Filmemachen ohne Regeln – Dog Eat Dog (2016)





Der Autor und der Regisseur

Als Autor ist Paul Schrader ein Traditionalist. Er ist stark vom psychologischen Roman des 19. Jahrhunderts beeinflusst. Manchmal geht er darüber hinaus (wie in seinem Stück Cleopatra Club, das an Harold Pinter angelehnt ist), aber ansonsten bleibt er bei dem, was er gelernt hat. Dazu nimmt er das Drehbuchschreiben nicht sonderlich ernst. Für ihn ist es keine Literatur, sondern Teil der „oral tradition“. Es ist „Storytelling“. Das ist die eine Seite von Schrader.

Die andere Seite hat mit dem Regisseur Schrader zu tun. Und der ist ganz und gar kein Traditionalist oder Klassizist. Er ist ein wacher Filmemacher, der sich mit (fast) jedem Film neu erfindet, der sich nicht wiederholt, der sich stets im Verhältnis zu seiner Zeit sieht und versucht ein bisschen schneller auf sie zu reagieren als seine (vor allem gleichaltrigen) Kollegen. Gerade in den letzten zehn Jahren hat sich diese Einstellung als notwendige Überlebensstrategie erwiesen. Der Markt hat sich verändert, der Vertrieb hat sich verändert, für wen werden Filme noch gemacht und wie bringt man sie an den Mann? Schrader antwortet darauf nicht nur mit alternierenden Distributionsstrategien, sondern auch mit alternierenden filmischen Konzepten. The Canyons war ein Experiment – ein ganz und gar geglücktes sogar. Das war für Schrader Grund genug, es nicht zu wiederholen, sondern wieder was Größeres zu wagen; mit dem Ergebnis, das ihm der Film entrissen wurde (ein Debakel, das an seine Erfahrungen mit dem Exorzist-Sequel denken lässt). Die Enttäuschung, die Dying of the Light hinterließ, führte aber nicht zu Resignation, sondern zu einem kreativen „Fuck you!“, als welches Dog Eat Dog auch unbedingt verstanden werden will.

„So then I started thinking about an idea that was percolating over the last several years of a cinema that is post-rules. […] So that began a process of putting together a group of people, mostly from outside of the film industry, to try and figure out what it even meant to make a crime film today. In the end the film is as much about crime films as it is about crime.“

Ohne einen für ihn sinnstiftenden theoretischen Unterbau hätte Schrader so einen Film niemals gemacht. Er brauchte einen Grund, eine Rechtfertigung, vor allem aber einen Antrieb. Also suchte er neue Impulse, Ansätze, Inspiration, versammelte er neue Leute um sich, die nichts mit Film oder gar mit Gangsterfilmen zu tun hatten. Mit kleinem Budget und motivierter, unverbrauchter Crew war er also gewappnet gegen die üblichen Fallen, die das Genre bereithält. So ist der Film auch kein hermetisches, rundes Werk, wie man das von Schrader sonst gewohnt ist, sondern ein heterogener Zusammenschluss von Suggestionen, die in ihrer Visualität genauso variieren wie in ihrer Stimmung: Knalliges Rot wechselt zu Schwarzweiß, Humor verwandelt sich in Tristesse, aus einem Skript mit drei Akten wird ein Film mit zwei. Warum? Weil man es kann: „Don’t explain why, you don’t have to explain why. You don’t need a reason. […] So that became the mindset.“

Tarantismen?

Wer den Film sieht (oder den vorangegangenen Trailer) und an Scorsese/Tarantino denkt, hat nicht Unrecht. Doch wer Schrader für einen Spätstarter hält, der auf einen Zug aufspringt, der bereits vor zwanzig Jahren abgefahren ist, sollte nochmal nachdenken. Denn Schrader denkt diese beiden Regisseure lediglich in Klammern mit. Er zitiert sie, nimmt ihnen dabei aber den Wind aus den Segeln: Gewalt und Macho-Pose, die von den Beiden mal mehr, mal weniger heimlich glorifiziert werden, kriegen hier nicht nur ihren Punch zurück, sondern bekommen auch den nötigen Anflug von anmutiger Lächerlichkeit, von einem widersprüchlichen Aus-der-Zeit-gefallen-sein. Gewalt ist hier wieder, was sie in Wirklichkeit ist: archaisch. Dazu passt auch die stimmungsvolle Ausleuchtung, das kalte Spiel mit Primärfarben, das direkt auf Nicolas Winding Refn verweist (der Schrader bei Dying of the Light als Produzent zur Seite stand).
Dog Eat Dog ist Wille zum Stil und gleichzeitig von einer rauen Energie, einer präzisen Rohheit, mit einem Auge für soziales Elend, für Polizeiwillkür, für die Abwesenheit von Spiritualität. Schrader schwelgt nicht in seiner eigenen Exploitation. Das verbittet er sich.

Einerseits/Andererseits

So hat Schrader einerseits einen Gangsterfilm, andererseits einen Film über Gangsterfilme gemacht. Einerseits hat er ein character piece gedreht, andererseits sind die characters von einer faszinierenden Tumbheit. Einerseits ist der Film ein Update seines großartigen Erstlings Blue Collar, andererseits ist es auch ein nihilistisches Remake. Einerseits hat er eine Komödie gedreht (was er kann; man denke an Witch Hunt oder Auto Focus) und sich darin fallen lassen, seine Nebenrolle als El Greco genossen, den Sleaze und all die schönen, kleinen verkommenen Gimmicks angenommen, die so einem Genrestück zustehen; andererseits watet er wieder im moralischen Morast und sieht seinen Figuren alttestamentarisch dabei zu, wie sie ihre harte, aber gerechte Strafe erhalten, der traurig würdevolle Nic Cage ebenso wie der kindlich psychopathische Willem Dafoe oder der brutal paranoide Christopher Matthew Cook. Sie sind bereits in der Hölle, ohne es zu wissen, aber Schrader hält ihre Hand bis zuletzt und erfreut sich insgeheim an ihrem Fegefeuer. „Satan’s got a River“, heißt es im Schlusssong. Schrader kann nicht aus seiner Haut. Aber das soll er auch nicht.


Die obigen Zitate stammen aus dem Interview mit Collider.



Safarow schreibt

Dieser Beitrag wurde am Montag, Dezember 5th, 2016 in den Kategorien Aktuelles Kino, Ältere Texte, Blog, Blogautoren, Essays, Filmbesprechungen, Sven Safarow veröffentlicht. Sie können alle Kommentare zu diesem Beitrag über den RSS 2.0 Feed verfolgen. Sie können diesen Beitrag kommentieren, oder einen Trackback von ihrer eigenen Seite setzen.

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