Atmungssystem – Zu Toni Erdmann von Maren Ade

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Es gibt diese Momente. In denen fühlt sich eine Situation an, als möchte man sie sprengen. Und erst beim Gedanken an die Überschreitung einer sozialen Grenzempfindung formuliert sich eine solche erneut in ihrer Drastik, als Drohung und gleichermaßen als feines System der gegenseitigen Rücksichtnahme und Bekundung von Respekt, als Verteidigung eines legitimen Zwecks durch die Zurückstellung individueller Freiheit. In diesen Momenten muss die Frage angemessen sein, warum ein gesellschaftlicher Code gerade Beachtung findet. Worin besteht die Wurzel einer Übereinkunft und die Natur einer Gesellschaft? Und welche Übereinkünfte bestehen als entwurzelte Fragmente, die sich schleichend zu einer verborgenen Logik des gesellschaftlichen Lebens formen konnten? Um mitten in der Gesellschaft, insbesondere in der Klaustrophobie zivilisatorischer Ballungsräume, Luft zu holen, bedarf es längst Atemtechniken, die an sozialen Codes geschult sind. Das Atmen will gelernt sein. Oder man hält einfach die Luft an. Augen zu und durch. Weiterlesen…

Die Filmkritik meint es gut mit dem Kino

 

Eigentlich sollte das nur eine Einleitung werden. Aber einen Artikel zu schreiben über ein Magazin, in dem man schreibt, und das in dem Magazin zu tun, über das man schreibt, das ist gerade genau das Richtige. Es soll hier auch ein wenig um Filmkritik insgesamt gehen, genauer gesagt um den aktuellen Stand der Filmkritik – in Deutschland und anderswo. Um über diese nachzudenken, haben wir uns als Vorstand des deutschen Kritikerverbands bei den Kurzfilmtagen von Oberhausen zusammengesetzt und beschlossen, ein ärgerliches Papier zu schreiben. Ärgerlich ist unser Papier deshalb für einige Menschen, weil es große Teile der deutschen Kinolandschaft über einen Kamm schert. Viele Filme, die dort gezeigt werden, tut es als profan ab, auch als unambitioniert, auf Gefälligkeit ausgerichtet. Das trifft nicht immer zu. Wir schrieben, das Kino arrangiert sich mit dem Markt und die Kritik mit dem Kino. Das wiederum trifft oft zu. Neben diversen Nörgeleien haben wir darin eine Woche der Filmkritik in Berlin ausgerufen. Eine solche Woche besteht bei den großen europäischen Festivals seit geraumer Zeit. Die Sinnhaftigkeit eines Programms, das Dialog, Kritik und Unabhängigkeit ins Zentrum setzt, ist nicht abzustreiten. Das Konzept, das wir dort umsetzen, hoffen wir auch wieder vermehrt in Kinos anzutreffen. Das steht aber alles auch nochmal weiter unten.

Eskalierende Träume, das ist neben Little White Lies der schönste Titel für eine regelmäßige Filmpublikation, der mir bisher begegnet ist. Ein Titel, der inspiriert ist von Menschen, deren Wissen und Feinfühligkeit für das Kino, selbst nach Maßstäben der Filmkritik, in der Tat eskaliert sind – anders lässt sich die Vielfalt nicht mehr beschreiben. Man schaut manchmal 80 Filme im Monat. Kollege Thomas Groh spricht vom essenziellsten Fachblog für deutsche Nischen-Filmgeschichte, auch das möchte man nicht anzweifeln, wenn man sich hier umsieht. Und das sollte man unbedingt, wenn man sich für das Kino interessiert. Insbesondere aber ist Eskalierende Träume ein Beispiel für unabhängiges Schreiben, das sich einer Marktlogik eben nicht unterwirft. In der Tat ist es manchmal äußert schwierig, viele der hier besprochenen Filme überhaupt zu Gesicht zu bekommen. Also zeigten sie einige der Macher dieses Magazins irgendwann einfach selber – und zwar nicht einmal jedem. Um davon zu erfahren, war Interesse nötig, und wer es hatte, bemerkte dann auch, was auf Anweisung des Hofbauer-Kommandos regelmäßig in Nürnberg vor sich ging. Von einer ursprünglich privaten Veranstaltung im kleinen Kreis haben sich die Hofbauer-Kongresse unter Cinephilen zu einem geflügelten Wort entwickelt und sind nun weiteren Kreisen zugänglich. Kürzlich organisierten zwei der Eskalierenden Träumer auch erstmals das Terza Visione Filmfestival und somit eine weitere Veranstaltung, die explizit auf unterrepräsentiertes Kino ausgerichtet ist. Weiterlesen…