Auftakt einer Alfred Braun-Retrospektive in Köln! & 100 deutsche Lieblingsfilme #62: Spione im Savoy Hotel (1932)
Ein, zumindest als solcher vermarkteter, Kriminalfilm aus den frühsten Tagen des deutschen Tonfilms, was hier von geradewegs dringendster Wichtigkeit ist und selten schöner Niederschlag in der gesamten Mise en Scène fand – gibt die Dialog- wie Musikspur doch in jeder nur erdenklichen Situation im wahrsten Sinne des Wortes den Ton an. Revueszenen, die deutlich über die Hälfte der Laufzeit ausmachen, viel mehr jedoch noch der sagenhafte Lebensdurst, der mit allem verbunden scheint, das auch nur das leiseste Geräusch zu verursachen im Stande ist, drängen die Geschichte um einem mysteriösen Schreiben hinterherjagende Spione, den Ernst der menschlichen Existenz gleich dazu, nicht nur an den Rand der Narration. Bisweilen wirkt „Spione im Savoy Hotel“ mehr wie eine regelrecht frenetische Feier der damals sensationellen Entwicklung als ein Spielfilm.
Mit nie versiegendem Elan, jenen speziellen Charme zwischen weltmännisch und onkelhaft versprühend, der ihn wohl auch in der Realität zum Dauerbrenner geraten ließ, führt Reporter und Rundfunkpionier Alfred Braun als exaktes Abbild seiner selbst durch die Geschichte, in die er bei Bedarf auch als selbsternannter Detektiv eingreifen darf. Nicht die kleinste Nahtstelle findet sich an den Rändern beider Personae – kein Wunder, machen beide doch eh das Gleiche. Besucht Braun beispielsweise mitten im Aufbau des großen Finales einen Clown in dessen Garderobe, fällt es einigermaßen schwer auseinanderzudifferenzieren, was genau dort vor sich geht. Ist es ein Verhör – oder doch nur ein profanes Interview, das er führt? Zelniks Inszenierung mit ihrer Geheimniskrämerei sowie dem fast nach einem unerwünschten Eindringling ausschauenden Hauptdarseller plädieren für Ersteres, Brauns sachlicher Tonfall und die nie versiegende Direktübertragung via transportablem Mikrofon ins Radio entschieden für letzteres. Abschließend geklärt wird diese Frage, wie so vieles, nie – was im reizvollen Widerspruch zur häufig rein deskriptiven Neutralität des Filmes, oder zumindest seiner tonalen Ebene, steht. Signifikante Teile des Geschehens werden ausdauernd kommentiert, von den Figuren allein mündlich weitergetragen, Alfred Braun lässt den Off-Kommentar amerikanischer Noir-Filme zu höchster, fleischgewordener Vollendung mutieren – nichts davon muss hinterfragt, alles kann für bare Münze genommen werden und sogar konkurrierende Spione kennen keine Geheimnisse untereinander. Gezeigt wird das Allerwenigste und dies gelegentlich selbst dann noch weiter beschrieben – alles Visuelle dient einzig und allein dem Auftragen zartester Tupfer der Gegensätzlichkeit. Manchmal irritierend, stets faszinierend.
Und dann und wann, ganz selten, entwickelt die ansonsten weitestgehend das Aneinanderreihen statischer Einstellungen präferierende Montage urplötzlich, wie aus einer Laune heraus ein geradezu überbordendes Eigenleben, findet sie angestoßen durch, wie sollte es anders sein, Geräuschkulissen verschiedenster Natur zu sich. Übertragungskabel werden zu regelrechten Spinnennetzen aufgebauscht, eine schrillende Glocke findet Bild für Bild für Bild Widerhall, die Aufforderung, bei einer Showeinlage doch bitte laut mitzulachen, treibt nach und nach im ganzen Funkpalast wildeste Blüten, während sich der Schnitt fast schon avantgardistisch von Ort zu Ort des Gelächters hetzend zu überschlagen droht. Hysterie sah selten hinreißender aus. In der abschließenden, slapstickesken Verfolgungsjagd schließlich muss sich die Choreographie, jede noch so feine Bewegung streng der von der Bühne und aus dem Radio drängenden Musik unterordnen, nicht, wie so häufig, umgekehrt.
Diese präzis getrennten Welten der sinnlichen Wahrnehmung verhelfen zu einer heute wohl so nicht mehr reproduzierbaren – zu lange ist das Drehen mit Ton nun bereits Industriestandard – Faszination, die den Film weit über seine vermeintlich dröge Handlung hinauswachsen lässt. Zu einer ganz eigenen, etwas erratischen Lebendigkeit, die frühe Tonfilme wie ebendieser ganz allein für sich haben.
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Zum Wieder- oder Neuheben dargereicht gab es diesen kleinen Schatz vor wenigen Tagen, am 03.05.2018, beim Auftakt einer so vollständigen wie rein analogen Retrospektive des Filmschaffens Alfred Brauns im verdienten Kölner Filmclub 813. Ein Unterfangen, das man in Anbetracht des fast völligen Desinteresses, welches diesem Werk auch in cinephilen Kreisen bislang (noch?) zuverlässig entgegenschlägt, nur ambitioniert nennen kann – und mutig! Hinter diesem Mut steckt der Taten- und Entdeckerdrang der Jugend, in diesem Falle der des hoffnungsvollen Jungkurators Felix Mende, der in einer Einführung den Lebensweg seines Faszinationsobjektes nachzeichnete – mit der sich überschlagenden, dann stolpernden, sich letztlich doch wieder aufraffenden Aufregung des ungehemmten, aber im Stillen noch mit der Sinnhaftigkeit seines Tuns ringenden Enthusiasten. Dem jedoch kann geholfen werden: Gehen Sie hin, erleben Sie das Kino Alfred Brauns, bevor es erneut seinen wohl unvermeidlichen Rückzug in die Obskurität antreten muss, zeigen Sie Felix Mende, dass Sie seinen Einsatz für das Verdrängte zu schätzen wissen!
Nachfolgend alle Spieltermine der Retrospektive im Mai, die der kommenden Monate finden sich – wie auch der Rest des sehenswerten Programms – stets kurz vor Monatsbeginn auf der Internetpräsenz des Filmclubs 813!
Samstag, 12.5.2018 – 20 Uhr – „Immensee“ (Veit Harlan, 1943), Buch: Alfred Braun!
Donnerstag, 17.5.2018 – 20 Uhr – „Augen der Liebe/Zwischen Nacht und Morgen“ (Alfred Braun, 1944/1951)
Donnerstag, 24.5.2018 – 20 Uhr – „Mädchen hinter Gittern“ (Alfred Braun, 1949)
Spione im Savoy Hotel – Deutsches Reich 1932 – 80 Minuten – Regie: Friedrich Zelnik – Produktion: Friedrich Zelnik – Drehbuch: Friedrich Zelnik – Kamera: Reimar Kuntze – Schnitt: ? – Musik: Otto Stransky, Comedian Harmonists – Darsteller: Alfred Braun, Olga Tschechowa, Erich Kestin, Walter Slezak, Margot Landa u.v.a.
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