100 Deutsche Lieblingsfilme #42: Kennwort… Reiher (1964)



Ein Mann liegt auf einer Pritsche, entspannt, konzentriert, scheinbar in sich ruhend. Ein anderer spricht zu ihm. Der Andere bittet ihn, einen Brief zu überbringen, ihn mit sich zu tragen, und ihn abzuschicken. Es ist ihm dringend – es ist ihm wichtig. Die zwei Männer befinden sich in einem Gefangenenlager. Sie sind Kriegsgefangene. Einer von ihnen wird fliehen, der andere wird ihm seine Hoffnung mit auf den Weg geben. Und wir werden dem Mann und seinem Brief den Film über folgen.

Im Grunde ist es aber egal wer diese Männer sind, ist es egal wie sie heißen. Der Krieg anonymisiert die Menschen. Und Persönliches findet nur noch im Verborgenen statt. In der Öffentlichkeit herrscht die Identifizierung mit dem Kollektiv. Rudolf Jugerts Kennwort… Reiher ist ein Film, der den Krieg betrachtet, der ihn zu beschreiben versucht, in seiner Spezifik und in seiner Allgemeinheit. Den Krieg den wir erfunden haben. Die Methode, die Schule gemacht hat. Bei uns, in Europa, im 20. Jahrhundert. Einfach, direkt, klar, ohne die dichterischen Möglichkeiten des Kinos zu vernachlässigen, die scheinbar Nebensächliches ins Zentrum der Aufmerksamkeit zu erheben imstande sind, aber auch ohne auf etwas zu bestehen, das der gewählten Wahrnehmung zuwiderlaufen würde. Er sucht nicht, sondern zeigt.

Vor allem aber: Die Orte an denen seine Geschichte stattfindet: Orte wie Gesichter. Der Vordergrund die Menschen, der Hintergrund die Landschaft; aus der sie sich herausschälen, in der sie sich zu verbergen suchen. Der Zwang der permanenten Anwesenheit auf der Flucht und die starre Anwesenheit der Natur . Als ob alles gezeigte schon immer da gewesen wäre. Vor dem Film. Im Krieg wird die Natur zur Erinnerung.

Die Fluchtbewegung dient als ein Streifzug durch die Auswirkungen, die Folgen, und die Nachwirkungen, welche ein Krieg impliziert. Das Allgemeingültige der filmischen Darstellung besteht dabei im Vorführen des menschlichen Verhaltens und des gesellschaftlichen Systems. Beide bedingen sich gegenseitig, und bringen einander hervor, bilden eine Funktionseinheit. Das Kollektiv prägt das Individuum, das sich wiederum dem Kollektiv verpflichtet fühlt. Das Spezifische zeigt sich dann in eben jenem Funktionieren, im genauen Ablauf, in der Vorhersehbarkeit einer Ausnahmesituation, die keine ist. Geduldig fängt die Kamera alles ein, es fehlt jegliche Kampfrhetorik, Befreiungsromantik, oder die Reduzierung des Krieges auf „wichtige“ Schauplätze und Ereignisse. Einen kleinen Trick braucht es aber doch, eine symbolische Figur, den Odysseus, den Simplicissimus, den weisen Tor, oder den törichten Weisen. Das Lehrstück ist dabei eine Reise in das Innere des Kollektivs, in das Besondere eines historischen Ereignisses, an dessen Ende die Erkenntnis wartet, vielleicht auf den Protagonisten, aber vor allem auf den Zuschauer. Ähnlich wie in Miklós Jancsós ein Jahr zuvor entstandenem Oldás és kötés (Cantata / Ungarn) dient Jugert der Protagonist als Chiffre, als Wegweiser, als Dreh-und Angelpunkt der existentialistischen Dimension der Erzählung, der die Essenz des Films verkörpert und ausagiert.

Kennwort… Reiher ist stark in der damaligen filmischen Moderne, in der Zeit von 1964 verankert. Aber Hauptdarsteller Peter van Eijks Figur ist nicht wirklich eine Figur von Antonioni oder Resnais, jemand der den Frieden erleiden muss und sich nicht mehr zurechtzufinden weiß, in einem Krieg der in der Seele tobt, vom Außen zum Innen verlagert. Er trägt vielmehr Züge des Genrekinos, ist beinahe identisch mit dem Namenlosen Fremden, den Clint Eastwood im ebenfalls 1964 entstandenen Per un pugno di dollari (Für eine Handvoll Dollar / Italien, Spanien, BRD) spielt. Ein Einzelgänger, stoisch, weltfremd, übermütig, ein wandelndes Paradox und durch das Wissen um die Welt und die Einsicht in die Unausweichlichkeit des Todes zum Handeln befähigt. Während Eastwood aber tendenziell das Märchenhafte, eine Utopie verkörpert – den Menschen der sich aus freiem Willen in den Krieg begibt und dadurch triumphiert, dass er ihn überwindet – ist Van Eijk ein Pendant welches auf den Alltag verweist und dessen Fehler nicht ungesühnt vorübergehen werden. Statt zu sterben um zu leben, wird er leben bevor er stirbt. Fast, als ob doch kein Krieg wäre. Fast.

Man könnte meinen, Drehbuchautor Herbert Reinecker propagiere den Krieg als Überwindung des Friedens, indem er durch Rückbesinnung auf die Vergangenheit die Grundlagen für den Ennui der (Nach)Kriegsgeneration liefert sowie die Bedingung für deren Beseitigung. Doch der Film hat anderes vor. Im Krieg liegen Leben und Sterben enger beieinander als üblich, und es scheint auf gewisse Weise einfacher sein zu leben, und einfacher zu sterben. Der Handlungsspielraum ist klarer definiert. Das Chaos scheint vollkommen, doch umso mehr tritt die ordnungsstiftende Struktur des Menschen zutage. Gesellschaftliche Regeln die im Zustand des Friedens ihre Gültigkeit haben, wirken im Krieg verstärkt. Ebenso wie die Ausnahmen und die Möglichkeiten diese zu brechen. Der Protagonist sagt einmal, dass er nie so intensiv gelebt habe wie jetzt, auf der Flucht, im Bewusstsein, dass jeder Augenblick sein letzter sein könnte. Der Krieg bringt also Klarheit, eine Gewissheit über die Welt in der wir leben und die Menschen die uns umgeben, da er die Verhaltensweisen der Friedenszeit potenziert, und zu einer beinahe pathologischen Nachahmung des wirklichen gesellschaftlichen Zustandes „an sich“ zwingt, er also sozusagen das gesellschaftliche Konstrukt offenlegt auf dem er beruht.

Und man könnte auch sagen der Krieg ist ehrlicher, da er den Einzelnen zwingt sich dringlicher zu betrachten. In der Verdrängung wie in der Bewusstwerdung. Es geht nicht anders. Es gibt keine Alternative. Der Nihilismus des Insistierens auf einer notwendigen Widersprüchlichkeit des menschlichen Handelns tritt offen zutage. Wenn das Kollektiv herrscht, hat der Einzelne keine Chance.

Kennwort… Reiher – BRD 1964 – 97 Minuten – Regie: Rudolf Jugert – Drehbuch: Herbert Reinecker – Produktion: Franz Seitz – Kamera: Hans Jura, Wolf Wirth – Schnitt: Heidi Genée – Musik: Rolf A. Wilhelm – Darsteller: Peter van Eyck, Fritz Wepper, Charles Hickman, Marie Versini, Walter Rilla, Geoffrey Toone, Werner Lieven, Dany Mann, Elfriede Kuzmany, Monique Ahrens, Max Haufler, Karin Heym, Gernot Duda, Jean Launay, Hubert Suschka, Thomas Margulies

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15 Antworten zu “100 Deutsche Lieblingsfilme #42: Kennwort… Reiher (1964)”

  1. Robert on Oktober 8th, 2012 at 12:09

    Da ich nichts Produktives beitragen kann, einfach nur: toll! toll!

  2. Sano Cestnik on Oktober 9th, 2012 at 09:32

    😀

    Vielleicht haben wir ja Glück, und der Film erscheint demnächst irgendwo auf DVD. Die Fernsehausstrahlung die ich gesehen habe, sah jedenfalls erstaunlich gut aus. Dann kannst du dir den Film ansehen und (an dieser Stelle) noch was produktives Schreiben. 😉

    Leider gibt es bisher sehr wenige Filme von Rudolf Jugert die für zu Hause veröffentlicht worden sind, wie ich während der letzten Tage Internetrecherche feststellen musste. Werde versuchen die Augen offen zu halten falls mal wieder was gesendet wird und dir rechtzeitig eine Mail schicken. 🙂 Ich kann mir ja kaum vorstellen, gleich bei meiner ersten Begegnung mit Jugert seinen besten Film erwischt zu haben. Was es da also noch zu entdecken gibt? Christoph meinte zuletzt, Jugerts EIN HERZ SPIELT FALSCH wäre ebenfalls sehr zu empfehlen. Da es den in einer O.W. Fischer Edition, die ich mein eigen nenne, auf DVD gibt (zusammen mit den bereits genossenen und als überaus sehenswert beurteilten HEIDELBERGER ROMANZE von Paul Verhoeven und BILDNIS EINER UNBEKANNTEN von Helmut Käutner), wird das vermutlich meine zweite Begegnung mit Jugert werden. Die Box gibt es übrigens zur Zeit gebraucht schon ab 11,49 Euro bei amazon.de zu erstehen.

  3. Robert on Oktober 9th, 2012 at 13:15

    Der kam im Fernsehen? Ich bin in letzter Zeit immer mehr perplex, was im Fernsehen doch ab und zu geht. Ich hatte es schon fast abgeschrieben. Zu selten kommt etwas, dass ich das auf den Schirm behalten würde und zum Zappen komme ich nicht mehr. Vielleicht sollte ich doch mal wieder die gute alte TV Spielfilm in die Hand nehmen. (Ach ja, ich habe letztens etwas unfassbares wiederbekommen. Mein altes VHS-Buch, das fast vollständig alle aufgenommenen Filme mit TV Spielfilm-Ausschnitten festhält. Ich hatte vor vielen vielen Jahren, die Hoffnung, dass ich nicht „immer“ entscheiden müsse, was meine Freunde und ich aus meinem Fundus gucken würden. sie sollten sich selbst eine Meinung bilden können. Hat natürlich nicht geklappt, aber das Buch habe ich dann doch immer mit mir rumgeführt. Das habe ich jetzt wieder und da ist doch tatsächlich die STALKER-Beschreibung drin, über die wir in Hambug sprachen. Also wo drin steht, dass er ihn nochmal drehte, als er ihm in der ersten Fassung nicht düster genug war. Musste ich direkt an dich denken, weil du ja auch nicht mehr so sicher warst, dass nicht „geträumt“ zu haben, weil es nirgendwo sonst steht.)

    Und O.W. Fischer … wenn man jemanden nicht mag, dann sagt das mehr über jemanden selbst, als über den nicht gemochten. Ich denke ich weiß, warum ich O.W. Fischer nicht mag … zumindest hat er mir BILDNIS EINER UNBEKANNTEN schon verhagelt. Ich fand diese Figur, die er spielt so verlogen und rührselig, wie ich DAS APARTEMENT verlogen und rührselig finde. Nur das Jack Lemmon noch erträglich war, während Fischer diese schreckliche Coolness von Fred Astaire hat … kennst du LIAR von der Rollins Band? (http://www.youtube.com/watch?v=iaysTVcounI -> ich kann hier gerade nicht nachgucken, ob es funktioniert und gute Qualität hat, bin nicht an meinem Rechner) So empfinde ich Fischer und Astaire, die erscheinen mir so aalglatt und so kantenlos in ihrer stetigen guten Verfassung, die sich von nichts verhageln lässt … Weil ich meilenweit von sowas entfernt bin, macht es mich rasend, solche „Lügen“ zu sehen. Das ist es wahrscheinlich. Vll. sollte ich auch mal einen anderen Fischer-Film gucken, kann mich an keine anderen mehr erinnern und es ist nur diese Rolle, mit der ich nicht klar komme …

  4. Manfred Polak on Oktober 9th, 2012 at 22:47

    Von Jugert muss man auf jeden Fall FILM OHNE TITEL gesehen haben. Dem merkt man an allen Ecken und Enden an, dass Jugert der Adept von Käutner war, der auch kräftig an dem Film mitgemischt hat (Produzent und Co-Autor). Ich hab ihn in der hoffentlich noch nicht ganz vergessenen „Aktion deutscher Film“ unter meine 10 Favoriten aufgenommen, da steht noch etwas mehr dazu.

    KENNWORT… REIHER hab ich auch schon im Fernsehen gesehen, ich glaub sogar zweimal, ist aber schon ewig her. Wer O.W. Fischer mal sehen möchte, wie er auf die schiefe Bahn gerät und am Ende von der Polizei erschossen wird, bekommt das in BIS WIR UNS WIEDERSEHN geboten. Ist aber eine blöde Schmonzette vom ekligen Herrn Ucicky.

  5. Sano Cestnik on Oktober 18th, 2012 at 22:50

    Wie ich gerade sehe, habe ich doch glatt vergessen euch beiden zu antworten, obwohl ich eure Kommentare natürlich sofort nach erscheinen gelesen hatte…

    @Robert

    Ja, der lief tatsächlich im Fernsehen – wo nach wie vor tolle Filme zu entdecken sind, wenn man das Programm nur ordentlich durchforstet. Ich habe mir sogar während dem 70mm Filmfest in Karlsruhe zum ersten Mal seit ichweißnichtwann wieder einmal eine Programmzeitschrift gekauft (möglicherweise motiviert durch die Entdeckung von Jugerts Film und meiner Sehnsucht nach regelmäßigerem Heimatfilmkonsum) und gedenke das in Zukunft womöglich wieder regelmäßiger zu tun – und ja, es ist die „fute alte TV-Spielfilm! Da ich das Meiste aufgrund meines fehlenden Fernsehanschlusses (habe seit 7 Jahren keinen mehr) übers Internet schauen muss, ist die Qualität aber nicht immer besonders schmeichelhaft. Zumindest habe ich aber so zuletzt den lange Jahre heiß ersehnten ENGELCHEN (1996) von Helke Misselwitz sehen können, und mich auch an Ann-Kristin Reyels‘ wunderbar trübem FORMENTERA (2012) ergötzt. Vor allem wenn es um deutsche Filme geht, ist das Fernsehen eben (glücklicherweise) immer noch eine unschätzbare Fundgrube. Ich spiele sogar mit dem Gedanken demnächst mal ein vorausschauendes Filme im Fernsehen-Posting auf ET zu erstellen. 🙂

    Das mit den VHS-Aufzeichnungen klingt super. Ich hatte früher mal so ein kleines Büchlein, in das ich alle Filme die ich bis 1999 gesehen hatte eintrug und auch Filme die ich noch sehen wollte. Trotz PC, fand ich das per Hand einfach schöner und reizvoller. Müsste das auch mal wieder irgendwo ausgraben (vermutlich im Keller bei meinen Eltern). Das mit STALKER klingt übrigens super!! Musst du mir nochmal ausführlicher berichten, gerne auch per Mail.

    Bin die letzten tage übrigens dabei meine noch vorhandene VHS-Sammlung selbstaufgenommener Filme von neuem zu katalogisieren, und schwebe gerade auf Wolke7 beim ganzen Videogucken. Das erinnert mich so sehr an meine aufblühende Cinephilie vor 13 Jahren, die ja eben mit und aufgrund von VHS überhaupt zu den heutigen Ausmaßen führen konnte. Lang lebe die VHS und die anderen Videoformate. Bei meinem Besuch in Berlin im September übrigens ein paar schöne VHS-Aufzechnungen auf der Straße gefunden und mitgenommen – das hatte ich dir glaube ich noch gar nicht erzählt. Unter anderem Sachen von Peter Krieg, Ingemo Engström, Roger Corman und geile Blaxploitation. So spielt das Leben.

    O.W. Fischer wiederum, war für mich DIE Entdeckung in BILDNIS EINER UNBEKANNTEN und auch der interessanteste Aspekt dieses an interessanten Aspekten nur so überquillenden Meisterwerks. Habe mir im Zuge dessen nicht nur die oben erwähnte Edition, sondern später sogar noch eine zweite O.W. Fischer Box mit 4 weiteren Filmen zugelegt. He seems to be an acquired taste, wie ich schnell feststellen musste, aber zumindest Christoph teilt meinen Enthusiasmus. Deine Assoziation in Richtung verlogen und rührselig kann ich zwar nachvollziehen (auch in punkto THE APARTMENT), teile sie jedoch nicht. Meiner Meinung nach spielt er ausgezeichnet den eben ständig „spielenden“ prototypischen Melancholiker. Eine Art Pausenclown (wie ihn ja auch Lemmon bei WIlder wundervoll ehrlich verkörpert) der seinen Humor (miss)braucht, um überhaupt überleben zu können, in einer Welt die ihn abstößt. Ein bisschen erinnert mich das auch an Käutner, bzw. seine Verarbeitung persönlicher Erfahrungen. Das verlogene und rührselige ist also lediglich eine vordergründige Maske und Masche. So sehe ich überhaupt vieles im Kino der 50er. Liar von der Rollins Band kannte ich noch nicht. Und ich muss sagen, dass ich dem Lied den Klang von Fischers Diktion vorziehe. 😉
    Bei Astaire ist es eine andere Sache. Und von ihm kenne ich zu wenig um darüber ausreichend sinnvole Gedanken spinnen zu können. Aber das ist mir bisher doch eher etwas musikalisches, schwebendes, eben dieses tänzerische Element, wodurch er im Film wie ein Fremdkörper, ein Außerirdischer Wirken kann. Aber das scheinen mir dann doch zwei völlig unterschiedlich gelagerte Temperamente zu sein, O. W. Fischer und Fred Astaire.

    @Manfred

    Ja, FILM OHNE TITEL. Der ist ja zumindest immer noch halbwegs bekannt, oder aufgrund seiner Assoziation mit dem Trümmerfilm noch als Werk präsent. Leider für mich aber gerade auch schwierig zu bekommen. Falls du da eine VHS-Aufzeichnung oder ähnliches zur hand hättest… 😉 Käutner hat Jugert soweit ich weiß ja wohl überhaupt wieder nach Deutschland und zum Film geholt, und Jugert war dann auch bei allen seinen Filmen bis ’47 Regieassistent (korrigier mich bitte, wenn ich hier was falsches behaupte). Ich sehe du erwähnst in deinem Aktion Deutscher Film-Kommentar (nein die Aktion ist nicht vergessen, sondern eine schöne Erinnerung, und bei ET haben wir es ja auch weiterhin auf deutsches Kino abgesehen) auch einiges davon. Aber mit Ruth Leuwerik muss ich dir widersprechen. Sie ist (zumindest für mich) alles andere als ein Biederfräulein, was sicher auch Käutner so gesehen hat, da er wiederholt mit ihr zusammenarbeitete. Ich finde sie übrigens auch erotischer als Hildegard Knef.
    Deine immer wieder geäußerten (Fernseh)Sichtungen früherer Tage sind im Kontext dieses Gesprächs ja aber auch ein passender Indikator dafür, was man auf käuflich zu erwerbenden Filmträgern alles an deutscher Filmgeschichte verpasst. Was hast du da eigentlich alles an wunderbarem (und sicher auch grausamem) in all den Jahren zu Gesicht bekommen? Ich habe ja in jungen Jahren nie deutsche Filme im Fernsehen geguckt – auch nicht den obligatorischen Tatort – und komme erst seit kurzem mehr und mehr auf den Geschmack (wobei ich mit dem Murnau-Filmtheater in Wiesbaden zur Zeit auch eine dankbare Kinoplattform für 35mm-Vorführungen alter deutschsprachiger Filme zur wöchentlichen Verfügung stehen habe). Was kennst du denn z.B. noch so von Jugert? Ist übrigens immer wieder toll davon zu lesen (auch wenn es oft nur Häppchen und Andeutungen sind), und ich beneide dich dabei um dein fortgeschrittenes Alter und das Miterleben des „alten“ Fernsehens. Vielleicht könntest du auf Whoknows Presents dazu mal einen längeren Artikel schreiben – Manfred Polaks frühe Erfahrungen mit dem deutschen FIlm. 🙂

    PS: Von deiner deutschen Top 10 habe ich bisher nur 2 Filme gesehen…

  6. Silvia Szymanski on Oktober 20th, 2012 at 12:35

    @Ruth Leuwerik: Meine Mutter erzählte mir, Leuwerik sei als die deutsche Ingrid Bergmann verstanden worden; das kann ich nachvollziehen. Das, was du, Manfred, „bieder“ an ihr findest, nehme ich auch wahr. Manche würden auch „mütterlich“ sagen, aber ich finde, gerade das hat etwas. – Bergmann in LIEBEN SIE BRAHMS?/GOOD-BYE AGAIN ist in dieser Biederkeit beinah tödlich. Ich mag den Film nicht einmal richtig, aber ich bleib immer wieder dran hängen. Sie ist darin sehr passend besetzt; sie verkörpert etwas, das ich auch aus Brahms heraushöre, den viele Leute langweilig und erstickend finden. Ich finde dieses Erstickende interessant. Vielleicht weil man meint/spürt, dass es so viel ist, was Brahms, Bergmann, Leuwerik in sich zu ersticken haben. Es dringt ja trotzdem durch, wie durch Filz, ungeheuer gedämpft, summend wie diese Hochspannungsleitungen bei Nebel (ich hab so was schon ewig vor meinem Fenster, deshalb fällt mir der Vergleich ein). Da ist eine ruhige, animalische Wärme, die sich von ihnen ausbreitet, wie von eingesperrten Kühen. Wenn auch mit Perlenkette und in damenhafter Kleidung 🙂 (ich meine das nicht abfällig. Ich sympathisiere). Auch die Melodien von Brahms kehren nach einem seelenvollen, nächtlichen Flug immer wieder zu sich selbst zurück und müssen sich mit ihren Umständen und Begrenzungen versöhnen. Sie verirren sich nie, und sie fliegen nie davon. Wie man sich eben Mütter vorstellt. Sie strahlen, um den wichtigen Begriff der Eskalierenden Träume aufzugreifen, wehmütig-einsichtigen „Verzicht“ aus. Mit ein paar hoffnungsfrohen, übermütigen Lichtern manchmal. – Na, das hier nur am Rande, weil hier das Stichwort fiel. Besser würde mein Kommentar unter deinen Text über SOLANGE DU LEBST und zu dem, was du darin über Marianne Koch schreibst, passen, Sano. Ich finde die Frauenfiguren in den 50er Jahre Filmen interessant. Das sind Grundsteine. Was von Frauen heute verlangt wird, was sie selber von sich verlangen, hat immer noch damit zu tun, scheint mir. Jedenfalls in den konservativen Wellen, wie der momentanen. Ich sitze gerade an meinem Text zu DAS BEKENNTNIS DER INA KAHR für Hard Sensations und denke über diese Dinge nach.

  7. Manfred Polak on Oktober 21st, 2012 at 02:34

    FILM OHNE TITEL habe ich weder auf VHS noch sonst irgendwie, sondern nur (natürlich wieder mal) im Fernsehen gesehen. Tatsächlich habe ich überhaupt nichts auf VHS, weil ich erst mit DVDs anfing, Filme zu sammeln. Von Jugert kenne ich auch nicht so arg viel. Außer FILM OHNE TITEL noch NACHTS AUF DEN STRASSEN, den Weltkrieg-2-Spionagefilm DIE FEUERROTE BARONESSE mit Blacky Fuchsberger und Dawn Addams sowie KENNWORT… REIHER. Falls ich noch ein oder zwei Filme mehr gesehen haben sollte, sind sie mir aus dem Gedächtnis entschwunden. Außerdem hab ich seinerzeit DER BASTIAN mehr oder weniger komplett gesehen, aber da war ich erst 11, und nach bald 40 Jahren ist die Erinnerung auch nicht mehr ganz aktuell. Die Frische, die dieser Serie nachgesagt wurde, wird meist der Autorin Barbara Noack zugeschrieben, aber vielleicht hatte Jugert ja auch seinen Anteil daran.

    Es stimmt, Käutner hat Jugert und dessen damalige Verlobte, die er dann nach dem Krieg geheiratet hat, aus Italien wieder nach Deutschland geholt. Allerdings hatte Jugert da schon Erfahrung als Theaterregisseur, und er machte eine Ausbildung in Cinecittà. Vielleicht wäre er also auch ohne Käutner beim Film gelandet. Er war dann außer bei ANUSCHKA (1942) Regieassistent bei allen Filmen Käutners bis einschl. IN JENEN TAGEN (außerdem bei einem Film von A.M. Rabenalt und einem von Paul Martin). Bei der Konstellation könnte man denken, dass man da einen Meister (Käutner) und seinen gelehrigen Schüler (Jugert) hat. Ich weiß nicht, wie ihr Arbeitsverhältnis in diesen 8 Jahren von 1939 bis 1947 genau war, aber vielleicht sollte man sich vor Augen halten, dass Jugert ein halbes Jahr älter als Käutner war. Und am Leipziger Schauspielhaus, wo Käutner Regie führte, bevor er seinen ersten Film drehte, war Jugert Oberspielleiter, also sowas wie Käutners Vorgesetzter.

    Von Ruth Leuwerik habe ich vielleicht die falschen Filme gesehen. Viele waren es eh nicht, und dann immer so Zeug mit Dieter Borsche (VATER BRAUCHT EINE FRAU, KÖNIGLICHE HOHEIT und KÖNIGIN LUISE). Erotisches konnte ich da nicht entdecken, aber das liegt ja erstens im Auge des Betrachters, und zweitens ist es gut möglich, dass ein O.W. Fischer andere Züge an ihr offenlegt als ein Dieter Borsche. Ich weiß jetzt ehrlich gesagt auch nicht, ob sie eine gute oder schlechte Schauspielerin war. Ingrid Bergman, die Silvia als Vergleich ins Spiel bringt, war jedenfalls eine sehr gute, die auch schlimmen Kitsch noch adeln und damit einen Film retten konnte. Wie etwa DIE HERBERGE ZUR SECHSTEN GLÜCKSELIGKEIT, den ich gerade in anderem Zusammenhang irgendwo erwähnt habe, und der mit, sagen wir mal, Maria Schell statt Bergman, schlechterdings unerträglich wäre.

    Ach ja, das „alte Fernsehen“. Man könnte fast nostalgisch werden, wenn es nicht Zeitverschwendung wäre. Natürlich gab es auch damals unendlich viel Mist, aber alles war viel konzentrierter. Es gab nicht nur viel weniger Sender – zwei Hauptprogramme, ein bis zwei Dritte, die aber erst nach und nach zu Vollprogrammen ausgebaut wurden (das Dritte des BR hieß seinerzeit noch „Studienprogramm“), und je nach Lage noch ausländische Sender, bei mir ORF -, sondern auch die Sendezeit war begrenzt. Irgendwann zwischen Mitternacht und 2:00 Uhr Sendeschluss und Testbild, und Vormittagsprogramm, damals noch „Ferienprogramm“ genannt, nur einige Wochen im Jahr. Da gab es zur Hauptsendezeit nach der Tagesschau deutsche Filme aus allen Dekaden, einschl. aktuelle Werke des neuen deutschen Films, einen Querschnitt aus Europa und Hollywood, und Fernsehspiele von Leuten wie Itzenplitz (der diesen Sommer gestorben ist, wie ich gerade sehe) gab es dutzendweise. Und zu vorgerückter Stunde, aber deutlich vor Mitternacht, immer wieder Retrospektiven von Größen wie Hitchcock, John Ford, Bergman oder Buñuel, aber auch von Leuten wie etwa Yilmaz Güney oder Márta Mészáros. Auch Stummfilme, heute fast nur noch bei arte zu finden, hatten ihren Platz. Ich erinnere mich, METROPOLIS, NOSFERATU und Buster Keatons STEAMBOAT BILL JR. in den 70er Jahren gesehen zu haben.

    Aber es ist witzlos, dem nachzutrauern. Erstens ist es nun mal unwiederbringlich vorbei, und zweitens gibt es mit DVDs aus aller Welt und mit dem Internet Beschaffungs- und Recherche-Möglichkeiten, von denen ich früher nicht mal geträumt habe. Was meine eigenen Erinnerungen an diese Zeit betrifft: Die sind ein großer unstrukturierter Sack. Ich hab mir nie Notizen über gesehene Filme, über Regisseure oder sonstwas gemacht. Gelegentlich werden Assoziationen geweckt, die ich dann auch zum Besten gebe, wenn es sich anbietet, aber den großen Übersichtsartikel zu diesem Thema wird es von mir wohl nicht geben.

  8. Manfred Polak on Oktober 21st, 2012 at 17:06

    Kleiner Nachtrag:

    Ja, der lief tatsächlich im Fernsehen – wo nach wie vor tolle Filme zu entdecken sind, wenn man das Programm nur ordentlich durchforstet.

    Um das Durchforsten etwas abzukürzen, hier der Hinweis, dass heute um 00:25 auf 3sat EXPLOSION DES SCHWEIGENS kommt. Wer diese existentialistische Killer-Ballade noch nicht kennt, dem ist hiermit Anschaubefehl erteilt (sonst kommt der Hitman und holt auch dich…)!

  9. Sano Cestnik on Oktober 21st, 2012 at 18:59

    NACHTS AUF DEN STRAßEN klingt jetzt nach der Lektüre von Apes famosem Beitrag ungeheuer spannend. Ist sehr schön, wenn man statt Titeln und Träumereien auch mal fassbare Vorstellungen zu einzelnen Titeln bekommt.

    Ja, das mit dem Meister-Schüler Verhältnis (das ich in etwa so immer vor Augen hatte), habe ich nach Ansicht von KENNWORT… REIHER gestrichen. Also vielleicht eher auf Augenhöhe. Gegenseitige Inspiration? Käutner meinte ja auch irgendwo (oder ich las es) er „bräuchte“ Jugert (als er ihn holte). Das Alter spielt bei solchen Sachen dann natürlich auch immer seine Rolle.

    Wenn ich so in alten Heften vom ZDF oder dem kleinen Fernsehspiel aus den frühen 80ern blättere, imponiert mir vor allem das Strukturierte, bewusste, kuratierte, also einfach eine andere Haltung. Ich würde fast behaupten, dass heute z.B. insgesamt vielleicht mehr (auch für mich interessante) Spielfime laufen als früher. Das hat meiner Meinung nach aber lediglich mit der Masse zu tun. Also der Masse an Anbegoten die man inzwischen glaubt liefern zu müssen. Das wirkt dann wie in einem dieser riesigen Großsupermärkte. 200 Käsesorten zur Auswahl, aber erstens findet man zunächst nichts, und zweitens fehlt dann dennoch immer noch unendlich vieles. Es wird also nur ein Reichtum vorgegaukelt. Ähnliches gilt m. M. eingeschränkt auch für den Heimvideomarkt. Die Technologie an sich ist eher die Revolution, als das, was mit ihr gemacht wurde. Und da haben wir dann Quantitativ sogar noch einen Rückschritt, von der VHS, zur DVD und zur BLU-RAY (wenn ich jetzt nur die bei uns dominanten Trägermedien berücksichtige).

    Schade, dass du dir keine Notizen gemacht hast. Aber wer hat das schon? Dennoch: Immer her mit den Assoziationen! 🙂

    Bergman finde ich im Bezug auf Leuwerik eine gute Analogie, und ich kann gut nachvollziehen, was Silvia damit meint. Auch wenn ich Leuwerik dann auch in dieser Hinsicht interessanter und erotischer finde als Ingrid Bergman. Bergman erscheint mir immer auch ein wenig hilflos, bedürftig (dann auch sehr schön genutzt in Hitchcocks NOTORIOUS), während mir Leuwerik völlig souverän scheint, als für mich in etwa die Entsprechung zu Deborah Kerr. Das wärs glaube ich für mich. Aber ohne diesen Tick Wahnsinn wie bei Kerr. Aber das liegt natürlich alles sehr im Auge des Betrachters. 🙂

  10. Sano Cestnik on Oktober 21st, 2012 at 19:07

    @Silvia

    Kann ich alles sehr gut nachvollziehen. Leuwerik sieht man dann auch sehr schön beim parodieren dieses Verzichts in Käutners HAUS IN MONTEVIDEO.
    Dein Kommentar würde aber in der Tat beinahe ideal zum Reinl und zu Marianne Koch passen. Wie die Faust aufs Auge. 😉
    Das mit der Grundsteinlegung für heute in den 50ern habe ich so noch nicht wie du betrachtet. Ich dachte da eher an Chaos und Übergangszeit zwischen NS und 68er. Aber dieser Verzicht der damaligen Zeit zieht sich natürlich wie ein Schleier über das Gesamtdeutsche Kino (auch der DDR) bis heute. In der Ausprägung ist mir das davor nicht bekannt, auch wenn sich während der NS-Zeit (und da vor allem während der Kriegszeit) schon solcherlei abzeichnete. Aber davor war das wenn schon, dann irgendwie immer „einfach“ bieder, klarer verklemmt, und nicht so widersprüchlich wie in den 50ern, kein solches Nebenher verschiedener Bedürfnisse, die die Frauen in verschiedene Richtungen ziehen. Vielleicht waren aber auch nur die Typen klarer definiert und besetzt. Also die Klischees noch selbstverständlicher, und mussten nicht so forciert werden, wie es z.B. der heimatfilm in den 50ern dann ja schon fast paradigmatisch tut: Alles wird Behauptung, und wir bewegen uns ins Märchenland.

    Da bin ich ja mal sehr gespannt auf deinen Artikel zum Pabst. 😀

  11. Sano Cestnik on Oktober 21st, 2012 at 19:12

    Und Betreffs heute Nacht und Pflichttermin im Fernsehen:

    Es läuft um 23:15 auf ZDF Kultur auch Ulrich Köhlers BUNGALOW, den ich neben Angela Schanelecs MARSEILLE nicht nur als besten sondern auch als erhellendsten Film der sogenannten „Berliner Schule“ sehe. Für mich jedenfalls eine Art Essenz und Kulminationspunkt. Und natürlich: Meisterwerk, etc., pp.

    EDIT: Glücklicherweise kann ich dann entspannt BLAST OF SILENCE gucken, und komme in keinen Entscheidungszwang. 🙂

  12. Christoph on August 19th, 2016 at 07:34

    Gerade zufällig diese SPIEGEL-Kritik gefunden, die so spektakulär verständnislos und angetrübt schimpft, dass ich sie schlicht verlinken muss: http://www.zeit.de/1964/29/film
    Den Film selbst würde ich sehr gerne sehen, denn Rudolf Jugert ist natürlich einer der Großen. Leider weigert sich selbst das Internet, ihn auszuspucken. 🙁

  13. Sano Cestnik on September 3rd, 2016 at 17:38

    War glaube ich mein erster Jugert, Nachts per Fernseh-Stream vor 4 Jahren im deutsch(sprachig)en TV erwischt – wurde ich durch diesen Film nachhaltig verstört und gepackt, schon bereits von den ersten Sekunden an. Modernistisches Kino, winterlich klirrend und funkelnd.

    Müsste also prinzipiell zumindest in ordentlicher (HD?) Qualität vorliegen. Die Heimvideolage hat sich bezüglich Maestro Jugert in den Jahren seitdem aber auch deutlich gebessert. Könnte dir daher entschädigend meine DVD des Prunkstücks deutscher Kolportagekunst DER SATAN LOCKT MIT LIEBE zur Ersatzbefriedigung leihen, und ein Silberling mit dem verheißungsvoll tristen Versprechen EVA KÜSST NUR DIREKTOREN fand sich letzte Woche auch in meinem Postfach.

  14. Christoph on September 4th, 2016 at 02:43

    Die genannten Jugert-Filme liegen mir natürlich längst vor (du kennst mich doch, ich bin ein Filmhamster), und inzwischen tatsächlich auch KENNWORT REIHER, dank Udo, von dem ich nur wenige Tage nach meinem obigen Kommentar einen ganz Schwung Jugert-Filme bekommen habe – wenn mich der Alltag nicht zu weit von diesem Vorhaben hinwegreißt, wird das auch alles in Kürze geguckt, denn nachdem ich letzte Woche GEFANGENE DER LIEBE und EIN STÜCK VOM HIMMEL gesehen und hemmungslos genossen habe (ersterer hat mich sogar vollkommen geplättet – überraschenderweise ein als solches unbenanntes, dem bereits tollen Original aber auch nochmals überlegenes deutsches Remake von Raffaello Matarazzos CATENE, mit Annemarie Düringer in der Rolle von Yvonne Sanson und Curd Jürgens in der von Amedeo Nazzari, und Bernhard Wicki, der seinen ersten Auftritt in einer schwarzen Lacklederweste mit Totenkopf absolviert! %-), bin ich endgültig ergebener Fan, weswegen es sehr beruhigend ist, nun eine größere Anzahl auch seiner selteneren Filme vorliegen zu haben. Schön wird’s! (Kannte und liebte bisher FILM OHNE TITEL, EIN HERZ SPIELT FALSCH und FRAUENARZT DR. SIBELIUS – jeder für sich ein Schatz, hach!)

  15. Sano Cestnik on September 4th, 2016 at 10:17

    Das klingt ja ausgezeichnet! Der gute Udo! Hab gestern übrigens vor dem Schlafengehem noch seinen (und Bennets und Jochens) sehr schönen Audiokommentar zum Perser genossen. 😀

    Da hast du mich also inzwischen bereits ein- und sehr bald wohl auch überholt. Habe selbst sehr wenig Jugert zu Hause, werde bei Gelegenheit also noch auf dich zurückkommen. Vor allem mit Toni Sailer will ich schon seit längerem mehr Filme sehen. EIN STÜCK VOM HIMMEL durfte ich dabei zumindest schon einmal im Kino vorführen. ^^

    FILM OHNE TITEL hat mich beim letzten Sehen leider noch nicht ganz so umgehauen (obwohl Hildegard Knef natürlich toll ist, und die stilistischen Spielereien kurz vor Schluss mir sehr imponiert haben), die restlichen mir bisher bekannten Jugerts sind aber alles wahre Wunderwerke der Filmkunst. Warum er nicht beliebter ist, ist mir auch schleierhaft – aber da hat er einerseits möglicherweise einfach im falschen Jahrzehnt gearbeitet (die ganze bundesrepublikanische Filmkunst der 50er weiß ja selbst heutzutage immer noch kaum jemand zu schätzen), während ich persönlich mutmaßen würde, dass im andererseits auch seine Vielschichtigkeit und Vielfältigkeit als Künstler von den weniger aufmerksamen Zuschauern negativ ausgelegt worden ist. Die Filme die ich bisher von ihm kenne, sind ja wahrlich vollgepackt mit unterschiedlichen Figuren, Konstellationen, und Geschichten, manchmal könnte man aus den ‚Nebenhandlungen‘ gleich drei Filme machen. Das ist dann eben nicht so rund, wie das ein klassizistisch geschulterer Kritiker vielleicht gerne hätte. Jedenfalls finde ich die narrativen Strategien in Jugerts Filmen höchst faszinierend. Irgendwie sind das ja auch oft Ensemblefilme, Jugert scheint sich tatsächlich für so gut wie jede Figur die auftaucht auch zu interessieren, und versucht im Idealfall noch rasch ein paar weiterführende Fährten für sie auszulegen, jeder sozusagen auch noch einen ganz eigenen Kontext und Kosmos zu verschaffen. Das ist dann auch ein sehr assoziativ-fragmentarisches Filmemachen an den ‚Rändern‘ der ‚eigentlichen‘ Geschichte(n), und alles geht darin irgendwie weiter und nimmt kein Ende. Vielleicht ein wenig wie in einem Spiegelkabinett. HALLO FRÄULEIN! und ILLUSION IN MOLL (den ich vom Titel her immer mit Käutners ROMANZE IN MOLL verwechsele, obwohl ich ihn noch lieber mag) sind in dieser Hinsicht sehr interessant. Aber auch die Schauspieler bei Jugert, immer wieder zum verlieben! Habe durch ILLUSION IN MOLL auch Hardy Krüger für mich entdeckt. Was für eine Erscheinung! Auf der Leinwand, aber auch im bundesrepublikanischen Film der frühen 50er.

    Na, durch die ganzen Meisterwerke die im August in Locarno liefen, könnte in den kommenden Jahren ja vielleicht wieder ein bisschen Bewegung in die Auseinandersetzung mit deutscher Filmgeschichte kommen. Hierzulande lechzt man ja (leider) immer noch nach den Kommentaren der ausländischen Fachpresse, und lässt aus dieser Richtung dann auch mehr gelten. Aber ob im Ausland ein Gespür für die komplexen Vorgänge der BRD während der Adenauerära herrscht? Wir werden sehen…

    Jedenfalls kann ich dir die schön umfangreiche Publikation zur Retrospektive nur empfehlen. Da gibt es dann zum Beispiel einen kleinen Liebesbrief von Miguel Marías an Käutners LUDWIG II. den er unter anderem als einfühlsamste Filmwerdung dieser Figur bezeichnet. Immerhin etwas.

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