Täglich Underberg und du fühlst dich wohl! – …e per tetto un cielo di stelle (1968)





Glaubt man gängigeren Narrativen, dann ist diese vorgebliche Buddyklamotte einer jener Italowestern, die stark – wichtiger in dieser Wahrnehmung scheint jedoch das Wörtchen „ernst“ – anfangen, nur um dann zunehmend in komödiantischen Ausschreitungen zu versumpfen. Jedoch: Alles nicht wahr, weht in Petronis zweitem Genrebeitrag nach dem ungleich formelhafteren „Da uomo a uomo“ (1967) doch bei genauerem Hinsehen der sardonischste Wind, der je durch die Wildweststädte Almerías pflügen durfte. Zusammengehalten durch die höchstgradig straffe Inszenierung – alle Eskapaden unseres Heldenduos auf Papier niederzuschreiben würde wohl einige Seiten in Anspruch nehmen und doch läuft der Film eine ganze Ecke kürzer als der relativ geradlinige Vorgänger oder Nachfolger „Tepepa“ (1969) – wechseln sich Heiterkeit und Trübsinn in fröhlichster Vollendung ab.

Wahrscheinlichkeitskalkulationen sogleich in ihre Schranken weisend ordnet sich dabei alles streng einem einzigen Motiv unter: Vor den Schattenseiten des Lebens gibt es kein Entkommen! Läuft gerade alles feinst, fällt der Szenenabfolge schon allzu bald wieder ein, dass es so ja nicht weitergehen kann. Die Amigos des sich wohl eher in den komischen Teil verliebt habenden deutschen Titels sind zwei unreife Jungs, die die Tragweite ihrer Handlungen stets ein Stück zu weit verkennen. Mario Adorfs liebenswürdiger Tor bringt dafür eine quasi systemimmanente Entschuldigung mit – der nach Eigenauskunft reformierte Bandit Giuliano Gemmas hingegen nicht. Er ist eine der idiosynkratischsten, weil mit Gusto unsymphatischsten Figuren des Genres, das nicht selten abgebrühte Anti-Helden antäuschte, nur um dann doch heimlich kümmernde abzuliefern. Existierend irgendwo zwischen den bigotten Polen des aus freien Stücken abgelegten Schießeisens sowie der bemerkenswerten, durch keinerlei geistige Akrobatiken getrübten Fähigkeit doch noch Tod und Verzweiflung zu Unschuldigen ins Haus zu locken. Oder eben in die Kutschen, die Alpha und Omega dieses Sternenhimmels verbinden zu scheinen. Nicht eine Silbe wird je über die Identitäten jener Unglückseligen verloren, deren improvisiertes Begräbnis Billy und Harry in der möglicherweise anrührendsten Eröffnungssequenz des italienischen Westens erstmals aufeinander treffen lässt. Sie bleiben allein Chiffre für die kurz offenbarte wehmütige Seite des Mannes, der an ihrer statt hätte sterben sollen. Waren auch sie ausgelutschte, dann doch wieder für Freundschaftsdienste -genutzte Partner wie das kleine Varieté, das dem Abwärtsstrudel einer abermaligen Kutschfahrt – von ihnen scheint hier, Adorfs verunglückter Selbstermächtigungsversuch via Lohngeldraub unterstreicht es nur mehr, wahrlich nichts Gutes zu kommen – letztlich nicht zu entkommen vermag?

Ein klein wenig ähnelt der Lauf der Dinge in Petronis Film einem Schlüsselring, an welchem man die Öse vergessen hat – Glück führt zu Leid, eines zum anderen, alles in rein oberflächlicher Variation erneut zum Ausgangspunkt. Beträte man nach einem oder gar zwei Dritteln der Spieldauer erst den Kinosaal – es würde doch alles seinen Sinn ergeben. „…e per tetto un cielo di stelle“ ist der Film, der Jesús Francos zufälligerweise als verschollen geltender „Sex Charade“ (1969) angeblich war. Eine Aneinanderreihung von Vignetten, nur lose – hier durch den ausgeprägten, schlussendlich allerdings austauschbaren Rachedurst Gemmas alter Kumpane – verknüpft, für chronische Zuspätkommer bei jedem Sichtungsversuch neue Schichten freilegend. Vor irgendetwas muss man im Leben stets Reißaus nehmen, nicht selten steckt man jedoch auch selbst mit dahinter – kaum ein anderer Film dürfte dies derart unbarmherzig ausformulieren. Natürlich ist die Schurkenbande am Ende tot, selbstverständlich der gemeinsame Ritt in den Sonnenuntergang obligat – doch was ist denn mit den zerschossenen Einrichtungsträumen, die man zuvor schäbig beim Krämer für Unsummen hat anschreiben lassen? Mit den Kaninchen, für deren Züchtung man sich widerwillig doch entschied? Mit den einzigen Menschen, mit denen man zumindest eine Ahnung von notgedrungener Freundschaft verband und deren Tod durch simple Assoziierung doch nie Widerhall fand bis in die zu Fetzen gesprengten Wunschvorstellung der eigenen kleinen Farm, des bürgerlichen Lebens?

Auf einer Bitterkeitsskala zwischen Underberg und Boonekamp schlägt Petroni dem kleinen Glasfläschen kurzerhand den Boden aus, gesellt er sich zu der anderen zutiefst grummeligen Bestandsaufnahme menschlicher Fehlerketten durch das allein vordergründig wohlgesonnene, in Wahrheit schmerzhaft zugekniffene Auge des Satirikers – Wes Cravens „The Last House on the Left“ (1972). Billy und Harry – sie sind Brüder im Geiste der stoisch von Fettnäpfchen zu Fettnäpfchen tapsenden Dorfpolizisten. Auch nach dem Ende des filmisch aufgearbeiteten Figurenlebens ziehen sie wohl bis zum heutigen Tage noch weiter auf der Suche nach der einen Chance, es alles geradezubiegen – als bizarre Freakshow im Zirkuszelt oder auf dem Hühnerwagen, als formvollendete Verkörperung jener Kraft, die Gutes will und Böses schafft. Die einzige Klamotte hier ist das Leben.


…e per tetto un cielo di stelle – Italien 1968 – 97 Minuten – Regie: Giulio Petroni – Produktion: Gianni Hecht Lucari – Drehbuch: Alberto Areal, Mariano Laurenti – Kamera: Carlo Carlini – Schnitt: Enzo Alabiso – Musik: Ennio Morricone – Darsteller: Giuliano Gemma, Mario Adorf, Julie Menard, Sandro Dori, Federico Boido u.v.a.


Dieser Beitrag wurde am Mittwoch, März 6th, 2019 in den Kategorien Ältere Texte, André Malberg, Blog, Blogautoren, Filmbesprechungen veröffentlicht. Sie können alle Kommentare zu diesem Beitrag über den RSS 2.0 Feed verfolgen. Sie können diesen Beitrag kommentieren, oder einen Trackback von ihrer eigenen Seite setzen.

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