Die Filmkritik meint es gut mit dem Kino



 

Eigentlich sollte das nur eine Einleitung werden. Aber einen Artikel zu schreiben über ein Magazin, in dem man schreibt, und das in dem Magazin zu tun, über das man schreibt, das ist gerade genau das Richtige. Es soll hier auch ein wenig um Filmkritik insgesamt gehen, genauer gesagt um den aktuellen Stand der Filmkritik – in Deutschland und anderswo. Um über diese nachzudenken, haben wir uns als Vorstand des deutschen Kritikerverbands bei den Kurzfilmtagen von Oberhausen zusammengesetzt und beschlossen, ein ärgerliches Papier zu schreiben. Ärgerlich ist unser Papier deshalb für einige Menschen, weil es große Teile der deutschen Kinolandschaft über einen Kamm schert. Viele Filme, die dort gezeigt werden, tut es als profan ab, auch als unambitioniert, auf Gefälligkeit ausgerichtet. Das trifft nicht immer zu. Wir schrieben, das Kino arrangiert sich mit dem Markt und die Kritik mit dem Kino. Das wiederum trifft oft zu. Neben diversen Nörgeleien haben wir darin eine Woche der Filmkritik in Berlin ausgerufen. Eine solche Woche besteht bei den großen europäischen Festivals seit geraumer Zeit. Die Sinnhaftigkeit eines Programms, das Dialog, Kritik und Unabhängigkeit ins Zentrum setzt, ist nicht abzustreiten. Das Konzept, das wir dort umsetzen, hoffen wir auch wieder vermehrt in Kinos anzutreffen. Das steht aber alles auch nochmal weiter unten.

Eskalierende Träume, das ist neben Little White Lies der schönste Titel für eine regelmäßige Filmpublikation, der mir bisher begegnet ist. Ein Titel, der inspiriert ist von Menschen, deren Wissen und Feinfühligkeit für das Kino, selbst nach Maßstäben der Filmkritik, in der Tat eskaliert sind – anders lässt sich die Vielfalt nicht mehr beschreiben. Man schaut manchmal 80 Filme im Monat. Kollege Thomas Groh spricht vom essenziellsten Fachblog für deutsche Nischen-Filmgeschichte, auch das möchte man nicht anzweifeln, wenn man sich hier umsieht. Und das sollte man unbedingt, wenn man sich für das Kino interessiert. Insbesondere aber ist Eskalierende Träume ein Beispiel für unabhängiges Schreiben, das sich einer Marktlogik eben nicht unterwirft. In der Tat ist es manchmal äußert schwierig, viele der hier besprochenen Filme überhaupt zu Gesicht zu bekommen. Also zeigten sie einige der Macher dieses Magazins irgendwann einfach selber – und zwar nicht einmal jedem. Um davon zu erfahren, war Interesse nötig, und wer es hatte, bemerkte dann auch, was auf Anweisung des Hofbauer-Kommandos regelmäßig in Nürnberg vor sich ging. Von einer ursprünglich privaten Veranstaltung im kleinen Kreis haben sich die Hofbauer-Kongresse unter Cinephilen zu einem geflügelten Wort entwickelt und sind nun weiteren Kreisen zugänglich. Kürzlich organisierten zwei der Eskalierenden Träumer auch erstmals das Terza Visione Filmfestival und somit eine weitere Veranstaltung, die explizit auf unterrepräsentiertes Kino ausgerichtet ist.

Die Hofbauer-Kongresse mussten vom Publikum erst erschlossen werden. Sonstwo ist das natürlich anders. Wer käme in der freien Wirtschaft auf die Idee, etwas, das sich verkaufen lässt, zu verstecken? Oder gar zu verschenken. Statt etwas Besonderes auf besondere Art zu präsentieren, biedert man sich also an. Wer am meisten Werbung treibt, wird vermutlich besser bemerkt, im Durchschnitt auf jeden Fall mehr als die anderen. Überschlagsrechnungen führen zu absurden Werbebudgets und Propagandakampagnen, die selbst bei x-ten Sequels noch in groteskem Umfang gefahren werden – Steven Soderbergh sprach darüber vor ziemlich genau einem Jahr in einem schönen Monolog, der immer noch ausgesprochen sehenswert ist (http://www.ropeofsilicon.com/watch-steven-soderbergh-state-of-cinema-speech-transcript/). Geändert hat sich seither natürlich nichts. Marktorientiertes Vorgehen findet sich, in kleinen und großen Maßstäben, allerorts und das langweilt vielleicht sogar allmählich das Publikum. Denn es wird mit belanglosen, bunten Kampagnen und belanglosen, bunten Filmen, deren Farben heute zu oft aus einer industriellen Postproduktionspalette stammen, in eine passive Rolle gedrückt. Bei so viel Überredung arrangiert man sich eben irgendwann. Die Sache ist die: Das Publikum verliert gerade seine Vorstellung von Film als Kunst, weil es viele Filme sieht, die keine Kunst sein wollen, keine Kunst sein können, keine Kunst sein dürfen. Seit mehr als hundert Jahren investieren Menschen beträchtliche Teile ihres Lebens und Denkens – von Geld ganz zu schweigen, denn Film ist verdammt teuer –, um der Gesellschaft durch das bewegte Bild einen zeitgemäßen Spiegel vorzuhalten, oder den Leuten Ausschnitte aus Gedankenwelten zu zeigen. Jetzt ist es vielen Zuschauern schon ein Graus, überhaupt die eigenen vier Wände zu verlassen, um Filme in angemessener Form im Kino zu erleben.

Gegen die Logik eines Systems andere Filme zu sehen, ist anstrengend. Denn, ganz pragmatisch betrachtet, es ist sozial anstrengend. Wenn fünf Leute Hollywood sehen wollen und man dann alleine dasteht mit seiner Programmkinokarte, ist das reichlich unschön. Deshalb beginnt aktivistische Kritik im Publikum, als Kritik an der eigenen Bequemlichkeit. Sich mit den Umständen zu arrangieren und Leute nicht von etwas Wichtigem, sagen wir einem bestimmten Film, zu überzeugen, ist ein Grundproblem der Gegenwart. Weil Freizeit in der heutigen Gesellschafts- und Marktlogik mit Freude an der Passivität gleichgesetzt wird. Wenn wir nicht arbeiten, wollen wir – sollen wir – konsumieren, nichts tun, bedient werden, zurücklehnen. Das wird uns als Bedürfnis verkauft, ebenso wie Wohlstand als Notwendigkeit für persönliches Glück. Aber das ist Selbstbetrug an unserer Klugheit und Empfindsamkeit als Menschen. Freizeit heißt Freiheit. Und die kann auch durch Arbeit passieren, gedankliche Arbeit, die wir uns selbst aussuchen. Weil es Spaß macht und erfüllend ist, wenn wir herausgefordert werden ohne es zu müssen. Frei denken heißt, sich mit der Welt beschäftigen, nach eigenen Maßstäben. Gutes Kino tut genau das: sich mit der Welt beschäftigen. Das heißt nicht nur, aber unbedingt auch, kritisch zu sein und sich ein wenig Gedanken zu machen über Dinge. Worüber man sich nämlich keine Gedanken macht, das ist einem egal. Und die Welt, die Gesellschaft, sollte nicht egal sein. Nachzudenken bedeutet auch, schätzen zu lernen was man hat; das Leben bewusst auszukosten, feinsinnig, reichhaltig, euphorisch und gerne auch geschmackvoll. Bilder zeigen uns endlos viele Perspektiven, um genauer hinzusehen und den Dingen, auch uns selbst, nachzuspüren. Wenn man sie lässt. Es gibt dabei dann mehr zu entdecken, als endlose Varianten der gleichen Geschichten. Diese immer wieder zu sehen, bedeutet auf der Stelle zu treten.

Beim Publikum liegt das Potenzial, Kinoräume am Leben zu halten und ambitioniertes Kino am Leben zu erhalten. Das wird zu selten getan. Das Fatale daran ist, dass man es eigentlich besser weiß. Die Gesellschaft könnte es besser wissen. Kunsträume funktionieren und ziehen Menschen an. Es gibt unzählige Ateliers. Man bezahlt in Kunsträumen nicht für Zerstreuung, weil man ja eben fähig ist, sich gründlich und aufgeschlossen mit Kunst zu beschäftigen und daran auch Interesse hat. Das soll nun wirklich keine Verteidigung von Museen werden. Aber im Museum werden Werke mit einer respektvollen Aura aufgeladen. Sie sind räumlich und historisch als legitim beglaubigt und alle Instanzen der Gesellschaft sind damit einverstanden. Interaktiveren Kunsträumen und Ateliers wird diese Rolle auch zugestanden. Das Kino dagegen, und darum geht es ja, wird kaum in dieser Form kommuniziert. Es ist auf dem Weg, die Sphäre der Kunst zu verlassen und nur noch wirtschaftlich gedacht zu werden. Das Kino als Geschäftsmodell, der Film als Gewinn- und Verlustrechnung. Mit jedem Film, der keinem anderen Anspruch zu genügen hat, zementiert das Kino sein Verschwinden als Raum, der sich politisch als Sinnträger behaupten lässt. Man unterwandert die eigene Argumentationsbasis, wenn man nicht an seine Stärken glaubt.

Die Kritik ist eine der Instanzen, die sich Mühe gibt, hier Bedeutung zu schaffen. Aber sie resigniert am Ende zu oft. Viele Kollegen sind nach Jahren vergebenen Wirkens für ein paar Groschen einfach frustriert und ihnen zuzuhören macht den Beruf für eine jüngere Generation oft alles andere als attraktiv. Das ist ein strukturelles Problem und bestärkt eine fatale Entwicklung. Man bespricht oft nur noch das, was da ist, was in Pressevorstellungen vorselektiert wird. Die Agenturen werden dafür bezahlt, hier nicht mehr zu zeigen, als nötig. Ein legitimer Akt der Filmkritik wäre, ein Gegenprogramm zu machen und mit Kinos kuratorisch und öffentlichkeitswirksam zusammenzuarbeiten. Sich gegeneinander zu stellen, ist absurd. Denn man will das Gleiche: Gute Filme, die in der Gesellschaft eine Bedeutung besitzen und in ihren Ansprüchen ernst genommen werden. Dafür muss man sich gegenseitig unterstützen und miteinander reden: Kinos miteinander, die Kritik mit den Kinos, Kinos mit Festivals, und so weiter. Alle aber müssen mit der Politik sprechen. Und mit dem Publikum. Denn Filmkritik und Kinoprogramme sind nur so reichweitenstark, wie sie ihr Publikum sein lässt.

Die Kritik erhält ihre Handlungsfähigkeit durch Leserzahlen, durch Freiräume in der Redaktionsarbeit, durch Klicks, durch sichtbare Konsequenzen und deren weitere Thematisierung. Für das Publikum heißt Kritik ernst zu nehmen nicht nur sie zu lesen, sondern ihr auch zu vertrauen und sich einen Film vielleicht aufgrund eines Artikels anzusehen – statt dem Geschmack der Umgebung zu folgen. Es heißt auch, persönliche Informationskanäle zu nutzen, Texte zu verbreiten. In der Gegenwart ist jeder ein Informationsverteiler. Jede Kritik muss dabei den Anspruch haben, ein Flugblatt zu sein. Und die Kritik muss untereinander solidarisch sein, statt um die Brocken zu streiten, die die sterbende Printlandschaft ihr zuschmeißt. Ich schreibe nicht, weil ich dafür bezahlt werde – das werde ich selten – sondern weil es wichtig und erfüllend ist zu schreiben. Das klingt aufgeblasen, ist es aber überhaupt nicht. Sondern interessiert, am Gespräch und am Handeln. Denn die Filmkritik meint es gut mit dem Kino.

Die Autoren dieser Seite hingegen sind Leute mit einem anderen Schwerpunkt. Ihre Texte sind mehr reichhaltig und schwärmerisch, als argumentativ überspitzend. In einer schönen Ecke des Internets sitzend, lassen sie das Kino da draußen sich selbst langweilen und sehen ihm gar nicht erst dabei zu. Man resigniert ein bisschen und badet stattdessen in der Vielfalt der Filmgeschichte. Man schreibt sie gleichermaßen um, indem man ihre Leerstellen aufarbeitet, gegen den Kanon, aber ohne ihm etwas beweisen zu wollen. Denn man weiß es besser, vielleicht nicht besser, aber anders. Man richtet seinen Blick auf das, was man als gesammeltes Wissen hinterlässt und spricht darüber mit Gleichgesinnten. Man deutet und verleiht Bedeutung nach freien Maßstäben, die sich nicht verantworten müssen.

Das ist auch irgendwie legitim, denn sich am Etablierten abzuarbeiten, ist eine unbefriedigende Anstrengung. Warum Zeit verschwenden, die man auch für etwas Gutes und Bereicherndes aufwenden kann? Ganz Berlin funktioniert scheinbar nach diesem Prinzip. Dort gibt es viele Räume, um sich auszudrücken, mit oder ohne Geld. Man macht dort mehr Raumpolitik und baut die Dinge einfach, statt sie zu begründen. So muss auch die Kritik denken und handeln, bloß weniger eskapistisch. Raumpolitik ist vielleicht die wichtigste Politik gerade. Das schließt den Kinoraum mit ein, der sich bald gegen Büros verteidigen muss, wenn er sich nicht kulturell verteidigt.

Schon allein aus Solidarität, um das Wissen und die Lebendigkeit nicht verpuffen zu lassen, die sich gegenwärtig an allen Ecken und Enden in freien Kulturprojekten sammeln, kämpfen wir doch bitte noch ein wenig weiter gegen Windmühlen. Beanspruchen wir Räume für die vielen Ideen da draußen. Oder finden wir eigene.

Arbeiten wir an einer Kinolandschaft, in der eskalierende Träume einen Platz finden.

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FLUGBLATT FÜR AKTIVISTISCHE FILMKRITIK

Wir blicken mit Sorge auf Film und Kritik.

Filmverleiher und Kinobetreiber haben in den letzten Jahrzehnten das Programmkino aufgegeben und es durch Arthouse ersetzt. Ein alternatives Programm zum Mainstream gibt es fast nirgends mehr. Mit dem Arthouse hat sich ein konventionelles und formelhaftes Kino durchgesetzt – unter dem Vorzeichen des angeblich guten Geschmacks. Abseits der Angebote der Verleiher bleibt der Kunst nur das Festival.

Festivals übernehmen punktuell die Aufgabe von Programmkinos. Gleichzeitig wachsen ihre Legitimationszwänge gegenüber Sponsoren, Verleihern und Förderern. Auch hier droht die Unterwerfung unter Marktlogik, Zielgruppenrelevanz und politische Interessen.

Freiräume müssen permanent erkämpft werden.

Parallel ist die Kritik in einer drastischen Zwangslage. Um zu reüssieren, muss sie das Denken an vorherrschende Normen und Marktgegebenheiten anpassen. Dabei büßt sie ihren unabhängigen Geist ein und wird zur Dienstleistung. Eigenständiges Denken wird von Reflexen abgelöst.

Wer das Denken abgibt, verliert die Fähigkeit, Bestehendes in Frage zu stellen. Rahmenbedingungen werden zum Alternativlosen erklärt. Visionen werden aufgegeben. Die finanzielle Perspektivlosigkeit darf nicht weiter in eine ideelle Anpassung münden.

Wer das Denken abgibt, lässt sich von Konsens und Kompromiss vereinnahmen. Eine produktive Streitkultur wird unmöglich. Kontroversen und Debatten sind jedoch die Grundlage für die Entfaltung von lebendigen Diskursen. Ohne Diskurs keine Kultur. Ohne Diskurs kein Wissen. Tatsächlich wird Unwissenheit gefördert.

Die Kritik ist am Zug. In ihr schlummert auch heute noch das Potenzial, wagemutige Positionen zu erforschen. Sie muss ihren passiven Pragmatismus überwinden und den Aktivismus für sich wiederentdecken.

Wir sind bereit, individuell und gemeinsam, eine aktivistische Kritik zu verfolgen.

Wir sind bereit, wirtschaftliche Risiken für sie zu tragen.

Aktivistische Kritik reflektiert ästhetische Programmatiken selbst dort, wo keiner danach fragt. Sie untersucht die gesellschaftlichen Dimensionen von Werken auch dann, wenn sie nicht thematisch werden. Sie blickt neugierig auf das vermeintlich Profane, verteidigt das Lustvolle, verdammt das Abgeklärte. Sie negiert den Begriff einer „bloßen Unterhaltung“. Film und Kritik dürfen Spaß machen.

Aktivistische Kritik kommentiert kulturpolitische Zustände, deren Voraussetzungen und Limitierungen – auch dann, wenn dies keiner bestellt hat. Sie kontextualisiert Film in seinen Markt-, Produktions- und Fördergegebenheiten, um das Bewusstsein für sie zu schärfen und aufzuzeigen, welche Perspektiven verstellt sind.

Aktivistische Kritik ist subversiv. Sie unterwandert das auf den Lügen des Pragmatismus errichtete Gebäude. Sie setzt die Automatismen von Gefälligkeiten und Gefälligem außer Kraft.

Aktivistische Kritik beschränkt sich nicht auf Verlautbarungen, sie begibt sich aufs Terrain. Sie gestaltet und stachelt an.

Als erste Maßnahme aktivistischer Kritik begründen wir eine Woche der Kritik bei der Berlinale.

Den Missbrauch der Filmkritik als Dienstleistung nehmen wir nicht länger hin.

Dunja Bialas
Jennifer Borrmann
Frédéric Jaeger
Claus Löser
Dennis Vetter

Oberhausen, 04.05.2014

Weitere Unterzeichner des Papiers, eine englische Version sowie Kommentare und Reaktionen werden auf der Webseite des Verbands der deutschen Filmkritik gesammelt.

Dieser Beitrag wurde am Mittwoch, Mai 14th, 2014 in den Kategorien Aktuelles Kino, Ältere Texte, Blog, Essays, Hinweise, Verschiedenes veröffentlicht. Sie können alle Kommentare zu diesem Beitrag über den RSS 2.0 Feed verfolgen. Sie können diesen Beitrag kommentieren, oder einen Trackback von ihrer eigenen Seite setzen.

3 Antworten zu “Die Filmkritik meint es gut mit dem Kino”

  1. Tim Slagman on Mai 15th, 2014 at 17:45

    Danke für den Text, vergleichsweise differenziert, nachdenklich, mit nur einem Mindestmaß an Schaum vorm Mund geschrieben.
    Allerdings würde ich dafür streiten, auch im Stromlinienförmigen, Marktlogischen Ansatzpunkte zur Auseinandersetzung zu finden. Das heißt nicht nur (aber auch) anzuerkennen, dass meinetwegen ein Spielberg zumeist andere, bessere Filme macht als Michael Bay. Es meint aber vor allem, den Mainstream als kulturelles Symptom zu entziffern, seine – keineswegs in jedem Film identische – Ideologie und Funktion zu erschließen. Das ist sehr viel mehr als „nur“ Konsum. Und sich dabei unterwegs auch ein wenig mitreißen zu lassen: Wem schadet’s?
    Es ist wahrscheinlich strategisch nötig, klare Fronten zu schaffen, ob es immer absolut richtig ist, weiß ich nicht. Man gerät leicht in Gefahr, dem Stoff in der Nische eine besondere Qualität zuzusprechen, allein aufgrund seiner Nischenposition.

  2. Dennis Vetter on Mai 16th, 2014 at 17:35

    Lieber Tim, danke für die Anmerkungen und das Lob!

    Natürlich ist Film nicht immer und ausschließlich Kunst. Mainstream ist nicht immer „bloße Unterhaltung“, wie wir in unserem Flugblatt geschrieben haben. „Film und Kritik dürfen Spaß machen“. Jedoch sollte eine Balance gewahrt sein und vor allem braucht es ein Bewusstsein über die Situation. Eine wirkliche Auseinandersetzung mit dem Konzept „Mainstream“ ist beinahe nur noch mit akademischem Handwerkszeug möglich. In der Praxis lässt sich das am ehesten wirtschaftlich herunterbrechen. Arthouse repräsentiert eine wirtschaftliche Strategie, die zum Beispiel mit Filmen wie American Beauty symptomatisch wurde: Die industrielle Aneignung von Konzepten des Autorenkinos, um sie systematisch zu verharmlosen und als tatsächliches Gegenmodell, als Bedrohung des Marktes zu beseitigen.

    Beim Publikum kann eine Auseinandersetzung mit dem Thema, eine Bewusstseinsbildung nur dann stattfinden, wenn in der Kinolandschaft auch eine Position vertreten ist, die als kritische Position funktioniert. Nicht jeder ist schließlich Kulturwissenschaftler. Also braucht es ein Kino, das offensichtlich anders ist und sich offensichtlich nicht auf die Logik des Marktes ausrichtet. Und es braucht eine Programmauswahl, die den Mut hat, diesem Kino eine Plattform zu liefern. Die Perspektive des groß budgetierten Kinos mit einer gewerblichen Lobby wird durch die Multiplex-Vertriebskanäle stets gewahrt bleiben. Auch werden diese Orte sich in einem ökonomisch orientierten System vielleicht weiterhin rechnen – selbst da bin ich bei der Entwicklung des Heimkinos jedoch nicht sicher. Meine Argumente zielen hingegen auf diejenigen Orte, die noch die Möglichkeit besitzen, frei zu programmieren. Damit sie sich dauerhaft politisch behaupten können, müssen sie meiner Ansicht nach eine möglichst ambitionierte Position vertreten. Im Rahmen ihrer Möglichkeiten und mit unserer Unterstützung.

    Die Argumentation, dass Nische nicht automatisch Qualität bedeutet, wird beispielsweise seit Jahren als Kritik gegenüber dem Rotterdam Filmfestival geäußert. Dessen Programm wird oft vorgeworfen, keine klare Linie zu besitzen und sich stattdessen lediglich so weit als möglich vom gefälligen Kino zu distanzieren.

    Ich lasse mich ausgesprochen gerne vom Kino mitreißen. Aber nicht für dumm verkaufen. Und manche Filme tun das aktuell, weil sie strukturell keinen denkenden Zuschauer möchten. Ich bin da natürlich auch etwas übersensibilisiert. Aber manches ist einfach fad. Unsere Wahrnehmung dagegen ist zu wesentlich mehr fähig, gerade jetzt, wo wir tagtäglich mit Bildern und Videos bombardiert werden. Mir fehlt oft Wagemut und ein sichtbarer Spaß am Filmemachen, wenn ich aktuelle Produktionen sehe. Es kann nicht sein, dass Filme aus den Siebziger Jahren die Sprache des Kinos viel variantenreicher und klüger einsetzen, wenn doch gegenwärtig die Produktionsmöglichkeiten und das sensorische Potenzial des Publikums so viel größer sind. Das Tempo steigt, aber Kunstfertigkeit und Substanz werden belanglos. Zur Entwicklung des Actionkinos in diesem Sinne ist beispielsweise dieses Videoessay ganz hervorragend: http://blogs.indiewire.com/pressplay/video_essay_matthias_stork_calls_out_the_chaos_cinema

    Auch die Tatsache, dass in praktisch keinem Film seit der flächendeckenden Neueinführung des 3D-Kinos dieses Verfahren kunstvoll genutzt wird, ist symptomatisch für eine industriell gewünschte Einschränkung des Kinos auf das Erzählen von Geschichten. Das Bild kann mehr als das, die Montage kann viel mehr als das, das Kino kann sehr viel mehr als das. Und Programmkinos sind die Räume, um die Sprache des Kinos zu verteidigen. Das geschieht auf die gleiche Weise, wie zum Beispiel das Lesen von Büchern den eigenen Wortschatz bereichert.

  3. kirmestotale on Mai 19th, 2014 at 14:42

    Danke für den Text!

    Ich wollte nur anmerken: Den Absatz mit dem Museum als Kunstraum finde ich schwierig- platt gesagt empfinde ich Museen nicht als „Schutzräume“ der Kunst sondern tatsächlich als Abstellkammern. Eine Kammer, in der sich nur wenige verirren. Auch, weil der Eindruck erweckt wird ein Platz im weißen Raum verleihe ihr den Titel „Kunst“ – hier auch ein Publikum das keinen Zugang findet/dem der Zugang erschwert wird.
    Und das ist etwas was ich am Kino mag/mochte, weil es immer noch dieses wahnsinnige Potential besitzt „präsent“ im Lebensalltag der Menschen zu sein.

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