Erotik im Beruf – Was jeder Personalchef gern verschweigt (1971)





Ein unfassbares Meisterwerk. Ein bißchen führt der Film das zuende, was Fassbinder wahrscheinlich immer gerne gezeigt hätte, sich aber nie zu filmen wagte: Den Deutschen nicht in seinem natürlichen Lebensraum (Gardinen-Küche mit Eckbank) sondern auf freier Wildbahn (Straße und Firma!) so zu filmen, wie er wirklich ist: Ein hundsmiserables, bis zur Elendsgrenze verkrampftes, verklemmtes und von Habsucht, Neiderei und alltagsfaschistischem Sex-Zynismus zerfressenes Sonderwesen. Wäre Fassbinder ein echter Dorfbuasch statt eines Arztsohns gewesen, er wäre zu diesem letzten, konsequenten Schritt fähig gewesen. Aber es macht nichts, dass er steckengeblieben ist im Feingespinst intellektueller Differenzierungswut. Steckengeblieben auf halber Strecke zum kackbraunen Herz des Deutschtums. Das braune Herz, in diesem dadaistischen Germano-Schocker repräsentiert durch das sleazokalyptische, geil-ekelerregende Finale, einen schunkelnden Betriebsausflug, auf dem selbst der stocksteifen und ungefickten Personalchefin alle Hemmungen abhanden kommen.

Das alles macht nichts, denn niemand versteht sich so brillant und mit soviel derber Konsequenz darauf, in die Jauchegrube deutscher Durchschnittlichkeit zu langen wie Ernst Hofbauer. Ein genialisches Wildschwein mit sozialem Gewissen, dass aus den schadenfrohen Windungen seines Hirns nur das entweichen lässt, was der Deutsche von heute auf keinen Fall von sich sehen möchte – eine langweilige, biedere Hackfresse in Sakko und Strickjacke, deren Charme sich in schmierigen Sprüchen, vorgetäuschter Empathie und beidseitiger Geschlechter-Stichelei erschöpft. Wie schon die angesichts jeglicher einheimischer Störfaktoren misstrauisch die Nase rümpfenden deutschen Touristen-Mastsäue in URLAUBSREPORT – WORÜBER REISELEITER NICHT SPRECHEN DÜRFEN (gleichfalls 1971), sind auch die Protagonisten der hier abermals in atemlosen Tempo vorgetragenen Episoden reine Karikaturen, die Ernstzunehmen zu schwerwiegenden gesundheitlichen Schäden führen könnte. Auch der bewusst ins Zoten-Delirium verkehrte Emanzipations-Diskurs in DIE DRESSIERTE FRAU (1972) kommt in den Sinn, ganz zu schweigen von den genussvollen Verballhornungen, die Hofbauer den Figuren-Schemen von Genres wie dem Film noir oder dem Eurospy-Film in seiner frühen Pulp-Extravaganz SCHWARZER MARKT DER LIEBE (1966) zuteil werden lässt. Hofbauer würgt dem konservativen kleinen deutschen Mann stets dessen eigene Moralvorstellungen mit Genuss in den Hals.




Ob nun der vierschrötige Chef altväterlich-gönnerhaft die alkoholschwere Halb-Vergewaltigung der Büro-Schreckschraube mit den Worten „Bravo! Da kann man mal wieder sehen, wozu so ein Betriebsfest gut ist! Unser Spannehölzchen wird langsam zu ’ner richtjen Frau aus Fleisch und Blut!“ kommentiert – oder ein Mädel im Büro einer Autowerkstätte zum anderen über den „Betriebs-Casanova“ (O-Ton Film) meint: „Bulle ist eben ein sexueller Allesverwerter. Der legt sogar die ältesten Schrippen um!“: Hofbauer singt lauthals, aber mit fotografischer Finesse und unheimlicher Treffsicherheit die Mähr von der Niedertracht hinter der miefigen Sofapolster-Fassade des höflichen deutschen Guten Morgen-Lächelns und kennt keine Gnade.

In den zahlreichen Interview-Sequenzen, definitiv die besten des deutschen Report-Films, sind es die Deutschen, die vorgeführt werden, ganz besonders dann, wenn italienische und türkische Gastarbeiterinnen über die „Erotik im Beruf“ genau das von sich geben, was Herr Müller hören will: „Ich nix machen wollen amore mit Kollegen“ einerseits, „Mein Mann betrügt mich bestimmt auf der Arbeit. Die deutschen Frauen gehen doch gerne mit schwarzen Männern ins Bett!“ andererseits. Angesichts der Tatsache, dass Hofbauer dem deutschen Biedermann vom pissgelb tapezierten Wohnzimmer bis in den klammen Gerichtssaal zum Nötigungsprozess mit einer tödlichen Maximaldosis von Respektlosigkeit und grinsendem Spott folgt, möchte man den verdienten und schmerzlosen Heimatsexfilmen eines Franz Marischka beinahe den Vorwurf der Verharmlosung zuschieben – denn von solch tümeligem Liebesfunk wie zwischen Jacket-Knöpfe annähender Sekräterin und dem sich dabei prächtig verstanden fühlenden Jackettragenden Chef abgesehen (von diesem chauvinistischen Szenario wird geradewegs zum Bild der glücklichen, daraus resultierenden Familie geschnitten) – romantisiert Hofbauer absolut nichts. Wenn man ihm irgendetwas vorwerfen kann außer purster Unterhaltung, dann, dass er vielleicht eine Tendenz zur Misanthropie hat.




Sein erschütternder Tatsachenbericht über den Deutschen, der erst am Arbeitsplatz zu sich kommt, wird dem sich eher undeutsch fühlenden Zuschauer die Gesichtszüge in entsetzter Begeisterung entgleisen lassen, während ihm das Destillat aus spießbürgerlichem deutschen Solidargefühl den Magen wenden wird. Doch wer es nicht fertigbringt, mit kaltschnäuziger Todesverachtung und ausländisch anmutender Humorbereitschaft in dieses kackbraune Herz des Deutschtums zu blicken und seinen Mief einzuatmen, der ist schlichtweg zu feige, dem eigenen Deutschsein ins Gesicht zu sehen. Ob wir das wollen oder nicht, wir stecken alle in diesem schmierig lächelnden, schnauzbärtigen Reporter, der mit Kumpel-Attitüde so ganz léger im Supermarkt und auf dem Hinterhof schüchtern drucksenden Azubis und redseligen Hausfrauen ihre Erfahrungen mit „Erotik im Beruf“ aus der Nase zieht. Auch du bist der Report!
Nach sieben gesehenen Filmen drängt sich mir der Verdacht auf, dass es sich bei Ernst Hofbauer um einen verkannten Auteur handelt, der dringend wiederentdeckt werden sollte.

Nachtrag: Die Hoffnung, dass dem Deutschtümel-Visionär und österreichischen Russ Meyer Ernst Hofbauer doch noch späte Gerechtigkeit, möglicherweise über die Grenzen deutscher Kritiker-Engstirnigkeit hinaus, widerfahren könnte, wird auch von den anerkennenden Worten Tim Lucas‘ in der Sight & Sound zu MÄDCHEN BEIM FRAUENARZT (1971) genährt.




EROTIK IM BERUF – WAS JEDER PERSONALCHEF GERN VERSCHWEIGT – BRD 1971 – 88′ (Kinofassung), 83′ (gekürzte DVD)
Regie: Ernst Hofbauer – Buch: Günther Heller – Produktion: Wolf C. Hartwig – Kamera: Klaus Werner – Schnitt: Herbert Taschner – Musik: Peter Thomas

Dieser Beitrag wurde am Mittwoch, August 18th, 2010 in den Kategorien Ältere Texte, Blog, Blogautoren, Christoph, Das Hofbauer-Kommando, Filmbesprechungen, Filmschaffende veröffentlicht. Sie können alle Kommentare zu diesem Beitrag über den RSS 2.0 Feed verfolgen. Sie können diesen Beitrag kommentieren, oder einen Trackback von ihrer eigenen Seite setzen.

10 Antworten zu “Erotik im Beruf – Was jeder Personalchef gern verschweigt (1971)”

  1. Mr. Vincent Vega on August 23rd, 2010 at 15:22

    Das liest sich ganz schön verrückt (deine vielen Unterstellungen finde ich ein bisschen gewagt), aber auch sehr faszinierend. Für mich wäre das gar nichts, oder?

  2. Sano on August 25th, 2010 at 14:58

    Ich glaube ich würde liebend gerne einen Hofbauer mit dir zusammen angucken, Rajko. 🙂 Bin von ihm auch noch nicht defloriert worden, also würde sich eine solche Sichtung sicher lohnen. Wenn du mal aus Berlin rauskommen möchtest, und Christoph hier besuchen würdest, würden sich außer mir sicher noch andere Eskalierende Träumer sehr freuen, und dich auch mit allerlei filmisch abwegigem ins Kino locken – und dann bei einigen Sachen sogar im glorreichen 35mm Format.

  3. Christoph on August 25th, 2010 at 15:27

    @ VV:

    Nein, ich glaube eher nicht, dass der Film etwas für dich wäre. (Wobei… Momentan scheinst du ja durchaus eine ironisch-abstrakte Distanz zu ideologischen Grauzonen aufzubauen…) Um zu den Schlüssen zu gelangen, die ich da oben ziehe, muss man schon um eine (allerdings nur um eine, nicht zwei oder drei…) Ecke herumdenken. Wenn das nicht so wäre, hätte Wolf C. Hartwig Hofbauer seine sardonischen Extravaganzen auch nie durchgehen lassen denn Hartwig, zu 100 % Geldhai, wollte ja immer, dass sich der Deutsche verstanden fühlt.
    Du würdest wahrscheinlich aufgrund mangelnder Vergleichsmöglichkeiten einfach nur einen schäbig produzierten deutschen Sexploitation-Film sehen (was er natürlich auch, aber eben nicht nur, ist). Oder auch nicht. Alex S. beispielsweise hat sich über dem m. E. grauenhaften, widerlichen DREI BAYERN IN BANGKOK königlich amüsiert – vielleicht gerade weil er sich davor noch nicht so tief unters Dirndl vorwagte. Möglicherweise ist völlige Unbefangenheit bei diesen Filmenn die günstigste Herangehensweise. Ohne Befangenheit gäbe es jetzt auch nicht die Hofbauer-Kontroverse.

    @ Sano:

    Rajko würde nie zu uns kommen. Völlig ausgeschlossen. Er lässt immer nur andere zu sich kommen.

  4. Mr. Vincent Vega on August 25th, 2010 at 18:54

    Was für eine denunzierende Bemerkung. Pfff. Ich „lasse“ niemanden zu mir kommen, wenn sich aber jemand hierher verirren sollte, so nehme ich ihn gern in Empfang. Und tut mir leid, Christoph, aber Berlin ist schon auch ein bisschen geil. 🙂

    gez. Rajko B., Ex-Fan von Christoph Wirsching

  5. Christoph on August 25th, 2010 at 19:58

    So kann man es natürlich auch formulieren. Na ja, diese spezifische Art der Bewegungs-Unlust ist ja auch relativ Deutsch, von daher solltest du dir EROTIK IM BERUF vielleicht doch ansehen. Am Ende kommst du in dem Film noch zu dir!

    PS: Lüg mich nicht an, du! Du bist immer noch ein Fan von mir und wirst es immer sein. Das weißt du doch.

    Das Berlin geil ist, habe ich im Übrigen nicht bestritten.

  6. Sano on August 27th, 2010 at 14:21

    Was für eine Wucht von einem Text!!
    Danke, danke, danke dafür, liebster Christoph.
    Und immer wieder aufs Neue: „noch meeehr!“ 😀

  7. Alexander S. on August 28th, 2010 at 17:27

    Sollte mir unbedingt auch mal so einen Hofbauer reinziehen, nach dem er jetzt der neueste bloginterne Streitregisseur zu sein scheint…

    In der Tat fehlen auch mir (ebenso wie vermutlich Rajko, korrigier mich wenn ich falsch liege und du dir inzwischen heimlich ein ordentliches Kontigent heimischer Schmuddelfilme angesehen hast) die Vergleichsmöglichkeiten, die einige der Eskalierenden Träumer in Sachen deutscher Sexfilm haben. Bei DREI BAYERN IN BANGKOK fand ich glaub ich gerade das, was Christoph (und Andi) so abstoßend fanden, nämlich das Höchstmaß an Fragwürdigkeit so interessant und unterhaltsam, vielleicht auch, weil ich mangels Kenntnis / Beurteilungsfähigkeit mir von einem Film dieses Genres ohnehin nichts anderes geschweige denn so etwas wie ätzende Gesellschaftskritik erwartet habe. Ich lasse mich aber natürlich gern eines besseren belehren, vor allem natürlich von meinem unschlagebaren Lehrmeister ins Sachen Sleaze und Lotterleben, Christoph mit der Bärenpranke.

    Alex S., treuer Fan und ewige Nemesis von Christoph W.

    PS: @Rajko: Berlin ist schon ziemlich geil, daher wird die Tulse sich auch in bädester Bälde dorthin glitschen lassen. Trotzdem würde dir auch mal etwas frische Landluft (denn seien wir ehrlich, Nürnberg ist ja für einen echten Berliner schon eher Land, wa?) guttun, am Ende fühlst du dich hier auch noch wohl und willst gar nicht mehr weg ;-P

  8. Christoph on September 20th, 2010 at 19:21

    Danke für die Blumen, Sano. Nicht zu plakativ? 😉

    @ Alex:

    Ich bin mir ziemlich sicher, dass dir Hofbauer sehr zusagen würde da seine Filme in aller Regel (vielleicht abgesehen von den SCHULMÄDCHEN-REPORTen) extrem assig und bisweilen auch ziemlich burlesk (WENN DIE PRALLEN MÖPSE HÜPFEN) sind. Wer generell für den deutschen Sexploitationfilm der 70iger ein Herz hat (und das hast du ja anscheinend inzwischen) kommt an Hofbauer nicht vorbei (Ausnahmen bestätigen die Regel) und bleibt u. U. auch an ihm hängen, da er schon das Sahnehäubchen auf diesem Gebiet darstellt, zumindest hinsichtlich des Unterhaltungswertes seiner absurden Sleaze-Fantasien. Bisher (inzwischen 9 Filme) hat mich der gute Ernst jedenfalls noch nie enttäuscht, seine Filme sind irgendwie immer „noch mehr“^^ als die seiner meisten Mit-Schmierfinken.

  9. strange behavior on Juli 11th, 2011 at 16:52

    WTF?!
    bin durch zufall auf diesen ausufernden beitrag gestossen und muss sagen das ich mir immer noch verwundert die augen reibe. das sich jemand so bedeutungsschwanger über die deutsche 70ies sexploitation auslässt, hätte ich mir nie ausgemalt!

    durch einen wink des zaunpfahls (und einen „leihwilligen“ kollegen der mich darauf gedrängt hat..) bin ich just letztes jahr auch dem wahnsinnigen irrwitz der deutschen „sexklamotte“ erlegen! da ich zu einer jüngeren generation gehöre und nicht mal die ständigen wiederholungen im TV kenne, war das natürlich alles neuland für mich…

    doch ich musste schon bald feststellen, was für ein neuzeitliches guilty pleasure mich hier erwarten würde… das ist campigste irrsinns-comedy in reinkultur!!

    ich hab mir die meistens in häppchen reingezogen.. kurz vor der uni, für zwischendurch oder in großer runde mit freunden. die sprache, sprüche und aberwitzigen situationen der reportfilme haben uns regelmässig lachtränen in die augen getrieben.

    mein favourite ist und bleibt dabei rinaldo talamonti – der peter sellers unter den ital. gastarbeitern! der ungewöhnlich hochfrequentiert (aber immer memorable) in den reportfilmen eingesetzt wurde – sei es als kellner, handwerker etc. (by the way, wie wäre es mal mit einem special?)

    mein absoluter highlight-spruch (schulmädchenreport teil ??): „ist noch gar nicht tief.. ist nur probe!“ hätte mich fast das zwerchfell gekostet. 🙂

    was ich (wir) auf jeden fall festgestellt haben, ist das die von hofbauer inszenierten filme/episoden quali-mässig auf der WTF?-skala immer weiter oben regierten als die von walter boos. boos war immer zu zäh, zu glatt inszeniert. ohne völlig abstruse aus dem nichts auftauchende handlungsstränge/ideen…

    auf alle fälle das guilty-pleasure highlight des letzten jahres für mich! so weit wie ihr – mit den hochtrabenen deutungsversuchen – bin ich dann aber leider doch noch nicht.. und werde ich durch meine völlig andere sichtweise (fast food-comedy-trash-cinema zum oberflächlichen Konsum) auch nicht werden! bin aber über jede empfehlung (hofbauer filmtechnisch) zu haben.

  10. Andreas on Juli 14th, 2011 at 02:20

    Christoph wird sicherlich auch noch antworten, fürs Erste will ich allgemein auf diese Übersicht von weiteren Texten zum Thema von Autoren des sog. Hofbauer-Kommandos hinweisen. Für Sexploitationfans ist eventuell die ein oder andere Anregung oder irrwitzige Lektüre dabei 😉

    Von Hofbauer sind einige Filme derzeit leider nur auf VHS oder sogar nur als alte Kinokopien zu sehen, wenn überhaupt. Das betrifft leider auch einige seiner besten Filme wie SCHWARZER MARKT DER LIEBE oder DSCHUNGELMÄDCHEN FÜR ZWEI HALUNKEN. Von den auf DVD verfügbaren Filmen ist man neben dem hier besprochenen EROTIK IM BERUF und der SCHULMÄDCHEN-REPORT-Reihe sicherlich mit WAS SCHULMÄDCHEN VERSCHWEIGEN, WENN DIE PRALLEN MÖPSE HÜPFEN sowie KARATE, KÜSSE, BLONDE KATZEN sehr gut beraten. Alle drei kommen auf beträchliche Werte auf der „WTF?“-Skala, trumpfen mit reihenweise deftigen Sprüchen, absurden Situation und Wendungen auf, und sind auch sonst sehr vergnüglich. 🙂

    Welche Filme standen denn bei dir/euch bislang neben den SCHULMÄDCHEN-REPORTen auf dem Programm und was waren eure Favoriten?

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