Rocker sterben nicht so leicht (1971)



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Entfremdetes „upper class“-Pärchen fährt ans Meer, um das Wochenende im eigenen Strandhaus zu verbringen. Er (Riccardo Salvino) ein luschiger, pedantischer und dumpfer Spießer wie er im Buche steht, Sie (Mara Maryl) frustriert und apathisch nach Jahren trister bürgerliche Ehe-Routine, die offensichtlich nicht in ihrem Sinne war. Doch just nach einer besonders unromantischen, mechanischen „Liebesnacht“ naht eine Brise, die frischen Wind ins Eheleben bringen wird: Ein Quartett von grimmig dreinschauenden Rockern bzw. Bikern (…) steht vor der Tür und verliert keine Zeit: Noch vor dem Frühstück bekommt der brave Hubby eine Faust in die nüchterne Magengrube und die kratzbürstige Ehefrau einen ganz und gar unerwünschten Besucher in ihr Bett. Doch das Blatt wendet sich schnell, denn Sie entdeckt in Fred (Robert Hoffmann), dem Anführer der Gang, all ihre seit Jahren ungestillten Sehnsüchte nach Freiheit und einem Leben ohne betäubende Gleichmäßigkeit. Das passt ihrem Gatten, der sich bisher ängstlich winselnd in die Ecke hat drängen lassen, natürlich gar nicht und er beginnt nach allen Regeln der Kunst zu intrigieren, um die haltlosen Rauhbeine gegeneinander auszuspielen…

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Zwar liest sich das wie ein typischer 70iger-Exploitation-Reißer und ist kommerziellerweise – zumindest dem Drehbuch nach – auch wieder einmal in den USA angesiedelt, doch angesichts des heute vielleicht ein wenig unverhältnismäßig aus dem Ruder laufenden Kultes um die ausgezeichneten, aber sicherlich nicht ungewöhnlich brillianten Gialli von Sergio Martino, für deren Drehbücher er sich verantwortlich zeichnete, wird gerne vergessen: Ernesto Gastaldi war unter den Drehbuchveteranen des italienischen Genrekinos kein wortwörtlicher Schmierfink wie z. B. Piero Regnoli und auch nicht ganz so sehr routinierter Fleißarbeiter wie eine Generation nach ihm Dardano Sacchetti sondern zeigte außerhalb des Giallo-Genres mitunter trotz seiner Solidarität zum Genrefilm erstaunliche Anwandlungen in Richtung jenes trotzigen bis wütenden, antibürgerlichen bis radikal politischen, linken Kinos wie es in Italien Ende der 60iger bis Mitte der 70iger Jahre Hochkonjunktur hatte. Sehr verschieden aber in kongenialer ethischer Verwandtschaft repräsentiert unter anderem durch Regisseure wie Antonio Pietrangeli, Elio Petri (an dessen LA DECIMA VITTIMA Gastaldi mitarbeitete), Mario Monicelli und Damiano Damiani (mit dem Gastaldi in den 80igern PIZZA CONNECTION schrieb). Zu diesen Filmen gehörte unter anderem auch der von Gastaldi geschriebene provokative, grelle „Gesellschaftsschocker“ FANGO BOLLENTE (1975) von Vittorio Salerno – der die Story zum vorliegenden LA LUNGA SPIAGGIA FREDDA („Der lange, kalte Strand“) beisteuerte.

Ein besonders subtiler oder meditativer Film ist das nicht geworden – aber er ist in zweierlei Hinsicht höchst bemerkenswert: Zum einen erweist sich Gastaldi, der von über hundert Drehbüchern bzw. Drehbuchmitarbeiten nur sechs selbst inszenierte, als begnadeter Filmemacher, der die rohe, erfrischend klare Schlichtheit eines Samuel Fuller mit der für das italienische Genrekino dieser Zeit charakteristischen, sinnlichen Stilisierung und romantizistischen Übertreibung verknüpft und sein Scope-Bild begeistert mit an den Italowestern gemahnenden, extremen Bildkompositionen füllt, ins goldene Licht der am fernen Horizont ins Meer sinkenden Sonne getaucht. Tatsächlich steht Gastaldis filmische Fertigkeit – die Fertigkeit, innerhalb einfacher Genre-Strukturen primär mit der Kamera zu erzählen – jenen Regisseuren, die seinen Namen unter Verehrern des Italokinos im Besonderen bis heute bekannt gemacht haben, Sergio Martino und Umberto Lenzi, in nichts nach. Das alte Klischee vom Drehbuchautoren, der am Set zum mit dem Medium Film überforderten Theaterregisseur mutiert, erweist sich hier als eben solches. Gastaldis Regie ist wunderbar konzentriert, präzise und entspannt, wirkt mitunter auch frischer als die zahlreicher auf Dauer zur Routine verdammten Kollegen, die seine Drehbücher verfilmten.

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So konzentriert, dass es ihm geglückt ist, mit seinem grenzwertigen Stoff auf dem schmalen Grat zwischen schmieriger Exploitation und breitem Melodram die Balance zu halten. Die eröffnende, wortkarge Autofahrt von Jane und Jonathan stellt von vornherein klar: Die Charaktere dieses Films werden in erster Linie bildhafte Sammlungen von Neurosen sein, die Gastaldi für exemplarisch, für zeitgemäße Phänomene einer Gesellschaftsschicht hält – nichtsdestotrotz kippt der maritime Mikrokosmos des Films nie ins Trashige oder in genuine Kolportage um, nicht einmal in seinen brenzligsten Momenten. Zu jenen zählt zweifelsohne die Vergewaltigung Janes durch Fred, aus der sich eine Liaison der beiden entspinnt. Anstatt daraus genretypischen, chauvinistischen Sleaze zu zimmern, setzt Gastaldi den romantischen Utopien des Pärchens mit rigoroser Konsequenz den wahren Kern ihrer Motivation entgegen: Diese beiden sind so kaputt und ausgezehrt vom jahrelangen Scheitern ihrer Ideale, vom ständigen Schließen verlustreicher Kompromisse und von dem Verlust ihres Selbstbewusstseins an sich, dass sie selbst dieser verqueren, in mehrfacher Hinsicht menschenunwürdigen Situation etwas Ehrenhaftes, etwas Aussichtsreiches, etwas Tröstendes abzugewinnen versuchen – wie das ausgegrenzte, vergewaltigte Mädchen Mouchette in Robert Bressons gleichnamigem Film. Für Jane wird Fred in beinahe grotesker Weise zum strahlenden Symbol des Aufbruchs, der Freiheit während Fred alles daran gelegen ist, die Vergewaltigung als solche vergessen und zu seinen ursprünglich pazifistischen Idealen zurückzufinden, aus dem Teufelskreis der Kriminalität auszubrechen – im Einklang mit Jane und seinen zunehmend unwirschen, eifersüchtigen Kumpanen. Die menschlichen Konstellationen sind hier allesamt jämmerlich, niederträchtig oder, wie im Fall von Freds engstem Freund innerhalb der Bande, Speed (Fabian Cevallos), von verkrüppteltem Vertrauen und Entfremdung geprägt.

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Dieses Konstrukt, diese im zeitgenössischen europäischen Kino dieser Jahre häufig anzutreffende, dramaturgisch ökonomische Konfrontation von Establishment und modernem Freibeutertum ist durchaus nah am Klischee und was Gastaldi damit anstellt ist, wie bereits erwähnt, ein veritabler Tanz auf Messers Schneide. Doch er übersteht ihn, vor allem dank seiner dichten Inszenierung und der auch in der englischen Fassung bestehen bleibenden Qualität seiner Dialoge unbeschadet bis zu seinem deprimierenden Finale welches noch einmal demonstriert, dass hier bei aller Reminiszenz an amerikanische Muster (Sam Peckinpahs STRAW DOGS erschien übrigens tatsächlich erst einige Monate nach Gastaldis Film) die Macht der eigenen Ästhetik überwiegt: LA LUNGA SPIAGGIA FREDDA beginnt wie ein schrill überzeichneter Antonioni-Film und endet wie ein Italowestern – allerdings einer der trockeneren Spielart, wertend, aber nicht verurteilend. Dem Zuschauer bleibt nur noch ein schaler Beigeschmack, emotional tauber Nachhall. Die Figuren sind am Ende des Films noch leerer und desillusionierter als zuvor. Sie sind uns, den Zuschauern, im Verlauf ihrer angestrebten Selbstfindung vollends fremd geworden. Sie haben erkannt, dass sie füreinander nicht der Ausweg sind – und nicht sein können – den sie sich erhofft hatten. Mit dieser Erkenntnis und ohne jede Perspektive lässt Gastaldi sie auf seinem kalten, langen und – hier trifft es die zusätzliche Ausschmückung des englischen Titels („The Lonely, Violent Beach“) sehr genau – einsamen Strand zurück.

LA LUNGA SPIAGGIA FREDDA – Italien 1971. 85 Min. – Regie: Ernesto Gastaldi – Drehbuch: Ernesto Gastaldi, nach einer Idee von Alberto Cardone und Vittorio Salerno – Produktion: Armando Govoni – Kamera: Benito Romano Frattari – Schnitt: Attilio Vincioni – Musik: Stelvio Cipriani

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12 Antworten zu “Rocker sterben nicht so leicht (1971)”

  1. Mr. Vincent Vega on Februar 27th, 2010 at 15:38

    Die Bilder reichen mir schon – lauter hässliche Männer. Bäh.

  2. Christoph on Februar 27th, 2010 at 18:49

    Was ist denn das für ein substanzieller Kommentar? Liebste Gaysha, wenn man nichts in irgendeiner Weise bedeutungsvolles oder zumindest unterhaltsames (z. B. etwas *wirklich* sleaziges) von sich geben kann, sollte man vielleicht einfach mal den pastellfarbenen Schnabel halten, vor allem wenn es sich um ein Kino handelt, dessen Reize sich dir offensichtlich, allen Aussagen deinerseits zufolge, ohnehin gänzlich verschließen.

    Darüber hinaus hätte ich in dem Review durchaus schreiben können, dass das hier der einzige mir bekannte Film mit Robert Hoffmann ist, in dem er wirklich gut aussieht (natürlich die langen Haare und der Bart). Außerdem sind das böse, vergewaltigende und Unschuldige terrorisierende Heteros, die dürfen häßlich sein. Aber das jemandem zu sagen, der bei einer mutmaßlichen Über-Gurke wie „I Love You Phillip Morris“ mit Hottie-Bonus auf 8/10 kommt, hat wohl ohnehin keinen Zweck. Geh‘ lieber wieder zurück ins Solarium oder zur Maniküre und lass mir mein Rocker-Gang Bang.

  3. Mr. Vincent Vega on Februar 27th, 2010 at 19:10

    LOL

    Ich habe den Phillip Morris nicht mal gesehen.

    Aber Thema Sleaze:

    „dass das hier der einzige mir bekannte Film mit Robert Hoffmann ist, in dem er wirklich gut aussieht (natürlich die langen Haare und der Bart)“

    —> Volltreffer! 😀

  4. Christoph on Februar 27th, 2010 at 19:19

    Tja, so geht das.
    Bezgl. Phillip Morris habe ich mich nur auf ein gewisses Posting anderswo bezogen. Das zeigt nur, dass ich mich viel zur sehr mit dir beschäftige.^^
    Meine Kritik war allerdings ernstgemeint. Du spamst. Das ist, um eines deiner unsterblichen Idiome zu verwenden, nicht so geil.

  5. Mr. Vincent Vega on Februar 27th, 2010 at 21:01

    Tzzz, ich werde hier nie wieder kommentieren und auch nie wieder mit dir reden!

  6. Christoph on Februar 28th, 2010 at 23:48

    Das steht dir frei!:-) Natürlich würde es mich unendlich traurig stimmen wenn du hier nicht mehr posten würdest, denn gelegentlich werde ich sicher auch wieder einmal über Hollywood-Filme schreiben und dann würde ich sicherlich auch ein Scharmützel mit dir hoffen, aber deine trivialen kleinen Sticheleien (warum zitierst nicht zur Abwechslung mal Proust oder Genet?) gewinnen leider erst im verbalen Dialog an Potenzial und Unterhaltungswert, mein Lieber. Und reden wirst du schon wieder mit mir, sehr bald, da bin ich mir sicher.;-)

  7. Der Halunke on März 12th, 2010 at 19:42

    Ah, eine Regiearbeit von Ernesto Gastaldi! Sieht sehr interessant aus, der Text macht auch Lust auf den Film.
    Schön, dass hier mal die Drehbuchautoren im Vordergrund stehen, pasiert viel zu selten. Allein im italienischen Kino gibt es ja genug Drehbuchautoren, die Erwähnung verdienen (Tonino Guerra ist da natürlich nur die Spitze des Eisbergs).

    Drehbuchautoren können ja unter Umständen auch „auteurs“ sein (wie Larry Cohen), man muss nur das Buch sinngemäß verfilmen.

    Im italienischen Kino ist es natürlich schwierig, Drehbuchautoren zu finden, die besonders hervorstechen, vor allem wenn ein Film meistens von 2-6 Autoren geschrieben wird (Die „writing credits“ von „Das Wilde Auge“ sind der Wahnsinn: Tonino Guerra, Alberto Moravia, Ugo Pirro, etc.)

  8. Christoph on März 17th, 2010 at 04:44

    Macht Lust auf den Film? Mission accomplished!;-)
    Eigentlich fand ich den Text so mies, das ich ihn überhaupt nicht posten wollte, aber der guten Sache zuliebe habe ich es dann doch getan.

    Ja, gerade im italienischen Kino erscheint die Position der Drehbuchautoren sehr bemerkenswert und es ist oft ausgesprochen schwierig, klare Töne aus dem Schaffen eines einzelnen Autoren zu ziehen – denn in Italien wird, ganz im Gegensatz zu Amerika (bzw. Hollywood) mit der writer’s guild, einfach jeder, der in irgendeiner Weise etwas Wichtiges (manchmal vermutlich nicht einmal das) zum Drehbuch beigetragen hat (teilweise werden ja schon vier bis fünf Leute nur unter „sogetto“ aufgelistet – undenkbar nach den amerikanischen Gewerkschaftsregeln), auch ohne Gezaudere im Vorspann genannt was teilweise zu wahren Monster-Credits führt. Generell finde ich das aber sehr sympathisch; in jedem Fall lesen sich Vorspänne italienischer Filme (zumindest älterer) immer sehr „dankbar“.

    Ernesto Gastaldi ist im italienischen „Genrekino“ sicherlich einer der profiliertesten Autoren und es erstaunt mich immer wieder, wie unterschiedlich die Filme, bei denen ich im Vorspann seinen Namen entdecke, oft sind. Ich bin jetzt sehr scharf auf seine anderen Regie-Arbeiten, vor allem auf LIBIDO und seinen späten Horrorfilm NOTTURNO CON GRIDA von 1981, den er zusammen mit erwähntem Vittorio Salerno (du musst unbedingt FANGO BOLLENTE sehen – er wird dich sicherlich ebenso begeistern wie mich, so wie ich deine Vorlieben kenne) drehte und der als wesentlichen Anreiz eine enorm bizarre Besetzung mitbringt. Leider momentan nicht auffindbar, diese beiden Filme.

    Ein großer Unbekannter ist z. B. ja auch Suso Cecci d’Amico, dessen Namen zwar nur der Eingeweihte kennt, der aber als regelmäßiger Kollaborator von Luchino Visconti, Sergio Sollima, Mario Monicelli, Damiano Damiani und auch dem von uns bereits woanders diskutierten Luigi Bazzoni in Erscheinung getreten ist und somit eine überaus eindrucksvolle Filmographie aufzuweisen hat. Mit Antonioni hat auch mal gearbeitet, genauso wie mit Pasquale Festa Campanile (!). Das finde ich so faszinierend bei den Italienern: Giorgio kennt Salvatore und Salvatore kennt Andrea und Andrea kennt Sergio und Sergio wiederum kennt auch Salvatore, aber auch Mario und so spinnt sich ein unentwirrbares Netz von Freund- und Bekanntschaften sowie auf diesen verschlungenen wegen zustande gekommenen Zusammenarbeiten über die italienische Filmlandschaft, dass unter anderem dazu geführt hat, dass echte Arthouse-Ikonen gelegentlich Abstecher ins Genre- bis Schmuddelkino gemacht haben und echte Sleazer hier und da ihre Chance im „Qualitätskino“ bekamen. Ich sage es ja immer wieder: Nirgendwo ist der Übergang vom guten Geschmack zur ruppigen Gangart so fließend wie im italienischen Kino und genau deshalb zieht es mich schon seit meinem 14. Lebensjahr so magisch und mit unverminderter Intensität an.

    Ein Auteur unter den italienischen Drehbuchautoren ist übrigens Nicola Badalucco, der bei den unterschiedlichen (wenn auch tendenziell immer linken, politisch engagierten) Regisseuren, mit denen er schrieb, immer seine Fußnote hinterließ. Allerdings war das oft eine eher trockene Fußnote und ich möchte nicht ausschließen, dass Damianis Abstieg als Regisseur nicht alleine seine eigene „Schuld“ sondern auch die von Badalucco war. Die beiden waren wie eine Schlange, die sich selbst in den Schwanz gebissen hat, spätestens bei dem laschen L’AVVERTIMENTO, bei dem sie sich nur noch um sich selbst und ihre selbstauferlegte politische Mission drehen (wenn man bedenkt, dass sie noch zwei Jahre vorher nach dem bereits schon sehr trockenen GOODBYE E AMEN einmal mehr so großartig bei UN UOMO IN GINOCCHIO die Kurve gekratzt haben).

    Wusste ich doch, dass mir „Das wilde Auge“ etwas sagt. Der ist ja von dem tollen Paolo Cavara. Den fand ich bisher nach LO TARANTOLA DAL VENTRE NERO (einem Giallo nach Maß – leider möchte ich fast sagen) nicht so besonders interessant, aber E TANTA PAURA hat mich kürzlich mit seinen spielerisch-dadaistischen Wahnsinnigkeiten (fast schon ein Anti-Godard) total umgehauen und seitdem möchte ich unbedingt seine anderen Filme sehen. Kennst du „…e tanta paura“ schon? Wenn nicht, unbedingt anschauen. Fast ein Meisterwerk – ein vollkommen absurder Giallo / Poliziesco, fast schon eine Farce – aber eine herrlich unaufdringliche und entspannte.

  9. Der Halunke on März 19th, 2010 at 23:43

    Sehr aufschlussreich, was Du hier über die italienische Drehbuchkultur erzählst. Auch die beiden Autoren (Badalucco, d’Amico) sind mir vorher noch nicht aufgefallen, obwohl ich einige von ihnen geschriebenen Filme gesehen habe (wie das meistens so ist).
    Das erinnert mich daran, dass ich Lust hätte, „Die Untersuchung“ von Damiani zu sehen. Kennst du den? Lohnt er sich?

    Ich möchte auch Franco Arcalli erwähnen, der alle drei Kinofilme von Giulio Questi mitgeschrieben hat, sowie einiges von Bertolucci, Cavani, selbst Leone.
    Manchmal wünscht man sich einfach ein richtig schönes Interview mit diesen Autoren. Da könnte man verdammt viel daraus lernen…

    „E tanta Paura“ kenne ich, den wollte ich schon sehen, seit Christian Kessler so begeistert darüber geschrieben hat. Der wurde wiederum mitgeschrieben von Bernardino Zapponi, der ja auch sehr umtriebig war, und an „Deep Red“, und unzähligen Fellini-Filmen beteiligt war. Ich glaube, er ist der Hauptverantwortliche für den dadaistischen Ton des Films. Cavara ging es eher um die Politik darin (die erst in „Das wilde Auge“ richtig schön zur Geltung kam).

    Gerade habe ich „Zabriskie Point“ mal wieder gesehen (hab meinen Frieden mit dem Film geschlossen oder ich nenne es eher Waffenstillstand). Da hab ich mich auch gefragt, wie die Drehbucharbeit an diesem Film verlaufen ist. Drei Amerikaner haben neben Antonioni/Guerra daran geschrieben.
    Heißt das, die sind auch für den Dialog verantwortlich? Was meinst du? Bei „Blowup“ war es wohl so, dass Edward Bond die Dialoge schrieb.

    So viel geballte Autorenkraft bei „Zabriskie Point“ und dennoch… diese Dialoge…

  10. Der Halunke on März 19th, 2010 at 23:51

    Ach ja, und „Fango Bollente“ steht auch auf meiner Liste. Auch wenn ich keine Ahnung hab, wo ich den herbekomme.

  11. Christoph on März 23rd, 2010 at 01:21

    Jetzt mal vorneweg: Was ist den verkehrt an den Dialogen in ZABRISKIE POINT? Ich vergöttere den Film zutiefst, habe ihn schon drei Mal im Kino gesehen und gehe jedes Mal wieder vor ihm in die Knie. Neben IL DESERTO ROSSO, L’ECLISSE und PROFESSIONE: REPORTER mein liebster Antonioni. Falls du damit auf die vermeintliche Naivität anspielst, die habe ich immer als gewollt verstanden. Naivität ist einer der großen thematischen Fixpunkte des Films. Ich gehe übrigens auch davon aus, dass Antonioni und Guerra zuerst ihre erste Drehbuchfassung geschrieben und sie dann mit den amerikanischen Autoren überarbeitet haben.

    DIE UNTERSUCHUNG ist ein Damiani, den ich noch nicht kenne – seine Filme von DER CLAN, DER SEINE FEINDE LEBENDIG EINMAUERT bis DIE TÖDLICHE WARNUNG kenne ich mit Ausnahme des „zweiten“ Nobody-Films lückenlos, den Rest leider noch nicht. Kommt aber noch, ich bin, wie du weißt, ein großer Fan und möchte natürlich alles von ihm sehen, auch wenn seine letzten paar Filme anscheinend eher „pfui“ sind.

    Was, nur 7/10 für .. E TANTA PAURA? Hat dich der dadaistische Ton etwa gestört?;-) Mich hat gerade diese Übertreibung extrem angefixt. Der Mord an der Prostituierten zu Beginn (eine unfassbare Sequenz – „Ich will den Trash, denn er ist wahrhaftig“ schreit es einem hier entgegen) hat mich gleich perfekt eingestimmt und der ganze sorgsam am Schreibtisch ersonnene alltägliche Sleaze hat mich wirklich vom Hocker gehauen. Es könnte sich bei dem Film ohne weiteres um den metareflexivsten (wenn nicht den einzigen wirklich metareflexiven) mir bekannten Giallo handeln. Das Drehbuch ist aber gerade bei diesem Film auch einfach sehr komplex und für das Metier ungewöhnlich in seinem unbedingten Fokus auf seine Charaktere (und wenn Michele Placido nicht der, wie von einem IMDb-User sehr treffend angemerkt, sympathischste Giallo-Kommissar von allen ist, dann kenne ich wohl immer noch zuwenige Filme dieser Art).
    Die Beteiligung von Zapponi ist mir natürlich nicht entgangen und den durchaus burlesk angehauchten Humor des Films auf ihn zurückzuführen scheint nicht ganz falsch wenn man sich ins Gedächtnis zurückruft, dass kein anderer Argento-Film (außer vielleicht dem tragisch unterschätzten QUATTRO MOSCHE DI VELLUTO GRIGIO – ich nehme hier den m. E. ebenfalls verkannten LE CINQUE GIORNATE als offensichtliche Komödie aus – Hach, der Film ist sooo toll, dazu müsste ich wirklich auch einmal einige Worte verlieren) so ausschweifende humoristische Sequenzen hat wie PROFONDO ROSSO.

  12. Der Halunke on März 24th, 2010 at 15:48

    Du musst verstehen, mein Verhältnis zu Antonioni ist ein schwieriges, entwickelt sich aber zu einem langfristigen. Wenn man mit „Blowup“ beginnt, dann hat man natürlich ein bestimmtes Bild von einem Filmemacher… ich hab mir gedacht, was für ein verrückter, hektischer, durchgeknallter, philosophischer, schwer unterhaltsamer, enigmatischer Film… dann sieht man die anderen Werke und fühlt sich irgendwie betrogen.
    Aber nach dem ganzen oberflächlichen Gedöns fängt man an, einen warhaft interessanten Filmemacher zu entdecken. Dazu braucht es auch mehr als eine Sichtung.
    Und „Zabriskie Point“ fand ich das erste Mal so daneben… mittlerweile gefällt mir der Film, und das ist doch schon mal was.
    Aber irgendwie funktioniert er nur für mich, wenn man ihn und seine beiden Protagonisten als unpolitisch einstuft.
    Ich kann diesen (meinetwegen auch naiven) Freiheitsdrang der Beiden nachvollziehen, aber das macht ihn für mich noch nicht zum legitimen politischen Statement (auch das Ende nicht).
    Und allein der Subplot mit Rod Taylor ist so ziellos…

    Aber ich hatte schon immer Schwierigkeiten, Naivität sofort ins Herz zu schließen. Erst bei der zweiten Sichtung von „Opera“ fing ich z:B. an den Film zu mögen und seine märchenhaften Elemente zu „verstehen“.
    Da treffen sich Antonioni und Argento irgendwie. Beide haben einen Ansatz, der gänzlich frei von Zynismus ist (oder sein kann), beide schicken manchmal naive (=reine) Charaktere ins Rennen, siehe „Zabriskie Point“ oder „Opera“.

    Überhaupt, zwischen den Beiden gibt’s noch mehr Paralellen. „Profondo Rosso“ scheint manchmal wie eine Reminiszenz an „Blowup“ zu sein (nicht nur wegen David Hemmings). Und das Ende von „Vier Fliegen auf grauem Samt“ (du hast recht, schwer unterschätzter Film!) erinnert stark an das Ende von „Zabriskie Point“.

    Was den Humor in Argentos Filmen angeht. Der wird wirklich oft genug unterschätzt. Argento wird eben manchmal genauso engstirnig rezipiert wie Fulci, als könnte der Mann nur ästhetische und brutale Morde inszenieren, und den Rest blendet man aus. Dabei sind diese Filme auch verdammt witzig.
    „The Bird with the crystal plumage“ – Mario Adorfs exzentrischer Maler- göttlich. Apropos göttlich: Bud Spencer als God in „Vier Fliegen…“.
    Selbst ein schwerer Brocken wie „Tenebre“ hat seine komödiantischen Momente (und die sind nicht nur unfreiwilliger Natur).

    „Die Halunken“ ist wirklich großartig. Alle Rezensenten im Netz sind sichtbar verwirrt und halten den Film wohl für eine Art Betriebsunfall. Was haben die erwartet? Einen Giallo im Revolutionsgewand?

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