Auferstanden aus Ruinen – Festivalbericht Weekend of Fear 2010

Die vierzehnte Ausgabe des traditionsreichen ursprünglich Nürnberger, seit einigen Jahren Erlanger Horrorfilmfestivals, markiert einen erfreulichen Aufwärtstrend in der Geschichte der familiären kleinen Veranstaltung, die einst mit Stars wie Peter Jackson aufwarten konnte, in den letzten paar Jahren jedoch eine ziemliche Krise zu durchleben hatte. Mußten eingefleischte Fans in den vergangenen Jahren schon befürchten, daß das sich vor allem durch die von den durchweg sympathischen Veranstalter unter Führung des alten Punkrecken Mike Neun getragene freundschaftliche Atmosphäre auszeichnende Festival zur DVD-Abspielstätte für die deutsche Amateursplatterszene verkommen würde, waren Programm wie Projektionen dieses Jahr von deutlich höherer Qualität, obwohl die Stargastauftritte (Yorgos Noussias, Olaf Ittenbach, Andreas Schnaas, Timo Rose) den Unterhaltungswert der grandiosen Bollesken von 2009 und 2007 leider längst nicht erreichen konnten. Sicherlich kann man verstehen, daß die Veranstalter den sympathisch-egomanen Uwe nur jedes zweite Jahr mit seinen narzistisch-paranoiden Tiraden das Manhattan-Kino rocken lassen wollen, doch würde das Unterhaltungsbedürfnis des Zuschauers, so denke ich, klar in die andere Richtung weisen.

So konnte der eher introvertierte Yorgos Noussias mit seinem Eröffnungsfilm, der absurd-überdrehten Zombiethrillerkomödie To Kako II das ambivalente Zuschauerecho auf seine hektisch-überladene Hatz durch antikes wie modernes Athen wohl eher nicht beeinflussen, obwohl der Film, verzeiht man ihm einmal die wohl auch durch Überbudgetierung verursachten nervigen 300-Anleihen, durchaus viel Potential, gute Ideen und, vor allem zu Beginn, äußerst unterhaltsame Passagen in sich schloß, allen voran die filmische Wiederbelebung des Altgriechischen.

Eindeutiger Höhepunkt des Festivals war allerdings die herrlich absurde, ruhig und atmosphärisch erzählte englische Vampir-/Gesellschaftssatire Strigoi. In einer vielleicht am ehesten an Emir Kusturica erinnernden Art und Weise erwachen hier in einem kleinen Dorf in Rumänien die Geister der Vergangenheit zum Leben und vermischen sich vampiresk oder vielleicht eher quasi-vampiresk mit den Lebenden, nur um diese darauf zu bringen, daß die Blutsauger längst unter ihnen waren und dies immer sein werden.

Äußerst erfreulich war ferner die filmische Rückkehr des guten, alten Frank Henenlotter mit der von Unfaßbarkeiten gespickten Trashgroteske Bad Biology: Mit etwas höherem Budget und dem Mut zu echten Hardcoreszenen mit der 7fach beclitteten Vagina und dem pferdehormongesträkten Peniswurm eigenen Bewußtseins hätte dies ein echter Meilenstein des Trashfilms werden können, ist allerdings auch so noch deutlich sehenswerter als etwa das unansehbar stümperhafte Büldsche Machwerk Penetration Angst.
Weiterhin verdienen Erwähnung die auf den ziemlich originellen Drehbüchern des frankokanadischen Horrorschriftstellers Patrick Senécal basierenden Terrorfilme 5150 Elm’s Way und 7 Days. Wäre ersterer nicht visuell so dilettantisch umgesetzt, hätte er tatsächlich eine kleine Perle des Genres werden können.
Einziger Wehrmutstropfen in dem insgesamt sehr anregenden Festivalprogramm war leider die völlig mißlungene Paul Naschy-Hommage: Warum eingefleischte Naschy-Fans wie Mike Neun sich an dieser Stelle nicht dazu durchringen können, ein oder zwei Klassiker der spanischen Horrorikone zu präsentieren und dem Publikum statt dessen die beiden auf jeweils andere Weise komplett unerträglichen letzten beiden Produkte mit Naschys Beteiligung, den unglaublich zähen und belanglosen Historienschinken ‚The Legacy of Waldemar’ und von drei Regisseuren (leider auch Naschy selbst) zusammengemurkste TV-Schlock-Pürree ‚Empusa’, vorsetzen, muß jedem aufrechten Cineasten ein Rätsel bleiben, zumal es zur Tradition des Festivals gehört, mindestens auch einen Genreklassiker (etwa 2000 Maniacs in 2006) bzw. eine vergessene Perle (etwa Dracula in Pakistan in 2007) in der Retrospektive zu zeigen.

Bleibt uns abschließend zu wünschen, daß die Veranstalter sich auf diese Tradition besinnen, sie ausbauen und auf diese Weise den eingangs konstituierten Aufwärtstrend des Festivals fortsetzen.

Im Kino: Les herbes folles (Vorsicht Sehnsucht)

„Wenn man aus dem Kino kommt, kann einen nichts mehr überraschen. Alles kann mit größter Selbstverständlichkeit passieren“, sagt der Off-Erzähler in LES HERBES FOLLES, kurz bevor Georges aus dem Kino kommt, in dem er sich gerade THE BRIDGES AT TOKO-RI mit William Holden und Grace Kelly angesehen hat. Wenn man selbst abends aus LES HERBES FOLLES aus dem Kino kommt und in die Nacht mit ihren bunten Leuchtreklamen tritt, weiß man vielleicht für ein paar Sekunden nicht, ob man sich nicht doch noch im Film befindet – so intensiv strahlen die Farben aus Resnais’ neuem Film nach. Und wenn man langsam merkt, dass der Film jetzt wirklich zu Ende ist, dann ist man vielleicht ein bisschen enttäuscht, weil die Realität so nüchtern gegenüber der farbenfrohen Verspieltheit des Filmes wirkt.

Georges hat das Portemonnaie von Marguerite gefunden und war fasziniert von den zwei Fotos, die er darin entdeckt hat: auf dem einen, dem auf dem Ausweis, schaut sie so ernst und auf dem zweiten, dem auf dem Flugschein, so lustig, sie hat sogar ihre Fliegerbrille dafür hochgeschoben. Weil Georges das Fliegen liebt, vielleicht aber auch weil er von ihrer knallroten Mähnenfrisur fasziniert ist, fängt er an Marguerite nachzustellen: erst mit Anrufen, dann mit Briefen, schließlich schlitzt er – weil sie ihn immer noch nicht beachten will – ihre Reifen auf. Eine ganze Weile ist nicht so ganz klar, ob LES HERBES FOLLES ein Liebesfilm oder ein Film über einen Stalker ist, ob Marguerite nur die Verliebtheit eines Verehrers nicht sieht oder ob sie in tödlicher Gefahr schwebt. Auch Georges scheint sich nicht ganz sicher zu sein, seine Gedanken, in die man als Zuschauer immer mal wieder kurze Einblicke erhält, schweifen manchmal in aggressive Tötungsphantasien ab und auch der Off-Kommentator deutet einmal etwas an, will es dann nicht weiter ausführen. Resnais löst das schließlich – mehr oder weniger – auf, aber er hätte jederzeit auch den anderen Weg einschlagen können, im Film liegt das Reich der Möglichkeiten immer nur einen Schnitt oder einen Kameraschwenk weit entfernt und jede Szene setzt den Ton einer Erzählung neu. Ein bißchen funktioniert LES HERBES FOLLES wie ein Kaleidoskop: Am Ende ergeben das Magische und das Reale, das Dramatische und das Absurde, das Traurige und das Farbenfrohe eine bunte Mischung, die sich im Kopf des Zuschauers zu einem Muster zusammensetzt – und das nach jedem Drehen immer wieder neu.

Der Kommentator, den man nie selbst zu Gesicht bekommt, erzählt in manchen Szenen, das was gerade eben schon zu sehen war, dann schweigt er lange Zeit wieder – auch die Handlung von THE BRIDGES AT TOKO-RI erzählt er dem Zuschauer nach, aber wenn man wirklich wissen will, was passiert, sollte man den Film wohl selbst noch einmal sehen, denn zuverlässig ist der Erzähler nicht. Als der Film dann zu Ende sein sollte (so würde es zumindest das Genre wollen) und der „FIN“-Schriftzug eingeblendet wird, geht er dann doch einfach weiter, und als er dann aufhört, hat er kein wirkliches Ende. Es ist eben alles möglich in dieser federleichten Meditation über die Variationen einer Erzählung und die Freiheit des Kinos, die so ungezähmt daher kommt wie wilde Gräser, die aus einer Asphaltdecke hervorbrechen.

VORSICHT SEHNSUCHT ist am 22. April in den deutschen Kinos angelaufen.

Bild: Schwarz-Weiß Filmverleih

Zitat der Woche

» Außerdem ist der Publikumsgeschmack besser, als Sie denken. Er wird nur zu wenig auf die Probe gestellt. Wenn man ihm nur die Wahl läßt zwischen Schund und literarischem Geniekotzertum, wird es mit Recht den Schund wählen. «
Curt Goetz