Katalysator maskuliner Sinnkrisen: Manta Manta – Zwoter Teil (2023)




    Das Alter ist eine Strafe, für die man nichts getan hat.
    (Großtante Franziska)


Kommt eine heiße Braut mit einem Opel Manta vorgefahren – sagt der Mantafahrer: „Oh Gott, mein Baby!“ So oder so ähnlich wohl könnte ein Mantawitz in Til Schweigers später Fortsetzung zu Wolfgangs Bülds soziokomödiantischem Klassiker „Manta Manta“ (1991) in auf der Leinwand ausgespielter Form erscheinen, wenn er den Impetus des anderen schlicht kopiert hätte. Stattdessen lässt Schweiger diesen zentralen Moment jenseits aller einer solchen Situation für Außenstehende von Natur aus inhärenten Komik völlig ernsthaft ausspielen, ist er doch im Kern um eine religiöse Göttinnenerscheinung gestrickt. Die Frage, ob es sich bei dieser um Jugendliebe Tina Ruland oder den ausgemotteten Jugendflitzer handelt, beantwortet ein Blick auf Schweigers Geburtsjahr, welches sich nie von seinem Bertie Katzbach separieren lässt. In einem gewissen Sinne ist man gemeinsam aufgewachsen. Eine Idee, aber auch eine Kontinuität in der exakten sozialen Reproduktion beider Filme, die Schweigers Rückkehr an die Quelle seines Durchbruchs zum tonangebenden deutschen Leinwandstar der letzten 30 Jahre von der ersten bis zur letzten Minute auf einer konstanten Reflektionsebene hält, die den zuletzt an den Kassen strauchelnden Regisseur wie Schauspieler und den abgehalfterten Werkstattbesitzer wie früheren Rennfahrer augenzwinkernd gleichsetzt.

Durch die Farbschemata der 90er Jahre um ein Haar ihres Augenlichtes beraubt, fragt Schweigers wie Berties Tochter – nie zuvor war diese personelle Übereinstimmung wichtiger – nach den einstigen Bewunderern des Boliden: „Waren die blind?“ Leuchtender Blick, selige Stimme: „Nein, das waren Mantafans.“ Das Grundproblem einer Generation treffend verdichtet. Der heilige Ernst der Babyboomer und die elegante Süffisanz der Gen Z – nichts als eine Diskrepanz in Mantawitzen. „Manta Manta – Zwoter Teil“ ist kein Film mehr über eine Subkultur, sondern einer über sowie aus soziokulturellen Generationen, Nostalgie, Spuren im Bremsstaub. Nicht alles hat sich seit 1991 geändert, doch was diesen Prozess hinter sich gebracht hat, ist erst einmal suspekt – der Erfolg ist zu Schuldenbergen angewachsen, die Libido zwangsvertrocknet, die Jugendkultur, welcher man einst angehörte, ist jetzt bestenfalls ein jährliches Classics Rennen, die alte Coolness nur mehr Affigkeit. Seit dem programmatisch betitelten „Die Rettung der uns bekannten Welt“ weiß man: die Welt im Schweigerverse funktioniert nicht mehr. Es fehlt ihr etwas, das über das vergebliche Bemühen nach Konsistenz hinausgeht.

Jede Geste abgelederter Männlichkeit sitzt – der affektierte Gang, cronenbergesk weiter auszahnende Zahnstocher zwischen den Lippen, die als spöttischer Reifeprozess graduell über den männlichen Cast wandern und die Milchzähne ersetzen, die ewige Qualmerei aus Opas Tropenschatztruhe. Vieles ist epidemisch, verpestet die Bilder von Maskulinität, anderes dann entsprechend idiotisch – dem Kumpel in einer diarrhoesen Notlage Schmirgelpapier in zwei Körnungsgraden anstelle irgendeines auch nur halbvernünftigen Klopapierersatzes zu reichen. Sag mir, dass du auch nach Wegbruch deiner Bezugsgruppe nach wie vor unter Gruppenzwang leidest, ohne mir zu sagen, dass du auch nach Wegbruch deiner Bezugsgruppe nach wie vor unter Gruppenzwang leidest. Schweiger ist ein brillanter Beobachter männlicher Unsicherheiten, an anderen, zuvorderst jedoch an sich selbst. Denn wirklich vollumfänglich einer möglichen, jedoch nicht prädeterminierten da publikumsgebundenen und damit nachhaltigeren Lächerlichkeit preisgeben kann die Insignien der Maskulinität wahrscheinlich nur, wer selbst zumindest teilweise an sie glaubt oder geglaubt hat, ihre Darlegung nicht bereits vom Endresultat herleitet. Allzu augenscheinlich ist dementsprechend seit Jahrzehnten, wie Schweigers Filme vornehmlich von sich über Sexismus und ihr eigene Toxizität erhaben wähnenden Männern seines eigenen Alters mit bestenfalls viertellustig verbrämter Geringschätzung sowie dem in der Filmkritik vernichtenden Prädikat „peinlich“ bedacht werden, weil diese ihre eigene Peinlichkeit sowie auch Schlimmeres nicht als Film gewordenen Spiegel ertragen können. Sie wollen diesen Transfer nicht leisten, verweigern ihn mit Minimalaufwand, würde er doch ungut ausgehen. Eine Dynamik, die uns noch bekannt vorkommen wird.

Viele dieser Offenlegungen arbeiten hier entlang von Verschiebungen der Wahrnehmung, den größten Teil seiner Komik bezieht der Film daraus, dass alle anderen Kerle, und gerade auch die gleichaltrigen, genauso peinlich sind wie Michael Kesslers auf anhaltende Jungfräulichkeit und die totale Stagnation im Habitus der goldenen Jahre hin verdichteter Klausi, dies allerdings nicht bloß nicht bemerken, sondern nicht wahrhaben wollen. Eine Spottspirale wie im Jugendclub, die ihnen spätestens auf der anderen Seite der Leinwand auf die Füße fällt. Im Sträuben gegen ihn, aber auch die größere Erkenntnis liegt ihre eigene Peinlichkeit begründet, genauer: eine just gegenüberliegende Form der Unzeitgemäßigkeit, die in Tragik münden muss. Klausi ist Referenz- wie Anknüpfpunkt; um ihn als Stabilisator, korrektive Instanz und metatextuellen Vergaser dreht sich alles dem Film Sekundäre – die verspielte Abrechnung mit der Kritik, die Nostalgieerfüllung des angestammten Publikums, das Anknüpfen an einen Erfolg vor der Leinwand, Schweigers gut geschmierte Brachialkomik inklusive schrotbewehrtem Culture Clash oder nackerten Vollsuffeskapaden. Ohne ihn kein „Manta Manta“, der Optimismus der 90er würde in der Auffangwanne versickern. An Michael Kessler liegt die Konsistenz einer gelungenen Fortsetzung und der Bruch, der eine eigenständige schafft. Auf diesem macht Til Schweiger ein Fass ohne Boden auf.

Was ist denn nun mit dem zurückgewünschten Erfolg auf der Leinwand? Wie in so vielen Schweiger-Filmen steht ihm etwas im Wege – eine Reise, der steinige Weg in die Authentizität, das echte Leben nach dem falschen. Bertie geht es 2023 auch nicht anders als vielen seiner Altersgenossen – ausgesorgt wollte man mit 50 haben, doch die Selbstständigkeit läuft nicht rund, die Ehe ist gescheitert, die Sorgen und Nöte der Kinder, man versteht sie nicht. Auf der anderen Seite, der, die in aller Deutlichkeit mit 1991 bricht, fördert Schweiger die Dramatik des Älterwerdens zu Tage. Wenn seine Stimme in Sorge um den in Party und gekaufte Zuneigung flüchtenden Sohn bricht, beginnt sie in ihrer sich selbst unzureichend abstützenden Knatschigkeit genau jenes Stadium zwischen „Ich bleibe hart.“ und „Ich halts nicht aus.“ einzufangen, aus welchem die abgekapselte Emotionalität des Boomervaters einsam sickert. Mitunter ihrem kinematografischen Umfeld fast unangemessen schonungslose Tell-it-all-Geschichten über sich selbst, darauf hat sich Schweiger seit der prüfenden Pandemie verlegt. Selbsterniedrigung, um andere daran genesen zu lesen. Eine Haltung – ein solches Maß erzählerischen Mutes sollte man ihm langsam zutrauen – und Entwicklungslinie seiner letzten Filme, derer hier man besonders gewahr wird, wo Schweigers eigene Figur im wohl umfassendsten Maße seit „Zweiohrküken“ (2009) wieder uneingeschränkt im Zentrum des Narrativs steht, nicht Kinder, die unter ihnen leiden. In der Tiefe seines Herzens jedoch ist er immer schon der Anti-Fassbinder gewesen: Das Nachschreiten des eigenen toxischen Potentials und Wirkens schreibt er nicht anderen Schauspielern in die Schuhe, er spielt es seit jeher selbst. Selbstbespiegelung als Katalysator maskuliner Sinnkrisen.

Ein paar solcher später schließen sich die Gemütszustände von Vater und Sohn erstmals beim Schisshasenrennen aus der filmischen Vergangenheit kurz, welches der Jüngere mit seinem vorgeblich besten Freund um die Freundin fährt. Zwei Autos rasen auf einen Abgrund zu – wer zuerst bremst, verliert. Nostalgie ist der große Gleichmacker zwischen den Männern. „Manta Manta – Zwoter Teil“, das ist „Rebel Without a Cause“, nur dass alle noch immer nicht erwachsen geworden sind. Und die „vernünftigen“ Erwachsenen gleich doppelt. Eine Dynamikumkehr, aber kein Update – so verhält sich Schweigers Film sowohl zu Büld als auch seinen ungewöhnlich ausgiebigen Referenzen. Remix – so tönt die moderne Sensibilität, mit der Schweiger an die Dramatik seines Stoffes herangeht. Mid-life crisis, aber entspannt und mit Fluppe allzeit in der Hand; es erstaunt, mit welcher erzählerischen Lakonie Schweiger selbst Unmengen komödiantischen Dialogdauerfeuers aufsagen lassen kann. Er ist der Malle-DJ des deutschen Kinos. Aber nicht Uwe aus Hammerhütte, sondern David Guetta. Meisterklasse.

Die ganz große Geste und das Leise finden bei ihm stets auf eigenwilligst montierte Weise zusammen. Über die Rennbahn des großen Finales bretternd brennt René Richters agile Kamera nichts als pure Kinetik in den Asphalt ein, welche anderorts geradezu erstarrt wirkt, wenn die gutherzige Streberin, die der trübe Sohnemann bislang verschmäht hat, mit dem eigenhändig restaurierten Käfer zur Aufmunterung naht und dabei sein Bild von ihr zerschmettert. In solchen Momenten ist Schweiger mit einer nie vollends unreflektierten Rührseligkeit aufrichtig, die man in Deutschland lange nicht mehr derart filigran beherrscht hat. Wie ein Versatzstück direkt aus Zbyněk Brynychs beispiellos lebensdurstiger Kommissar-Episode „Die Schrecklichen“ (1969) wirkt es dann, wenn sie sich zugewandt aus dem Faltdach aufrichtet, um den gottverlassenen Jüngling aus seiner Einsamkeit zu erlösen. Und da gehört der Film auch hin. Update, denkt man wieder, das ist dann auch eines und natürlich abermals eine der schönst denkbaren räumlichen Zuneigungskonstellationen allen deutschen Film- wie Fernsehschaffens. Umarmender Spott statt der überforderten Schüchternheit des bald schon frühvergreisten CSU-Wählers Harry Klein. Es sind die Feinheiten, die Til Schweiger in seiner rührigen Ernsthaftigkeit sowie der gnadenlosen Zerstückelung des filmischen Raumes via Schnitt und Kamera als uneheliches Kind von Harald Reinl und Renny Harlin ausweisen. Und „Manta Manta – Zwoter Teil“ als Schlüsselwerk von Papas Kino 2.0 – ein Film genauso sehr für wie über unsere Väter, der unter beiden, nur scheinbar gegensätzlichen, Gesichtspunkten hervorragend funktioniert.

Einseitig eingeschossene Kritik hat einmal mehr ihre Ebenen vertauscht – hier sehen wir kein einhellig affirmatives Heldenstück vom Phoenix aus der Asche, sondern die Geschichte eines Mannes, der angesichts überwältigender existentieller Probleme gar nicht anders kann, als den Gernegroßtraum seiner Generation weiterzuträumen. Mit allen Konsequenzen. Manchmal funktioniert es, manchmal nicht, meist nur für einen Augenblick. Til Schweiger kennt diese Flüchtigkeit genau. Wenn die Ebenen nach getaner Arbeit erneut überlappen, ist Klausi in seiner unbekümmerten Peinlichkeit nicht bloß authentischer, er bleibt auch der Einzige, der zum guten Schluss in eine neue, ihm völlig fremde Welt initiiert wird, anstatt in alter Glorie zu verharren und auf der wogenden Nostalgiewelle zu dümpeln, bis die depressive Ernüchterung wie das Amen in der Kirche widerhallt. Das ist der wesentliche Unterschied. Wolfgang Bülds „Manta Manta“ war eine soziologisch überspitzte Satire mit jungen Schauspielern in den Rollen ebenso junger Männer, die wiederum eine Rolle spielten, einen Stereotyp in jener Subkultur, der sie angehörten und die ihren alleinigen Freundeskreis darstellte. „Manta Manta – Zwoter Teil“ hingegen ist eine Tragikomödie, aus welcher immerfort ein ernsthaftes Drama aufblitzt, weil die Rollen und Haltstrukturen, die es für eine Satire erfordern würde, denselben, sichtlich gealterten Männern nun nicht mehr offenstehen und allein Witz werden kann, was sie ersetzt – eine Menge Copium. Das ist nicht Aufbruch und Entwachsen, sondern unsanft rausgeschmissen werden – und Til Schweiger fegt die Scherben zusammen.

So ist es nichts als folgerichtig, dass der Film, einmal an seinem Ende angelangt, auf dem Siegertreppchen einfriert und sogleich mittels einer Collage bislang ungenutzter Gags in die eigene Vergangenheit zurückflieht. Schweigersche Tongue-in-cheek-storytelling-Meisterschaft in Reinform, unweigerlich staunt man, dass ein Drehbuch so zahlreicher Köche sie derart ungehemmt herausstellt. Beides spricht für ihn als Autor, der seine eigenen Untiefen auf der Leinwand nicht scheut. Fast zu gut passt es da, dass ein entschieden bitterer Beigeschmack an diesem bemerkenswerten künstlerischen Triumph und Kulminationspunkt Schweigers letzter Arbeiten haftet, den „Manta Manta – Zwoter Teil“ insbesondere in seiner vorderleinwändigen, kassenträchtigen Erfüllung des erzählerischen Versprechens darstellt: Dass er die Erkenntnisse seiner jüngsten Arbeiten offenbar nicht in das eigene tagtägliche Handeln hinüberretten kann. Der spezielle Zwischenton der Babyboomer mal wieder, der nicht selten per se allein die Pole Übergriffigkeit und Schweigen abdeckt. Man kennt ihn schon.


Manta Manta – Zwoter Teil – Deutschland 2023 – 127 Minuten – Regie: Til Schweiger – Produktion: Viola Jäger, Christoph Müller, Philipp Reuter – Drehbuch: Til Schweiger, Carsten Vauth, Peter Grandl, Murmel Clausen, Reto Salimbeni, Miguel Angelo & Michael David Pate – Kamera: René Richter – Schnitt: Til Schweiger, Steven Wilhelm – Musik: Martin Todsharow – Darstellende: Til Schweiger, Tina Ruland, Tim Oliver Schultz, Luna Schweiger, Michael Kessler u.v.a.


[Alle Filmbilder Eigentum der Constantin Film AG]

Dieser Beitrag wurde am Dienstag, Mai 2nd, 2023 in den Kategorien Aktuelles Kino, Ältere Texte, André Malberg, Blog, Blogautoren, Essays, Filmbesprechungen, Filmschaffende, Zeitnah gesehen veröffentlicht. Sie können alle Kommentare zu diesem Beitrag über den RSS 2.0 Feed verfolgen. Sie können diesen Beitrag kommentieren, oder einen Trackback von ihrer eigenen Seite setzen.

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