Deutschland im Film: Kommissar X jagt die roten Tiger (1971)




    Des hat’s bei mir net gebm, diese ganze Sex- und Gewaltscheiße!

    (Ein offenkundiger Troll, 1985)


Die herbst-, bisweilen schon eher winterlichen Jahre der Karriere Harald Reinls, des wohl auf ewig unangefochtenen österreichischen Kassenkönigs des deutschen Films, haben uns so manche Absonderlichkeit beschert. Den mitunter äußerst queeren Schlager-/Heimatfilmhybriden „Grün ist die Heide“ (1972), zwei inszenatorisch so herausragende wie inhaltlich fragwürdige „Dokumentationen“ nach Erich von Däniken oder den späten Heimatnachklapp „Schloß Hubertus“ (1973), der die Schicksalhaftigkeit des Reinlschen Œuvres derart offensiv, mit heiligstem Ernst zum Besten gibt, dass man sich ab und an des Eindrucks einer sich doch nie häutenden Eigenparodie kaum erwehren kann. All dies verblasst jedoch, schaut man diesem letzten Beitrag zur italienisch-deutschen Kommissar X-Reihe der 60er Jahre ins groteske Antlitz, wenngleich „heiliger Ernst“ auch bei diesem Film umgehend das richtige Stichwort ist.

Mit ebendiesem stampft die Inszenierung nämlich unaufhaltsam voran – da komme was wolle und es kommt eine ganze Menge: ein nie versiegender Schwall unfassbarer, betroffen stimmender Kalauer in feinster Rainer Brandt-Manier, auf die auch nur in Auszügen einzugehen wohl gleich mehrere Rahmen sprengen würde, schreien sie doch vielmehr nach einer umfassenden Würdigung im Rahmen einer „Kommissar X jagt die roten Tiger“-gag reel von ausgesuchter Stahlhaftigkeit. Einen geringeren Regisseur hätte es wohl gleich aus dem Erdorbit gepustet, Meister Reinl hingegen inszeniert stoisch dagegen an, kontert den komischen Auftakt sogleich mit den mit Leichtigkeit selbstzweckhaftesten, harschesten Drogenszenen der bundesrepublikanischen Filmgeschichte. Minutenlang begleiten wir jugendliche Fixer auf einem New Yorker Hochhausdach bei ihrem Tagesgeschäft, die Musik atonal-spärlich, die Kamera insistierend, unentwegt hält sie drauf, wenn die Nadel (unsimuliert?) in den Arm gejagt wird. Ein Aufklärungsfilm wird’s so dennoch nicht, aber ein verkanntes, kleineres Meisterstück der bezirzenden, die Sprache verschlagenden Gegensätzlichkeiten.

Obwohl außerhalb der Cahiers du cinéma noch immer nicht als Auteur gewürdigt, ist die kaltschnäuzige, an Fritz Langs chirurgischem Blick geschulte Gewaltfetischisierung Reinls ja fast schon etwas wie ein alter Hut unter Jüngern. Hier wird, im wahrsten Sinne des Wortes, im Vorbeifahren ein Kopf abgesäbelt („Der Würger von Schloss Blackmoor“ [1963]), dort minutenlang ungerührt mit einer Drahtschlinge gewürgt („Die weiße Spinne“ [1963]), anderswo eine unbescholtene Passantin von einem sich lustvoll phallisch ausfahrenden Flammenwerfer auf offener Straße gegrillt („Im Stahlnetz des Dr. Mabuse“ [1961]) und immer wieder diese mit größter Beiläufigkeit, im Grunde rein zwecks Zuschauerprovokation niedergemachten Kinder („Winnetou, 2. Teil“ [1964], „Die Nibelungen“ [1966/1967], „Der Tod im roten Jaguar“ [1968] … among others). Alles nicht vergleichbar mit der Abgefucktheit (hier passt dieses oft bemühte Wort nun einmal wirklich) dieses waschechten Reißers. Immer wieder auf’s Neue – man kann die Uhr danach stellen – folgt auf einen flotten Spruch eine vollkommen vom emotionalen Erleben der Filmfiguren entkoppelte Gewalttätigkeit. Brad Harris haut einem Schurken ebensolche Sprüche und Fäuste um die Ohren, im nächsten Moment entscheidet sich dieser, lieber nicht in den Knast zu gehen, springt vom Dach und verteilt eine riesige Blutexplosion auf dem steinernen Boden. Keinen juckt’s – la vita va avanti, no?

Ganz generell ist den roten Tigern ein spezielles, schwer zu greifendes Gefühl der Losgelöstheit inherent, keinesfalls allein in der Gewaltdarstellung, nein, nicht allein aus deren Auswirkungen scheinen die Figuren heillos entrückt. Joe Walker (Tony Kendall) und sein treuer Captain Tom Rowland (Brad Harris) mögen so unentwegt Scheiße erzählen, dass man es ihnen gar nicht anmerkt, aber wenn dann im Finale des Films die junge Shirin (Zeba) den alten Professor (Ernst Fritz Fürbringer) (für den sie allem Anschein nicht erst seit gestern Sekretärin spielte) ganz treuherzig fragt, wo denn sein Reichtum herstamme, obwohl er zuvor mehr als offenherzig seine Handlanger „Stoff“ herumkarren schickte – dann schwahnt einem, dass hier etwas oberfaul ist. Im Gegensatz zu seinen sechs Vorläufern ist dieses Abschlusswerk keine mal mehr mal weniger augenzwinkernde Replik auf die damalige Bond-induzierte Agentenmanie, nicht mal eine auswertende Parodie auf die eigenen etablierten Serienstandards. Er existiert viel mehr, nicht unähnlich zu den ihn bevölkernden Menschen, in einem abseitigen Raum-Zeit-Kontinuum, indem harte Agentenreißer und -klamotten im gleichen Maße in zu sein scheinen.

Der schwedische Film- wie Komödienpionier Mauritz Stiller revolutionierte vor fast hundert Jahren den Leinwandhumor, indem er seine Schauspieler dazu anhielt, ihre heiteren Rollen ernst zu spielen. Bei Reinl gestaltet sich dies indes wiederum ein wenig anders, die Komik wird so komisch gespielt, wie sie bierernst in Szene gesetzt wird, die Komiker, hier besonders Rainer Basedow in der Rolle eines neugierigen Schwadlappens von Reporter, nachhaltig sabotiert. Diese Methodik, die das Lustige in ein Vakuum abseits der narrativen oder visuellen Erzählstränge packt, ist keinesfalls neu in seinem Werk – Chris Howlands Figur in „Winnetou, 1. Teil“ (1963) ist ein Paradebeispiel, darüber hinaus zufällig ebenfalls ausländischer Reporter ohne Gespür für die Sitten seines Gastlandes – davor oder danach allerdings nie wieder derart drastisch ausgereizt worden. In Liebe vereint sie sich schließlich mit der Gegensätzlichkeit des Films in jener Szene, in der unsere Helden im betulichen Schlendermodus, niemals nicht gut sichtbar durch den sonnendurchfluteten Hof der Feindesbasis schleichen, während die Posten auf den umgebenden Dächern offenkundig so tun, als würden sie dies nicht bemerken. Weiterführend passen da auch die bizarren Actionszenen ins Bild, die durchgängig in einem ausgeprägten Zeitraffer gezeigt werden, der hier und da abrupt stoppt, somit akzentuiert, hervorhebt.

Reinls Ernst ist derweil nicht ausschließlich Mittel zur gezielten Destruktion eines Projektes, sondern bringt an anderer Stelle tatsächlich auch noch alte Lieblingsthemen und auch für den biedersten Zuschauer Ansehnliches unter – dort, wo es dem Film gelingt an die alten Unterhaltungskinotugenden der 60er Jahre anzuknüpfen. Bestechend diese Dualität, denn insbesondere Francesco Izzarellis Kameraarbeit weist weit über den delizösen Schmier hinaus, lässt uns, dennoch nicht ganz unpassend, Braun als dominierende Farbe in abertausenden Schattierungen delektieren, dann die rote Robe des Professors, die entsprechend gefärbten Symbole der Tigerorganisation, das im höchsten Maße artifizielle Blut, helle Grüntöne als grelle Kontraste. Der geschätzte Reinl-Gelehrte Kamil Moll nannte ihn vor vielen Jahren schon den „Meister psychedelischer Farbdramaturgie“ – hier gibt es einmal mehr reichlich Gelegenheit, diese Aussage auf ihren Wahrheitsgehalt abzuklopfen.

Berge sind weitere, mittlerweile durchaus anerkannte Spezialitäten des naturverbundenen Filmemachers, oft dienen sie als Domizil, beinahe schon als Zuflucht vor der ihnen zufüßenliegenden Welt. Genau einen solchen Rückzugsort bieten sie auch in diesem Film, gewähren sie doch, ausnahmsweise, dem Zuschauer eine Handvoll wertvoller Verschnaufminuten bevor erbarmungslos weitergepoltert wird. Die immanente – da dürfen die Scherze nicht täuschen, denn es passiert im Grunde zu keiner Zeit irgendwas – Langsamkeit wird richtiggehend zelebriert. Wir werden Zeuge einer Grenzschutzoperation gegen die opiumtickenden Tiger, winzige Agenten unter der endlosen Weite des blauen Himmels beobachten Schmuggler dabei, wie sie Schafe, das Rauschgift versteckt man in derem Fell, durch gitternetzartige, wie so oft den Ausgang des Unternehmens bereits vorwegnehmende Felskluften führen. Niemand filmt Berge, ihre Anmutigkeit, aber eben auch ihr einschüchterndes Bedrohungspotenzial so wie Reinl. Und letztere felsliche Eigenart kommt hier zum Tragen, nie wieder, sei es davor oder darauf, soll in diesem Film etwas auch nur halbwegs spannend sein – ein Fremdkörper if there ever was one. Wie sich die klassische inszenatorische Meisterschaft mit dem so gut wie-Avantgardismus des Restes verbindet – das ist der große Reiz dieses wenig gelittenen Werkes.

Eklatant deutlich werden diese idiosynkratischen, die Kluften zwischen den Polen nur mehr vertiefenden Querverbindungen, als Reinl, zu allem Überfluss auch mittendrin, den Fluß der Verbalakrobatik abermals stauend, seine beliebten Betrachtungen zur Natur nachschiebt. Rainer Basedows Figur mag für Joe und Tom maximal eine enervierende Erheiterung verheißen, für die Einwohner Pakistans jedoch ungleich mehr, was mit höchstgradig unerwarteter Ausführlichkeit geschildert wird. Bereits in seiner Einführungsszene fällt er die Einheimischen laut anpampend negativ auf – das Musterbild eines deutschen Touristen! Und so verwundert es wenig, wenn er alsbald Gisela Hahn in typischsten Tourishots vor Sehenswürdigkeiten ablichten darf. Irritierender ist es da schon, dass Izzarellis Kamera währenddessen hinterlistig und klammheimlich fortlaufend ebensolche auch von ihm anfertigt – das ist er wohl, der legendäre, dreifache metatextuelle Reifenrittberger! Die ausgeprägte Tourismus- wie auch Industrialisierungsabneigung aus dem nachfolgend abgedrehten „Verliebte Ferien in Tirol“ (1971) lugt schon einmal verstohlen ums Eck – spielerisch noch, nicht für Reinlsche Verhältnisse bodenlos sozialdidaktisch und ungeschickt wie dann in der Tiroler Grausamkeit. Sie scheint sich auf restlos alle Pakistanaufnahmen auszuweiten, erinnert aber und abermals an die respektvolle, das Fremde nicht vollends greifbar, schlimmer noch domestizierbar machen wollende Sicht des Gros der im nicht vertrauten Raum – sei es nun die amerikanische Prärie oder das deutsche Hinterland – stattfindenden Reinl-Geschichten. Im Frühwerk waren es nicht übersetzte Wortwechsel in Landessprache sowie „echte“, daher filmisch schwer erschließbare und teils direkt ländlichen Amateurschauspielern gehörende Gesichter vom Schlage mancher Sergio Leone-Darsteller, die von Respekt bezüglich ihrer Kultur zeugten (siehe insbesondere „Bergkristall“ [1949], „Hinter Klostermauern“ [1952] oder „Die grünen Teufel von Monte Cassino“ [1958], der gar ein wenig mit den vermeintlichen Schurkenvisagen der italienischen Partisanen spielt) – beides findet nach langer Abstinenz urplötzlich in ebenjener heraustechenden Bergszene Niederschlag. Später schützte eine ausgeprägte, im deutschen Kino singuläre Form der Mystifizierung das Fremde vor der deutschen Vereinnahmung. Oliver Nöding beschrieb diesen Vorgang einmal gar vortrefflich am Beispiel des ersten Winnetou-Filmes:

[…] Und Winnetou bleibt auch nach diesem Teil noch so fremd, exotisch und anziehend, wie er das zuvor war. Die Figur ist nicht auszuloten.

Pierre Brice wurde mit der Darstellung Winnetous zwar zum Star, doch sein Spiel nur selten gelobt. Dabei ist es ganz entscheidend für den Erfolg der Filme, die er durch seine bloße Präsenz trägt – sogar in Szenen, in denen er gar nicht anwesend ist. Brice verleiht dem Indianerhäuptling eine stoische Miene, in der sich kaum Emotionen abzeichnen, die aber nicht einschüchternd, drohend oder gleichgültig wirkt, der vielmehr etwas Verwundbares, Verletzliches, sehnsüchtig Suchendes innewohnt. Es sind wahrscheinlich die dunklen, aber klaren Augen, in denen sich das Leid seines Volkes widerspiegelt, ebenso aber auch die Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Das Drehbuch – und Synchronsprecher Christian Wollf – legen ihm aphoristische Dialogzeilen in den Mund, gleichnishaft formulierte Sätze, die Ausdruck seines Spiritualismus, seiner Erdverbundenheit und einer weit über seine Jahre hinausgehenden Weisheit sein sollen. Sie schrammen die Grenze zur unfreiwilligen Komik manchmal mehr als nur haarscharf, aber Brice gelingt es wie durch ein Wunder, sie überzeugend zu verkaufen. In seiner ganzen Gestalt und Haltung, Körpersprache und -spannung entbirgt sich eine Dissoziation mit dem Materiellen, als sei er nur vorübergehender Gast auf der Welt und in seinem Leib. […]

[Oliver Nöding in seinem Onlinefilmtagebuch „Remember it for later“ über „Winnetou, 1. Teil“]

Alles, jede Kleinigkeit, die er über Pierre Brice schreibt, könnte genau so auch über die Frauenfiguren hier festgehalten werden – eine Tanzszene in der Mitte des Films, die ihrer streng unterschlagenen Freizügigkeit zum Trotz nie zu züchtig für diesen wundersam schmierigen Film wirkt, legt davon beredt Zeugnis ab. Eine zusammenhanglose, genreuntypisch nicht an harschen Bestialitäten, sondern schlicht an pakistanischen Straßenfesten interessierte Mondoszene – die einzige in Reinls langer Karriere – setzt dem Ganzen schließlich die Krone auf und gibt einen Wink, in welcher Tradition dieser nominelle Agentenfilm wirklich zu stehen scheint. „Kommissar X jagt die roten Tiger“ ist wahrlich ein Film der widersprüchlichsten Extreme, die auswalzende Langsamkeit, mit der alles vor sich geht, verstärkt diesen Eindruck nur. Als hätte jemand versucht die vorangegangenen Actionreißer der Reihe in Brand zu setzen – mit einem dieser verdammten Sicherheitshölzer.


Kommissar X jagt die roten Tiger – BRD, Italien, Pakistan 1971 – 89 Minuten – Regie: Harald Reinl – Produktion: Theo Maria Werner, Iqbal Shehzad – Drehbuch: Theo Maria Werner, Werner P. Zibaso, Klaus E.R. von Schwarze – Kamera: Francesco Izzarelli – Schnitt: Antoniette Zita – Musik: Francesco De Masi – Darsteller: Tony Kendall, Brad Harris, Gisela Hahn, Mohammad Ali, Zeba u.v.a.

Dieser Beitrag wurde am Dienstag, Juli 31st, 2018 in den Kategorien Ältere Texte, André Malberg, Blog, Blogautoren, Deutschland im Film, Essays, Filmbesprechungen, Filmschaffende veröffentlicht. Sie können alle Kommentare zu diesem Beitrag über den RSS 2.0 Feed verfolgen. Sie können diesen Beitrag kommentieren, oder einen Trackback von ihrer eigenen Seite setzen.

Eine Antwort zu “Deutschland im Film: Kommissar X jagt die roten Tiger (1971)”

  1. Filmforum Bremen » Das Bloggen der Anderen (06-08-18) on August 6th, 2018 at 17:35

    […] Regisseur, den es immer mal wieder zu entdecken gilt. Auch mit seinem Spätwerk. In diesem Falle „Kommissar X jagt die roten Tiger“ der mir in der Tat weniger gut als André Malbergs schöner Text auf Eskalierende Träume […]

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