The Look of Silence (2014)



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TLOS_TV: With profound sadness, Adi watches footage of interviews conducted by Joshua Oppenheimer with perpetrators of the 1965-66 Indonesian genocide in Drafthouse Films’ and Participant Media’s The Look of Silence. Courtesy of Drafthouse Films and Participant Media.

Der zweite Film gilt als besonders schwierig, vor allem wenn der erste so hohe Wellen schlug, so viel Kritiker-Aufmerksamkeit bekam und dazu noch eine Oscar-Nominierung erhielt wie The Act of Killing. Den Oscar bekam nicht er, sondern ein Film über Background-Sänger, aber die Oscars hätten diesen Film auch nicht unbedingt verdient. In der Zwischenzeit arbeitete Joshua Oppenheimer längst an The Look of Silence, dem lange erwarteten zweiten Film, einer Fortsetzung sozusagen, die die Hinterbliebenen der Opfer des Militärputsches von 1965 in den Mittelpunkt rückt.

Adi Rukun ist Optiker und hat seinen Bruder verloren, noch bevor er geboren wurde. Als sogenannter Kommunist wurde dieser weggebracht und exekutiert, wie eine Million andere Einheimische. Jetzt besucht er die Drahtzieher, die Täter von damals, unter dem Vorwand, ihre Sehkraft kostenlos zu testen, um dafür Informationen zu bekommen. Was er wirklich tut, ist, die Täter mit ihrer eigenen blutigen Vergangenheit zu konfrontieren – und die Kamera ist ganz vorne mit dabei.
Oppenheimer sagte oft, die Stimmung, die er in Indonesien vorgefunden hatte, wäre wie in Deutschland, hätten die Nazis den Krieg gewonnen. Ein starkes, beunruhigendes Bild. Aber für ihn nicht nur eine Metapher. Er hat Familie im 2. Weltkrieg verloren. Und die Nazis haben tatsächlich den Krieg gewonnen. Nicht in Deutschland, aber in vielen anderen Ländern. Wir nennen sie manchmal unsere Verbündete.

Die Welt ist kompliziert, und das versucht der Film, wie schon sein Vorgänger anzudeuten. Ein NBC-Report, der im Film eingeblendet wird, will ein heroisches Bild des Putsches zeichnen. Wenn Vietnam fällt, werden die restlichen südostasiatischen Staaten folgen, war damals eine gängige Theorie militärischer Kalter Kriegs-Strategen. Daher das Verlangen nach Präventivaktionen, wie solcher in Indonesien. Der NBC-Bericht ist somit ein wichtiger Link zur westlichen Welt. Und eigentlich hätte Oppenheimer westliche Politiker und Strategen konfrontieren sollen, so wie er Anwar Congo in The Act of Killing konfrontiert hat, der letztlich nur ein Handlanger der Macht war, einer von vielen. Aber natürlich hätte das nicht funktioniert, aus einer Vielzahl von Gründen. Am ehesten hätte er es wohl Michael Moore gleichgetan, der (in Bowling for Columbine) den senilen Charlton Heston vor die Linse zerrt und ihn moralisch verurteilt. Das wäre einfach gewesen. Doch Oppenheimers Filme sind zum Glück nicht einfach. Es geht nicht darum, dass jemand recht oder unrecht hat, dass jemand über den moralischen Trumpf verfügt und ihn ausspielt. Seine beiden Filme handeln von dem komplizierten Geflecht von Schuld und Verantwortung, der Macht der Verleugnung, der Konsequenzen der eigenen Handlungen und dem Geist der Vergangenheit, der sich wie ein unsichtbarer Schleier über das Zusammenleben der Menschen legt.
Nein, er ist nicht Michael Moore, aber er ist nicht minder skrupellos. Ganz bewusst setzt er Menschen Situationen aus, die sie quälen, und die dabei ihre widersprüchliche Natur offenbaren. Er macht das nicht wie ein Therapeut, der die Leute durch die Konfrontation mit ihren Dämonen befreien will, sondern wie ein Forscher in einem Labor, der die Reaktionen der weißen Mäuse nicht nur protokolliert, sondern auch stilsicher einfängt.

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TLOS_QUESTIONS: Adi questions Commander Amir Siahaan, one of the death squad leaders responsible for his brother’s death during the Indonesian genocide, in Joshua Oppenheimer’s documentary The Look of Silence. Courtesy of Drafthouse Films and Participant Media.

Er ist nicht Michael Moore. Er ist kein Polemiker und kein Prediger. Er stellt seine Protagonisten aus, aber er denunziert sie nicht. Ihr Schmerz wird zu unserem Schmerz. Wir empfinden vieles, wenn wir die ehemaligen Täter dabei beobachten, wie sich ihre Schuld, ihr Verdrängtes, ihr Leugnen, ihr Selbstschutzmechanismus regt, wie hilflos sie für einen Moment sind, bis sie ihren Ärger auf die Kamera richten. Wir empfinden dabei vieles auf einmal, vielleicht am deutlichsten, dass Menschsein ein schrecklicher Automatismus sein kann.

Oppenheimer, ein Schüler von Herzog und Makavejev, scheint vieles gleichzeitig zu sein: er ist Akademiker wie Poet. Moralist wie Stilist. Historiker. Satiriker. Fast 15 Jahre hat er mit dem Stoff verbracht. Eine schmerzlich lange Zeit, die aus ihm einen Filmemacher gemacht hat. Genau dieser Zeitraum hat auch die Filme so persönlich gemacht. Oppenheimer hat mit dem Thema gelebt, er war da, er hat sich auf die Menschen eingelassen, er hat die Sprache gelernt, er hat Freundschaften geschlossen wie Zweckgemeinschaften, und er war pausenlos auf der Suche nach dem, was er moralische Wahrheit nennt. Manchmal hört man ihn aus dem Off, aber präsent ist er immer. Man spürt ihn hinter der Kamera. Und man spürt, dass die Filme mehr wurden, als sie sollten. Sie wurden zum Politikum. Und der Regisseur wurde zum Aktivisten. Die Frage ist, was jetzt aus seiner Kunst wird.


Zum Kinostart habe ich ein Interview mit dem Regisseur auf NEGATIV geführt. Hier geht’s zur englischsprachigen Version.

Dieser Beitrag wurde am Mittwoch, September 30th, 2015 in den Kategorien Aktuelles Kino, Ältere Texte, Blog, Blogautoren, Essays, Filmbesprechungen, Sven Safarow veröffentlicht. Sie können alle Kommentare zu diesem Beitrag über den RSS 2.0 Feed verfolgen. Sie können diesen Beitrag kommentieren, oder einen Trackback von ihrer eigenen Seite setzen.

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