100 Deutsche Lieblingsfilme #15: Der Engel mit dem Saitenspiel (1944)



„Sie sind zurückhaltend und dabei fühlt man sich beständig herausgefordert. Ihre Ruhe ist eine Art komplizierter Nervosität. Wenn sie hilflos sind besitzen sie dafür eine tödliche Sicherheit. Wenn sie bekümmert sind machen sie das mit einem heiteren Lächeln. Wenn sie sich freuen hat man das Gefühl sie sind im Grunde traurig. Kurz und gut: sie widersprechen eigentlich ständig auf eine bezaubernde Weise ihrer eigenen Existenz.“

Vielleicht sieht man den Schauspieler Heinz Rühmann am Besten als Regisseur. Dass er sich selbst zu inszenieren wusste, wird in jedem Film in dem er Auftritt klar. Wie er das macht, und was er damit ausdrücken möchte, sieht man jedoch deutlicher wenn er als Filmemacher auftritt. In Der Engel mit dem Saitenspiel führt er die Schauspieler durch ein Melodram das keines ist. Komödiantisch fängt es an, wobei es zunächst eigentlich nichts zu lachen gäbe. Dramatisch geht es weiter, und am unangenehmsten wird der Film als sich eigentlich schon alles aufgeklärt zu haben scheint. Innerhalb eines vor allem in den Nebenrollen brillanten Darstellerensembles (mit u.a. Erich Ponto und Lina Carstens) liegt der Fokus auf der Beziehung zwischen 2 Figuren, gespielt von Hans Söhnker und Rühmanns Ehefrau Hertha Feiler. Wenn sie ein Kind von ihm bekommt und er es erfährt, kriegen wir es nie zu Gesicht, spielt es selbst keine Rolle. Der Engel mit dem Saitenspiel versucht schon beinahe penetrant dem Sentimentalen aus dem Weg zu gehen, und alles Überflüssige aus der Inszenierung zu verbannen.

Während der Kriegszeit entstanden, spürt man das Unglück und die Verzweiflung im Verlauf des Films immer stärker, obwohl Rühmann die Handlung zunächst ins Jahr 1938 verlegt und auch später der Krieg nicht vorkommen wird. Keine Nazisymbole, keine Naziideologie. Vielmehr wird ein idealistisches Menschenbild gezeichnet, in dem die Protagonisten ihre Egoismen und Unsicherheiten überwinden müssen um glücklich zu werden. Jedoch ist es ein spezifischer Idealismus, denn wie im Märchen ist des einen Glück des anderen Pech, und das glückliche Ende eine unnötige Coda, eine nachträgliche Beruhigung, dass alles Schlimme einmal ein Ende hat. Rühmann zeigt die Menschen nicht nur wie er sie gerne hätte, sondern auch wie er sie sieht. Seine größte Stärke neben der präzisen Inszenierung von Worten und Räumen ist hierbei die Beobachtung. Oberflächlich opulent und innerlich reduziert besteht die eigentliche Stärke in der Widersprüchlichkeit von Allem das uns gezeigt wird. Nichts ist so wie es scheint: das Innere der Menschen kann man nur erspüren, und dennoch versucht Rühmann dem Zuschauer alles offen zu legen.

In einer der Schlüsselszenen des Films, sehen wir alle wichtigen Personen auf einer Verlobungsfeier versammelt. Sie lachen, sind scheinbar vergnügt, doch wie in den intimsten Augenblicken bei Yasujiro Ozu beherrscht Bitterkeit und Verzweiflung diesen Moment. Im Gegensatz zur Innerlichkeit und der Akzeptanz des Schickslas bei Ozu treibt Rühmann den Widerspruch zwischen Innen und Außen jedoch ins Absurde, um ihn in einer musikalischen Sequenz, die die Narration auf den ersten Blick unterbricht, ins Leere laufen zu lassen. Zwänge, Wünsche, Entschlüsse und Widersprüche sind von den Figuren erschaffen, die Bewegung verläuft bei Rühmann von Innen nach Außen. Erkenntnis folgt dadurch nicht aus Einsicht in die Welt, und ist nicht Akzeptanz. Erkenntnis ist Kampf, entsteht aus innerer Einsicht und basiert auf Entscheidungen. Vielleicht gibt es in der Welt von Heinz Rühmann nichts außer dem Menschen.

Der Engel mit dem Saitenspiel – Deutschland 1944 – 101 Minuten – Regie: Heinz Rühmann – Drehbuch: Curt Johannes Braun, Helmut Weiss – Produktion: Heinz Rühmann – Kamera: Ewald Daub – Musik: Werner Bochmann – Schnitt: Helmuth Schönnenbeck – Darsteller: Hertha Feiler, Hans Söhnker, Susanne von Almassy, Otto Graf, Hans Nielsen, Lina Carstens, Erich Ponto, Emil Hess, Paul Rehkopf

Dieser Beitrag wurde am Mittwoch, August 25th, 2010 in den Kategorien Blogautoren, Deutsche Lieblingsfilme, Filmbesprechungen, Sano veröffentlicht. Sie können alle Kommentare zu diesem Beitrag über den RSS 2.0 Feed verfolgen. Sie können diesen Beitrag kommentieren, oder einen Trackback von ihrer eigenen Seite setzen.

14 Antworten zu “100 Deutsche Lieblingsfilme #15: Der Engel mit dem Saitenspiel (1944)”

  1. Whoknows' Best on August 26th, 2010 at 18:16

    Man sollte vielleicht Person und Werk voneinander trennen; im Falle von Heinz Rühmann kann ich das nicht. Wer sich für „lustige“ Propagandafilme wie „Quax, der Bruchpilot“ (1941) oder gar den unverhohlen rassistischen „Quax in Afrika“ (1945) zur Verfügung stellte, ohne später je auf sein „Wirken“ im Dritten Reich zu sprechen zu kommen, stattdessen gegen sein Lebensende hin gar den „traurigen Clown“ gab, bleibt für mich eine problematische Figur. – Man müsste in diesem Zusammenhang auch darauf hinweisen, dass Hertha Feiler Rühmanns zweite Ehefrau war. Weshalb er sich von seiner ersten Frau scheiden liess, wird wohl nie endgültig aufgeklärt werden. Auf jeden Fall war sie Jüdin.

    Sorry, aber dies muss meines Erachtens hinzugefügt werden, wenn man einen seiner Filme aus dieser Zeit bespricht – oder etwa gar an Stanley Kramer’s „Ship of Fools“ (1965) erinnert, in dem dieser Nazi-Profiteur die Frechheit besass, die Rolle eines armen kleinen Juden zu spielen.

  2. Sano on August 27th, 2010 at 13:30

    Habe Rühmanns Rolle im Nationalsozialismus in meinem Text nicht hervorgehoben, weil ich es nicht für relevant hielt. Denke, dass die meisten Leute um seine Verstrickungen wissen, und das Rühmann während des Nationalsozialismus sehr erfolgreich war. Das Produktionsjahr ’44 steht ja auch prominent in der Überschrift.

    Inwieweit man Person und Werk trennen sollte ist schwierig zu sagen. Rühmann in dieser Hinsicht zu bewerten fällt mir schwer, da andere Leute wie Hans Albers, Willy Fritsch, Helmut Käutner, Wolfgang Staudte, Leni Riefenstahl, Veit Harlan, Emil Jannings, etc., etc., etc. auch im NS-Staat gearbeitet haben – ganz zu schweigen von Leuten wie Visconti oder de Sica unter Mussolini, Eisenstein unter Stalin, oder um etwas jüngere Beispiele heranzuziehen: serbische Filmemacher unter Milosevics Herrschaft, Filmemacher im Iran der letzten Jahrzehnte (z.B. auch Makhmalbaf als Propagandist Anfang der 80er Jahre), Filmemacher in China, usw.

    Was sich daraus für Rückschlüsse ziehen lassen, muss jeder selbst entscheiden. Finde es nur heutzutage etwas heuchlerisch, wenn auf einer (un)bewussten Ebene – vor allem in Deutschland- angenommen wird, dass ein Nazi (wie es Rühmann vielleicht einer war) kein großer Künstler sein kann – so als ob ein Nazi auch nicht gut kochen, oder eine Schraube eindrehen könnte, oder es zumindest in einer „korrekten“ Welt nicht dürfte. Jemandem mit rechtsextremistischen Neigungen, oder einem Mitläufer, oder wem auch immer, aus politischen Gründen künstlerisches Geschick abzusprechen halte ich für höchst irrational.

    Dass du an Rühmann aus persönlichen moralischen gründen Anstoß nimmst, finde ich hingegen nachvollziehbar. Bin selbst z.B. nach 10 Minuten aus der Kinovorstellung von Dany Levis „Mein Führer“ herausgegangen, weil sich mein gesamtes Wesen gegen das auf der Leinwand Gezeigte zur Wehr setzte – mir also vor „Geschmacklosigkeit“ wortwörtlich schlecht wurde.

  3. Engelmitseitenspiel on Januar 18th, 2012 at 10:04

    Naja, wenn man Fritsch und Käutner in einem Atemzug mit Harlan nennt, dann bekommt man ein recht undifferenziertes Bild der Verhältnisse und Möglichkeiten. Obwohl es auch über Propagandafilmhelden wie Jannings und Albers ambivlentes zu berichte gäbe, ist Rühmanns Stellung im 3. Reich m.E. schon etwas problematischer; von Distanz zum System (wie bei Albers, der seiner jüdischen Verlobten erst in die Schweiz und dann zur Flucht nach England verhalf, oder Fritsch, der trotz seiner Popularität (bis auf einen) alle Propagandafilmangebote ausschlug) wenig zu bemerken.
    So ein Satz wie „Vielleicht gibt es in der Welt von Heinz Rühmann nichts außer dem Menschen“ ist da ohne Kontext recht eigenwillig; vielleicht wäre „nichts auser dem deutschen Menschen“ treffender, klingt etwas holperig, zeigt aber auch, daß Deine Interpretation ein wenig hinter der Realität des realen Rühmann zurückbleibt.
    „Keine Nazisymbole“ ist übrigens für den NS-film ganz normal – das war schon ab 1934 von Goebbels so angeordnet (galt auch der Exportierbarkeit der Filme, im Ausland waren Hakenkreuze schon in den 30ern eher unpopulär) und die paar Hitlergrüße und Hakenkreuzfähnchen, die dennoch in den Filmen landeten, sind dann in der Regel in den 50ern rausgeschnitten worden. Bei den heute veröffentlichten und von Transit lizenzierten DVDs handelt es sich oft um die geschnittenen Nachkriegsfassungen. Keine „Nazi-ideologie“ soll wohl heissen: kein offener Antisemitismus, kein Führerkult, kein Blut und Boden. Ich gebe zu, den Film nicht gesehen zu haben, aber es gibt durchaus eine für den NS-film recht spezifische Art der Darstellung heroischer Selbstüberwindung, die man im Zusammenhang mit dem Selbstopferkult der Nazis als Ideologie bezeichnen kann; ob solche Anklänge hier vorhanden sind, kann ich nicht sagen, ich dachte eigentlich immer, es handelt sich um einen der typischen sentimantalen „davon geht die Welt nicht unter“ Filmen.

    Wie auch immer, ich finde den psychologischen Ansatz in Deiner Kritik eigentlich sehr interessant, nur scheint mir hier (und das provozierte evtl. die initiale Kritik) der Wunsch nach dem unpolitischen Rühmann zu sehr Vater des Gedanken.
    Rühmann war, und das ist vielfach belegt, ein radikaler Opportunist (ob er ein überzeugter Nazi war, weiss natürlich nur er selbst). Sicher war er auch ein begabter Künstler, aber es würde mich sehr wundern, wenn sich in seinen Filmwerken nicht gleichviel Opportunismus wie Begabung manifestierten.

  4. Algol on Januar 18th, 2012 at 13:24

    Ich bin diese Manie müde, noch nach 70, 80 Jahren ständig über die Vergangenheit Gericht sitzen zu wollen, anstelle zu versuchen, sie ehrlich und von innen her zu begreifen. Ich weiß auch nicht, wieviele von uns sich ehrlich bei der Nase nehmen können, um dann mit 100%er Sicherheit sagen, wie sie sich verhalten hätten, ohne dabei zu erröten. Wir haben heute kaum eine Vorstellung, wie ein solches totalitäres System funktioniert, erst recht das System Goebbels in der Filmindustrie, wo man bei Ungehorsam tatsächlich seine Existenzgrundlage, ja sein Leben riskieren konnte. Im Nachhinein und ohne Risiko, als Nachgeborener weiß man immer alles besser. Darüber hinaus ist meiner Ansicht nach der Rahmen, in dem die Zeit des Weltkriegs und des Nationalsozialismus heute gelesen wird, weiterhin eher politisch als historisch aufgeladen, mit allzu gegenwärtigen Interessen. Manchmal findet sich das Ideologische genau dort, wo man es schon gar nicht mehr sehen kann.

    Mir geht es eher so, daß ich je mehr ich über die Zeit lese, mich umso weniger befugt fühle, über die Menschen zu urteilen. Meistens verlaufen diese Biographien äußerst komplex. Was die Schauspieler und Showbiz-Leute betrifft, so ist das ein besonderer Fall: Schauspieler leben und hängen vom Publikum und der Öffentlichkeit ab, und sie sind zu allen Zeiten geborene Opportunisten des Zeitgeistes, auch heute noch. Das ist sozusagen eine Berufskrankheit. Was Rühmann betrifft, so hat er meines Erachtens keinen Film gemacht, für den er sich schämen müsse, und im Gegensatz zu anderen vieles hinterlassen, was einen bleibenden Wert hat.

    Ach ja: „Mein Führer“ fand ich auch unerträglich geschmacklos, aber ich bin es durchgesessen.

  5. Engelmitseitenspiel on Januar 18th, 2012 at 17:46

    „Bin selbst z.B. nach 10 Minuten aus der Kinovorstellung von Dany Levis „Mein Führer“ herausgegangen, weil sich mein gesamtes Wesen gegen das auf der Leinwand Gezeigte zur Wehr setzte – mir also vor „Geschmacklosigkeit“ wortwörtlich schlecht wurde.“

    und

    „Ach ja: “Mein Führer” fand ich auch unerträglich geschmacklos, aber ich bin es durchgesessen.“

    äh, sorry, ich hab mich wohl in der Tür geirrt. Finde diese aufgezwungene Erinnerungskultur natürlich auch schrecklich. Immer diese Auschwitzkeule. Immerhin hat ja Hitler auch die Autobahnen gebaut und Arbeitsplätze geschaffen.

  6. Engelmitseitenspiel on Januar 18th, 2012 at 18:17

    Das war natürlich nur ein Spass. Schön, daß überhaupt noch über Filme aus der Zeit geredet wird.

  7. Algol on Januar 18th, 2012 at 18:18

    „Finde diese aufgezwungene Erinnerungskultur natürlich auch schrecklich. Immer diese Auschwitzkeule. “

    Ja, da hast Du recht, aber ohne den perfiden Zungenschlag bitte, und der Film war aus anderen Gründen geschmacklos und schlecht.

  8. Algol on Januar 18th, 2012 at 18:20

    „Das war natürlich nur ein Spass. Schön, daß überhaupt noch über Filme aus der Zeit geredet wird.“

    Oho, lese ich nun eben 1 Minute zu spät…

  9. Sano on Januar 18th, 2012 at 23:31

    @Engelmitseitenspiel (Kommentar 3)

    Mein Besipielsatz endet ja nicht mit Fritsch, Käutner und Harlan, und versucht auch nicht diese (inklusive Rühmann) auf eine Stufe zu stellen, sondern aufzuzeugen, dass es unter Schauspielern und Filmemachern in Diktaturen eine große Bandbreite von „Mitläufertum“ gibt, also Leuten die unter diktatorischen Verhältnissen teilweise im Sinne des Staates gearbeitet haben, und filmgeschichtlich (und auch allgemein historisch) nicht eindeutig als „Täter“ dastehen, sondern sich auch in der ein oder anderen Form wohl als „Opfer“ gefühlt haben (oder dies zumindest im nachhinein behauptet haben). Damit will ich niemanden entschuldigen, sondern nur aufzeigen, dass man Rühmann natürlich auch „dazu“ zählen kann. In welcher Form bleibt jedem selbst überlassen.

    Mein Satz “Vielleicht gibt es in der Welt von Heinz Rühmann nichts außer dem Menschen” ist desweiteren nicht ohne Kontext, sondern der abschließende Satz eines Artikels. Den Kontext kann man im gesamten Text davor erkennen. Er ist natürlich spekulativ (daher das „Vielleicht“ am Satzanfang), entspringt aber meiner Untersuchung des betreffenden Films, und nicht der „Realität des realen Rühmann“, da ich Rühmann persönlich nicht gekannt habe, und daher generell nur mutmaßungen anstellen kann. Was ich nicht extra betont habe (da es mir aus dem Kontext verständlich erschien – aber als Autor sieht man seine Texte natürlich anders), ist, dass die Schlussfolgerung sich aus der Regiepersona ableitetete, die ich im Film zu entdecken glaubte. Also nicht aus der Privatperson Rühmann, sondern aus dem Filmkünstler Rühmann. Daraus könnte ich jetzt noch weitere Schlussfolgerungen erläutern, will aber diesen Abschnitt mit der Aussage enden lassen, dass Handlungen und Überzeugungen nicht unbedingt übereinstimmen müssen. Für einen Opportunisten halte ich Rühmann auch. Umso interessanter, dass dies auch in diesem Film deutlich wird (der aber keine eindeutige Position dazu nimmt, also wiederum Opportun handelt, wenn man so will).

    Meine Aussage „Keine Naizisymbole, keine Naziideologie“ ist ersteinmal das. Eine Aussage. Sie ist nicht wertend (das heißt, ich meine damit nicht, dass der Film daher nicht faschistisches Gedankengut transportieren könnte, sondern, dass mir das nicht aufgefallen ist). Dass in einem Film dieser Zeit meiner Meinung nach keine faschistischen Elemente auftreten, und der Nazinalsozialismus und seine Auswirkungen zu schildern vermieden wird, kann man natürlich auch wiederum negativ auslegen, z.B. als einen Ausweichversuch. Wenn ich direkt daran schreibe, dass ein „idealistisches Menschenbild“ gezeichnet wird, weist das jedoch weiterhin darauf hin, dass Rühmann wohl nicht an einem realistischen Film gelegen war. Natürlich kann man auch daraus schlussfolgern was man möchte.

    Einen Wunsch nach einem unpolitischen Rühmann besitze ich nicht. Jedoch muss ich nicht jeden Film so sehen und interpretieren, wie ihn sein Schöpfer sich eventuell vorgestellt hat. Meine primäre Reaktion auf den Film, die dieser Text darstellt (und der ja auch kein ausführlicher Essay über die Person Rühmann ist), ist ja teilweise eine politische, aber eben grundsätzlicher eine llgemein ambivalente. Vieles wirkt in dem Film für mich durch eine (scheinbare) Abwesenheit. Dass mir das Ambivalente an diesem Film imponiert, hat dabei vermutlich vor allem mit der Tatsache zu tun, dass Rühmann ein Gesellschaftsbild innerhalb einer Liebesgeschichte entwirft (der film ist wohl prinzipiell ein relativ simpler Liebesfilm), das verstört. Das Nichtabgeschlossene, das Widersprüchliche, das Offene, dass meiner Meinung nach Rühmann in diesem Film bewusst und nicht anders so inszeniert – sei es weil er selbst sich so fühlt, sei es weil er darüber reflektiert – macht ihn für mich so großartig. Dies könnte natürlich auf einer spekulativen Ebene auch daher rühren, dass Rühmann als überzeugter Nazi 1944 die Zeichen der Zeit erkannt hat (das „Dritte Reich“ nähert sich seinem Untergang), und nostalgisch von einer vergangenen Zeit (1938) reminisziert, wo alles noch „besser“ war. Also ein Nazi über das Ende der Nazizeit trauert. Könnte sein. Und wenn es so wäre macht dies den Film nicht weniger interessant, oder gut. Ich muss mit der „Aussage“ oder „Idee“ des Films ja nicht übereinstimmen um ihn gut zu finden.

    Was mich an „Der Engel mit dem Seitenspiel“ begeistert und verwundert hat, versuche ich im obigen Text darzulegen. Kurz und knapp, wie es die (selbstgewählte) Struktur der Reihe „100 deutsche Lieblingsfilme“ verlangt. Und dass ich das Gefühl hatte, einen zutiefst persönlichen Film von Rühmann gesehen zu haben, in dem er sich zudem als exzellenter Regisseur erweist gehört dazu. Was man nun davon halten mag, überlasse ich wie gesagt jedem einzelnen. Es ist sicher falsch, und war nicht meine Absicht, wenn sich mein Text wie ein eindeutiges Plädoyer zugunsten Rühmanns in seiner gesamten Art als Mensch liest. Das war nicht meine Absicht. Der letzte Satz ist daher wie gesagt kein gefühlter Seufzer eines ergriffenen Rühmannverehrers, sondern eine vergleichsweise nüchterne Unterstellung. Der abschließende Satz hätte daher lauten können: „Vielleicht gibt es in der Welt von Heinz Rühmann, wie sie sich hier darstellt, nichts außer dem Menschen.“ Das schien sich mir aber zu erübrigen, und gefällt mir rein stilistisch immer noch nicht. Daher bleibts so stehen, wie es eben steht. 😉

    @Algol (Kommentar 4)

    Sehe ich alles ähnlich. Was aber nicht heißen soll, dass dadurch die Filmkünstler als Menschen von irgendetwas „freigesprochen“ werden könnten, oder dass ich von etwas absehen möchte. Jedoch hege ich persönlich die Überzeugung, das „ein Film“, als materielles sowie künstlerisches Objekt, keine spezifische Absicht hegen kann, und soweit dies von den Schöpfern intendiert ist, vom Zuschauer je nach belieben nicht wahrgenommen, ignoriert, oder anders interpretiert werden kann. Der Film (oder jegliche sonstige Kunst) aus meiner Sicht also zu Propagandazwecken gänzlich ungeeignet ist. Da der einzelne spezifische Film über seine Schöpfer hinausweist (das Ganze also nie Summe seiner Teile sein kann). Daher ist ein Film auch nicht, sondern ich/man empfindet ihn, bzw versteht ihn auf gewisse Art und Weise. Das spricht natürlich automatisch jeden Film von jeglichem frei, da er ja eben nur ein Film ist (also ein Stück aufgerollter Filmstreifen oder Magnetband, bzw. eine Datei) und ein Film an sich nichts sagen kann, als das was die Menschen (mich eingeschlossen) in ihm erkennen. Was jetzt aber natürlich immer noch keine Apologie von gar nichts ist, sondern lediglich eine Feststellung meinerseits. Auch hier gilt: eine Meinung muss sich jeder einzelne bilden (und die meisten menschen sehen das mit dem Film vermutlich auch anders als ich).

    Diese Ausführung soll jetzt aber lediglich nochmal darauf Hinweisen, dass es mir im obigen text um meine Begegnung mit dem obigen FIlm ging, sowie daraus hergeleitet um die Begegnung mit den verschiedenen Filmkünstlern, in erster Linie mit der wahrgenommenen künstlerischen Person Rühmann, die natürlich von Rühmann als wichtiger Mitschöpfer des Film, so dargestellt werden konnte (ob mit ihm selbst übereinstimmend oder nicht), wie er wollte. Es geht also nicht hauptsächlich (bzw. vorrangig) um eine Spekulation über die Überschneidungen zwischen Rühmanns inszenierter Regiepersönlichkeit (Rühmann als Filmemacher, besonders: Regisseur, und weniger Darsteller) und seiner „wahren“ davon abgelösten „realen“ (unabhängig davon ob sowas überhaupt denkbar, bzw. vertretbar ist). Dass dies natürlich teilweise automatisch mit hereinspielt (ob ich will oder nicht) ergibt sich aber natürlich von selbst.

    Allgemein möchte ich mich deshalb auch gar nicht aus einer Debatte um Rühmann als Menschen herumdrücken, sondern habe lediglich nicht allzuviel dazu beizusteuern. Mir ging es halt eher um den Film.

    @Beide

    Bei den letzten 4 Kommentaren komme ich leider nicht mehr ganz mit.

  10. Algol on Januar 19th, 2012 at 11:04

    „Der Film (oder jegliche sonstige Kunst) aus meiner Sicht also zu Propagandazwecken gänzlich ungeeignet ist.“

    Naja – bekanntlich ist nichts so gut geeignet für Propaganda wie der Film. Film ist eine Kunstform, aber nicht jeder Film ist ein Kunstwerk. Der Film ist da, wo er Propaganda ist, nicht mehr Kunst und umgekehrt – und selbst hier ist die Grenze manchmal schwer zu ziehen. In dieser Hinsicht finde ich schon vieles von anerkannten Meistern wie Eisenstein und Riefenstahl schwierig einzuordnen, es ist optisch effektvoll, grandios komponiert, virtuos montiert, aber es ist auch etwas hohl und oberflächlich, und transportiert eine Menge „schöner“ Lügen, die durch ihre schöne Verpackung nicht besser oder wahrer werden. Sie schaffen allerdings auch moderne „mobilisierende Mythen“, „Schlachtengemälde“, und das Epische hat immer schon seinen Platz in der Kunst gehabt.

    Andererseits gibt es viele Beispiele von grandiosen Szenen in Propagandafilmen, die über die bloße politische Absicht hinausgehen, sie transzendieren. Um nicht immer von NS- oder Sowjetfilmen zu reden, die berühmte Szene in „Casablanca“, wo das Bar-Orchester die Marsellaise anstimmt, um die „Wacht am Rhein“ (leider haben sie dieses sehr schöne Lied genommen) zu übertönen, ist im wesentlichen Propaganda, aber sie bekommt Tiefe in dem Moment, als man das Gesicht der französischen Kollaborateurin sieht, die nun mit Tränen in den Augen mitsingt.

    An dieser Stelle kann die Kunst oder das künstlerische Element aber auch der Propaganda zugute kommen: ein Beispiel ist sicher der berüchtigte „Jud Süß“, der in mehreren komplizierten Durchgängen so geschliffen wurde, daß er auch für anspruchsvollere Zuschauer einen erheblichen Appeal bekam (den er bis heute hat).

    Es gibt nun Leute, und das geht bis zu Platon zurück, und setzt sich bei Nietzsche fort, die überhaupt die Kunst für eine „schöne Lüge“ halten. Aber das kann nicht richtig sein. Bei Kunst muß es meiner Ansicht nach immer um das Bemühen um eine menschliche, geistige Wahrheit gehen, wenn man diesen Begriff mal zaghaft verwenden darf.

    Viele Künstler in der Geschichte waren der Meinung, daß sich Politik und Kunst im Kern nicht vertragen, denn erstere muß einseitig sein, um zu wirken, die Kunst aber lebt von der Vieldeutigkeit und Widersprüchlichkeit (Du sagst an dieser Stelle: „das Ambivalente“), von ihrer Universalität, während jede politische Sache früher oder später im Moder der Geschichte versinkt. Freilich lege ich hier einen recht strengen Kunstbegriff an, wie ihn etwa Tarkowskij mal formuliert hat, aber der ist derjenige, der am Ende am meisten Substanz hat.

    Aus diesem Blickwinkel finde ich die Frage nach der Moral oder menschlichen Integrität des Künstlers eigentlich unerheblich für die Bewertung seines Werkes. Denn der Künstler als Person vergeht, das Werk aber bleibt. Bunuel meinte einmal deftig und sinngemäß, alle Künstler, die er kenne, seien Hurensöhne, Arschlöcher, Egozentriker, und da ist gewiß etwas dran. Und selbst die Maßstäbe, mit denen er bewertet wird, wandeln sich. Und ich muß nun auch an die Kuckucksuhr-Rede des „dritten Mann“ denken!

  11. Algol on Januar 19th, 2012 at 11:08

    Irgendwie schon lustig, daß sich solche Diskussionen an einen harmlosen und nicht allzu bedeutenden Film anschließen… 😉

  12. Sano on Januar 24th, 2012 at 20:22

    @ Algol

    Ich schreibe ja möglichst oft „aus meiner Sicht“, „meiner Meinung nach“, etc. pp. um das jetzt (und auch sonst in den meisten meiner Texte) nicht so aussehen zu lassen, als würde ich eine mögliche objektive Einordnung zulassen (ich lehne jegliche Objektivität in der Kunst strikt ab) oder den Leser bevormunden wollen. Dass im 20. Jahrhundert die weitverbreitete Meinung vorherrschte, Film ließe sich wunderbar zu Propagandazwecken einsetzen, ist mir auch bekannt. Und dass Film propagandistisch wirken kann auch. Aber meiner Meinung nach kann alles propagandistisch wirken (die Aussage meines Sitznachbarn in der U-Bahn auch), wenn ich (als Individuum) etwas so aufnehme. Da Film als Kunstform meiner Meinung nach aber zu den komplexesten und vielschichtigsten gehört (oder zumindest nicht weniger uneindeutig ist wie andere Kunstformen), Propaganda sich in den meisten Fällen aber auf eindeutig einordbare Aussagen oder Botschaften zu stützen versucht, kann so ein unterfangen meiner Meinung nach im Film nicht gelingen. Film ist für mich eben kein „Transportmittel“ FÜR etwas anderes, sondern ein Medium, eine Aussage an sich. Etwas vorsichtiger formuliert könnte ich auch sagen: ich habe noch keinen (erfolgreichen) Propagandafilm gesehen, und kann mir nicht vorstellen, wie dieser aussehen könnte. Dem steht einfach die Informationsvielfalt des filmischen Bildes entgegen, sowie die reflektionsfähigktei eines jeden Zuschauers. Wenn sich jemand also von einem Film „beeinflussen“ lässt, so liegt das – kurz gesagt – meiner Meinung nach am Zuschauer, nicht am Film.

    Zum Kunstbegriff: Da gibt es sicher auch viele Positionen. Meiner Meinung nach ist jeder Film, automatisch (da er ein Film ist) Kunst. Also auch Omas dreiminütige verwackelte Aufnahme ihres Enkels. Kunst ist für mich also kein (reines) Qualitätsurteil, sondern dem Medium Film vorangestellt, also ihm inhärent. Dafür braucht es keinen reflektierten Umgang des Filmenden mit dem Medium – ein Knopfdruck (ähnlich dem Photoapparat) genügt meist völlig. Die Beurteilung liegt nun beim Rezipienten (zu dem der Filmemacher als Zuschauer eines von ihm hergestellten Films auch immer wird) und kann nach vielen rein subjektiven Faktoren zu den unterschiedlichsten Ergebnissen (sprich: Meinungen, Anschauungen, etc.) führen. Soviel kurz auch dazu. Zum berüchtigten JUD SÜß würde ich zum Beispiel sagen (rein auf meine Rezeption bezogen): Ich fand den Film sehr gelungen, dass Ende hat mich sehr berührt, und der Film gefällt mir prinzipiell sehr gut. Als Nazipropaganda hat er aber für mich(!) nicht funktioniert. Ich war eher auf der Seite von Ferdinand Marians Figur, und fand das Ende deshalb erschütternd, weil die heuchlerische Doppelmoral der Stadtbewohner aufgedeckt wird, und sie sich am Ende als die eigentlichen Monster und Ungetüme zeigen. Das kann nicht im Sinne der Nazis gewesen sein, aber so habe ich reagiert (dieser Film hat also meine Abscheu vor dem NS-Regime nur noch verstärkt). Das ist für mich aber kein „gegen-den-Strich“-lesen, sondern das Ergebnis der Interaktion zwischen mir als Zuschauer und dem Film. Bei Levys „Mein Führer“ musste ich hingegen den Kinosaal verlassen. Das liegt sicher nicht an der politischen (oder sonstigen Weltanschaulichen) Einstellung des Regisseurs (ich vermute mal stark, dass ich mich mit Levy sehr gut, und mit Harlan vermutlich gar nicht verstehen würde), sondern einfach am autonomen Film, und an der individuellen Rezeption dieses Films, die bei jedem Zuschauer sicher anders ausfällt – und natürlich auch in der historischen Verortung einer Rezeptionssituation. Wir können einen Film „heute“ nicht so sehen, wie er „damals“ vielleicht gewirkt haben mag. Genausowenig können wir aber eine „damalige“ Wirkung meiner Meinung nach eindeutig auf bestimmte „Tatsachen“ herunterbrechen. Dem Film ist es also meiner Meinung nach wurscht, was „die Macher“ mit ihm vorhatten. Kunst ist von ihren Grundlagen her autonom, unabhängig, im Sinne der Tatsache, dass es keine Regeln gibt, die anzuwenden ein bestimmtes Resultat ergeben würde. Der Traum Hitchcocks, dass man im Idealfall die Emotionen der Zuschauer direkt „anzapfen“ und bewusst lenken könnte, ist daher meiner Meinung nach nicht umsetzbar. Zumindest nicht in der Kunstform Film.

    Für mich wiederum speisen sich die ergiebigsten, interessantesten, besten Filme vielfach aus Widersprüchen. Daher können „Propagandafilme“ von Riefenstahl, Eisenstein und Ähnliches auch dennoch, trotzdem, oder eben gerade DESHALB großartig sein. Weil sie voller Widersprüche sind. Ich finde alles was ich bisher von z.B. diesen 2 Filmemachern kenne auf bestimmten Ebenen auch sehr platt und hohl – auf anderen aber wiederum nicht. Über die bloße politische Absicht hinausgehen tun für mich aber alle Filmszenen. Automatisch. Daher finde ich es nur am Rande interessant, welche politische Botschaft ein Film transportieren wollte, bzw. was das Ziel der Filmemacher war. Denn so etwas lässt sich im Film (eindeutig, klar erkennbar) meiner Meinung nach nicht umsetzen. Der Film an sich macht das unmöglich. Die Formulierung von Nietzsche und Co. der Kunst als „schöne Lüge“ finde ich da auch gar nicht unpassend. Ausgehend von 2 berühmten Aussagen würde ich sagen: Film ist 24 Sekunden in der Minute Wahrheit UND Film ist 24 Sekunden in der Minute Lüge. Lüge und Wahrheit. Diese (und andere moralischen) Begriffe greifen meiner Meinung nach nicht in der Kunst, beziehungsweise sind alle immer zur gleichen zeit (und in gleichem Maße) vorhanden.

    Als Fazit ließe sich vielleicht sagen, wir sollten uns weniger Gedanken über die (schändliche oder ehrenhafte) Kunst, als über den Menschen machen. Bezüglich jüngster Debatten um Amokläufer und Killerspiele hieße das für mich: An den Killerspielen kann es nicht liegen.

    Deinen letzten Absatz unterschreibe ich zu 100%. Der Regisseur mag für mich das größte Arschloch sein, seine Absichten die er mit seinen Filmen verfolgt die schlimmsten, und doch kann es sein, dass ich ihn zu den besten Filmkünstlern (auch gegen seine Intentionen und eigenen Vorstellungen seiner Arbeit gegenüber) zählen würde. Film ist eben kein Beliebtheitswettbewerb, und die Maßstäbe der Bewertung und Beurteilung liegen in den Händen der Zuschauer (zu denen jeder Filmschöpfer im Endeffekt auch zu zählen ist). Daher muss zumindest ich dir wiederum widersprechen, wenn du schreibst, dass „Der Engel mit dem Saitenspiel“ ein harmloser und nich allzu bedeutender Film wäre. 😉 Für mich ist er einer der besten deutschen Filme die ich kenne, und ist daher auch für diese Reihe besprochen worden. 🙂

  13. Algol on Januar 25th, 2012 at 18:58

    „Da Film als Kunstform meiner Meinung nach aber zu den komplexesten und vielschichtigsten gehört (oder zumindest nicht weniger uneindeutig ist wie andere Kunstformen)“

    Ja, aber nur weil der Film als Kunstform dazu imstande ist (nämlich dann wenn ein echter Künstler am Werk ist), heißt das doch nicht, daß nun jeder beliebige Film „komplex“ und „vielschichtig“ sei. Eher ist das Gegenteil der Fall. Das muß man schon sortieren.

    „…Propaganda sich in den meisten Fällen aber auf eindeutig einordbare Aussagen oder Botschaften zu stützen versucht, kann so ein unterfangen meiner Meinung nach im Film nicht gelingen. “

    Es IST aber gelungen, denn Filme wie „Jud Süß“, „Panzerkreuzer Potemkin“ oder „Mrs. Miniver“ hatten einen erheblichen Propagandaeffekt im Sinne ihrer Macher.
    Außerdem hat sich der Charakter von Propaganda seither wesentlich verändert. Der Ansatz dazu fand sich schon bei Goebbels: je besser die Propaganda „verpackt“ ist, umso weniger sie direkt als solche wahrgenommen wird, umso größere Tiefenwirkung hat sie. Es ist nicht das geringste Problem, und völlig gang und gäbe, „eindeutig einordbare Aussagen“ in eine ansonsten mehrschichtige Handlung zu verpacken. Heute ist das, was man „Propaganda“ nannte, weitaus subtiler und damit durchdringender und wirkungsvoller. In erster Linie geht es wohl um das Steuern der Gefühle (weniger das Vermitteln von klaren Botschaften).

    Weiters funktioniert das heute ja nicht mehr so, daß ein staatliches Ministerium zentral kontrolliert und steuert, welche Filme wozu gedreht werden, schon allein, weil es einen Staat in diesem Sinne nicht mehr gibt. Aber weil Filme eben sehr viel Geld kosten, hängen Filme genauso wie und je von politischen Interessen ab und vom Zeitgeist, der umgekehrt durch sie geformt und beeinflußt wird. Filme beeinflussen den Geschmack und die Weltsicht von Millionen, die so steuerbar wie eh und je sind, sie vermitteln Werte und Geschichtsbilder, konditionieren Affekte, verteilen Gut und Böse, Freund und Feind, treiben Identitätspolitik wie eh und je. Ein Film wie „Girl with the Dragon Tattoo“ ist vollgepackt mit einer (ziemlich extremen) politischen Message, aber das fällt kaum jemandem mehr auf.

    „FIlm ist für mich eben kein “Transportmittel” FÜR etwas anderes, sondern ein Medium, eine Aussage an sich.“

    Man kann doch klar unterscheiden, daß Filme sehr unterschiedliche Aussagen haben. Man kann gern sagen, daß Form und Inhalt einander entsprechen, aber dazu muß ja erst ein Form da sein, und deshalb auch einer, der formt. Das Medium selber ist eindeutig nicht die „Message“, nicht Zweck sondern Ausdrucksmittel, es sei denn man wäre Experimentalfilmer. Daraus folgt auch:

    „Meiner Meinung nach ist jeder Film, automatisch (da er ein Film ist) Kunst. Also auch Omas dreiminütige verwackelte Aufnahme ihres Enkels. Kunst ist für mich also kein (reines) Qualitätsurteil, sondern dem Medium Film vorangestellt, also ihm inhärent. Dafür braucht es keinen reflektiven Umgang des Filmenden mit dem Medium – ein Knopfdruck (ähnlich dem Photoapparat) genügt meist völlig.“

    Wenn das so wäre, dann könnte man sich doch jegliche ästhetische Diskussion ersparen. Der Begriff „Kunst“ wäre völlig überflüssig. Das ganze wird doch erst dann interessant und lohnenswert, wenn man Maßstäbe anlegt, und das tut ja auch letztlich jeder. Und wenn man etwas Gemachtes (lat. ars – artifex ) beurteilt, und nicht etwas bloß Zufälliges. Außerdem kannst du dann auch nicht erklären, wieso der Kubrick-Film nun mehr wert sein soll als das Homevideo der Oma oder „Metropolis“ mehr wert sein soll als ein Amateurfilmchen von Youporn. Genausogut könnte ich sagen, jedes bedruckte Blatt Papier sei Literatur und jeder zufällige Klecks sei Malerei, und jeder Goethe auf der gleichen Stufe wie jeder Konsalik. Da wird das Trägermedium mit seinem Gehalt verwechselt, und der technische Prozeß mit seinem Zweck, seinem formenden Sinn. Daß Kunst unreflektiert entstehen könne, ist ein ziemlich junger, absurder und wenig überzeugender Gedanke. Es liegt doch auf der Hand, daß nur der bewußte Gestaltungswille des Machers den Film zu dem macht, was er ist, und nicht etwa ein Knopfdruck. Da fängt doch unser Interesse erst an, wo einer bewußt etwas anstellt mit der Technik. Die Kunst fängt überhaupt schon in der Steinzeit erst dort an, wo man reflektiert und bewußt einen Gegenstand zu etwas anderem macht.

    Dasselbe gilt, wenn ich das gesamte Urteil nur in die subjektive Seite des Betrachters verlege. Da bin ich doch schnell bei der Methode Pippi Langstrumpf angelangt: „Ich mache mir die Welt, wiedewiedewie sie mir gefällt“. Dann wird es nicht nur langweilig, es zeigt auch keinen großen Respekt vor dem Schöpfer des Werkes, auch nicht vor dem Werk selber, das jedes auf seine Weise etwas mitzuteilen hat, und manchmal muß man sich schwer darum bemühen. Ohne einen gewissen Objektivitätsanspruch könntest du ja auch keine „Widersprüche“ feststellen, das wäre sinnlos, wenn alles nur im Auge des Betrachters läge.

    „Als Nazipropaganda hat er aber für mich(!) nicht funktioniert.“

    Das geht heute den meisten Menschen so, und das hat ja einen guten Grund:
    wir sehen diese Filme heute in einem völlig veränderten historischen Kontext, mit einem völlig anderen Hintergrundwissen, Sensibilität und historischen Bewußtsein als der Zuschauer von 1940. Da spielt dann natürlich auch hinein, was wir heute über Antisemitismus, NS-Filme etc denken. Wenn Du nun schreibst „Ich war eher auf der Seite von Ferdinand Marians Figur, und fand das Ende deshalb erschütternd, weil die heuchlerische Doppelmoral der Stadtbewohner aufgedeckt wird, und sie sich am Ende als die eigentlichen Monster und Ungetüme zeigen“, dann hast Du tatsächlich Deinen eigenen, zweiten Film darüber projiziert, denn ich kann mir schwer vorstellen, daß jemand, der dem folgt, was der Film eindeutig und unmißverständlich erzählt, ernsthaft auf Süß‘ Seite stehen kann. Auch wird keineswegs „die heuchlerische Doppelmoral der Stadtbewohner aufgedeckt“, an keiner Stelle. Selbstverständlich hast Du hier „gegen den Strich gelesen“, und das kann nicht genügen, wenn man die Intentionen des Films und seinen künstlerischen Wert beurteilen will.

    Daraus folgt auch, daß man schlecht von „Lüge und Wahrheit“ sprechen kann, wenn man nicht unterscheiden will, was was ist. Das ist analog zum Trennen der Kunst von der Nicht-Kunst. Ansonsten gerät man in die komplette Beliebigkeit hinein.

  14. Sano on Januar 26th, 2012 at 00:30

    Sehe ich alles wohl etwas anders. Daher ja auch mein vorheriger Kommentar.

    Film hat meiner Meinung nach eben nicht das Potential komplex und vielfältig zu sein, sondern ist es bereits von seinen Grundlagen her (auch wenn wir beim „regulären“ Kino bleiben, und Experimentalfilme außen vor lassen). Das Potential liegt demnach darin, diese Vielschichtigkeit beliebig steigern zu können. Und das machen dann interessante und fähige Künstler: noch mehr reinzubringen als sowieso schon da ist. Mit Aussagen und Meinungen hat das zunächst einmal wenig zu tun. Ich denke da in der Analogie Ton/Klang und Bild, da ja Kino auf der auditiven Ebene aus Klangfolgen und auf der visuellen aus Bildfolgen besteht. Diese sind aber wie gesagt an sich schon komplex. Ein Filmemacher muss eben nicht (und tut es in der Regel auch nicht – ausgenommen vielleicht Experimentalfilme) rein mit der weißen Leinwand anfangen, oder mit Buchstaben, sondern hat durch die Apparaturen Kamera und Mikrofon relativ schnell und unproblematisch und ohne persönlichen Eingriff ein Bild und einen Ton zur Hand. Dass er damit viel machen kann, steht außer Frage. Muss er aber nicht. Ist eben (meiner Meinung nach) auch so schon Kunst, also etwas das einen künstlerischen Ausdruck darstellt, ob bewusst oder unbewusst (ich kann mich als Filmemacher ja auch bewusst entscheiden – siehe z.B. Dokumentarfilme – „einfach nur“ das zu Filmen, was ich vorfinde. Natürlich ist sowas automatisch geformt durch Ausschnittswahl, Kamerawahl, etc. pp. Ein Ungeschulter kann sowas aber auch vollbringen. Und jeder Mensch wird es automatisch anders machen. Das spricht jetzt aber nicht für oder gegen Jemanden. Im Film ist also prinzipiell Konsalik auf einer Ebene mit Goethe. Das meine ich mit Film ist kein Transportmedium. Es transportiert eben in erster Linie Bilder (Farben, Licht) und Klänge, und erst danach so etwas wie bewusste Aussagen, Botschaften. Ein Baum ist auch in jedem Film in erster Linie ein Baum. Egal für was er jetzt stehen soll oder was er symbolisieren soll. Dass Filme etwas vermitteln bestreite ich so also gar nicht. Nur, dass das was sie vermitteln in irgendeiner Form für alle ähnlich klar erkennbar sein soll: Das ist für mich Mummpitz.

    Wenn du zum Beispiel schreibst „Ein Film wie “Girl with the Dragon Tattoo” ist vollgepackt mit einer (ziemlich extremen) politischen Message, aber das fällt kaum jemandem mehr auf.“ ergibt sich daraus für mich ein Widerspruch, der wieder auf andere Dinge verweist. Aber es ist ein Widerspruch des Zuschauers (oder genauer gesagt deiner). Jemand anderes wird in dem Film etwas anderes entdecken. Und aufdecken, was ein Film wirklich sagt kann man nicht. Da er eben nicht spricht. Nicht urteilt. Jedenfalls nicht so. Eine Aussage die zum Beispiel eine Figur in einem Film macht, kann ich annehmen oder ablehnen. Ob ich das tue liegt aber an mir. Nicht am Film. Ich vertrete allgemein die Meinung, dass das Kunstwerk unabhängig vom Künstler ist, und für mich auch größere Priorität besitzt (also auf gewisse Art auch über dem Künstler steht, mehr weiß und ist, als er). Das ist eben Kunst. Das heißt für mich Kunst. Der Künstler ist nach, während, und vor seinem Schaffensprozess auch nur Zuschauer. Und kann auch nur seine Sicht der Dinge vermitteln. Deine (oder meine) Meinung zu einem Film finde ich persönlich also genauso relevant, wie die der Macher. Eine Meinung, eine Auffassung, unter Vielen. Wenn ich wissen will was mir eine Person zu sagen hat, dann unterhalte ich mich mit ihr, treffe sie, höre ihr zu. Durch ein Kunstwerk konstruiere ich mir die Künstlerpersönlichkeit in einem größeren Maße selbst. Und wenn ich will kann ich auf diese Konstruktion auch verzichten. Vor allem im Film, wo bekanntlich nicht der einsame Schriftsteller vor dem leeren Blatt Papier mit sich ringt.

    Das klingt in meinen Ausführungen sicher alles stark vereinfacht. Vielleicht bringt es mehr, wenn ich sage, dass die Bedeutung, der Wert, die Qualität, die Intensität (und was man noch so positiv konnotiert erleben kann) in der Interaktion zwischen Zuschauer und Film entsteht. Der Künstler ist dabei nicht vorhanden, oder nur als Spur, als Abdruck, als Geist. Aus meiner Begegnung mit dem Film ziehe ich dann Schlussfolgerungen. So ist eben unser Geist: Wir versuchen alles irgendwie zu rationalisieren, zu erklären, einzuordnen. Auch die Tatsache, dass wir eigentlich oft zwei Stunden dagesessen haben, und in der Dunkelheit Licht auf der Leinwand zugesehen haben. Kunst und Rezeption haben daher was mit Phantasie zu tun. Einen Film „falsch“ verstehen kann ich gar nicht, kann „man“ gar nicht, kann niemand. Denn wenn mir jemand (selbst wenn es der Filmemacher selbst ist) erklärt, wie ich ihn hätte sehen sollen, oder beim nächsten mal sehen sollte, so hat das mit dem Film selbst wiederum erst einmal nichts zu tun. Das Erlebnis, das Gespräch, die Erfahrung, die ich mit einem Film gemacht habe, wird dadurch nicht ungültig, nicht wahr oder falsch. Kunst ist eben frei von Moral.

    Ich denke wir haben da wirklich sehr verschiedene Sichtweisen und Herangehensweisen. Du schreibst: „Wenn das so wäre, dann könnte man sich doch jegliche ästhetische Diskussion ersparen. Der Begriff “Kunst” wäre völlig überflüssig. Das ganze wird doch erst dann interessant und lohnenswert, wenn man Maßstäbe anlegt, und das tut ja auch letztlich jeder.“ Den Begriff Kunst finde ich persönlich in der Tat überflüssig, da wie gesagt jeder Film für mich gleichermaßen Kunst ist. Wie jeder Mensch für mich gleichermaßen Mensch ist. Oder Jede Zahnbürste gleichermaßen Zahnbürste. Darüber müssen wir nicht reden. Das setze ich halt voraus. Dass das andere Menschen anders sehen ist mir aber bewusst. Das widerlegt meine Ansichten aber nicht, oder macht sie auch nicht weniger gültig. Diskutieren ist (wie man ja hier sieht) dennoch interessant. Zumindest empfinde ich das so. Eine Diskussion ist für mich auch so, als Diskussion interessant. Vielleicht sehen wir das (auch) anders. Eine Diskussion muss aber für mich nicht zu einem Resultat führen. Eine Erkenntnis ergibt sich ja schon zwangsweise aus der Diskussion selbst. Maßstäbe setzen wir ja alle als in dieser Hinsicht konditionierte bzw. veranlagte kulturelle Wesen an. Die fallen auch nicht weg, wenn man sie innerhalb der Kunst wegfallen lässt. Denn da gibt es meiner Meinung nch keine Maßstäbe. KEINE. Es gibt für mich keinen einzigen halbwegs objektivierbaren Grund, warum etwa Metropolis besser, wertvoller, oder was auch immer sein sollte, als die Ferienaufnahmen meines Nachbarn. Die Beurteilung darüber ist jedem selbst überlassen, findet ja auch ständig statt, und wird in so etwas wie „öffentlicher Meinung“ (oder auch der sogenannten „Kritikermeinung“) klar. Die kann sich aber genauso wandeln.

    Bei Jud Süß würde ich dir insofern entgegenkommen, dass ich natürlich aus heutiger Sicht den Einfluss des Films auf die damaligen Personen schwer nachvollziehen kann. Muss ich aber auch nicht. Dazu gibt es ja genügend Aussagen und Informationen. Dass der Film damals propagandistisch erfolgreich war, zeigt aber nicht, dass er das grundsätzlich ist, bzw. dass dies in irgendeiner Form in ihm angelegt ist. Ich bin sicher, wenn sich damals eine jüdische Bevölkerung den Film angesehen hat, sie ganz und gar nicht zu den gleichen emotionalen Reaktionen gekommen ist, als eine Bevölkerung die den Nationalsozialisten nahe stand. Das ist für mich ebenfalls eine Tatsache. Und darus MUSS ich ja beinahe schlussfolgern, dass der Film selbst also nichts IST. Jedenfalls nichst Eindeutiges. Und ich dreh mich hier im kreis, aber nochmal: Ein Film – wie jedes Kunstwerk – ist auch nie „abgeschlossen“ oder zu Ende rezipiert, sondern wird, solange er existiert, immer wieder aufs Neue gesehen. Wenn ich mir zum Beispiel die Mona Lisa anschaue, geht das auch ohne Vorkenntnisse der damaligen Zeit. Ich kann mir auch als Laie ein Urteil bilden. Zwar kein Historisches, aber ein Ästhetisches. Da funktioniert die „Methode Pippi Langstrumpf“ tatsächlich. Denn diese Methode ist auch Grundlage der Kunst an sich: Zwar bin ich als Person immer von meiner Umwelt, meiner Veranlagung, meiner Zeit und Ähnlichem geprägt; wie die Kunst eines Künstlers im Endeffekt aussieht, bestimmt aber immer noch er, und zwar potentiell beliebig. Dem Rezipienten diese mögliche Freiheit der Kunst in seiner Rezeption wiederum abzusprechen finde ich im Umkehrschluss fragwürdig. Und beliebig sind Wirkungen (oder Meinungen über Wirkungen) ja keinesfalls. Eben nur individuell, unterschiedlich, und schwer vorhersehbar. Widersprüche erkennt man dabei auch ohne Objektivitätsanspruch. Zwei subjektive Perspektiven können sich widersprechen. Das reicht.

    Vielleicht laufen meine Ausführungen zu sehr darauf hinaus, dass der Film denkt, der Film ein eigenes Bewusstsein hat, u.ä. Also in etwa wie Gott den Menschen geschaffen hat, so schafft der Künstler die Kunst. Und Gott zu fragen, was er sich dabei gedacht hat hilft da nicht viel (alles als Metapher gesprochen). Daher tendiere ich ja auch eher zu der Ansicht, dass der Zuschauer als einzige vorhandene Instanz bestimmt, was er mit dem Gegenstand macht. Der Film kann sich nicht wehren, muss es aber auch nicht, will es auch nicht. Er will gar nichts. Es sind immer wir, die wollen.

    Und ich will eben keine Trennung von Kunst und Nicht-Kunst bzw. kann mit so einer Vorstellung nichts anfangen. Ich weiß in etwa, was du meinst, und glaube mich in deine Position hineinversetzen zu können. Sie ist aber nicht die meinige. Daher ist es mir auch unmöglich in diesem Kontext von Lüge und Wahrheit zu sprechen. Genauer: Ich weiß vielleicht, was Veit Harlan mit Jud Süß erreichen will (bzw. wollte), ich weiß vielleicht was die Nazis damit wollten. Ich weiß wie (viele) verschiedene Menschen mit dem Film umgegangen sind, mit ihm umgehen, und wie ich auch mit ihm umgehen könnte. All das kann ich beurteilen, und zu all dem kann ich mich klar positionieren. Nur der Film selbst, der will und tut und kann nach meiner Auffasung gar nichts. Ist also ohnmächtig und allmächtig zugleich. Ist also Kunst. Ob ich will oder nicht. Und was mich primär in allen meinen Texten interessiert, ist meine (möglichst unvoreingenommene) Begegnung mit dem Film zu schildern, und die Schlussfolgerungen, die sich für mich daraus ergeben. Das tue ich jetzt auch mit meinen Kommentaren. Der Diskurs der über einen Film besteht interessiert mich dabei natürlich auch. Ist aber wiederum selbst nicht der Film, und kann diesen auch nicht ersetzen. Dann bräuchte es den Film ja gar nicht. Wozu also Film? Was ist Film?
    Für mich ist Filme schauen eine andere Form des erlebens (wie Musikhören ja zum Beispiel auch), die mit meiner Realität zusammenhängt, und ja, auch insofern real ist, als sie einen Teil derselbsen darstellt. Sie ist aber ein anders gearteter Prozess als der der künstlerischen Schöpfung.

    Mich würde in dieser Hinsicht interessieren, wie du zum Beispiel einen Tod im Film wahrnimmst? Wenn zum Beispiel jemand erschossen wird? Für denjenigen der die Szene dreht ist es in dem Moment absolut relevant, ob jemand wirklich erschossen wird oder ob es nur gespielt ist. Für unsere Wahrnehmung als Zuschauer jedoch eher nicht. Der Tod findet ja für uns in jedem Fall statt. Wir haben uns natürlich um dieser Notsituation zu entgehen Kategorien wie „fiktional“ oder „dokumentarisch“ zurechtgelegt. Das beschreibt aber eher die Produktions- und Herangehensweise. Nicht aber die Rezeptionsweise. Mein Problem mit deinem Argument der Absicht, Eindeutigkeit, und der Kategorisierbarkeit von Kunst ist die Tatsache, dass wir ja eigentlich aus Erfahrung schon von Anfang an vieles „falsch“ verstehen, nicht „alles“ sofort, und oft auch nach mehrmaligem Anschauen nicht klar, erkennen können – was der Filmemacher denn jetzt genau wollte. In sogenannten „qualitativ hochwertigen“ bzw. allgemein kanonisierten Werken wie beispielsweise „2001“, Ordet oder Persona umso weniger. Wenn wir aber jetzt einfach nur so lange nachfragen und nachforschen müssten, bis wir dem auf den Grund gekommen sind, dann würde ich doch ehrlich sagen, ist der Film als Kunstform für so eine Übermittlung wenig geeignet, bzw. der Künstler ein Versager. Der Film überfordert uns ja permanent durch die Dichte und Vielfalt seiner Eindrücke.
    Ich denke daher grundsätzlich eher, dass Kunst Wege und Möglichkeiten eröffnet, Denkprozesse anregt, Fragen aufwirft, und eben keine Antworten gibt. Dass wir uns daraus wiederum welche zurechtbasteln (nach bestem Wissen und Gewissen) ist aber nur menschlich, und ich kann darin auch schwer etwas Verwerfliches sehen. Was ist denn jetzt so ungenügend daran, wenn ich meine Reaktion auf Jud Süß als das schildere, was sie war: Meine Reaktion. Ich spreche damit den Machern nicht ihre Intentionen ab, und ebensowenig den anderen Zuschauern nicht ihre individuellen (und gerne auch historisch einordbaren) Reaktionen. Dass ich aber deshalb den künstlerischen Wert nicht beurteilen könnte: Das sehe ich dann doch wieder anders.

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