nähe des europäischen Elitismus. Besonders zu sein, ohne besonders zu sein, dass ist die Aufgabe, der sich die beiden gegenübersehen. Selbstzerstörung (Bale) und –zerfressenheit (Damon) bedroht noch die fröhlichsten und ekstatischsten Szenen von Genuss bei 320 km/h auf der Landstraße. Vollgestellt ist FORD V. FERRARI mit Szenen von Leidenschaft, wo Bommeln am Wagen und magische Gefühle für diesen mehr aussagen, als das, was ein Computer errechnen kann. Doch Tod und Angst lauern beständig um den Ecken. Damons Figur nimmt Herztabletten, weil er diesem Dämon zu sehr in die Augen geschaut hat. Seine prahlerische Art Autos zu fahren und Flugzeuge zu fliegen sind immer auch todessehnsüchtig. Bei aller ausgestellten Fröhlichkeit und bei allem Glauben an Träume steht am Horizont so immer schon der nächste Rückschlag sowie Tod und Verderben.
Vll. ist aber vor allem der deutsche Titel der bessere: LE MANS 66. Was der Trailer nämlich auch völlig verheimlicht, ist, dass der Film zu keinem geringen Teil ein ziemlich adrenaliner Rennfahrfilm ist. Hier ist er auch am besten, wenn er keine vielteilige Geschichte erzählt, sondern von Wettkämpfen, von Daytona und Le Mans. Von brennenden Bremsen, kaum zu überblickenden Streckenverläufen und der Suche nach der perfekten Runde erzählt, während keine Zeit herrscht Entscheidungen zu treffen. Die detailreiche Familiengeschichte (wo entscheidend ist womit sich brüderlich verprügelt wird und womit nicht) gibt dabei den Ton schwärmerischen Zuschauens vor. Wenn die Frau von Bales Charakter (Caitriona Balfe) sich einen Streit zwischen den beiden Hauptdarstellern anschaut, macht sie sich einen Gartenstuhl und eine Zeitung auf. Zurücklehnen und genießen, so sind auch die Huppel auf der Fahrbahn – beispielsweise Bales überzogene (Un-)Englishness, die clownesk wie die an seiner Nase angebrachte Warze stets nach Aufmerksamkeit schreien – dann auch noch faszinierend.

Dienstag 19.11.

Berlin – Ecke Schönhauser
(Gerhard Klein, DDR 1957) [DCP] 2

gut +

Die Halbstarkenthematik bleibt eine Behauptung, die nach der schönen und vor allem dynamischen ersten Szene – Leute drehen sich hier beispielsweise in die Kamera, welche den Raum um sich oft per Choreographie statt per Schnitt auslotet – fast völlig aus dem Film verschwindet. Zurück bleibt das Portrait einer verkrusteten Gesellschaft, die aus ständigen Konfrontationen besteht. Statt also die Insignien der Halbstarken ins Bild zu rücken, konzentriert sich der abgebildete Generationenkonflikt auf eine nölende, schlagende, heuchlerische, saufende, kriminelle und mglweise sexuell belästigende oder missbrauchende Elterngeneration (auch durch ältere Geschwister vertreten), die als positive Vorbilder nichts taugen und trotzdem als Autoritätspersonen auftreten. Einzige Ausnahme bleibt der obligatorische onkelige Kommissar, der den Staat als heil zeichnen soll. Statt halbstarken Krawall gibt es moraline Krimi-Exploitation und eben jede Menge Enge und Miefigkeit. Und Letzteres lässt der Jugend nur ein Vakuum, in dem ihnen nur das Kontra bleibt.
Massen stellen im BERLIN – ECKE SCHÖNHAUSER die höchste Form dieser beständigen Konflikte dar. Gleich zu Beginn gibt es einen Auflauf, dem nicht viel zum Lynchmob fehlt. Ein Jugendlicher hatte eine Straßenlaterne eingeworfen. Am Ende gibt es etwas Ähnliches, nur deutlich Gewaltbereiteres in einem Flüchtlingslager in Westberlin. Ein dort Untergekommener hatte den Wunsch geäußert, zurück gehen zu wollen. Der normative Zwang steht irgendwie immer kurz vor dem Umschlagen in Gewalt. Und BERLIN – ECKE SCHÖNHAUSER nutzt dies für die schönste Einstellung des Films. Hier tanzt ein Paar in einer Bar, von hunderten umgeben. In besagter Einstellung, sind sie aber nur (irrealer Weise) alleine in einem Spiegel zu sehen, während die tanzenden Massen neben dem Spiegel zu sehen sind. Die Fülle und der Druck der Anderen sind da, aber von den Liebenden getrennt. Die zweisame Trennung von den Vielen ist hier wortwörtlich Intimität. Eine Intimität, deren Wert in diesem Moment kaum zu bemessen ist.

Gefahr über Deutschland k
(Bruno Kleberg, DDR 1952) [DCP]

uff

Ich habe mal ein Best-of Oberhausener Kurzfilme auf 3Sat gesehen. Einer der gezeigten Filme bestand aus einer statischen Aufnahme einer Straße, wo Dinge passierten, die auf Straßen eben geschehen. Vor allem liefen also Leute entlang. Auf der Tonspur rief eine Stimme Regieanweisungen. Diese Tonspur wurde aber erst im Nachhinein angefertigt. Sprich: Etwas Dokumentiertes wurde durch die Tonspur zu einem schauspielerischen Akt verfälscht … bzw. dadurch, dass dieses Vorgehen über die aufregungsarme Zeit offenlegt, wurde der Film zu einer Meditation über die Manipulierbarkeit des Medium Films und über die klaffende Lücke zwischen Bild und Ton – die ähnlich unendlich groß ist, wie die Lücke zwischen zwei per Schnitt verbundenen Bildern.
GEFAHR ÜBER DEUTSCHLAND liefert – gerade retrospektiv ist es vor allem amüsant – etwas Ähnliches, doch nicht als tristes Kunstprojekt, sondern durch seine Hysterie. Eine Stimme spricht über die Montage von (vor allem westlichen) Politikern, bekannten Gebäuden, Nachkriegsimpressionen, Militärparaden uswusf. Diese Stimme versucht den Wahrheitsgehalt bzw. das Faktische der Bilder auf die von ihr dargebrachten manischen Verschwörungstheorien zu übertragen. Es fängt als Essay über die Sorgen bzgl. der damals noch potentiellen Schaffung der Bundeswehr an und endet als Hoffen bzgl. einer Wiedervereinigung unter dem Banner der DDR. Entsprechenden Bilder zu den Verhandlungen und Verhandelnden sind zu sehen bzw. solche, welche die Hoffnungen und Sorgen einfingen. Es hat eine starke Schlagseite, aber das Gesagte und die Bilder ergänzen sich. Zwischen Beginn und Ende ist die Schere zwischen Text und Bild aber kaum mehr zu überbrücken. Wild schreit die Stimme und malt das Bild eines kriegsbesessenen, faschistischen, den Weltfrieden bedrohenden Westens, über die die gleichen oder ähnlichen Bilder wie bisher. Und weil es dort passt, muss es hier wohl auch passen, so die Botschaft. Die völlig überzogene Propaganda schafft aber etwas Anderes, als das Intendierte, etwas dem Oberhausener Film entsprechendes: Die Schaffung der Illusion von Einheit von Bild und Ton ist nämlich nicht immer ganz einfach ist.

Die Musici k
(Katja Georgi, DDR 1964) [DCP]

nichtssagend

Eine simple Monatage, die auf eine noch simplere Pointe hinarbeitet. Ein Streichertrio wird immer wieder von Aufnahmen von Militärischem unterbrochen. Das Ergebnis kann auf zwei Weisen gelesen werden: Entweder richtet es sich gegen Biedermeier-Leute, welche vor der erneuten Aufrüstung der Welt die Augen verschließen, oder gegen eine Aufrüstung, welche den häuslichen Frieden per Krieg stören wird. Das ist höchtsens in seiner Naivität spannend.

Montag 18.11.

Der Unschuldige
(Simon Jaquemet, CH/D 2018) [stream, OmU] 2

großartig

Der Kinostart wurde verschoben und ich habe das Mehr an Zeit nicht zum Schreiben für critic.de genutzt. Ich musste ihn deshalb auffrischen … bzw. hatte ich so die Chance ihn nochmal zu sehen, was durchaus Normalzustand sein sollte, imho.

Sonntag 17.11.

Burden of Dreams / Die Last der Träume
(Les Blank, USA/BRD 1982) [blu-ray, OmeU]

großartig

Ein langer Blick in zunehmend ausgezehrte Gesichter, der beobachtet wie bei allen Beteiligten die Daumenschrauben angezogen werden und der seinen Höhepunkt findet, wenn Werner Herzog in die Enge getrieben kalt überlegte Wutreden gegen die Obszönität und Gewalt des Dschungels hält und erklärt, dass diese – gegen jedes bessere Wissen – tatsächlich Liebeserklärungen sind.

Sonnabend 16.11.

Cobra Verde
(Werner Herzog, BRD/GHA 1987) [blu-ray]

verstrahlt

Eine Gruppe junger, afrikanischer Frauen betritt einen Raum und stellt sich vor die Kamera. Sie singen und tanzen … und ihre Blicken richten sich knapp neben oder in die Kamera. Durch den Schnitt, der zu ihnen führte, scheinen wir den Blick von Cobra Verde (Klaus Kinski) einzunehmen, für den getanzt und gesungen wird. Tatsächlich läuft er seinerseits nach einiger Zeit von rechts in die Einstellung. Das, was wir meinten zu sehen, entpuppt sich als Illusion.
Hinter dieser Irritation findet sich vll. am besten der Geist von COBRA VERDE. Denn immer wieder scheint er etwas zu sein, verfolgt dies aber nicht weiter und wird zu etwas Anderem. Mythische Räubergeschichte ist er. Eine sarkastische Abrechnung mit einem Sklavenhändler. Ein an ROBINSON CRUSOE erinnernde Abenteuergeschichte, die nur nicht auf einer einsamen Insel endet. Die Stilisierung ethnographischer Aufzeichnungen steckt in diesem Abenteuer eines Weißen. Das Interesse an sich überlagernden, wellenartigen an Bewegungen. Die Brandmarkung des Skalvenhandels, ohne die Afrikaner zu einem Volk der Opfer zu machen. Einem Sklavenhandel, bei der sich der Händler nicht als Geschäftsmann sieht, sondern als Verbrecher. Am Ende stehen aber nur verschiedene Dinge im Raum, welche die innere Leere der Hauptfigur wie des Films spiegeln. Kohärenz ist hier keine Option mehr. Alles scheint zerbrochen. Und auch wenn Herzog selbst sagt, dass ihm COBRA VERDE fremd geblieben ist, ist es doch ein unschöner, irritierender Film über Menschen, die nicht an den großen Rahmen ihrer Taten denken. Sie handeln, leiden und nichts hält sie zusammen, außer selbstmitleidiger Schmerz. Ein Fragment aus Fragmenten. Ein filmischer Zusammenbruch. Der Blick in ein kaltes, zufälliges Universum, dessen erklärendes narratives Garn zerrissen von der Decke hängt. Wenn das der Spielfilm war, der zu diesem Zeitpunkt in Herzog steckte, ist es kein Wunder, dass er danach eine Pause brauchte.

Fitzcarraldo
(Werner Herzog, BRD 1982) [blu-ray, OF] 4

großartig

Dass FITZCARRALDO trotz der Combo Herzog/Kinski nicht die wahnhafte Macht hat, die aus einem solchen Projekt spricht – wir wissen alle: tatsächlich wird ein dreistöckiges Dampfschiff für den Film über einen enormen Hügel mitten im Amazonas gezogen –, kann eigentlich ganz gut logistisch erklärt werden. Solange die Darsteller da waren, hat es schlicht nicht funktioniert. Das Schiff bewegte sich erst einige Monate, nach Abreise des Casts über den Hügel. Das bedrohliche Knarzen der Blanken unter dem Druck, welches die menschliche Anstrengung und viel mehr noch den Willen hinter einer solchen monumentalen Idiotie passend einfängt, konnte schlicht nicht weiter dramatisiert werden. So sehr das Boot auch Hauptdarsteller war, sobald es sich tatsächlich bewegt, ist es nur noch ein Boot ohne Leben an Bord. Nach anfänglichen Schwierigkeiten ist die Unternehmung nur noch ein Vorgang. Die zentrale Metapher verpufft (ein wenig).
Der fehlende Wahn steht aber noch viel tiefer in ihn eingeschrieben. Es gibt diese durchaus bekannte Sequenz, wo Fitzcarraldo (Kinski) gegen eine Kirchglocke hämmert und vom Kirchturm schreit, dass diese Kirche erst wieder geöffnet wird, wenn er die Oper in den Dschungel des Amazonas gebracht hat. Manisch und durchgedreht gebart sich Kinski. All das führt aber dazu, dass Kinder vor dem Gefängnis für ihn beten. Er ist kein Wahnsinniger, sondern ein Narr. Ein Narr, umgeben von Kindern, niedlichen Tieren und Träumen, die alle stecken bleiben. Er ist ein scheiternder Phantast, der sich mal die Hände blutig rudert, weil er unbedingt Enrico Caruso sehen möchte, der aber auch weitestgehend harmlos ist und bleibt. Das Ziehen des Bootes über den Berg steht deshalb nur am Rande seiner Existenz, wie der Dschungel und das Irreale der Unternehmung nur am Rande des Film steht. In der Mitte befindet sich das ständige Starten neuer Unternehmungen, die nur Fitzcarraldos einzigem Glauben dienen: der Oper. Am Ende reicht ihm deshalb, dass eine Operntruppe kommt. Dass sie ihre Füße im Schlamm seines amazonischen Venedig schmutzig machen. Ein Opernhaus war gar nicht nötig. Der Wahnsinn nur eine Phase.
BURDEN OF DREAMS ist deshalb vll. der intensivere Film, weil es Herzog nicht um etwas Anderes geht, sondern genau darum, diese irrsinnige Mammutaufgabe auf sich zu nehmen. FITZCARRALDO, bei all seiner Länge, seinem Anschein von Epik und Irrsinn, ist etwas Anderes. Und deshalb nicht schlechter. Er ist nur eben ein auseinanderlaufender Film von einem Träumer, der in seinem Herzen demütig, nachgiebig und versöhnlich ist. Vll. auch der passende zwischenzeitliche Abschluss des herzoglichen Spielfilmschaffens, dass mit COBRA VERDE nochmal eingerissen und zur dringlichen Notwendigkeit wurde.

Freitag 15.11.

Stroszek
(Werner Herzog, BRD 1977) [blu-ray]

großartig

Beim Gucken von STROSZEK kann im Grunde der Entstehung des Kinos des Jim Jarmusch zugeschaut werden. Nur das der lakonische Witz ob der Verlorenheit in der Existenz bei Herzogs Film nicht die märchenhafte, scheinbar konsequenzlose Qualität des Epigonen hat. Denn nicht erst am Ende von STROSZEK, wo es am brutalsten geschieht, finden sich Bilder dafür, dass die Existenz in unserer Gesellschaft uns zu Zirkusaffen macht, die mit ihrem absurden Schauspiel nicht aufhören dürfen, bis ihnen der Motor durchbrennt. Egal ob in einer Großstadt (Berlin), wo die Bedrängung durch Institutionen und andere Menschen einen einengen, oder in einer egalitären Weite, wo es nur so von obskuren Leuten wimmelt und es zumindest kurz wie ein Paradies für das Eigenwillige in uns wirkt (Wisconsin). Es holt uns ein, will uns STROSZEK sagen. Bei Jarmusch ist alles wie in Watte gehüllt, hier bei Herzog wie in Kerosin getaucht … und er steht mit dem Streichholz bereit.

Donnerstag 14.11.

Derrick (Folge 214) Tage des Zorns
(Günter Gräwert, BRD 1992) [DVD]

großartig

Zuhälter Donat (Jürgen Schmidt) spannt Kommissar Heckel (Klaus Grünberg), der ihn ins Gefängnis brachte, gleich nach seiner Haftentlassung die Frau (Jessica Kosmalla als Agnes Heckel) aus. Selbstredend spielt Donat ein teuflisches Spiel, in dem Agnes nur Mittel zum Zweck ist. Mit Unschuldsmine genießt er die Demütigung Heckels. Und Derrick hat alle Hände voll zu tun, seinen Kollegen vorm Durchdrehen zu bewahren und Agnes die Augen zu öffnen. So sieht zumindest das Narrativ aus, welches Derrick sofort erkennt. Es ist die Geschichte der frauenverschlingenden Hölle des Rotlichtmillieus, die in Form von Donats Stripclub rot und verderblich leuchtet. Es ist ein sowohl trister, wie aufregender Ort, wo der Alkohol für die Verlorenen unaufhörlich fließt, wo niemand glücklich wird/ist, wohin aber doch immer wieder Frauen enden, die dort ihre Unschuld verlieren und damit ihren Lebenswillen. Einen wie Derrick braucht es in dieser Geschichte, um das geradezu Zwangsläufige aufzuhalten … bevor es für die Frauen unumkehrlich zu spät ist.
Als Derrick das erste Mal in den Club geht, um sich einen Überblick zu schaffen, sieht er alles sofort wie sein Kollege: Ein nach Rache dürstender Krimineller und eine ihm verfallene Frau. TAGE DES ZORNS zeigte es bis dahin aber nicht so. Die Folge wird mit Bildern von sexueller Ekstase eröffnet, von Freude und Genuss zwischen Donat und Agnes. Und ihnen werden sehr schnell Polizisten entgegengestellt, die von einer sexuellen Hörigkeit schwadronieren, als ob es besser wäre, sich einen zuhälterischen Teufel zu erträumen, als eigene Nachlässigkeiten an die Oberfläche ihres Bewusstseins kommen zu lassen. Aus der Wut von Heckel sprechen Potenzparanoia und Statusverlustängste, denen er mit Wut, Gewalt und Alkohol begegnet. Sorge um seine Frau scheint sich in dieser Erzählung nur pro forma zu finden. Und Agnes muss in dieser Kombination schnell befreit wirken, statt jemanden verfallen.
Oberflächlich sind dies Produkte des Spannungsaufbaus. Donat wirkt zuvorkommend und umsorgend, weil es eben sein Spiel ist und die Zuschauer mit Zweifeln ob seiner Intentionen belassen werden sollen. Mit welcher Insistenz beide Seite zugleich albern und unangenehm wirken, ist aber durchaus sensationell. Beispielsweise Donats Stripclub, der bei Tageslicht armselig und albern aussieht … nicht zuletzt, weil die Erarbeitung einer Tanzchoreographie wie einem Helge Schneider-Film entsprungen aussieht. Eine Peter Berling-artige Figur bietet dabei einen Vorgeschmack auf die Kunst des Mambo Kurt, während er halbnackten Frauen entnervt Befehle entgegen blafft. Und Agnes wird in der Folge fast durchgängig weggeschlossen. Was soll sie auch machen, als zwischen dem Wutbürgertum und der herzlosen Schmierigkeit die Augen zu verschließen. Autonomie beweisen darf sie jedenfalls nicht, was wohl die letztendliche brutalste Selbstoffenbarung dieses Schwanengesangs auf männliche Vorstellungen von sexualisierten Frauen ist.
Die Krönung stellt aber der Umstand dar, der darauf folgt, dass Harry eine Prostituierte (Krista Posch) kennenlernt, die auch von Donat in den Abgrund geritten wurde. Agnes Zukunft soll in ihr sichtbar werden, aber auch an ihrer Rettung darf sie mitarbeiten. Aber das ist nicht der Punkt, sondern mit welcher diabolischen Gemeinheit TAGE DES ZORNS einen unbekümmerten Harry zeigt, der nachts mit ihr in ihre Wohnung geht, um einen Kaffee zu trinken. Und wie Derrick es ihm eine Nacht später gleichtut. Ohne es auszusprechen, wird doch sehr offensiv angedeutet, dass unsere Helden ganz selbstverständlich ihre Jobs mit dem Sein als Freier verbinden. Nicht mal sie kommen sauber aus dieser Folge hervor.

Mittwoch 13.11.

Derrick (Folge 213) Eine eiskalte Nummer
(Helmuth Ashley, BRD 1992) [DVD]

ok +

HAMLET light. Geister und ein entlarvendes Schauspiel überführen den Täter. Oder es wird halt das Eiskalte und Gesetzte der Episode durch seltsame Einfälle final zum Schmelzen gebracht. Der Weg dorthin ist aber lang und steinig … und inklusive einer Bandprobe vom anderen Stern.

Dienstag 12.11.

Derrick (Folge 212) Beatrice und der Tod
(Theodor Grädler, BRD 1992) [DVD]

großartig +

Derrick versteht etwas an Beatrice (Elisabeth Trissenaar) nicht. Mehrfach drückt er es verbal und nonverbal aus. Das, was er nicht versteht (bzw. verstehen will), ist in dieser Episode, die wie ein Liebesfilm bzw. -drama inszeniert ist, aber mehr als offensichtlich – nur bei ihm selbst kommt es nicht an: Derrick fühlt sich zu ihr hingezogen. Wiederholt bringt er sie nach Hause und begleitet sie noch zu einem Umtrunk in ihre Wohnung. Sie wartet in seinem Büro auf ihn. Gemeinsam gehen sie Essen. Sind sie alleine miteinander und andere Leute kommen hinzu, wird die bisherige Intimität durch die lauten, geradezu aggressiven Eindringlinge retrospektiv überdeutlich. Wir sehen die gegenseitige Faszination, die Annäherung und das langsame Auseinanderleben. Wir sehen eine Liebesgeschichte in Kurzfassung. Eine Liebesgeschichte, die aber nie vollzogen wird, die nur im Raum schwebt – unsichtbar lediglich für die beiden Personen, welche in sie verwickelt sind. Es sind diese Umstände einer uneigentlich bleibenden Liebe, in der der reichliche Subtext von BEATRICE UND DER TOD zusammenläuft.
Im Titel schwingt die (schwarze) Romantik mit, welche Beatrice in diese Folge bringt. Sie ist Journalistin, die Derrick für ein paar Tage und bei zwei Fällen begleitet, um eine Reportage über die Arbeit der Mordkommission zu schreiben. Lange Monologe hält sie ihm. Von der Intimität des mörderischen Aktes spricht sie. Von der Vollendung persönlicher Schicksale im Mord. Von rauschenden Gefühlen, die im Tod ihren Abschluss finden, für Täter wie Opfer. Und Derrick, der noch mehr zur Ausgeburt von Sachlichkeit stilisiert wird, der als er etwas nicht versteht, eine Nacht lang Akten wälzt, dieser Derrick findet sich in ihren Ausführungen wieder und von ihnen berührt. Beendet sie ihre Reden schaut die Kamera ihm ins Gesicht und er sieht tatsächlich stimuliert aus. Ein verbaler Blowjob wird ihm bei diesem Aufeinandertreffen von Romantik und Sachlichkeit wiederholt dargebracht.
Doch mit der Zeit driftet die beiden auseinander. Verspätungen, Pausen, Skepsis bestimmen zunehmend ihre Aufeinandertreffen. Ihre Gefühle bzw. seine Gefühle, die sie in ihm auslöst, werden für ihn zunehmend etwas Düsteres. Oder um ihm Bild zu bleiben: er kommt nicht damit klar, dass sie ihm bei der Fellatio mit ihrem Finger am Arschloch spielt (und dass es ihm gefällt?). Er drückt sie weg und BEATRICE UND DER TOD endet zwangsläufig, in dem sie innerhalb seiner Krimiwelt dort verortet wird, wo Sachlichkeit Emotionen ertragen kann. In Akten als Untersuchungsobjekt.
In all dies noch zusätzlich eingelassen befindet sich noch ein (dekonstruktivistischer) Diskurs über Realität und Geschichte. Wenn sie ihre Ideen von Geschichten, die in den Kriminalfällen zu suchen sind, rückübersetzt und ihre Realität zu einer Geschichte machen möchte – sie tötet einen Ex-Geliebten, weil die sie nicht loslassende Geschichte dann für sie abgeschlossenen sei – bricht ihre Welt auseinander. In die Luft und nicht mehr zu dem verzückt zuhörenden Derrick erzählt sie gegen Ende der Episode und macht so nochmal deutlich, dass die Romantik ein Konzept für Köpfe und Fantasien ist, während die sachliche Realität sich aus kalten Fakten zusammensetzt, die sich nur mit Gewalt gegen den eigenen Sachverstand der Fantasie unterordnen werden.
Nachdem Theodor Grädler aus einem einfachen Krimi zuletzt ein mystisches griechisches Theaterstück machte, folgt eine Episode später nun ein Krimi, der bei Godard an die Türen klopft. Nur verliert er sich nicht in den Diskursen, sondern in den Leuten, welche ihre Träger sind. Was wir erleben (also ich in meiner zuletzt schleppenden Derrick-Retrospektive), ist eine zarte Neugeburt erratischer Derrick-Folgen, die sich in einer unglamourösen Fernsehoptik krude ausleben. Und das durch den Regisseur, der sich zuletzt eher als spartanischer Erfüllungsgehilfe des Drehbuchs sah.

Sonntag 10.11.

Supervized
(Steve Barron, IRE/UK 2019) [stream]

ok

Wer schon immer wissen wollte, was der Regisseur des ziemlich tollen ersten TEENAGE MUTANT NINJA TURTELS-Films inzwischen so macht, wird demnächst auf einen Film stoßen, der den Witz um Meerjungfraumann und Blaubarschbube, also zwei im Altenheim lebenden Superhelden, sehr altersschwach auf Spielfilmlänge dehnt. Zumindest passen Geschwindigkeit, Frische und die Gewitzheit des Films zum Thema. Und das ist vll. wirklich der schönste Punkt an SUPERVIZED, dass er eben nicht so gußeisern ist wie ein Film des MCU, sondern etwas ungelenker und mit jeder Menge Pups-Witze, die erst gar nicht den Anschein von einer zwanghaften Würde vermitteln.

Bone Tomahawk
(S. Craig Zahler, USA/UK 2015) [blu-ray, OmeU]

großartig

Aktion und Reaktion. Die jahrelange Suche von THE SEARCHERS wird hier auf eine einfache verkürzt, wo zwei (oder mehrere) Kulturen bzw. Lebensweisen gezeigt werden, die nicht aufeinander eingehen, die sich mit Füßen treten und damit das Frontier-Leben zur tödlichen, eleganten, gorigen Idiotie machen. Statt Mythos gibt es nur Leute, die (denken, dass sie) tun, was sie tun müssen. Der Westen ist in BONE TOMAHAWK deshalb auch nicht von landschaftlichen Weiten bestimmt, sondern von der Suche nach einem Hügel fürs geschützte Campen, von Geröll und Gleichgültigkeit. Ein Film der langsam auswalzt, was die Intelligenten des Films schnell hinter sich lassen (können) und aus der Erzählung verschwinden, da sie mit dem Geschehen erst gar nichts zu tun haben wollen.

Sonnabend 09.11.

Kış Uykusu / Winterschlaf
(Nuri Bilge Ceylan, TR/F/D 2014) [blu-ray, OmeU]

ok

In der affektreichsten Szene des Films wird ein Wildpferd gefangen. Es möchte über einen Fluss entkommen, bleibt aber durch die Lassos der Jäger im Eiswasser hängen und wird elendig schleppend mit einer sich zuschnürenden Schlinge aus dem bitterkalt aussehenden Nass gezogen. Später wird dieses Pferd vom Auftraggeber der Jagd einfach wieder frei gelassen, in eine nun völlig im Winter untergegangene Landschaft. Es war eben nur eine Laune. In diesen beiden Momenten steht vll. am brutalsten, was WINTER SLEEP ansonsten in Dialogszenen auszurollt. Ein Mann, der sich seinen Kaffee immer bringen, der Verwalter und bessere Mägde seine Angelegenheiten (Miethäuser und ein Hotel) bereiten und sich stets von einem Fahren kutschieren lässt und der sich am liebsten immer in sein Zimmer zurückzieht, um an seinen Kolumnen zu arbeiten, wirft anderen vor, dass sie die Härte des Lebens und des Arbeitens nicht kennen. Das Grobe des anatolischen Hinterlands spiegelt dabei die verschüttete emotionale Verschüttung von Gesprächen, in denen Worte zu nichts führen und nur an dem Grund vorbeilaufen. SZENEN EINER EHE als Abgesang auf sich in Gipfeln wegschließende (männliche) Deutungshoheiten und eine uneingestandene Leere. Menschen, redend, immer wieder redend, die an sich und ihren Bedürfnissen vorbeireden. Ein Trauerspiel … auch weil es selbst eines wird und sich in den durchaus repetitiven Dialogen nichts Neues ergibt, was in Szenen über Pferde beispielsweise nicht schon ausreichend ausgedrückt wurde.

Psycho
(Alfred Hitchcock, USA 1960) [blu-ray, OmeU] 4

fantastisch

Nachdem ich die finale Erklärbäreinlage von Robert Foster vorgebracht gesehen habe, ist die aufschneiderische Originalversion noch einen Tick unerträglicher. Ansonsten aber ein ganz anständiger Film über Zwänge.

Freitag 08.11.

Am zin 2 / Running Out of Time 2
(Johnnie To,Law Wing-Cheong, HK 2001) [blu-ray] 2

verstrahlt

Der gleiche Film nochmal. Nur wird der Cop-mit-inkompetenten-Schreiboss-Klamauk noch etwas mehr hochgejazzt und diesem steht nicht eine Geschichte über Abschiede und mit Andy Lau entgegen, sondern ein dauergrinsender Zauberer mit CGI-Adler. Tatsächlich sind es nur kleine Verschiebung im Film, aber sie machen aus einem vormals leicht schrägen Film ein experimentelles Irgendwas, dass ich noch nicht ganz für mich zu entschlüsseln schaffte. Oder eigentlich geht es nicht mal um Entschlüsselung, sondern darum, eine leichte Ahnung davon zu haben, was ich da gesehen gerade ein zweites Mal habe.

Donnerstag 07.11.

Zama
(Lucrecia Martel, ARG/BR/E 2017) [DCP, OmU] 3

fantastisch

Der kam Monate nach Kinostart für einen Abend in meiner Heimatstadt. Es geschehen noch Zeichen und Wunder dachte ich. Tatsächlich bin ich in die Eröffnung eines lateinamerikanischen Kulturfestivals geraten, dass für die nächsten Wochen stattfindet. Heißt: zum tollen Film gab es Tapas und Wein … bzw. Cola in meinem übernächtigten Fall.

Am zin / Running Out of Time
(Johnnie To, HK 1999) [blu-ray] 2

großartig

Kurz nach den Hochzeiten eines allin-Hongkong-Kinos, kurz bevor Johnnie To zu seiner vollen Eleganz fand, kurz nach der Rückgabe Hongkong an China entstand dieser Film, in dem ein unaufhaltsamer Tod näherkommt und deshalb nach einer Form von Abschied gesucht wird. Auf der einen Seite ist RUNNING OUT OF TIME so ein wie ein Uhrwerk funktionierender Heist-Thriller voller Wendungen und Einfälle, der seine Vorliebe für quatschige Einfälle nicht unterdrückt, auf der anderen ein melancholischer Film über Chancen, die sich nicht mehr entfalten können. In einer der traurigsten Szenen treffen sich zwei Frischverliebte zu einem Date, dass mit ausgehustetem Blut jäh endet. Nicht nur das Date, auch die reale Möglichkeit der Liebe. Ein Film wie eine Abschiedsfeier mit jeder Menge Konfetti.

Mittwoch 06.11.

The Nutcracker / George Balanchine’s Der Nußknacker
(Emile Ardolino, USA 1993) [blu-ray, OF]

nichtssagend

Seit 1954 wird George Balanchines Choreographie von DER NUSSKNACKER in New York zu Weihnachten auf die Bühne gebracht. Die ursprüngliche Aufführung war wohl auch nicht ganz unwichtig, dass Ballett an sich in den USA bekannt wurde. Das Emile Ardolinos Inszenierung dieser Version des Balletts so aussieht, wie sie es tut, liegt womöglich in dieser Bedeutsamkeit begründet. Denn die Kamera bleibt fast die ganze Zeit auf Distanz und repliziert Blicke aus einem potentiellen Publikum. Das Erlebnis der tatsächlichen auf eine Bühne gebrachte Choreographie soll wahrscheinlich geboten werden. Abgefilmtes Theater ist ja durchaus ein gängiger Kardinalvorwurf, der einem Film gemacht werden kann. Hier trifft er insoweit zu, da durch dieses Vorgehen die ganze Dynamik der Aufführung verloren geht. Film kann das reale Erlebnis schlicht nicht ersetzen. Das scheinen die Macher auch zu wissen, weshalb eben kleine Schnitte Perspektivverschiebungen bringen, welche die Starre etwas aufweichen sollen. Wie unergiebig das ist wird aber im Film selbst offensichtlich. In den wenigen Momenten vor allem im ersten Tableau, wenn nicht getanzt wird, wird die Inszenierung nämlich tatsächlich filmisch. Schräge Einstellungen, eine bewegliche Kamera oder Großaufnahmen beleben den Film sichtlich. Es ist im Gegensatz zur Tristesse der sonstigen Authentizität erhellend. Bezeichnenderweise hat Macaulay Culkin, der sich mehr wegen seiner Bekanntheit, als wegen seiner Tanzkünste auch im Filmbefindet, sein Markenzeichengrinsen scheinbar verlernt. Kurz bevor es ihm auf die Lippen kommt und dann doch ausbleibt, wird sein Blick erst richtig befangen. Befangen wie auch DER NUSSKNACKER in seiner Gänze.

Dienstag 05.11.

Die große Ekstase des Bildschnitzers Steiner m
(Werner Herzog, BRD 1974) [blu-ray]

großartig

Werner Herzog als in die Kamera sprechender Fanboy eines in seinem Bericht überlegenen Skispringer, der von spektakelgeilen Wettkampfveranstaltern am liebsten in den Tod geschickt wird, weil sie ihn immer weiter und weiter fliegen sehen wollen. Da wo seine abgehängte Konkurrenz niemals hinkommt und wo er nur durch seinen Kampf gegen das Adrenalin nicht hinwill. Da wo er in sein Ende springen würde. Vll. auch die frühe Version eines Skatevideos, denn der Reiz liegt vor allem in den majestätischen Zeitlupenaufnahmen der Springer – in der besten Einstellung scheint Walter Steiner sogar fast über die hautnah dabei seiende Kamera zu fliegen – und in ihren brutalen Abstürzen.

Glaube und Währung m
(Werner Herzog, BRD 1981) [blu-ray]

großartig

So ungefähr zur Mitte der Spielzeit wird von einem interviewten Televangelisten weggeschnitten, hin zu einer Frau, die in Mitte einer ziemlich symmetrischen Einstellung auf einer Couch liegt. Sie fläzt etwas quer. Herausfordernd oder doch entspannt? Ihr Kopf befindet sich von ihrer Hand gestützt über der Aussparung, wo das linke Couchpolster sein müsste. Die Einstellung an sich ist schon wunderlich. Sie ist es aber noch mehr, weil sie nicht eingebunden wird. Der Fernsehprediger Gene Scott redet auf der Tonspur einfach weiter. Vll. sitzt sie ihm gegenüber, vll. ist es seine Frau, vll. eine Fetischidee von Herzog. Vll. steht sie aber genau dafür, dass sich weder Herzog, noch der Film einen Reim auf das dokumentierte machen können. Die Dreiviertelstunde des Films versucht weder Scott zu entlarven, noch tut sie ihm einen Gefallen. In den Interviewsequenzen redet er von seiner Rechtschaffenheit, davon wie ausgebeutet und anspruchslos er ist, er kündet von einem armen Tropf in edlen Klamotten, der in einer ungerechten Welt eben ab und zu die Contenance verliert. Die Ausschnitte aus seinem Programm zeigen ihn in entrückten, billigen Kulissen dabei, wie er minutenlang Geldbeträge vorliest, nach Geld verlangt und Gott nur über Geld zu verstehen scheint. Es ist ein verqueres Portrait einer verqueren Gestalt, die wir nach dem Film nicht besser verstanden haben, sondern wohl noch weniger.

Letzte Worte k
(Werner Herzog, BRD 1968) [blu-ray, OmeU]

gut +

Eine dadaistische Dokumentation/Mockumentary über eine ehemalige Leprakolonie, die sich im steten Wechsel zwischen Bildern von Ruinen befindet – die Lepra scheint nach Verschwinden der Menschen auf die Häuser übergegangen zu sein –, Leuten, die vor malerischen Kulissen eines Hafens in Kreta mal gewandt, mal nicht versuchen Sinn aus einer Geschichte über einen Musiker zu gewinnen, der von der Kolonie zurückkam, und einem Musiker, der musiziert oder in die Kamera sagt, dass er nicht mehr redet. Der babbelnde Versuch aus Schweigen etwas zu gewinnen.

Montag 04.11.

The Parallax View / Zeuge einer Verschwörung
(Alan J. Pakula, USA 1974) [DVD, OmeU] 2

fantastisch

Die Ermordung an den Kennedys als Schleife. Ganz Paranoiathriller verbringt THE PARALLAX VIEW auch keine Zeit damit, die Verschwörung großartig zu erklären, welche hinter den ständigen Morden an Politikern und Zeugen steckt. Es ist als ob der Film voranrennt und wir mit den wie Brotkrumen hinterlassenen Indizien und Andeutungen uns selbst zusammenbasteln müssen, warum dieser Weg beschritten wird. Nicht dass es übermäßig komplex wäre – es handelt sich um eine zynische Anwendung, um den Nöten einer modernen-demokratischen Gesellschaft zu begegnen, die Leuten mit massiven Aggressionsproblemen einen Platz bieten muss –, aber doch wird einem selbst überlassen, sich das desillusionierte, scheinbar ausweglose Spinnennetz auszumalen, welches der Film wie eine Schlinge um unseren Hals legt.
Statt den Erklärungen bietet THE PARALLAX VIEW eben einen Film über Wahrnehmung. Ignoranz ist Glückseligkeit in einer verbeiziehenden Welt, während Wissen und eine Ahnung der tatsächlichen Vorgänge die Zeit fast anhalten lässt. Solange Warren Beattys Figur nämlich an einen Einzeltäter – es wird nie ausgesprochen, doch Lee Harvey Oswald ist gemeint – glaubt, peitscht die Geschichte elliptisch voran. Sobald er aber seine Position zum Untersuchungsobjekt ändert, sobald sich die Polizei als korrupt erweist, sobald eine faschistische Geheimgesellschaft Bomben legt und Schützen losschickt, dann steckt er zunehmend in langsamen, dahinschleichenden Spannungsszenen fest.
Was den Film zu einem wunderschönen macht, weil er eben über Wahrnehmungen gedacht ist. Nicht als erzählte Geschichte, sondern als Bildmaschine, die eine Geschichte wie nebenbei ausspuckt. Von eingebauten Kleinigkeiten wie ein One-Night-Stand, der plötzlich ins Bild läuft, über Barschlägereien wie aus einem Burt Reynolds-Film, über Golfwagen, die sich durch Tischgarnituren wälzen, bis hin zur experimentellen Montagesequenz, mit der die Gesellschaft Beattys Psychopathenpotential austestet und die auch für den Zuschauer als Grusel über unterschwellige Botschaften funktioniert: THE PARALLAX VIEW legt wenig Wert darauf, verstanden zu werden, als ein greifbaren, reichhaltigen Ort zu erschaffen. Realismus als Poesie.

Sonntag 03.11.

Derrick (Folge 211) Der stille Mord
(Theodor Grädler, BRD 1992) [DVD]

verstrahlt

Zuletzt war ein kleines Hindernis von DERRICK, dass Reineckers Drehbücher und die Inszenierung sich kaum noch befruchteten. DER STILLE MORD ist dahingehend ein schönes Lebenszeichen. Denn das Drehbuch ist sichtlich die Predigt eines alten, weißen Mannes, der seine Worte den Figuren ausschweifend in den Mund legt und mit ihnen von dem Verbrechen schwadronieren lässt, dass es ist ein unschuldiges Mädchen per Vergewaltigung in den Dreck zu ziehen. Die sich ergebende Quintessenz lautet, dass es einem Mord gleichkommt, einem stillen Mord, dies zu tun. Rechtsstaatlich wie geschlechterpolitisch ist das alles höchst mulmige Ware, die in ihrer selbstbelullten Beredsamkeit auch noch ziemlich anstrengend an den Mann/die Frau gebracht wird. Theodor Grädler nimmt dieses Drehbuch nun und stellt nicht Täter und Opfer, uneinsichtige Sünder und Rächer gegenüber. Die drei Vergewaltiger werden vielmehr von drei schwarzgekleideten Moiren verfolgt. #metoo-Moiren, welche immer in Formation auftreten, welche den Tätern ins Gesicht starren, welche das Umfeld der Täter gegen diese aufbringen und welche das Schicksal einer zerstörten Welt auf sich folgen lassen. Das Schwafelige wird hier Teil einer entrückten griechischen Sage, die die Realität des sonstigen Geschehens in eine kleine, wirre Oper verwandelt.

Sonnabend 02.11.

Jeder für sich und Gott gegen alle
(Werner Herzog, BRD 1974) [blu-ray]

fantastisch

Wie am Fließband werden die Konzepte vorbeigeführt, die mittels eines jungen Mannes in Frage gestellt werden. Dieser hat fast sein gesamtes Leben in einem Kellerloch zugebracht hat und war auf sich zurückgeworfen. (Die Darstellung von Kaspar Hauser durch Bruno S. wirkt wie aus LAND DES SCHWEIGENS UND DER DUNKELHEIT entsprungen und scheint eine indirekte Weiterführung der Thematik zu sein.) Die Gesellschaft mit ihren Institutionen wie Polizei, Religion, Jahrmarkt, Schule und Adel nehmen sich ihm kurzzeitig an, scheitern aber an ihm. Er, der sich keine Vorstellung von ihnen machen kann, der erst noch Namen von Dingen lernt und für den Konzepte Bücher mit sieben Siegeln sind, er dekonstruiert ihre Taten und Erklärungen nur mit seinem leeren Blick und seinem noch kindlich surrealen Weltverständnis. JEDER FÜR SICH UND GOTT GEGEN ALLE ist wie ein weitschweifiger Vorläufer von DER ELEFANTENMENSCH, der nicht auf der emotionalen Schiene fährt, sondern auf einer (verstörend) absurden, die unsere Welt wie ein Kaspertheater aussehen lässt.
Kaspar Hauser stellt mit seiner Unbedarftheit aber die ihn aufnehmenden Gesellschaft nicht einfach nur in Frage. In ihm wird deutlich, dass sie absurd wirken muss, wenn wir nicht in ihren Erzählungen stecken. Immer wieder geht es um Kaspar Hausers Träume und Entwürfe einer Geschichte, mit denen er sich und seine Umwelt verarbeitet. Es sind die Versuche sich in das ihn umgebende zu integrieren. Denn so sehr er der Mittelpunkt der Geschichte von JEDER FÜR SICH UND GOTT GEGEN ALLE ist, so sehr ist er für sich ein Fragment, das im Wasser nicht sein Antlitz gespiegelt sieht, sondern Wellen, d.i. Formen und Licht. So sehr seine Hintergrundgeschichte ein Rätsel bleibt, so sehr muss er erst seinen Platz in der sozialen Erzählung seiner neuen Gesellschaft entschlüsseln. Erst wenn er (und wir) im Absurden aufgegangen sind, scheinen wir ein Teil von etwas Verstandenem werden können … so scheint dieser Film mit seinen neugierigen und verlorenen Blicken darzustellen.

Psycho
(Gus Van Sant, USA 1998) [stream, OmU]

fantastisch

Viel von der Abscheu, die Van Sants Remake von Hitchcocks PSYCHO abbekam, lag in Angst begründet, glaube ich. In der Angst, dass eine jüngere Generation mit dem Namen PSYCHO nur noch diesen Film verbinden würde … in der Annahme, dass Farbe ausreichen würde, um das Andenken des Originals in der Populärkultur auszuwischen. Es ist eine Angst, die dem neuen Film Unverfrorenheit unterstellte, aber tatsächlich selber ziemlich unverfroren übersah, was für ein spannendes Projekt hier realisiert wurde.
Bis ich Gus Van Sant’s Psycho Just Turned 15 — and is More Fascinating than You Remember von Vern las, hatte ich kein Interesse an dem Film. Mit 14 Jahren hatte ich die Abscheu, die der Film hervorrief, in mich aufgesogen. Nachdem ich den Text gelesen hatte, kam ich mir ziemlich doof vor … und tue es heute noch. So offensichtlich ist dies ein mehr als sehenswertes Experiment, dass den Film nicht eine neue Version angedeihen lassen möchte, sondern die vom filmischen Erzählen an sich handelt.
So funktioniert Gus Van Sants PSYCHO als Erinnerung, wie toll Hitchcocks PSYCHO eigentlich ist. Schon allein weil die Geschichte auch hier Spaß macht. Zudem weil ich ständig Lust hatte, den anderen auch mal wieder zu sehen. Es handelt sich um einen sensationellen Farbfilm bzw. einen sensationellen Film über Farbe. Ein Film, von dem ich nicht weiß, wie er ohne das Wissen um das Original funktionieren würde,* weil er nur davon lebt, dass alles fast gleich ist. Aber eben nur fast.
Nicht nur sind Kleinigkeiten anders, wie in der Putzszene, wo Norman nicht unter dem Stöpsel des Waschbeckens nach Blutrückständen sucht, sondern nur einen Tropfen Blut wegwischt, der vom Rand herunterläuft.** Vielmehr scheint es, dass das Zusammenspiel von genauster Mimikry und Veränderungen den Film in ein Nirgendwo ohne eigene Existenz wirft. Vom Start weg sind Sex und Gewalt expliziter, als wolle uns der Film daran erinnern, was sich in den letzten 40 Jahren geändert hat und was inzwischen zeigbar ist. Doch Erzählrhythmus und Bildkomposition bleiben im Modus eines veralteten Filmmachens bestehen, da eben viel nachgeahmt wird. Die Leute tragen die Mode der späten 50er, vor allem William H. Macy mit seinem Fedora, und doch baumeln Julianne Moore ständig die Kopfhörer eines Discmans um den Hals. Weder die Zeit, zu der der Film spielt, lässt sich ausmachen, noch die, des filmischen Erzählens. Das Alte und das Neue bilden ein Amalgam, dass ständig Aufmerksamkeit auf sich zieht.
Während Vern davon spricht, dass dies Experiment gescheitert sei, u.a. weil es nicht versucht alles genau nachzustellen, scheint mir genau das der Punkt zu sein.*** Eben nicht die perfekte Kopie, sondern eine bewusste Veränderung. Nicht die kleinen Verschiebungen werden gesucht, die bei aller Genauigkeit auftreten, sondern ein Resonanzraum zwischen den Filmen, die sich überlagern und sich zu kommentieren beginnen. Als ob in unserem Kopf zwei Filme miteinander reden, obwohl wir nur einen vor uns haben.
*****
* Tatsächlich hatte ich, bevor ich Hitchcocks PSYCHO das erste Mal sah, schon DAS SCHWEIGEN DER HAMMEL mehrmals gesehen, dessen Spoof sich großflächig auf dem Plot von PSYCHO aufbaut. Ich hatte also ebenso wie bei VERTIGO, wo ich vorher eine SLEDGE HAMMER!-Folge kannte, die den Film auf 23 Minuten zusammenraffte, schon das Grobe bzw. den popkulturellen Text gekannt, der von dem Film ausging. Ich langweilte mich nicht nur, weil alles so langsam war und ich mir zu dieser Zeit diese Art von Kino erst erarbeiten musste, sondern auch, weil ich mir diesen Film schon übersehen hatte, bevor ich ihn kannte. PSYCHO wie VERTIGO als Originaltext musste ich mir erst erschließen. Die Szene mit der sich im Keller umdrehenden Mutter im Keller wurde so irgendwie mit jeder Sichtung gruseliger. Wohingegen beim Remake es nun schon bei der ersten Sichtung so war, dass mein Herz pumpte, als Julianne Moore zur Mutter in den Keller ging. Wohl auch wegen der Spannung, was nun hier daraus geworden war.
** Nachdem ich nun Hitchcocks PSYCHO nochmal gesehen habe, musste ich feststellen, dass mein Beispiel schlecht gewählt war, weil nicht vorhanden. Die beschriebene Untersuchen des Stöpsels stammt aus THE CONVERSATION und wurde von mir nur durch die Verquickung dieses Films mit PSYCHO in THE PERVERS GUIDE TO CINEMA falsch zugeordnet. Guckt also selber Van Sants Film sucht euch selber eins der tausend Beispiele. Vll. liegt ihr ja auch falsch.
*** Entgegen Verns Urteil ist Vince Vaughn in PSYCHO übrigens suuper.

Mom and Dad
(Brian Taylor, USA/UK 2017) [blu-ray, OmU]

großartig

Es ist diesem Film sehr wichtig, dass es um Liebe geht. So finden sich in seinem wilden Treiben immer wieder ruhige und versöhnliche Inseln, die davon künden, dass das, was MOM AND DAD an seiner Oberfläche ausagiert, ohne die Liebe zwischen Kindern und Eltern nicht möglich ist. Da ist beispielsweise die fürsorgliche Art, wie der jugendliche Damon (Robert T. Cunningham) mit seinem bewusstlosen, alkoholkranken Vater redet, als er von der Schule nach Hause kommt. Oder das versöhnliche Gespräch zweier Eltern (Nicolas Cage & Selma Blair) nach einem Wutanfall, die für sich klären, dass es traurig ist, dass ihre jugendlichen, doch gerade eben noch gehegten Träume eines rauschhaften und nur um sie drehenden Lebens vorbei sind. Dass sie wissen, dass es für sie der richtige Schritt war, sich ihren Kindern zu widmen. Immer wieder wird beschworen, dass eigentlich alles in Ordnung ist, aber doch ist da dieser eine kleine Punkt, dieser Punkt, der die Eltern in den Wahnsinn treibt.
Die Kinder sind eben anstrengend. Sie sind so egoistisch und verantwortungslos, wie die Eltern es gerne wären. Die Kinder stehlen Geld, Zeit und Nerven. Weshalb die ein oder andere Mutter und der ein oder andere Vater manchmal doch gerne zur Stichsäge greifen würde und ihrem Frust freien Lauf lassen möchten. Das Geschenk von MOM AND DAD ist, dass sie den Eltern genau diesen Wunsch erfüllen. Durch ein unbestimmtes Ereignis kippt die elterliche Liebe in einen absoluten Tötungsdrang. Eltern fallen über ihre und nur ihre Kinder her und schlachten sie farbenfroh und hinterhältig ab. Offen greifen sie sie mit Waffen und körperlicher Gewalt oder heimtückisch mit Gas und auf Schienen geparkten Autos an. Es ist ein bunter Spaß und der Spaß liegt in der Tabuüberschreitung. So übertrieben und skrupellos, so trocken und wild gehen die Eltern ihre Kinder an, dass das Bahnbrechen eines potenzierten Gefühls amüsieren muss … oder verstört.
Die Kinder aber bleiben nicht nur die Störgeräusche im potentiell unbeschwerten Tagesablauf der Eltern, das es nun abzuschlachten gilt. Sie sind es, die in einem sich je nach Alter ändernden Abhängigkeitsverhältnis zu ihren Eltern befinden und damit alles andere als perfekten Leuten ausgeliefert sind. Leuten, die sich wie Idioten benehmen und idiotischen Träumen von Jugend nachhängen, die in kläglichen Midlifecrisisbekämpfungen enden. Sie sind es, die nun von Eltern belagert und angegriffen werden, die sich nur noch wie Zombies benehmen, von Leuten, die wegen Kleinigkeiten zu Wüterichen werden.
Und das sind die beiden Grundlagen des Witzes von MOM AND DAD, die Potenzierung der Idiotie sowie des Frusts von Eltern. Das Ergebnis ist ein Film, der den Generationenkonflikt eines normalen Heims zu einer wilden Fahrt durch eine eigenwillige Zombieapokalypse macht. Vll. liegt es daran, dass Brian Taylor sein kongenialer Partner fehlt, dass dies nur zuweilen den Wahnwitz eines CRANK: HIGH VOLTAGE erreicht. Vll. liegt es aber an der Liebe. Daran, dass die Aufrichtigkeit nicht aus den Augen verloren werden möchte, weshalb immer wieder unterstrichen wird, wie lieb sich alle doch eigentlich haben. Bei der Frage zwischen dem absoluten Wahn und einem Herz am rechten Fleck entscheidet sich MOM AND DAD für das Zweite.

Freitag 01.11.

Shi mian / The Sleep Curse
(Herman Yau, HK/CHN 2017) [blu-ray, OmeU]

großartig

In der Mitte wird die Geschichte eines Oskar Schindlers erzählt. Lam Sing (Anthony Wong) wird dort im 2. Weltkrieg zur Kollaboration mit den japanischen Besatzern und zur Arbeit in einem Soldatenbordell gezwungen. Dort werden chinesische Mädchen systematisch vergewaltigt, wobei das Ende der Schlangen an Soldatenfreiern vor den Türen nie ins Blickfeld kommt. Lam Sing versucht hier einfach nur am Leben zu bleiben und den Mädchen soweit es geht zu helfen. Abgesehen von seinem fehlenden Heroismus wird ihm kein charakterlicher Tadel ausgesprochen. Und doch ist er genauso wie ein anderer, ungleich monströser gezeichneter Kollaborateur der Ursprung des titelgebenden Schlaffluches, der tatsächlich ein Nichtschlaffluch ist. In einem Film, in dem Probleme sowohl mit Okkultismus, als auch mit Wissenschaft angegangen werden, wo beide quasi verquickt werden, wo sich nicht nur Schuld, sondern auch das Unwohlsein daran, in diese Existenz geworfen zu sein, über die Generationen überträgt, wo Traumata per Staffelstab weitergegeben werden, da gibt es keinen Ausweg. Da gibt es keinen Schlaf. Sondern nur Wahnsinn und Kannibalismus, die sich aus stillen Untersuchungen von Schlaflosigkeit blutrünstig herausarbeiten.

The Beguiled / Die Verführten
(Sofia Coppola, USA 2017) [blu-ray, OmeU]

ok

Im Vergleich zu BETROGEN handelt es sich hier um eine filetierte Version des Stoffes. Der Sex, im Vorgänger so dominant und wie nebenbei zu jeder Stelle aus Wort und Bild dringend, ist hier fast verschwunden. Gerade wenn er problematisch besetzt war/ist. D.h. es gibt keinen Inzest mehr, keine Küsse für 12-Jährige, keine Soldaten, die sich wie potentielle Vergewaltiger benehmen, keine Hennen, die in der plötzlichen Anwesenheit eines Mannes wieder Eier legen. Und auf gleiche Weise ist auch fast alles Problematische nicht mehr existent. Weit und breit gibt es keine Sklavin mehr auf dem Landgut in Virginia, keine Debatten über den Bürgerkrieg, der den Hintergrund der Handlung bildet, keine sadistische Gewalt durch Nord- wie Südstaatler.
Und damit hört es nicht auf. Die ganze Erzählung wird auf das Allernötigste beschränkt, weshalb am Ende entscheidende Punkte des Plots hohl und sinnlos wirken. Als der verletzte Nordstaatensoldat in der Südstaatenmädchenschule (Colin Farrell als McBurney) die kleine Schildkröte eines der Mädchen in einem Wutanfall tötet, dann ist weder das Verhältnis zwischen McBurney und dem Mädchen, noch von dem Mädchen zur Schildkröte ausreichend etabliert, als dass das Final daraus erwachsen könnte. Stattdessen wird eingeschoben, wie McBurney eben noch ein paar brutale Dinge tut, um den neuerlichen Hass ihm gegenüber zu begründen. Das Verbleibende der eigentlichen Geschichten ist dergestalt ungelenk und karg, wie es die Dialoge sind, die ständig nur erklären und nicht wie Unterhaltungen von Leuten wirken.
Alles was 1971 so leicht von der Hand ging, das ist hier dahin. Stattdessen gibt es Krampf … und die Möglichkeit das Kino von Sofia Coppola kennen zu lernen, dass sich in den Unterschieden zu offenbaren scheint. Denn hinter all der Gewalt, die dem Stoff (mglweise*) angetan wurde, steckt vor allem der Kraftakt der Autorin und Regisseurin sich diesen anzueignen. Mit ihrer Aneignung wird aus McBurney eine Nebenfigur, dessen Charakter als Katalysator der Geschehnisse dadurch überdeutlich wird. Stattdessen geht es um Frauen und ihre charakterlichen Oberflächen, wie die ihrer Kleidung und Schminke.
Statt einer direkten Verortung in der Zeit vollzieht sich alles an einem – trotz aller kontemporären Kostüme – aus der Zeit gefallenen Platz. Ein Nimmerland, dessen Zaun das Schulgelände von Realität und Zeitlichkeit scheidet. Mädchen sitzen hier in Baumwipfeln und warten die Zeit ab, die sich nie zu vollziehen scheint. Statt einer nach außendringenden Sexualität gibt es eine Wegschließung derselben. Wenn Mädchenschulvorsteherin Miss Martha (Nicole Kidman) den verwundeten Soldaten McBurney wäscht und sich ihre Lust und ihr innerer Widerstand gegenüber dem männlichen Körper darin ausdrückt, dass sie verstohlen im Hüftbereich am lendenverhüllenden Stoff nestelt, da ist aus der Schmierigkeit des Vorgängers Prüderie geworden, aus dem Offensichtlichen das Verheimlichte.
Deshalb wirken die Figuren auch wie Pappaufsteller ihrer Eigenschaften – Alicia, die sexuell aktivste und (zwanghaft) offenste in beiden Versionen trägt hier beispielsweise ihre Frisur und ihre Kleidung offensiv schlampiger als die Anderen (d.h. nicht so streng). Jeder trägt etwas überdeutlich nach außen, weil nach innen niemand seiner sicher ist. Es bleiben Klischees und die Untiefen in ihnen. Es bleiben Leute, die gerne etwas wären, aber die vor ihrer existentiellen Freiheit bzw. ihren potentiellen Freiheiten ihrer Identität zurückschrecken. Ihre unendlichen Möglichkeiten lassen sie in einem verlorenen Zustand verweilen.
So ist THE BEGUILED ein Film über Frauen/Mädchen die lost in translation sind, die wie Marie-Antoinette im Müßiggang ersticken. Und glichen die Bilder des Films von 1971 expressiven Aquarellen, dann sehen sie nun wie die Ölgemälde eines Jean-François Millet aus. Ausdrucksstarke Momente in einer bräunlichen Gediegenheit herrschen vor, in welche die Geschichte von außen eindringt. Ihr Modus ist der Stillstand und eine kontemplative Schönheit – weshalb wohl auch zu jeder Zeit der Film angehalten werden kann und ein Bild zu sehen wäre, dass sich so auch in einem Museum wiederfinden ließe. Dieses THE BEGUILED ist kein Fluss der Bilder, der in der Bewegung verschleiert, dass er aus einzelnen Bildern besteht. Die Illusion des Films wird von ihm annäherungsweise gebrochen, weil hier alles aus leeren Momenten von Schönheit besteht. Die Realität, d.i. der Modus des Erzählens ist nur noch Schmerz, Elend und Ekel.
*****
* Ich kenne den Roman von Thomas Cullinan nicht und setze nur die beiden Filme ins Verhältnis, wobei ich den chronologisch ersten Film einfachheitshalber zum ursprünglichen Text erkläre.

Oktober
Donnerstag 31.10.

Gamer
(Mark Neveldine, Brian Taylor, USA 2009) [blu-ray, OmeU]

gut

RUNNING MAN für eine neue Generation. Zum Tode Verurteilte kämpfen – durch Chips im Kopf von Gamern fremdgesteuert – in einem real sich abspielenden Egoshooter um ihr Leben, während die Armen Geld verdienen indem sie in einem realen SIMS sich fernsteuern lassen. Und GAMER ist dabei klar ein Film von Neveldine und Taylor, so schnell wird geschnitten, so waghalsig werden die Ebene zusammengeworfen, so kunterbunt und durch ist die Welt. Es wirkt aber auch wie die Antithese zu CRANK und CRANK: HIGH VOLTAGE. Hier zwei Filme, die von Freiheit träumen, von Videospielräuschen angetrieben werden und zum Selbstzweck durchgedreht sind, dort ein Film, der selbst noch all die mitunter auftauchende Gaga-Momente für seine Botschaft einsetzt. Der Botschaft, dass Videospiele mit ihrem Suchtpotential und Selbstveräußerung gefährlich für die Selbstbestimmung von Menschen sind. Mal ist es arg plump, wenn beispielsweise der ottonormale Gamer mit allen Mitteln für seine klischeehaften Körperumfang und seine Perversität geshamt wird. Mal ist es sehr schön, wenn ein Tanz der fremdbestimmten Körper aufgeführt wird. Im Grunde läuft aber alles auf eine einzige Pointe hinaus … und das ist dann für einen Film, der zwischen zwei Perlen entstand, irgendwie notdürftig.

Mittwoch 30.10.

The Beguiled / Betrogen
(Don Siegel, USA 1971) [blu-ray, OmeU]

fantastisch

Gefangen zwischen den Weiden des Südens, umlagert vom Bürgerkrieg, also vom grau-blauen, statt vom roten Tod: Eine Mädchenschule an dessen Balkon ein gebundener Rabe über allem thront. THE BEGUILDED hat viel mit PICNIC AT HANGING ROCK gemein, nur verliert sich Peter Weirs Film in den Weiten einer mystischen, vielgestaltigen Welt, wo der von Don Siegel inszenierte Film sich auf eine aus der Sittsamkeit herausbrechende Sexualität konzentriert. Clint Eastwood spielt einen verwundeten Schmeichler, der als Hahn im Hühnerstall erst alle wieder auf ihre Weiblich- und Körperlichkeit stößt und dann als Katalysator inhärent vorhandene Dinge wie Eifersucht, Wahn und Unzufriedenheit an die Oberfläche holt. Mit seiner traumhaften Abgeschiedenheit, die immer wieder von außen mit Tod und Gewalt bedrängt wird, mit einer schwelenden Vergangenheit, die nie vollends aufgeklärt wird, mit Lust und zerbröckelnder Respektabilität spinnt THE BEGUILED eine Geschichte von Heuchelei und Selbstbetrug, von den kleinen Unehrlichkeiten, die hier nicht ungesühnt bleiben, von Leuten, die von ihren glühenden Lenden mit Hoffnung geschwängert werden, wo es keine Hoffnung geben kann. Ein wunderschönes, sinnliches Gothic-Märchen menschlicher Unvollkommenheit.

Dienstag 29.10.

Jägerblut
(Hans H. König, BRD 1957) [DVD]

großartig +

Am Tag ist der Wald eine Idylle, wo die Fauna niedlich und die Flora beruhigend ist. In der Nacht treiben sich dort aber Schmuggler und Mörder herum. Vor allem scheint dort ein ewig aufzehrendes, gespenstisches Licht aus einer unklaren Quelle. Als ob der Mond nur 100 Meter entfernt im Dickicht lauert und unsere Seele offenlegen möchte. In den Jobs gehen alle auf und sind verlässliche Figuren. In der Kneipe trinkt auch der Held der Geschichte schon mittags Schnaps, befangene Gesichter sitzen um die riesigen Bierkrüge und halten sich an Rausch und Vergessen fest. Sexuelle Gewalt lauert dort. Deutschland im Jahre 1957. Es ist ein Land voll Hass, voll beunruhigender Vergangenheiten. Ein Land, wo Berliner in Bayern für eine sorglose spaßige Note sorgen. Ein Land, wo die (eigene) Natur in der Nacht den Dieben und Räubern schutzlos ausgeliefert ist. JÄGERBLUT ist ein Heimatfilm, wie so viele. Aber er ist auch wie eine atmosphärische Fortsetzung zu Hans H. Königs Meisterwerk und Nachkriegshorrorheimatfilm par excellence ROSEN BLÜHEN AUF DEM HEIDEGRAB. Der Krieg und die eigene Schuld liegen einem nicht mehr all zu nah im Nacken, aber doch findet sich in dieser Geschichte von Jägern und Wilderern noch etwas offensichtlicher Angst und Bange, die unter der einfachen Geschichte hervorquillt und noch die albernsten Teile in ein Deutschland einreiht, wo die Augen vor (den Träumen) der Nacht lieber verschlossen werden.

Montag 28.10.

Gisaengchung / Parasite
(Bong Joon-ho, ROK 2019) [DCP, OmU]

großartig

Sie kommen immer wieder vor, diese Momente, wenn sich beispielsweise eine junge Frau in einer überschwemmten Wohnung auf den Klodeckel setzt, um die schwarzen Fontänen, die aus diesem geschossen kommen, daran zu hindern, das Badezimmer weiter mit ihrem Dreck zu bespritzen. Es fließt nun nur noch unter hier in den Raum ab, während sie sitzt, raucht und etwas im Chaos kontempliert. Es sind Momente, wo die Fabel hinter die Figuren zurücktritt, wo mehr los ist, als dass es sich in den klaren Formungen erschöpft. Von Täuschungen im Klassenkampf wird erzählt, vom Terror des Körpers, der einen trotz aller Begabung beim Darstellen von Hochkultur doch mit seinem Geruch als niederklassig verrät, von klaustrophobischen und brutalen Existenzen unterhalb des Hauses eines reichen Pärchens, von Panoramafenstern, die mal eine abgeschottete Idylle zeigen, mal die besoffenen Pisser, mit denen man sich die Welt teilt. Kalt, langsam und bedrohlich schnürt die Kamera das Drama ein und wird immer sadistischer. Es legt sich seine handverlesenen Insekten zurecht und treibt sie kunstfertig zur aussagekräftigen Eskalation. Wunderschön ist es zu verfolgen, auch wenn die interessanten Figuren und Konstellationen des Auftakts etwas in den Hintergrund treten. Noch schöner ist es aber, wenn es diese Momente mit Fontänen gibt, wo die Lehrhaftigkeit nur noch ein Rauschen am Rande ist.

Sonntag 27.10.

The Killing of Sister George / Sister George muß sterben
(Robert Aldrich, USA 1968) [DVD, OF]

großartig

Seit Jahren habe ich mir vorgenommen, THE KILLING OF SISTER GEORGE zu schauen. Die Vorfreude … und damit die Erwartung, etwas Monumentales zu erleben, waren groß. Nun habe ich es gesehen und es war toll. Der Vorspann, in dem Beryl Reid (June Buckridge), die nach ihrer Fernsehrolle nur George genannt wird, durch enge englische Gassen nach Hause geht, wobei die Einstellungen wie Diabilder zur Seite geschoben werden; oder die auf den Vorspann folgenden Machtkämpfe und Degradationsspiele mit ihrer jungen Geliebten Alice McNaught (Susannah York), von George nur Childie genannt; oder wie sie betrunken Nonnen in einem Taxi sexuell belästigt: THE KILLING OF SISTER GEORGE fängt fulminant an. Als punkiges Vergnügen jemanden bei einer fröhlichen Selbstzerstörung zuzuschauen, oder als dekadenter Spaß einer unangenehmen Situation von Abhängigkeit, Überdruss und Frust, die wirre Blüten trägt – die Puppen in der Wohnung!
Mit der Zeit – und der Film dauert schon etwas – sucht er aber keine Wege seiner Grundsituation etwas hinzuzufügen oder sie zu intensivieren. Die Metaanklänge beispielsweise, die dadurch entstehen, dass die Seifenoper, die THE KILLING OF SISTER GEORGE ist, immer wieder durch die gutmütige Kleinstadtserie kommentiert wird, in der George Sister George spielt. Die Realitäten der beiden scheinen zu verschmelzen, was George ein ständiges, enervierendes Korrektiv eines grundgütigen Ichs vors Gesicht hält und einen beständigen Grund zum Aufbegehren gegen die Zuschreibungen. Dies wird aber nicht entwickelt. Sister George ist nett, George verbittert und garstig. Und so verweilt alles im gleichen Modus und scheinbar im Vertrauen auf den Schockgehalt einer lesbischen Beziehung zwischen einer älteren und einer jungen Dame. Aber vll. ist es die Stimmung von Überdruss, Krampf und Einkerkerung, die THE KILLING OF SISTER GEORGE ausmacht.

Sonnabend 26.10.

Stuck on You / Unzertrennlich
(Bobby & Peter Farrelly, USA 2003) [DVD, OmeU]

großartig +

Auch ein Film von sagenhaft unansehnlichen Orten. Die Küsten, die Hotels, die Studios … die perfekte Repräsentation eines kalten, leeren Universums, dass erst durch humane Perspektiven liebenswert wird … und durch Bürgerbratroutinen und Martial-Arts-Kämpfe von einem Menschen mit vier Beinen, vier Armen und zwei Köpfen. Leben als absurdes Ballett der Möglichkeit einer unwahrscheinlichen Anmut.

Freitag 25.10.

Der Fremdenführer von Lissabon
(Hans Deppe, BRD 1956) [DVD, ≠]

großartig

Solange Antonio Duarte (Vico Torriani) sich Liebe nicht mehr vorstellen kann, führt er Touristen durch verschrobene bis unansehnliche Kulissen. Sobald er verliebt ist, erblüht Lissabon vor uns. Liebe als Verschiebung der Wahrnehmung (des Fremdenführers).

Donnerstag 24.10.

Le pornographe / Der Pornograph
(Bertrand Bonello, F/CA 2001) [DVD, OmU] 2

großartig

Eine der schönsten Empfindungen, die ich gegenüber LE PORNOGRAPHE hege, ist die Dankbarkeit, dass ich nach dem Film und längerem Nachdenken nicht (genau) weiß, was der Film von mir wollte. Der alternde Pornoregisseur Jacques Laurent (Jean-Pierre Léaud), der seine Tätigkeit von Ende der 60er bis Anfang der 80er als Akt der Rebellion und des gesellschaftlichen Umbruchs verstand, versucht sich nochmal in seinem alten Metier. Der Film findet dafür wunderbar griffige Szene der Desillusion, wo seine künstlerischen Visionen vom Produzenten zunichtegemacht werden … oder einmal sogar poetische, wo ein langgehegter künstlerischer Traum – eine Großwildjagd auf eine nackte Frau – doch noch für uns sichtbar wird. (Es wird nur nicht geklärt, woher diese Bilder kommen. Sind sie Traum, gedrehtes Material…?) Laurent versöhnt sich auch mit seinem Sohn (Jérémie Renier). Dieser hatte sich von ihm lossagte, als er von dessen ehemaligen Job erfuhr, und startet gerade eine eigene Protestbewegung des Schweigens, die er für eine Frau sofort wieder verlässt. Laurent versucht zudem auf einem Grundstück noch ein Haus selbst zu bauen. Und er trennt sich von seiner Frau. Überall geht es um Idealismus und Utopien, um Niederlagen und dickköpfiges Festhalten an Hoffnungen, um Familie und Aufrichtigkeit sich selbst gegenüber. Es ist dabei aber so, dass die Pornodrehs immer weniger Zeit einnehmen und verschwinden, dass der Sohn aus dem Film unkommentiert herausmäandert, dass das Haus nur minimale Erwähnung findet. Es könnte ein Film über Verlorenheit sein, aber auch das stimmt nur bedingt. Oft sitzt Laurent herum, passiv das Geschehen hinnehmend. Er blickt versunken ins Nichts und auch die Kamera streut beliebige Impressionen von Dingen und Landschaften ein. LE PORNOPGRAPHE ist kontemplierend und lädt dazu ein. Festlegen möchte er sich und uns nicht. Er bietet Flächen, die ab und zu durch absurde und berührende Momente aufgescheucht und vitalisiert werden. Nicht mehr, nicht weniger.

The Adventures of James and David k
(Bertrand Bonello, F 1997) [DVD, OmU]

uff

Diese Mumblecore-Fingerüberung bzw. Jarmusch-Verbeugung erzählt von zwei Brüdern, die sich nicht mehr viel zu sagen haben. In einem Friseursalon sitzen sie sich gegenüber und sind sich eine Qual. Immer schon zu spüren ist, dass dies ein ironisch-trostloser Sketch mit ironisch-trostloser Pointe sein wird.

Montag 21.10.

The Report
(Scott Z. Burns, USA 2019) [stream, OmU]

gut

Ein Film, der seine Emotionalität in deren Vermeidung findet. Mehr dazu auf critic.de.

Sonntag 20.10.

Der Unschuldige
(Simon Jaquemet, CH/D 2018) [stream, OmU]

großartig

Ein Film, der vielen Kriegsschauplätze. Mehr dazu auf critic.de.

Sonnabend 19.10.

Aguirre, der Zorn Gottes
(Werner Herzog, BRD 1972) [blu-ray] 5

fantastisch

Früher habe ich ihn für den Wahn und die Megalomanie geschätzt – in den Bildern und der Geschichte. Nun gefielen mir die komödiantischen Elemente und das Provinzielle in dem Wahnsinn und der Menschenschinderei mehr. Kurz: Die Absurdität. Wenn beispielsweise das dreckige Wasser eines reißenden Stromes nur langsam scharf gestellt wird, wenn ein Indio neben einem angewiderten, von Klaus Kinski gespielten Konquistadoren fröhliche Panflötenmelodien spielt, wenn, und das war vll. das Bild des Films, ein im Dschungel zurückgelassenes Pferd mit schicken Kopfüberzug aus den allgegenwärtigen Blättern dem sich entfernenden Floß und der darauf befindlichen Kamera hinterher schaut. Es ist witzig, brutal und tieftraurig. Es bricht einem das Herz.

Freitag 18.10.

The Plumber / Wenn der Klempner kommt
(Peter Weir, AUS 1979) [blu-ray, OmU]

gut

Wie in THE CABLE GUY wird hier ein neurotischer Ottonormalbürger von einem Stalker bedrängt. Da wo der Hollywoodfilm aber das Verhältnis der beiden in einem ständigen, schmerzhaften Auf und Ab beschreibt, steht hier nur eine dumpfe Bedrängung – untermalt durch afrikanische Stammesgesänge. Das Opfer sucht keine Hilfe bei Institutionen. Das moderne Australien, das in einem Hochhauskomplex eingesperrt scheint und vage an Cronenbergs SHIVERS erinnert, ist eine verlassene Welt, wo jeder auf sich gestellt ist. THE PLUMBER ist so davon bestimmt, wie jemand versucht sich mit jemanden zu arrangieren, der das eigene Klo und den eigenen Gefühlshaushalt mit verqueren Rohren zustellt, und wie es den Bedrängten auffrisst … weil das Atavistische nicht aus ihm herausbricht.

Donnerstag 17.10.

Alien: Covenant
(Ridley Scott, USA/UK 2017) [blu-ray, OmeU]

nichtssagend

Die große Frage ist vll., warum ALIEN: CONVENANT so viel Zeit mit Menschen verbringt, wo er doch offensichtlich nur am Wagner hörenden Übermenschen interessiert ist. Wieso er also seine Zeit mit den Slasher-Elementen der Reihe verschwendet und erst in der zweiten Hälfte halbwegs zu sich findet und in einem Katastrophenfilm von Kultur und Überdruss eines megalomanen Superschurken erzählt.

Mittwoch 16.10.

Derrick (Folge 210) Die Festmenüs des Herrn Borgelt
(Alfred Weidenmann, BRD 1992) [DVD]

gut

Einen Kriminalfall gibt es eigentlich nicht. Es werden zwar Leute getötet, Leute, die eine junge Frau in den Drogentod trieben, aber es gibt keine Verdächtigen außer den Tätern. Das Spannende ist also eher, wie die Hinterbliebenen vom ursprünglichen Opfer ein Bild gänzlicher Unschuld malen, wie sie ihren Schmerz in einer selbstzerstörerischen Kultiviertheit ertränken und wie wenig Derrick unternimmt, um die designierten Mordopfer zu schützen, weshalb er trotz aller bösen Minen und Standpauken wie ein Mittäter wirkt.

Dienstag 15.10.

Prometheus / Prometheus – Dunkle Zeichen
(Ridley Scott, USA/UK 2012) [blu-ray, OmeU] 2

fantastisch

Das, was ich an diesem Film am meisten mag – diesem zwischen Kreationismus und Evolution zerrissenen Film, diesem Film, in dem das Leben eine zerstörerische Kraft für die Lebenden darstellt, diesem Film der enttäuschten Väter, die nie zufriedengestellt werden können, diesem Film, wo Anmut und Wunder feindselige Gedärme in sich tragen, wo ein verdrängter Minderwertigkeitskomplex eine fiese physische Form erhält – sind die hypermoderne Ausrüstung und das Luxusraumschiff, mit welchem die Expedition zu einem fremden Planeten unternommen wird. Das, was ich am meisten mag, ist die glänzende Sauberkeit von PROMETHEUS. Das Fehlen von Feuchte. Dass er das Gegenteil des Films des verlagerten Klassenkampfes und des alptraumhaften Sexualtriebs ist, zu dem er hinführen soll. Dass es keine Anzeichen der klammen und ausgelaugten Raumfahrt in Rostlauben gibt, die nur 28 Jahre später in ALIEN folgen soll. PROMETHEUS ist mehr daran interessiert, seine eigene Welt aufzubauen, statt das Verbinden von Punkten zu ermöglichen. Wodurch eine unausgesprochene Lücke entsteht. Eine Lücke zwischen wundervollen Entdeckungen und grauem Alltag, zwischen den neugebauten Bahnhöfen in den Hochzeiten der Zugfahrt und den kaum bemerkten Ruinen, die jetzt an den Strecken stehen, zwischen dem antiken Rom und dem Sumpfloch, dass es zu Beginn des Mittelalters geworden war. Eine Lücke, in der möglicherweise eine Katastrophe gefunden werden kann und/oder der schleichende Tod der Gewöhnung und der ausgetrampelten Pfade. Diese Lücke beruhigt mich irgendwie.

Montag 14.10.

Joker
(Todd Phillips, USA/CA 2019) [DCP, OV]

gut

Nur mal kurz, was mir nicht gefallen hat:
– Dass seine Ambivalenz nur Behauptung bleibt, denn alles ist so klar und offensichtlich angelegt, wie die eingebildete Romanze, welche in dieser Form nichts in Hinsicht auf seine gestörte Weltsicht, noch in Bezug auf seine Einsamkeit bringt und diese nur nochmal halbgar unterstreicht.
– Dass dieser ganze Batman-Origin-Mythos da nochmal mit reingearbeitet wird, weil wirklich alles abgehakt werden muss.
– Dass er sich im Finale total auf die Riots verlässt, die als Wahnvorstellung oder Realität irgendwie auch nur nochmal das sagen, was schon die ganze Zeit klar war.

Nur mal kurz, was mir gefallen hat:
– Dass Thomas Wayne gekippt wird und damit der ganze Batman-Mythos, dass die Waynes nicht nur die lieben Millionäre sind.
– Die Bilder von verkrampften Körpern und einengenden Gängen.
– Das Portrait von Isolation, Depression uswusf. und dem Schmerz, den sich die Leute beifügen.
– Dass Robert DeNiro zur Vervollständigung der TAXI DRIVER- und KING OF COMEDY-Anleihen als LateNightTalkhost gecastet wurde, dass der Schauspieler, der nur brillieren kann, wenn es um Verkrampfung geht, eine lockere Profession ausüben soll – es ist als ob Mr. Fleck in die Wahnvorstellung von Travis Bickle und vor allem Rupert Pupkin eindringt –, dass die Welt, die da gebaut wurde, völlig durch ist.

Alles in allem fand ich ihn weder schlimm, noch super. Ein guter Film, ein spannender Film, der viel zu viele seiner Potentiale liegen lässt, der sich aber auch mehr traut, als das MCU in seinen letzten beiden Phasen.

Sonntag 13.10.

Pooh’s Heffalump Movie / Heffalump – Ein neuer Freund für Winnie Puuh
(Frank Nissen, USA 2005) [DVD] 8

großartig

Eigentlich wollten Lotti Z. und ich PADDINGTON 2 schauen. Seit Januar, wo wir ihn zuletzt sahen, hat sie wohl aber eine andere Entwicklungsstufe erreicht. Als Paddington im Friseurladen und beim Fensterputzen nur Chaos anrichtete, verschwand sie hinter mir und unter Decken. Ich finde das ganz furchtbar, sagte sie und bat um einen Abbruch. Aber auch bei POOH’S HEFFALUMP MOVIE, wo sie betroffen darauf reagierte, wie Lumpi und Ruh Rabbits Garten und Poohs Haus aus Versehen verwüsten, wurde es deutlich. Fremdscham, der Horror sozialer Situationen und/oder die Angst vor Repressalien haben in ihrem emotionalen Haushalt Einzug gehalten.

Le bonheur
(Marcel L’Herbier, F 1934) [blu-ray, OmeU] 2

fantastisch

Ein Film über Selbstdarsteller, der passenderweise nicht nur einen Gerichtsfilm in sich trägt, sondern auch einen Metafilm über das Verhältnis von Realität und Kunst. Fast ist es unerträglich, wie die Figuren sich selbst nur auf ihre Wirkung hin ausleben, wie sie Entscheidungen auf ihren Anschein hin entwerfen, wie sie hochtrabend reden und handeln. Durch diese Metaarenen wird die Hölle des selbstgefälligen Bombasts aber zur durchgedrehten, wunderschönen Selbstanklage.

AVP: Alien vs. Predator / Alien vs. Predator
(Paul W.S. Anderson, USA/UK/CZ/CA/D 2004) [blu-ray, OmeU] 2

großartig

Das Sehtagebuch von 2014 sagt: Pussyface kämpft im Initiationsritus gegen riesige, laufende Penisse und muss diese restlos töten, weil sie sonst alles zerstören. Dazwischen die Menschen. Sigmund Freud würde an seiner riesigen, dicken Zigarre ziehen und mutmaßen, dass da etwas Sexuelles im Busch ist. Mit fällt gerade auch nichts Besseres ein.

Sonnabend 12.10.

Alien: Resurrection / Alien – Die Wiedergeburt
(Jean-Pierre Jeunet, USA 1997) [DVD, OmeU] 2

verstrahlt +

Ein Film wie ein ausgedehnter Tanz. We accept her! We accept her! One of us! One of us! Nicht dass es besonders um die Freakiness der Charaktere oder überhaupt um die Charaktere gehen würde. ALIEN: RESURRECTION selbst ist der Freak, der sich gerne akzeptieren würde. Atemerkennung an verschlossenen Türen. Die überspannte Coolness der Figuren. Die Thematik, dass die Hauptfiguren damit zu kämpfen haben, dass sie nicht normal sind. Die geklonte Ripley (Sigourney Weaver) bekommt nicht nur ständig zu spüren, wie sie mit ihrem ständig Feind eins geworden ist, sondern wird auch in einen Raum voller missglückter Klone geführt, wo ihr vor Augen gestellt wird, wie sie auf andere wirken muss, wie sie sich fühlt und welche Potentiale in ihr stecken. ALIEN: RESURRECTION ist ein kapriziöser Film, der die eigene Eigenwilligkeit und Unvollkommenheit in sich eingeschrieben hat. Absoluter Höhepunkt: das Mensch-Alien-Mutanten-Baby, das Dackelaugen in seinen bedrohlichen Körper gesteckt bekommen hat, das von seiner Mutter beständig enttäuscht wird, das fröhlich tötet und doch auf bizarre Weise die geschundenste Figur des gesamten Films ist. In ihm kommt alles zusammen, was ALIEN: RESURRECTION ausmacht, diese verrückte Phantasmagorie der eigenen Aussätzigkeit, dem (überspielenden) Spaß damit und dem inhärenten Schmerz des Lebens.

Freitag 11.10.

The 15:17 to Paris / 15:17 to Paris
(Clint Eastwood, USA 2018) [blu-ray, OmU]

großartig

Es fährt ein Zug nach Nirgendw… nein, ganz im Gegenteil. Der in THE 15:17 TO PARIS fahrende, fährt zu einem vorbestimmten Schicksal. Ein Terrorist steigt in einen Zug nach Paris und beginnt mit Schusswaffen sein geplantes Massaker. Es wird aber nicht von der Ausführung erzählt. Fetzen der beginnenden Tat bilden lediglich die Kapitelmarker einer anderen Geschichte. Einer Geschichte, die ein ähnliches Momentum entwickelt hat, wie ein fahrender Zug.
Kurze prägnante Momente im Leben dreier Freunde machen diese aus. Es fängt in der Schule als spaßbefreite Coming-of-Age-Komödie an, führt über die Versuche im Militär Fuß zu fassen und über eine gemeinsame Europareise zu dem Punkt, wo sie den Terroristen im Zug ausschalten. Es ist eine Geschichte von Verlierern, die keinen Ort finden, an dem sie nicht fehl am Platz wären. Die aber trotz aller Rückschläge und eigenen Inkompetenzen auch nicht die Hoffnung verlieren, doch noch an einem solchen anzugelangen.
Herrschsüchtige bzw. unmotivierte Lehrer drangsalieren sie. Ihre Körper, wie ihre Unachtsamkeit stehen ihnen im Weg. Einer bekommt seinen Traumjob nicht, weil er eine eingeschränkte Tiefenwahrnehmung hat. Ein anderer gefährdet das Leben seiner Gruppe, weil er bei einer Militäroperation in Afghanistan seinen Rucksack verliert und alle diesen suchen müssen. THE 15:17 TO PARIS ist ein Film von Entmutigungen und Peinlichkeiten. Vom Gefühl, dass das eigene Leben keinen Sinn ergibt. Dass diesem Gefühl aber auch nicht nachgegeben wird. Es handelt sich um eine aufbauende Geschichte, in der Verlierer vom Schicksal zum Heldentum gezogen werden.
Dann sind da aber auch der ausgedehnte Europatrip und die Entspannung, die mit dem Leben als Tourist einhergeht. Sie passen sich nur bedingt in das Vorherige ein. Nach Jahrzehnten des klassischen Erzählens hat Clint Eastwood hier fast schon einen Essayfilm geschaffen, dessen Teile höchstens assoziativ einen gemeinsamen Sinn ergeben. Das Vorgehen von THE 15:17 TO PARIS ist weniger, die einzelnen Situationen zu einem Ganzen zu formen. Stattdessen gibt es viele Einzelteile, die zwar jeder für sich sinnhaft sind, die zusammen aber nur eine grobe Bewegung hin zum manifest destiny darstellen. Höchstens durch das konstante Personal und die Einbindung in deren flüchtige Biographie wird alles zusammengehalten. So sind es die Zusammensetzungsmöglichkeiten dessen, was der konstante, unaufgeregte Fluss der Dinge anspült, die etwas Spannendes entstehen lassen kann und die der Geschichte Widerhaken verpasst.
Da sind beispielsweise die heuchlerischen Moralisten, die fatalen Religionsauslegungen und die Versprechen eines allgegenwärtigen, verehrten Militärs. All dies greift im Leben von zwei der drei Jungen nahtlos ineinander. Erzieher, die selbstgerecht Kinder im Namen Gottes entmutigen, und die Armee, die aus einem Niemand einen Helden zu machen scheint. Ohne es offen anzusprechen, wirken Armee und Religion doch unheimlich miteinander verquickt. Die Geschichte des amerikanischen Traums und wie zwei Institutionen sich parasitär an ihm breitgemacht haben steckt ebenso in THE 15:17 TO PARIS wie das, was er offensichtlich erzählt. Anders als bei PAIN & GAIN entsteht so aber keine bitterböse Komödie, die diejenige verlacht, die an den amerikanischen Traum glauben, sondern eine vorbeiziehende, unaufdringliche Bestandaufnahme … voller Helden und Verlierer, die oft die gleiche Person sind.

Alien3
(David Fincher, UK/USA 1992) [DVD, OmeU] 10

nichtssagend

Zuvorderst eine optische Bemerkung: Zuweilen und gerade in den Außenszenen ist ALIEN3 vom typischen Musikvideoexpressionismus der frühen 90er Jahre durchdrungen. Vll. kein Wunder, da es sich bei ihm um das Regiedebüt von jemanden handelt, der bis dahin in diesem Format tätig war. Anders als bei den Werbespotregisseuren der 70er und 80er aber, wo ich eine klare optische Vorstellung habe, was sie in das Medium Spielfilm mitbrachten, fehlt mir dies beim Einfluss der Musikvideos. (Zumindest in der Bildgestaltung. Bei der Rhythmik des Erzählens und Schneidens ist das eine andere Geschichte.) ALIEN3 ist nun einer der wenigen Filme, wo ich die Geister genau spüre, die jemand wie David Fincher rief. Denn sein Expressionismus hat für mich den etwas zurückgenommene Flair eines Eurodancevideos, weshalb ich beim Schauen seines Erstlings direkt Songs von U96, 2 Unlimited oder Jam & Spoon im Ohr habe.
Innerhalb dieser verschrobenen MTV-Welt haben sich also Straftäter auf einem ehemaligen Gefängnisplaneten in einer Erzmine zurückgezogen. Sie wollen dort Herr über ihre Hypermännlichkeit werden. Per pseudowissenschaftlichen Mythos wird ihre extreme, toxische Männlichkeit dabei untermauert. Zwei y-Chromosomen haben sie alle, weshalb sie zwangsläufig Schläger, Vergewaltiger und Irre seien. Und diese natürlichen Voraussetzungen wollen sie per religiöser Askese hinter sich lassen. ALIEN3 erzählt so die Geschichte von einer AA-Gruppe – nur handelt es sich bei ihnen um Anonyme Machos und nicht Alkoholiker –, die durch eine Frau in Versuchung geführt wird. Ihre Lust gewinnt Macht über sie, Öfen müssen angeworfen werden und laufende Penisse brechen aus und fangen an, alles um sich zu massakrieren. Männlichkeit als (Post-)Apokalypse, (Post-)Apokalypse als Männlichkeit.
Die Aliens haben dabei wieder eine Mutter, bauen sich einen Stock und entführen ihre Opfer, um sich fortzupflanzen. Des Mythos‘ aus ALIENS wird sich nicht entledigt, weshalb diese Mordmaschinen, die etwas Atavistisches haben sollen, etwas Vorrationelles – die davon erzählen sollen, wie Männer zu Monstern werden, wenn sie die ungeheuren Gefühle überkommen –, weshalb diese doch auch in einer gesellschaftlichen Struktur leben. Dass die Aliens rückhaltlose Raubtiere und Staat bildende Ameisen sein müssen, ist ein hinderlicher Widerspruch. Es könnte ein nichtiges Detail sein, aber es ist emblematisch dafür, dass ALIEN3 nicht so wirklich weiß, wo es hinmöchte. Fade schlingert es hin und her zwischen Pflichterfüllung an seinen Vorläufern und seinen eigenen Impulsen.
Einige Einzelteile sind spannend, aber sie verschwinden so schnell, wie sie kommen. Ripley (Sigourney Weaver) bekommt beispielsweise eine Liebesgeschichte mit dem Insassen/Arzt Clemens (Charles Dance). Doch dieser stirbt nach der Hälfte des Films. Dass jeder in dieser Welt sterben kann, ist die offenbare Botschaft. Aber es ist der interessanteste Aspekt des Films, der mit ihm unnötig zu Grabe getragen wird. Nämlich, wie sich die Liebe zwischen einem kultivierten, aber zur Übergriffigkeit tendierenden Mann und einer selbstbestimmten, fordernden Frau in diesem Umfeld entwickelt hätte.

Donnerstag 10.10.

Charley Varrick / Der große Coup
(Don Siegel, USA 1973) [blu-ray, OmU]

großartig

Ein sehr eigenwilliges Verhältnis zu Frauenkörpern pflegt CHARLEY VARRICK. Eröffnet wird der Film mit der Bebilderung einer Idylle. Die us-amerikanische Vorstadt wie sie von sich selber träumt. Die Geschichte und die Stimmung des Action-Thrillers wird von einem sexualisierten Bild einer Jugendlichen am Rasenmäher kickgestartet. Das Leben wird in diesen harmonischen Tod auf höchst schmierige Weise eingeführt.
Aber auch sonst sind es die nebenbei einfließenden, aber nichtsdestotrotz geifernden Bildern von Ärschen und Beinen oder die zu nehmenden Frauen, die den Männern das Benzin zu geben scheinen, um ihre herb-männlichen Dinge weiterzutreiben. Dabei werden sie aber nicht zentrale Teile der Allgemeinen Krimibetriebsamkeit, weil diese Männerphantasien sich dann vll. als zu verweichlicht anfühlen würden. Es sind aber die menschlichsten Momente in einem ansonsten surrenden Uhrwerk.

Honig im Kopf
(Til Schweiger, D 2014) [blu-ray]

nichtssagend

Eine Komödie der Farrelly-Brüder steckt irgendwo in diesem Film, der in Alzheimer vor allem das komödiantische Potential sieht. Heißt: HONIG IM KOPF ist mit deftigen Anzüglichkeiten und Pupswitzen zugestellt. (Dieter Hallervorden brilliert in diesem Metier des Films, auch wenn er sich gegen das Ausmaß wohl wehrte.) Doch fast unkenntlich wird sie in einem chauvinistischen Schmalz, wo Frauen nerven und jeder, der nicht den Spaß in dieser Krankheit erkennt, der nicht traurig-gelassen oder lächelnd mit den Schultern zuckt, ein Spießer ist. Boys sollen schließlich Boys bleiben. Familie und Verständnis für einander rettet alles, solange tradierte Rollen eingenommen werden und die Frau an den Herd zurückkehrt. Die guten Leute zwinkern sich unaufhörlich zu, um ihr gegenseitiges Erkennen und mitfühlendes Mutmachen auszudrücken. Es geht um Verständnis und Nachsicht, um Liebe, die über die Schrullen des Anderen hinwegsehen lässt, darum, sich zurückzunehmen. Das Aussitzen von Problemen wird zum Ideal erhoben.
Etwas Wahres, Gutes und Schönes soll erzählt werden. Indiepop und warme Farbfilter, die sich den Seelen der Leute angenommen haben – wenn diese nicht gerade Witzfiguren sind – bestimmen das Bild. Dass diese vereinfachte Phantasmagorie von Verständnis nur mittels reaktionärem und einem geradezu übergriffigen Kernschmelz erreichbar scheint, macht es schwer aushaltbar. In seinem Willen alles einzuebnen, kann HONIG IM KOPF wie ein Versuch wirken, einem selbst Honig in Ohr und Auge zu tröpfeln.
Angemerkt sei zudem, dass der mglweise per Zufallsgenerator erstellte Schnitt, einem Experiment gleicht, wie lange diese hibbeligen Bildfolgen anhalten müssen, bis es im Gehirn spürbare Spuren hinterlässt.

Mittwoch 09.10.

Bat sin fan dim: Yan yuk cha siu bau / The Untold Story
(Herman Yau, Danny Lee, HK 1993) [blu-ray, OmU] 2

radioaktiv +

Ein ziemlich gemeines Spiel wird hier getrieben. Bei allen Gräueln, die Wong (Anthony Wong) durchaus auch vor seiner Inhaftierung begeht, liegt das Hauptaugenmerk der Erzählung lange auf einer komplett überzeichneten inkompetenten Polizei. THE UNTOLD STORY ist dabei eine über alle Maßen alberne Darstellung von arbeitsscheuen, fast lebensunfähigen Polizisten, welche die Protagonisten einer High-School-Komödie nach gefestigten Figuren mit besten Sozialkompetenzen aussehen lassen. Dazu werden dann eben ein wenig gross-out-Momente eines Serienkillers gereicht, der seine Verbrechen mehr schlecht als recht verheimlicht. Hier eine ganz mechanische Erzählung (fast sieht es wie eine Sitcom aus), dort poetisches Schweifen, Auslassungen und sinnliche Bebilderung, die einem all das, was nicht ganz ansehnlich ist, fast schon riechen lässt.
Nachdem Wong aber geschnappt wurde, bricht die Komödie fast vollends weg. Zum makabren, körperlich mitnehmenden Torture-Porn mutiert die Suche nach Gerechtigkeit, der einem keine Inseln des Verschnaufens mehr gibt. Und THE UNTOLD STORY bestand vorher nur solchen. Wong, ein skrupelloser, unmenschlicher Mörder, wird nun für eine schwer aushaltbare Zeit das Opfer von zynischem Polizeisadismus. Seine Taten geraten darunter fast vollständig aus dem Blick. Doch bevor dies gänzlich geschieht, darf er wieder und noch mehr als vorher Täter sein und der intensiven Unmenschlichkeit dieses Films die Krone aufsetzen. Völlig unangebracht und verkommen wird so von Moral erzählt, was aus THE UNTOLD STORY einen heftigen Film macht. Weil das in ihm steckende moralische Essay durchaus noch unangenehmer ist, als die porträtierte Gewalt.

Dienstag 08.10.

Aliens / Aliens – Die Rückkehr
(James Cameron, USA/UK 1986) [DVD, OmeU] 8

großartig

Wenn ALIENS auf der Zielgeraden zur Soup-Opera über Mutterschaft wird – hier die Legebatterie der Monster, dort die fürsorgliche Mutter, die für Kind (und Mann*) über sich hinauswächst –, dann erwächst eine leidenschaftliche Utopie aus der umgedeuteten, aber ähnlich reichhaltigen Alptraumlogik um laufende, instinktiv tötende Penisse. Wenn es davor um (von Männern und Frauen gespielte) Machos in Form einer Militäreinheit geht, die sich für übermächtig hält und – wir wissen es – nicht begreifen, wie machtlos sie sind, dann genießt der Film zu lange, wie diese Machos dem zum Scheitern verurteilten Einsatz entgegenfiebern bzw. wie sie ab dem ersten Kontakt hysterisch werden. Oder anders: Da, wo ALIEN ziemlich tight ist, da franst ALIENS mit seiner Erzählung um Militär und Männlichkeit, um Kapitalismusvertreter (Paul Reiser), die ganz im System und ihrer Rolle darin aufgehen, über gescheiterte und wieder gut machen wollende Mütter aus und stemmt sich mit einer enervierenden Auserzählung aller Konflikte dagegen. Aber vll. sollte ich das nächste Mal einfach wieder die Kinofassung schauen.
*****
* Wäre Michael Biehns Karriere anders verlaufen, wenn seine Figur heroisch gestorben wäre und sich nicht hätte von einer Frau retten lassen (müssen)?

Montag 07.10.

Alien / Alien – Das unheimliche Wesen aus einer fremden Welt
(Ridley Scott, UK/USA 1979) [DVD, OmeU] 6

fantastisch

Ein Raumschiff das Erze transportiert, die Nostromo. Die Besatzung desselben besteht aus fünf Leitenden – aus dem Kapitän, dessen Stellvertretern, dem Navigator und dem Wissenschaftsoffizier – und zwei Arbeitern. Es gab schon, sagen wir, prekärere Gesellschaftszusammen-stellungen als diese. ALIEN deutet zaghaft eine kleine Utopie irgendwo kurz vor der Überwindung gesellschaftlicher Probleme wie in STAR TREK an, wo das Feilschen um gleiche Bezahlung ein harmloser Running Gag aus alten Zeiten ist. Doch so sehr den Forderungen beständig über dem Mund gefahren wird, so wird sich auch der Unterschied zwischen den hellen, sauberen Lebensräumen und dem nassen Gedärm des Schiffes nivellieren. Noch die luxuriösesten Orte der Nostromo genannten Rostlaube werden sich den Arbeitsplätzen der Mechaniker angleichen, die vor allem aus Rohren und dem unwirtlich daraus dringenden Dampf bestehen. Nicht nur weil ein penisköpfiges Monster, dessen zweiter im Mund lauernder Kopf darauf aus ist, unsere Gesichter zu penetrieren, mit seinem Horrorsexdrive die Lebenswelt der Besatzung zum lebensfeindlichen Maschinensumpf macht, sondern auch weil sich herausstellt, wie sehr die vorgefundene gesellschaftliche Hierarchie nur eine Illusion war. Am Ende sind alle nur das Nutztier, von dem die kapitalistische Ausbeutung lebt. Und ALIEN erzählt in seinem kleinen, heruntergekommenen Raumschiff auf kleinsten Raum, mit kleinsten Mitteln von Maskulinität, von Teilhabe an Machtstrukturen und –ideologien, um die eigene Entmachtung zu überspielen, von sexuellem Innuendo und existentieller Angst in Form eines Alptraums, wo die Monster in den Schatten als auch im hellsten Raum lauern.

Sonntag 06.10.

The Many Adventures of Winnie the Pooh / Die vielen Abenteuer von Winnie Puuh
(John Lounsbery, Wolfgang Reitherman, USA 1977) [DVD] 5

gut

Ich habe jetzt erst bemerkt, dass dies ein Omnibusfilm aus drei Winnie Puuh-Kurzfilmen ist. Das dies der einzige der Disney-Puuh-Filme ist, der keine große Geschichte über seine Laufzeit spannt, der also eher seinen kindlichen Charakteren entspricht und der neugierigen, sich umwendenden Welterfahrung, ist also kein Plan gewesen, sondern hat sich so ergeben.

The Cars That Ate Paris / Die Killer-Autos von Paris
(Peter Weir, AUS 1974) [blu-ray, OmU]

gut

CRASH ohne Sex. Ein Dorf verursacht Autounfälle bei Auswärtigen. Die Überlebenden werden in eine Anstalt weggesperrt, die Autos und Autoteile werden im Dorf verteilt. Die Dorfbewohner machen es sich in einem psychotischen bürgerlichen Egoismus bequem, während die Jugend in Patchworkkampfwagen als Punkvorläufer marodierend durch die Straßen ziehen. Hinter milchigem Glas weggesperrte Irre, der Generationenkonflikt als sich anbahnender Gladiatorenkampf mit Autos voller riesiger Stacheln, das heimische Idyll als notdürftige Oberfläche, unter der Normalisierungsdruck als psychopathische Bedrohlichkeit lauert: Die Postapokalypse als verzerrte Vision einer sich verloren habenden Gegenwart im Konsumkapitalismus. Ein zahmer John Waters trifft auf MAD MAX … und bei allem Schönen, Obskuren und Seltsamen des Films scheint THE CARS THAT ATE PARIS nicht so wirklich zu wissen, was es mit sich anfangen soll.

Piglet’s Big Movie / Ferkels großes Abenteuer
(Francis Glebas, USA 2003) [DVD] 2

nichtssagend

Ferkel ist verschwunden und seine Freunde folgen einem von ihm gezeichneten Tage- bzw. Erinnerungsbuch, um ihn wiederzufinden, wobei sie sich an vergangene Episoden erinnern, in denen Ferkel der Held ist. Als dieses Buch durch einen Streit zerstört wird, machen sich die Bewohner des Hundert-Morgen-Walds daran, einen Ersatz zu basteln. Eine kurze Montage verbindet darauf die gezeichneten Bilder, wodurch die Wahrheiten und die Phantasie der Beteiligten zu einer bunten, tanzenden Animation werden. Die Utopie von Gemeinschaft ist so in PIGLET’S BIG MOVIE enthalten. Dieser versteift sich davor wie danach aber auf die trockene, einseitige Wahrnehmung eines Verängstigten, der sich zum Helden in allen Geschichten macht und seinen eigenen Wert nur erkennt, wenn diese Wertigkeit allen anderen entzogen wird. Vll. steht PIGLET’S BIG MOVIE ja kurz davor eine Entsprechung von JOKER zu sein … oder es handelt sich eben um einen der eher phantasielosen Winnie-Puuh-Filme von Disney.

Nevrland
(Gregor Schmidinger, A 2019) [stream]

gut +

Für critic.de geschaut und für critic.de geschrieben. Das Ergebnis findet sich hier.

Sonnabend 05.10.

Ruggles of Red Gap / Ein Butler in Amerika
(Leo McCarey, USA 1935) [blu-ray, OmeU]

fantastisch

An Filme wie RUGGLES OF RED GAP muss ich mich meist erst akklimatisieren. Dabei sind sie befreiend. RUGGLES glaubt an etwas, ist beschwingt und hoffnungsvoll, hat keine Vorbehalte albern und pathetisch zu sein. Seine Pointen schreien nicht nach Aufmerksamkeit und sie wirken nicht wie große, durchdachte Meisterwerke. Vom Charme des Unbedarften leben sie. Und doch wird mit ihnen etwas bezweckt, nämlich den Glauben an die USA und die Leute zu befeuern. Kurz: RUGGLES OF RED GAP wirkt auf mich im ersten Moment grenzenlos naiv. Ein solcher Film hätte es heute nicht nur unglaublich schwer, ein Publikum zu finden. Er wäre wahrscheinlich kaum zu verwirklichen. Alle Beteiligten müssten sich erst Schicht um Schicht von Zynismus, Resignation und Ähnlichem abschaben. Und bei aller Arglosigkeit bedürfte es noch genug Können, damit sich die gefühligen Stellen nicht wie Manipulation anfühlen, nicht wie gewollt große Momente, sondern eben wie Glauben. Die heutige Welt bedürfte vll. eines solchen Films, aber wer würde ihn annehmen, wer wäre in der Lage ihn zu machen?
Am Anfang sehen wir hochnotpeinliche Yankees, die sich in Paris wie die Axt im Walde benehmen. Am Ende sind sie, ohne sich verändert zu haben, zu den Besten sich vorstellbaren Leuten geworden. Dazwischen liegt ein Butler (Charles Laughton als Ruggles), der von seinem Lord an neureiche US-Amerikaner verspielt wird, der die Gettysburg Address liest und daraufhin nicht nur erkennt, dass er eine (gleich-)wertige Person ist, sondern auch einen ganzen Saloon, eine ganze Stadt daran glauben lässt, dass alle Menschen gleichwertig sind und das danach zu leben ist. Am Anfang sehen wir Leute ohne Sitten, die beäugt werden, auch von uns. Am Ende sehen wir sittsame Leute, die sich schon lange als Heuchler, fast möchte ich sagen, als Geißel der Menschheit offenbart haben. Links im Zeitstrahl vor der Rezitation der Rede Lincolns findet sich vor allem Slapstick, rechts die Freude das Bewertende bzw. das Abwertende (zumindest im Kleinen) überwinden zu können. Alle Menschen werden Brüder – zumindest in diesem amerikanischen Traum, der für alle einen Platz hat, die einen Platz darin wünschen.
Getragen wird dies alles von Charles Laughtons Mimik und Körpersprache. Das Lächeln immer mehr wie eine Maske oder eine durch einen Krampf hindurchdringende Emotion. Sein Körper unbeholfen wie eine Puppe, die lernen muss, ohne die führenden Fäden klar zu kommen. Seine Wirkung ist zugleich drollig wie traurig, herzerwärmend wie unangenehm. Ein über Generationen gezüchtete Maschine muss erkennen, dass sie nur ein Welpe ist. Wer diesem Ruggles nicht alles Gute in der Welt wünscht und gerne mit ihm daran glaubt, was Lincoln sagte, hat kein Herz in der Brust … oder vll. gute, herbe Gründe diese Naivität nicht an sich heranzulassen.

Gerald’s Game / Das Spiel
(Mike Flanagan, USA 2017) [stream, OmeU]

gut

Eine Frau (Carla Gugino) ist im ehelichen Ferienhaus mitten im Nirgendwo halbnackt an ein Bett gefesselt, während ihr Mann (Bruce Greenwood) mit Herzschlag tot am Boden liegt. Nur ein streunender Hund und mehr oder weniger imaginäre Geister sind in der Nähe. Und GERALD’S GAME schafft es trotz des schwer begrenzten Raums und Figurenfeldes fluide und intensiv zu sein … vor allem, weil der existentielle, zuweilen gorige Kampf mit der eigenen Fesselung/dem eigenen Ausgeliefertsein die Grundlage eines eigenwilligen Gerichtsverfahrens ist. Die Alter-Egos der Frau in Form einer Variation ihres Selbst und ihres Mannes reden auf die Gefesselte ein und machen aus ihrer Situation das Sinnbild eines Ringens mit einem von Männern dominierten Leben. Die gruseligen Monster in den Schatten der Nacht offenbaren sich als reale Männer, als missbrauchende Väter, vernachlässigende Ehemänner, als ehelicher Bund, bei dem die Frau sexuelle wie seelische Gewalt in Kauf nimmt, nur um etwas Geborgenheit zu bekommen, um eben nicht alleine zu sein. Es ist dabei erstaunlich, wie es GERALD’S GAME über weite Strecken schafft, dringliche Bilder zu finden, aus der die Agenda natürlich wächst. Nur gegen Ende scheint er es völlig aufzugeben, wenn er zum überhasteten Protokoll einer seelischen Erweckung nach der körperlichen Rettung wird.

Freitag 04.10.

Mandy
(Panos Cosmatos, UK/B/USA 2018) [blu-ray, OmeU]

großartig

Die erste Stunde ist die lynchesk entspannte Version von Aldous Huxleys THE DOORS OF PERCEPTION, nur ohne dessen philosophisch-sakralen Pragmatismus, ohne dessen Muffigkeit. Lange Einstellungen, die in wilde Farben getaucht sind. Magere Zusammenhänge, nur der Moment. In der zweiten Stunde folgt dann Nicolas Cages und MANDYS Amoklauf, dessen fröhlich drastisches Kaspertheater ohne die Schönheit des vorangegangenen Abschnitts auskommt bzw. auskommen muss.

Donnerstag 03.10.

Good Time
(Benny & Josh Safdie, USA 2017) [blu-ray, OmU]

großartig

Statt Dinge richtig anzugehen, versucht sich Connie Nikas (Robert Pattinson) durchzumogeln und zerstört diverse Existenzen – höchstens mit sich Mitleid habend. In grellem Neon improvisiert er sich nach einem Banküberfall durch eine Nacht, in der er sich mit jedem neuen halbseidenen Versuch, alles zu richten, nur noch weiter verrennt. An den Rändern seiner Versuche durch seine silberne Zunge die Welt dazu zu bringen, an ihn zu glauben, sammeln sich verlorene Existenzen einer runtergewirtschafteten Gesellschaft. Töchter, die eine heuchlerische Welt arglos an sich heranlassen. Gangster, die ihr Leben als Film erleben. Sie sind sowohl die Menschlichkeit als auch das Faszinosum eines atemlosen Films, der sie nur kurz in den Fokus bekommt und dann für sich belässt.

Nosferatu: Phantom der Nacht
(Werner Herzog, BRD/F 1978) [blu-ray]

ok

Wenn Herzogs NOSFERATU tatsächlich versucht ein Remake von der unter Murnaus Regie entstandenen Version von Bram Stokers DRACULA zu sein, dann fühlt er sich wie eine Nachstellung und ein Auftrag an. Blutleer und ausgesaugt durch die vampirische Verehrung eines Idols, quasi. Dass zwischendrin diese ganz eigenen Entwürfe stecken, wenn beispielsweise zu Beginn ein todesbesessener Heimatfilm von Kälte und Fremde erzählt wird oder Ratten durch ein apokalyptisches, clownesk surreales Wismar laufen, dass also ein anderer, lebendiger Film spürbar ist, macht es enervierend immer wieder zu diesem leblosen Imitat (eines eh schon nicht besonders lebendigen Films) zurückkehren zu müssen. Aber vll. ist das ja auch der Twist des Films, der selbst ein Phantom des Todes sein soll.

Gemini Man
(Lee Ang, USA/CHN 2019) [3D DCP, OF]

gut

Perfection through imperfection. So könnte der Leitsatz dieses self awareness-Seminars sein – und dies ist mit allem Respekt gemeint. Klone, zweite Chancen, Frieden mit der inneren Leere, die Geisel der Selbstdisziplinierung: das wird von GEMINI MAN verhandelt, während dem Regisseur wichtig ist, Bilder lebensechter zu machen. Eine hohe Bildfrequenz für eine genauere Wiedergabe der Realität, eine zurückgenommene, elegante Regie in einem Actionfilm, der nach Stilisierung und Aufplustern schreit. Das Wabi-Sabi des Actionfilms in Vollendung?

Mittwoch 02.10.

Kokowääh
(Til Schweiger, D 2011) [DVD]

uff

Ein paar Anmerkungen zu meiner Bewertungsskala und die Nichtverwendung von Nummern:
Vor ein paar Tagen habe ich THE AFTERMATH gesehen und meine Einschätzung schwankt nach der hier angewendeten Skala zwischen nichtssagend und ok. Ersteres weist ausdrücklich darauf hin, dass es eben nicht ganz ok war diesen Film zu schauen. Er nervte mich, wie das getragene Qualitätskino mit dahin plänkelnder Musik und Herbstfiltern leicht Verständliches transportierte und wie wenig sich angestrengt wurde, irgendwas aus den herumliegenden Dramen zu formen. Ich fand ihn aber auch etwas ok, weil trotz der völlig symmetrischen Figurenkonstellation sich die Auflösung nicht daraus entwickelt (wie auch nicht aus Schicksalsschlägen), sondern einfach nur aus zurückhaltenden Leuten, die sich entscheiden müssen, die dabei ihre Emotionen im Zweifelsfall eher verstecken, als sie auszuleben. Aber auch kleine Details, wie die Blutsprenkler auf Keira Knightleys Abendkleid.
Gleichzeitig hat nichtssagend für mich aber auch den hoffnungsvollen Unterton, dass da etwas Spannendes drinstecken könnte, was an dem Tag nicht zu mir reden wollte, während ok einen negativen Beigeschmack hat. War eben halt nett und auch schnell wieder vergessen. Jede dieser Ausdrücke hat ein für und wieder. Und ich mag, dass die Worte eben auf diese Weise mehr Ambivalenz haben als Zahlen und Sterne. Gerade, weil ein Film zu reich und vieldimensional ist, als ihn so eindimensional wie mit einem zweidimensionalen Strahl bewerten zu können. Und weil ich ja auch keine Ahnung habe, was ich beim Bewerten tue (worauf ich aber auch nicht verzichten möchte, weil ich so gerne bei anderen lunze, was sie einen Film in ein schnell verständliches System hineinzwängten).
Was uns zu uff bringt. ANGEL HAS FALLEN wie KOKOWÄÄH, die beide zuletzt dieses Qualitätssiegel erhielten, haben wirklich wehgetan. Da empfand ich jede Minute als schwer erarbeitet. Während das Mike Banning-Vehikel aber vor allem fürchterlich aussah und ein sinnliches wie intellektuelles Jammertal darstellte, war KOKOWÄÄH in jeder Hinsicht zu viel. Während ANGEL HAS FALLEN relativ schnell aus meinem System raus war, hallt Til Schweigers Folterkammer nach. Vll. war ANGEL HAS FALLEN dann doch eher das korrodierende ätzend, während im uff eben eine gewisse Masse steckt, die einen niederdrückt.
KOKOWÄÄH also. Es ist ein Film einer totalen Profilneurose. Alles dreht sich um Til Schweiger(s Figur). Alle sind sie in ihn verliebt oder er darf ihre kleinliche Empörung bzgl. seines Verhaltens aushalten. Er wird angehimmelt und angegangen. Aber im Mittelpunkt steht immer er. Selbst wenn ein Regisseur in dem Film auftaucht, der eine Witzfigur der u.a. eigenen Selbstverliebtheit ist (ein verstecktes, vom Regisseur Til Schweiger wohl nicht wahrgenommenes Selbstportrait). Denn so sehr diese Figur nur um sich kreist, besteht seine Funktion darin, Tils Abneigung gegen ihn ins Licht zu rücken. Keine Aktion des einen, ohne Schnitt auf die verdrehten Augen des anderen. Und der teilweise völlig übersteuerte Schnitt macht aus der Schuss-Gegenschuss-Erzählung dabei vor allem ein Stroboskop aus Konfrontationen. Auf der einen Seite Til, auf der anderen wer nun auch immer gerade auf ihn einwirkt … oder eben auf den er wirkt. (Wobei ein Ungleichgewicht zwischen den beiden Polen durchaus spürbar ist.)
Das Rückgrat bildet dabei eine Geschichte, die von einem nichts ahnenden Vater erzählt, der nach 8 Jahren von der Existenz (s)einer Tochter erfährt und der sich gleich vollständig um sie kümmern muss. Es ist der Katalysator für diesen von Til Schweiger gespielten Mann sein Leben in den Griff zu bekommen. Ein Drehbuch muss er schreiben, die Liebe seines Lebens gewinnen und mit den bedeutungslosen One-Night-Stands abschließen. Aber bloß nicht zu viel ändern, denn zum anhimmeln gemacht scheint er. Nur hier und da die Ecken abschleifen.
Eine klassische Hollywoodbeziehungskomödie schweben Drehbuchautor und Regisseur Schweiger wohl vor. Die Triggerpunkte sind leicht zu erkennen. Wenn er die Tochter für sich gewinnt und sie ihn für sich. Wenn die Liebesgeschichte in stürmische und idyllische Häfen steuert. Es ist erkenntlich, worauf die einzelnen Szenen jeweils hinauswollen, nur funktioniert nichts davon. Da ist der Name des Films: KOKOWÄÄH. Es ist wahrscheinlich ein Witz aus dem Hause Schweiger, den er recycelt. Er kocht für seine Tochter Coq au Vin und sie versteht nur Kokowääh. Es ist eine kleine nichtssagende Szene, die weder für Vater noch Tochter etwas macht. Später verarbeitet er dies in einem Drehbuch, dass er KOKOWÄÄH nennt. Doch warum nur? Darüber hinaus, dass es süß ist, wenn Kinder Dinge noch nicht ganz aussprechen können, bleibt es ein Rätsel, das den Film nicht interessiert. Kokowääh ist bedeutend, weil es jemand entschieden hat … und Schluss.
Einschränkend sei gesagt, dass der Film in seinen Konfrontationen halbwegs funktioniert. Die Leute in diesem Film sind nun mal eben auch alle ziemlich fürchterlich. Jeder spiegelt dabei eine von den Eigenschaften Schweigers Figur: der Steifvater der Tochter ist egoman und pompös, die Mutter schließt sich in nicht näher geklärte Dramen weg, der Love Interest flieht bei kleinstem Gegenwind aus jeder Diskussion … und Schweigers Figur muss dann eben ausbaden, was andere machen, die sich wie er verhalten … Dieses Spiegelkabinett ist durchaus faszinierend. Nur die Aussöhnungen, die Witze, die Versuche Positives in dieses Schwarze Loch totaler Egomanie einfließen zu lassen, wirken wie Puppenspiele von Außerirdischen, die zwar die Hollywoodvorbilder gesehen haben, die aber alles verzerrt wiedergeben. Denn hier wird sich nicht zusammengerauft oder gelacht, weil etwas passiert, was dies auslöst, sondern weil es eben so sein muss. Damit diese hässliche Umarbeitung eines Mario Barth Bühnenprogramms seine Welt so erhält, wie es sie gerne hätte.

Dienstag 01.10.

Tarzan’s Three Challenges / Tarzans Todesduell
(Robert Day, UK/USA 1963) [DVD]

nichtssagend

Da nach ein paar Tagen nicht mehr so viel von TARZAN’S THREE CHALLENGES in meinem Kopf übriggeblieben ist, nur ein Aspekt des Films: Die Handlung vollzieht sich ohne genaue Verortung irgendwo in Südostasien und Woody Strode spielt einen asiatischen Fürsten (oder so). Das Einzige, was unternommen wurde, ihm ein yellowface zu geben, ist der Umstand, dass sein Schnurrbart minimal über die Mundwinkel hängt. Dieses Vorgehen gleicht einer angenommenen Filmstudioführungskraft, die ständig in den Film ruft: Indians, Asians, Ni***s, Asians, same thing. Aber das ist nicht der Endpunkt. Widerholt darf dieser afroamerikanische Asiate zu Tarzan, also zu jemanden, der hier von einem French-Irish-American (Jock Mahoney) gespielt wird, African sagen. Einerseits ist es ein grenzenloser Hohn. Andererseits schwingt da aber auch die Utopie mit, dass flache ethnische Identitäten in einer globalisierten Welt keine Rolle mehr spielen müssen. Ach, es war eben nicht so viel los in den unterschiedlichen Ausprägungen von drei Herausforderungen.

September
Montag 30.09.

Tarzan Goes to India / Tarzan erobert Indien
(John Guillermin, UK/CH/USA 1962) [DVD]

ok

Irgendwann habe ich akzeptieren müssen, dass ich wohl nie aus den Handlungsmotivationen der Figuren schlau werde. Kurz nach dieser Einsicht lösten sich dann auch die letzten Anker im Realitätenbau auf. Landschaften folgten keinen Regeln mehr: Flüsse, karge Dschungellandschaften und karge Berge wurden durch Schnitte zu einer offensichtlichen Patchworkwirklichkeit zusammengeschustert. Langsam und entspannt zieht TARZAN GOES TO INDIA dabei dahin und erzählt eine Geschichte von den Nachteilen der Zivilisation. Zuweilen ist er eine Abhandlung über toxische und souveräne Männlichkeit. Vor allem ist er aber so greifbar wie eine Wolke.

Sonntag 29.09.

Der Fluch
(Ralf Huettner, A/BRD 1988) [DVD]

großartig

Gerade aktuell bietet sich eine ökologische Lesart von DER FLUCH an. Der Raubbau an der Natur rächt sich in diesem allegorisch und bedroht eine Gemeinde mit Vernichtung. Es ist aber auch eine Geschichte von Leuten, die mit der Verantwortung der Fortpflanzung nicht ganz klarkommen und die sich von ihren Kindern bedroht fühlen. Andersherum ist es aber auch ein Film von Vernachlässigung und davon, wie egomane Eltern an ihren Kindern vorbeileben. Selbst AIDS und fehlende Vergangenheitsbewältigung lässt sich in diesen Horrorfilm erkennen, der zwar recht klar ist, aber doch seine Heimatfilmmotive so anrichtet, dass Vergangenheit und Boden einem heterogenen Schlangennest gleichen. Erbschuld und von Orten ausgehender Wahn geben der Geschichte von DER FLUCH ihre lovecraftsche Kontur.
Eine Familie macht einen Familienausflug in die Berge. Dorthin, wo sich die Eltern das erste Mal küssten. Die Tochter, die wohl bei diesem Akt gezeugt wurde, scheint die Gegend aber besser als ihre Eltern zu kennen. Sie verdreht Richtungsweiser, versteckt die Karte und manipuliert den Ausflug dermaßen, dass es immer weiter Richtung Gletscher geht, der sie zu rufen scheint. Seit über einem Jahrhundert vermisste Kinder ziehen nachts singend durch die Berge, Leichen tauchen auf und die Figuren zeigen sich zunehmend von Ahnungen besessen. Der Berg möchte den Preis für den Reichtum einstreichen, den er per Silber einer Gemeinde schenkte. Heimat ist keine Idylle (mehr), sondern ein Rächer, etwas das einem unbewusst durch die Adern fließt und einen zersetzt.
DER FLUCH ist ein Film voller Verirrungen – und fühlt sich auch so an. Weder ist er geradlinig, noch sehr aufgeräumt. Und vor allem kümmert er sich nicht darum, anders sein zu wollen. Manchmal fühlt er sich dabei etwas peinlich an, wenn beispielsweise eine Romafamilie böse Vorahnungen darstellen darf, oft liegt in dieser Art aber seine größte Kraft. Gerade wenn er das Unaussprechliche macht, wie Bergwächter einer Mutter ins Gesicht sagen lassen, dass er ihre verschwundene Tochter höchstens suchen würde, wenn sie etwas älter wäre. *zwinkerzwinker* Es ist ein Film voller Nebel, Geister und Paranoia, der lieber die Hysterie seiner Geschichte annimmt, als auf Distanz zu ihr zu gehen.

La maison sous les arbres / Das Haus unter den Bäumen
(René Clément, F/I 1971) [DVD, OF]

gut

Das Ende legt das optische Prinzip von LA MAISON SOUS LES ARBRES auf simple Weise offen. Eine Kinderzeichnung von einem Haus ohne Tür ist zu sehen. Umgeben ist es von Bäumen ohne Laub. Eine verlorene Familie steht davor. Irgendwo zwischen Robert Altmans IMAGES und John Cassevetes A WOMAN UNDER INFLUENCE vollzieht sich das Ehedrama einer Frau (Faye Dunaway), die den Kontakt zur Realität zu verlieren scheint und die die Nähe zu ihrem Ehemann (Frank Langella) schon lange verloren hat. Und erzählt wird dies über Bilder von Verwitterung und kahler, bedrohlicher Verästelung. Der Putz scheint fast überall von den Wänden abzubröckeln. Spiegel verzerren Gesichter ins Schmerzhafte oder scheinen die Wahrnehmung zu beschmutzen. Wasseroberflächen reflektieren nur noch wabernde Formen. Und die Einstellungen sind mit massenhaft kleinteiligen Dingen überladen. LA MAISON SOUS LES ARBRES ist ein Film von Verfall.
Wenn er in seiner mäandernden Art aber auch ein Paranoia- beziehungsweise Spionagethriller wird, in dem die Kinder des Ehepaars entführt werden, wenn er ein klarer Krimi wird, dann wird auch mittels weiter Hochhausschluchten erzählt, durch die der Wind pfeift. Der Verfall, der vorher an der Psyche seiner Protagonisten zehrte, läuft dann ins Leere. Oder anders: Die Geschichte der labilen Frau ist voller Kraft, während die Geschichte des Mannes, der von seiner Familie weg und in die (kriminelle) Professionalität getrieben wird, eher kraftlos. LA MAISON SOUS LES ARBRES ist ein wunderschön anzusehender Film, der sich und seine Emotionalität leider verhaspelt.

The Aftermath / Niemandsland – The Aftermath
(James Kent, UK/D/USA 2019) [blu-ray, OmeU]

nichtssagend

Das Grundgerüst dieses Liebes- und Verlustbewältigungsdrama besticht durch einen zutiefst mathematischen Aufbau. Kurz nach Ende des Zweiten Weltkriegs zieht ein englisches Ehepaar nach Hamburg. Der Mann ist als Offizier der britischen Armee in die Verwaltung des britischen Sektors eingespannt. Beide leiden am Verlust ihres 10-jährigen Sohnes. Vor Ort leben sie in einem annektierten Haus mit einem deutschen Architekten und seiner Tochter. Diese beiden leiden am Verlust ihrer Mutter. Sohn wie Mutter sind durch die Bombenangriffe im Krieg gestorben. Die Männer retten sich beide in Pragmatismus, während die Frauen ihren Schmerz als Hass auf den (ehemaligen) Feind im eigenen Haus richten. Während sich Rachael Morgan (Keira Knightley) von ihrem Ehemann entfernt, erhält sie Liebe und Zuneigung vom Deutschen. Und durch die Musik – die englische Mutter findet in der deutschen (Stief-)Tochter einen Ersatz für das gemeinsame Klavierspiel mit dem Sohn, welche wiederrum das spiegelverkehrte in der potentiellen (Stief-)Mutter findet – bildet sich bald eine neue Familie. Zudem gibt es Werwölfe, also Kämpfer für einen verspäteten Sieg der Nazis, auf der deutschen Seite und faschistoide Offiziere auf der britischen. Alles ist genau abgewogen, klar – und fern aller Hysterie. Die Ströme der Gefühle verbergen sich hinter melancholischen Gesichtern und herbstlichen Bildern. Und Ausbrüche werden durch die ausgleichenden und Schlimmeres verhindernden Kräfte der Geschichte abgewandt. THE AFTERMATH, ein Film wie der Fünf-Uhr-Tee geschundener Seelen. Ein Film für Verletzte, von denen Drama abgewendet werden muss.

Sonnabend 28.09.

Buffalo Boys
(Mike Wiluan, IDN/SG 2018) [blu-ray, OmU]

ok

Wieso eine Frau als beispiellose Kämpferin einführen, die büffelreitend Pfeile punktgenau schießt und die mit ihrem Können den Männern den Mund offenstehen lässt, nur um sie nach einem genderidentitären Wortgefecht, wo der Mann darauf verweist, dass es Männer auch nicht leicht haben, womit männliches Leiden schal reinstalliert wird, nur um sie danach eben durchgängig zur hilflos verfolgten Unschuld zu machen?

Freitag 27.09.

Espion, lève-toi / Der Maulwurf
(Yves Boisset, F/CH 1982) [DVD]

großartig

Ein seit mehreren Jahren nicht mehr genutzter Spion (Lino Ventura) wird reaktiviert, als ein Kollege von ihm in Bern stirbt. Oder wird von anderer Seite nur ein Spielchen mit ihm getrieben? Ein hochgestellter Schweizer Offizieller (Michel Piccoli) gibt sich kurz nacheinander als jemand zu erkennen, der ihn enttarnt hat und bedroht, und als sein neuer Vorgesetzter, der ihn testen wollte. Die alten Kontakte des Schläfers helfen nicht viel weiter, sein Misstrauen zu zerstreuen. Denn entweder wissen sie auch nicht mehr, sterben allzu bald oder erscheinen ebenso wenig vertrauenswürdig, wie der omnipräsente Piccoli, der überall auftaucht und über alles Bescheid zu wissen scheint. Der Modus Operandi von DER MAULWURF ist dabei der Ton beiläufiger Begegnungen. Es ist ein Film knapper Aufeinandertreffen in Büros und Cafés, an öffentlichen Orten und beim schnellen Plauschen zu Hause. Flapsig wird einiges angedeutet (die Frau Venturas scheint RAF-nahe Kontakte, wenn nicht gar Aktivitäten zu pflegen), aber niemand spricht etwas aus. Niemand will sich Blöße geben. Es ist ein Film der stillen Kämpfe, die erst am Ende, wenn sich das Geschehen zuspitzt, offen ausgetragen werden. Die Spannung des Films ist die der Spionage: nichts geschieht vor unseren Augen … außer dem Kampf eines Mannes, der nichts mehr versteht.

Donnerstag 26.09.

Midsommar
(Ari Aster, USA/S/H 2019) [DCP, OF]

ok

MIDSOMMAR ist zwanghaft und neurotisch. Jede einzelne Einstellung ist zuvorderst von der Kontrolle gekennzeichnet, mit der sie entstand. Und jede Kamerabewegung, jede Verschiebung des Fokus, jede (oft ans tableauxhafte grenzende) Mise en Scène scheint darauf entworfen, etwas sehr Präzises in der Dysfunktionalität einer Beziehung und den psychischen Gegebenheiten der Figuren zu kommunizieren. Die Entwicklung der Geschichte – eine traumatisierte Frau reist mit ihrem Freund und dessen Freunden zu einem archaischen Sommerfest im schwedischen Hinterland, das bald vom hippiesken ins Archaische, Beklemmende und Brutale verfällt – ist dabei eben keine solche, sondern eine Vertiefung da hinein, was schon von Beginn an in den Figuren steckt. MIDSOMMAR erzählt nicht von einem Weg zwischen Beginn und Ziel, sondern ist immer schon angekommen. Er präzisiert lediglich immer weiter … zunehmend surreale Mittel verwendend. Da aber schon von Beginn alles fest steht, ist im Grunde auch alles schon angekündigt. Nicht das MIDSOMMAR im Detail arg vorhersehbar und farblos wäre, aber … das Treten auf der Stelle erhöht nicht die Intensität, sondern verändert nur das Aussehen. Wodurch sich der Film nie öffnet, sich nicht anfühlt als sei er von Form und Inhalt her entworfen, sondern mit dem Blick des Zuschauers im Kopf. Sprich: MIDSOMMAR fühlt sich ein bisschen wie ein Sexpartner an, der sich zwar an einem abarbeitet, aber der die ganze Zeit im Spiegel nur sich begutachtet.

Mittwoch 25.09.

Land des Schweigens und der Dunkelheit
(Werner Herzog, BRD 1971) [blu-ray] 2

großartig

Der Film macht vor allem das, was seine Protagonisten nicht können. Er beobachtet und hört zu. Bild und Ton bekommen dabei keinen künstlichen Ausdruck, sondern nehmen naturalistische Positionen ein. Fast besteht LAND DES SCHWEIGENS UND DER DUNKELHEIT, eine Doku über Taubblinde, nur aus fasziniertem Starren. Während eine Mutter über ihren inzwischen ziemlich alten Sohn erzählt, geht dieser weg und untersucht interessiert einen Baum. Das Ohr bleibt bei der Mutter, das Auge bei seinen neugierigen Erkundungen etwas Banalen. Oder es ist ein Junge zu sehen, der nie eine Förderung erhalten und deshalb nur sich hat, der nichts tun kann, als sich und seinen Körper zu erfahren hat. Der die Lippen flattern lässt und wackelt. Der sich untersucht, wie die Kamera ihn untersucht. Nur kann er keinen Ausgang aus sich finden und die Kamera keinen Eingang in ihn. Es entsteht so ein Metafilm, der den oberflächlichen, eindrücklichen Wert des eigenen Mediums gegen eine tiefe, nur erahnbare Einsamkeit stellt.

Dienstag 24.09.

Grave / Raw
(Julia Ducournau, F/B 2016) [blu-ray, OmU]

großartig

Zwischen weiten, aufgeräumten Einstellungen einer emotionslosen Umgebung und den subjektiven, verzerrten Kämpfen mit sich selbst wird gewechselt. Bindeglied sind die Versuche von außen Sinn zu stiften. Beziehungsweise einen Sinn auf das heranwachsende Subjekt zu oktroyieren. Moralisch übergriffige Eltern und die körperlichen wie geistigen Unterwerfungsversuche der Studentenverbindung bedrängen den Erstsemester Justine (Garance Marillier). Soziales ist in RAW größtenteils ein Gewaltakt, gegen den der Körper rebelliert, der ein neurotisches und psychotisches Verhältnis zu sich und der Welt entwickelt. Der aus einem zurückhaltenden, moralisch erhabenen Teenager ein Wrack macht, dessen Bodyhorror darin besteht, dass die eigene Hülle, die eigenen Begierden etwas Fremdes werden, etwas Zerlegendes, zu einer sinnlichen Schlachtplatte. Nur das Außen, das bleibt bestehen. RAW, ein Film über ein ganz normales Heranwachsen.

Sonntag 22.09.

Derrick (Folge 209) Mord im Treppenhaus
(Helmuth Ashley, D 1992) [DVD]

ok +

Junge Männer, die an der Sexualität ihrer Mütter zerbrechen, sind bei DERRICK keine Neuheit. Nur geschieht es in MORD IM TREPPENHAUS diesmal nicht in einem melodramatischen Umfeld, das die emotionale Lage des Sohnes spiegelt, sondern in der abgeklärten Ruhe von Erwachsenen, die all das Trara nicht (mehr) verstehen.

Sonnabend 21.09.

Good Boys
(Gene Stupnitsky, USA 2019) [DCP, OF]

gut

Eine Hit-&-Miss-Stafette darüber, dass 12-Jährige glauben, sich auskennen zu müssen, es aber nicht tun. Dass peer pressure sie dazu bringt, Kraftausdrücke zu benutzen, die sie nicht richtig anwenden, über Drogen und Sexspielzeuge absurde (Handlungs-)Urteile zu fällen und sonst wie peinliche Erfahrungen machen. GOOD BOYS begibt sich dabei in eine ständige Übertreibung, wie unwissend die drei Hauptfiguren sind, was teilweise arg verkrampft wirkt, andererseits tolle Momente von Eskalation hervorruft, wenn der Film erst mal ins Rollen gekommen ist. Aber vor allem: Finnlay O. (14 Jahre) hat den Film mit Freunden im Kino gesehen. Ich frage mich seit dem, was er von all den Analplugs, Sexschaukeln und vom MDMA zuordnen konnte und wo er nur lachte, weil andere es taten.

Ad Astra / Ad Astra: Zu den Sternen
(James Gray, USA 2019) [DCP, OF] 2

fantastisch

Die Musik besteht aus Drones und Langgezogenem. Keine Trommeln, keine Hektik selbst in den adrenalingeschwängerten Szenen. Auch hier herrscht Nachdenklichkeit und eine angezogene, nicht abreagierte Spannung. Ad Astra ist ein Film des Luftanhaltens.

A Farewell to Arms / In einem anderen Land
(Frank Borzage, USA 1932) [35mm, OF] 2

fantastisch

Einen Brückenbogen hat Gary Coopers Figur über den Krieg gebaut. Die Pfeiler: Sex & Alkohol. Sobald beide wegbrechen, findet er sich im Krieg wieder, der in A FAREWELL TO ARMS vorher eher Randnotiz war. Und sobald der Frieden einbricht, dann hat er eben nichts mehr. Nichts mehr außer Ruhe.

Three Comrades
(Frank Borzage, USA 1938) [35mm, OF]

großartig +

DIE DREI VON DER TANKSTELLE als Borzage-Film. Die Liebe des Films ist dabei nicht die eines Einzelnen, sondern einer Gruppe. Liebe als Sinnstifter, als Nähe und Zuneigung. Einer von drei Kriegsveteranen (Robert Taylor), die zusammen eine Autowerkstatt betreiben, verliebt sich in eine Tochter verarmten Adels (Margaret Sullavan). Die anderen beiden Kameraden (Franchot Tone & Robert Young) sind aber immer Teil der Beziehung. Sie müssen den beiden beständig zureden, müssen die Harmonie für die stets unsicheren Individuen aufrechterhalten … und sin da, um eine Utopie dem im Sein Verlorenen mitzugeben. Sie müssen den Status Quo einer verträumten Idylle gewährleisten, der von den omnipräsenten Straßenkämpfen – wenn jemand öffentlich von Vernunft redet, dann kommen gleich die Schläger und Rowdies mit Knüppeln und Gewehren, für die Mord und Totschlag nur ein Spiel zu sein scheinen – oder von der inhärenten, inzüchtigen Krankheit des Adels bedroht wird. Zusammen in Leben und Tod gegen die Beschwerlichkeiten der Existenz.

Angel Has Fallen
(Ric Roman Waugh, USA 2019) [DCP, OF]

uff

Mike Banning (Gerald Butler) hat zu Beginn Streit mit einem Mitarbeiter eines Freundes. Wenig später, auf den Präsidenten der USA (Morgan Freeman) wurde ein Anschlag verübt und Banning ist der Hauptverdächtige, wird Banning von einigen der eigentlichen Tätern entführt. Nach dem er diese ausgeschaltet hat, nimmt er einem die Maske ab und entdeckt darunter eben jenen Mitarbeiter, mit dem er aneinander geraten war … wodurch offenbart werden soll, dass eben Bannings Freund hinter allem steckt. Es ist ein einfaches Motiv. ANGEL HAS FALLEN schafft es nicht, dies prägnant darzustellen. Dort ein anonymer Mann mit Bart, hier ein anderer. Dass beide ein und dieselbe Person sind, muss der Film uns durch eine kurze Rückblende während der Demaskierung zeigen. Nichts steht aus dem allgemeinen Grau-in-Grau heraus.
Es ist symptomatisch für einen Film, der keine Ahnung hat, was er mit Kamera und dem davor anfangen soll. (Das Drehbuch ist nicht viel besser: Nick Noltes Figur von Bannings Vater ist auch nur der Unabomber-Witz, der er im Trailer ist, der als Gimmick kurz auftaucht und gleich wieder verschwindet.) Manche Kämpfe in der Nacht sind so dunkel, dass nur noch der Ton vermittelt, dass gekämpft wird. Wer bei der Erstellung des Films Interesse an was hatte, bleibt mir schleierhaft.
Das Einzige, was funktioniert, ist Gerald Butler, der seinen Mike Banning so spielt, als würde er sich als nächstes am liebsten auf einen Rollator stützen. Was zu seiner Rolle passt, die ANGEL HAS FALLEN gegen seinen externalisierten inneren Schweinehund kämpfen lässt. Nur dass dieser nicht seine Ruhe möchte, sondern immer weiterkämpfen, auch wenn der Körper es nicht mehr hergibt. Auch passend zu einem Film, der einfach weitermacht, obwohl er keine Ahnung zu haben scheint, was er da überhaupt tut.

Freitag 20.09.

Systemsprenger
(Nora Fingscheidt, D 2019) [DCP]

gut

Das Vorgehen von SYSTEMSPRENGER ist recht bald schmerzhaft klar. Für die verhaltensauffällige 9-Jährige Benni (Helena Zengel), die aufgrund ihrer unkontrollierbaren Wutausbrüche wie ein schwarzer Peter zwischen Heimen, Pflegeeinrichtungen uswusf. hin und her geschoben wird, wird wiederkehrend die Möglichkeit eines Happy End geschaffen, nur um dieses zusammenfallen zu lassen. Bedroht wird sie davon, dass sie schlussendlich viel zu jung in eine Anstalt gebracht wird, da sie immer ein störendes Element und eine Gefahr für sich und andere bleibt. Dem stehen die Silberstreifen am Horizont in Form von perfekten Ersatzvätern, liebevollen Pflegemüttern oder einer leiblichen Mutter entgegen, die es doch nochmal mit Benni versuchen möchte. Und zwischendring Benni: ein traumatisiertes Mädchen, das Opfer von Gewalt und Vernachlässigung war und ist, dem mal offen, mal maskiert Verachtung entgegentritt, das unter enormen Druck steht, weil ihr immer wieder gesagt wird, dass sie nicht mehr allzu viele Chancen hat. Ein Kind voller Individualismus, ein Sympathieträger, der aber gleichzeitig auch eine tickende Zeitbombe ist. Ihre Energie lässt per Stakkatoschnitt und entsprechender Musik den Film zeitweise pumpen, kurz bevor ihre Wut wiederholt die Bilder dissoziiert. Übrig bleiben Fetzen ihrer Umgebung, von Erinnerungen, von Formen und Farben, von Blut, Gewalt und Horror.
Einen nicht unerheblichen Teil von SYSTEMSPRENGER verbringt Benni in einer Waldhütte mit Betreuer Micha (Albrecht Schuch). Für drei Wochen erfährt sie die Hochs und Tiefs einer eins-zu-eins-Betreuung. Und wenn sich Benni und Micha langsam zusammenraufen, ist das nicht nur herzerwärmend, weil sie das bekommt, was sie dringend benötigt, nämlich Zuneigung und Engagement. Über dem Traum hängt aber das Damoklesschwert, dass nach drei Wochen das Setting wegfällt. Dass Micha schlicht nicht ihr Vater sein wird, nicht sein kann. Lange bevor das Kartenhaus also zusammenstürzt, ist das Glück mit einem tiefen Schatten versehen. Die Schönheit der Momente speist sich gleichzeitig aus Glück und dem drohenden Schmerz. Zwischen Freude und Angst passt hier kein Blatt. Und Benni ist in allem, was passiert, Opfer und Täter. Ein Ausweg scheint unmöglich.
In seiner Repetivität aus Traumschlössern und brennenden Ruinen ist SYSTEMSPRENGER auf gewisse Weise eintönig und enervierend, gerade bei seiner langen Spielzeit. Und es ist Vor- wie Nachteil zugleich. Einerseits ist es gerade die Ausweglosigkeit der Situation und der Persönlichkeit Bennis, die den emotionalen Vorschlaghammer nur noch brutaler machen, je länger sich alles wiederholt. Andererseits zieht das System zunehmend Aufmerksamkeit auf sich. Wächst es erst organisch aus den Figuren, werden die Züge des Drehbuchs immer deutlicher. Als Benni einmal Unterschlupf bei Michas Familie sucht, meint dessen Frau, dass es doch ok sei, wenn er als Betreuer diesen Distanzbruch zulässt. Das Dreamteam Benni und Micha ist nur durch Adoption zu vereinen und hier wird es wenn auch assoziativ, so doch offensiv als Lösung angeboten. Nur Minuten später bekommt Micha von seiner Frau aber gleich hinterhergeschoben, dass er schon einen Weg finden wird, dass sie nicht mehr (so oft) wiederkommt. Das Drehbuch und nicht die Situation steht hier mit dem Messer offen vor dem Zuschauer, bereit zuzustoßen.
Aber tatsächlich ist SYSTEMSPRENGER vor allem sympathisch. Denn ein unbarmherziger Gefühlstortureporn, egal wie plump er wird, ist der Alternative vorzuziehen. Wenn er nämlich noch plumper sich in einen seiner Träume retten würde.

Until They Get Me
(Frank Borzage, USA 2017) [35mm, OZ] 2

großartig

Der Film einer Liebe, die auf einer Lüge und fehlendes Vertrauen aufgebaut ist, während die Bilder von sozialen Beziehungen erzählen.

Moonrise / Erbe des Henkers
(Frank Borzage, USA 1948) [35mm, OmU] 2

fantastisch

Die letzte Einstellung zeigt eine weite Landschaft. Davor bieten die Studiokulissen neurotische Käfige, in welche die Hauptfigur gesperrt ist, oder sanft einlullende Märchenszenerien, in welche sich die Hauptfigur flüchtet. Bis zur Erlösung gibt es nur Enge … und phantastische Verzerrung. Wir sehen einen Mann, der sich von Messern und Spiegel in einem Krimiplot verfolgt sieht. So hysterisch er aber reagiert, so wenig scheinen andere Leute es zu bemerken.
Einmal sehen wir Dannys (Dane Clark) Hinterkopf und das Gesicht der Frau, in die er verliebt ist (Gail Russell als Gilly), rechts von diesem. Gilly, die bisher von Danny bedrängt und genötigt wurde, bewegt ihren Kopf bis ihr Gesicht in der Einstellung links von Danny angelangt ist. Magisches geschieht daraufhin. Von einem Moment auf den anderen fällt ihre Gegenwehr, ihre Abneigung … und der Krampf aus ihren Händen, den MOONRISE danach nicht mehr in den Fokus ziehen kann. Nunmehr liebt sie ihn ohne Einschränkung. Die Realität in MOONRISE ist hauchdünn, wenn sie überhaupt einen Widerhall findet.
Mehrere tödliche Unfälle liegen auf dem Weg zur besagten Erlösung. Der Tod ist jedoch völlig impotent und wird ignoriert, als sei er keine Möglichkeit: Selbst das Ableben bietet hier kein Ausweg. Die Hölle und das Zauberreich eines Manisch-Depressiven sehen wir, der sich zwischen Glück und Verdammung hin und her stößt. Und Frank Borzage macht aus diesem Zerrspiegel ein verständnisvolles Psychogramm für die Verlorenen der Welt, die nur den Schlüssel zu ihren Käfigen finden müssen, um die Weite betreten zu können.

Rambo: Last Blood
(Adrian Grunberg, USA 2019) [DCP, OF]

ok

Der HOME ALONE-Film RAMBO: LAST BLOOD gibt John Rambo (Sylvester Stallone) abermals die Möglichkeit full circle zu gehen. Mexikanische Gangster kommen auf seinen Grund und Boden, wo er seine quantitative Unterlegenheit mittels Fallen ausgleicht. Sein Heim: ein Tunnelsystem mit Hippiemusik. Der Schauplatz der Abrechnung ist von den Geistern der Vergangenheit bestimmt, die ihn aus der Bahn geworfen haben. Er wird in LAST BLOOD also zum us-amerikanischen Vietcong, der mit der finalen Zerstörung dieser Anlage auch symbolisch die Möglichkeit erhält, den Vietnamkrieg aus seinem System zu löschen.
Der Slasher RAMBO: LAST BLOOD zeigt einen Mann, der die Fähigkeit verloren hat, sich den Dingen zu öffnen. Überall sieht Rambo nur mehr Gefahr, Gewalt, Verachtenswertes und eigenes Versagen. Konnten die Wet Bandits in HOME ALONE noch rationalisieren, dass sie in eine Falle bzw. ein Haus voller Fallen getappt sind, so sind die Banditen in LAST BLOOD lediglich Schlachtvieh, das unbeirrt weiterläuft und einer nach dem anderen niedergemetzelt wird. Zeichnete sich MOONRISE, der Film, den ich zuvor sah, noch durch Verständnis für Vergewaltiger und Mörder aus, da gibt es hier aus der Sicht Rambos nur noch bösartige Körper, die kein Eigenleben entwickeln und die zerstört werden (müssen). Eintönig sterben sie einer nach dem anderen, teilweise mittels hässlichster CGI-Kopfplatzungen. Nur trägt der Mörder Stallones verwittertes Gesicht, statt einer Hockeymaske.
Der Rape & Revenge-Film RAMBO: LAST BLOOD funktioniert wie ein solcher Film eben funktioniert. Erst wird eine Idylle etabliert, nur um sie per Vergewaltigung und Mord zu zerstören, worauf dann die Rache folgt. Hier ist der Film vll. am müdesten … und am zeitintensivsten. Bei aller Effektivität, die gegen Ende dann doch noch entwickelt wird, steht der Film vor allem voll mit Dingen, die halt immer in einem solchen Film rumstehen. Eine Frau, Rambos Nichte Gabrielle (Yvette Monreal), wird als Engel eingeführt, deren Zweck im Film die eigene Zerstörung ist. Als Missetäter klar als schlechte Menschen erkenntliche Leute, die Rambo entgegenstehen und die er umbringt. Nirgendwo gibt es auch nur ein Ansatz, die Betriebsblindheit Rambos kreativ zu nutzen. Nirgendwo wird der Versuch unternommen, etwas organisch aus der Figur zu entwickeln. John Rambo wie der Zuschauer bekommen was sie (bei Rape & Revenge) erwarten (können).
In den Augenwinkeln Rambos wird RAMBO: LAST BLOOD aber ab und zu interessant:
– Das Leid der Leute, das er nicht sieht. Wenn Gabrielle ihren Vater trifft, dann ist da erst ein in warmen Farben beleuchteter Mann, der sich zu freuen scheint, seine Tochter nach vielen Jahren zu sehen. Er macht dann einen Schritt nach vorne auf sie zu, steht damit in blauem, kaltem Licht und sagt seiner Tochter, dass er nie etwas für sie übrighatte. Aber was ist hier die Bühne und was die Realität. Ein Mann, der seine Tochter wegstößt, weil er ein Arsch ist oder weil er den Krebs bedingten Verlust seiner Frau nie überwand. Der Mann, der sich freut und das Gegenteil darstellt, oder der verachtet und aus sozialen Gründen erstmal eine nette Maske auffährt. Es ist nicht klar und Rambo interessiert es nicht, weshalb alle Potentiale dieses Dramas nur in diesem Schlaglicht zu finden sind. (Oder eben Gabrielles Freundin, die Gabrielle an ein mexikanisches Kartell verkauft: Ist sie eher Täter oder Opfer? Sie ruft, Rambo hinterher, dass sie hier leben muss. Er hört sie nicht, er sieht nur ihre Schuld.)
– Zwei Brüder führen das Kartell an. Einer ist ein rationeller Geschäftsmann, der andere ein von seinen Affekten bestimmter Hitzkopf. Der Tod des Letzteren wird nicht Mal ins Bild gerückt. Rambo schmeißt seinen Kopf nur beiläufig aus dem Wagenfenster. Er wird entsorgt, wie ein totes Tier. Der Geschäftsmann, der, der das System dahinter symbolisiert, der, der es tatsächlich besser wissen sollte, ihm wird genüsslich das Herz herausgeschnitten.
Wenn RAMBO: LAST BLOOD vielleicht ein wenig mehr in die Richtungen schauen würde, in die seine Hauptfigur nicht schaut, wenn John Rambo sich nicht nur in ein ausgelutschtes Korsett begeben würde, dann wäre vll. nicht das Ende von einer gewissen, aber auch kaum noch mitnehmenden Wucht.

Donnerstag 19.09.

Avengement
(Jesse V. Johnson, UK 2019) [stream, OmeU]

großartig

Die sob story eines netten Jungen, der durch seinen kriminellen Bruder (und den britischen Strafvollzug) zum Terrier wird und der sich mit nicht enden wollender körperlicher Gewalt gegen die Zweifel zur Wehr setzt, die die silberne Zunge seines Bruders in sein Leben bringt. Ein Ballett geschundener Körper.

Mittwoch 18.09.

Annabelle: Creation / Annabelle 2
(David F. Sandberg, USA 2017) [stream, OmeU]

ok

Am Ende wird ANNABELLE: CREATION beim Beginn von ANNABELLE angekommen sein. Und das ist ein Problem, weil ab einen gewissen Zeitpunkt spürbar nur noch dorthin gekommen werden möchte. Dass er sich nicht mehr für all die körperlichen – selbstredend stehen sie für geistige – Vernarbungen von Waisenkindern und einem Elternpaar, dass sein Kind verlor, interessiert, sondern nur noch das Jetzt als Last bei dessen Verknüpfung mit der Zukunft empfindet. Was unendlich schade ist, weil ANNABELLE: CREATION lange so viel atmosphärischer, unangenehmer und phantasievoller als sein Vorgänger ist.

Dienstag 17.09.

Olympus Has Fallen / Olympus Has Fallen – Die Welt in Gefahr
(Antoine Fuqua, USA 2013) [blu-ray, OmU]

gut

Am besten ist OLYMPUS HAS FALLEN, wenn er seine zwangsneurotische Brutalität ins Melodramatische überzieht. Wenn die geschundene Verteidigungsministerin beispielsweise über den Boden geschleift wird, wenn die Kamera dies aus dem Winkel der Schleifenden aufnimmt und sie dabei ihr Bündnis zur Flagge schwört. Oder wenn die Gewalt Dinge kommuniziert. Wenn beispielsweise die Terroristen immer wie eine Einheit inszeniert werden, wie ein Rammbock vor allem, wenn sie das Weiße Haus stürmen, und wenn die Verteidigungslinien wie verstreute Haufen aussehen, die durch nichts zusammengehalten werden. Nur das Individuum (Gerard Butler als knuffiger Elite Average Joe) kann in einer solchen Gegebenheit helfen. Oder anders: OLYMPUS HAS FALLEN kommt in seiner Gewalt zu sich. Der Teppich auf dem sie liegt, die Verlustbewältigung eines Präsidenten (Aaron Eckhart) und seines Freundes/Bodyguards – der eine hat seine Frau verorten, der andere fühlt sich verantwortlich –, die Vermittlung an Geborgenheit an einen Sohn, die Bekehrung eines Falken (Morgan Freeman), der erkennen muss, dass die Dinge komplexer sind, als das einfach Bomben drauf schmeißen eine Lösung wäre, all das bleibt nur Stichwortgeber, der unnötig viel oder viel zu wenig Platz einnimmt.

Sonntag 15.09.

Jackie Brown
(Quentin Tarantino, USA 1997) [blu-ray, OmeU] 6

großartig +

Als ich JACKIE BROWN das erste Mal sah – 1998 fast alleine im Kino – habe ich ihn fast ausschließlich über den Krimi wahrgenommen. Vll. war er deshalb zuerst etwas enttäuschend. Denn vor allem ist er eine Milieustudie über das Älterwerden von Räubern und Gendarmen. Die unter den streng nach hinten gekämmten Haaren Samuel L. Jacksons herausschauende Alterstonsur erzählt ebenso davon, wie die zärtlichen und derben Dialoge. Am schönsten von allem ist wohl die Show des Robert De Niro, der stets verloren und mitgeschleppt wirkt, der seltsam schnell in seinem Schaukelstuhl wippt, als ginge sein Herz auf cartoonische Weise zu schnell, und zu dem Samuel L. Jackson leider nicht sagt: Our ass used to be beautiful, wie es in den Untertiteln der blu-ray fälschlicher Weise stand (denn dort wurde ein y vergessen).

Sonnabend 14.09.

Gravity
(Alfonso Cuarón, UK/USA 2013) [blu-ray, OmeU] 2

großartig

Auch ohne 3D, auch im Heimkinoformat funktioniert es. Wenn Sandra Bullock am Ende die Erde erreicht und aus dem Wasser kriecht, drückt die Schwerkraft mit voller Kraft auf sie und uns. Im Kleinen ist es, als ob wir nach anderthalb Stunden guten Seegangs wieder festen Grund unter die Füße bekommen.

Holmes & Watson
(Etan Cohen, USA 2018) [blu-ray, OmeU]

uff

Seitdem ich das Holmies-Poster das erste Mal sah, habe ich mich unbändig auf diesen Film gefreut. Seine tatsächliche Realität war dann von Anfang an aber eine riesige Enttäuschung. Kurz: Einem Film, den faule Pointen ausmachen, die sich zu oft damit begnügen heutige Sensibilitäten gegen die von damals auszuspielen, wird durch einen enervierend hibbeligen Schnitt der Zahn gezogen.

Freitag 13.09.

Oblivion
(Joseph Kosinski, USA 2013) [stream, OmeU]

nichtssagend

Einmal sitzt Morgan Freeman plötzlich im Bild. Seine runde, undurchdringliche Sonnenbrille macht ihm zum Posterboy der Postapokalypse. Es ist eines der wenigen Bilder von Oblivion, die sich über eine leichte Gefälligkeit hinwegbewegen. Ein anderes etwas herausstechendes Bild wäre das eines Glaspools in den Wolken, in den ein Köpfer gemacht wird. Die zerstörte Erde wie die erhaltene, naturromantische Idylle: Sie evozieren ansonsten keine starken Emotionen und legen auch keine in den Beteiligten nahe, sondern sehen auf eine wenig aufreizende Art schön aus. Die sich auftuenden Abgründe sind kaum von Belang. Die Geschichte eines Mannes (Tom Cruise) wird erzählt, der herausfindet, dass er nicht er selbst ist und dass sein Leben eine Lüge ist. Am Ende wird er durch eine andere Lüge seiner selbst ersetzt. Die Ausgangssituation ist auf genau die gleiche Weise schön und offensichtlich ein unter Krampf und Selbstbetrug erstellter goldener Käfig, wie es der Endpunkt ist. Dazwischen befindet sich der Weg von einem zum anderen, der unter permanenter Geschäftigkeit eine Änderung verbildlichen möchte. OBLIVION ist aber durchaus gruselig, weil er keinen Ausweg aus seiner Welt leichter Gefälligkeit lässt und überhaupt will. Oder anders: OBLIVION hat genau das nicht, was Tom Cruise als Star ausmacht. Er sieht schön aus, sein Charisma findet sich aber darin, dass etwas Zerstörerisches und Beängstigendes unter seiner Oberfläche lauert, etwas schwer zu Bestimmendes. OBLIVION ist aber nur schön und offensichtlich.

Donnerstag 12.09.

Life
(Daniel Espinosa, USA 2017) [DVD, OmeU]

nichtssagend

Am Anfang: eine wilde durch die Raumstation gleitende Kamera, die oben und unten, links und rechts durch die fehlende Gravitation und die damit fehlende Ausrichtung am festen Boden negiert. Später ist alles klar inszeniert. Der Raum stellt kein Problem dar. Am Anfang: ein knuddeliges, eigenwilliges Wesen, dass mit Fortpflanzung, Überlebensinstinkt und Neugier gleichgesetzt wird. Später werden alle nur noch von einem Prädator gejagt, dessen Charakteristika immer tierähnlicher werden. Statt einem vielschichtigen Wesen, nur die Warnung, dass Leben etwas Bedrohliches ist. Statt etwas Unbekannten, etwas Bekanntes. Am Anfang: zwei mal zwei Crewmitglieder, die sich so ähnlich sind, dass ich einige Probleme hatte, sie auseinander zu halten. Bei Jake Gyllenhaal und Ryan Reynolds ging es noch, bei Rebecca Ferguson und Olga Dykhovichnaya schon kaum mehr. Später sind die jeweils zuletzt genannten tot und die die Station ist leerer, aber an Personal habe ich in der Beziehung niemanden vermisst.

Dienstag 10.09.

Two Lovers
(James Gray, USA/F 2008) [DVD, OmU] 2

großartig +

Ein Moment in TWO LOVERS: Leonard Kraditor (Joaquin Phoenix) sucht am Rechner Flugtickets heraus, während sein Vater (Moni Moshonov) nebenan seine neuen Benny Hill-DVDs schaut. Als die Hauptfigur von TWO LOVERS an ein Happy End für sich glaubt, wird sie von der Tonspur also brutal auslacht. Es ist der mglweise bitterste Moment in einem Film, dessen Pointe ist, dass sein tatsächliches Happy End auch als Selbstmord(-versuch) gelesen werden kann.

Montag 09.09.

Ad Astra
(James Gray, USA/BRA/CHN 2019) [DCP, OmU]

fantastisch

Im Kino gesessen und tatsächlich ein bisschen Höhenangst gehabt, während ein Astronaut seine ödipale Phase verlässt und sich fragen muss: Was, wenn der eigene Vater Colonel Kurtz ist. Mehr dazu im Perlentaucher.

Derrick (Folge 208) Ein seltsamer Ehrenmann
(Zbyněk Brynych, D 1992) [DVD]

gut

Da Stephan Derrick als Ermittler, ehemals ein fast teuflisch gewitzter Ermittler, immer mehr Richtung Demenz driftet und auf naheliegende Motivzusammenhänge gestoßen werden muss, leidet die Dramatik der Episode. Brynych nimmt sich deshalb einfach Zeit eigenwillige Tableaus zu entwerfen. Am schönsten: Derrick sitzt an einem Tisch. Umgeben ist er von Bäumen, Herbstlaub und bis auf besagtes Laub leeren Sitzmöglichkeiten. Er hat der Kamera den Rücken zugewandt. Während der Zeuge kommt, auf den er wartet, dreht er sich langsam um. Es gibt keinen Schnitt. Nur Herbst, Melancholie und die Hoffnung einer Begegnung. Es könnten ein paar Sekunden aus dem Vorspann einer Soup Opera sein, wo nur die Einblendung des Namens Horst Tappert fehlt. Oder eine romantische Szene. Oder gar ein kernschmelzig gutes Partnerbörsenvideo. Es herrscht zu viel Kitsch und Romantik an einer eigentlich einfachen Stelle. Und EIN SELTSAMER EHRENMANN ist voller solcher Momente, welche neben Claude-Oliver Rudolph, der als verletzlicher Mörder, der überrascht von seiner Menschlichkeit ist und im Zentrum der Handlung steht, die Folge tragen.

Sonntag 08.09.

Passengers
(Morten Tyldum, USA/AUS 2016) [blu-ray, OmeU]

nichtssagend

Am Ende hat ein Baum ein klinisch reines, aufgeräumtes, aseptisches Raumschiff in einen blühenden Garten verwandelt. Wie das geschehen sein soll, bleibt ein Geheimnis, weil die Liebe die PASSENGERS porträtiert und die der Baum symbolisiert eben klinisch rein, aufgeräumt und aseptisch ist. Und vor allem so selbstgenügsam, dass nichts aus ihr erwächst. Jim Preston (Chris Pratt) erwacht durch eine Fehlfunktion seiner Schlafkapsel 90 Jahr vor Landung auf einer zweiten Erde in einem Raumschiff und ist zwischen tausenden Schlafenden gestrandet. Zufällig entdeckt er dabei die Liebe seines Lebens. Er liest ihre Biographie im Computer, schaut sich ihre Rekrutierungsvideos an, und ist sich sicher. Auch wenn sie sich dann treffen ist alles atemberaubend und eindeutig. Selbst wenn sie sich streiten, dann liefert der Film schnell die Argumente und Bilder für ihre kommende Versöhnung. Dass er sie geweckt hat und sie eigenmächtig seinem Schicksal ausliefert, ist dabei eben kein schlimmes Schicksal, sondern wie ein kleiner Meteoriteneinschlag, der kurz alles aus der Bahn wirft, aber auch schnell wieder behoben ist – was genau den dramatischen Abschluss bildet und die Katharsis für eine Liebeskrise bietet, die nicht in die Krise zu stürzen ist. PASSENGERS erzählt so von zwei Leuten, die füreinander geschaffen sind und baut hier und da etwas ethisch Fragwürdiges um die glänzende Designerwelt, damit auch der Eindruck erweckt ist, dass was passiert.

Sonnabend 07.09.

The Yards / The Yards – Im Hinterhof der Macht
(James Gray, USA 2000) [blu-ray, OmU]

großartig

Standen in James Grays Filmen zuletzt die Macher im Vordergrund, Leute, die (vor und nach Kurskorrekturen) mit Entschiedenheit vorgehen, kreist THE YARDS um einen von Mark Wahlberg gespielten jungen Mann ohne Eigenschaften, der sich nicht so recht entscheiden mag. Der höchstens an Punkte angelangt, wo er ex negativo entscheidet, dass er hier nicht weiter möchte. Per Bahn fährt er in New York ein (und verlässt es schlussendlich ebenso). Es ist sein Abstieg in die Hölle, in ein episches Familiendrama, an einen Ort, wo er lernen muss, dass er, wenn er sich treiben lässt, an Orten landen kann, an denen er nicht sein möchte, und wo er Dinge tut, mit denen er dann für immer leben muss.
Und wie in WE OWN THE NIGHT findet sich hier die Geschichte eines Michael Corleone wieder, der unter den Geschehnissen – unverhoffter- und unbedachterweise begibt er sich ins Epizentrum einer mafiösen Welt, die per Krieg einen neuen Status quo ausarbeitet, was für sein Umfeld einen nicht gekannten Niedergang bedeutet – ein anderer Mensch wird. Die Lügen, der Selbstbetrug und der Unterschied zwischen Sein und Schein der anfangs marginal heilen Welt stehen aber schon in den Schnitten, die beständig den Ton der kommenden Szene, über das Ende der vorherigen legen. Die inneren Mechanismen der gebotenen Ideologien oder die Spannung zwischen dem Narrativ des einfachen Erfolgs und dessen Zerbröseln erscheinen so wie Pointen eines fauligen Witzes.
Anders als in DER PATE ist die Geschichte aber nicht klar und einfach. Vielmehr scheinen Magneten neben dem moralischen Kompass zu liegen. Oder anders: THE YARDS könnte auch das Bindeglied zwischen DER PATE und THE WIRE sein. Inzest, Rassismus, das Fehlen von (integren) Vaterfiguren und eine allgemeine sozialdarwinistische Pragmatik, die die Grenzen zwischen Verbrechen, Wirtschaft und Politik verwischen: Wir sehen nicht den Abstieg von Leo Handler in die Amoral, sondern den weit in die Gesellschaft reichenden Gang eines erwachsenwerdenden Naivlings durch die Hölle, der keinen Vergil, sondern einen hilflosen Dackelblick als Begleiter hat.

Space Cowboys
(Clint Eastwood, USA 2000) [blu-ray, OmeU]

ok +

Wenn in der zweiten Hälfte aus der Komödie über alte Männer, die den Jungen zeigen, was eine Harke ist – es handelt sich zuweilen um eine frühe Version von GROWN UPS im Raumfahrtmilieu bzw. bzgl. der Verklemmtheit der jungen Generation –, ein Katastrophenfilm im All wird, dann scheinen sich die pädiatrischen Zuweisungen doch noch zu bewahrheiten, die vorher so lustvoll geleugnet wurden. Wenn Dr. Frank Corvin (Clint Eastwood) die Space Shuttle besteigt, mit der ein Satellit vor dem Absturz gerettet werden soll, dann braucht es alle Phantasie des Zuschauers, um zu verstehen, dass er und seine Frau, zwischen denen hin und her geschnitten wird, sich anschauen. Wenn Williams Hawk Hawkins (Tommy Lee Jones) die plötzlich auftauchenden Atomraketen in einer Angelegenheit von Sekunden in den Weltraum schießt, dann ist das nicht zu sehen. Statt Spannung und Schauwerten bekommen wir einen trockenen, sich ziehenden erklärenden Dialog zwischen Bodenpersonal der NASA. Und der heimliche Star des ersten Abschnitts, Donald Sutherland, der keine Anzüglichkeit, kein dreckiges Grinsen, keinen Schabernack auslässt, der vorher Bananen auf Achterbahnen aß und über die potentiellen Ohnmachten der zukünftigen Gäste philosophierte, der seinen Unterleib eher noch herausstreckt, wenn er nackt im Raum steht und ein weiblicher Arzt den Raum betritt, dieser darf nur noch einmal schmierig grinsend ins Bild trüben, während er ansonsten lediglich seine Pflicht erfüllt. Es ist eben, als sei SPACE COWBOY mitten in seiner Laufzeit senil geworden.

Freitag 06.09.

The Lost City of Z / Die versunkene Stadt Z
(James Gray, USA 2016) [blu-ray, OmU]

fantastisch

Hegel bemerkt irgendwo, daß alle großen weltgeschichtlichen Thatsachen und Personen sich so zu sagen zweimal ereignen. Er hat vergessen hinzuzufügen: das eine Mal als große Tragödie, das andre Mal als lumpige Farce. schreibt Karl Marx in DER ACHTZEHNTE BRUMAIRE DES LOUIS BONAPARTE. In THE LOST CITY OF Z wiederholt sich die auf wahren Ereignissen basierende Geschichte sogar noch ein weiteres Mal.
Offizier Percy Fawcett (Charlie Hunnam) reist dreimal in den südamerikanischen Dschungel, um sich dort vom Vermächtnis seines Vaters, eines Trinkers und Spielers, rein zu waschen. Bei der ersten Reise 1906 soll er den Dschungel vermessen, um einen Grenzkonflikt zwischen Bolivien und Brasilien zu verhindern. Die extremen Umstände, Krankheit, Durst und Hunger machen aus der Unternehmung schnell einen Fiebertraum. Tief im Dschungel findet er aber auch Anzeichen einer verfallenen Zivilisation. Um die Engstirnigkeit seiner Zeit Lügen zu strafen (und den unabschüttelbaren Schatten seines Vaters zu verlassen) reist er ein paar Jahre später also wieder in das Amazonasgebiet, auf der Suche nach Z, einer Stadt, welche die Menschheitsgeschichte seiner Meinung nach vervollständigen wird. Doch diesmal erlebt er trotz der gleichen Umstände keinen Fiebertraum, sondern ein klägliches Unternehmen, das an der intriganten, jämmerlichen Verzärtelung des großen Entdeckers James Murray (Angus Macfadyen vor allem in seinen wahnhaften Selbstgesprächen ein Erlebnis) scheitert. Und auch bei der dritten Reise bleibt alles anders, wenn die Tragödie zwar wieder Einzug hält, aber Tod und Erlösung auf das Engste verquickt werden.
Die Trennlinien zwischen England und dem Amazonasdschungel sind marginal. Entweder wir befinden uns in einer korrupten und korrumpierenden Zivilisation im feinen apollinen Gewand aus Erhabenheit und Regulierung oder im unklaren, feuchten, bedrohlichen, dionysischen Dschungel (der gerne als Symbolbild des Unterbewusstseins unserer Hauptfigur einstehen kann). Hier und da legt der Schnitt die beiden Realitäten in vorbeiziehenden Impressionen direkt nebeneinander. Wenn Percy den Märchen der Indios nicht auf den Leim gehen mag und ihren Geschichten von Städten aus Gold nicht glaubt (anders als sie zu glauben scheinen, sei er kein leichtgläubiger Konquistador), aber trotzdem den heiligen Gral in Form einer solchen Stadt sucht, wenn er auf der Suche nach einem vaterlosen Ich vor seiner Familien flüchtet und seine Söhne ohne Vater lässt, wenn er seine emanzipierten Ideale mal bestimmt ausspricht, nur um sie dann doch für sein Ansinnen zu verwässern, dann macht THE LOST CITY OF Z in seiner eleganten Rumpeligkeit unzählige Kriegsschauplätze auf. Diese werden aber zu keiner Auflösung gebracht. Vielmehr dürfen die inneren Widersprüche florieren. Mal mit der Ernsthaftigkeit, die eine englische Jagdgesellschaft oder der Erste Weltkrieg mit sich bringen, mal mit einem Schalck, der sehr viel über die zweite Reise mittels eines riesigen Pickels/Geschwürs im Gesicht von Henry Costin (Robert Pattinson) erzählt.
Besagter dritter Anlauf unterstreicht vor allem aber, dass es sich bei THE LOST CITY OF Z in erster Linie um ein Vater-Sohn-Drama handelt. Bzw. um eines, dass sich wieder – Dualitäten überall – ins Verhältnis zur romantischen Liebe bzw. zum Ehedrama befindet. Das Ende von SOLARIS (1972) scheint in diesem Wiederstreit über das von SOLARIS (2002) zu gewinnen. Nicht die Liebe vervollständigt uns in diesem facettenreichen/ablenkungsreichen Dschungel, der über unsere Sinne erzählt ist, sondern die Befriedung des (männlichen) Generationenkonflikts.

Donnerstag 05.09.

Solaris
(Steven Soderbergh, USA 2002) [blu-ray, OmU] 2

gut

Als SOLARIS 2002 in die Kinos kam, ging ich unter etwas anderen Vorzeichen ins Kino. Andrej Tarkowskij war mein liebster Regisseur. Die neuerliche Verfilmung hatte, glaube ich, schon von Beginn an keine Chance. Statt der diametral angeordneten Aufarbeitung eines Verlustes, die den Kern des Films bildet, nahm ich nur Ödnis wahr. Es gab keine Philosophie mehr, bzw. keine mit Ausrufezeichen, sondern den schweifenden Blick ohne feste Agenda auf zwei Leute in unklaren Situationen, voller sich aufdrängender Assoziationen. Erst: Ein Mann (George Clooney als Chris Kelvin), der seine Frau verloren hat und nun mit dem unbefriedigenden Simulacrum seiner Erinnerung leben muss. Dann: Eine Frau (Natascha McElhone als mysteriöse Wiederkehr von Kelvins Frau Rheya auf einer Raumstation beim Planeten Solaris), die zu verstehen versucht, was sie ist (Projektion, Lebewesen, Mensch? – und was es für sie heißt). Science-Fiction ist das Ergebnis nur am Rande. Eher ein Drama, dass sein Thema nicht direkt anzugehen vermag – es ist eben ein Film der Verdrängung –, sondern es in phantastische Symbole überführte. Die sich anschleichenden Erinnerungen werden dergestalt beispielsweise als Horror inszeniert, die sich wie Finger aus dem Nichts sich um einen krallen. Diametral ist es wie gesagt aufgebaut. Die Leere in einem ist der Gegensatz aus einer blaue, kalte Gegenwart voller wissenschaftlicher Instrumente (Agenten einer nutzlos gewordenen Vermessung) und leerer Blicke (der Kamera) und aus braunen, warmen Erinnerungsbilder, die knapp wie Blätter im Wind vorbeiwehen und doch das Entscheidende vermitteln. Der Film, den ich nun sah, war viel reicher und unaufdringlicher, nicht nur als der Film, den ich 2002 schimpfend verlies, aber auch als der Film von Tarkowskij, wie er in meiner Erinnerung aussieht. Was beide Sichtungen verbindet, ist die damals maßlose, heute nüchterne Enttäuschung, wie sehr SOLARIS bei Soderbergh final alles fahren lässt und auf einen alten und einen neuen Twist runterkocht, die alles faszinierende des Films einfach vom Tisch wischen.

Mittwoch 04.09.

Wehe, wenn Schwarzenbeck kommt
(May Spils, BRD 1979) [35mm]

großartig

In einer Szene sitzt Charly (Werner Enke) auf einem Tandem und versucht einem Kaufhausdetektiv zu entschlüpfen. Das Problem: Dieser sitzt direkt hinter ihm. Mit Verrenkungen und Schlägen mit seinem Arsch gegen dessen Kinn versucht er sich trotzdem irgendwie auf Abstand zu bringen, was aber nicht funktionieren kann. Es ist vll. der beste Ausdruck für das Kino von Spils/Enke, das nicht nur eine Figur porträtiert, die sich der Vereinnahmung durch ordnende Kräfte – hier Polizisten, Finanzbeamte und Halbkriminelle Geschäftsmänner mit einer neurotischen Ablehnung von Steuern – halsbrecherisch schnodderig verweigert, sondern das auch selbst lieber den immer gleichen Ablauf mit immer neuem Chaos füllt, als zu sehr Anstrengung zu verbreiten. Es ist also nicht nur so, dass Charly das Leistungsprinzip immer im Sitz hinter sich hat, ewig auf Flucht vor diesem, sondern dass es sich auch die Filme im Sitz vor den Verfolgern – Dramaturgie, Spannungsbogen u.ä. – bequem macht und vor dem Stress einer tatsächlichen Flucht ins Avantgardistische nur lethargisch mit den Schultern zuckt.

Dienstag 03.09.

Derrick (Folge 207) Die Reise nach München
(Alfred Weidenmann, D 1992) [DVD]

gut

Eine Matriarchin, der ins Gesicht geschrieben steht, dass sie von Unfähigen umgeben ist, ein Kleid, dessen Farbe die Grundsituation erzählerisch definiert, das Rot des Asphaltdschungels, das Grau in der Mitte der Gesellschaft: Es gibt einiges zu bestaunen in DIE REISE NACH MÜNCHEN. Alles wird aber vom Gesicht Stefan Wiggers übertroffen, welcher einen alten Mann spielt, der einen Job sucht, der verzweifelt versucht ein Mann für seine Frau zu sein, der im Decken eines Mörders aus reichem Haus seine Chance sieht und dessen Gesicht, selbst wenn ein Lächeln in ihm steht, nur Verlorenheit kommuniziert. Der Grundton ist Knuffigkeit. Weich und nachgiebig sind seine Züge. Darin findet sich aber monumentale Tränensäcke, welche Trauer von der Weite der Ozeane in sich zu beherbergen scheinen, ein Mund, dessen Winkel runtergezogen sind und dessen Sanftheit wie die schlecht verdeckte Hinwegtäuschung über einen Abgrund scheint, welcher uns zu verspeisen droht, und die Zähne dahinter, die ohne Regelmäßigkeit, dafür aber aus Holz scheinen. Der beklagenswerte Ausdruck dieses Gesichts, der sich zuweilen auch in der Körperhaltung wiederfindet, scheint immer bereit ins Gemeingefährliche umzuschlagen. Der Clown in ES wäre seine Paraderolle gewesen. Alleine dieses Gesicht anzuschauen ist ein einzigartiges Erlebnis.

Sonntag 01.09.

The Immigrant
(James Gray, USA 2013) [blu-ray, OmU]

gut +

Eine Frau (Marion Cotillard), die per internalisierter Misogynie jede naheliegende Schuld(zuweisung) auf ihre Schultern lädt, trifft auf einen Lebenskünstler (Joaquin Phoenix), der sein Überleben auf den Schultern der noch Schwächeren aufbaut. Es ist das Aufeinandertreffen von hohen moralischen Standards auf niedrige, von Religion auf Säkularität, von Idealismus auf Pragmatismus, von Schwäche auf Macht, von Naivität auf ausbeuterisches Bescheidwissen. Wenn die polnische Immigrantin nach ihrer Abweisung auf Ellis Island doch in einer New Yorker Absteige gelandet ist, dann scheint sie Bruno ins Netz gegangen zu sein. Ganz im Bild gesprochen: Er ist bei besagter Konversation mehrmals durch eine Gardine gefilmt, deren Muster wie aus Spinnennetzen zusammengesetzt aussieht.
Von Beginn an scheint dabei durch jede ritterliche Tat Brunos, der Ewa unaufhörlich hilft und ihr Versprechungen macht, aber das Grauen, dass er sich als Zuhälter entpuppt. Was auch geschehen wird. Nur sobald sich dies nach langer Aufarbeitung der Ausweglosigkeit Ewas herausgeschält hat, offenbart sich eben auch etwas anderes. Dass die moralischen Zuweisungen an die Beziehung der beiden nämlich völlig porös sind. Eine Täuschung wurde langwierig aufgebaut, nur um sie genauso langwierig zu dekonstruieren. Bald scheint Ewa die stärkere Persönlichkeit zu sein, bald zerrinnt Bruno alles zwischen den Fingern. All die einfachen Zuordnungen enden in Bildern von Kälte und Unklarheit. Nicht umsonst ist der Fokus der Bilder oftmals sehr knapp. Die Kamera schein immer nur eine Ebene in Schärfe darstellen zu können … bis am Ende in endloser Tiefenschärfe zwei unendlich getrennte Bilder nebeneinanderstehen. Vll. ist dieses Bild voll Wind, kalten Wassermassen und Verwitterung tatsächlich auch ein Happy End.
Bleibt noch Brunos Bruder Emil (Jeremy Renner). Ein Zauberer, der nicht ganz so gequält den Film durchleidet, wie die anderen. Irgendwo zwischen Erlösung und einem Äquivalent zum Joker pendelnd scheint er nur die Demarkationslinie zur Lebenslust zu bilden, die Ewa und Bruno nicht überschreiten können und an der sie sich vereinen. Denn so unterschiedlich die beiden sind, so wenig verstehen sie Spaß. So wenig, dass auch THE IMMIGRANT ein ziemlich unspaßiges Vergnügen ist, das sich getragen bis ins Ziel bewegt. In einer leidorientierten Ernsthaftigkeit dessen Orange – durch die Gaslampen im damaligen New York legitimiert – viel zu satt und anschmiegsam ist und bei weitem nicht den Eindruck von Enge und Vergilbung vermittelt, der darin wohl mitschwingen soll.

August
Sonnabend 31.08.

Der Edelweißkönig
(Paul Ostermayr, D 1938) [DVD]

–––

Die ersten Eindrücke von Demenz: Den beginnenden 10 Minuten habe ich nicht folgen können. Weder konnte ich mir Gesichter oder Handlungen merken, noch irgendwas, das mehr als 10 Sekunden zurücklag. Nach dieser Abfolge von Bildern bin ich eingeschlafen und nur sporadisch erwacht. Vor und nach dem Film schien ich mir mehr oder fit zu sein. Während diesem jedoch war ich wie in Götterspeise gefangen.

Freitag 30.08.

Beach House
(Roberta Findlay, USA 1980) [vhs, OF]

gut

Des nachts im Garten von gutbürgerlichen Evangelen in der fränkischen Provinz gesessen und darauf gewartet, dass die Träumer zum Jahrestreffen eintrudeln. Gegen die leichte Kälte habe ich mich mit einem Porno gewärmt, in dem Freundinnen einer von Männern enttäuschten Frau zu einem riesigen Schwanz mit Krümmung überreden wollen und in dem ein Bogen, in der Form des besagten Penis, von lesbischer Liebe über heterosexueller und zurück gespannt wird. Ab und zu gingen einzelne Dorfanwohner vorbei. Die einfachen Freuden des Lebens eben.

Mittwoch 28.08.

Old School / Old School – Wir lassen absolut nichts anbrennen
(Todd Phillips, USA 2003) [DVD, OmeU]

verstrahlt

Mitch (Luke Wilson) wird als Hauptfigur im Grunde nur von seinen beiden Freunden definiert. Eigene Eigenschaften hat er nicht. Auf der einen Seite ist die Über-ich- und von seinem Über-ich gequälte Figur des Beanie (Vince Vaughn), ein Mann der Masken, der allen vorspielt, was sie von ihm sehen wollen, der eine intakte Familie und einen erfolgreiches Unternehmen hat, und der seine Freunde mit Sarkasmus dazu antreibt, das zu leben, was er gerne ausleben möchte, nämlich ein verantwortungsloses, nur mit Party gefülltes Leben. Auf der anderen Seite Frank (Will Ferrell), das personifizierte Es, ein Mann, der seine Ehe binnen Wochen in den Sand setzt, der, wenn betrunken, nackt durch die Nachbarschaft joggt und auch nüchtern mehr auf seine Impulse hört, als auf seine Ratio. Zusammen stecken diese Mannkinder in einem unausgegorenen Film, der fast wie ein Remake bzw. Verballhornung von FIGHT CLUB wirkt, aber sich auf nichts festlegen möchte. Unbestimmt schwingt er zwischen Campus-Party-Komödie und Liebesfilm, zwischen Ernst und Wahnsinn hin und her. Seine Eskalation ist sehr zurückgenommen, den Lachern wird ohne Enthusiasmus nachgerannt und die mitunter hereinschwingende Liebeskomödie ist sehr wenig romantisch. Und so handelt es sich um den passenden Film, der verkrampft im Nirgendwo festhängt und sich zu keiner Entscheidung durchringen kann … wie seine Protagonisten, die jeder auf seine Weise halb Kind, halb Erwachsener sind. Ein Film der vll. nicht gut ist, aber irrsinnig spannend in seiner Unentschiedenheit.

Dienstag 27.08.

Bohemian Rhapsody
(Bryan Singer, USA/UK 2018) [stream, OmeU]

uff

Irgendwo in diesen ausufernden knapp 140 Minuten steckt mglweise ein interessanter 70-Minüter über internalisierte Homophobie. Gerade die Einsamkeit spricht brutale Bände, die zwischen der heterosexuellen Ehe Mercurys und der mit Genuss und Party ausgelebten Homosexualität herrscht, also zwischen hochgradig idyllischen und warmen Bildern und solchen von Verdammnis und Verlorenheit. Wie sehr Freddie Mercury sich für diese Geschichte anbietet, weiß ich nicht. Über ihn hätte ich aber lieber den Film mit Sascha Baron Cohen in der Hauptrolle gesehen, der sich leider nicht verwirklicht hat und der den Exzessen, wie zu lesen war, wohl etwas offener angenommen hätte. Aber das ist auch gar nicht das Problem von BOHEMIAN RHAPSODY, sondern im Grunde alles. Vom Kürbisorange, in dem die Bilder oft gehalten sind, über den irrlichternden Schnitt und das Drehbuch, dass sich ewig an Szenen festhält, die nichts zu einer Geschichte beitragen, sondern selbstbeweihräuchernde Fanvorstellungen bebildern – Minutenlang wird beispielsweise A NIGHT AT THE OPERA gepitcht oder darüber gestritten, dass BOHEMIAN RHAPSODY die erste Single des Albums sein müsse, immer mit dem Tenor, wie seltsam die Vorstellung sein muss, was Queen sich damals doch immer wieder musikalisch geleistet hat, weshalb der Film auch wie aus Realfilmeinspielern zusammengesetzt wirkt, die aus Dokus über die Entstehung der entsprechenden Alben stammen – bis hin zu dem Schauspiel, das in den Karikaturen von Szenen wie die Unterstreichung der Karikatur wirkt – wenn Freddie Mercury im Film das erste Mal seine späteren Mitstreiter auf der Bühne sieht, dann stellt Rami Malek dies quasi mit Joey Tribbianis Smell the Fart-Acting dar. Und tatsächlich wirkt BOHEMIAN RHAPSODY eben auch wie der Zusammenschnitt diverser Szenen einer fiktiven Soap Opera, die als Film-in-Film in einer Sitcom für ein paar Lacher sorgen darf. Nur das dies hier fast jeden Witz vermissen lässt.

Donnerstag 22.08.

Bad Girl
(Frank Borzage, USA 1931) [blu-ray, OmeU]

großartig

Der Film beginnt mit einer Braut und einer Schere zwischen den von dem Bild hervorgerufenen Erwartungen und dem, was sich tatsächlich abspielt. BAD GIRL wird sich im Folgenden meist in stark begrenzten und optisch wenig expressiven Räumen abspielen. Darin werden Variationen dieser Schere immer bestehen bleiben. Das Liebespaar Dorothy (Sally Eilers) und Eddie (James Dunn) wird einiges Tohuwabohu dadurch auslösen, dass sie nur auf das hören, was der andere sagt, oder vor allem nur das wahrnehmen, was (durch Geschlechterklischees vermittelt) eh schon an Erwartungen in ihrem Kopf zu finden ist. Zuweilen ist es schmerzhaft, den idiotischen, dramatischen, witzigen, traurigen Fehlschlüssen zuzusehen, zu denen sie sich verleiten lassen. Gerade weil die Bilder so offensichtlich nur gegenseitige Zuneigung offenbaren und all das, was in ihren Köpfen vorgeht, Lügen strafen. Und mir scheint es die tollste Pointe von BAD GIRL: Dass die Oberflächen die Wahrheit erzählen, während das darunter einen beständig anlügt.
*****
* Die zuletzt etwas häufiger auftretenden Filme von Frank Borzage waren übrigens, ihre ahntet es, mit der Schaffung dieses Textes bei critic.de verbunden.

Once Upon a Time in… Hollywood
(Quentin Tarantino, USA/UK/CHN 2019) [DCP, OF] 2

großartig +

Als ich den Film tags zuvor schaute, schwebte, sobald sich den Tate–LaBianca-Morden genähert wurde, über dem Geschehen für mich vor allem die Frage: Was wird Tarantino machen? Geschichtsrevision, Darstellen des Grauens, es überspringen oder doch vorher aufhören? Vor einiger Zeit habe ich mir CHARLES MANSON’S HOLLYWOOD in Karina Longworths Podcast YOU MUST REMEMBER THIS angehört. Die grausigen Details hatte ich noch im Kopf, weshalb diese Frage wirklich dringlich war. Bei der zweiten Sichtung war dies alles gar nicht so wichtig, das Ende hatte aber einen ähnlichen Eindruck auf mich. (Mich störte inzwischen nur, dass manchmal direkt der Moment zu spüren war, wenn lebhafte Figuren plötzlich wie von Tarantino besessen waren und in seine Filmnerdsprache verfielen.)
In DEATH PROOF, in INGLOURIOUS BASTERDS und in DJANGO UNCHAINED hatte Tarantino am Ende nicht einfach nur Bösewichte hingerichtet, sondern vor allem Konzepte – Misogynie, Nationalsozialismus und Sklaverei –, da porträtierte THE H8FUL EIGHT ein zerrissenes Land. Es gab keine erlösende Katharsis. Hier, in ONCE UPON A TIME IN… HOLLYWOOD sterben am Ende die von Charles Manson gesandten Mörder – welche, was sehr toll ist, durch Mansons Abwesenheit nie wie ferngesteuerte Puppen, sondern wie selbstverantwortliche Wesen wirken –, doch weder stehen sie für ein verdammenswertes Konzept – eher für Verlorenheit und Verirrung –, noch haben sie (zumindest hier in der Fiktion) etwas getan, was die Gewalt, die über sie herein bricht, rechtfertigt. Die im Kommentar von gestern erwähnten Streicher scheinen mir hier sehr wichtig. Denn obwohl die tatsächlichen Taten gerächt werden, fühlt sich das Ende nicht wie die Beseitigung eines Traumas an, sondern wie die Setzung eines, wenn auch versöhnlicheren, so doch neuen.
In der Mitte von diesem Ende – und als mal stumme, mal bestimmende Randfigur auch im Film – steht Cliff Booth (Brad Pitt). Ein Exsoldat, Stuntman und Babysitter für einen Star, der mit seinem muskulösen Oberkörper und den darauf verteilten Narben verführerisch aussieht, der sich liebevoll um seinen Bro kümmert, der aber vor allem (wohl) seine Frau umgebracht hat, der seinen Kampfhund strikt und ohne Kompromisse erzieht, der sich Regeln kategorisch einhält, der sich erinnert, wie er einem großmäuligen Bruce Lee kleinlaut machte, für den die Erinnerung an den Tod seine Frau eine Pointe ist, der von Null auf Hundert zu einer gnadenlosen Gewaltmaschine wird. Kurz: ein Faschist. So cool er wirkt, so sehr ist er der tatsächliche aus einem vergangenen Krieg stammende Schrecken, der viel präsenter und nicht weniger erschreckend ist, als Charles Manson und seine Zombies auf der Geister-Spawn-Ranch. Als schließlich dann mit einem Flammenwerfer auf den Letzten der fiktiven Versionen der realen Tate-Mörder losgegangen wird, da hatte ich das Gefühl, dass in dieser Welt nichts zu retten oder zu erlösen ist. Es ist fast wie so oft bei Borzage: Erlösung bringt nur der Tod.

Mittwoch 21.08.

Once Upon a Time in… Hollywood
(Quentin Tarantino, USA/UK/CHN 2019) [DCP, OmU]

fantastisch

Während der Abspann langsam einsetzt und dessen erste Minuten laufen, ist das Hauptthema von THE LIFE AND TIMES OF JUDGE ROY BEAN zu hören. Versöhnlich und hoffnungsvoll hört es sich an. Aber trotzdem sind da auch diese schneidenden, unheilvollen Streicher, die nicht verschwinden wollen. Und in diesem Nebeneinanderstehen steht die gemeinsame Existenz geschrieben, die in ONCE UPON A TIME IN… HOLLYWOOD beschworen wird. Um Melancholie und Niedergänge geht es und um Hoffnung und Aufstiege, um Angst und Freude, um Stufen von Karrieren, die so oder so ähnlich auf alle warten. Von selbstverliebten Leuten wird erzählt, die ihre Wohnungen mit ihren Erfolgen vollhängen – mal aus naiver Freude über erste Erfolge, mal als repräsentative Pflicht voller Entfremdung vom eigenen Werk. Wege laufen zusammen und trennen sich. Um Fernsehen, Hollywood und europäisches Kino geht es. Um das Verblühen des alten Studiosystems, das hier in seinen letzten Atemzügen eher wie das kommende Exploitationkino aussieht, und das langsame Einsetzen von New Hollywood. Und um Filme, wo alles zusammenläuft wie THE WRECKING CREW. Um Leute einer Nachkriegswelt, die sich ihre Welt mit Pop und Hippies teilen. Und vice versa. Uswusf. Wie ein Netz liegt ONCE UPON A TIME IN… HOLLYWOOD da und zeigt Verbindungen und Trennungen auf, verbindet und trennt, ist passend und unpassend. Phantasien, Erinnerungen, Filme und die Realität: Alles wird ein Knäuel, dass sich gegenseitig bedingt und verändert. Zwischen allen springt der Film hin und her, schaut mal hier und schaut mal da. Und schaut vor allem ausgiebig. Weil nichts von all dem das Primat über das Andere hat.

Tarzan Escapes / Tarzans Rache
(Richard Thorpe, USA 1936) [DVD, OmeU]

nichtssagend

Und es hört nicht auf. Kolonialisten bringen das Verderben in ein Paradies und Afrikaner werden gepeitscht. Im Grunde ein sauberes Remake von TARZAN AND HIS MATE für eine Welt, in der der Hays Code Anwendung fand.

Montag 19.08.

Tausend Augen
(Hans-Christoph Blumenberg, BRD 1984) [DVD]

verstrahlt

Super-8-Urlaubsaufnahmen durchziehen TAUSEND AUGEN. Ein Paar ist darin zu sehen und wie sie in sonnigem Licht Zuneigung körperlich austauschen. Diese Aufnahmen stehen gegen die sonstige Entfremdung von regnerischen Straßen, der räumlichen wie emotionalen Distanz zwischen den Leuten, den wie auf Autopilot vollzogenen Bewegungen und den leeren Blicken. Peter Kraus spielt einen Taxifahrer mit Dreitagebart und ist alles, nur nicht der strahlende Star, als der er bekannt wurde. Armin Mueller-Stahl versteckt sich unter einem Toupet und hinter einer exzentrischen Brille. Die Leute um einen Stripclub haben sich in sich zurückgezogen und es bleiben nur die Gesten einer allgemeinen Melancholie. Alle sind sie in TAUSEND AUGEN gemeinsam einsam.
Die Exposition entwirft auch keine Geschichte, sondern die Bilder, in denen sich die Figuren leitmotivmäßig wiederfinden werden. In einem getragenen Panoptikum stehen die diversen Figuren nebeneinander und nichts erwächst daraus außer ungerichteter Sehnsucht. Wenn da eben nicht Australien für Studentin/Stripperin Gabriele (Barbara Rudnik) wäre.
Einen dünnen Plot wird es am Ende gegeben haben. Mit ihm wird immer wieder bildgewaltig der Geist des Film noir beschworen. Doch wo in diesem die emotionale Vergletscherung in den Krimi eingeschlossen wurde, da ist er hier nur hauchzartes Gewand. Absurd, fast surreal kommt er in Form von Peter Behrens (Schlagzeuger von Trio und in diesem Film Wiedergänger von Peter Lorre) wie ein Fallbeil langsam von der Decke und nähert sich den Apathischen an. Kaum in der Lage sie treffen zu können.
Tausende fiebrige Augen starren aus den Klappen um die Stripperinnen. Der von Armin Mueller-Stahl gespielte Clubbetreiber wird von einer Überwachungskamera überwacht, während er selbst fast immer einen Bildschirm mit rauschigen Überwachungsaufnahmen neben sich hat. Voyeurismus erwächst aus der Einsamkeit. Substitut für Nähe ist er. Er ist es, der der Verlorenheit ihre Sinnlichkeit gibt. (Wohingegen die nackten Körper ohne solche bleiben und eher Gesten von Traurigkeit sind. Nackte Leiber als Schutzwälle.)
Verbunden ist dieser Voyeurismus aber auch mit einer losen Cinephilie. Wim Wenders wird einmal vor einer Wand von Videos stehen. Bud Spencer und Terence Hill, Adriano Celentano uswusf. bestimmen das Bild und er klaut Filme wie DAS TESTAMENT DES DR. MABUSE (glaube ich erkannt zu haben) aus diesem Laden, weil ein solcher Film vor einer solchen Umgebung gerettet werden müsste. Darin offenbart sich die unter anderem fehlende Offenheit, die TAUSEND AUGEN auch bestimmt. Der gebotene Weltschmerz, in einer Welt wo Verbrecher sich durch tausendfaches Kopieren von Videos auszeichnen und die Welt mit Bildern überschwemmen – sicherlich auch ein Hieb gegen die Filmindustrie –, hat auch etwas entschieden snobistisches.

Sonntag 18.08.

Man’s Castle / Ein Schloß in New York
(Frank Borzage, USA 1933) [dvd, OF] 2

großartig +

Eine Zeltstadt, versteckt im New York der Depression, ist hier Märchenwald, wo ein bindungsscheuer Lausbub (Spencer Tracey) darauf wartet, dass ihm der Kopf gewaschen wird und er das Offensichtliche erkennt. Leider war die Bildqualität aber so schlecht, dass über die wichtigsten Informationen hinweg, kaum etwas zu erkennen war. Zudem fehlten hier und da ein paar minimale Stellen (von nackter Haut), wenn ich mich richtig erinnere. Vll. war es auch eine passende Art den Film eines Filmemachers zu sehen, der sich gerne auf abgespeckte Konzepte zurückzog.

Moonrise / Erbe des Henkers
(Frank Borzage, USA 1948) [dvd, OF]

fantastisch

Was der Titel des Romantikers Hollywood, der dem Mythos nach in der zynischen Nachkriegskinolandschaft keinen Platz mehr fand, wohl bedeutet, wenn sein größter Nachkriegserfolg mit einer der niederschmetterndsten Sequenzen des Kinos überhaupt beginnt und dessen Horror vor allem davon lebt, dass Mitmenschen wie Folterknechte wirken?

Sonnabend 17.08.

Xanadu
(Robert Greenwald, USA 1980) [blu-ray, OmU]

großartig

Ein Soziologe sagte mal: Es gibt zwei große Enttäuschungen im Leben. Keinen Ferrari zu besitzen und einen Ferrari zu besitzen. Denn sind wir im Besitz dessen, was uns ausfüllen soll, entpuppt sich dieses als ebenso leer, wie unser Inneres. Und damit kommen wir zu XANADU. Dieser endet – es ist sicherlich kein Spoiler, dass dieses Musical ein Happy End hat – mit einem verwirklichten Traum. Steif und gesetzt wird eine Show geboten, die nur noch wie eine Pflicht wirkt. Der Siegeszug der von Olivia Newton-John gespielten Muse Kira läutet es ein, aber ist noch anders. Minutenlang wird ihr Gesicht fokussiert. Die Aura einer Muse wird ihr gegeben. Sobald die Realität der Traumerfüllung aber übernimmt, werden die leeren Räume und Hallen, die zuvor den Film bestimmten, mit soliden Dingen vollgestellt. Vorher wurde dort Buntes, Irreales und Verspieltes hinein imaginiert. Dinge, die so solide sind, wie die sie ausdrückenden Gefühle von Inspiration, Liebe und Freude. Und vor allem war niemand daran interessiert, diese Träume gegen die Vorwürfe zu wappnen, dass sie blöd wären. Es ist ein Triumphzug des Naiven, wenn Maler Sonny (Michael Beck) durch die Weiten einer kalifornischen Strandpromenade zieht und nach künstlerischer Erfüllung (in Form von Kira) sucht. Oder wenn Danny (Gene Kelly), der ehemalige Klarinettist von Glenn Millers Big Band, in den Weiten seiner Villa nach der (phantasierten) Erfüllung der Vergangenheit sucht. Oder wenn eine ehemalige Wrestling-Arena darauf wartet, von den Phantasien von heute (Sonny) und gestern (Danny) erfüllt zu werden. Wenn der Club Xanadu am Ende die Türen öffnet und tatsächlich auch die vorher ätherisch gebliebene Kira unter den Lebenden begrüßt werden darf, dann fühlt sich alles gleich viel realer an, weniger halsbrecherisch, weniger verträumt … weil das flexible, austausch- und kombinierbare verschwunden ist. Was sonst nur Potential bleibt, dass ein Happy End nämlich immer den Makel hat, dass die Leute der Geschichte es nicht festhalten gekonnt haben werden, ist hier schon vor Filmende verwirklicht. Wahrgewordene Träume sind trist: Es ist die bittere Pointe eines Films, der ganz dem Träumen verschrieben, aber trotzdem sehr hellsichtig ist.

Freitag 16.08.

Yester – der Name stimmt doch?
(Karl-Heinz Bieber, BRD 1971) [DVD]

ok

Horst Tappert als Gedichte rezitierender Verlierer, der sich in den Armen einer reichen Frau und damit in einer Einöde außerhalb der Stadtgrenzen niedergelassen hat. Seine Ambitionen als Journalist von Rang lässt er langsam versanden. Mglweise versteckt er sich auch vor der Erkenntnis, nichts zu taugen. Als neue Nachbarn das angrenzende Haus beziehen, kommt der Hausmann der Hausfrau von nebenan (Doris Kunstmann) langsam näher. Und das Seltsame ist, dass es funktioniert. Der langjährige Darsteller eines steifen Beamten als von Überdruss Bestimmter, der sich nach Nähe sehnt, ist ebenso eine Schau, wie die Annäherung an sich. Denn diese vollzieht sich von kleinen Schlaglichtern abgesehen außerhalb des Gezeigten. Und auch das, was wir sehen, versteckt sich zart hinter Ästen und Sträuchern. Nur ganz vorsichtig wird den Gefühlen des Glücks begegnet, als ob sie bei Berührung zerfallen würden … was wohl auch keiner der beiden überleben würde. Und gerade wenn sich gewundert werden kann, welche romantischen, luftig leichten Filme im (west-)deutschen Fernsehen möglich waren, kommt die stählerne Krimiwirklichkeit. Die Ehepartner der beiden verschwinden mit einem Schnitt und ohne Vorwarnung aus dem Film. Der Krimi betritt den Film zwar ganz im Sinne des Bisherigen, doch er lässt trockene Ermittlungen folgen. Reden und Ausbuchstabieren folgt. Psychologische Scharmützel, Kleinlichkeit und all das, was der Leichtigkeit der Exposition ein Pfahl durchs Herz zu schlagen vermag. Dass das Ende mit einer zeitlich verknappten, poetischen Ernüchterung aufwartet, entschädigt dann auch nicht mehr dafür, dass das Beamtentum siegen durfte.

Donnerstag 15.08.

Domino
(Brian De Palma, DK/F/I/B/NL 2019) [blu-ray, OmU]

großartig

Wieder einmal im Auftrag von critic.de unterwegs. Hier so viel: Ein Film über Macht, Rache, Dominosteine und einen Tritt in die Eier des Dschihads.

Mittwoch 14.08.

L’auberge rouge / Die unheimliche Herberge
(Claude Autant-Lara, F 1951) [DVD]

gut

Der Anfang scheint uns in eine Märchenwelt mitzunehmen. Eine verhüllte Gestalt wandert zu den Credits durch ein nächtliches Schneegestöber. Mit sich führt sie ein kleines Äffchen. Da es von einem Kind in einem überzeugenden Kostüm gespielt wird, sind lediglich die Bewegungen seltsam, was wiederum das Unweltliche verstärkt. Die beiden befinden sich auf dem Weg zu einer abgelegenen Herberge, wo kurze Zeit später ein älteres Ehepaar und ein Afrofranzose Jagd auf den Affen machen. Mitten durch den Kontrast vom leuchtenden Weiß der Schneemassen und von der Schwärze von Nacht und Wald. Eigentlich ist es kaum zu glauben, aber L’AUBERGE ROUGE erzählt nach diesem Auftakt eine recht weltliche Geschichte … und auch wenn es zuweilen Erinnerungen an THE H8FUL EIGHT hervorruft und mich fast sicher sein lässt, dass Tarantino diesen Film kennt, wird dies keine klaustrophobische Abrechnung. Ein Mönch (Fernandel) wird darin ungewollt zu einer Art Casandra. Die Herbergsbesitzerin beichtet ihm nämlich, dass sie und ihr Mann seit 20 Jahren alle Gäste der Herberge umbringen und berauben. Durch das Beichtgeheimnis ist Fernandels Mönch, der in seinen weltlichen Genüssen ein Vorläufer seines Don Camillos darstellt, nun dazu gezwungen den anderen Gästen – eine Kutsche war im Schnee liegen geblieben – nichts zu verraten. Zwischen den Strategien der Mörder und des Mönchs entspinnt sich so eine nicht wirklich spitzzahnige schwarze Komödie über menschliche Schwächen und liebenswerte Eigenschaften einer absurden Existenz – inkl. Mord als Lebenszweck. Und so wie wir in fast jeden Raum des Hauses gehen, werden alle in irgendeiner, nie garstigen Form an der Nase herumgeführt. Was Spaß macht, aber in seiner Versöhnlichkeit eben auch schnell verstanden ist und dem Film so etwas an Faszination beraubt.

Dienstag 13.08.

El Ángel / Der schwarze Engel
(Luis Ortega, ARG/E 2018) [DVD, OmU]

ok +

Eine überraschend lange Einstellung zeigt einen aus einer Unterhose hängenden Hoden. Die Haut um ihn zieht sich dabei langsam zusammen und deutet auf eine Straffung des mit ihm verbunden Bereichs. Wir sehen wie ein Vater auf einen neuen Freund seines Sohns – sie stehen kurz vor dem Schulabschluss – reagiert und wie dieser wiederum, Carlos (Lorenzo Ferro), fasziniert auf diese ihn betreffende Reaktion schaut. Wenig später wird Carlos das Handtuch öffnen, in das der Unterleib seines schlafenden Komplizen gehüllt ist. Den vor sich liegenden Schritt verziert er exzessiv mit dem gerade erbeuteten Schmuck. EL ÁNGEL erzählt die Geschichte dieses Angeschauten und Beschmückenden. Die Geschichte von jemanden, der für den Reiz lebt, von einem anscheinend Hochbegabten, der von den Möglichkeiten gelangweilt ist, welche ihm die Gesellschaft und das Leben in den Schranken der Moral bieten. Aus diesem Persönlichkeitscocktail entfaltet sich ein Gangsterfilm. Die in den 70er Jahren herrschende Militärdiktatur in Argentinien wird darin zu einer giftigen – die Hauptfarbe des Gradings neben dem Orange ist Giftgrün –, engen Welt und das theorielose, unkonzentrierte Revolte dagegen Einbruch und ein Leben ohne Rücksicht auf Verluste. Die Einbrüche werden durch ihre Choreographie zu schwerem, treibendem Rock Momente der Befreiung. Und auch in der Handlung liegt die Popkultur ständig um die Ecke. Aber eigentlich wird eine Amour fou erzählt, die sich nicht verwirklicht. Alles andere wird zum Ausagieren dessen, was nicht ausgelebt wird und was immer wieder mit großen Gesten (Hoden und Schmuck im Schritt) und der allgemeinen Sinnlichkeit (Ferros Lippen oder schlüpfrige Dialoge) ins Bild gerückt wird. Kurz: EL ÁNGEL könnte ein wirklich toller Film sein, wenn all dies nicht einzelne Posen wären, in den sich der Film gefällt. Wie ein zu spät gekommener Tarantino-Epigon, der nur für hippe Momente lebt, aber trotz einiger faszinierender Augenblicke schal und leer bleibt.

Montag 12.08.

Shadows Over Chinatown / Charlie Chan: Schatten über Chinatown
(Terry O. Morse, USA 1946) [DVD, OF]

uff

Nach acht Filmen ohne ihn kehrt Victor Sen Yung als Jimmy Chan zurück. Doch es ist traurig anzusehen, wie dieser lebhafte Charakter in Tommy Chans Fußstapfen gesteckt wird. Neugierig steht er im Hintergrund, immer bereit sich einzumischen. Nur darf er es nicht mehr. Als straight man wird ihm nur gelassen, die Stichworte für Birmingham Brown (Mantan Moreland) zu geben. Und dessen erzwungene, schrecklich stereotype Infantilität ist herablassend, für uns als Zuschauer, für Moreland als Schauspieler, für Afroamerikaner, die er repräsentiert. Aber all das wäre vll. zu verkraften, wenn SHADOWS OVER CHINATOWN sich einen Ausweg aus seinem Korsett lassen würde. Aber nein. Es wechselt sich immer wieder ab, ohne sich zu vermischen: Ein verschachtelter Krimi – ein hingerotztes Uhrwerk – und Birminghams Eskapaden – wenn Moreland in den Grenzen des schlecht Geschriebenen nicht so sympathisch wirken würde, würde ich sagen hingerotzte Albernheit.

Sonntag 11.08.

Little Man, What Now?
(Frank Borzage, USA 1934) [dvd, OF]

großartig +

Zu Beginn: Eine Kind fällt in eine Pfütze. Es ist das Symbolbild für Lämmchen (Margaret Sullavan) und Hans (Douglass Montgomery*), die sich gerade gegen eine Abtreibung entschieden haben und lieber den beschwerlichen Weg gehen, mitten in der Depression, ohne finanzielle Rückendeckung ein Kind zu bekommen. Wegen dieses hilflosen, süßen Dings im kalten Dreckwasser setzen sie sich und vor allem Hans der Tyrannei und der Erpressungen einer lahmenden Wirtschaft aus. Heißt: Chefs, die einen versklaven wollen, die einen übervorteilen, weil der Nächste schon auf der Straße wartet; das Ertragen unhaltbarer Lebensumstände bei Verwandten, die einen ausbeuten, weil sich kein anderes Heim geleistet werden kann; Freuden wie Karussells, die einem nur kurz von den eigenen Problemen ablenken und noch dazu mit einem schlechten Gewissen zurücklassen; Mitmenschen voller Niedertracht; und ein Arbeitskampf auf der Straße, der von Hass und Verzweiflung angestachelt ist und der durch die gegen ihn gerichteten Polizeistaatsmethoden noch mehr eskaliert. Die Aussicht auf ein Kind legt die Lupe auf eine grausame, unausstehliche Welt.
Am Ende: Ein gerade geborenes Baby greift nach den Fingern des Vaters – nach langer Zeit ist es die erste zärtliche körperliche Geste (zunehmend werden sie in LITTLE MAN, WHAT NOW? spärlicher). Die Märchenpotentiale, welche die ganze Zeit ebenso mitliefen – ein Gauner, der erst als Agent von Korruption und Dekadenz auftrat, spielte kurz zuvor für das Paar den Sankt Nikolaus, der onkelige Pferdetaxifahrer, der ein Paradies der Einfachheit für das Paar bereithält, sprich eine Wohnung über seinem Stall, einen versteckten Ort vor dem Trubel der Welt – all diese Potentiale ersetzen den bisher ausgestellten Galgenhumor vor dem Abgrund und transzendieren die Welt zu einer, die bewältigt werden kann. Es kommt immer darauf an, wie wir auf die Dinge schauen, es ist Warnung und Hoffnung zugleich.
*****
* In Borzages Kino sind zumeist sehr schöne Menschen zu sehen. Douglass Montgomery sieht rein physiognomisch wie Charlie Chaplins Tramp ohne Bart aus. Dafür hat er aber ein sehr spitzes, ausladendes Kinn. In ihm steckt, so wie er inszeniert wird, etwas Klägliches, Verkrampftes, buchhalterisch Kriecherisches. In ihm hat Borzage vll. den perfekten Deutschen für seine Geschichte am Vorabend der Naziherrschaft gefunden.

Magnificent Doll / Die wunderbare Puppe
(Frank Borzage, USA 1946) [blu-ray, OmeU]

gut

Gerade habe ich es bei John Belton in der Ausgabe von HOLLYWOOD PROFESSIONALS zu Hawks, Borzage und Ulmer wieder gelesen: Frank Borzage stelle die Liebe über alles. In MAGNIFICENT DOLL wird dem entgegen eine Liebesgeschichte erzählt, die sich etwas anderem unterordnet, die nur Mittel zum Zweck ist, um nämlich von der Spaltung der USA zu erzählen. Dieses Biopic über Dolly Payne Madison, Frau des vierten Präsidenten der USA James Madison, berichtet von einer jungen Nation voller Hoffnungen und Träume, vom amerikanischen Traum und von der Geburt einer Nation, die hier symbolisch schon lange vor dem Bürgerkrieg vollzogen wird. (In der geschichtsvergessenen Hoffnung, dass für das Zusammenschweißen der Teile keine Gewalt, sondern Vernunft nötig sein wird.)
Bühne der Zerrissenheit der bisher nur marginal definierten Nation kurz nach dem Unabhängigkeitskrieg ist eben die von Ginger Rodgers gespielte Dolly. In ihrer unfreiwilligen Ehe zu John Todd (Stephen McNally), die schnell durch Gelbfieber beendet wird, und in ihrer Zuneigung zu James Madison (Burgess Meredith) und Aaron Burr (David Niven) ist sie eine Frau, die zwischen den Dingen steht. Zwischen den Träumen einer großen, leidenschaftlichen Liebe und der Realität einer befriedigenden Zuneigung, zwischen Rausch und Askese, zwischen Abenteuer und Genügsamkeit, Luxus und Quäkertum, zwischen knisternden Tüllkleidern und den reizlosen Kleidern einer Magd, zwischen exotischen Orten und alltäglichen, zwischen Räumen mit Treppen und ebenerdigen, zwischen Aristo- und Demokratie, zwischen Lebemann Aaron Burr, der sie so manche Aufregung kosten lässt und der Herrscher werden möchte, und James Madison, der im Stillen an der Verwirklichung humanistischer Ideale in einem sachlichen, gerechten, utopischen Staatswesen arbeitet. Ihre Geschichte wird in MAGNIFICENT DOLL zur Geschichte eine Nation stilisiert, die zum tobenden Meer werden könnte oder zum ruhigen Hafen.
Die Künstlichkeit dieser Geschichte ist dabei unübersehbar. Ein nächtlicher Fluss ist während der Gelbfieber Epidemie von einem unheimlichen Rauch bedeckt, Ginger Rodgers rezitiert ihre theatralischen Dialoge theatralisch, Burr entführt sie in eine Welt, wo romantische Romane wahr zu werden scheinen (inkl. Barschlägereien, die nach Piratenfilm aussehen), oder Madison ruht lächelnd in seiner Utopie, die von keiner Wirklichkeit beschmutzbar ist. Und doch steckt in all diesem die Realität einer uneinigen Nation, eines Melting Potts, in dem sich die zähflüssigen Einzelteile nur schwerlich vermischen wollen. Die wahre Irrealität/Utopie steht am Ende, wenn Dolly Madison mit einer Brandrede einen Lynchmob beruhigt und dabei die Thesen und Antithesen ihres Seins, ihrer Kleidung und ihres Umfelds vereint und zum bedachten, aber leidenschaftlichen Kämpfer für eine bessere Welt wird. Einen Kämpfer, den der USA zu wünschen ist.
Wie bitter und ironisch ist es deshalb, dass MAGNIFICENT DOLL in all seiner Schönheit im Gegensatz zu all den anderen mir bekannten Borzage-Filmen so aufgeräumt und klar wirkt. Da wo sie gerade Ende der 20er/Anfang der 30er zu platzen scheinen, da ist hier alles ordentlich, wie in einem geharkten Steingarten.
*****
Ich kenne die deutsche Synchronfassung leider nicht, aber ich hoffe doch sehr, dass in dieser Doll als Koseform für Dolly wie beim Titel auch stupide wortwörtlich in Puppe übersetzt wurde. In meiner Vorstellung ist das infernalisch.

Sonnabend 10.08.

Tarzan and His Mate / Tarzans Vergeltung
(Cedric Gibbons, USA 1934) [DVD, OmeU]

nichtssagend

Warum ist Jane bei Tarzan geblieben? Um diese Frage zu beantworten, scheint TARZAN AND HIS MATE ausgezogen. Was heißt, dass gerade die Exposition jede Menge Schmier auffährt. Hier ein neuer Kolonialist (Paul Cavanagh), der voll Witz und Aufdringlichkeit Jane Sex und schicke Klamotten anbietet und ihre nackte Silhouette beobachtet, dort die an die kommenden Esther Williams-Filme erinnernde Unterwasseraufnahmen einer nackten Jane, die mit Tarzan in der Natur aufgeht. Doch statt den Widerstreit aus (weiblicher) Dekadenz und Authentizität, aus Mutterinstinkt und geiler Unterordnung unters Patriarchat auszuloten, bleibt es eben bei der nahtlosen, kaum noch kontextualisierten Wiederholung eines Bilds von Afrika, wo Afrikaner wahllos getötet, in den Tod geschickt und gepeitscht werden können … und wo alles Bedrohung ist. Die humanistische Antwort auf die einführende Frage bleibt so nur eine Fragmentierte, die die Augen vor all dem Perversen des Grunds der Thematik verschließt.
Ein Grund für die TARZAN-Filme sind die Körper kaum bekleideter Muskelmänner, die simpel und triebgesteuert, aber sanft sind. Gerade ihre sagenhaft gründliche Enthaarung, um sie von den Affen abzuheben, und Weißmüllers Physiognomie und Körperbau – ein Kind mit dem Körper eines Kühlschranks – finde ich aber äußerst unerotisch. Diese protofaschistische (siehe MÄNNERPHANTASIEN von Klaus Theweleit) Sauberkeit mit den mitschwingenden Inzestphantasien (Jane ist zugleich Tarzans Mutter und Geliebte (und Damsel in Distress)) ist sicherlich sehr interessant, aber als sinnliche Komponente des Films?

7th Heaven / Das Glück in der Mansarde
(Frank Borzage, USA 1927) [DVD, OZ]

fantastisch

Romantik, Tod, Sex, Liebe, Trauma, Regress, Verdrängung, Absurdität, soziales und politisches Problembewusstsein, Sinnlichkeit und Ratio – in ihrer Vielfalt sind die einzelnen Filme, wie das gesamte Werk Borzages, wie ich es mir langsam (und wohl nie vollständig) erschließe so viel reichhaltiger und gebrochener, als die Bilder, die ich mir bisher von ihm machte und die ich bisher präsentiert bekam. Gerade die ewigen Vergleiche von 7TH HEAVEN zu SUNRISE sind so irreführend, dass ich überrascht war, was für einen Film ich hier nun wieder bekam. Vergesst das Gerede vom sentimentalen Romantiker Hollywoods, dies ist nur eine kleine Ausprägung seines vielgestaltigen Opus.

Freitag 09.08.

Tarzan the Ape Man / Tarzan, der Affenmensch
(W.S. Van Dyke, USA 1932) [DVD, OmeU]

gut

Wer hätte es gedacht: TARZAN THE APE MAN ist bei allen Fantasyelementen eine durchaus treffende Darstellung von Kolonialherrschaft in Afrika gelungen. James Parker (C. Aubrey Smith) und sein Assistent Harry Holt (Neil Hamilton) ziehen in die unerforschten Tiefen des afrikanischen Dschungels, um mit dem Elfenbeinschätzen eines Elefantenfriedhofs reich zu werden. Oder übersetzt: Kolonialisten nehmen ein Land in Kauf, das ihnen fremd ist und das sie hassen, um sich zu bereichern. Nie staunen sie. Bestenfalls schauen sie herab, zumeist greifen sie aber zum Gewehr, denn zuerst ist alles Bedrohung. Die Afrikaner werden wie Packtiere behandelt, die ständig zu peitschen sind und deren Leben nicht von Bedeutung ist, oder wie Raubtiere, die es zu töten gilt. Gleich zu Beginn wird es wunderschön in Szene gesetzt: Wenn James Parker seiner frisch angekommenen Tochter Jane (Maureen O’Sullivan) die Welt außerhalb seiner Hütte zeigt, dann laufen sie höchst künstlich vor Rückenprojektionen ethnographischer Aufnahmen entlang. Ganz wortwörtlich lassen sie sich nicht auf Realitäten ein, sondern reagieren auf ihre Projektionen.
Neben anderem haben wir es derart mit einem antirassistischen Film zu tun, auch wenn das Mittel der Wahl, wenn es am deutlichsten wird, nicht unproblematisch ist. Denn in einem engen Zeitfenster fällt der Mord an Menschenaffen und die Entmenschlichung der Afrikaner zusammen. Parker und Holt erschießen einen Gefährten Tarzans (Johnny Weissmüller), nur um kurz darauf das auszusprechen, was unübersehbar ist, dass nämlich Afrikaner für sie nichts als Tiere sind. Als Tarzan in Folge des Mordes den Treck anzugreifen beginnt, weißt Jane daraufhin, dass die beiden vll. der Meinung sind, nur ein Tier getötet zu haben, für Tarzan aber ist eine Person sinnlos erschossen worden. Da wo die einen nur Affen (in Menschen und Affen) sehen, sehen die anderen Menschen (in Menschen und Affen) … womit die Affen als Sinnbild für die Menschen Afrikas dienen: eben ein nicht ganz einfaches Bild.
Aber mit dialektischen Feinheiten wird sich eh nicht aufgehalten. Das Bild wird ganz der Projektion gelassen. Die Reise in ein exotisches Land dient dem Nervenkitzel, weshalb die Feinde überall lauern. Die Flora, die Fauna und die menschenähnlichen Wesen, sie alle bilden den seltsamen Fetisch, gegen den sich Minute um Minute zur Wehr gesetzt werden muss. Die oberflächlichen Ausprägungen der Geschichte wandeln sich zwar, aber die Dynamik liegt darnieder, weil immer wieder das Gleiche geschieht … was die Darstellung der Herrschaftsverhältnisse nur immer bestialischer macht. Gegen Ende greift ein Stamm Kleinwüchsiger die Safari an. Jane fragt, ob dies Pygmäen seien, worauf ihr Holt kurz angebunden antwortet: No, they’re dwarves. Dem Geschehen wird einfach keine Form von Würde gelassen.
Ansonsten ein Film über einen Vater, der den Geliebten seiner Tochter als atavistischen Wilden sieht, über eine Frau, die sich in die Einfachheit zurückzieht – lieber einen sanften Fleischberg, als toxische Zivilisierte, lieber eine Familie aus Mann, Frau und Affe, als all die Unwägbarkeiten komplizierter Gesellschaften, lieber Authentizität, als einen nicht ausfüllenden Glamour –, und ein Film über die Meisterung der Natur, die, wenn in ihr aufgegangen, ein Ort zur Möglichkeit für Turnübungen ist.

Donnerstag 08.08.

Liliom
(Frank Borzage, USA 1930) [DVD, OmeU]

verstrahlt +

Ein Film, wo sich Schläge von geliebten Männern wie Küsse anfühlen. Ein Film, wo selbst die Verdammung in die Hölle eine spaßige Angelegenheit ist. Ein Film, wo die Anspruchslosigkeit der Liebe einen unsicheren Macho in eine Leere versetzt, die ihn auffrisst. Oder anders: Was ist das nun schon wieder?
Julie (Rose Hobart) liebt Liliom (Charles Farrell), ohne Wenn und Aber. Sie liebt ihn, bevor sie auch nur ein Wort mit ihm gesprochen hat und er für sie nur der Ausrufer und Platzanweiser eines Karussells ist. Sie liebt ihn, wenn er ihr gesteht, dass er Frauen eigentlich nur ausnimmt. Sie liebt ihn, wenn er sie schlägt und ihre Tante ihm und ihr ständig vorwirft, dass er nur im Wohnzimmer und ihnen auf der Tasche liegt. Sie liebt ihn, wenn er nach einem missglückten Überfall tot ist und sie quasi mit einem Kind zurückgelassen hat. Sie liebt ihn Jahre nach seinem Tod. Sie liebt ihn, bevor der Film angefangen hat und nach dem er vorbei ist. Sie liebt.
Wenn die beiden ihren ersten Abend gemeinsam auf dem Jahrmarkt verbringen und sie ihr erstes Bier trinkt, weil er es tut, dann kommentiert sie überrascht, wie bitter dies ist. Ein Ausblick auf ihre Liebe wird so geboten. Wenig später wird Julie zudem in einer Glamourgroßaufnahme zu sehen sein. Eine Aureole der Liebe geht blendend von ihr aus. Es scheint aber nicht der Blick von dem ihr gegenübersitzenden Liliom auf sie zu sein. Seine Wahrnehmung ist immer zuerst einmal auf sich gerichtet. Außerdem fehlen dafür die Gegenschüsse, die den Blick als seinen identifizieren würden. Passender ist, dass dies ihr Blick auf sich selbst ist, dass ihr Gefühl dargestellt wird, wie sie in ihrer grenzenlosen Liebe aufgeht, wie sie sich in dem Gefühl gefällt, bedingungslos zu lieben. Nicht ganz klar ist diese gewöhnliche Einstellung eines Liebesfilms. Ihr Strahlen der Liebe macht die Ränder von Julie in mehreren Hinsichten unscharf. Sehen wir also ein Melodrama ohne Fallhöhe, weil ihre Liebe nie bedroht ist, oder doch eine Dekonstruktion, wo ihre selbstgenügsamen Gefühle einen selbstgefälligen Touch haben und wo sich ihre Rolle* als liebende Frau selbst in Frage stellt?
Oder doch gleich eine Satire auf Prolls wie Liliom? Liliom wird jedenfalls wie ein Kasper dargestellt, den wirklich nur Julie lieben kann – weil sie eben nicht anders kann. Seine Arroganz ist nur Unsicherheit, über die er trostlos dahinplappert – ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass Charles Boyer in der wenig später entstandenen Version des Stoffes auch nur ansatzweise fähig ist, einen solchen Lackaffen zu spielen, wie es Charles Farrell hier tut. Seine Gewalt klägliche Überforderung. Und wenn er tot ist, dann ist er von Gestorbenen umgeben, die ihre weltlichen Identitäten wie ein Witz aussehen lassen. Ob es nun der Reiche ist, der sich beim Engel beschwert, dass er mit Armen und Afroamerikanern zusammensitzen muss, oder die Selbstmörder, deren Gesichter geradezu absurd selbstmitleidig sind. Überall jedenfalls Pointen auf seine Kosten und auf seinesgleichen. Selbst wenn er zur Hölle fährt, die Marker des Unernstes sind überall.
Wenn Liliom bei Julie zu Hause auf der Couch liegt und die Tage verschläft, dann ist hinter ihm, in einem riesigen Panoramafenster der Jahrmarkt mit seinen leuchtenden Attraktionen zu sehen. Seine Leidenschaft steht in diesen Bildern, aber auch seine Unfähigkeit den Trieb abzuwerfen, immer nur im Kreis zu fahren. Emotional ist er ein Hamster in einem Rad. Immer wieder wird er sich an Bahngleisen befinden, die ihn einerseits in eine bessere Zukunft davontragen können, die stets aber auch Gabelungen aufweisen: Er muss sich entscheiden … und daran wird er ebenso leiden, wie an der Bedingungslosigkeit der Liebe Julies.
Besagte Couch steht in einem Loft. Die Decken sind in der Halle kaum wahrzunehmen, die Wände weit auseinander. Die Liebe Julies lässt ihm allen Platz der Welt, was sein schlechtes Gewissen nur vermehrt. Er wartet auf die Vorwürfe, spricht sie für Julie aus, aber von ihr werden sie nicht kommen. Er könnte sein, wer er möchte, und das macht es für ihn nur unerträglicher, dass er ist, wer er ist. So sehr er vom Film verlacht wird, so sehr wird sein existentielles Leid anerkannt … und im Grunde fällt beides zusammen: er ist ein armer Tropf, der seine Liebe im Gegensatz zu Julie nicht transzendieren kann, der kein Glück außerhalb von sich selber findet.
LILIOM spielt in einer expressiven Welt. Die Realität von Jahrmarkt, Wohnung und Umland sind kaum weniger phantastisch, als es die Welt des Nachlebens ist, in dem Züge durch die Wolken am Himmel fahren und die Toten ihrer Bestimmung zuführen. Untrennbar liegen Reales und Irreales zusammen. Sie sind lediglich zwei Ausprägungen einer entworfenen Welt. Und so weist die Fiktion auch immer wieder auf ihre Konstruktion. So sehr LILIOM geradlinig und ernstgemeint ist, so sehr steckt er voller Brüche, die eine Auseinandersetzung mit seiner Beschaffenheit geradezu herausfordern. So sehr es ein Film über das Leiden an der Liebe ist, so sehr ist es auch ein Film über eine Frau, die froh sein kann, dass ihr Geliebter nicht bei ihr ist – das wird offensiv die Lehre des Textes LILIOM sein. Liebe zu einer Idee ist hier wichtiger, als zu einem realen Ding … und da wird es eben fragwürdig. So herzzerreißend schön es inszeniert ist, so spielerisch und verspielt ist es auch. Nur eines steht durch den lockeren Ton fest: So oder so, wer wir sind, sollte kein Grund sein, zu verzweifeln. Wenn wir dieses Leben hinter uns haben, war es eh nur ein unbedeutender Scherz.
****
* Als Frau, die Schläge über sich ergehen lässt, weil sie erkennt, dass Liliom an sich leidet und mit sich nicht klarkommt und weil sie die Liebe ihn über sie stellen lässt. Schon weil sie Frauen in einem Liebesfilm ist: Es gibt für sie keinen Weg aus ihrer Haut (d.h. aus ihrer Liebe) herauszukommen.

Mittwoch 07.08.

The Red Dragon / Charlie Chan in Mexico
(Phil Rosen, USA 1945) [DVD, OF]

nichtssagend

Victor Sen Yung war als zweiter Sohn Jimmy Chan meist der heimliche Star der Charlie Chan Film mit Sidney Toler bei 20th Century Fox. Hier beim von Monogram produzierten THE RED DRAGON wurde seine Rolle durch ein Duo ersetzt. Benson Fong spielt Sohn Nummer 3 Tommy Chan als straight man, während Willie Best den durch Einfältigkeit, Ängstlichkeit und Erotomanie bestimmten witzigen Part des Chattanooga Brown übernimmt. Dass sie nicht so glänzen, liegt aber weniger an ihnen, sondern an dem Drehbuch und den scheußlichen Dialogen. Jeder Verve und alle Nuancen werden fallengelassen und im Grunde gibt es nur Sprüche, die Niedertracht und Dummheit mit einer Garantie auf Lacher verwechseln – es ist spannend zu beobachten, dass die Dialoge sich tatsächlich noch unangenehmer anfühlen können, als all der Rassismus, der bei Chattanooga Brown mitschwingt.
Bei den wenigen Dingen, die ich über den Wechsel der Reihe zu Monogram gelesen habe, wurde stets erwähnt, dass die production values nicht mehr mithalten konnten. Bei diesen einem Monogram-Charlie-Chan-Film ist davon nur am Rand etwas zu merken. Wie sehr die Qualität des Drehbuchs abfällt, ist da viel eindringlicher. Hinzukommt eine Inszenierung, die nichts weiter aus dem Script herausholt, als Leute in Räume zu stellen … und die nur in den wenigen comichaften Einstellungen von Augen so etwas wie Eloquenz erkennen lässt. Augen von Leuten, die sich vor Leuten verstecken, die sich vor Leuten verstecken, die sich vor Leuten verstecken, oder Augen von Leuten, die in einer schnellen Abfolge von Großaufnahmen abschätzen, was die anderen im Raum über sie wissen … aufgerissene, expressive Augen eben, die ebenso sprechen, wie die Münder.
Den schönsten Moment gibt es gegen Ende. Dort setzt Charlie Chan zum großen Erklärbärmonolg an, es hört ihm aber niemand zu. Verwirrt bricht er ab und muss vll. verstehen, dass es nie wirklich um Kriminalfälle ging.

Dienstag 06.08.

Derrick (Folge 206) Isoldes tote Freunde
(Helmuth Ashley, D 1991) [DVD]

großartig

Eine Folge voller schmieriger Lüstlinge, Grinsebären und fanatischen Mittelmäßigen, die das Geniale beschützen wollen, weil sie es selbst nicht in sich tragen. Jede Figur ist dabei auf ihre Weise aufdringlich. Und in der Mitte von ihnen steht die junge Klavierspielerin Isolde (Juliane Rautenberg), deren Talent es zu sein scheint, sich zu öffnen – der klassischen Musik, die inspirierend aus ihren Fingern kommt, und den Männern, mit denen sie schläft, ohne sich dabei emotional zu sehr zu involvieren. Zwei Szenen stechen dabei heraus: die lüsterne, wenn sie Musik im Auto hört und die Lust sich wallend als fiebrige Doppelbelichtung über sie legt und Musik und Sex zu einer Einheit werden; und die komische, wenn Derrick sie vorsichtig nach ihrer Beziehung befragt, dabei sich nicht traut direkt zu werden, und als Antwort nur unbeteiligte Jas und Neins bekommt, die ihn enerviert all die Details ausspucken lassen, der er habhaft würde, und auf die er nur unbeteiligte Jas und Neins bekommt, weil die Auswirkungen von Sex und Tod Isolde einfach nicht tangieren wollen.

Montag 05.08.

The Mortal Storm / Tödlicher Sturm
(Frank Borzage, USA 1940) [DVD, OF]

großartig

Der Titel ist eine Mogelpackung. Am Ende wird James Stewart eine Leiche in seinen Armen halten. Die Wirkung ist aber eine ungleich andere, als wenn dies Gary Cooper am Ende von A FAREWELL TO ARMS ebenso tut. Am Tag, als Adolf Hitler von Hindenburg zum Kanzler ernannt wird, startet die Geschichte von THE MORTAL STORM in einer bayrischen Stadt in den Alpen. Bis der Film endet wird der Faschismus der Nazis nicht aufhören zu spalten. Die Familie eines jüdischen Professors, die Gesellschaft, sich selbst. Aus bevölkerten Einstellungen werden im Laufe des Films Einstellungen von Paaren … und in seiner Strategie, den unauflöslichen Rest zu eliminieren, richten sich dann auch die Nazis, welche in THE MORTAL STORM noch keine Comicfiguren, sondern tatsächliche Menschen sind, gegeneinander. Immer wieder werden sie untereinander jemanden mit Zweifel oder nicht ganz korrekten Ansichten finden, gegen den sie sich wenden müssen. Und wenn sich die Stimmung von Ausgrenzung und Gewalt, von Angst und Alleinsein im Wahnsinn ausgebreitet hat, wenn immer weniger Leute in der Stadt anwesend zu sein scheinen, dann hat dieser finale Tod keine große Liebe beendet, sondern nur noch eine weitere Leiche produziert. Es gibt keinen Sturm in THE MORTAL STORM, sondern einen Treibsand, der einen langsam mürbe macht … und die Rettung nur in Erinnerungen finden kann, die sich über Bilder legen, in denen niemand mehr ist.

Sonntag 04.08.

Lucky Star
(Frank Borzage, USA 1929) [DVD, OZ]

großartig +

Als der aus dem Ersten Weltkrieg im Rollstuhl zurückgekehrte Tim Osborn (Charles Farrell) das zu bändigende Tomboy-Mädchen Mary (Janet Gaynor) umarmt und sich das erste Mal seiner entstandenen Liebe gewahrt, da wird mit einer einfachen Erkenntnis aus dem Glück ein Schrecken. Aus seinem glücklichen Gesicht wird ein entsetztes. Es wird nie gesagt oder bestätigt werden, aber am wahrscheinlichsten ist wohl, dass er sich in diesem Moment seiner Impotenz bewusstwird. Die renovierungsbedürftigen Häuser der beiden – und kaum einen anderen Spielort wird es geben – sind dabei von einem engen, unwegsamen Pfad getrennt, der durch einen heruntergekommenen Zaun flankiert wird. Nach dem Krieg spezialisiert sich Tim darauf, kaputte Dinge auf Vordermann zu bringen. Durchzogen ist LUCKY STAR von Armut, Beklemmung und Verbogenem … und dem Willen Dinge zu verbessern. Nicht nur oberflächlich, sondern eben auch in sich. LUCKY STAR ist in seinem moralischen Kampf um Wertigkeit so vor allem auch der mythologisch überhöhte Kampf eines Mannes mit/um seinen Penis.

Saikaku ichidai onna / Das Leben der Frau Oharu
(Mizoguchi Kenji, J 1952) [blu-ray, OmeU]

gut

Ob gewollt oder nicht, THE LIFE OF OHARU steht in der Nähe von einem Tendenzroman wie JUSTINE ODER VOM MISSGESCHICK DER TUGEND. In kurzen Episoden, die zwischen Niedergeschlagenheit und Humor durch die Absurdität dieser sich so ernst nehmenden feudalen Gesellschaft pendeln, sehen wir in kurzer Abfolge diverse Ausprägungen von Hoffnung für Oharu (Tanaka Kinuyo) und die Zerschlagung derselben. Wir verfolgen so ihren Abstieg von einer Adelstochter zur verarmten Prostituierten. Anders als bei de Sade wird aber nicht penetrant darauf hingewiesen, was der Fehler von Oharu ist. Ist es eben Pech, die jeweilige Folge des Nichtbefolgen ihrer Ideale, ihr Stolz oder doch nur eine Welt der Männer, die sie begehren und beide damit ins Unglück reißen oder sie als Mensch nicht wertschätzen. So oder so, die stete Abwärtsbewegung wird mit jeder Episode skizzenhafter, flüchtiger und wirkungsloser. Als ob auch Oharu die Hoffnung fahren lässt und alles nur noch mit der Anmut der Bilder erträgt.
*****
Zu Beginn gibt es zudem einen kleinen Insiderwitz. Die alten Prostituierten, die den Film eröffnen, unterhalten sich und meinen in Bezug auf ihren Misserfolg des Abends, dass eine 50-Jährige eben nicht mehr zu einer 20-Jährigen zurückschminkt werden kann. Und doch wird Tanaka Kinuyo mit ihren damals 40 Jahren eine Frau spielen, die lange Zeit weniger als 18 Jahre alt ist.

The River / Die erste Frau im Leben
(Frank Borzage, USA 1928) [DVD, OZ, ł]

großartig

Der Anfang, das Ende und zwei Rollen mittendrin scheinen auf ewig verloren zu sein. Der erhaltene Torso, der mit erklärenden Zwischentiteln und Fotographien aufgefüllt wurde, lässt mich ein wenig ratlos zurück. Einerseits ist hier eine Tendenz der Filme Borzages, die ich bisher sah, am deutlichsten: Dass Glück und Happy End nämlich mit einer seelisch-moralischen Reinigung einhergehen muss. Erst wenn Hurerei, Alkohol und Schuld durch eine symbolische Tat abgewaschen wurden, kann wahre Liebe und Glück erreicht werden. Da wo sich in Preston Sturges THE LADY EVE über den Jüngling in seiner unschuldigen Jungfräulichkeit etwas lustig gemacht wird, da ist diese hier Vorbild, dass die gefallene Dirne aus ihrer Welt mit Sex und Unaufrichtigkeit retten muss. Das (kirchliche) Korrektiv, dass seine Werte durchgesetzt sehen möchte und die scheinbar Unanständigen und vor allem Sex habende Frauen brutal ausschließt, ist kaum zu übersehen.
Mal davon abgesehen, dass ihm irgendwie die Anmut fehlte und ich eher auf eine Produktion in den frühen 20ern getippt hätte – ich glaube, die Version auf der britischen DVD (wo er mit LUCKY STAR und LILIOM zu finden ist), die ich sah, war schlicht einen Tick zu schnell abgespielt (als ob er mit 22 Bildern in der Sekunde aufgenommen, aber mit 25 Bildern/s abgespielt wurde), es wäre zumindest mein jetziger Erklärungsansatz –, also abgesehen davon, ist er aber vor allem ein lyrischer Film. Alleine die Bilder: Eine Frau (Mary Duncan) wird von einem Raben begleitet, der sie als dämonisches Gewissen (von der Gesellschaft verabreicht?) überwacht; ein Mann (Charles Farrell) lässt sich einen Fluss hinabtreiben und sieht für die Frau im ersten Moment wie eine gekreuzigte Leiche aus. Wenn hier ein Naturbursche auf die Gefallene aus der Stadt trifft, dann sieht es wie eine romantische Geschichte nach Edgar Allen Poe aus.
Die engstirnigen Potentiale des Ganzen bleiben so auch nur Teil der Potentiale, weil trotz martialischer Symbole wie das Reinwaschen es auch so ist, dass das Leben, gerade in den späten Stummfilmen Borzages, wie ein Jammertal erscheint. Der Mensch ist in ihnen grundsätzlich Kämpfender und Verlorener. Und wenn das Happy End dann wie ein Wunder scheint, dann sind die Figuren gerade durch eine todesähnliche Erfahrung gegangen. Zunehmend scheinen sie mir eben wie verzweifelte Geschichten aus dem Totenreich – von Leuten, die die gesellschaftlichen Grundlagen, und damit auch die moralischen, als Zwang einer engen, lebenswidrigen Umwelt erfahren.

A Home with a View
(Herman Yau, HK 2019) [stream, OmU]

großartig

Ziemlich köstlich ist gleich zu Beginn, wenn die Themen Enge im viel zu geringen Wohnraum und Überforderung durch Nähe eingeführt werden, dass der erwachsene Sohn (Ng Siu-hin) der porträtierten Familie springen muss, um mit den Besen gegen die Decke zu klopfen, weil dort Lam Suets Metzger wie jeden Abend sein Schweinefleisch enervierend zu Schweinepastete kleinhackt. Hongkongs Vermieter scheinen sich – zum Glück – noch nicht durch das Frühwerk von Genesis gehört haben. Was hier aber ganz kurz wie Jammern auf hohem Niveau wirkt, geht in der Masse dessen unter, was A HOME WITH A VIEW sonst so auffährt: Illegale Wohnheime, in die selbst Ehepaare mit Job einziehen müssen; absurde Formen von Ausbeutung, wie Aufpreis für eine Wohnung mit eigenem Klo, dass dann auch noch verstopft ist … aber wo soll denn sonst hingegangen werden; eine Bürokratie, die jede Verantwortung wegschiebt und die den Film u.a. auch zu einer weiterführenden Suche nach dem Passierschein A38 macht; die Geruchs und Tonkulisse der umliegenden Wohnungen; die ständigen Marker von Selbstmord, Armut und Einsamkeit in der anonymen Großstadt; Scopebilder, die keine Weite bieten, sondern immer noch eine Ecke aus der jemand vorprescht, der die unzähligen Problemlagen noch mit seiner anreichert; und natürlich und am meisten das ewigen Pöbeln, Zetern und Maulen von allen, die schon lange so entnervt sind, dass sie zu keiner Rücksicht mehr im Stande sind. Hongkong wirkt, mehr als sonst schon, wie eine menschliche Sardellendose … und A HOME WITH A VIEW deutet mehrmals an, dass es den von Galgenhumor getriebenen Ulk auf dem Rücken von ziemlich unschönen Themen zu einem versöhnlichen Ende führen könnte. Das Happy End, wo alle die Perspektiven der anderen und den damit verbundenen Schmerz verstanden haben, wo alle Freunde werden, es liegt immer um die nächste Ecke. Aber ebenso konstant wird die andere Abbiegung gewählt. Statt Liebe, Friede und Verständnis wird lieber eine Familie gezeigt, die gerade in ihrer Vereinigung in den Wahnsinn abdriftet … gorige Entbindungen in Schulklos inklusive. Die derben Potentiale des Menschseins werden in diesem riesigen Spaß aktiviert werden … und jeder kann sich daran erfreuen, dass er nicht alleine ist.

Sonnabend 03.08.

A Farewell to Arms / In einem anderen Land
(Frank Borzage, USA 1932) [blu-ray, OF]

fantastisch

Eines der vielen eindrücklichen Bilder von A FAREWELL TO ARMS zeigt eine Rückwärtsbewegung der Kamera. Erst sehen wir Soldaten und Artillerie durch ein Fenster (wohl) gen Front ziehen. Wenn die Fahrt der Kamera zu Ende ist, dann sitzt vor dem Fenster, wo immer noch gen Unheil marschiert wird, der Rotkreuzsoldat Frederic (Gary Cooper) vor dessen Gesicht ein Frauenfuß wedelt, den er liebkosen und küssen wird. Irgendwie muss sich ja damit arrangiert werden, dass Welt und Leben ein einziger Aufruhr sind, etwas, das einem an der Seele frisst und einen schließlich körperlich oder moralisch töten wird. Die Kraft von Borzages Filmen im Allgemeinen und von A FAREWELL TO ARMS im Speziellen ist, dass Liebe einem tatsächlich Sinn und Erfüllung bieten kann. Dass sie etwas Kostbares und dabei doch Fragiles ist, dass sie einen befrieden, aber auch umso mehr zerstören kann. Wenn Frederic am Ende Peace! Peace! ruft, dann ist es eines der herbsten Filmenden jemals … weil sich hier Hohn und die Erkenntnis verbinden, dass sich Ruhe vll. doch nur im Tod finden lässt und dass die Liebe ein noch viel größeres Jammertal sein kann, da sie ihr Nektar nicht ewig fließen wird.

Mile 22
(Peter Berg, USA/CHN 2018) [blu-ray, OmeU]

ok +

Überwachungskameras, Satellitenbilder (mit Wärmebild), GPS-Aufklärung und Hightech-Routenplaner, jegliche Information auf Rechnern weltweit uswusf. stehen einem ultrageheimen Einsatzkommando, einem MISSION IMPOSSIBLE-Klon, zur Verfügung. MILE 22 erzählt von 22 Meilen, die dieses Team zurücklegen muss, um einen Doppelagenten durch die Straßen eines korrupten, asiatischen Staates in ein Flugzeug Richtung USA zu bringen und so die Möglichkeit zu haben, höchstgefährliche Stoffe sicherzustellen. Der Geheimdienst des Staates mag dies nun gerne verhindern und der russische Geheimdienst hat auch noch ein Hühnchen mit unserem Team zu rupfen. Diese 22 Meilen werden eine schier endlose Strecke werden.
Die Welt ist für das Team also (fast) ein offenes Buch. Nur: Die entsprechenden Informationen müssen entdeckt, verarbeitet und richtig eingeschätzt werden. MILE 22 ist dergestalt ein Film des Informationsüberflusses – nicht nur für die Protagonisten, sondern auch für den Zuschauer. Ständiges Reden und Durcheinanderreden, die Schnitte, die rasend hin und her springen zwischen kleinsten Information vor Ort, zwischen diversen Orten und Zeiten. Hier ein Informationsschnipsel, da ein Informationsschnipsel und vor allem gibt es keine Zeit dies alles zu verarbeiten. Einerseits ist die Story grob und nicht schwer zu durchschauen, andererseits ist alles dermaßen vollgestellt, dass ich nicht vage zu sagen, dass ich den gebotenen Text von MILE 22 bei dieser ersten Sichtung verstanden habe.
Die Actionszenen sind dementsprechend fast schon avantgardistisch geschnitten. Heißt: schnell, wild und keinen Raum erstellend. Eindrücke nieseln nieder wie Regentropfen bei Platzregen. Spürbar sind die körperlich ausgetragenen Kämpfe aber unterschiedliche choreographiert. Drei Choreographen sind laut Abspann am Werk gewesen und sicherlich liegt es in der Hand des Schnitts, aber die Kämpfe von Iwo Ukais sind über eine basale Ebene hinaus noch am nachvollziehbarsten und tatsächlich fast so etwas wie genießbar. Ukais hat mit dem Entwurf seiner Kämpfe so mit zu verantworten, dass seine Figur, die die Strippen im Hintergrund zieht, selbst im Wust der Körper und Einschläge nicht ganz so verloren aussieht. Ob clever oder Zufall sei dahingestellt, die Informationslage ist jedenfalls an allen Orten des Films schief … und die fatale Stimmung von MILE 22 läuft darauf hinaus, dass keine Informationsflut für umfängliches Wissen sorgen kann, dass es nicht jemanden gibt, der mehr weiß und dich mit Informationen manipuliert. Es ist eine ganzheitliche Dystopie: Hier der gläserne Bürger, der nichts verstecken kann, dort der Herr über die Informationen, der nie unfehlbar und untäuschbar wird.
Und doch herrscht die Hoffnung, dass es möglich ist, erfolgreich durch diese unübersichtliche Welt durchzukommen und die Nase vorn zu behalten. Anders als Ethan Hunt versucht dies James Silva (Mark Wahlberg) aber nicht mit geistreichen Plänen, Improvisationstalent und den richtigen Helfern, sondern mit Druck, Zwang und dem Beschwören eines Elitegeistes, der ständig nach der Auslöschung oder Verleugnung der eignen gesellschaftlichen Identität – Pässe werden verbrannt, Sorgerechtsstreits verloren, Arbeitsverträge gekündigt – zum Wohl des Vaterlands verlangt. Selbst ein Getriebener, der ständig unter Strom steht, Schimpftirade an Schimpftirade reiht und sich symbolisch überhöht ständig selbst minimal mit einem Gummiband geißelt, das er ein ums andere Mal gegen seinen Unterarm schnipsen lässt, macht er aus MILE 22 nicht nur einen frustrierenden Film, sondern einen des Frusts. All der Spaß der Geschwindigkeit von CRANK wird hier unangenehmer Druck, da es Misserfolg nicht geben darf – die freie Welt steht auf dem Spiel. Symbolisch steht hierfür der Subplot einer Hackerin, die nur kurze Zeit hat eine Festplatte zu entschlüsseln. Immer wieder sehen wir sie mit neuen Erkenntnissen und neuer Zuversicht zwischen den anderen Handlungen. Zum Zeitpunkt ihres Scheiterns war sie lange nicht mehr zu sehen. Sie ist einfach aus dem Film verschwunden. Wertlos geworden.
Wenn James Silva am Ende auf einem Berg von Misserfolgen und Leichen steht, wird er zuversichtlich sein. Zuversichtlich, dass sich alles gelohnt hat, dass es eine neue Chance geben wird, dass noch nichts zu Ende ist. Dies ist kein Betteln um eine Fortsetzung, sondern der Geist, der ihn antreibt und der das Frustrierendste an diesem unangenehmen, hellsichtigen und vll. auch einfach nur nervigen Film ist – der als Actionthriller kaum funktioniert, aber schon eher als Film über vital social issues and stuff.

Freitag 02.08.

Meister Eder und sein Pumuckl
(Ulrich König, BRD 1982) [35mm, ≠]

gut

Wenn ich keine Freundin haben würde und mit den Kindern alleine zu Hause wäre, dann würde MEISTER EDER UND SEIN PUMUCKL zu einem gewissen Grad mein Leben wiederspiegeln. Er handelt nämlich von jemanden, der wohl schon dachte alleine seinen Lebensabend bestreiten zu müssen und nun mit – ok, diese Qualität geht mir leider noch ab – großväterlicher Ruhe dem Chaos begegnet, dass in Form eines Kobolds/Kleinkindes bei ihm Einzug hält.
Der Film, ein Zusammenschnitt von wohl vier Folgen der Serie, pendelt dabei ausgiebig zwischen Stahl und Trunst hin und her. So wird manchmal ausgiebig ein wenig erbaulicher Witz ganz breit ausgekostet, was gerade in meinem Sichtungszustand, der zwischen totaler Übermüdung und koffeininduzierter Aufgekratztheit lag, merklich an den Nerven scheuerte, nur um dann beispielsweise in ein tristes Wirtshausgelage umzuschwenken, wo Sauerkraut ins Bier geworfen wird, Knödel über den Tisch rollen, ein Spannferkelkopf wie ein surrealer Phallus aus dem Schoß eines Herren hervorsteht und ein Rentner genüsslich grinst, wenn die Kellnerinnen das verschüttete Bier auf seiner Hose auftupfen. Würde sich noch ein bisschen mehr der Poesie von fehlender Flexibilität und Spannkraft hingegeben, dann könnte dieser Film einer tristen, holzvertäfelten bundesrepublikanischen Realität, wo in einem Kinderfilm nur alte Leute mitspielen, … dann könnte also MEISTER EDER UND SEIN PUMUCKL auch von Jürgen Enz stammen – wie auch David L. nach dem Film meinte. Eine schöne Überraschung.

Juli
Mittwoch 31.07.

Un couteau dans le cœur / Messer im Herz
(Yann Gonzalez, F/E 2018) [DCP, OmU]

großartig +

Zu Beginn die Giallo- und CRUISING-Referenzen, auf die folgend UN COCTEAU DANS LE CŒUR zu einem Metafilm über absurde Pornos wird, die die Wirklichkeit kopieren, welche wiederrum die Fiktion kopiert(e), nur um später in einen Märchenfilm umzuschlagen und wieder als Giallo zu enden. Das sind die Oberflächen eines Films, an dessen Grund das Gefühl fließt, dass etwas (in einem) fehlt, dass da eine Wunde klafft. Ein Film voll Alkohol, Sehnen (nach Vanessa Paradis’ Lächeln, wenn es von einer Leinwand kommt) und hoffnungslosem Hoffen ist er nämlich durchgehend, aber eher beiläufig. Oder: Er ist auch ein Film über das Gefühl, dass etwas mit einem nicht stimmt, dass da Killer auf einen lauern, dass ein Killer in einem steckt.
Das Mordinstrument des Serienmörders, der die Crew eines homosexuellen Pornofilms nach und nach umbringt, wird zuerst ein Dildo sein, aus dem eine Klinge hervorschnellt. Die von Lust und Geilheit aufgeladenen Morde werden mit der Zeit aber durch gewöhnlichere Instrument besorgt werden – wobei Klingen wohl immer einen gewissen Anteil an Lust besitzen – und werden in einen romantischen, traumatisierten Kontext überführt. Sehr flüssig gehen die Motive ineinander über und sind schwer trennbar.
Zuweilen scheint dann eine Einheit mit sich und seiner Umwelt (auch wenn es nur die eines inneren Kreises ist) doch möglich zu sein, die Schatten legen sich aber immer wieder sehr schnell über die kurzfristige Idylle. Wobei angekreidet werden kann, dass es nur bei den lesbischen Frauen um Liebe geht und bei den schwulen Männern nur um Sex und Lust, aber vll. ist das auch nur ein weiterer Marker der unüberbrückbar scheinen Spaltung mitten in diesem Film…
UN COCTEAU DANS LE CŒUR ist also kein hoffnungsvoller Film, auch wenn er diesen Anschein zuweilen erwecken kann/möchte. Und so spielt er im Jahr 1979 an mehreren Bruchstellen. Er spielt kurz vor AIDS, kurz vor Video und schon mitten im Abebben einer Hoffnung auf eine bessere Welt … und lässt sich trotzdem nicht unterkriegen. Seine Lust an Bildern, an Sex und (phantasierter) Gewalt, an campigen Ideen, die vor allem die gedrehten Pornos immer aberwitziger und toller erscheinen lassen, als den Film, der sie beinhaltet, die Contenance und der Spaß in einer untergehenden Welt, machen ihn aber zu einem wunderbar trotzigen Film.

Dienstag 30.07.

Derrick (Folge 205) Das Lächeln des Dr. Bloch
(Günter Gräwert, D 1991) [DVD]

gut +

Das Thema des Selbstjustizlers, der sich an jemanden rächt, der wiederum jemand anderen in den Selbstmord trieb, wird dahingehend variiert, dass der Täter in DAS LÄCHELN DES DR. BLOCH kaum schuldig wirkt. Die Frau, die sich entschied gegen einen Pfeiler zu fahren, wird hingegen als verantwortungslose Träumerin gezeichnet, die mit der Schande nicht leben kann, dass sich ihre Träume, denen sie sich Hals über Kopf übergab, nicht aufgingen, dass sie eben ihren Mann verließ, ihr Liebhaber sie aber auch nicht einziehen lassen wollte. Sie scheint vielmehr das Opfer ihres spontanen Willens, ihre Vorstellungen wahr werden zu lassen, und einer wenig dicken Haut, die es bräuchte um wieder aufzustehen, zu sein, also das Opfer einer schlechten Mischung an Charaktereigenschaften. Der verlassene Ehemann wird dabei gerade zu Beginn in dem leeren Thronsaal seiner Luxusvilla gezeigt. Seine Rache ist eher das Ausagieren der Wut seines verletzten Stolzes, die er nicht mehr auf seine Frau richten kann. Passend dazu zeigt die Folge einen Bürger, der zum Joker wird und sich in Bildern von Kälte und Beiläufigkeit mit dem Skalpell das Herz eines sicherlich nicht Unschuldigen vergeht.

25.07. – 28.07.
Terza Visione – 6. Festival des italienischen Genrefilms

Sonntag 28.07.

Quante volte… quella notte / Vier Mal heute Nacht
(Mario Bava, I/BRD 1971) [35mm, OmeU]

großartig

RASHOMON als Pop-Art-Puzzle, wo das, was jemand erzählt, uns darüber ein Bild entwirft, las was derjenige gesehen werden möchte. Die junge Frau erzählt ihre Mutter, dass sie vergewaltigt wurde und ein züchtiges, katholisches Mädchen ist. Der Mann erzählt seinen Freunden, dass er von einer unersättlichen Frau die ganze Nacht durchgenommen wurde, bis er ihren Krallen entkommen konnte. Der Hausmeister erzählt einem Freund, welche aufregenden, außergewöhnlichen Perversitäten er beobachten konnte, während er durchs Fenster schaute – was in seiner zugeknöpften Welt von Zwängen heißt: Homosexualität. Und der Arzt, der QUANTE VOLTE … QUELLA NOTTE durch seine Einbettung des zugrundeliegenden Gleichnisses über Wahrnehmung mit seltsamen biblischen Vergleichen rahmt, erzählt dem Zuschauer des Films, dass alles nur ein harmloser Spaß war und eigentlich ein Liebesfilm mit Happy End. Und all dies spielt in einem artifiziellen, wie von Andy Warhol entworfenen Zimmer aus Polstern, Schaukeln und Duschen. Es ist die passende Bühne für die verspielten, spaßigen Selbstentwürfe, welche wir zu sehen bekommen (… und ja, auch die Vergewaltigung ist ein fast knuffiger Gentlemans Delikt … es waren andere Zeiten). Oder anders: Eine luftig leichte Satire auf uns und Sex.

La violenza: Quinto potere / Gewalt – Die fünfte Macht im Staat
(Florestano Vancini, I 1972) [35mm]

großartig

Gesichter in einem Gerichtssaal, die von den pointierten Drehbewegungen der Kamera zu den anderen Leuten im Saal – Justiz, Verbrecher, Zeugen, Zuschauer – ins Verhältnis gerückt werden. Politische Geometrie wird geboten, während draußen das Wetter, welches durch ein riesiges Panoramafenster, durch das nichts als Licht und Regen zu sehen sein wird, eine expressive Note in die sich zuschnürenden Entwicklungen bringt. Der englische Titel ist vll. der passendere: THE SICILIAN CHECK MATE.
Neben dem deutschen Ende wurde per VHS-Scan das weiterführende Ende der Originalversion nachgereicht. Dort erfährt die kompakte, ausweglose Situation eine fahrige Auflösung, wenn sich dort die Wölfe der Mafia beginnen gegenseitig an die Hälse zu fallen, sobald die Front gegen die Justiz weg ist. Ein klein wenig Hoffnung schimmert aus diesem, denn hier gibt es eine kleine Möglichkeit, wo es möglich scheint: Today’s empires, tomorrow’s ashes.

Spell (Dolce mattatoio) / Spell (Süßes Schlachthaus)
(Alberto Cavallone, I 1977) [35mm, OmeU]

fantastisch

Am Grund von SPELL findet sich eine einfache Annahme oder Behauptung: Sex ist der bestimmende Moment der Leute, den soziale Normen und öffentliche Selbstinszenierungen nur oberflächlich kaschieren; sobald es sich anbietet, wird die Lust herausbrechen. Kleine dokumentarische Miniaturen werden SPELL durchziehen, in denen die Öffentlichkeit eines Dorfes festgehalten wird – vor allem bei einer Dorffeier. Sobald der Film sich aber aus dieser Öffentlichkeit von Straßen und Mitmenschen zurückzieht, verändert sich das Bild dramatisch, weshalb SPELL in verschiedene Formen des Auslebens und der Darstellung von Sex transgredieren wird.*
Als eine der ersten Formen von Lust, die wir gezeigt bekommen, sehen wir, wie ein Fleischer sich in seine Kühlkammer zurückzieht und wie er dort eine Schweinehälfte (denke ich, ohne vom Fach zu sein) leicht anbohrt. Was naheliegt, wird passieren, er wird dieses leblose, kalte Stück Fleisch ficken. Es ist womöglich das bestimmende Bild für die Kohabitation in diesem Dorf: Es ist die Befriedigung an Dingen oder eben Menschen, die wie Dinge benutzt werden. Als Utopie wird ein junger Mann in dem Dorf auftauchen und nach und nach sich mit den Benutzten gegenseitig befriedigen. Er wird das Gewicht auf der anderen Seite dieser wild schwingenden Waage sein.
In seinem Gerüst ist SPELL dergestalt eine religiös-sexuelle Parabel, eine Art Jesusfilm, wo ein Erlöser zu den Menschen herniederkommt und ihm dafür ins Gesicht geschissen wird – vll. kann gesagt werden: wenigstens wird er nicht gekreuzigt. Das Moralische dieser Situation scheint mir aber nicht das Anliegen zu sein. Vielmehr scheint Sex in seinen vielen Spielarten im Mittelpunkt zu stehen … wobei nicht die Ausarbeitung eines Stellungshandbuchs gemeint ist. Es geht um Zwänge und Genuss, um (Selbst-)Verleumdung und das erstaunte Erleben des Selbst, um die Gefühle beim Kopulieren und denen die dazu führen.
Der Sex ist dabei von einer Dualität bestimmt, die womöglich schon in der Dualität aus Mann fickt totes Schwein und Leute haben Sex miteinander steckt, aber nicht mit diesem deckungsgleich ist. Denn Koitus ist hier eine Oberfläche, unter der sich zwei Realitäten finden lassen: Das Fleisch und die Phantasie. Immer wieder gibt es Bilder voller Drastik und Hyperrealismus, in dem etwas Normalen plötzlich im Detail verzerrt und anmaßend wirkt, indem das Verdrängte der Wirklichkeit, das normalerweise schnell das Klo runtergespült wird, symbolisch gesprochen, nicht mehr weg zu argumentieren ist. Kurz die physikalischen Gegebenheiten werden so aus ihrem Rahmen geholt, dass sie emotional erstmal aufgearbeitet werden müssen.
Auf der anderen Seite gleitet der Sex ebenso oft in surreale Bilder ab. Wie der Moment, wo der Maler eine Frau leckt. Als er seinen Kopf aus ihrem Schoss zieht, trägt er plötzlich einen dichten Bart aus langen Schamhaaren, dessen Spirale den Mund völlig bedeckt. Wenn die Kamera dann ihr Gesicht zeigt, dann ist wiederum ihr Gesicht völlig mit großen Federn belegt. Oder der Moment, wo eine Frau zum Priester zu gehen scheint – dies ist tatsächlich als Traum konnotiert – und dieser sein Gewand öffnet, um mit ihr zu schlafen und seinen Hut an den Füßen ihres erhängten Ehemanns hängt, der am nebenstehenden Baum baumelt.
Der klare Aufbau aus hin und her zwischen dörflicher Realität und Sex, zwischen Fleisch und Phantasie ist dabei von Repetitionen bestimmt, von Variationen des immer Gleichen. Das Geschehen verengt sich so und schaukelt sich hoch. Die Schlinge zieht sich zu. SPELL zeigt nicht nur Dinge, die in gewisser Weise etwas vor- und/oder nachrationelles haben, sondern er versucht durch die Form eines Rondos, durch fast meditative Konzentration, durch derwischende Drehbewegungen selbst an einen solchen Ort zu gelangen. Ähnlich wie PEER GYNT, welches ausgiebig benutzt und zum Höhepunkt des Filmes in einer wunderschönen Psychedelic-/Progrock-Variation zu hören sein wird, nimmt die Intensität dieses zu Beginn ganz ruhigen Films zu und zu, bis alles Explodieren muss … und wir wieder in uns selbst entlassen werden.
Während ich dies schreibe, sitze ich über meinem Notizbuch. Die Seite zu SPELL ist von oben bis unten, links und rechts den Rand rauf und runter vollgeschrieben. Mit manchen dieser Gedanken, die ich direkt nach dem Film unbedingt festhalten wollte, kann ich jetzt nichts mehr anfangen. Zu kryptisch oder banal wirken die Bemerkungen nun auf mich. Als ich im Vorsaal des Kinos des Deutschen Filminstituts & Filmmuseums direkt nach Filmende saß und mir der Kopf schwirrte, war ich irgendwo anders angelangt, als an diesem ruhigen Nachmittag des Aufarbeitens. Vll. ist dieser Fakt am sprechendsten für SPELL.
*****
* Es gibt auch eine Wirklichkeit ohne Sex. Es ist die der Kinder, die spielen, die die Insignien von etwas wie Religion für ihre Zwecke nutzen, aber damit im eigentlichen Sinn nichts anfangen können, die perplex außerhalb der rätselhaften Welt der Erwachsenen stehen und sich nur dann mit dieser befassen, wenn es sein muss. Es sind Inseln einer anderen Welt, die luftige Offenheit in diesen teuflischen Tanz tragen.

Quella villa accanto al cimitero / Das Haus an der Friedhofsmauer
(Lucio Fulci, I 1981) [35mm, OmeU] 2

großartig

In 14 ½ Jahren, wenn Lotti Z. 18 geworden ist, dann werde ich ihr diesen Film vielleicht zum Anschauen geben und mich im Anschluss entschuldigen, dass sie Eltern haben musste. Wenn Dr. Freudstein, das Monster im Keller der Boyles, gegen Ende ausgiebig gezeigt wird, offenbart sich, dass das Wimmern eines Kindes, welches das Haus zuweilen durchdrang, von ihm stammt. Er ist das Kind, das vom Erbgut und von der Erziehung der Eltern, von Vergangenem, das im unbewussten Schlamm von Generation an Generation weitergegeben wird, von den Sünden der Vorfahren und des Bodens eingeholt wird, seine Unschuld verliert und zum Monster wurde. Coming of Age ist in QUELLA VILLA ACCANTO AL CIMITERO ein Horror, der einem aus dem Keller des Bewusstseins einholen wird. Das dumpfe Pochen des Es, das untot Macht über uns übernehmen möchte. Es ist der Horror eines Kindes, dass das Kind von Vorfahren ist. Und am effektivsten ist dieser Terror auf der Tonspur – durch das starke Rauschen der Kopie wurde dies noch verstärkt –, wenn das hilflose Ausgeliefertsein keinen Grusel hervorruft, sondern eine Urangst, die einem an den Ohrmuscheln und den Nerven nagt.

Sonnabend 27.07.

Il piacere / Die Lust
(Joe D’Amato, I 1985) [35mm, OmU]

großartig +

GESCHICHTE DER O nicht als Phantasie der Unterwerfung, sondern als gemeinsamer Genuss der Übertretung. Jedenfalls ist es so, bis IL PIACERE recht bald von Referenzen an Edgar Allen Poe übernommen wird. Denn nun geht es nicht mehr nur um simplen Sex, Opium geschwängerten Sex, Sex in der Öffentlichkeit eines Kinos, Sex respektive Voyeurismus in Bordellen uswusf., sondern um Lust und Aussehen, die vererbt werden und damit eine neue Dimension bekommen. Kurz nach dem Tod von Gerards (Gabriele Tinti) großer Liebe Leonora (Andrea Guzon), steht ihre Tochter Ursula (auch Guzon) aus erster Ehe vor der Tür und sieht nicht nur nach Leonora aus, sondern möchte auch sonst ihre Lücke ausfüllen. Eine Lücke, die Gerard nur noch mit Büchern und Tonbandaufnahmen gemeinsamer Ausschweifungen füllt. Während Ursulas Bruder (Marco Mattioli) seine Phantasie einer neuen Mutter in der Hausdienerin Fiorella (Lilli Carati) erfüllt bekommt und ausgiebig an Nippeln zuzeln darf, versucht sich Gerard im Widerstehen. Immer wieder sieht er sich durch Ursula der Möglichkeit der Auslebung seiner Phantasien ausgesetzt. Die Nähe zu Inzest und Nekrophilie in diesen Gelegenheiten versorgen ihn aber mit einer neuen Lust: Verzicht. Und deshalb ist dieser gemächliche auskostende Film voller feuchter Phantasien vor allem Verzichtserotik.

I fidanzati della morte / Die Verlobten des Todes
(Romolo Marcellini, I 1957) [35mm, OmU]

großartig

I FIDANZATI DELLA MORTE porträtiert den Kampf zweier Männer … um sportlichen Erfolg, um das Herz einer Frau, um Selbstachtung. Der eine ringt ruhig, überlegt, mit einem Mitarbeiterstab, der so gut wie immer außerhalb der Kamera bleiben wird, und mit kalter Verachtung. Der andere mit Raserei, irrationalem Tatendrang und einem chauvinistischen Hang zur Selbstzerstörung. Beide werden von Schauspielern gespielt, die in den folgenden Jahren zu Veteranen in den deutschen Karl May Verfilmungen werden. Gustavo Rojo spielt Pietro, der eher eine Nebenfigur ist. Rik Battaglia spielt Carlo, der im Mittelpunkt steht. Beide verbindet aber nicht nur ihr Kampf (gegeneinander), sondern dass sie, sobald sie auf ihren Motorrädern, und I FIDANZATI DELLA MORTE ist ein Film voller Motorsport und einer mondänen Liebe zu schnellen Vehikeln, von der jeder besessen scheint und die dazu führt, dass wichtige Dinge gerne irgendwo besprochen werden, wo hingefahren werden musste, in diesen Film voller atemberaubender Aufnahmen von Rennen, mit einem vor Lebensgier pulsierenden Hans Albers, in diesem Film, der sehr gern die Nerven kitzelt, der aber nicht grausam sein möchte, in diesem Film also verbindet sie auch, dass sie auf ihren Motorrädern zu Selbstmördern werden, die von Frauen gerettet werden müssen. Am Ende werden sie von Jubel und Erleichterung verschluckt werden, während das letzte Bild den wahren Gewinnern des Films gehört: Denjenigen, die diese beiden Männer lebend ins Ziel gebracht haben.

Mania
(Renato Polselli, I 1974) [35mm, OmeU]

radioaktiv

Der Abspann läuft über eine sich drehende Farbspirale. Und wenn das letzte Wort darüber gelaufen ist, wirbeln die Farben ungerührt weiter. Es passt zu diesem Film der aufgerissenen Augen, des manischen Lachens, der sich verausgabenden Schauspieler. Diesem Film der Unsicherheiten, wo Schnitte wilde Realitäten zusammensetzen, wo die Erzählung nicht unbedingt B auf A folgen lässt, wo an das Kino geglaubt wird und folglich nicht alles im Sinne einer glaubhaften Wirklichkeit inszeniert wird – das wird das Wunder der Kinos schon besorgen –, sondern um den Effekt zu steigern, die Hysterie, das Lebensgefühl völlig verloren zu sein und völlig unangemessen zu reagieren. In diesem Film, wo die Figuren in einem Haus voller Gadgets festsitzen, welche den Wahnsinn seines nur scheinbaren toten Besitzers per Maschinentätigkeit in das Bewusstsein der Anwesenden tröpfeln lässt, wo der Film keinen Versuch auslässt, um dies als Raserei auf die Leinwand zu bannen. Wo immer wieder Bäume zu sehen sind, durch die der Wind weht oder der Mond respektive die Sonne scheint, als ob ein Gemälde der Romantik das Haus eingeschlossen hat. Ein Film von Liebe, dem Wunder der und dem Wunsch zur Zerstörung, von Liebe und Hass, Liebe, Hass, Hass, Hass, Liebe, Hass, Hass, Liebe, Liebe, dem Fuß auf dem Gaspedal, das Lachen durch den Kloß im Hals, Liebe, Hass, Hass, Liebe, Hass, Liebe, … Polselli ganz dolcemente.

Jocks
(Riccardo Sesani, I 1984) [35mm, OmU]

nichtssagend

Eine lange Show in einer Disco wird JOCKS beschließen. Dort dürfen unzählige Besucher andächtig einer ereignislosen Show beiwohnen, in der die Hauptfiguren ihre Außerirdischkeit, also ihr Außenseitertum zelebrieren. Dem Zuschauer des Films und im Film wird eine Darbietung ohne Höhepunkte geboten, die sich nicht dem Zwang einer Dramaturgie oder etwas anderem außerhalb der Obsession der Hauptfiguren unterwirft. Selbst die Disco, die Ekstase oder die Freude am Tanzen liegen in dieser Darbietung eines fast religiösen Rituals darnieder. Eine geharnischte Form des Genießens der bloßen Existenz, mehr findet sich dort nicht. Und damit ist dieser Abschluss der perfekte für JOCKS, denn viele tolle Ansätze stecken in ihm – die beiden sich ständig niederschlagenden Hauptfigur der Buddykomödie heißen DJ und Hi-Fi; eine der beiden Hauptfiguren darf ansatzweise offen schwul sein; die Verengung auf eine Parallelwelt, die nur im Fahrtwasser von Discos zu existieren scheint; die Musik und eben doch auch die wenig ausgearbeiteten Tänze; der Titel, der über einem freeze frame eines Spagats in der Luft steht; uswusf. –, am Ende liegen diese aber eben völlig brach. Für die einen mag JOCKS das Äquivalent eines ereignislosen Genießens an einem sonnenreichen Strand sein, für andere die Anzeichen einer fortgeschrittenen Dehydration.

Freitag 26.07.

L’ultimo paradiso / Das letzte Paradies
(Folco Quilici, I 1955) [35mm]

gut

Wie ein früher Mondo startet L’ULTIMO PARADISO. Wir sehen einen polynesischen Stamm bei einem Ritual, welches daraus besteht, dass die Männer von einem mehrere Meter hohen Turm springen müssen. Ihre Füße sind an Seilen/Lianen festgebunden, die ihren Sturz nur Centimeter vor einem Aufprall des Kopfes auf den Boden stoppen. Immer und immer wieder stürzen sich die, die ihre Männlichkeit beweisen müssen, in die Tiefe, während ein Erzähler es uns vulgäranthropologisch einordnet.
Auch später wird ein Kino der Attraktionen mit imposanten Unterwasseraufnahmen geliefert werden, wo mit Muränen und Haien gekämpft wird und eine exotische Lebensweise in einer aufregenden Ausprägung dokumentiert werden soll. Tatsächlich wird L’ULTIMO PARADISO nach dem Auftakt aber zu einem narrativen Film werden, der die Geschichte der Liebe eines Jungen und eines Mädchens so erzählt, als ob es drei unterschiedliche Geschichten wären. Drei Jungen und drei Mädchen, die unterschiedliche Namen tragen und von unterschiedlichen Schauspielern gespielt werden, die aber wie ältere Versionen ihrer vorangegangenen Inkarnationen wirken … zumal ihre Geschichte aufeinander aufbauen und von den gleichen Bildern einer Insel gerahmt, von den selben Wellen am Ende einer Lagune und mit den gleichen Utensilien – wie der Taucherbrille des Vaters, die in der ersten Geschichte von diesem getragen wird und in der zweiten nach der Bergung eines nicht genannten Toten aus dem Meer in der Hand eines nun verbitterten Jungen auftaucht – erzählt werden.
Übernommen wird aus dem Auftakt aber das Thema: der Kampf mit der eigenen Angst. Denn in der ersten Geschichte lernt der hier noch junge Junge, dass er in seiner Heimat nur als Perlenfischer leben kann und damit einem Leben in Angst ausgesetzt ist. Hai und Muränen werden ihm das Leben erschweren und jeden Tag muss er, wie seine Mittaucher, wie sein Vater, die Angst herunterschlucken müssen. In der zweiten Geschichte wird er fliehen und ein anderes Leben anstreben. Doch er wird fremd bleiben und lernen, dass es kein besseres Leben als zu Hause gibt, wenn er die dortigen Strapazen akzeptieren lernt. Dass er geliebt wird und sich im Paradies befindet, egal wie oft er sich seiner Angst stellen muss.
Während die zweite Geschichte im Grunde zwangsläufig wirkt und die dritte wie eine pädagogische Verortung – wir befinden uns in diesem paradiesischen Ambiente, weil die dreigeteilte Hauptfigur eben ihr Paradies finden muss/wird –, während der Rest des Films also ein eher nettes Melodrama darstellt, ist die erste Geschichte, wenn ein Kind eine brutale Lektion lernt und sich damit arrangieren muss, wirklich heftig. Das Platzen von Illusionen, das Ende der Kindheit als Erkennen der Menschlichkeit des Vaters und eines Lebens, dass jederzeit von Reißzähnen (auch Sinnbild eines alltäglichen Trotts?) bedroht sein wird.

Questo si che è amore / Am Tag, als der Weihnachtsmann weinte
(Filippo Ottoni, I 1978) [35mm, OmU]

großartig +

Ebenfalls: Ein Film über die Limitierung von Film. Wir sehen einen Jungen, der durch eine Immunschwäche sein Leben hinter Glaswänden in einem keimfreien Raum zubringt. Es ist dabei weniger, dass er einem Tier im Zoo gleicht, auch wenn er später nach einem Ausbruch und bei einem darauffolgenden Zoobesuch sich mit ihrem Schicksal – einsam und weggesperrt – identifizieren kann. Vielmehr fehlen ihm die haptischen, die unmittelbaren Qualitäten der Wirklichkeit. Er sieht das Leben, seine Eltern und Freunde durch eine Glasscheibe, berühren kann er sie aber nicht. Er kann nicht mit ihnen mitgehen. Ist abgeschnitten. Er hat nur einen kleinen Ausschnitt, der so impenetrabel ist, wie eine Leinwand. Ultimativ werden wir es auch erleben. Wenn er ausbricht, wird er sich in Blättern wälzen und die Sonne beobachten, wie sie durch die Baumkronen auf ihn scheint … und wir, die Zuschauer, haben nur inadäquate Bilder davon, die seine Freude höchstens indirekt vermitteln können … wir sehen Schönes, er Atemberaubendes.
Darüber hinaus ist es ein Film über eine Scheidung aus Sicht eines Kindes, dass dies als emotionales Wegsperren erlebt, über die Lebensweisheit des Freundes, der die Erwachsenen durchschaut hat, aber trotzdem nur ein Kind bleibt, dass auf sie angewiesen ist … es ist ein Film, in dem narrativ nicht erklärte Flugzeuge als phallischer Ersatz zu sehen sind, wenn die Eltern zu Hause Sex haben. Es handelt sich um einen reichhaltigen Film voller absurder und tieftrauriger Entscheidungen, um uns zu unterhalten. Ein wunderbarer Tränenporno.

Io non protesto, io amo / Ich protestiere nicht, ich liebe
(Ferdinando Baldi, I 1967) [35mm, OmU]

ok

Der Anfang könnte besser kaum sein. Ein Esel zieht einen Strand entlang und gibt Lebensweisheiten von sich. Irgendwo zwischen ZAZ und Pasolini liegt dieser Auftakt von IO NON PROTESTO, IO AMO, ein Film, welcher von Liebe und Dickköpfen erzählt, von magischen Verbindungen, die zustande kommen, obwohl die störrischen Einzelnen nichts miteinander anfangen können. Nur die Sehnsucht zueinander scheint sie zu verbinden.
Passenderweise fällt dieser Musicarello in zwei Teile auseinander. Zuerst geht es um die singende Lehrerin Caterina (Caterina Caselli), der ein Baron und unverbesserlicher Duce-Anhänger (Livio Lorenzon) das Singen austreiben möchte. Ein absurdes Fatotum macht hier mittels eines Fernrohrs und eines nicht minder eigenwilligen Dieners Jagd auf etwas, das einer ganzen Kleinstadt Lebensfreude bringt. Denn wer Catarina singen hört, blickt gleichzeitig gebannt zu ihr und in die Ferne. Später wird der Baron nach Ankunft seines reichen Bruders aus den USA Caterinas Verbündeter, der ihr zu einem Vertrag beim brüderlichen Plattenlabel verhelfen möchte. Hier versuchen die beiden unbeholfen die Moderne und das Modische einzuholen.
Die Bruchstelle zwischen den beiden Teilen und in der Antipathie des Barons besteht aus der Offenbarung seiner unerwiderten Liebe zu Catharinas Mutter und einer Traumsequenz, in der die aufkommende Popkultur ihn quietschvergnügt und surreal verfolgt. Und in diesen beiden Momenten lassen sich auch die Probleme des Films verorten. So dickköpfig die Interagierenden in den Situationen nämlich sind, so wenig eskalieren diese. Zu sehr sind die Figuren des Films doch Wendehälse, die verhindern, dass in IO NON PROTESTO, IO AMO etwas emotional hochkocht. Das zwischenmenschlich Anstrebenswerte ihres undogmatischen Handelns ist Gift für das Drama.
Zudem ist die Inszenierung der unvermittelt loslegenden Gesangsnummern seltenst so spritzig, wie dieser eine Traum. Totalen, lange Einstellungen und meist nur ein Gimmick bestimmen sie. Ist es möglicherweise das italienische Stilbewusstsein, dass verhindert, dass dieser Musicarello ähnlich phantasievoll und schamlos wie eine vergleichbare bundesrepublikanische Schlagerkomödie aussieht?

L’ultima orgia del III Reich / The Gestapo’s Last Orgy
(Cesare Canevari, I 1977) [35mm, OmU, ł] 3

fantastisch

Im Gegensatz zu vielen anderen Naziploitationfilmen, die ihre WIP-Variationen nur für etwas mehr Nervenkitzel in ein KZ verlagern, spielt L’ULTIMA ORGIA DEL III REICH alles andere als zufällig in einem solchen. So wird in einem solchen auf groteske Weise zu Ende gedacht, was in der Ideologie der Nazis durchaus eingeschrieben steht, und es wird melodramatisch aufgearbeitet, was es auch geheißen haben kann, unter den Nazis in einem solchen zu leben. Zudem: Anders als in beispielsweise SCHINDLERS LISTE geht es auch nicht darum, dies moralisch zu verorten. In THE RAINCOATS, einer Doppelfolge von SEINFELD, drängen Jerrys Eltern ihn sich Spielbergs Film anzusehen. Als er wieder nach Hause kommt, wird er von seiner Mutter mit der Frage empfangen, ob die drei Stunden nicht wie im Flug vergangen sind. L’ULTIMA ORGIA DEL III REICH wird nicht wie im Flug vergangen sein. Viel ambivalenter versucht er sich nicht an Zusicherung, sondern am Aufwühlen der eigenen Sicherheit.
Die Filme von Cesare Canevari sind nicht an materiellen Dingen interessiert, sondern an Gemütszuständen und Seelenverfassungen. In seinem Italowestern MATALO! geht es um Leute, die Geister in einer Geisterstadt zu seien scheinen. In IO, EMMANUELLE um eine Frau nahe am Nervenzusammenbruch. Ob es sich nun, wie in den beiden Beispielen, um die Auflösung von klaren Gegebenheiten in eine existentielle Hölle handelt oder um die Odyssee einer Verlorenen, seine Filme folgen selten einem Plot, sondern bieten Stimmungsbilder. L’ULTIMA ORGIA DEL III REICH erzählt dementsprechend von einem subtilen Kampf um Deutungshoheit, der in Unmengen an Drastischem eingebettet ist und der sich fern naturalistischer Kulissen und minutiöser KZ-Aufarbeitung abspielt.
Zu Beginn sehen wir ein Auto durch die Landschaft fahren. KZ-Überlebende berichten dazu knapp auf der Tonspur von ihren Erlebnissen. Im ehemaligen KZ angekommen wird der vorherige Lagerkommandant Konrad (Adriano Micantoni) verfallene Häuser vorfinden, die mit Graffitis beschriftet sind. Überall wird die Erinnerung an Gräueltaten und an eine unsagbare Schuld heraufbeschworen. Konrads vormals intakte Gedankenwelt ist ein Trümmerhaufen, die von anderen, beschuldigenden Deutungen überschrieben zu werden droht. Im Folgenden wird er sich in seine Allmachtsfantasien und deren Geilheit zurück imaginieren. Er versucht sein Paradise Lost wiederaufzubauen. Mit Hilfe seiner Erinnerung an die Liebe zur jüdischen Gefangenen Lise (Daniela Poggi) … und vor allem dadurch, dass sie ihn liebte und weiterhin liebt – denn beide sind es, die sich in der Gegenwart an alter Begegnungsstätte wiedertreffen.
Die erste Hälfte ist von Folter und Mord bestimmt, die stets im Kontext der Lust der Mächtigen gezeigt werden. Anders als beispielsweise SALÒ O LE 120 GIORNATE DI SODOMA – der Titel von L’ULTIMA ORGIA DEL III REICH ist eine offensichtliche Anlehnung an diesen, wo schon eher die letzte Orgie des Dritten Reichs gefeiert wird, während in diesem Film hier das Ende des Krieges eine weit entfernte Leerstelle bleibt, da L’ULTIMA ORGIA DEL III REICH lange danach oder davor spielt.* In Pasolinis Film geht es um Rituale. Um das kalte Außen der Lust an Macht. Hier geht es um das heiß glühende Innen, dem der Zuschauer ausgesetzt wird … und dem er sich aussetzen muss. Moralische Hinweise, wie der Schnitt zu einem nackten Arsch und dem aus ihm entfleuchenden Furz während einer aufgeheizten Rede Konrads, sind selten und nicht der Sinn. Vielmehr steht im Mittelpunkt die Auskundschaftung der Realität all dieser leider auch menschlichen Gefühle ohne sie von vornherein zu verleugnen. Die Anderen, aber vor allem sich selber kann so besser kennengelernt werden.
Die zweite, etwas kürzere Hälfte bietet dann das vll. noch Außergewöhnlichere. Lise wird nämlich nicht bloß Opfer und schon gar nicht die eindimensionale Heldin, wie sie andere Naziploitationfilme so oft aufbieten, um sich zu beweisen, wie richtig ihre moralische Verortung ist. Schon der Vorspann wird von einem süßlich-romantischen Lied untermalt, welches Lises Leitmotiv ist – wobei das ausdrucksstark geschmachtete Lise des Songs sich doch sehr nach einem Schrei nach Liebe anhört. Während die Liebe hier also moralische Fallstricke auslegt, die Lise perfide noch mehr angehen, als es die Demütigung und Folter im Lager schon tut, wird hier etwas verhandelt, was bei Bourdieu so schön zu finden ist: Dass nämlich das Perfideste von herrschenden Ideologie ist, dass sie die darin Ausgegrenzten internalisieren lassen, wie minderwertig sie sind. Auf ziemlich grausame Weise handelt L’ULTIMA ORGIA DEL III REICH hier eben von etwas viel Rudimentärerem und Existentiellerem als körperlicher Misshandlung: Nämlich vom (irrealen) Gefühl nichts anderes verdient zu haben.
Diese beiden Seiten des Films und die beiden Versuche das KZ ideologisch zu verorten – als Paradies oder als Hölle – bilden in ihrem Widerspiel eine wirksame Echokammer, die, anders als italienische Filme der Zeit im speziellen und das Gros der Filmproduktion im Allgemeinen noch einen anderen Marker der Offenheit und eines Willens, alles zu zeigen, besitzt. Ziemlich viele Penisse werden in diesem Film zu sehen sein … so sagte ich zum Abschluss meiner Einführung vor Ort und wurde durch so manchen Schnitt in der Kopie zumindest in diesem Punkt gleich an Ort und Stelle ein klein wenig ins Unrecht gesetzt.
*****
* Nur einmal legen die Dialoge nahe, dass sich das Blatt an den Fronten gewendet hat und diese sich wieder um Deutschland zusammenziehen.
*****
Für noch etwas mehr Eindrücke von mir zu L’ULTIMA ORGIA DEL III REICH (oder wenn jemand Shakespeare sehr mag oder gar nicht), bitte hier klicken.

Donnerstag 25.07.

La morte scende leggera / Sanft sinkt der Tod
(Leopoldo Savona, I 1972) [35mm, OmeU]

großartig

Da sie mich noch nicht getötet haben, werden sie mir helfen. Nach diesem Motto lässt sich Handlanger Giorgio (Stelio Candelli) von seinen Auftragsgebern – allesamt angesehene Persönlichkeiten mit ihm bekannter schmutziger Wäsche – in einem leerstehenden Hotel verstecken. Als er von einem Auftrag nach Hause kam, fand er nämlich seine Frau zu Hause ermordet vor und hat nun Angst, der Tat schuldig befunden zu werden. SANFT SINKT DER TOD lässt uns bzgl. seiner (Un-)Schuld auch lange im Unklaren, wodurch sich aber auch abzeichnet, welches Spiel noch gespielt werden wird.
Zuerst aber eine parallele Entwicklung. Größtenteils ist das Geschehen aus Sicht von Giorgio zu sehen, der rotzfrech seine skrupellosen Vorgesetzten erpresst und seine Geliebte, Liz (Patrizia Viotti), mit in die Abgeschiedenheit einer Insel mitten in der Stadt – denn nichts Anderes ist das Hotel – nimmt. Dem gegenüber stehen die Richter und Anwälte, die ihn verstecken und den Sinn des Ganzen wie die Möglichkeit seiner Schuld abzuwägen beginnen. Kurz nachdem sie zu nicht näher erklärtem Zweck einen Regisseur engagieren, beginnt das Herzstück von SANFT SINKT DER TOD. Denn auf sich zurückgeworfen, in anonyme Räume eingesperrt, bekommen Giorgio und Liz Space Madness.
Sie scheinen plötzlich nicht mehr allein. Im Foyer finden sich die Rückstände einer Party, aber auch der Hotelbesitzer, der gerade seine Frau umbrachte. Und in den Räumen des leeren Hauses, die sie auf der Suche nach Erklärungen und sich gegenseitig durchstreifen, treffen sie auf die Tochter des Besitzers, die lasziv einen Keil zwischen das Paar schlägt, einen Affen, der an eine Stange befestigt, seinen Schatten jagt, Badewannen, Leere und eine Welt, die nur noch nach einer Traumlogik funktioniert. Giorgio wird einmal verzweifelt fragen, wo denn die Realität abgeblieben ist. Zu einem Spiegelkabinett seiner potentiellen Tat und seines seelisch-moralischen Haushalts wird die alptraumhafte Wirklichkeit, die hinter den unendlich scheinenden Türen warten. Oder anders: Diverse Ansätze finden sich hier, die auf Kubricks THE SHINING oder das Kino des David Lynch weisen.
Durch das Wissen um die Anwerbung eines Regisseurs durch Giorgios Chefs liegt aber bei etwas Reflexion nahe, dass dies alles eine artifizielle Geisterbahn ist, die für Giorgio gebaut wurde. Es wurde einem so durchaus eine Möglichkeit an die Hand gegeben, das Geschehen zumindest grob zu rationalisieren. In RECONSTRUCTION gibt es aber auch dieses schöne Zitat: It is a film. Everything is constructed. Still it hurts. Bevor die Realität zerfällt, schauen sich Liz und Giorgio einen 8mm-Porno an. Das Geschehen auf der Leinwand gleicht dabei dem Geschehen auf dem Bett davor. Realität kopiert die Fiktion so sehr, dass die beiden im Folgenden anscheinend die Welt eines Films betreten haben. Und so sehr zu ahnen ist, dass es eben nur etwas künstlich Geschaffenes ist, so sehr fester Boden unter den Füßen möglich ist, so wenig ändert das etwas daran wie irrwitzig, seltsam, effektiv und spaßig (von außen) die abdriftende Realität des Hotels und SANFT SINKT DER TOD ist. Ganz nebenbei befinden wir uns in nicht weniger als einem Lob des Kinos.

Suspiria / Suspiria: In den Krallen des Bösen
(Dario Argento, I 1977) [35mm, ł] 2

großartig +

Die brutalen, extrem ästhetisch aufbereiteten Morde können davon ablenken, aber in seiner ursprünglichen Inkarnation von 1977 ist SUSPIRIA ein Kinderfilm. ALICE IM WUNDERLAND erfährt dabei eine dunkle Spiegelung und wird mit diversen Märchenmotiven (vor allem natürlich Hexen) angereichert. Im Zuge dessen findet sich der fast erwachsene, aber doch noch kindliche Stand-in des Zuschauers (Jessica Harper als Suzy) Hilflosigkeit, Angst und dem Gefühl des Ausgeliefertseins ausgesetzt, wie sie vor allem in Träumen von Kindern vorzufinden sind. Rationelle Erklärungen für diese bleiben extrem vage.
Anfang und Ende von SUSPIRIA zeigen dergestalt eine fiebrige Welt, die nicht durch eine Erzählung aufgebaut wird, sondern durch Motive: das Ankommen in der Fremde; das Mädchen, das dort schreiend durch einen dunklen Wald rennt, ohne das Verfolger oder Geschichte dahinter evident wären; die uralte Hexe, die unsichtbar werden kann und deren Röcheln durch die Gemäuer dringt; bunt-metallische Pfauenfedern, die die Konturen der Unsichtbaren wie in einem Märchenfilm sichtbar machen; uswusf. Und diese Motive werden mit einer solchen Schönheit und Effektivität dargestellt, dass es jeder Beschreibung spottet.
Das Problem ist nur, dass SUSPIRIA über weite Strecken ein narrativer Film ist und dies auch sein möchte. Nach dem Suzy in die Ballettschule gezogen ist, fällt der Film in ein Loch. Der Internatskrimi, der dort herrscht, versucht eine bedrohliche Normalität aufzubauen, die bereits etabliert und schon längst am Zerfallen ist. Dort herrscht ein weites Brachland, wo sich in Erzählungen verloren wird, die weder motivisch, noch erzählerisch etwas bringen. Es ist wie mit den MC Escher-Bildern, die dort an der Wand zu finden sich. Sie sind seltsam und schön, aber mehr bemühte Behauptung von etwas, der Auftakt schon viel dringlicher präsentierte. So bitter es mglweise ist, hier im Internat hat Luca Guadagninos Version die Oberhand.
Im krassen Gegensatz dazu bleibt der ursprüngliche SUSPIRIA aber stets flüchtig. Auf das schwerwiegende Erzählen, das den Nachfolger bestimmt, wird sich nicht eingelassen. Irgendwann fällt SUSPIRIA wieder von seinen Bestrebungen ab, einen Plot liefern zu wollen, und es wird wieder das ausgespielt, was dessen Stärken sind. Das Ende wirkt zwar etwas überstürzt, aber hier fallen kindlicher Traum und hohle Erzählung perfekt zusammen. Alles ist wie ein Kartenhaus: der Aufbau existentiell atemraubend, dessen Rückstände wenig bemerkenswert. Zurück bleiben die Bilder, die Geräusche, die Atmosphäre. Es ist wie mit so manchem Alptraum der Kindheit,* der zu den intensivsten und schönsten Erinnerungen eines Lebens gehören kann.
*****
* Solange er keine Entsprechung in der Realität fand.

Mittwoch 24.07.

The Lonely Guy / Ein Single kommt selten allein
(Arthur Hiller, USA 1984) [blu-ray, OmU] 2

großartig

Im Zentrum von Steve Martins Komik steht das Gefühl fehl am Platz zu sein und das Dinge, egal wie sympathisch sie angegangen werden, eher schal im Raum stehen. THE LONELY GUY ist unter den Klassikern, in denen er in den 80ern und frühen 90ern fast am Laufband die Hauptrolle spielte, wahrscheinlich nicht der glamouröseste, der angesehenste, der beste oder sonst wie außergewöhnlich. Das Einzige, was ihn mehr als andere auszeichnet, ist, dass er Martins Ansatz von Komik auf eigenwillige Weise am besten entspricht. Denn nicht jeder Witz funktioniert, und oft wirkt die Komik eher bemüht, doch gerade darin findet sich die Seele des Films wieder. Larry Hubbard (Martin) wird von seiner Freundin verlassen und ist nun hoffnungsloser Single, der sich mit Farnen befreundet und Pappaufsteller von Stars in seine Wohnung stellt, um nicht alleine zu sein. Immer wieder trifft er zwar auf die Liebe seines Lebens (Judith Ivey), aber mal verliert er ihre Telefonnummer, mal bekommt sie kalte Füße. Das Selbstmitleid, dass im melancholischen Witz des Films mitschwingt, wird aber weder verlacht, noch wird ihm nachgegeben. So sehr es um einen Mann geht, der seinen Platz sucht, so sucht auch THE LONELY GUY einen selbstbewussten Weg mit der Situation seines Hauptdarstellers umzugehen – und findet, wie er, nicht immer den richtigen Ton. Aber gerade deshalb fühlt es sich doch immer ganz richtig an. Wenn Larry irgendwann zum Bestsellerautor mit seinem Ratgeber für die Einsamen geworden ist, dreht sich zwar seine Lebenssituation, doch dazu gehört er immer noch nicht. Einsamkeit und fehl am Platz sein geht hier eben tiefer, als nur Anlass für einen schlichten Witz zu geben.

Dienstag 23.07.

Desire / Sehnsucht
(Frank Borzage, USA 1936) [DVD, OmeU] 2

großartig

Da Ernst Lubitsch in Borzages Abwesenheit – er war wohl noch an Warner vertraglich gebunden – diverse Szenen drehte, kann, grob gesagt, zugesehen werden, wie sich aus einem Lubitsch-Film, wo immer wieder durch Türen gestürmt wird und wo Leute sich hinter Inszenierungen ihrer selbst verstecken, ein Borzage-Film wird, wo um einen gemeinsamen Grund gekämpft wird und alle Masken fallen. DESIRE ist als Titel dabei höchst irreführend, weil es keine Begierden gibt – höchstens hier und da der von Dietrich gesteuerte Blick auf sie, der Gary Coopers Figur den Kopf raubt. Erzählt wird die Liebesgeschichte zwischen einem authentischen Ordinary Joe (Cooper mit einer riesigen Show an sympathischer Naivität und entsprechendem Gesang) und der von Marlene Dietrich gespielten Diebin, die sich im ersten Film nach der Trennung von von Sternberg hinter ihrem Image versteckt, bis die Liebe sie zurück in den Schoß ihrer Natürlichkeit führt. D.h. eine Romanze, die an sich zu glauben versucht, und ein Film, in dem Marlene Dietrich exemplarisch mit dem Bisherigen bricht.

Montag 22.07.

L’ultima orgia del III Reich / The Gestapo’s Last Orgy
(Cesare Canevari, I 1977) [DVD, EF] 2

fantastisch

In Frankfurt am Main findet diese Woche das TERZA VISIONE statt. Ich werde zu eben diesem Film eine Einführung halten. Vll. werde ich das, was ich sagen wollte, hier einmal verschriftlichen.

Sonntag 21.07.

The Escape of Prisoner 614 / Die Flucht von Häftling 614
(Zach Golden, USA 2018) [stream]

nichtssagend

Eine mäandernde, gemütsruhige Komödie ohne Witz hätte dies sein können. Oder ein Thriller ohne Thrill. Oder eine Coen-artige Komödie, die im Twist zu einem Problemfilm über Rassismus in den USA hätte werden können. Aber nicht einmal das funktioniert. Stattdessen genau eine Art von Witz – eine bis zur Einfältigkeit prinzipientreuer Deputy und sein Kollege, der beständig nach absurden, noch einfältigeren Schlupflöchern in den Prinzipien sucht, haben einfältige konstruktive Streitgespräche –, die bis zum bitteren Ende totgeritten wird. Bezeichnend: gegen Ende wird dem von Ron Perlman gespielten Sheriff Brechmittel gegeben. Bevor er aber mal etwas Schauwerte in den Film bringen kann, stirbt er antiklimaktisch an einem Herzinfarkt und lässt das Reden so wieder einsetzen.

Sonnabend 20.07.

No Mercy
(Lim Kyeong-Taek, ROK 2019) [blu-ray, OmU]

nichtssagend

Inaes (Lee Si-young) geistig behinderte Schwester ist entführt worden, weshalb sie – überqualifizierter Bodyguard – sich auf den Fersen der (diversen) Entführer befindet. Doch ist es nicht sie, die, wie der Titel sagt, keine Gnade kennt. Die Vielzahl der Leute, die sie auf ihrem Weg findet und die alle ein Puzzleteil der sich langsam offenbarenden Wahrheit darstellen, lässt sich äußerst ramponiert zurück. Erst kurz vor Schluss beginnt sie vereinzelt über Leichen zu gehen. Im Angesicht dessen, was sich ihr erschließt, ist dies gerade für eine Actionfigur durchaus als Gemütsruhe zu verstehen. Wer keine Gnade kennt, das ist NO MERCY selber. Der Körper Inaes ist zusehends von den nicht enden wollenden Kämpfen gezeichnet – intensiv sind die Kämpfe vor allem, solange sie es mit einzelnen Gegnern zu tun hat, wenn sie es gegen Ende mit Massen von Schlägern aufnehmen muss, verlieren die Kämpfe etwas ihre klare Inszenierung und damit ihre Wirkung – und ihre Schwester ist hilfloses Opfer von körperlicher Gewalt bis hin zu ständigen Vergewaltigungen.
Gerade der zweite Punkt wird dazu eingesetzt, um das schnell etablierte Gesellschaftsbild noch dicker aufzutragen. NO MERCY vollzieht sich in einer Welt, wo eine einfache Dualität herrscht. Die Mächtigen missbrauchen ihre Macht hemmungslos, während die Schwachen sich nicht einmal zu wehren wagen. Einzelne Figuren können Opfer und Täter sein, aber nur, weil sie nach unten treten und von oben getreten werden. Die Entführung durchzieht, um dieses düstere Bild möglichst allumfassend zu zeichnen, große Teile der Gesellschaft. Mitschüler, Gangster, Ladenbesitzer und Politiker sind darin verwickelt. Hilflosigkeit möchte einem NO MERCY so vor allem vermitteln, in der Inae die einzige positive Figur ist, weil sie wie (Gottes) Strafe auf all die Sünder herniederkommt.
Große Teile von NO MERCY spielen sich in einem Auto ab. Immer wieder sehen wir Inae fahren. Final auch ins Licht. Die Suche nach der Schwester ist so auch metaphorische Odyssee einer Suche nach einem paradiesischen Ort nach den Strapazen. Es ist die Suche nach dem Ende der Kette der Erniedrigung, wenn endlich Ruhe herrscht. Und das Perfide an NO MERCY ist seine offensichtliche Konstruktion, dass er all die Gewalt und vor allem die sexuelle nur in seinen Aufbau hineinfügt, um seine düstere Weltsicht zu bekommen. Er lässt Inae und den Zuschauer sich durch ein – nach Actionästhetik oft ziemlich schönes – Hamsterrad arbeiten, als Belohnung gibt es – es ist anmaßend und enervierend – aber nur immer mehr Vergewaltiger.

Freitag 19.07.

The Curse
(David Keith, USA 1987) [blu-ray, OmeU]

großartig

Die Parallelmontage eines Orgasmus – eine Farmersfrau sucht Stillung ihrer Bedürfnisse bei einem Hilfsarbeiter, weil ihr bibelfester Ehemann nicht gewillt ist, dem nachzugehen – und eines ejakulationsähnlichen Meteoriteneinschlags ist einerseits der Schlüssel zu den Geschehnissen in THE CURSE und andererseits eine falsche Fährte. In Bezug auf das Familiendrama offenbart sich in dieser Parallelität die gesamte Dysfunktionalität der Patchworkfamilie, in der der Vater als gutgewillter, aber autokratischer Patriarch herrscht. Auf den Einschlag des Meteoriten dringt eine Substanz ins Grundwasser, woraufhin die Früchte zwar prall werden, aber innerlich verrottet. Die Tiere drehen durch, während die Familienmitglieder nach und nach Ekzeme bekommen und ihr Gehirnfunktionen zu verlieren scheinen. Die Kampfzone, die diese Familie ist, bricht durch die (Geschlechts-)Krankheit der gesamten Farm gut sichtbar an die Oberfläche. Auf der anderen Seite würde eine wissenschaftliche Untersuchung zeigen, dass es sich bei den Vorkommnissen eben nicht um einen göttlichen Fluch handelt, der durch eine Sünde hervorgerufen wurde, und auch nicht, um einen kleinen Schluckauf, den es zu vertuschen gilt, damit die Preise für den Immobilienspekulanten nicht gefährdet werden, sondern um eine außerirdische Pest – THE CURSE ist auch ein sehr schöner Seuchenthriller –, die es einzudämmen gilt. Die Parallelität des Sündigens und der alles verändernden Naturkatastrophe ist eben reiner Zufall. Die beiden symbolischen Ebenen werden dabei durch konstante gross outs verwoben, was den vorrangig ernsten und bedrohlichen THE CURSE zuweilen zu einem Splatstickfilm macht – einen, in dem Familienterror und Anklage von Gier und mittelalterlichen Rückständen in der Moderne fröhlich zusammenlaufen.

The Scarlet Empress / Die scharlachrote Kaiserin
(Josef von Sternberg, USA 1934) [blu-ray, OF] 4

fantastisch +

Was mir bisher noch nicht so ganz im Bewusstsein geblieben ist, ist, dass dieser sadistische Cartoon im Hochkulturgewand in seiner Geschichte aus dem 18. Jahrhundert Salven automatischer Schnellfeuerwaffen und eine Fotografie prominent einsetzt.

The Deadly Bees / Die tödlichen Bienen
(Freddie Francis, UK 1966) [blu-ray, OmeU]

ok +

THE DEADLY BEES beginnt in den Räumen einer britischen Behörde, wo den Drohungen eines Mannes, seine tödlichen Bienen anzuwenden, kein Glaube geschenkt wird. Zwischendrin und am Ende wird dieser Ausgangspunkt nochmal aufgegriffen. Diese Szenen bringen am Ende eine kleine Pointe, sie bleiben vor allem aber Fremdkörper. Sie wirken wie aus unerfindlichen Gründen eingefügt. Das Effektivste, was diese Klammer bewirkt, ist, dass der Twist des Films – die Identität des Bienenzüchters – noch offensichtlicher wird, als er eh schon ist.
Die schönste Szene von THE DEADLY BEES ist, wenn Mr. Hargrove (Guy Doleman) das erste Mal angerufen wird. Ein alter Freund und Arzt möchte anfragen, ob Popstar Vickie Robbins (Suzanna Leigh) einige Wochen bei ihm in Abgeschiedenheit eine Kur machen kann. Das Klingeln des Telefons ist zu hören, während Bild auf Bild eine scheinbar verlassene Farm nach dem Telefon absucht. Ein heruntergekommener Garten, ungepflegte Inneneinrichtung usw.: Nichts lässt auf die Anwesenheit von jemanden schließen. Endlich beim Telefon angekommen erscheint der Raum immer noch als leer, bis Mr. Hargrove wie aus dem Nichts erscheint und sich zusätzlich eine Hand aus dem unbevölkert scheinenden Sessel löst. Erst nach kurzer Unsicherheit – Geister? Mörder? Was ist hier los? – ist etabliert, dass die gruseligen Potentiale ins Leere laufen. Ein älteres Ehepaar in ihrem Heim, mehr nicht. Es ist eine Szene, die virtuos mit den Limitierungen von Perspektiven und deren Assoziationen spielt.
Während eine Sängerin Ruhe vor dem Trubel des Rock ‘n’ Roll-Zirkus sucht, wird sie das Grauen eines alten, ländlichen Englands finden. Nicht die verlotterte Jugend ist das Problem, sondern die Alteingesessenen – einer von ihnen kann seine Bienen auf von ihm markierte Opfer ansetzen, aber selbst die Unschuldigen benehmen sich alles andere als liebevolle Mitbürger. Auch dies ist eine dieser Perspektivverschiebungen, die THE DEADLY BEES für sich zu nutzen weiß, die aber wie der gesamte Film dadurch versanden, dass sich ab einem gewissen Zeitpunkt niemand mehr für Thrill und Aufregung interessiert, sondern nur noch Erklärungen geliefert werden. Alles wird ausführlich erklärt, mit Bild und Wort. Wie die Morde geschahen. Wie der Täter vorgeht. Wer was wusste. Der Täter nutzt sogar Erklärungen, um von sich abzuwenden. Und besagte Klammer, die alleine durch ihre Anwesenheit zu viel verrät, macht diese wenig erfreuliche Erklärungsparade noch unnötiger. Statt Anreicherung gibt es das Verschrumpeln einer Korinthe, die ihres süßen Saftes schon lange verlustig gegangen ist.

Donnerstag 18.07.

SS Lager 5: L’inferno delle donne / SS Camp 5: Women’s Hell
(Sergio Garrone, I 1977) [DVD, EF] 2

uff

Bis auf eine Szene funktioniert dieser Naziploitationer nicht einmal in seinem Kerngeschäft als Fetischfilm. SS CAMP 5 hat weder Drive, Seele noch Skrupel und die Kamera filmt wahllos, was ihr vor die Linse gestellt wird. Und dorthin gestellt wird, was einem schnell mal in den Kopf gekommen scheint. Ein eher amüsantes, ein klein wenig inspiriertes Beispiel ist die an Josefine Baker und Pam Grier angelehnte Jamaikanerin, die in einer Szene nackt vor einem deutschen Offizier tanzt und den gebannten blauen Augen ihre um die Hüfte geschnallte Banane (Penisersatz? Rassistisches Motiv?) ins Gesicht hält. Leider macht SS CAMP 5 aus diesem wahnwitzigen Motiv nichts. Nur tanzen und schauen. Es wird, wie alles andere, an die Wand geworfen und gehofft, dass etwas hängen bleibt. Ein weniger schönes Beispiel sind die ständigen Moralpredigten, die anscheinend beständig versichern sollen, dass dieser Film auf der richtigen Seite steht und dass die Unmenschlichkeit d(ies)er (Comic-)Nazis verteufelt wird, was auch mal mit Fotos von Leichenbergen aus KZs unterfüttert wird. Offensichtlich wird dadurch aber nur, wie fragwürdig es ist, einen WIP-Film durch die Verlegung in ein KZ emotional und inhaltlich aufzuladen, aber dabei so zu tun, als ob nichts weiter wäre. Aber das ist eben nur der Zuckerguss eines stählernen Vergnügens. Es läuft so wenig zusammen und sabotiert sich selbst, dass die Frage bleibt, ob SS CAMP 5 einfach nur fürchterlich ist oder eine avantgardistische Dekonstruktion seines Genres. … was mich aber am meisten schockiert ist, dass meine Sehtagebücher mir offenbarten, dass ich diesen Film schon sah. So nichtssagend ist er, dass ich während des Schauens nie auf die Idee gekommen bin, dass da etwas wäre, was ich schon kennen könnte.

Mittwoch 17.07.

Blonde Venus / Die blonde Venus
(Josef von Sternberg, USA 1932) [blu-ray, OF] 3

fantastisch

Es ist der wahrscheinlich konventionellste der sieben von Sternberg/Dietrich-Filme. Ein Melodrama, dass sich anders als MOROCCO oder SHANGHAI EXPRESS nicht in Stasis vollzieht, sondern in genretypischen Entwicklungen. Eine Frau (Dietrich) wird zwischen zwei Lebensentwürfe gestellt, die sie beide nachgehen möchte, die aber – durch die moralischen Gegebenheiten – nicht vereinbar sind. Und beide werden von BLONDE VENUS in leuchtenden und giftigsten Gewand gezeigt.
Die Welt als Mutter sieht wie ein Märchen aus, solange sie funktioniert. Die Ehe ist ein glückseliges Schauspiel, das für das gemeinsame Kind immer wieder aufgeführt wird. Aus Geldgründen kehrt die ehemalige Schauspielerin aber auf die Bretter zurück, die die Welt bedeuten. Es ist eine aufregende Welt, wo – es ist eines der traumartigsten, unwahrscheinlichsten Bilder der Filmgeschichte – Leute gebannt zusehen, wie ein Gorilla die Bühne betritt und nach einem kleinen Fellstriptease eine verführerische Frau wird. Exotik, Sex, Ausgelassenheit und Reichtum (auch an eigenen Identitäten) quellen hier nur so hervor.
Beides kann eine Zeitlang quasi nebeneinander funktionieren, weil der Ehemann einige Monate nach Deutschland zur Strahlentherapie muss. Nach seiner Rückkehr fällt aber alles auseinander und splittet BLONDE VENUS in zwei Teile. In beiden Teilen offenbaren sich die Widerhacken, wenn die moralische Empörung der bürgerlichen (männlich konnotierten) Gesellschaft losschlägt – der erste Teil stellt eine Hetzjagd auf die Frau und ihr Kind dar, dass im Armenhaus und Verzweiflung enden wird, zwischendrin aber immer wieder eine liebende Mutter zeigt, deren Leben von der Borniertheit der Gesellschaft zerstört wird – oder wenn in den Glitzerwelt nur noch die Gefühle ertränkt werden – der zweite Teil gleicht einer Geschichte wie DAS KALTE HERZ in der Form, dass die nun glamourösen Bilder voller Kälte sind und von einem Leben sprechen, wo sich hinter Glitter und Show versteckt wird.
Jede Entscheidung, die Marlene Dietrichs Figur treffen kann, gleicht dabei in gewisser Weise einer Selbstnegation. Vor allem, weil BLONDE VENUS die Frau zwischen drei Männer stellt. Ob es der Ehemann (Herbert Marshall) ist, der Millionär-Playboy (Cary Grant), mit dem sie eine Affäre hat, oder das Kind (Dickie Moore), alle verlangen im Grunde eine Unterwerfung unter sie. In Gegenwart des Ehemanns sieht sie zunehmend wie ein geschlagener Hund aus, der kaum noch nach oben zu gucken wagt, während sie Grant vor allem mit einer Hochnäsigkeit entgegentritt, die – wie so vieles – wie aus MOROCCO herübergeweht scheint, und ihm damit ihre gefühlvolle Seite vorenthält.* Nur bei ihrem Kind ist sie gänzlich glücklich., nur muss sie bezahlen, um bei ihm zu sein. Liebe ist in BLONDE VENUS so zwangsläufig von Normalität gegeißelte Selbstaufgabe.
*****
* BLONDE VENUS kann durchaus als Variation von MOROCCO gelesen werden, bei der die Leerstellen des ersten Films aufgefüllt werden.

Montag 15.07.

The Devil Is a Woman / Der Teufel ist eine Frau
(Josef von Sternberg, USA 1935) [blu-ray, OF] 2

verstrahlt +

Zur letzten Zusammenarbeit kehrten Marlene Dietrich und Josef von Sternberg zur Figur der Femme fatale zurück. Die sieben gemeinsamen Filme erhalten so eine gewisse Abrundung und außerdem gab es den beiden nach dem etwas betulich DER BLAUE ENGEL, mit dem alles begonnen hatte, die Chance diesen in ein anderes Licht zu rücken. Denn in THE DEVIL IS A WOMAN ist mit der Femme fatal etwas Entscheidendes passiert. Zu einer Abziehfigur ihrer selbst ist sie geworden. Nur ein Jahr nach Dorothy Arzners NANA, wo ein Dietrich-Clone die Ausbeutung der ihr Verfallenen zu einer Farce gemacht hatte, in dem sie so lächerlich spielte, dass wirklich nur lächerliche Marionetten auf sie hereinfallen konnten, übernahmen Dietrich und von Sternberg diese Methode und verfeinerten sie noch. Marlene Dietrich spielt nur an gewissen Punkten natürlich. Ansonsten dreht sie ihre Augen wie eine Kinderpuppe und agiert völlig exaltiert. Die Verfallenen bekommen dann vom Regisseur auch noch Hampelmänner in die Hand gedrückt, um die Verachtung noch zu vergrößern, die ihnen entgegen geschleudert wird, weil sie trotz der offensichtlichen Unaufrichtigkeit sich nicht wehren (können).
Diese Dekonstruktion von fatalen Femmes und hilflosen Männern steht dabei in seiner Überspanntheit einem grotesken Film wie DISHONORED in nichts nach. Optisch ist THE DEVIL IS A WOMAN sogar noch toll(kirschig)er. Er spielt während des Karnevals und geht folglich in Luftschlangen und Masken unter. Und wenn es nicht der Karneval ist, dann sind es Nebel, Weiden und sonst welche Spielereien, die den Bildern etwas Fiebriges mitgeben. Kurz: Es handelt sich um rückhaltungslosen Camp … und vll. hat Susan Sonntag genau wegen dieses Films von Sternbergs Werk komplett in der Ecke des Camp abgestellt.

Neue Götter in der Maxvorstadt
(Klaus Lemke, D 2019) [stream]

verstrahlt +

Judith (Judith Paus) sagt einmal, als sie einen alten Liebhaber, wahrscheinlich ist er das, trifft, dass sie immer genau voraussagen kann, was er als Nächstes macht. Diese Charaktereigenschaft teilt er sich nicht mit NEUE GÖTTER IN DER MAXVORSTADT. Dieser macht, was er möchte, und plätschert auf so schöne, idiotisch verwinkelte Weise herum wie das Gehirn seine Gedanken denkt, wenn es vom Nichtstun, Sonnenbaden und mit Leuten Plaudern angenehm bräsig geworden ist, wie Thomas G. so schön beim Perlentaucher scheibt.

Sonntag 14.07.

Wild Things
(John McNaughton, USA 1998) [blu-ray, OmeU] 5

gut +

Robert Wagner spielt in diesem Film mit, in welchem Leute von Booten gestürzt und ihrem Tod überlassen werden. Beides, seine Anwesenheit im Film und besagte Morde, liegen aber meilenweit auseinander … als ob sie vorsorglich getrennt wurden. Wie witzig wäre es aber, wenn er nur durch irgendwelche Assoziationen beim Drehbuchlesen seine Rolle bekommen hätte?
In WILD THINGS geht es ansonsten primär um eine Vergewaltigung, die vll. stattgefunden hat, vll. auch nicht. Über das he said, she said der beiden Parteien kann keine Sicherheit geschaffen werden. Und diese paranoide Leere wird im Folgenden mit Schmier – Denise Richards ist im Grunde nur da, um halbnackt und vor Nässe triefend herumzustehen – und Leuten, die systematisch täuschen und sich hinter Masken verstecken – einer der wenigen Leute, die sich wirklich treu bleiben, ist Bill Murray als schäbiger Winkeladvokat, der sein Leben mit Versicherungsbetrug bestreitet, aufgefüllt. Statt der Paranoia also etwas Reales entgegen zu setzen, wird die Phantasie im Plot noch eskaliert, bis der Film auch hätte TWIST AND SHOUT heißen können.
Ganz gemächlich schreitet es dahin – der Schnitt ist alles andere prägnant und pointiert – bis schließlich die wild aufgefüllte Leere absurd geworden ist … und dann geht es noch diverse Schritte weiter. Und am Absurdesten ist vll., dass alles dann doch abgesichert wird und eine erklärbärige Auflösung erhält, ohne WILD THINGS ins Triste zu ziehen. So wie die Charaktere sich ständig den paranoiden Haken anpassen, so eklektisch ist auch der Charakter des Films. Mal geht er voll darin auf, eine Highschoolkomödie zu sein, dann ist er wieder ein feuchter Erotikthriller, Noir-Polizeifilm, Justizverfahrensfilm oder Soap Opera. Die Mischung ist so krude und bunt, dass selbst die Erklärungen am Ende nicht in trockener Aufarbeitung untergehen.

Sonnabend 13.07.

Morocco / Marokko
(Josef von Sternberg, USA 1930) [blu-ray, OF] 3

fantastisch

MOROCCO lässt sich Zeit, bis mit Dietrichs ikonischem Frackauftritt das Geschehen Fahrt aufnimmt. Vorher gibt es nur Einzelne in ihrer Umwelt, die sich gen Untergang treiben lassen. Sobald sich Marlene Dietrich und Gary Cooper bei dieser Aufführung aber sehen, zieht das Tempo an … und zwar im steten Wechsel gen Hoffnung und Zersetzung. Das Problem der beiden – neben dem Engagement Coopers bei der Fremdenlegion – ist, dass beide zwischen den Polen Unabhängigkeit und Hingabe, zwischen Vertrauen und Resignation oder einfach nur zwischen dem Anspruch, Dinge mal richtig anzufangen, und dem Folgen des ersten Impulses hin und her pendeln.
Als ich MOROCCO das erste Mal sah, fand ich die Figuren sehr flach. Heute finde ich das unerklärlich. So wie sie in einzelnen Szenen und im großen Ganzen mit ihren Gegenübern, vor allem aber mit sich kämpfen, wie groß die Schere zwischen dem ist, was sie sagen, und dem, was sie tun, wie schnell Intentionen wieder umgeworfen werden, stecken sie in einem inneren Tumult, der der Hitze der Bilder und dem Eingeschlossenensein von einer unwirtlichen Wüste entspricht. Eine Geschichte von trotzigen Rowdies der Liebe, tief verletzt, verwundbar und couragiert, die in ihrem Übermaß an Seele nie mit sich identitär sein können. Do you love him?I don’t know. I hope not.

American risciò / American Rikscha
(Sergio Martino, I 1989) [stream]

gut

Gerade in der längeren Zeit, wo die Hauptfigur Scott (Mitchell Gaylord) alleine handelt und nicht durch Parallelmontagen mit Kobras, Katzen und alten chinesischen Damen zur (schwer händelbaren) Puppe von Göttern oder übernatürlichen Wesen gemacht wird, offenbart sich, was für ein Dummbatz er ist – wahrscheinlich ist eine leere Hülle besser zu steuern –, aber auch wie sehr die Sinnlichkeit von AMERICAN RIKSCHA von dieser Verbindung verschiedener Ebenen lebt.

Freitag 12.07.

Dishonored / Entehrt
(Josef von Sternberg, USA 1931) [blu-ray, OmeU]

radioaktiv

Marlene Dietrich spielt eine Prostituierte. Während der Zeit des Ersten Weltkriegs wird sie vom Chef des österreichischen Geheimdiensts angeworben und darf sich als Erstes von ihm anhören, dass der Beruf des Spions, der am geringsten geschätzte, verachtetste Job der Welt sei. Sie – es sei wiederholt: eine Prostituierte – hört es sich mit einem Lächeln an. Welcher Schalk DISHONORED im Nacken sitzt, wird an dieser Stelle vll. das erste Mal angedeutet.
Es folgen Dinge, wie die Besetzung von Victor McLaglan als russischen Spion, in den sich Marlene Dietrich verliebt. Und McLaglan spielt diesen nicht anders, wie er die sympathischen Oger und Trinker, die er vornehmlich für Ford gespielt hat, gespielt hat. Besonders schick ist immer sein clowneskes Lächeln, wo er wie eine Karikatur die Zahnreihen aufeinander hat und die Lippen weit auseinanderzieht. Dass so jemand aussieht, dem verfallen wird, ist nicht unbedingt eine naheliegende Idee.
Oder: Marlenes X27 wird eine Botschaft in Noten verschlüsseln und diese im Hauptquartier wieder entschlüsseln können, weil die Botschaft zwar zerstört ist, McLaglans Spion im Verhör es ihr aber vorspielte, es ihr also ins Blut übergegangen ist. Auch wird sie auf den Penissen eines Erschießungskommandos wie auf einem Klavier spielen. Oder ist es andersherum? Wer kann das schon sagen. Oder: Der Soldat, der das Erschießungskommando anführt, wird – von Marlene Dietrich gerührt – in eine humanistische Tirade verfallen, dass Erschießungen Wahnsinn und unmenschlich sind. Ein schwülstiges Happy End deutet sich an, doch er wird einfach abgeführt (vll. ins Krankenbett, ob seines Fiebers) und ein anderer wird die Exekution ohne mit der Wimper zu zucken durchführen.
DISHONORED wirkt mitunter wie eine Geschichte aus einem Lustigen Taschenbuch, nur sieht es nicht so aus. Es ist ein Film von Josef von Sternberg und deshalb gehört er zu den stilvollsten Filmen seiner Zeit. Aber hier wird dies nicht genutzt, um ein großes Melodrama zu erzählen oder einen großen Spionagethriller, sondern um jeder Andeutung von Ernsthaftigkeit ins Gesicht zu lachen.

Der Unfisch
(Robert Dornhelm, A 1997) [35mm]

ok

Zu Beginn ist DER UNFISCH ein Film über Menschen, für die er sich interessiert. Er schießt sich aber zunehmend darauf ein, eine Groteske über den Unsinn menschlicher Wünsche zu sein, wo es nur noch um Abziehbilder von Menschen geht. Der bessere STALKER – wer in DER UNFISCH Sex in einer auf einem Dorfmarkt stehenden Walattrappe hat, bekommt einen Wunsch erfüllt – wird so noch biederer als Tarkowskijs Original. Sophie (Maria Schrader) sitzt in diesem Wal und wie sie dahin kommt und wo ihre Motivationen liegen, mit den ersten Männern Sex zu haben, wird erzählt. Irgendwann, wenn die Handlung es braucht, dass das ganze Dorf mit ihr schläft, wird sie aber einfach entmenschlicht und ist nur noch ein Ding, das Sex hat. So wenig sich die Beischläfer für sie interessieren, so wenig kümmert sich der Film nun um sie. Und dieser Umstand ist sprechend für alles, was passiert. Zudem wird all das von einem enervierenden Erzähler kredenzt. Es ist sehr schade, weil weite Teile des ersten Teils, wenn der Film von Leuten in romantischen Berglandschaften erzählt, die ahnungslos darüber sind, was sie hier mit sich anfangen sollen, wirklich schön ist.

Donnerstag 11.07.

Master and Commander: The Far Side of the World / Master & Commander – Bis ans Ende der Welt
(Peter Weir, USA 2003) [blu-ray, OmeU]

gut

Erst ist MASTER AND COMMANDER eine Captain Ahab-artige Jagd auf ein Geisterschiff, dann eine Verhandlung von Naturwissenschaft und Aberglaube, die genau in dem Moment, wo der Aberglaube gewonnen zu haben scheint, der Naturwissenschaft einen in den Wundern der Natur schwelgenden Sieg lässt, was den Film kurzzeitig wirklich seltsam macht, nur um dann geradezu grobschlächtig wieder zum Jagdplot zurückzuführen, wo das Geisterschiff, ein napoleonisches Kriegsschiff, durch die Naturwissenschaft ein ganz normales, besiegbares geworden ist. Der Mittelteil ist dabei der tatsächlich Spannende, wo ein Abenteuerfilm ein ganz neues Ventil findet: die Natur auf den Galapagosinseln, wo es nicht um Triumph, sondern Wissen geht, um Genuss und nicht darum seinen eigenen Wert auf dem Rücken eines anderen aufzubauen. Hier darf Peter Weir Peter Weir sein und Leute als hilflose Barbaren in einer fremden, wunderlichen Welt zeigen. MASTER AND COMMANDER interessiert sich aber eben mehr dafür vom männlichen Adrenalinstoß zu erzählen, der es ist, sich zu duellieren. Wie wenig das zusammenpasst, kann daran abgelesen werden, dass Russell Crowe hier jemanden spielt, der zarte, verschnörkelte Dinge auf einer Geige spielt. Russell Crowe! Der so wie ein Rausschmeißer aussieht, welcher ein Teekränzchen mit Kuscheltieren veranstaltet.

Mittwoch 10.07.

Shanghai Express
(Josef von Sternberg, USA 1932) [blu-ray, OmeU] 2

fantastisch

Ein Liebesfilm mit der ultimativen Lehre, dass wenn ein engstirniger Prediger weniger auf seinen heuchlerischen Vorurteilen beharrt, als man selbst, dass etwas bei einem ganz schön schiefläuft. Das sich in pointierten Lichtsetzungen und Schatten abspielende Melodrama, um zwei dickköpfige Liebende, die keinen Grad von dem abweichen, was sie für richtig halten – wobei nur Marlene Dietrichs Figur die Ehre des Rechthabens bekommt – und deshalb Schmerz und Verachtung in Kauf nehmen, findet vor dem Hintergrund des chinesischen Bürgerkriegs ab. Und mit der Darstellung von diesem, hat sich Josef von Sternberg seinen falschen Adelstitel dann doch redlich verdient. Immer wieder zeigt er die chinesischen Bürger zusammengepfercht in überfüllten Wagons, während die Europäer sich wie Herrenmenschen benehmen, die in edlen Zugabteilen die Fahrt wie in einem Agatha Christie-Krimi verbringen. Und der Adel darin stellt sich so dar, dass er dies in seinen strategisch überbevölkerten Bildern nicht rechtfertigt und tatsächlich ein dezent unangenehmes Bild von Kolonialherrschaft zeichnet, aber dem keine Utopie entgegenstellt. Den nur am Rande wahrgenommenen Chinesen stellt er in den Revolutionären keine Erlöser an die Seite, sondern nur Banditen, die es sogar aussprechen, dass sie ihre Macht nicht in Recht und Ordnung kleiden, sondern in persönlicher Vergeltung. Auf Adler und Löwen werden Wölfe und Geier folgen.

Crank: High Voltage
(Mark Neveldine, Brian Taylor, USA 2009) [blu-ray, OmeU] 2

radioaktiv

Hat der erste Teil tatsächlich sowas wie ein Hauch oder einen Kern, in dem etwas verhandelt wurde – der Wunsch nach ruhigem Genuss in einer überdrehten Welt –, verzichtet die Fortsetzung völlig auf solches. Alles, egal wie unsinnig, wird aus dem Vorgänger wiedergeholt und noch mehr eskaliert. Tote kommen als ihre Zwillinge oder Köpfe in Wassertanks wieder, öffentlichen Sexszenen wird noch mehr Publikum verschafft. Dazu kommen Gimmicks wie Godzilla-artige Kämpfe, wo ohne Erklärung Menschen plötzlich Pappmachéköpfe tragen und in Miniaturnachstellungen ihrer Umgebung kämpfen. Die Grenzen des guten Geschmacks werden nicht übertreten, sondern pulverisiert.

Dienstag 09.07.

Crank
(Mark Neveldine, Brian Taylor, USA 2006) [blu-ray, OmeU] 2

fantastisch

Ein Film über das Leben im 21. Jahrhundert. Ein Film ständiger Rasanz und den Wunsch anhalten zu können. Und auch wenn CRANK zuweilen mit seinen optischen Spielereien etwas von NATURAL BORN KILLERS hat, werden diese beiden Tatsachen nicht zivilisationsmüde gegeneinander ausgespielt. Es ist keine Verdammung und keine Feier, einfach nur ein absurdes Rad, dass nicht aufhört durchzudrehen – for better or worse.

Sonntag 07.07.

Tangled / Rapunzel – Neu verföhnt
(Nathan Greno, Byron Howard, USA 2010) [3D blu-ray, teilw. in OmeU]

nichtssagend

Durch ein zwischenzeitlich mitschauendes Kind hatte ich das Vergnügen, den Film sowohl synchronisiert, als auch im Originalton zu sehen. Die Dialoge im Original sind besser, aber der Preis dafür sind völlig affektierte Sprecher.

Sonnabend 06.07.

Ninja
(Isaac Florentine, USA 2009) [blu-ray, OmeU]

ok

Ein Japaner im Hightechninjaoutfit voller Gadgets (Ihara Tsuyoshi) kämpft für die Reinrassigkeit der Ninjatraditionen, während Scott Adkins, der als Waise und darüber hinaus durch seine Wurzellosigkeit definiert wird, die Traditionen lebt und nicht an Oberflächlichkeiten interessiert ist. Es ist ein Kampf voller Spiegelfechtereien, der sich für seine generelle Hanebüchenheit – nur nicht in der bodenständigen Action – etwas unangemessen ernstnimmt.

Freitag 05.07.

Derrick (Folge 204) Der Schrei
(Helmuth Ashley, D 1991) [DVD]

gut

Harry verbeißt sich nach der Haftentlassung eines Mörders in die Idee, dessen Komplizen nun auch noch zu überführen. Er wird so einen neuen Tod heraufbeschwören … jeder kann es sehen, nur Harry verdrängt es. Das Ergebnis ist das Seelendrama eines Täters, der nicht nur von dem Echo seiner Tat zerfressen wird, sondern auch von der Rechthaberei eines Ermittlers. Am besten sind dabei Wolf Roth als skrupelvoller Täter und Rolf Zacher als skrupelloser Hallodrigangsterboss. Der eine kann nicht mal mehr die Brust einer willigen Frau anfassen, ohne moralisch zu zerbersten – es ist das tollste Bild der Folge, wenn seine Hand vor besagter Brust einfriert und er sich zu keiner weiteren Bewegung mehr durchringen kann –, während der andere sich leger durch die Folge schnoddert und den ganzen Aufriss nicht versteht.

Donnerstag 04.07.

Derrick (Folge 203) Ein Tod auf dem Hinterhof
(Zbyněk Brynych, D 1991) [DVD]

ok

War der Mann mit der blonden Minipli, der ab und zu herumstand und einem durch sein Aussehen und rumlungern als Täter angeboten wird, der Sänger von Twisted Sister?

Mittwoch 03.07.

Paddington 2
(Paul King, UK/F/USA 2017) [blu-ray]

großartig

Allein die Erfahrung, wie ein noch viel zu junges Mädchen versteht, was Gefängnis heißt, was es heißt von den Geliebten getrennt zu sein, wie traurig sie war … es hat mir das Herz gebrochen. Wie also einen Film einschätzen, wenn mein Hauptzugang das Mitfiebern von jemand anderen war und ich zu Tränen gerührt wurde, als das Happy End kam?

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