100 deutsche Lieblingsfilme #65: Die Brut des Bösen (1979)





„Die Brut des Bösen“, der einzige wirkliche Easternversuch des bundesdeutschen Kinos erzählt, allein der selbst heute kaum gebrochenen Exponiertheit seines Masterminds wegen, diesseits seiner extrem straff gespannten Narrationslinie stets gleichzeitig die Geschichte eines einstmals millionenschweren Schlagerbarden, der sich ein slickes, wohlinszeniertes Karatepos direkt auf den Leib schneiderte. Nicht, weil der Kinomarkt 1979 unbedingt noch lauthals schreiend danach verlangt hätte, sondern schlicht weil er es in Personalunion als Regisseur, Hauptdarsteller, Produzent, Autor, Komponist und Stuntkoordinator gar zu liefern vermochte. Derart omnipräsent wie hinter den Kulissen ist Christian Anders auch vor der Kamera. Ihr Auge glüht in Liebe auf, wann immer sie ihn erspäht, liebkost seine Züge im Tages- wie nächtlichen Neonlicht gleichermaßen, hängt unablässig an seinen Lippen und zieht uns via unablässigen Subjektiven arglos mit ins Boot dieser zur höchsten Maxime erhobenen Sehnsucht. Gibt Karatemeister Frank Mertens vor seinen zumeist zu bloßen Salzsäulen erstarrten Zöglingen eine flammende Rede über den verblichenen Schulgründer zum besten, so zwingt sie unseren Blick erst – ganz unerwartet ozuesk-meditativ – ehrfürchtig vor Chranders in den Schneidersitz der Mitschüler, um sich dann wie unter einem Bannstrahl näher und näher an sein Gesicht ranzuwanzen. Schließlich, als sich die flammende Epistel ihrem Höhepunkt nähert, schwenkt sie ganz unverhohlen vom Ruhepol zum hochoben an der Wand aufgebahrten Antlitz des Mannes, dessen Stellvertreter auf Erden Mertens nun darstellt.

Christian Anders ist der Messias, gehüllt in allzeit mindestens ober- oder unterhalb der Körpermitte auffällig hervorstechende Klamotten wandelt er wie ein Pfau durch die Kulissen seines erdigen Kampfkunstfilmes, abgesetzt von seinen Kontrahenten, die bisweilen im gleichfarbigen Dekor versumpfen dürfen – Deep Roy, der sich in Größe wie Jacketfarbton kaum von seiner Couch unterscheiden lässt, Dunja Rajter ganz in Gold neben den ebenfalls im Edelmetall gehaltenen Zierleisten des Kamins. Die Farbdramaturgie ist eine Schau, der gestählte Körper des Sängers untrennbar Teil von ihr – mehr eigenes Gestaltungselement als wirklich zum Cast gehörig, so integral für die Inszenierung wie Licht- und Schattensetzung. Minutenlang hält die Kamera mit ihm den Atem an, während er die Bauchmuskeln einem psychedelischen Kaleidoskop gleich sinnlich über ihre Linse wabern lässt – selbstverständlich vollkommen unironisch im unfassbaren Lederspeedo. Ganzheitlich präsent ist Chranders Bizeps auch dann, wenn man ihn perspektivisch im Grunde gar nicht sehen können sollte. Im Türrahmen die Brust zum ergötzlichen Ansabbern bereitstellend war neben ihm offensichtlich immer noch ausreichend Platz, um im dahinterliegenden Raum einen Spiegel für artig direkt auf den Sehnerv zurückgeworfene Rückenansichten aufzustellen. Bisweilen kann man sich des Eindrucks eines ausdauernden Geschlechtsaktes mit dem mechanischen Sichtapparat kaum verwehren, speziell in jener berüchtigten Szene, die eigentlich für den Sex zuständig sein sollte. Manche Aufnahme lässt Dunja Rajter zu nichts als einem Knäuel schwarzen Haars schrumpfen, im Bett dominiert durch die güldne Pracht von Haupthaar wie Oberkörper unter ihr.

Aber freilich kennt ein solcher Mann auch Bescheidenheit: Eingeklemmt hinter einem schweren Rolls Royce oder überrascht vom neuerdings durchschlagenden Angriff eines Schülers wird fast etwas wie Verwundbarkeit evoziert. Doch kann sich Chranders einmal nicht aus eigener Kraft befreien, eilt ihm sogleich eine unvermittelte Deus ex machina aus Richtung Regiestuhl zur Hilfe und verjagt die Limousine. Ein eigenwilliges Oszillieren zwischen selbstgefälliger Demut und brachialen Allmachtsfantasien ist es, das hier fürwahr zelebriert wird. „Was kann ich dir schon bieten?“, fragt Mertens seine ihn anhimmelnde Assistentin und lässt dabei Rock Hudsons Feigheit in Anbetracht einer offenkundig unliebsamen Zuneigungsbekundung aus „Written on the Wind“ (1956) nach Fürsorglichkeit aussehen. Sein anteilnehmender Blick auf Dunja im drogeninduzierten Seelenloch und den bitterlich bereuenden Mikrosomie-Schurken Van Bullock (Deep Roy) am Totenbett der großen Liebe oder ganz generell die unverschämte Warmherzigkeit, diesen statt der Gefahr, die er unzweifelhaft darstellt, als im Frauenberg gefangenen Winzrabauken zu porträtieren – alles weist ihn als großen selbsternannten Humanisten hinter, vielmehr allerdings vor der Kamera aus. Man ahnt, er würde es sicherlich kaum anders sehen: „Die Brut des Bösen“ ist ein wunderbarer Film, eintausend Prozent Eigenapotheose – das große Meisterwerk der Selbstverliebtheit.


Die Brut des Bösen – BRD 1979 – 86 Minuten – Regie: Christian Anders, Antonio Tarruella – Produktion: Christian Anders – Drehbuch: Christian Anders – Kamera: Hans Burmann, Ricardo Navarrete – Schnitt: Eduardo Biurrun – Musik: Christian Anders, José Luis Navarro – Darsteller: Christian Anders, Deep Roy, Maribel Martín, Dunja Rajter, Fernando Bilbao u.v.a.

Dieser Beitrag wurde am Freitag, Juni 7th, 2019 in den Kategorien Ältere Texte, André Malberg, Blog, Blogautoren, Deutsche Lieblingsfilme, Filmbesprechungen veröffentlicht. Sie können alle Kommentare zu diesem Beitrag über den RSS 2.0 Feed verfolgen. Sie können diesen Beitrag kommentieren, oder einen Trackback von ihrer eigenen Seite setzen.

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