Zeitnah gesehen: Der goldene Handschuh (2019)

Kasperljagd auf St. Pauli

Man kann es diesem Film wahrlich nicht vorhalten – er ist eine grundehrliche Haut, präsentiert bereits in den ersten Einstellungen freimütig, was ihn fortan immerzu plagen wird. Fritz Honka (Jonas Dassler) säuft und mordet in seinen beschaulichen vier Wänden, eingepflanzt wie lediglich halb vom Gewebe angenommen inmitten der kulissenhaften Raumgestaltung einer beliebigen Bühneninszenierung. Das ist es, was Fatih Akins in der Essenz stets bleibt – abgefilmtes Theater, dem zu den Möglichkeiten einer Kinokamera zuverlässig bloß Halbtotalen und Nahaufnahmen mit abgespreiztem Finger einfallen, manchmal ein wenig näher, dann ein wenig weiter in der Ferne, von der Freddy Quinn vom Plattenteller aus singt. Weitestgehend zentriert auf oder knapp unterhalb der Augenhöhe vor den Tristtischen, von denen der Frühstückskorn gleich als veritabler Wasserfall strömt. Ein wenig erinnert das an Peter Steiners Theaterstadl, den ich als junger Bub so genoß – keine schöner Erinnerung, denn nicht einmal die wenigen, rein ausschnittsweise das Räumliche durchziehenden Schwenks schaffen Filmisches, folgen allein den Figuren auf ihren Wegen von einem Schnapsschrank zum nächsten. Weiterlesen…

Midnight Confessions #03: Taboo II (1982)

    You know that’s incest?
    That’s why its so hot!

    (Siblings Sherry and Junior McBride in everyday conversation)

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100 deutsche Lieblingsfilme #64: Nicht verzeichnete Fluchtbewegungen oder: Wie die Juden in der West-Eifel in die Freiheit kamen (1990)

Am Anfang des Kinos war das Licht und es lehrte den Menschen sehen, den Blick solange feinzustellen, bis ihm die nunmehr schwieligen Augen in ihren Höhlen erstarren. Zu Sehen, gründlich, gebrochen und neujustiert, allumfassend, unter Zuhilfenahme der Bogenlampen, Kondensoren, Blenden des Projektors, das ist ein Verwundbarkeit stiftender Akt, in allen außer den Verhärmtesten nährt er eine der mächtigsten Emotionen des Lebens, das Mitleid. Dietrich Schuberts „Nicht verzeichnete Fluchtbewegungen“ handelt von diesen untrennbar verwobenen Wahrnehmungen und Empfindungen. Betulich gleitend tastet sich gleich in einer der allerersten Aufnahmen das Kameraauge am warnschildbehangenen Gitterzaun längs, bevor es, von einem fast schmierestehenden Umschnitt auf den aus der gewählten Perspektive unüberwindbar scheinenden Wassergraben der Feste mit Zugang versehen, ruhigen Schrittes in den tiefschwarzen Eingangstunnel des einst von den deutschen Eroberern zum Auffanglager umfunktionierten Fort Breendonks hineinschreitet. Doch das mechanische Auge ist kein menschliches, eine Gewöhnung an die neuen Lichtverhältnisse bleibt aus. Noch einige Male werden wir im Laufe der folgenden anderhalb Stunden den Aufenthaltsort wechseln, die Dunkelheit indes nie mehr verlassen. Weiterlesen…

Kein Tag der Gewalt – Operazione Kappa: sparate a vista (1977)

In einer Welt, in der alle Zeichen falsch kodiert sind, kommt er einem bisweilen abhanden, der Sinn für das, was Recht und was Unrecht ist. Bizarre Bilder rein baulicher Erhöhung lassen in Luigi Petrinis einzigem geradlinigen Poliziesco nicht nur bereits erahnen, welch vollkommen enthemmter Experimentierfreude sich der Regisseur des berüchtigten „White Pop Jesus“ (1979) bald hingeben sollte, sondern auch, warum rastlose Jugendliche auf der Suche nach Halt hier wieder einmal jedweder Hemnisse befreit den Bembel kreisen lassen. Das Dunkel der Nacht, die ereignislos einfarbigen Rasenflächen, das eisige Weiß der Besserlebervillen, einer Blase gleich legen sie sich großflächig um den Ruckzugsort Sprungturm, einen wie ausgestellten Penner auf der Parkbank, die abgesonderte Brüstung oberhalb des Treppenaufsatzes, auf der eine Sängerin ihr Lied gegen die kapitalistische Weltordnung anklingen lässt. Deutlich lesbar macht man in diesen künstlichen Freiflächen ein Wort in größten Lettern aus – „EINSAMKEIT“ spricht man es aus. Ein wenig ähnelt der Auftakt von „Operazione Kappa: sparate a vista“ einem ausgedehnten Bummel durch eine etwas verfrüht kuratierte Austellung über die moderne Welt, wie sie einem in der neo-konservativen Folklore dieser Tage immer häufiger begegnet. Drapiert neben diesen Museumsstücken im Falschen wirken Giovanni (Marco Marati) und Paolo (Mario Cutini), zwei sozial Abgehängte klassisch italienischen Kinozuschnittes ebenso deplatziert wie das junge Hippiemädchen mit der Gitarre, barfuß auf noblem Marmor und eine derart lachhafte Flowerpowerbotschaft kündend, dass es der besseren Gesellschaft um sie herum nicht einmal mehr zum Amüsement taugt, nur mehr zum schnöden Übergehen, als Hintergrundberieselung. Weiterlesen…

The Unexciticist – Upsidedown Cross (2014)

With advertising making it appear as something of a wild crossbreed between Friedkin classic „The Exorcist“ and „Her Name Was Lisa“ (Roger Watkins, 1979), William Hellfire’s „Upsidedown Cross“ sparks some rather diverse expectations and ultimately subverts them all. Opening with a nearly twenty minute long sequence chronicling Nadine’s (Erin Russ) bread-and-butter job as a nude model in the most unagitated way imaginable, the spirit of Watkin’s bleak reflection on lifes slowly burning away in erotic industries of differing nature is very much channeled. Even somewhat mirroring the way the New Yorkian mad hatter employed rooms coated in myriads of expressive colors to spur his narratives, one important difference though is discernible from the get go. There is no pretense that any of this is – and be it only in a temporary pull-the-rug-from-under-your-feet way – real. That’s not paint laughing from your walls but deep red variations of bath towels, old curtains and improvised color stainers of similarly somber fabrics hung up to conceal two different yet closely related kinds of emptiness. Red, the color of love – it is perhaps the most important fixture in Hellfire’s film, doubling for passion where there is none to harbor. Weiterlesen…