Salomé (1972)



La principessa Salomé

Als ich mich neulich träge auf dem Bett räkelnd durchs sonntägliche Nachmittagsprogramm zappte stieß ich zu meiner großen Freude auf die lang nicht mehr gesehenen Lümmel von der ersten Bank. In besonders vertrackten und unerwarteten Situationen zoomte die Kamera plötzlich auf das Gesicht des großen Paukerschrecks Pepe Nietnagel, der mit einer gewissen stoischen Zufriedenheit in die Kamera verkündet: „Man fasst es nicht!“ Diese Weisheit wird dann auch noch mehrmals im Abspann peppig gesungen wiederholt. Auch wird an einer Stelle des Films vom Schulchor das schöne Lied „Ich weiß nicht, was soll das bedeuten“ angestimmt. Ein philosophischer Film, der mir als assoziatives Sprungbrett zu jenem anderen dient, der vielleicht die größte filmische Unfassbarkeit seit meiner Entdeckung Andrzej Żuławskis darstellt: Salomé von Carmelo Bene, ein lange vorgenommener und jüngst mit einem Freund und Mitblogger (Christoph) endlich genossener Tropfen schaumig geschlagenen Autorenfilmweins aus italienischen Gefilden…

Zugegeben: eine surrealistische Verfilmung eines Oscar Wilde-Stückes hätte schon sehr missglückt sein müssen, um mir nicht zu gefallen, aber auf die visuelle und akustische Wucht dieses Films war ich doch nicht gefasst, konnte sie nicht fassen, wollte vielmehr in den vielsagenden Schülerchor der Lümmel einstimmen…

Daher ist dieser Text kein Review, sondern ein dahingeplappertes Schweigen mit Bildern. Doch wer die berüchtigte Unvorhersagbarkeit der Verteilung von Rosinen im fertigen Kuchen kennt, der weiß, dass noch so viele Screenshots nicht repräsentativ für einen Film sein können, zumal einen, der dem Zuschauer im Halbsekundentakt mit mönströsen Pipetten leuchtenden Zuckerguss in die Augen träufelt.

Das Licht strömt in Salomé aus den Menschen und Gegenständen hervor, es ist die obszöne Ausdünstung dieser Neon-Hölle. Die Einstellungen sind wie aus Edelstein geschnitzte Billardkugeln, die vom säbelhaft geschwungenen Kö der Montage auf die Leinwand gestoßen werden und die Zuschauer überrollen…

Ein bunter Strauß von Ärschen beiderlei Geschlechts wird hier liebevoll rhythmisch von federgeschmückten Teppichklopfern bearbeitet, der Mond nimmt derweil eine seltsame Farbe an und der Heiland nagelt sich im gemütlichen Takt eines italienischen Schlagers zur Abwechslung mal selbst ans Kreuz. Die glatzköpfige, mandeläugige, spitzohrige Salomé (Donyale Luna) selbst erscheint als femme fatale from outer space!

Ihre nekrophilen Gelüste können auch durch alle Kostbarkeiten, die der doch irgendwie barmherzige Tetrarch Herodes (Carmelo Bene) ihr anbietet nicht besänftigt werden, und während sie diesem in der unbarmherzigen Wüstensonne zärtlich Hautschicht um Hautschicht vom Gesicht pult, beharrt sie auf ihrem extravaganten Wunsch nach dem erlesensten aller Juwelen, dem Haupt des Johannes des Täufers. Fine!

Dieser Beitrag wurde am Montag, April 26th, 2010 in den Kategorien Alexander Schmidt, Ältere Texte, Blog, Blogautoren, Essays, Filmbesprechungen veröffentlicht. Sie können alle Kommentare zu diesem Beitrag über den RSS 2.0 Feed verfolgen. Sie können diesen Beitrag kommentieren, oder einen Trackback von ihrer eigenen Seite setzen.

3 Antworten zu “Salomé (1972)”

  1. Sano Cestnik on November 14th, 2013 at 03:41

    Gerade aus dem Kino nach Hause gekehrt nachdem ich mich während der Heimreise nach diesem Text gesehnt hatte – und ich wurde reichlich beschenkt.

    Auf der Leinwand gab es ausführliche Untertitel, live zugeschaltet, zu genießen, (passend zum anfangs Verwirrung stiftenden Schnittgewitter gerne zu früh oder zu spät auftauchend), und der Sprach- und Wortgewalt gelang es aufgrund der gelungen vorliegenden Übersetzung, dem visuellen Vexierspiel eine eindeutigere Sinnentblößung zu enlocken als es der Bilderrausch zunächst vermuten ließ. Und ich muss sagen, trotz allem Zierrat ein in sich schlüssiger, geschlossener und auch narrativ überraschend ökonomisch funktionierender Film. Und das Ende ist großartig gewählt und gesetzt. Für mich dann fast das überraschendste am Film, wie schön und schlüssig er vorbei ist. Einfach so. Wie dein Text.

    Wie gern würde ich den Film mit dir noch einmal von rauschhaftem 35mm-Filmmaterial vorgeführt genießen, mit maximal aufgedrehtem Geräuschpegel – ein besonderes Elixier, denn deine sorgsam gewählten Screenshots lassen die flackernden Lichtorgien des Materials wie du ja schreibst in der Tat nur erahnen. Eigentlich müsste man jetzt sofort jemanden in der näheren Umgebung zu einer Komplettretrospektive von Carmelo Bene verführen.

    Wenn wir uns das nächste Mal sehen, muss ich dir noch eine unfassbare Anekdote aus der wortgewandten Einführung zur Filmschau berichten, Alex, und die Paukerfilme (und vor allem dieser! Paukerfilm) müssen jetzt natürlich auch endlich, endlich mal wieder sein, allein damit ich Abends, mit diesem Schulchor, im Ohr friedlich entschlummern kann.

    Für heute wird Sibelius genügen (auf dass ich in Neon-Farben träume) …

  2. Alexander S. on November 15th, 2013 at 11:19

    Es freut mich sehr, dass Benes Salomé dich ebensosehr in einen Rauschzustand versetzt hat, wie uns damals und ich beneide dich sehr um die Erfahrung den Film von 35mm zu sehen. Eine Bene-Komplettretrospektive wäre wirklich etwas Feines, das sollte man mal dem Arsenal vorschlagen (oder dem Werkstattkino, aber als Berliner denke ich da natürlich egoistisch^^).
    „Lichtorgie“ trifft es genau, habe selten einen so luminiszierenden und orgiastischen Film gesehen und ja du hast absolut recht, er funktioniert auch auf der narativen Ebene wunderbar ökonomisch. In all dem dionysisch-psychedelischen Rausch erzählt der Film dennoch klar verfolgbar und völlig unangestrengt seine morbide Geschichte. Diese wird geradezu über die flackernden und strahlenden Bilder direkt in den Kopf des Zuschauers hineinprojiziert: ein ganz und gar sinnliches, ganz und gar filmisches Erzählen. Es ist wirklich ein großes Meisterwerk, von dem Oscar Wilde sicherlich auch sehr angetan gewesen wäre und man kann mal wieder nur den Kopf schütteln darüber, dass Carmelo Bene so viel weniger bekannt ist als andere italienische Autorenfilmer.

  3. Sano Cestnik on November 18th, 2013 at 20:28

    Im Arsenal lief tatsächlich schon einmal eine größere Bene-Werkschau, und zwar 2005, als ich mich auch in Berlin aufhielt, und dadurch zum ersten Mal überhaupt auf Bene aufmerksam wurde. Ich habe aber damals leider keinen einzigen der Filme gesehen… Hauptabschreckung war, soweit ich mich erinnere, dass die meisten Filme während der Vorstellung eingesprochen werden sollten (es gab wohl keine untertitelten Kopien), und da ich (auch heute noch) eine tiefsitzende Aversion gegen diese Praktik hege, bin ich schweren Herzens draußen geblieben. Ich erinnere mich aber noch sehr lebhaft daran, da ich immer wieder um die Ankündigungen und Plakate im Foyer und in der Broschüre herumgeschlichen bin und sie im geiste einfach nicht loswurde, und ich mich kurz nach der Retrospektive dann doch ärgerte, nicht wenigstens in ein oder zwei Filme hineingeschaut zu haben. Obwohl es damals in Berlin für mich so gut wie jeden Tag im Kino irgendetwas neues zu entdecken gab, ließ mich Bene doch nicht sofort loß.

    Thomas hat dazu 2005 sogar was geschrieben, wie ich gerade sehe. Und die Werkschau wurde wohl von Marc Siegel konzipiert, der auch in Frankfurt bei meiner Vorstellung die Einführung zum Film abhielt. Er hatte an dem Abend wohl Carte Blanche, und die Kinobetreiber haben aus seinen Vorschlägen gerade Salomè ausgewählt. So schließt sich also der Kreis zumindest ein Bisschen. 😀

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