Es war einmal… Evil Dead Rise (2023)





So fangen keine wohligen Träume an: Eine junge Frau tritt an die Waldhütte heran, die ihre Schwester für ein beschwingtes Geburtstagswochenende gemietet hat. Hält einen Moment inne im bildgewordenen Unwohlsein. Um das spitz zulaufende Hüttendreieck liegen in einer Ultraweitwinkelaufnahme kleine Erhöhungen des umgebenden Waldes, die unter ihm und von Seite zu Seite bogenförmig zulaufen. Eine unnatürliche Geometrisierung der Materialität unserer Wirklichkeit, ätherisch, entrückt, märchenhaft – welches durch die Gebrüder Grimm sozialisierte Kind würde dieses Hexenhäuschen betreten wollen? Natürlich ist es ein Fehler – die Schwester hat sich einen Dämonen einverleibt, skalpiert ihr Anhängsel bei lebendigem Leibe und schon spart ein „Was zuvor geschah“ den wohl schlechten Ausgang dieses Märchens aus. Märchen? Ja, richtig gelesen. Diese Talsohle eines gekurvten Bildes, das ist der Bogen zwischen Märchen und Soziorealismus, welchen Lee Cronins den Wald und das Ländliche der Reihe erstmals zu Gunsten der großen Stadt verlassende „Evil Dead“-Fortdenkung spannt.

Bevor wir allerdings in Los Angeles landen, wo andere Figuren um die jüngst vom Vater ihrer Kinder erklärungslos sitzengelassene Ellie (Alyssa Sutherland) mit derer dreien in einem abrissbereiten Appartmentkomplexaltertümchen hockt, legen wir noch einen Zwischenstopp in Asien ein. Bei Ellies Schwester Beth (Lily Sullivan), die als Gitarrentechnikerin auf Tour mit einer berühmten Rockband gerade dort weilt und auf einem einsamen Klo inmitten cyberpunkigen Exterieurs erfahren muss, dass sie von einem unter diesen Musikern schwanger ist. Durch diese clever gewählte Vorordnung erreicht Cronin dreierlei: Graduelles Ankommen in einem erdrückenden soziologischen Biotop, einer erhöht konkreten urbanen Wirklichkeit, der grundsätzlich alles Träumerische abgeht und in welche dennoch bald die Albtraumfiguren einbrechen werden. Dass diese wiederum, auch wenn die Zeit sogleich wieder zurückspringt und den wahren Ursprung aufdeckt, stets wie eine invasive Art aus einem Land der Feen und Zwerge jenseits der Berge wirken statt etwas aus dem dunklen Unterleib der Gegenwartsgesellschaft Entsprungenes. Schließlich, dass drei Welten miteinander kollidieren, deren hochverschiedene Umlaufzeiten im Grunde schon genug sein sollten, um jenes unerklärte Erdbeben auszulösen, welches bald schon dunkle Kräfte als Staub der Jahrzehnte aus einem Teileinsturz emporwirbelt.

Alles ist symbolisch in einem größeren Sinne. Relativ zu Beginn überrascht angenehm, dass bei Cronin auf eine enthauptete Puppe kein psychotisches Kind folgt, sondern eines, das aus ihrer alten Puppe etwas Neues, später einmal ungeahnt Schutz Gewährendes erschafft. Positives aus der Zerstörung, motivisch geht dies mit dem Aufwogen des uralten Bösen Hand in Hand. Denn durch die eigenwilligen, disparaten Eindrücke des Örtlichen um die Zusammenkunft der Lebenswelten wirkt das vordergründig doch so unkontrolliert wütende Dämonentreiben mehr wie eine bluttriefende, konstruierte List, um Beth in die ungewollten Schuhe Mutterschaft zwangseinzulaufen. Aus der eigenen Welt in eine andere übergetreten, die sogleich den Pfad weisen möchte – die große Abenteuerhemmnis des weiten Universums. Vieles spricht dafür, dass dieses auch ungefähr der uns selbst nächste Ort sein dürfte, der sich hier abgebildet wiederfindet. Los Angeles oder nur irdisch ist das nämlich kaum. Gemalt anmutende Außenaufnahmen bizarrster Perspektiven zerdehnen den rustikalen Appartmentkomplex isoliert in das Sumpfige der umgebenden Nacht, während drinnen, obwohl architektonisch bis zur Klaustrophobie beengt, alles unwirklich raumlos erscheint.

Die Feuerschutztür nach draußen, um deren Öffnung sich lange alles an Fluchtbestrebungen dreht, bleibt letztlich verschlossen, direkt verlassen sehen wir nie jemanden die Tiefgarage des Showdowns, lediglich ankommen. Abgeschnitten, nicht bloß durch Korridore, Wände, vielfältige Raumaufteilungen, das zerbröselte Treppenhaus, den verselbstständigten Aufzug, einen anhaltenden Stromausfall allein, sondern auch eine Art unsichtbaren, galaktischen Abfangschirm. Hervorquellende Seeleninnereien als kondensierter Straf- und Prüfplanet – darum geht es wohl in „Evil Dead Rise“. Rezente Mode, angesagte Finelinetattoos sowie Klimademonstrationen weisen andererseits eine greifbare Welt, unsere Gegenwart aus. Der Blick der ersten 30 Minuten ist bis in die kleinen Gesten, Nervereien und tieferen Problematiken des Daseins einer alleinerziehenden Mutter zwischen Geldsorgen sowie drohendem Gebäudeabriss genau, zugewandt, empathisch, schlicht zu ausgiebig, um reiner Zeitgeistdekor zu bleiben. Und dann stromern da parallel wieder die Märchen in Bild und Ton. Bezüge, direkte Zitate und abgewandelte Motive ziehen sich in eigenwilliger Mixtur mit den scheinbar gegensätzlichen plastischen Eindrücken durch den Film: die böse Hexe endet im Häcksler statt im Backofen, Hänsel und Gretel müssen ins Gras beißen, der schöne Prinz hat sich selbst abgemeldet, platzt nicht in letzter Minute herein, um den Nachtmahr wegzuküssen. In Folge hat die amerikanische Gegenwart mehr etwas vom europäischen Mittelalter, ein Hauch von „Army of Darkness“ weht durch den Film, ohne inhaltlich je feste Formen anzunehmen.

Wie selbstverständlich bittet ein junger Nachbar angesichts von Tod und Schrecken zum sektiererischen Gruppengebet samt Händekette am Totenbett. Beide grundverschiedenen Rauminsassen neben ihm willigen widerstandslos ein. Früher oder später bricht es aus nahezu jedem heraus, die Bessessenheit, aber immer ein bisschen mehr dazu. Der Glaube an diese Märchen, an alte Ordnungen und Rituale; er ist ein infektiöser Auswurf, die Infizierten kotzen ihn zwischen Blut und Gewürm grundsätzlich besten Atems hervor als misogynes Slutshaming, mit dem sie Beth unentwegt überziehen. Wie soll man sich da anders helfen als mit Gewalt, wo soll man hingehen, wenn nichts mehr bleibt und der Rest nie da war? Jenseits der Kadrierung, aus welcher die wenigen Überlebenden am Ende gen Außenwelt hinauslaufen, kann nur die post-apokalyptische Gesellschaft warten, in der die Mutter nichts mehr zählt, egal wie oft man sie belehrt. Neue Einheiten aus der totalen Zerberstung der nicht allein familiären Einheit. Die reichlich erprobte Kettensäge, an welcher der Kamerablick so lange insistierend hängenbleibt, bis Beth zurückgeht und sie doch mitnimmt – sie wird sie brauchen. Wie steht es noch mal auf diesen T-Shirts gedruckt? Scheiß auf den Prinzen, ich nehm die Kettensäge.


Evil Dead Rise – Irland, Neuseeland, USA 2023 – 97 Minuten – Regie: Lee Cronin – Produktion: Rob Tapert, Sam Raimi, Bruce Campbell, Romel Adam, Richard Brener, Macdara Kelleher, John Keville, Dave Neustadter, Victoria Palmeri – Drehbuch: Lee Cronin – Kamera: Dave Garbett – Schnitt: Bryan Shaw – Musik: Stephen McKeon – Darstellende: Lily Sullivan, Alyssa Sutherland, Nell Fisher, Morgan Davies, Gabrielle Echols u.v.a.


[Alle Filmbilder Eigentum der Warner Brothers International]

Dieser Beitrag wurde am Mittwoch, Mai 10th, 2023 in den Kategorien Aktuelles Kino, André Malberg, Blog, Blogautoren, Essays, Filmbesprechungen, Zeitnah gesehen veröffentlicht. Sie können alle Kommentare zu diesem Beitrag über den RSS 2.0 Feed verfolgen. Sie können diesen Beitrag kommentieren, oder einen Trackback von ihrer eigenen Seite setzen.

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