Fragen an das leere Zimmer




Do you believe Steven Spielberg is an ideal guide and influence for our culture? Do Steven Spielberg’s films question our culture? What do Steven Spielberg’s films question?

Der Schauspieler Crispin Glover veröffentlichte 2003 ein kontroverses Essay unter dem Titel „What Is It?“. Darin ging es unter anderem um die Wirkungsmacht, die das Werk von Steven Spielberg auf die Gesellschaft hat.
Der Kinostart von Ready Player One ist ein guter Anlass, Glovers Text noch einmal zu lesen und ihn vielleicht sogar fortzuschreiben.

Does our culture congratulate itself for taking interest in the lack of original ideas personified by the name of Steven Spielberg? Do his films take chances or take risks in order to amplify, change or challenge the cultural thought process? Does Steven Spielberg take risks, or does he simulate the idea of taking risks? What risk was involved in making Saving Private Ryan or Schindler’s List (…)?

Ist es nicht interessant, dass nur wenige Monate nach Spielbergs „seriösem“ The Post der „Unterhaltungsfilm“ Ready Player One folgte? Erinnert das nicht unter anderem an das Jahr 1993? In jenem Sommer kam Jurassic Park heraus und wenige Monate später (passend zur kalten Jahreszeit) Schindler’s List. Blockbuster waren beide (und vor der Verwertungsmaschinerie sind diesen beiden Filme ohnehin gleich).
Crispin Glover stellt die richtige Frage: War es ein Risiko, Schindler’s List zu drehen? Oder eher das genaue Gegenteil?

Ray Carney schreibt dazu: „From the accolades he received after Schindler’s List, you would have thought Spielberg did something dangerous and heroic, when all he did was merchandise the Holocaust. He made money by selling pictures of it. That out-Benettons Benetton! (…) Schindler’s List simply rehashes Spielberg’s inflatable, one-size-fits-all myth about how a clever, resourceful character can outsmart a system. Is that what the meaning of the Holocaust boils down to–Indiana Schindler versus the Gestapo of Doom? Schindler is a Hollywood producer’s self-congratulatory fantasy of how giving people a chance to work for you is doing them a big favor.“ *

Ob es ein Risiko war oder nicht, am Ende war es siebenfaches Oscargold und ein satter Gewinn. Das Regisseursgehalt für Schindler’s List hat Spielberg übrigens als „Blood Money“ zurückgewiesen. Nicht davon betroffen ist das Blutgeld für Jurassic Park, das ohnehin erheblich höher ausgefallen ist.
Warum redet eigentlich niemand, wenn es um die nationalsozialistische Aufarbeitung in Spielbergs Werk geht, über dessen Indiana-Jones-Filme? Über das frivole Nazibild, das dort vermittelt wird? Dass es im Grunde genommen das gleiche ist wie in Schindler’s List?

Welles

Spielberg verehrt Orson Welles. Der Schlitten aus Citizen Kane, den er für 55,000 $ ersteigert hat, ist Beweis genug. Oder? **

Die Ironie ist groß. Im Film ist der Schlitten ein Symbol für Kanes verlorene Kindheit. Der „echte“ Schlitten ist ein Objekt. Er steht für gar nichts. Doch die Ironie ist noch größer. Denn Welles hat Spielberg einmal um Geld gebeten, um The Other Side of the Wind fertigzustellen. Gut, Welles hat damals fast jeden gefragt. Und Spielberg ist kein Wohlfahrtsamt. Aber ist es nicht interessant, worin er letztendlich investiert hat? Dass ihm ein Objekt wichtiger war als ein neuer Film seines Idols? Was dachte er wohl, wenn er seinen einstigen Helden als fetten, tragikomischen Vertreter für Weine von Paul Masson im Fernsehen erblickte? Was ging durch seinen Kopf, wenn er ihn in Talkshows sitzen sah, herumgereicht wie eine Trophäe, eine gebrochene Legende und Spielberg währenddessen seinen Blick zufrieden zum Rosebud-Schlitten gleiten ließ? (In Schindler’s List hat Spielberg übrigens seinen ganz eigenen Rosebud-Moment kreieren wollen, mit einem kleinen Mädchen in einem roten Mantel. Dumm nur, dass er die ganze Welt daran teilhaben lassen wollte, dass es ein Rosebud-Moment war.)
Dieses Jahr hat er angekündigt, den Schlitten einem Museum zu spenden. Hat er sich nun daran sattgesehen?

Gewalt

Ist es nicht interessant, dass ein Regisseur, der stets die Einheit der Familie und die Hoffnung feiert („The worse the world gets, the more magic we have to believe in. […] Hope comes from magic and I think that’s what movies can give people. They can give people hope that there will be a reason to fight on to the next day. Hope is everything to me.”), doch so gut darin ist, abgründige Gewalt nicht nur effektiv darzustellen, sondern geradezu zu feiern? Was ist der Sinn der exzessiv brutalen Exposition in Saving Private Ryan? Welchen Zweck haben die genüsslich perversen Exploitation-Momente in Indiana Jones and the Temple of Doom? Warum ist Amon Göth in Schindler’s List so ein überzeichnetes Monster? Warum kommt aus den Duschen Wasser? „I can’t see much difference between Spielberg’s so-called serious movies and his boy’s book movies”, schreibt Ray Carney und genau das ist der Punkt. Es ist nicht so, dass Spielberg auch anders kann und uns einen „seriösen“ Film vorsetzen kann. Schindler’s List ist genauso seriös wie Raiders of the Lost Ark oder jeder andere Indiana-Jones-Film. Es ist auf gewisse Art derselbe Film, der einfach nur ein rotes Kleid trägt, das ihn vom Konfektionären abheben soll. Aber der Rosebud-Moment bleibt aus.



Magie

Ist es nicht interessant, dass Spielberg (und sein partner in crime George Lucas) es geschafft haben, die Kindheit weit ins Erwachsenenalter zu verlängern, mit ihren (Konsum-)Objekten, ihren Gadgets (ihrem Spielzeug, ihren Videospielen), ihren Kino-, Fernseh- und Comichelden und das als Nostalgie zu legitimieren? Ist es wirklich ein Zeichen von Unschuld, als erwachsener Mann sein (virtuelles) Kinderzimmer wie einen Schrein zu pflegen?

Die Pop- und Fernsehkultur, die sich um sich selbst dreht und mit der Spielberg aufgewachsen ist, die er selbst bis zum Exzess verklärt und am Leben erhält, er hat aus ihr einen gigantischen Vergnügungspark für alle kreiert (eine Art Jurassic Park), dessen Mutationen uns regelmäßig heimsuchen. Und die Kindheit endet einfach nicht, denn: „The worse the world gets, the more magic we have to believe in.”

Ist es nicht interessant, dass der Milliardär Spielberg uns heute voller Inbrunst etwas über Daniel Ellsberg und die Freiheit des Journalismus erzählt und morgen in Ready Player One den immergleichen Objektfetisch pflegt und uns davon überzeugen möchte, das Kinderzimmer nie wieder zu verlassen? Ist die Magie von Daniel Ellsberg dieselbe wie die von Hillary Clinton, für die Spielberg beim letzten Präsidentschaftswahlkampf 1 Million $ gespendet hatte?

Ist es nicht interessant, dass Spielbergs Filmografie letztendlich einer Art Zapping gleichkommt? Auf die Dinos folgt der Holocaust, auf die Terroristen die Außerirdischen, auf die Geschichtslektion der Cartoon und es ist alles eins, gesehen durch dieselben Augen, die uns Magie schenken wollen in einer immer schlechter werdenden Welt, die uns am liebsten in unser Kinderzimmer einsperren wollen, weil wir da sicher sind, sicher und wohlbehalten. Ist es nicht interessant? Ist es nicht seltsam?


Alle kursiven Zitate von Crispin Glover.


* Stanley Kubrick hingegen fasste es so zusammen: „That was about success, wasn’t it? The Holocaust is about six million people who get killed. ‘’Schindler’s List’‘ is about 600 who don’t.“

** Einem Artikel der Washington Post zufolge war übrigens auch George Lucas sehr erpicht auf den Schlitten



Safarow schreibt

Dieser Beitrag wurde am Sonntag, Mai 13th, 2018 in den Kategorien Aktuelles Kino, Ältere Texte, Blog, Blogautoren, Essays, Filmschaffende, Sven Safarow veröffentlicht. Sie können alle Kommentare zu diesem Beitrag über den RSS 2.0 Feed verfolgen. Sie können diesen Beitrag kommentieren, oder einen Trackback von ihrer eigenen Seite setzen.

Eine Antwort zu “Fragen an das leere Zimmer”

  1. Manfred Polak on Mai 13th, 2018 at 17:32

    „Rosebud“ ist auch ein Mordinstrument, jedenfalls in der COLUMBO-Folge HOW TO DIAL A MURDER (1978). Da richtet der Mörder seine beiden Dobermänner darauf ab, jeden zu zerfleischen, der „Rosebud“ sagt. Dann lockt er das Opfer in sein Haus, während er selbst abwesend ist, ruft dort an und bringt das Opfer dazu, das magische Wort auszusprechen. Und schon gibt es Hackfleisch.

    Der Mörder ist ein Fan alter Hollywoodfilme und Sammler entsprechender Memorabilien. Beispielsweise ein Billardtisch von W.C. Fields einschl. eines krummen Queues. Und den Rosebud-Schlitten besitzt er auch. Die freundlichen Dobermänner heißen „Laurel“ und „Hardy“.

Kommentar hinzufügen