Zeitnah gesehen: Suspiria (2018)





Toller Auftakt: In einer Art Reminiszenz an die vor etwa einem Jahr von mir schwer liebgewonnene Eröffnung aus Christopher Nolans „Dunkirk“ (2017) mit ihrer Flucht vor der geradezu unsichtbaren, auf der Tonspur aber umso mehr eskalierenden (Sound-)Kulisse des Krieges rettet sich Chloë Grace Moretz aus dem nur kriegsähnlichen Terror der Roten Armee Fraktion und ihrer Sympathisanten in den Hort ihres Psychiaters. Dort, im jedweden Lärm wohl am nachhaltigsten eliminierenden Ort der Welt, gibt sie sich in Gänze der Hysterie hin, während es Regisseur Guadagnino fort zur alles überdeckenden Ruhe des Landes und der ätherischen, viel mehr schon sakralen Totenmusik Thom Yorkes zieht. Die umgehende Installation einer konsequent durchexerzierten Ruhe, die „Suspiria“ für bemerkenswert ausgedehnte Intervalle aufrecht erhalten wird – schon zu Beginn durch die Aussparung jenes berühmten und Goblins Prog-Gewitter erst so wirklich lostretenden Auftaktmordes, der in Dario Argentos ursprünglicher Variante dieses Stoffes noch einer vergleichbaren Figur zugedacht wurde, vielmehr allerdings durch die permanente Umkodierung von im Allgemeinen nicht mit Stille assoziierten Orten. Berliner Straßen, ein Polizeirevier, der U-Bahnhof, an dem mit Dakota Johnson unsere neue Heldin ohne jeden Bruch erstmals außerhalb der ländlichen Heimat aufschlagen darf – alles wie in Watte oder gar einen das Immunsystem schonenden Kokon gehüllt, jedes ansetzende Geräusch dabei bereits im Keime erstickend.

Fast jedes. Mehrere Male gebrochen wird diese Stilistik allein durch die harsche Akzentuierung einzelner Kakophonien – berstende Knochen, eine vom Messer durchstoßene Kehle, Schmerzensschreie wie solche des Wahnsinns – die den für sich genommen nicht übermäßig zeigefreudigen Horror bis an die Schmerzgrenze (die meinige in jedem Falle) übersteigern und sich vielfach widerhallend durch die Kulissen fräsen. Bis zur völligen räumlichen Losgelöstheit vom Ursprunge. Eine Eigenschaft, die sie mit dem teilen, das bei einigen Kritikern schon kurz nach Kinostart des Filmes für Furore sorgte: Der angeblichen Sozialdidaktik des Drehbuches, die sich mehr für den neuen Schlöndorff als für eine Variation auf italienisches Genrekino empfehle. Schon allzu früh sticht der bizarre Dialog über die Lebenshaltungskosten junger Künstlerinnen, der sich zwischen Schulleiterin und Neuankömmling aus dem Blauen heraus entspinnen darf, hervor wie der sprichwörtlich bunte Hund. Nur um sich dann kurze Zeit später nachträglich auf das Harmonischste einfügen zu dürfen, was ich weit mehr als inszenatorische Methodik denn tatsächliche Lehrerhaltung wahrgenommen habe. Weitergetragen in Erzählform aus den Mündern in sowie am Rande der hermetischen Einsamkeit der Akademie Existierender präsentiert sich das diese Anschuldigungen hervorgerufen habende Zeitgeschehen der 70er Jahre als bloße Nachplapperei, als Replikation tatsächlicher Geschehnisse. Was auch immer Schülerinnen und Lehrkräfte untereinander rezipieren, wir müssen es hinnehmen, existiert es doch innerhalb der gesamten 152 Minuten niemals im Moment. Obiger Auftakt gibt die Stoßrichtung für die einige Charaktere offenkundig inspirierenden Terroristen und Umbrüchler vor – Schilderfetzen, vereinzelte Gliedmaßen, ein Molotowcocktail sind es, die vor dem Antlitz der fokussierten jungen Frau vage in die Kadrage ragen dürfen, ihr zu einem lebhafteren Eindruck verhelfend als uns. Später wird sich dieser Vorgang noch einmal wiederholen – im Vordergrund der beobachtenden Dakota Johnson huschen sie rein schemenhaft, wie im Zeitraffer vorbei. Weit mehr als die Hexen der Narration sind sie Gespenster, die nur repliziert auf mannigfaltigen Fahndungsplakaten oder bereits zusätzlich weiterverwertet und wieder ausgestoßen durch Radiostimmen oder gar den Rahmen des Röhrenfernsehers erhaltende Abfilmungen x-ter Ebene greifbar werden.

So sind es nicht sie selbst, die innerhalb des filmischen Mikrokosmoses zur Debatte stehen, sondern Vorstellungen, Ausschmückungen. Mehrere Male wird diese Diskrepanz der Welten direkt greifbar, in Szenen von ausgelassener Feierei überlagert durch körperlose, offenkundig aus dem Zeitkontext gerissene Konversation, nüchternen Diskurs gegen freudiges und auf diese Weise doch verstummtes Lachen ausspielend. „Suspiria“ ist nicht die große Feier des Empowerment, die landesweit durch die Feuilletons wabert, sondern eine Reflektion über die aus Isolation und durch diese wiederum katalysierte Einsamkeit geborene Sehnsucht nach Umbruch. Die Revolution ist ziellos, ergo destruktiv … und verhallt letztlich im Nichts. Geschehnisse hinter den rustikal-farbarmen, so eine zuverlässige Dicke ausstrahlenden Mauern tun es ihr samt und sonders gleich. Ganz wie die so sonderbar schwachbrüstig vor sich hin leiernde, dabei doch bereits als Tonbandreproduktion verstärkte Musik der Übungen den Tanzsaal nicht aus eigener Kraft zu verlassen im Stande scheint. Ganz wie die arme Olga – kraft der ins Eigenleben Führende übergehenden Architektur eingesperrt, dann gebrochen in der Totenstille des unteren Stockwerkes und einem Akt endgültiger Konsequenz disziplinärer Härte. Und genau dort in diesem Untergeschoss liegt er auch mit ihr begraben, der wahre Kern des Filmes. Der Kern, dem sich die Figuren, vor allem aber die beizeiten mehr wie dressierte Pudel denn ihre volle Kunst Darbietende wirkenden Schauspielerinnen unterordnen müssen. In scharfer Ästhetisierung erzählt „Suspiria“ von ebenderer Folgen, ist als stillster Horrorfilm seines Jahrgangs pure Meditation über den Tanzbetrieb, der Frauenkörper zerschinden darf wie der höchstselbst angestoßene Totentanz gegen Ende, dem hier dennoch die Befreiung innezuwohnen scheint. Körperlich zerschmettert ist man uninteressant geworden für das Talent ausbeutende Systeme, alleingelassen, bis man aus der Kraft des Geistes, der Eindrücke aufsaugenden, sie zu einer eigenen Mystik verklärenden Imagination erneut emporsteigt.

Suspiria – Italien, USA 2018 – 152 Minuten – Regie: Luca Guadagnino – Produktion: Brad Fischer, Luca Guadagnino, David Kajganich, Marco Morabito, Gabriele Moratti, William Sherak, Silvia Venturini Fendi – Drehbuch: David Kajganich, nach Ideen von Dario Argento und Daria Nicolodi – Kamera: Sayombhu Mukdeeprom – Schnitt: Walter Fasano – Musik: Thom Yorke – Darsteller: Dakota Johnson, Tilda Swinton, Mia Goth, Angela Winkler, Ingrid Caven u.v.a.

Dieser Beitrag wurde am Samstag, Dezember 1st, 2018 in den Kategorien Aktuelles Kino, Ältere Texte, André Malberg, Blog, Blogautoren, Filmbesprechungen, Zeitnah gesehen veröffentlicht. Sie können alle Kommentare zu diesem Beitrag über den RSS 2.0 Feed verfolgen. Sie können diesen Beitrag kommentieren, oder einen Trackback von ihrer eigenen Seite setzen.

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