Zurück in die Zukunft



Technik, Ästhetik, Stil und Ambition in einigen US-Filmen des Jahrgangs 2012. Ein paar lose, Tagebuch-artige Anmerkungen zur HFR-3D-Version von THE HOBBIT sowie zu THE MASTER, DJANGO UNCHAINED und GIMME THE LOOT.

Die letzten Wochen gab es quer durchs Netz unzählige ellenlange Diskussionen über die produktionsseitig zunächst als revolutionär angepriesene HFR-3D-Technik bei Peter Jacksons THE HOBBIT. 48 statt 24 Einzelbilder pro Sekunde (= „Higher Frame Rate“, abgekürzt HFR) heißt das Rezept, das vor allem für ruckelfreie Schwenks und unverschwommene schnelle Actionszenen sorgen soll, und von dem sich manche offenbar einen ganz neuen „Realismus“ im Kino versprechen. Das diese elementare formale Eigenschaft des Films überall so breit diskutiert wird, ist im Grunde zweifellos begrüßenswert, auch wenn ich niemanden darum beneide, sich den Film gleich drei Mal in verschiedenen Versionen angesehen zu haben, um danach einen elaborierten Vergleich ziehen zu können. Auch wenn ich die Diskussionen schon aufgrund ihrer Masse nur kursorisch verfolgt habe, scheint der Tenor zur HFR-Technik eindeutig sehr skeptisch bis negativ auszufallen, jedenfalls zu der Art, wie sie im HOBBIT eingesetzt wird. Zu den interessantesten Abhandlungen schien mir dieser Artikel zu gehören, dessen vorgebliche wissenschaftliche Untermauerung zwar etwas fragwürdig anmutet, der mir in seiner Argumentation aber sehr einleuchtet. Zwei zentrale Zitate des allerdings ohnehin erfreulich knapp und prägnant gehaltenen Artikels:

“It’s psychological: we need suspension of disbelief, and suspension of disbelief comes from the lower frame rate. The lower frame rate allows our brains to say, Okay — I’m not perceiving 40 conscious moments per second anymore; I’m only perceiving 24, or 30, and therefore this is not real and I can accept the artificial conventions of the acting and the lighting and the props. It’s an inherent part of the way our brain perceives things. Twenty-four or 30 frames per second is an inherent part of the cinematic experience. It’s the way we accept cinema. It’s the way we suspend our disbelief.”

“Those high frame rates are great for reality television, and we accept them because we know these things are real. We’re always going to associate high frame rates with something that’s not acted, and our brains are always going to associate low frame rates with something that is not [real]. It’s not a learned behavior; [Some say] you watch it long enough and you won’t associate it with cheap soap operas anymore. That’s nonsense. The science does not say that. It’s not learned behavior. It’s an inherent part of the way our brains see things.”

Man mag geteilter Ansicht darüber sein, wie fundiert und allgemeingültig (wobei entsprechende Einschränkungen im Artikel gemacht werden) diese Thesen sind, mir scheinen sie leider auf einer bestimmten Ebene so entwaffnend plausibel, dass sie mir den letzten Rest an Neugier auf den HOBBIT in HFR-3D geraubt haben. Und nebenbei Jacksons Herangehensweise allzu glaubwürdig als groteske Fehlkonzeption entlarven. Größtmöglichen Realismus der visuellen Rezeption anzustreben und sich gleichzeitig konservativ innerhalb grundlegend „unrealistischer“ darstellerischer und ausstattungstechnischer Konventionsbereiche zu bewegen (die ja völlig unproblematisch sind, solange sie eben auch in der Rezeption „unrealistisch“ bleiben dürfen), das kann eigentlich nicht zusammen gehen. Natürlich bewegt man sich mit solchen Schlussfolgerungen auf dünnem Eis, solange man den Film nicht selbst in dieser intendierten Fassung gesehen hat, aber da bleibe ich dann angesichts zahlreicher glaubwürdiger Einschätzungen (etwa hier, hier oder hier) in diesem Fall doch lieber beim zweifellos fragwürdigen Vorurteil stehen, als das Risiko einzugehen, von einer dreistündigen konzeptionellen Totgeburt gefoltert zu werden. Spannender wäre vielleicht eher noch, das ebenfalls durch den HOBBIT forcierte neue Tonsystem „Dolby Atmos“ auszuprobieren, das ersten Einschätzungen zufolge tatsächlich ungeahnte Erweiterungen des Raumklangerlebnisse mit sich bringen soll, aber angesichts horrender Investitionskosten von angeblich rund 30.000 Euro bislang deutschlandweit offenbar einzig im Saal 16 des Nürnberger Cinecitta-Multiplexes installiert ist (immerhin ein kleiner Vorteil des Strebens nach Technik auf der Höhe der Zeit, die den regionalen Kinomogul offenbar antreibt, was in seiner brachialen und undifferenzierten Digital-Forcierung ansonsten leider seit Längerem ziemlich triste Folgen hat). Um aber nochmal auf HFR zurück zu kommen: Wo könnte diese Technik wirklich Vorteile bringen, fragt Christoph Hochhäusler unter dem oben bereits verlinkten Mubi-Artikel. Alles deutet darauf hin, dass dazu ein radikales Umkrempeln der Darstellungs- und Raumerschließungs-Konventionen des Hollywood-Kinos notwendig wäre, was diesem behäbig-tradierten Apparat ebenso wie dem tiefsitzenden Glauben an die Naturgegebenheit dieser Konventionen kaum zuzutrauen ist, wenn sich nicht Mainstream-Avantgardisten wie Michael Mann der Sache annehmen. Grundsätzlich scheint der Spielfilm im herkömmlichen Sinne ohnehin gar nicht das richtige Feld dieser Technik zu sein, eher wohl Experimentalfilme, Dokumentarfilme, vielleicht Pornografie (die sich dazu allerdings der schäbigen Lustvortäuschungs-Konventionen ihres industriellen und längst bis ins Privatvideo reichenden ästhetischen Mainstreams entledigen müsste), ansonsten wohl eher Sport-, Musik- und sonstige Live- und „Reality“-Event-Bereiche diverser Art. Wer dennoch den richtigen Schlüssel für die filmische Erschließung dieser Technik findet, hat wahrscheinlich nach wie vor eine ästhetische Revolution des Bewegtbilderlebnisses im 21. Jahrhunderts in der Hand. Von James Cameron, der als nächstes eine HFR-Großtat angekündigt hat und dafür die Einzelbildanzahl sogar auf 60 Bilder pro Sekunde erhöhen will, ist das kaum zu erwarten. Die Befürchtung bleibt daher, dass die HFR-Technik ohne die entsprechenden radikalen Konventionsänderungen, sondern mit voller Ignoranz gegenüber den im verlinkten Text angesprochenen Widersprüchen durchgedrückt wird, und damit nicht zu einem durchdachten und aufregenden Ästhetikumbruch, sondern einzig zu einer halbgaren Anbiederung an die unreflektierten smooth-motion-Bedürfnisse einer mit Filmbild-ruinierenden HD-TV-Zwischenbildschaltungen aufgewachsenen Gamer-Generation wird…

Den komplett umgekehrten Technik-Weg innerhalb einer großen Hollywood-Studioproduktion ist Paul Thomas Anderson gegangen, als er THE MASTER nicht nur auf dem schon beinahe ausgestorben geglaubten 65mm-Breitfilmformat drehte und komplett analog postproduzierte, sondern mit ganzen 16 Exemplaren der teuren 70mm-Kopien auch noch für heutige Verhältnisse geradezu einem Wunder gleichkommenden US-Großstädte-Start des Films im Originalformat durchsetzen konnte. Seit 16 Jahren, seit Branaghs HAMLET, gab es das nicht mehr, und man braucht kein Prophet sein um vorherzusagen, dass THE MASTER der letzte Film der Filmgeschichte sein wird, der in diesem Format in dieser Form regulär ausgewertet wurde. Zumindest in den USA, hierzulande bleibt hingegen sogar zu befürchten, dass es nicht einmal dazu mehr kommen wird und die Deutschlandpremiere im Oktober beim Karlsruher 70mm-Festival vorerst die einzige Aufführung im Originalformat bleiben wird, was schon deshalb sehr zu bedauern ist, weil der ansonsten durchaus zwiespältige Film (dessen anfängliche PTA-untypische Offenheit mich in der großartigen ersten halben Stunde begeisterte und deren konzeptionell plausible Schließung mich dann auf fasziniert-ambivalente Weise doch zunehmend distanzierter hinterließ) gerade daraus einen erheblichen Teil seines Reizes bezieht. Nicht zuletzt in der unkonventionellen Nutzung des Formats, statt im üblichen 2,20:1-Bildseitenverhältnis nur im gar nicht die ganze 65mm-Breite ausnutzenden 1,85:1-Verhältnis gefilmt und statt auf Breitfilmüblichte, ausladende Totalen eher auf an Gesichterportraits und enge Kadrierungen konzentrierten Films, was vielen 70mm-Puristen und –Klassizisten freilich nicht recht munden wollte, mir in dieser Konsequenz allerdings durchaus imponierte. Was mir am besten an ihm gefiel und tatsächlich zuvorderst in Erinnerung blieb, ist jedoch die Art, wie er zwei der ungeschlagenen Domänen des analogen Films förmlich auszukosten weiß: Textilien und menschliche Haut, beides in seiner texturalen Beschaffenheit digital noch immer nicht in vergleichbar sensueller Physis darstellbar. Als wiederkehrendes Motiv ziehen sich die im gegenwärtigen US-Kino in ihrer Farbintensität selten gewordenen, bunten Kleider und die förmlich zeitanhaltenden, detailintensiven Gesichterstudien durch den zumindest in 70mm-Projektion sehr reichlich davon zehrenden Film.

Das organische Moment der Gesichterbilder ist es wiederum, was DJANGO UNCHAINED sichtlich fehlt, gerade in der (leider auch eher mäßigen) DCP-Projektion, und nachdem zu befürchten ist, dass es aufgrund der voran schreitenden Digitalisierung deutschlandweit allenfalls eine verschwindend geringe Zahl an 35mm-Kopien in OmU oder OV geben wird, kommt man darum kaum herum, wenn man zugleich auf Originalsprache wert legt. Und ich kann mir nicht helfen: Sogar die runtergespielte, komplett braunstichig-ausgeblichene Filmkopie von Giulio Questis TÖTE, DJANGO, die ich kürzlich im Kino sah, war als Italowestern-auf-der-Leinwand-Erlebnis letztlich stimmiger und selbst in ihrem Leichengeruch lebendiger als der DCP-Glassarg, der den ohnehin viel zu sauberen Look von DJANGO UNCHAINED dann zusammen mit dem noch moderaten, aber in dieser Form unnötigen DI-Colorgrading noch verstärkt. Schon ziemlich bitter, gerade das Werk eines sich radikal gebenden Analog-Verfechters wie Quentin Tarantino in dieser Form sehen zu müssen. Abgesehen davon ist es bei jemandem wie QT, also einem bekennenden Fan des Genres und seiner Stilmittel, schon erstaunlich, dass der angestrebte Italowestern-Stil eher aufgesetzt und die Versuche, die vergessene Kunst des Zoomens zu reanimieren, arg ungelenk daher kommen (was nicht sein muss: die jüngeren Filme von Dominik Graf etwa sind ein schönes Beispiel für grandiosen Zoom-Einsatz und damit für stimmiges Emulieren von Italo-Genrekino-Stilmitteln; überhaupt könnte man beim Finale von DAS UNSICHTBARE MÄDCHEN durchaus davon träumen, wie wohl ein Italowestern von Graf aussehen könnte – wie schön wäre das, noch einmal einen flirrenden, dreckigen Film wie Klicks DEADLOCK im deutschen Kino zu haben, aber das ist alles ein ganz anderes Thema). Hinzu kommt ein leider ziemlich fürchterlicher Christoph Waltz, bei dem es schon schmerzt, wie schnell ihm das in INGLORIOUS BASTERDS als Novität noch frisch wirkende Spiel hier in aufgewärmter Form zur penetrant-nervtötenden Masche gerinnt. Wenn sich das wie ein Totalverriss liest, spiegelt es ganz gut meine Ernüchterung über die erste Hälfte, in der mich wirklich nur sehr wenige Momente überzeugt haben. Umso größer die Überraschung, dass das eine ganze Weile mühsam ratternde Triebwerk von DJANGO UNCHAINED irgendwann doch ins Laufen gerät und funktioniert – die zweite Hälfte fand ich dann plötzlich doch ziemlich toll und die letzte halbe Stunde halte ich sogar für mit das schönste, was QT bislang inszeniert hat. Der Ansatz einer utopisch-revisionistischen Geschichtsschreibung mit den Mitteln und der Geschichte des Kinos ist zwar nicht neu und schließt nahtlos an die BASTERDS an, gerät aber auch hier sehr wirkungsvoll. Die Reihenfolge ist dabei natürlich Trumpf, weil das beglückende Finale mich dann im Alleingang doch halbwegs mit dem Film versöhnte. Wie seine Sklaven zunehmend ihre Ketten sprengen, so scheint Tarantino sich im Laufe des Films von seinen Drehbuch-Fesseln zu befreien. Oder als Pferde-Metapher: Fast schien es mir, als wäre der zunächst so grausam ‚domptierte‘, auf Dialog-Effekt, Pointen, Attitüde dressierte Film ihm irgendwann endlich befreit davon galoppiert. Wozu auch sehr schön passt, dass der nur sehr partiell wirklich funktionierende Italowestern-Stil zunehmend von Einflüssen wie Blaxploitation, Hip-Hop-Videos etc. erfrischend ‚verunreinigt‘ wird. Hätte er die Fesseln früher abgestreift und den ausgewal(t)zten Dialog-Reigen seiner zentralen Schmierenkomödianten in der Schublade gelassen, wäre zweifellos das Zeug zum ganz großen Wurf da gewesen.

Kurzum: Die ersten 30 Minuten von THE MASTER, die letzten 30 Minuten von DJANGO UNCHAINED – das wäre zusammen genommen schon mal zu zwei Dritteln das richtige Material für das ganz große US-Meisterwerk des Jahres, für dessen hypothetische Kompilierung man nur noch den passenden Mittelteil finden müsste. Vielleicht aber auch kein Zufall, dass inmitten all dieser deutlich überlangen, mit großer Geste und großen Ambitionen hantierenden Werke dann für mich der konkurrenzlos schönste US-Film des Jahres (neben dem brachialen Meisterstreich namens UNIVERSAL SOLDIER: DAY OF RECKONING, dessen beunruhigende dunkle Größe man aber vielleicht nicht unbedingt als schön bezeichnen würde) ganz woanders zu finden war und in lässigen 80 Minuten mehr Welthaltigkeit, Stil und bescheidende Größe aufbieten konnte, als andere in drei Stunden. GIMME THE LOOT schafft es ganz ohne Bedeutungshuberei und Themenanbiederung vom Leben einiger Ghetto- und Sprayer-Kids zu erzählen – mit einem Rhythmus-Gefühl, wie es dieses Jahr nirgends sonst zu finden war; mit einer melodischen Intonation im Sprachduktus, die den Kraftausdruck-geladenen Dialogen eine beschwingte Musikalität wie allenfalls vielleicht in manchem Blaxploitation-Film verpasst; mit einer selbstverständlichen Wärme und Empathie, die ihren Figuren auf Augenhöhe begegnet. Wer sich dann über angeblich klischeehafte Figurenkonstellationen beschwert, statt sich an Lebendigkeit ihrer Ausgestaltung zu erfreuen, der verschließt sich auf eigene Kosten dieser beglückenden Entdeckung, die im Alleingang eine ganze Handvoll abgestandener US-Indiefilme, wie sie auf manchen Festivals immer noch Hochkonjunktur haben, wieder auszugleichen im Stande ist. Ein Film wie ein Hüftschwung, von Armut, Freundschaft, Liebe und Erwachsenwerden im Vorbeigehen eines Tages beiläufig erzählend, von einem hinreißenden Dialogwitz wie in besten Screwball-Komödien-Zeiten zehrend und sich mit sprühendem Esprit und Verve ins Herz spielend. Und gleichzeitig neben seinen gänzlich unprätentiös dahingleitenden Digitalbildern auch im Dialog ästhetisches Bewusstsein formulierend, wenn er bereits nach fünf Minuten den jugendlichen Graffiti-Sprayer kurz und bündig „I’m tired of this blue and orange shit everywhere“ proklamieren lässt und sich damit gegen die Blau/Orange-Farbsättigungs-Welle ausspricht, dem neben farbentsättigt-monochrom und blau-grün eindeutig schlimmsten, weil ebenso stupide schematischen Colorgrading-Trend der letzten zehn Jahre im US-Mainstream-, Genre- und zunehmend auch kommerziellen Weltkino. Damit trifft der Film präzise einen wunden Punkt des Mainstream-Kinos der letzten Jahre, denn bevor man sich über höhere Frameraten Gedanken macht, scheint es tatsächlich dringlicher, den kommerziellen Gegenwarts-Farbfilm endlich die volle Bandbreite seiner Farben wiederentdecken zu lassen.

Dieser Beitrag wurde am Sonntag, Januar 6th, 2013 in den Kategorien Aktuelles Kino, Ältere Texte, Andreas, Blog, Hinweise, Trägermedien, Zitate veröffentlicht. Sie können alle Kommentare zu diesem Beitrag über den RSS 2.0 Feed verfolgen. Sie können diesen Beitrag kommentieren, oder einen Trackback von ihrer eigenen Seite setzen.

14 Antworten zu “Zurück in die Zukunft”

  1. Michael Fronzi on Januar 6th, 2013 at 17:06

    „bevor man sich über höhere Frameraten Gedanken macht, scheint es tatsächlich dringlicher, den kommerziellen Gegenwarts-Farbfilm endlich die volle Bandbreite seiner Farben wiederentdecken zu lassen.“

  2. Schwanenmeister on Januar 9th, 2013 at 15:47

    Dass ich das noch erleben darf: Andi zitiert, um seinen Standpunkt zu untermauern, Jen Yamato, die ehemalige gute Laune-Biene von Rottentomatoes. Ich mag den Essay hier sehr, gerade weil er die Filme in einen größeren Zusammenhang einbindet. Denn seine Meinung zu Filmen rauslassen kann jeder. Und es ist natürlich witzig und von dir in weiser Voraussicht gleich konterkariert worden, dass dein Aufmacher von der Tatsache korrumpiert ist, dass du weder die 48 Frame- noch die 24 Frame-Fassung von „Der Hobbit“ gesehen hast. Anders kann ich mir nämlich deinen Vorbehalt, den Film drei Mal sehen zu müssen, nicht erklären. Trotzdem gefällt mir der Exkurs und das Brückenschlagen zu anderen heißen Eisen des Filmjahrgangs, obwohl ich mit den Technikdebatten ansonsten nicht viel am Hut habe. Ich bin letztlich sehr glücklich, Peter Jacksons zweitbesten Mittelerde-Film zum ersten Mal traditionell gesehen zu haben, wobei es mich inzwischen reizt, zumindest einmal den Vergleich am eigenen Leibe zu erfahren. Heftig widersprechen muss man dir aber bei „Django Unchained“ zumindest in geschmäcklerischer Hinsicht. Ich habe die Zooms geliebt. Und der so angestrebte Italowestern-Stil spielt mit Ausnahme des wundervollen Soundtracks letztlich doch nur eine untergeordnete Rolle. Der Film hat mindestens genauso viele Anklänge im amerikanischen Genrekino, wie das Tarantino schon selbst betont hat: Richard Fleischers „Mandingo“, Blaxloitation, Hicksploitation, Sam Peckinpah, Western von Robert Aldrich und Don Siegel in den 1970er-Jahren. Aber ich meine, „Die rechte und die linke Hand des Teufels“ und ein herzzereißender Originalsong von Ennio Morricone – geht’s noch geiler. Und dass es wirklich mal einen Italowestern mit Klaus Kinski gegeben hat, für den unser Lieblings-Argentinier Luis Bacalov einen Song namens „His Name Is King“ geschrieben hat, der viele Jahrzehnte später – dank Tarantinos Dazutun – wie angegossen auf Christoph Waltz und seine Figur passt. Spontanere Urteile nach Tarantino-Filmen sind sowieso Schall und Rauch, über die nächsten Monate wird sich zeigen, wohin die Reise geht. Was ich aber sicher weiß, dass ich es jetzt schon nicht mehr erwarten kann, „Django Unchained“ wiederzusehen. Er kommt genau zur rechten Zeit. Außerdem ist Tarantinos kleiner Fangoria-Essay über Sergio Corbucci Gold wert und lässt wunderschön erahnen, wie ein ganzes Ruhestand-Buch über den zweiten Sergio aussehen könnte. Wieder richtig Lust bekommen auf Italowestern, und vor allem auch auf neue und alte Bücher über Italowestern.

  3. Andreas on Januar 10th, 2013 at 23:37

    @Michael Fronzi
    Da scheint offenbar ein Teil des Kommentars verloren gegangen zu sein? Falls es eine Nachfrage werden sollte, verweise ich nochmal auf den letzten Link im letzten Absatz, der recht anschaulich verdeutlicht, wieviel Farbe dem Kino in den letzten Jahren verloren ging: http://www.cracked.com/article_18664_5-annoying-trends-that-make-every-movie-look-same.html

    @Schwanenmeister
    Hab das Zitat ganz unvorbelastet aus inhaltlichen bzw. argumentativen Gründen gewählt. 🙂 Und ja, natürlich ist es heikel, es sich einfach auf einem buchstäblichen Vorurteil gemütlich zu machen. Aber wenn, dann hätte mich bei diesem Film tatsächlich vor allem die 48-Frames-Fassung und deren Wirkung interessiert, die in dieser Form allerdings halt allzu glaubwürdig von verschiedenen Seiten als Fehlkonzeption dekonstruiert wurde. Ich habe 2012 wohl auch einfach ein paar fehlkonzeptionierte Filme zu viel durchgesessen, um dieses 170-Minuten-Risiko sehenden Auges einzugehen, auch wenn mich jetzt doch überrascht, dass du ihn in der traditionellen Fassung für den zweitbesten Mittelerde-Film hältst.
    Die Sichtung von DJANGO UNCHAINED ist schon wieder fast einen Monat her, im Abgang behielt bei mir der sehr positive Eindruck der zweiten Hälfte letztlich schon die Oberhand. Der Titelsong von DIE RECHTE UND DIE LINKE HAND DES TEUFELS (viel zu lange nicht mehr gesehen) im Finale ist z.B. ein so grandioser kannibalistischer Meisterstreich, dass er allein für viele schale Momente der ersten Hälfte entschädigt, wie überhaupt der Soundtrack gerade gegen Ende einige Trümpfe bereit hält, da würde ich dir sofort zustimmen. Bin da wider Erwarten dann doch sehr beglückt aus dem Kino marschiert, in dem ich anfangs noch ziemlich ratlos saß und gerade das aufdringliche und selbstverliebte Spiel von Waltz nur schwer goutieren konnte. Aber bin natürlich auch auf die Zweitsichtung gespannt, die ich irgendwann die nächsten Monate im Nachspielkino und wenn irgendwie möglich doch auf 35mm anpeile. Die Zooms waren mir zu plump und modisch-zackig, da fehlte mir das Gespür für subtilere Akzentuierungen, wie sie eben etwa in den Graf-Filmen so wunderbar gesetzt werden. Dafür habe ich mittlerweile auch zu viele Shaw- und Italo-Filme auf der Leinwand gesehen, bei denen die Zooms zumeist bei aller Direktheit eben doch stimmiger und wirkungsvoller einschlagen. Ist aber nur mein persönlicher Eindruck, der sich bei Zweitsichtung vielleicht noch relativiert. Mochte letztlich eben auch vor allem die weniger betonten und heraus gekehrten Einflüsse, auch wenn ich genauso gern einen echten, dreckigen und bierernst durchgezogenen Italowestern gesehen hätte. Aber wie z.B. hier mal ein ADDIO ONKEL TOM, dort mal ein DUEL IN THE SUN durch den Film zu spuken scheint, das gefiel mir schon sehr.

  4. Schwanenmeister on Januar 13th, 2013 at 20:58

    „Der Hobbit“ war angesichts der Umstände wirklich erschreckend gut. So wie man sich gutes Popcornkino wünscht. Ich vermute, es lag unter anderem an der Drehbucharbeit von Guillermo del Toro, der den Film ursprünglich drehen sollte, dann aber absprang, als sich die unsichere Finanzierungssituation zu lange hinzog. Und ich hätte den Film auch eigentlich gegen meinen Willen in 48 frames per second gesehen, wenn meine Begleitung über die letzten Monate nicht eine riesige Aversion gegen 3D-Fassungen entwickelt hätte. Komplizierte Geschichte, wenn man mit „normalen“ Menschen ins Kino geht. 😉

    Wobei ich glaube, dass „Die rechte und die linke Hand des Teufels“ der eine von zehn Soundtrackschnipseln ist, den sich Tarantino mit seinem Film auf Dauer nicht aneignen wird, weil das Vorbild in Europa einfach viel zu populär ist. Aber einfach schön zu sehen, dass Quentin endlich auch einmal einen Knicks vor Bud Spencer und Terence Hill macht. Mein aktueller Liebling ist aber neben „The Last American Hero“ Jerry Goldsmiths „Nicaragua“. „Die schalen Momente der ersten Hälfte“ werde ich dir dafür bei Gelegenheit um die Ohren hauen. Und die vielleicht interessanteste Filmanspielung ist sicherlich auf „Birth of a Nation“, weil da ein ganzer Rattenschwanz an amerikanischer Geschichte dranhängt. Hätte man mir doch damals schon gesagt, als ich mit der Filmgeschichte angefangen habe, dass man durchaus Alfred Hitchcock und John Ford hassen darf und trotzdem als ein Mensch mit exquisitem Filmgeschmack gelten kann. „Django Unchained“ inspiriert mich jedenfalls dazu, den verstaubten Hembus aus dem Schrank zu holen und noch nicht gesehene Klassiker wie „Winchester ‘73“ oder „Man Without a Star“ nachzuholen. Ein ganz edles Unterfangen.

  5. Andreas on Januar 16th, 2013 at 01:24

    Jaja, da gibt es in der Tat allerhand potenziell komplizierte Konstellationen. Seit sich jenes Cine-Biotop heraus gebildet hat, aus dem dann E-Träume hervor ging, reduzierten sich automatisch die Kinobesuche mit „normalen“ Menschen, mit denen ich mich dann tendenziell lieber auf Dinge konzentriere, bei denen sich die jeweiligen Interessen unkomplizierter verbinden lassen. Aber wie es da im eigenen Umfeld aussieht, das kann man sich natürlich nur bedingt aussuchen. Andererseits bringe ich es dann durchaus fertig, nicht-cinephile ‚love interests‘ in kompromisslose Autorenfilme zu schleppen, wobei das auch auf unerwarteten Anklang stoßen kann… Es ist in der Tat ein weites Feld. Und ja, ich konzentrierte mich im Text bewusst nur auf den HFR-Aspekt des Hobbits, wenn ich mir schon unter Vorbehalt ein Vorurteil anmaße, dann wirklich nur dazu und nicht zum Rest des Films.

    Vielleicht verhält es sich mit DJANGO UNCHAINED umgekehrt als mit Getränken, und die Schalheit einiger Passagen der ersten Hälfte verwandelt sich bei Zweitsichtung in Spritzigkeit? 😉 Ich werde es überprüfen, habe aber meine Zweifel, dazu liegt mir diese Art von penetranter Dialog-Cleverness und ausgestelltem Showman-Schauspiel wohl einfach zu wenig. Eigentlich ein Wunder, dass QT diesen Balanceakt so oft so gut hinbekommen hat. BIRTH OF A NATION müsste ich tatsächlich mal nachholen, ansonsten muss ich zugeben, dass mich der Film nicht so richtig auf besondere Gefilde angefixt hat. Außer vielleicht dazu, zum Trotz weitere Lücken bei Hitchcock und vor allem Ford zu schließen, bei dem sich gerade in manchem vermeintlichen Nebenwerk die wundervollsten Überraschungen verbergen, wie ich vor einigen Monaten in Wien beim hinreißenden DONOVAN’S REEF feststellen durfte, der sofort zu einem meiner Lieblingsfilme von ihm wurde. Aber ich habe Tarantino eben auch immer eher für seine Begeisterungsfähigkeit und seine nerdige Cine-Vitalität geschätzt als nun ausdrücklich für seinen Filmgeschmack, und von der Größe John Fords ist er dann bei allem Respekt doch ein Stück entfernt. 😉

  6. G.N. on Januar 16th, 2013 at 12:03

    Donovan´s Reef ist einer meiner absoluten Lieblingsfilme.
    Ford ist ein Gigant. Da bin ich ganz bei Welles, Kurosawa, Leone, Fuller u.s.w.
    Jeder hat natürlich das Recht, Ford und seine Filme nicht zu mögen.
    Aber den Mann ein rassistisches Arschloch zu nennen, ist bei weitem das dämlichste
    was ich seit langem gehört habe.
    Wie hatte „Slant“ so schön kommentiert : Tarantino macht wieder einen Arsch aus sich
    selbst.

  7. Schwanenmeister on Januar 18th, 2013 at 16:09

    Die Ford’schen Abwehrreflexe zeigen auf jeden Fall, dass Tarantino auch da einen wunden Punkt getroffen hat. Ich bin weit entfernt, ihm dahingehend zu folgen, aber finde es doch immer wieder erfrischend, neue Perspektiven auf kanonisierte Klassiker zu hören oder zu lesen. Denn machen wir uns nichts vor: „Donovan’s Reef“ stand schon in der 1960er-Jahre-Ausgabe von Andrew Sarris‘ „American Cinema“ auf Platz eins der allgemeinen Kritikerschaft. Mir dagegen nicht bekannt war, da mich nie tiefergehnd mit John Fords Biografie beschäftigt habe, dass Ford in „Birth of a Nation“ eben den einen Kapuzenträger des Ku-Klux-Klan spielte, der, weil er nichts sah, die Mütze anhob und Tarantino damit zu seiner Szene in „Django Unchained“ inspiriert hat. So hat Quentin gleich noch so nebenbei den gesamten Rassismus des frühen amerikanischen Western in sein Werk unterschwellig eingewoben.

  8. G.N. on Januar 18th, 2013 at 17:37

    Und weil „Donovan´s Reef“ in den 60ern schon lobend erwähnt wurde, darf man ihn
    jetzt nicht mehr gut finden.
    Weisst du Schwanenmeister, nicht jeder ist so listen und Kanonfixiert wie du.
    Aber die Vorstellung, wie die ganzen Tarantino Jünger sich jetzt durch das öde Gesamtwerk William Witneys quälen, hat ja auch was rührendes.
    Ich sehe mir da lieber Phil Karlson an. Und Sergio Corbucci kannte und Schätzte ich
    schon lange vor Tarantino. Lieber noch weitere dutzend mal „Il Mercenario“ als noch
    einmal „Django Unchained“.
    Nicht das mich der Film nicht unterhalten hätte, aber wie in allen Tarantino Filmen
    seit „Kill Bill“ ist da immer (auch gerade durch die Musik) die erinnerung an andere,
    bessere Filme.

  9. G.N. on Januar 18th, 2013 at 18:57

    Ach ja. Ich habe Django Unchained gestern das erste mal im Kino gesehen.
    Vielleicht ändert sich meine Meinung ja auch noch. Denke aber nicht.
    Ich hab mir dann abends nochmal auf WDR “ Reservoir Dogs“ angesehen, den ich
    für einen modernen Klassiker halte.
    Die Figuren sind glaubwürdig und haben Biss. Und wenn du „Little Green Bag“ von
    George Baker hörst, denkst du nur noch an den Film.
    Die Abwehrreflexe sehe ich eher auf Seiten der Tarantino Fanboys, die den Niedergang ihres Idols einfach nicht wahr haben wollen und jeden neuen Film und
    jeden noch so dummen Spruch als Offenbarung feiern.

  10. Schwanenmeister on Januar 21st, 2013 at 02:11

    *Nerdbrillehochschieb*

    That’s not what I’m sayin‘

    Und wenn schon, dann stöbern QT-Jünger nicht erst jetzt, sondern bereits seit dem New York Times-Artikel von der Jahrtausendwende nach William Witney resp. doch etwas später, wenn sie erst durch Milan Pavlovics Version in der Steadycam darauf aufmerksam gemacht wurden. Da ist auch weniger eine vermeintlich quälende Filmografie das Problem – „I Escaped from Devil’s Island“ ist zum Beispiel ein toller Film -, als viel mehr die Verfügbarkeit. Keine Besserung in Sicht. Es sei denn, Koch Media kauft die Rechte und bringt die Filme, wie sie es aktuell mit den Italowestern machen, mit riesigem Tarantino-Aufdruck auf DVD heraus. Und vielleicht magst du ja auch deshalb „Reservoir Dogs“ so gerne, weil sich dort der Herr Regisseur ziemlich freimütig bei dem geschätzten Phil Karlson (Stichwort: „Der vierte Mann“) bedient hat.

    Will sagen: Ganz entspannt durch die Hose atmen. John Fords Andenken muss das aushalten können, wenn ihm jemand wie Tarantino ans Bein pinkelt. Vor allem, wenn er zumindest in diesem einen Aspekt Recht hat.

    😉

  11. G.N. on Januar 21st, 2013 at 16:06

    John Ford hat in seinem ganzen Leben nicht so einen rassistischen Müll gedreht wie
    „Django Unchained“. Di Caprio faselt von dem „einen Nigger unter Zehntausend“
    und Jamie Foxx bestätigt ihn darin.
    Aber die Fans sind ja so besoffen von Tarantino, und der von sich selbst, da darf man
    solche Kleinigkeiten nicht ansprechen.
    Na ja, was reg ich mich auf. Dann laden sich eben die ganzen Prolls, die noch nie in
    ihrem Leben Corbucci´s Meisterwerk von 1966 gesehen haben, Django als Klingelton
    runer. So What ?

  12. Medienjunkie on Januar 23rd, 2013 at 13:00

    Ich muss G.N. hinsichtlich Tarantino zustimmen. Nach den ersten drei Filmen kam der Niedergang. Werken wie „Kill Bill“ oder „Django Unchained“ fehlt leider jegliche Originalität und Inspiration, die „Reservoir Dogs“ und „Pulp Fiction“ so besonders machte.

    Auch ich würde DU latenten Rassismus vorwerfen: Django wehrt sich als einziger Schwarzer gegen seine Unterdrücker, während alle anderen passiv bleiben und allenfalls bewundernd zu ihm aufschauen. Dazu dann noch diese furchtbare Onkel-Tom-Figur von Samuel L. Jackson. Was will Tarantino uns damit eigentlich sagen? Beim nächsten Film von ihm kauf ich mir gleich den Soundtrack und verzichte auf den Film.

  13. Moviepilot brachte mich an diesen Ort on Juli 3rd, 2013 at 13:06

    Was seid ihr denn für komische Typen hier?

  14. Robert on Juli 8th, 2013 at 13:31

    Das frage ich mich auch immer wieder!

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