100 Deutsche Lieblingsfilme #40: Aquaplaning (1987)



Phantasie der Entspannung

Die vom Wasser reflektierten Sonnenstrahlen tanzen auf dem 5-Meter-Turm. Immer wieder ist dieses Bild zu sehen. Jedenfalls am Anfang. Vom sanften Wogen dieser gleißenden Wärme geht eine ungemeine Ruhe aus, ob sie nun auf dem Turm, auf den Gesichtern oder auf den Körpern tanzt. Das Schwimmbad Neukölln ist geradezu ein Hort von meditativer Sicherheit… zumindest aus der Sicht von Herrmann Ort. Als seine Mutter in Rente geht, wird ihm das BAföG aufgrund fehlender Unterlagen gestrichen und er nimmt einen Job in besagter Schwimmanstalt an. Es ist nicht übermäßig schön, modern, sauber oder perfekt, aber hier findet er seinen Frieden mit der Welt.

Kaum etwas passiert, wenn er in der ersten Hälfte des Films durch die Anlage schlendert. Doch wer sich darauf einlassen kann, findet in Aquaplaning das, was Herrmann in seinem Schwimmbad erblickt. Es ist kaum mehr als ein Aufatmen. Ein befreites Aufatmen, nachdem all die Last, welche Filme oft niederdrückt, verschwunden ist. Vielleicht wird dieser Ballast auch erst bewusst, wenn sich die Schultern plötzlich so frei anfühlen. Und in Aquaplaning schaffte es Eva Hiller, ungekünstelt einen Mann durch ein Schwimmbad schlendern zu lassen, ihn aufatmen zu lassen und mit ihm den Zuschauer. Voller Selbstvertrauen umgeht sie blendende Dramatisierungen. Ihr Film ist einfach nur und kümmert sich nicht zwanghaft um Dramaturgie oder Aufbau einer Handlung. Um Action oder Pointen. Nirgends gibt es groß angelegte Kunstgriffe, die Aussagen oder Gefühle verdeutlichen. Auch lange Einstellungen, Montage oder ähnliche Kunstgriffe, welche dem Zuschauer mitunter nichts anderes vermitteln wollen, als dass sie sich ein sehr ernst zu nehmendes Kunstwerk ansehen, gibt es nicht. Kurz, sie verzichtet auf jeden Tand um ihren Film denkwürdig zu machen.

In Aquaplaning gibt es einfach nur einen Mann in einem Schwimmbad, der Momente erlebt. Momente, die wiederkehren, ohne Konzepte hinter sich zu verbergen. Momente zwischen denen Sekunden liegen können oder Tage. Es ist nicht klar und es ist egal. Er beobachtet Flugzeuge, hat Ärger mit seinem Vermieter und unterhält sich mit den Gästen. Zuerst fühlt er sich fremd und geht dann völlig auf, in diesem Paradies, fern jeder Perfektion, jeder zeitlichen Greifbarkeit. Ein Platz zum Atmen. Es herrscht entspannte Spannung durch eine zauberhafte Dringlichkeit. Realismus oder Surrealismus sind zu durchdacht, um zu beschreiben, was passiert. Fehlende Langeweile durch Spaß an der Phantasie. Zartheit durch Vertrauen in sich selbst. Aquaplaning braucht niemandem etwas beweisen. Und dadurch erhascht er vielleicht einen kurzen, unverstellten Blick auf unsere Herzen.

Die zweite Hälfte wandelt den Ton aber zusehends. Zuerst spielt ein rothaariges Mädchen mit einem Ball und entpuppt sich als Schreckgespenst. Ihr folgen viele andere Phantome, freundliche und gemeine, die auch das Bad anfüllen, wenn es längst zur Überwinterung geschlossen ist. Zunehmend offenbart sich, dass sich Herrmann in diesen Paradies verloren hat. Dieser Ort und wie er ihn sieht existiert immer deutlicher nur in seinem Kopf. Die phantastischen Gäste, die im Bikini im Schnee sitzen, sind aber keine Trugbilder. Sie sind die Realität, die sich in der Phantasie bemerkbar macht. All diese Phantome zeigen nichts weiter, als die Unwirklichkeit, die sie umgibt. Eine darunter liegende Realität wird so erst denkbar.

Der Weg von Aquaplaning wird so viel ernster, als es die erste Euphorie bei mir zulassen konnte. Doch abwenden war auch schwer möglich, weil auf dieselbe gelassene, wunderbar unaufgeregte Weise weitererzählt wurde. Vielleicht ist es diese Realität, dieser Anflug von Ernst und Bedeutung, die nötig ist, um diese wunderbare Phantasie eines Films über einen Mann in einem Schwimmbad ohne Nutzen, ohne Lehre, ohne Plot, ohne Aufdringlichkeit, ohne Witz, diese Phantasie eines persönlichen, nahegehenden Films, der im Grunde nur ein warmes, umarmendes Nichts ist, aufrecht zu erhalten.

AQUAPLANING – BRD 1987 – Farbe – 80 Minuten – 16mm, 1:1,33
Regie, Buch und Produktion: Eva Hiller – Kamera: Axel Block, Eberhard Geick, Thomas Mauch – Schnitt: Dörte Völz-Mammarella
Darsteller: Werner Stocker, Martina Gedeck, Eva Ebner, Dominik Bender, Imke Barnstedt, Helmut Krauss, Dieter Kursawe, Gerd Bös, Sebastian Bleisch, Barbara Beutler

Dieser Beitrag wurde am Mittwoch, August 15th, 2012 in den Kategorien Blog, Blogautoren, Deutsche Lieblingsfilme, Filmbesprechungen, Robert veröffentlicht. Sie können alle Kommentare zu diesem Beitrag über den RSS 2.0 Feed verfolgen. Sie können diesen Beitrag kommentieren, oder einen Trackback von ihrer eigenen Seite setzen.

8 Antworten zu “100 Deutsche Lieblingsfilme #40: Aquaplaning (1987)”

  1. Sano Cestnik on August 17th, 2012 at 10:15

    Aquaplaning schiebe ich seit der wundersamen Entdeckung durch Christoph (nach der nicht weniger wundersamen Entdeckung von Unsichtbare Tage durch mich und Andi) vor mir her. Ich traue mich einfach nicht an den Film heran, da ich einerseits zu hohe Erwartungen an ihn habe, und es das dann andererseits wohl auch schon mit den Regiearbeiten von Eva Hiller gewesen ist – zumindest laut Filmportal. Zwar habe ich mir inzwischen auch ein Buch von ihr zugelegt, aber filmtechnisch bleibt danach wohl nur noch das ausweichen auf Thomas Mauchs Maria von den Sternen. Mal sehen wie schwer sich dann die Suche nach diesem Film gestaltet.

    ERGÄNZUNG: Auf dieser Seite findet man noch Hinweise auf weitere Filmarbeiten, vermutlich eher essayistischer Art. Ausgezeichnet!

  2. Filmforum Bremen » Das Bloggen der Anderen (17-08-12) on August 17th, 2012 at 14:52

    […] Auf “Eskalierende Träume” bespricht Robert in der Reihe “100 Deutsche Lieblingsfilme” den  1987 von Eva Hiller gedrehten Film “Aquaplaning”. Und auch ein älterer Eintrag […]

  3. Robert on August 17th, 2012 at 16:15

    Kann ich verstehen. Ich war ja auch total überrascht. Christoph hat mir den Film mit anderen einfach gegeben und ich wollte nur nen kurzen Film über Verkehrsunfälle gucken 😉 und dann kam soetwas. Hat mich total aus den Latschen gehauen. Ich habe jetzt aber Angst ihn wieder zu sehen … obwohl bei der Suche nach Screen Shots war der schon wieder so verlockend. Vll einfach Augen zu und durch und wenn du dann enttäuscht bist, guckst du ihn später nochmal und bist überrascht, weil du nicht so was unglaublich gutes erwartet hast. 😀

    Ein Film von einer Frau ist noch kein Frauenfilm muss ich sehen, was ein toller Titel.

  4. Sano Cestnik on August 21st, 2012 at 19:29

    Vll einfach Augen zu und durch und wenn du dann enttäuscht bist, guckst du ihn später nochmal und bist überrascht, weil du nicht so was unglaublich gutes erwartet hast.

    Ja, so wird’s vermutlich gehen. 😉

  5. Jeroen on November 1st, 2012 at 11:57

    Great production with very intense atmosphere. Is there perhaps somebody who has a copy available? It should be broadcasted again by one of the German channels.

  6. Top 100 – Die Hauptverhandlung « the-gaffer.de on November 1st, 2012 at 17:16

    […] […]

  7. Christoph on November 1st, 2012 at 17:36

    Alas, I highly doubt that it will ever be broadcasted again, but I’ve just sent you an email suggesting a possible option to track it down.

  8. mTo . marco on Dezember 20th, 2012 at 21:22

    hiho…ich kann mich erinnern den film damals gesehen zu haben und da mir der titel immer wieder durchs hirn schwirrt, habe ich heute mal wieder über die ofdb gesucht und bin hier gelandet…ich würde mich auch freuen wenn es der film mal wieder ins tv-programm schaffen würde, mit 3sat oder der zdf spartenkanälen sollte da doch eigentlich der entsprechende sendeplatz zur verfügung stehen.. andererseits würde ich mich auch über ne option freuen, das werk außerhalb des tv-programms goutieren zu können 🙂
    danke vorab

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