Geschlechterkuddelmuddel mit Enzo Girolami: Ammazzali tutti e torna solo (1968)




    Flying through the air
    Side by side we dip bend and climb
    Flying through the air so free
    Feel them left behind below us

    (Oliver Onions – Flying Through the Air)


Der italienische Meister schneller wie aber auch durch extreme Zeitlupen zerdehnter Actionfilme, Enzo G. Castellari, verfeinerte sein Handwerk zu Beginn der eigenen Karriere mit einer ganzen Latte in rasanter Folge über nur zwei Jahre hinweg anscheinend locker aus der Hand geschüttelter Western, von denen dieser hier gemeinhin als einer der gelungeneren, wenngleich allerdings als weitestgehend geistlose Verzahnung ansehnlicher Aktionssequenzen gilt. Nicht gänzlich frei eines wahren Kernes, ist dies dennoch eine Geringschätzung, die dem schönen Film nicht gerecht wird, leistet sich Castellaris dritter Streich doch hinter seiner in nur gröbsten Handlungsstadien erzählten men-on-a-mission-Geschichte eine erstaunliche Menge an geradewegs idiosynkratischen Perspektiven auf Geschlechterbilder und die mit seinem Schöpfer so bereitwillig assoziierte Maskulinität.

Da wäre zuerst einmal dieser eigentümliche Blick aufs Geschehen sowie die Art und Weise, in der sich Action hier ihre Bahnen bricht. Gründlichst, in Ruhe jede noch so kleine Pore erfassend verweilt das Auge der Kamera mit – im Rahmen eines doch angeblich so ausgewiesenen „Männerfilms“ überraschendem Gusto – auf den Gesichtern, gerne auch den gelegentlich freigelegteren Luxuskörpern unserer Helden, jeden Moment ihrer schwitzigen Attraktivität festhaltend, als wolle sie nie mehr loslassen müssen. Nur um sie dann doch wieder und wieder in aufwendigst durchchoreographierte Kabbeleien – „Schlägereien“ kann man sie kaum nennen – zu stoßen, die in ihrer Emphase auf turnerische Manöver mehr an die feierlichen Festspiele eines römischen Leichtathletikvereins denn die ruppige Knochenbrecherei Seagals, Schwarzeneggers oder Stallones erinnert.

Wer ohne Kenntnis des Regisseurs an diesen Film herantritt könnte, entsprechend gesellschaftlich eingeprägter Erwartungshaltung, beinahe annehmen, es handele sich um die Westernvariante einer Regisseurin oder des bekennend homosexuellen Meisters der präzisen Männerkörpervermessung, des Briten Lindsay Anderson. „Ammazzali tutti e torna solo“ ist der höchst seltene Fall eines Filmes, der tradierte Geschlechterrollen wie auch Blickwinkelzuweisungen nicht durch seine Figuren selbst, sondern den dezeptiven Blick des Filmschaffenden in Frage zu stellen vermag. Gar kein so abwegiges Sujet für den italienischen Peckinpah wie man annehmen sollte, finden sich doch speziell in seinen Polizeifilmen der ausgehenden 70er Jahre häufig tiefgreifendere Reflektionen über unsere Geschlechterwahrnehmung. Jene starke Gegenspielerin, die sich in „Il giorno dell cobra“ (1980) beispielsweise erst als Franco Nero plättende Kampfsportmaschine, dann aber im geradezu fliegenden Wechsel als dürrer Hering in drag entpuppt, folgt etwa ganz ähnlich verwinkelten, an mehreren Ecken gebrochenen und somit letztlich auch ambivalenten Mustern.

Hier, zwölf Jahre früher, ist es eine bemerkenswert weite Kluft annähernd Salòschen Ausmaßes, die zwischen dem strammen, derben Inhalt und der übersprudelnden Spielfreude der Inszenierung klafft. Alejandro Ulloas Kamera unternimmt ausgedehnte Fahrten, gibt sich irrwitzigen POV-Aufnahmen hin und lässt das Geschehen unzählige Male durch ins Bild gepflanzte Stiefel, Zäune, Räder sowie weitere Alltagsbanaliäten rahmen. Von den akribischen, lang ausgedehnten Gesten der Darsteller, die an einen sich anbahnenden Tanz in „High School Musical“ (Kenny Ortega, 2006) gemahnen, haben wir da noch gar nicht gesprochen. Nichts davon interessiert sich in irgendeiner Weise dafür, inzenatorische oder emotionale Tiefe einzuschleichen, ist vielmehr bloßer Zierrat, luxoriöses Ornament, das allein die Frage aufwirft, wie der Actionfilm eines heterosexuellen Mannes denn auszusehen habe.

Und wie sehen stahlharte Helden aus, wie kämpfen sie? Tänzelnd, extrem beherrscht gehen sie zu Werke und ähneln darin ihrem Vehikel, das insbesondere auch im den Kern bildenden Heist so wirkt, als wäre jede Etappe der ausufernden Verwüstung doch nur ein plangemäßer Schritt zum Ziel. Bisweilen erscheint der Film wie mein großer Traum eines Italowesterns, jener, der sich ausgiebigst dem Alltag dieser (weiblichen!) Tanzrevuen verschreibt, die sich in seinen Saloons so großer Beliebtheit erfreuen. Bogard, die Figur des einstmals bekannten spanischen Wrestlers Hércules Cortés und seines Zeichens Muskelmassiv der Gruppe, allein darf sich über rohe körperliche Kraft definieren. Für restlos alle anderen Männer des Filmes scheint eine dezidiert artifizielle equal opportunity strength zu existieren, allesamt kämpfen sie athletisch, mit federnden Schlägen und Tritten immer gleicher Wirkkraft. Alberto Dell’Acqua, Franco Citti, Frank Wolff, sogar Leo Anchóriz, tendenziell der non-action guy dieser Truppe – sie alle wirken den sie an Körpergröße oder Muskelmasse offenkundig überlegenen Chuck Connors und Giovanni Cianfriglia so stets eigenartig ebenbürdig. Das Connors, sogar Cortés ein wenig und den Rest des Castes durch die Bank um etwa ein bis zwei Häupter überragend, besonders häufig und ausgiebig von Feind wie vermeintlichem Freund Dresche beziehen darf, es scheint diese stilistischen Eigenheiten nur mehr zu unterstreichen.

Wenn man so will, hat man es aller Liebe zu in schwingenden Tritten begriffenen Körpern zum Trotz im Grunde mit einem maximalen Zerrbild des, speziell in Leni Riefenstahls „Olympia“ (1938) so formvollendet ausformulierten, alle geistigen Meriten überschattenden Körperkultes der Nationalsozialisten zu tun, der diesen Film zwar wie so viele moderne Actionfilme nachhaltig prägt und doch in gänzlich andere Bahnen gelenkt wird. Denn wo alle mit der gleichen körperlichen Befähigung gesegnet, da können sie sich einzig und allein durch das auseinander differenzieren lassen, was wirklich zählt: durch ihre Intelligenz, oder im Rahmen dieses im wörtlichen wie übertragenen Sinne zutiefst diebischen Werkes durch ihre Verschlagenheit. Mitunter gleicht „Ammazzali tutti e torna solo“ auf diese Weise einer das Körperliche und seine kritische Beäugung durch andere längst hinter sich gelassen habenden Utopie, einem Hochlied auf den wachen Geist, an dessen Ende nur mehr der stehen darf, der sich in dieser Disziplin als am beschlagendsten erwiesen hat. Mehr noch ist er indes ein Musterbeispiel für Castellaris Vision vom Kino, in der selbst ein beinharter „Männerfilm“ immer so eine gewisse Leichtigkeit, eine unbedingte (und von selbstausgewiesenen Kerlen dann eben zuverlässig als „weibisch“ verpönte) Stilfreude ausatmet, die den in Hektolitern aus den engen Hosen rinnenden Sackschweiß sogleich sorgsam wieder auffängt.


Ammazzali tutti e torna solo – Italien, Spanien 1968 – 100 Minuten – Regie: Enzo G. Castellari – Produktion: Edmondo Amati – Drehbuch: Tito Carpi, Enzo G. Castellari, Joaquín Luis Romero Marchent, Francesco Scardamaglia – Kamera: Alejandro Ulloa (jun.) – Schnitt: Tatiana Casini Morigi – Musik: Francesco de Masi – Darsteller: Chuck Connors, Frank Wolff, Leo Anchóriz, Franco Citti, Giovanni Cianfriglia u.v.a.


Dieser Beitrag wurde am Mittwoch, Oktober 17th, 2018 in den Kategorien Ältere Texte, André Malberg, Blog, Blogautoren, Essays, Filmbesprechungen veröffentlicht. Sie können alle Kommentare zu diesem Beitrag über den RSS 2.0 Feed verfolgen. Sie können diesen Beitrag kommentieren, oder einen Trackback von ihrer eigenen Seite setzen.

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