Nicht der Intellektuelle ist pervers, sondern die Situation in der er lebt



Über Zitate im Film, in Cinephilenkreisen grassierendes verbales Intellektuellenbashing und einen verkannten britischen Regisseur

„Ihr Menschen! Ihr Ungeheuer!“
…um gleich mit einem Zitat zu beginnen, hach ihr Leser werdet nie darauf kommen von welcher semifeministischen österreichischen Dichterin (Jelinek: falsch! Ätsch!) das ist *evil laughter*! Ihr seid ja auch größtenteils so minderwertig ungebildet, bä, bä, bä *ausspuck*!
Achja, immer diese Zitate, furchtbar. Diese Anmaßung, dieser Pomp, diese p-p-p-p-p-problematische Ausweitung des Bedeutungsspielraums eines Films durch Fremdanleihen, die auch noch als bekannt vorrausgesetzt werden. Puh, dieser Burton zum Beispiel mit seinen widerlich-arroganten Romantikanleihen, wie der alle Unbelesenen vom vollen Verstädnis seiner Filme ausschließt… Und dann erst dieser Argento, der seine Sets mit Escherbildern tapeziert und auch noch geschmackloserweise die Handlung in Straßen wie der Escher- oder der Fritz-Lang-Strasse spielen lässt, widerlich!

Doch halt! Nein!!! So ist es ja gar nicht, Burton, Argento und andere gutgeheißene Zitatschleudern spielen ja „unprätentiöse“, versteckte und subtile Art auf ihre Vorbilder und Referenztexte an, während Mr. P. G. aus UK, scheinbar der bescheidenste von allen, der von sich selbst sagt ein Zwerg auf den Schultern von Riesen zu sein, es wagt ein Gemälde (!!! *keuch*), zudem ein barockes (ogott! gehts schlimmer?) mehr oder weniger auffällig in die Mise en Scéne zu integrieren und dann auch noch einige Figuren so zu kostümieren wie die Leute, die darauf abgebildet sind: IIIIIIIIIIIIHHHHHHHHHHHHHHHHHH!!!!! Wie furchtbar!!! Dabei darf man sich doch nicht auf sowas derart elitäres, gossen- und kneipenfernes wie bildende Kunst, und schon gar nicht auf solche die in Museen hängt beziehen!!! Das DARF man halt nicht. Warum? Weil die halt nunmal prätentiös ist, nur was für arrogante eitle Bildungsbürger, die sich daran ergötzen wie gut sie selbst daneben im Museum oder wenn sie reich sind im eigenen Wohnzimmer aussehen. Und das geht natürlich keineswegs auf so etwas wie eine den Geist der Kunst vergewaltigende Aneignung von Malerei als Prestigesymbol zurück, sondern es ist eben einfach so, dass vor der Entstehung des Bildmediums Films, alle bildenden Künstler und unter ihnen vor allem die kanonisierten (Merke: Kanon=böse!), realitätsferne, menschenverachtende Arschlöcher waren und ihre Kunst dementsprechend die furchtbare Duftmarke des Dünkels trägt, gelle?

Und wer dann noch einen Schritt weitergeht wie dieser britische Schnösel und das Bildmedium Film mit dem Jahrhunderte lang dominanten Bildmedium Malerei und dessen Sprache vergleicht und sich gar demutsvoll in dessen Schatten stellt, der ist natürlich endgültig zum Dr. Mengele des Bildererzeugens geworden, der mit widerlichen, abstoßenden Formexperimenten am Zuschauer nichts anderes im Sinn hat, als dem armen, bescheiden auf leichtgemachte emotionale Involvierung hoffenden Durchschnittsrezepienten vorzuführen wie unvollkommen er doch ist, weil er nicht über den erlauchten Geheimcode der selbsternannten und -verliebten Bildungselite verfügt, die sich an ihrer Exklusivität und vermeintlichen menschlichen Überlegenheit gar köstlich berauscht und sich mit hochgezogegen Augen und zur Rosette gespitzten Lippen selbst auf die Schulter klopft, wenn sie ein Zitat aus dem Schatz des Bildungskanons erkannt hat und sich als Teil der Elite begreifen kann. Ja, so haben wir sie gern unsere geliebte Intellektuellen- und Bildungsbürgerabziehfolie, die ja so rein gar nichts gemeinsam hat mit den Judenkarikaturen im „Stürmer“ und gewissen Abhandlungen über „Neger und andere Tiere“ aus dem 19. Jahrhundert, nein, im Gegenteil, DIE sind ja die Faschisten, die Intellektuellen, weil die sich ja einbilden, sie wüssten wie und was man zu denken hat und es vorschreiben und vordenken, als selbstherrliche Vordenker, gelle?

Achjeh, zu schlimm dieser P. G., den vollen Namen wollen wir gar nicht ausschreiben um nicht unnötig Prätentionsdämonen zu invozieren. Künstlichkeit? Ja! Aber dann doch bitte bonbonfarben und alle sollen singen, das ist volksnah, bodenständig und gut und wahr und schön. Bitte ja nichts was nach Theater oder klassischer Malerei riecht und aussieht, das ist nur was für Snobs und hatte noch nie was mit dem wirklich wahren echten Leben zu tun. Dann auch noch Sex & Cannibalism? Jetzt hörts aber auf, is‘ ja widerlich, jedenfalls in diesem eitlen Gewand, fast schon eine Ästhetisierung…oh gott…gewalt…ästhetisiert??? FASCHISMUS!!!!! Können wir das Böse denn nicht bitte anstandshalber auch hässlich zeigen. Oder doch bonbonfarben, wenn’s denn unbedingt bunt sein muss.

Tja, leider bin ich ihm völlig verfallen, auf ihn rein gefallen, den großen Hochstapler Peter G. Ich dummer, unmündiger Rezeptionsdiletant habe mich einwickeln lassen in die Leichentücher der menschlichkeitsabtötenden Intellektualität, und mir jahrelang eingebildet beim Anschauen seiner Filme in einzigartige, rauschhafte Welten einzutauchen, die meine tiefsten Bewusstseinskeller zu durchdringen und ja, noch zu erweitern schienen. Oh glückliche Zeit der Sünde! Vorbei, vorbei! Nun muss ich schmerzhaft Buße tun, denn ich habe gefehlt. Nun muss ich von berufener Seite des Chewbacca und der Prinzessin Leia erfahren, dass ich all die Jahre in Selbsttäuschung verbrachte und das alle Tränen, die ich in Mr. Grünforts Cineversum geweint und gelacht habe vergeudet waren, dass ich gar nichts hätte fühlen dürfen, da die Filme gefühllos und kalt sind. Wie Josef K. im „Prozess“ werde ich von meinen gerechten Richtern in den Steinbruch der Reue geführt. Noch reichen sie einander immer wieder das lange Messer, unschlüssig wer die Strafe und zugleich Befreiung nun vollziehen soll, wartend, dass ich es mir, ihnen die Last nehmend, es selbst ins Herz stoße, meinem Abgott abschwöre, und mich endlich hingebe der einfachen, bescheidenen und liebevollen Umarmung von E. T.

Tulse Luper (*11.06.1985 +20.01.2009) R.I.P.
Dieser Beitrag wurde am Mittwoch, Januar 21st, 2009 in den Kategorien Alexander Schmidt, Ältere Texte, Blog, Blogautoren, Essays veröffentlicht. Sie können alle Kommentare zu diesem Beitrag über den RSS 2.0 Feed verfolgen. Sie können diesen Beitrag kommentieren, oder einen Trackback von ihrer eigenen Seite setzen.

6 Antworten zu “Nicht der Intellektuelle ist pervers, sondern die Situation in der er lebt”

  1. Scott on Januar 22nd, 2009 at 03:10

    Dieser Jess Franco ist auch so ein Fall. Nicht nur, dass die Bilder besonders auffällig im Set platziert sind – nein, die Akteure sprechen sogar noch darüber!!!

  2. Sano Cestnik on Januar 23rd, 2009 at 10:01

    Höchstallerliebster Alexander, dein Text ist wahrlich Balsam für meine wunde Seele. Vernehme, dass auch ich einmal beinahe in den Klauen dieses schrecklichen Übeltäters gelandet wäre. Du wirst es nicht für möglich halten, aber auch ich habe in meiner sündigen Cineastenjugend dem Teufel gehuldigt, und bin den Klauen des hochgefährlichen P.G. nur durch weitgehende Unkenntnis seines Werkes entkommen. Aber ein Anderer, vielleicht noch viel schlimmerer Satan hatte mich damals beinahe vollständig unter seine Kontrolle gebracht. Ich nenne ihn mal vorsichtshalber J.L.G.aus F. (nicht zu verwechseln mit einem weiteren, in jüngster Zeit mal wieder gepriesenen Prätendenten, J.L.G. aus Sp.), ein so perfider Hochstapler und Heuchler, dass er es bereits in seinem ersten Spielfilm wagte, seine verleumderischen Methoden unter dem Deckmantel der Unterhaltung und der Genrekonvention feilzubieten, um bereits von Anfang an auch die Unbedarftesten und Unwissendsten unter den Cinejüngern, unter seine Herrschaft zu zwingen. Aber glücklicherweise blieb sein Plan die Cinewelt zu infiltrieren, auf dass sie nie wieder so sei wie wir sie kannten (und liebten), nicht unerkannt. Seine hässliche Fratze wurde über die Zeit immer deutlicher, da er sich aufgrund der allgemeinen Tumulte und aufwieglerischen Tendenzen der 60er Jahre in Sicherheit wähnte, und seine wahren Absichten nun deutlicher in den Vordergrund zu stellen wagte. Nach dem vergeblichen Versuch in den 70ern auch noch die Weltherrschaft an sich zu reißen, gelang es ihm in den folgenden Jahrzehnten dank des klaren Blicks des Menschengeschlechts, nicht mehr so einfach seine Absichten zu kaschieren, und die arroganten Grundtendenzen seines schändlichen Werkes traten nun vollends zutage. Nachdem wir in unserer heutigen Zeit glücklicherweise in der Lage sind solche Bestien zu zähmen, mag dir mein Geständnis vielleicht mehr als Ausrede denn als aufrichtige Buße erscheinen. Doch höre mich weiter an.
    Denn JA, in meiner Jugend bin ich tatsächlich jenem J.L.G., P.G. und auch manch anderem Rattenfänger gefolgt, und meist auf ihre Täuschungsmanöver und Hinterlistigkeiten hereingefallen. Lange ist sie her, diese Zeit der Unschuld und Freiheit. Denn ich glaubte damals doch tatsächlich daran, dass es das Ziel des Films sein müsse möglichst viele verschiedene Ausdrucksarten und Sichtweisen auf die Welt zu ermöglichen, und ich war auch noch so naiv vom Regisseur zu erwarten, dass er mir seine Sicht der Dinge präsentierte, wenn auf dem Vorspann des jeweiligen Filmes sein Name prangte. Aber wie konnte ich es nur wagen, eine solche Individualität zu fordern, jeden Film und Regisseur nach seinen eigenen Maßstäben zu messen, und mich gar auf Neues und Unbekanntes einzulassen? Jugendlicher Leichtsinn.
    Heute habe ich natürlich erkannt was entartete Kunst ist, und was den gesunden Volkskörper stärkt. Wie jeder erleuchtete Cineast merke ich das sofort! Man muss nur die Einstellung des Filmemachers untersuchen (was, seien wir doch mal ehrlich, jeder verantwortungsbewusste Cinemensch schon zehn Meter Gegen den Wind riechen kann – faule Luft stinkt eben), um beurteilen zu können ob ein Film es ehrlich mit einem meint oder nicht. Denn höchste Aufgabe eines jeden Films ist es nun einmal offen und ehrlich, und ohne Umschweife (das betone ich hier noch einmal deutlich!) auf den Punkt zu kommen, und sich nicht in den Dunstkreisen des abgehobenen Intellekts zu verlieren. Und die Hauptaufgabe eines Pflichtbewussten Cinehüters ist es vor allem das Wahre vom Falschen zu trennen, und dafür zu sorgen, dass die Schäfchen und unwissenden Cineanfänger dem Fliegenfänger nicht auf den Leim gehen. Heute preise ich lieber den einfachen Splatter eines Dario A., die direkte Körperlichkeit eines Lucio F. oder labe mich an der Bescheidenheit eines Harald R. Das sind WAHRE Volkskünstler!
    Natürlich besteht auch bei diesen Filmemachern die Gefahr ihre Werke „gegen den Strich“ zu lesen, (wobei manch erfahrener und gegen die Gefahren und Fallen ausreichend gewappneter Rezipient, es sich durchaus mal erlauben darf besagte Filmgötter zu „prätentieren“), doch im Grunde sieht man bei ihnen sofort worauf sie hinaus wollen. Blut und nackte Brüste auf der einen Seite, schöne Menschen in schönen Landschaften auf der Anderen.
    Ja, auch ich habe das Licht endlich gesehen, und dem Teufel und seinen Jüngern vollends abgeschworen. Heute weiß ich, dass die Tränen die ich über zahlreichen Filmen vergossen habe Falsch, und meine Versuche die Welt in ihrer Vielschichtigkeit zu erfassen eine Lüge waren. Wie konnte ich nur annehmen, dass ich manche Dinge vielleicht nicht verstünde, oder nicht zur Genüge durchdacht und durchfühlt hätte. Oder dass mein Geschmack sich nicht notwendigerweise mit dem anderer Menschen decken müsse. Ha, welch Einfalt! Denn Ziel besagter Kreaturen war es natürlich nie sich einfach nur auf die ihnen natürliche und angemessene Art auszudrücken, sondern vielmehr jeden Cinemenschen so weit es nur geht vor den Kopf zu stoßen und mit pseudokulturellem Gewäsch zu verblöden. Eine Verschwörung von Filmterroristen mit weiten Ausläufern, die heutzutage Wellen schlägt und Kreise von Cineasten erreicht, von denen man nie angenommen hätte, dass sie solchen Scharlatanen jemals zum Opfer fallen könnten. Deshalb meine Brüder und Schwestern, müssen wir im Kampf gegen die falschen Propheten umso entschiedener vorgehen, und ohne Erbarmen oder falsches Mitleid jegliches Gewürm zerquetschen, auf dass es nie mehr die Leinwand eines anständigen Kinos besudelt.
    Nieder mit der Kultur! Es Lebe das Proletariat!

  3. Christoph Wirsching on Januar 23rd, 2009 at 17:51

    Ich weiß, es ist ungeheuer verführerisch, sich an meiner vermeintlichen Engstirnigkeit, meinem Anti-Intellektualismus und meinem einfachen, ungebildet-dummdreisten Gemüt zu berauschen, dennoch möchte ich hiermit anregen, gewisse Konflikte, die so persönlicher Natur sind (denn es scheint mir offensichtlich, dass es sich hier ausschließlich um Gegen-Stellungnahmen zu gewissen Äußerungen oder Ansichten [das wollen wir nicht verwechseln, gelle?] von mir handelt), lieber in konstruktiven, bemüht unpolemischen Diskussionen anzugehen anstatt mich mehr oder minder öffentlich zur Fascho-Karikatur meiner selbst zu machen. Offensichtlich ist der Bogen überspannt, fragt sich nur auf welcher Seite.

    Es hat gesprochen: Der kulturfeindliche, anspruchslose, unzufriedene, uniformierende Prätentions-Nazi mit der ungedeckten Lizenz zum Schubladen-Terror.

  4. Alexander Schmidt on Januar 24th, 2009 at 22:13

    @Christoph
    ich weiß nicht genau, ob sich dein kommentar jetzt nur auf sanos vorigen oder auch auf meine glosse selbst bezieht, die du doch als witzig empfunden zu haben bekundet hattest. bei beidem geht es jedenfalls (ich hoffe hier auch in sanos sinn zu sprechen) mit sicherheit nicht um persönliche konflikte, sondern um eine satirische (und satire darf ja auch bissig sein) auseinandersetzung mit bestimmten oft mindestens genauso polemischen angriffen auf bestimmte angeblich völlig verkopfte und für den normalzuschauer nicht mehr rezipierbare filme, wie nicht nur du sie ab und an vorbringst. wer so gerne wie du die argumentativen taktiken der verzerrung und gnadenlosen überspitzung nutzt, muss das doch auch anderen zubilligen.

  5. Andreas on Januar 25th, 2009 at 21:42

    Alex, deinen letzten Satz kann ich nur unterstreichen. Da scheint mir nämlich auch manchmal mit zweierlei Maß gemessen zu werden. Will das aber jetzt nicht weiter vertiefen, weil das wirklich nicht hierher gehören würde.
     
    Ansonsten kann man der Sache vielleicht immerhin noch den positiven Randaspekt abgewinnen, dass solche „Eskalationen“ irgendwie ganz gut zum Titel des Blogs passen. Müssen und sollten natürlich aber trotzdem wirklich nicht sein und werden hoffentlich auch nicht zur Regel.
     
    Ändert dennoch nichts daran, dass ich deinen und Sanos Beitrag durchaus amüsant fand, aber halt auch in erster Linie als albern-polemischen Spaß ohne bösartige Intentionen gesehen habe. (Gleichfalls sollte man es mit solchen spezifischen Sachen auch nicht übertreiben, wie ich auch selbstkritisch zu meinem Kommentar bei den Filmkategorien anmerke, der auch viel von einem Insider-Scherz hat, was auf einem öffentlichen Blog die Ausnahme sein sollte, weil man das Blog ansonsten ja schließlich nicht öffentlich führen müsste, wenn sich dann die Beiträge für Außenstehende nur bedingt erschließen lassen. Deswegen werde ich nach dieser einen Kommentar-Ausnahme z.B. auch versuchen, konsequent auf das im Allgemeinen ohnehin eher unbekannte und vor allem meist unnötige p.-Wort und ähnlichen Kram zu verzichten. Denke aber, dass ihr das ähnlich seht.)

  6. Sano Cestnik on Januar 25th, 2009 at 23:03

    Ja – Eskalationen hätt ich gerne in filmischer Hinsicht, nicht im persönlichen/privaten Bereich.

    Vielleicht hab ichs ein bisschen übertrieben… bin halt ein ziemlich elitärer Sack. Da kann man sich mal im Ton vergreifen. 🙁

    Meine hehren Ansprüche werdet ihr ja bald aus meiner vervollständigten Top 100 rauslesen können. 🙂

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