Rettet das Kino als Ort werktreuer filmhistorisch-musealer Aufführungspraxis!
Das Hofbauer-Kommando möchte (sicherlich auch im Sinne weiterer Eskalierender Träumer) seine Solidarität mit den Äußerungen von Gabe Klinger, Christoph Huber und Olaf Möller im hier eingebetteten einstündigen Mitschnitt einer Podiumsdiskussion beim Filmfestival Cinema Ritrovato in Bologna aussprechen. So sehr sich ansonsten die jeweilige Mission unterscheiden mag, so sehr sind sich Ferroni Brigade und Hofbauer-Kommando beim dort diskutierten Thema in den Grundsatzfragen offenkundig einig: Der Forderung nach gebührendem Respekt gegenüber der materiellen Integrität von Film als Ausdrucks- und werktreuer Aufführungsform und der Verantwortung, die daraus insbesondere für Kinematheken, Filmmuseen, Restaurateure, Kopierwerke, Archive und Filmfestivals erwächst. Wie im Mitschnitt angesprochen, arbeiteten über 100 Jahre lang Filmemacher in bestimmten Parametern und gestalteten ihre Werke unter bestimmten physikalischen Voraussetzungen, sowohl Entstehungsprozesse als auch Aufführungspraxis betreffend, die es gerade im filmhistorisch-musealen Kontext unbedingt zu berücksichtigen, zu achten und zu würdigen gilt. Das Kino ist der Ort des klassischen Films, das analoge Filmmaterial sein Medium. Digitale Aufbereitungen vom Filmgeschichte sind beim derzeitigen Stand (egal ob als restauriertes Kino-DCP, DVD/BD oder als Internet-Stream) letztlich ein Surrogat, das in vielen Kontexten zweifellos eigene Vorteile mit sich bringt, aber zunehmend droht, mit einem gleichwertigen Ersatz verwechselt zu werden – mit weitreichenden Folgen für die Rezeption und vor allem für die gängige Aufführungspraxis.
In anderen Kunstformen ist unbestritten anerkannt, dass z.B. ein Katalogbild (um das von Huber verwendete Beispiel aufzugreifen) durchaus einen Eindruck zu vermitteln imstande ist, aber ein Kunstwerk erst in seiner ureigenen tatsächlichen physischen Gestalt seine Aura und Ausdruckskraft entfalten kann. Stellt man den gleichen Anspruch ans Kino, wird man zunehmend belächelt oder gar als Nostalgiker oder Fetischist abgetan (wir bekennen uns gerne zu Nostalgie oder Fetischismus, aber lassen in diesem Kontext davon ungerne unsere Haltung diskreditieren). In dieser zunehmend stärker verbreiteten Ignoranz gegenüber Forderungen, die eigentlich selbstverständlich sein sollten, äußert sich letztlich eine Verachtung gegenüber dem Kino, dem hierbei implizit der Status einer niederen Kunstform zugeschoben wird, die eines solchen Respekts vermeintlich nicht würdig ist. Umso wichtiger und passender, dass eine solche Diskussion gerade bei einem ausdrücklichen Retrospektiven-Festival wie Bologna erneut angestoßen wird, nachdem auch dort zunehmend stärker digitale Vorführungen von (in aller Regel auf analogem Filmmaterial gedrehten) Klassikern Einzug halten.
Noch viel gravierender ist das Problem an anderen Schauplätzen, wenn man bedenkt, dass Studios, Filmverleiher und Archive anfangen, ihre Filmbestände nicht mehr zu verleihen oder gar zu vernichten. Es drohen dabei nicht nur einzelne Filmkopien, sondern oft die letzten überhaupt erhaltenen Materialien verloren zu gehen, eine neue Welle verschollen gehender Filme wie zu Stummfilmzeiten ist durchaus nicht auszuschließen. Es ist eine Verachtung des filmkulturellen Erbes, die zunehmend eine Einschränkung von Aufführungsmöglichkeiten und letztlich eine Schrumpfung auf gängige Kanontitel zu bewirken droht. Selbst diese sind allerdings betroffen, wenn man sich ansieht, dass derzeit bei Filmmuseums-Retrospektiven in England und Deutschland sogar ein Film wie BARRY LYNDON nicht mehr als 35mm-Filmkopie, sondern nur als Blu-Ray (ein wunderbares Heimvideomedium, aber ein inadäquates Kinomedium) aufgeführt wird – der Filmtechnik-Perfektionist Kubrick, der seine Premieren früher in handverlesenen Kinos durchführte, würde sich im Grabe umdrehen, erführe er davon. Es gibt viele Beispiele ähnlicher Art: Anfang August gibt es in Dresden eine Dario-Argento-Werkschau und in Berlin eine Jess-Franco-Werkschau. Obwohl in beiden Fällen sogar die Regisseure persönlich anwesend sein werden, wird jeweils nahezu komplett (mit jeweils einer einzigen kümmerlichen Ausnahme) auf die Aufführung von Filmkopien verzichtet und dabei mangels entsprechender Aufbereitungen noch nicht einmal auf den digitalen DCP-Kinostandard, sondern lediglich auf Heimvideomedien wie DVD und Blu-Ray zurück gegriffen. Ein Betrug am Kino und am Zuschauer, der nicht das eigentliche filmische Artefakt, sondern einen selbst im eigenen Wohnzimmer nach ähnlichen Parametern reproduzierbaren schalen Abglanz eines Kinofilms erhält. Trotz (unter diesem Gesichtspunkt) saftiger Eintrittspreise und mangelnder Transparenz mag man das in Dresden bei einer kommerziellen Veranstaltung noch hinnehmen, bei einer von Steuergeldern geförderten Institution wie dem Berliner Babylon, wo derart fragwürdig kuratierte Reihen schon seit einiger Zeit immer wieder durchgeführt werden, muss man hingegen mit scharfer Kritik und Hinterfragung der Kurations- und Förderungspolitik reagieren. Solche aktuellen Beispiele deuten möglicherweise darauf hin, welchen Umgang man zukünftig mit der materiellen Integrität von Film als Ausdrucksform befürchten muss, mitunter auch bereits in musealem Aufführungsrahmen. Doch wo sollte man noch Respekt vor dem ureigentlichen Erscheinungsbild eines filmischen Kunstwerks erwarten und einfordern können, wenn nicht wenigstens dort?
Ich finde Engagement generell schon sehr wichtig. Und ich finde es auch toll, Christoph Huber und Olaf Möller einmal in Aktion zu sehen. Aber mein anhaltenster Gedanke danach war: Mann, was für eine absolute Überflussgesellschaft, in der wir heute leben!
Bildlich gesprochen würde ich bezüglich kultureller Aspekte ja eher zur „Unterflussgesellschaft“ tendieren, vielleicht jedoch sowieso nur die Komplementärseite der gleichen Medaille… Aber du willst vermutlich eher sagen, dass es sich bei den diskutierten Fragen um „Luxusprobleme“ handelt? Konsequent zu Ende gedacht, wären dann aber ab einem gewissen Punkt so ungefähr alle Dinge, die Film und Kino überhaupt betreffen, nur Luxusprobleme. 🙂 Es ist halt ein Spezialistenthema, keine Frage, es wird ja auch nicht ohne Grund bei einem im Betriebskontext komplett abseitigen, nischigen Spezialistenfestival diskutiert. Und klar hat das alles unglaublich viele Facetten, wie ja auch die Filmrezeption sowieso von vielen Dingen bestimmt werden kann. Daher kann es selbstverständlich passieren, dass man auf einen Film unter Optimalbedingungen im Kino komplett gleichgültig reagiert, und er einen später auf einer hundsmiserablen VHS-Überspielung (gekürzt, in Synchro, falschem Bildformat, ausgewaschenen Farben etc.) plötzlich völlig umhaut. Ändert trotzdem wiederum rein gar nichts daran, im spezifischen filmmusealen Kontext bestimmte Maßstäbe und eine Würdigung der ursprünglichen physischen Erscheinungsform eines künstlerischen/kulturellen Artefakts einzufordern, sonst kann man auf solche Institutionen gleich verzichten. Dass die Diskussion im Video ab einem gewissen Punkt vielleicht etwas zum Erliegen kommt und perspektivisch dann etwas wenig rum kommt – zugegeben, den Einwand kann ich verstehen. Uns gefällt halt vor allem die Geste und der sture Widerspruch, der sich da äußert, und obiger Text versucht dann ja noch einige weitere Punkte miteinzubringen. Die Mitglieder des HK fordern dabei zudem nicht nur, sondern versuchen ihre Maxime in verschiedenen Städten auch aktiv umzusetzen, unter reichlich ungünstigen Voraussetzungen obendrein. Und trotzdem lässt sich da einiges bewegen, weshalb uns umso mehr ärgert, wenn Institutionen, die in allen Belangen um ein vielfaches besser ausgestattet sind, dann – immer öfter leider offenkundig nur aus Unwillen und Ignoranz – die grundsätzlichsten Dinge aus den Augen verlieren und stattdessen bizarr hohe Budgets für Nebensächlichkeiten verschwenden. Wie gesagt wohl ein Spezialistenthema, immerhin ja auch auf einem absoluten Nischenblog 😉 Ansonsten: Wegwerfgesellschaft wäre noch so ein Stichwort, was mir viel eher einfiele. Was dabei zugunsten eines blindwütigen Glaubens an vermeintliche Fortschritte und im Sinne eines kurzfristigen Gegenwartdenkens alles vorschnell weggeschmissen wird (Maßstäbe inklusive) und wozu das dann führt, hat wie im Text oben angedeutet ja schon sehr anschaulich (wenn auch nur die Spitze des Eisberges) zu Stummfilmzeiten der Umgang mit dem Filmmaterial gezeigt, weshalb heute eben der allergrößte Teil der Stummfilmgeschichte schlichtweg unwiederbringlich verschollen ist…
Danke an dieser Stelle noch mal für deinen Beitrag Andi (bzw. das ganze Hofbauerkommando). Im Gegensatz zu dir fand ich den Beitrag aber nicht ermüdend oder stockend. Vielmehr hatte ich das Gefühl, dass nach der Stunde erst der Anfang gemacht worden war, da bis dahin zunächst grundsätzliches geäußert wurde, und ich liebend gerne noch 2, 3 weitere Stunden der (zugegeben doch überraschend kleinen) versammelten Gruppe von Menschen im obigen Video zugehört und zugesehen hätte.
Irgendwelche radikalen Statements kann ich darin übrigens nicht erkennen. Ich hatte vor einer Woche im Urlaub zufällig ein sehr ähnliches (aber nur halbstündiges) Gespräch mit einem Freund und einem Bekannten in Slowenien, und wir waren uns danach nicht wirklich einig, aber ich hatte zumindest meinen Standpunkt deutlich gemacht. Ich sagte Dinge wie „In der Kunst gibt es keine Verbesserung, keinen Fortschritt, sondern nur Alternativen, Variationen und Unterschiede“ und vor allem „ein historisches Artefakt ist als solches wichtig“. Meine Argumente waren dabei wohl ähnlich wie bei den meisten Leuten in diesem Gebiet: Wenn wir uns im Louvre auch nicht mit einer wunderbaren und glänzenden Reproduktion der Mona Lisa zufrieden geben würden, sondern eben immer noch das „Original“ sehen möchten, warum sollte es beim Film anders sein? Und wenn Da Vinci ein Gemälde in Öl gemalt hat, ist eine Reproduktion in Wasserfarben eben nicht das gleiche. Etc. pp.
Das sind natürlich marginalisierte Themen, aber dennoch für alle die einen Film betrachten relevante.
Schwanenmeisters Kommentar habe ich übrigens völlig anders verstanden, und ich würde ihm komplett zustimmen: Die Überflussgesellschaft zeigt sich ja daran (wie im Video diskutiert), dass die meisten Menschen alles so schnell wie möglich sehen/erleben wollen und es Ihnen egal ist in welcher Form dies geschieht. Möller und Co. bemängeln ja zurecht, dass kaum jemand eingestehen will, dass Filme eben nicht überall in beliebiger Menge zugänglich sind, und man unter Umständen Jahrzehnte lang auf eine Vorführung eines bestimmten Films wird warten müssen, beziehungsweise der ursprüngliche Eindruck und eine ähnliche Wiedergabe einer ‚originalen‘ Filmvorführung uns in vielen Fällen möglicherweise für immer verschlossen sein werden. Diese Überflussgesellschaft führt ja eben auch dazu, dass man sich mit vielen essenziellen Dingen nicht mehr beschäftigt – wie eben mit der Praxis von Filmrestaurierung, Aufführung und verwandten Dingen, die tragischerweise weiterhin kaum jemanden zu interessieren scheinen.
Würde aber deinen letzten Zeilen im Kommentar noch zustimmen wollen: Die Wegwerfgesellschaft ist eine Folge der Überflussgesellschaft, und was man fälschlicherweise als omnipräsent und reproduzierbar erachtet, wird im Zustand geistiger Umnachtung permanent vernichtet. Was man bisher u.a. in 120 Jahren Filmgeschichte ungebrochen bis zum heutigen Zeitpunkt erleben kann – vermeintliche „Verbesserungen“ inklusive.
Abschließend hier mal wieder ein weiteres Armutszeugnis für den gegenwärtigen (kommerziellen?) Stand der Filmrestaurierung. Man achte vor allem genau auf die Aussagen der Beteiligten ‚Experten‘: http://www.youtube.com/watch?v=T6z9BsHgKz4
Andi hatte mich schon ganz richtig verstanden. Und ich nehme mich natürlich nicht davon aus. Aber man hat doch selten die Gelegenheit, sich das so bewusst zu machen wie etwa während dieses Panels. 🙂 Dabei weiß gerade ein Olaf Möller in seiner bullig-sympathischen Art als Erscheinung ziemlich zu begeistern. Und er erinnert mich auf diese Weise ganz entfernt an den sehr geschätzten slowenischen Gelegenheits-Filmphilosophen Slavoj Zizek.
Zum eigentlichen Thema kann ich nur noch weniger beisteuern. Wüsste nicht mal, ob ich auf der Leinwand den Unterschied erkennen würde. Was ich aber weiß, ist, dass ein gebeamter „Singin‘ in the Rain“ mit zu meinen schönsten Filmerlebnissen aller Zeiten gehört. Und ich bin immer schon mehr Video- als Kinomensch gewesen. Meine einprägsamten Filmerfahrungen habe ich nicht im Kinosaal gemacht, wobei ich den Gang in die Kathedrale immer sehr genieße. Und wie du weißt, Andi, – und ich stelle da wohl eher eine Ausnahme dar – lege ich nicht einmal sonderlich großen Wert auf die Größe und die Bildqualität meines Fernsehers, da ich in meinem Leben so viele Filme geschaut habe, die aufgrund ihrer Seltenheit die dementsprechende Form aufwiesen. Ich bin immer noch großer VHS-Liebhaber und stehe mit Kinopuristen tendenziell eher auf Kriegsfuß. Somit bin ich wohl der schlimmstmögliche Gesprächspartner für diese Nischendiskussion.
Interessanter wiederum finde ich den Aspekt der ständigen Verfügbarkeit. Eine Tatsache, die einen Cineasten letztlich doch eher abturnt als anstachelt. Ich fand zum Beispiel Jean-Pierre Melville noch deutlich spannender, als es von ihm vorerst greifbar nur eine überteuerte Criterion-DVD gab. Seitdem „Der Teufel mit der weißen Weste“ aber alle zwei Wochen in irgendeinem Dritten Programm durchgenudelt wird, hat das Ganze deutlich an Reiz verloren.
[…] ein interessanter Artikel zur Aufführungspraxis von Filmen im Kino veröffentlicht. In “Rettet das Kino als Ort werktreuer filmhistorisch-musealer Aufführungspraxis!” wird dazu aufgerufen, dass Filme in den angedachten Formaten und über die ursprünglichen […]
@Sano
Da möchte ich nochmal klar stellen, dass ich das Video auch nicht ermüdend oder stockend fand. Im Gegenteil habe ich es mir nach zufälligem Auffinden sofort gebannt in voller Länge angesehen (bei solchen Mitschnitten eine absolute Ausnahme) und nicht umsonst haben wir (in dem Fall vor allem Christian und ich) beschlossen, es unbedingt als Aufhänger für ein Statement zu diesem Thema zu nehmen. Meine kleine Anmerkung war eher so gemeint, dass ich es halt trotz allem nachvollziehen kann, wenn manche das zu einseitig und zu wenig auf konkrete Perspektiven bezogen finden. Gerade weil es solche dezidierten Gegenpositionen (und gerade als solche finde ich sie sehr wichtig, und „radikal“ im positiven Sinne und im Verhältnis zu den sonst dominierenden Ansichten schon, wenn auch das für unsereins alles selbstverständlich ist) zum gängigen unhinterfragten Fortschrittsglauben und der diesbezüglichen Egal-Mentalität viel zu selten gibt, wäre es natürlich noch toller gewesen, den Diskurs zu öffnen und konkrete Handlungsoptionen zu diskutieren und anzustreben. Wer weiß, wann die nächste Gelegenheit zu einer wirklich an Grundsätzliches gemahnenden Diskussion darüber zustande kommt? Die Filmvernichtungen sind derweil schon in vollem Gange, mit völlig unabsehbaren Folgen, weit über einzelne Aufführungsoptionen hinaus. Insofern besteht da leider auch ein gewisse Dringlichkeit. Ändert aber nichts daran, dass ich den geäußerten Positionen ebenso wie deinem Beitrag ansonsten natürlich nur zustimmen kann.
@Schwanenmeister
Kompromissloser Kinopurist bin ich ja bezogen auf allgemeine Rezeptionsaspekte auch durchaus nicht, weil mir klar ist, dass zuviele Faktoren reinspielen, von konkreten Angebotsoptionen mal ganz zu schweigen. Aber im Rahmen musealer Aufführungen ist wiederum einfach maximaler Purismus geboten, alles andere unterminiert den ganzen Charakter solcher Unterfangen. Das lässt sich völlig unabhängig sagen von der Feststellung, dass ich durchaus auch ein VHS-Freund bin und ja z.B. gerade bei den HK-Filmkongressen ausdrücklich sogenannte „Videoknüppel“ als solche gefeiert werden. Bei manchen Filmen ist gerade der defizitäre Bildcharakter von VHS-Überspielungen denkbar adäquat und transportiert zugleich quasi-auratische Elemente, die an die ursprüngliche Rezeptionssituation solcher Filme im frühen Videothekenzeitalter anknüpfen. Da ist mit hochauflösenden Restaurationen mitunter mehr verloren als gewonnen. Wie überhaupt, aber das ist nochmal ein ganz anderes Thema, der gängige Slogan bei DVD/Blu-Ray-Restaurationen, dass ein Film nun erstmals „in nie dagewesener Qualität“ oder „besser als je zuvor“ vorliege, in aller Regel eine ignorant-dreiste Lüge sondersgleichen ist – denn wo soll jene „Qualität“ herkommen, wenn sie nicht von Anfang an im Film vorhanden war? Die Leute (und offenkundig auch viele Restaurateure) haben nur keine Vorstellung mehr davon, wie großartig die Filme bei ihrer Erstaufführung aussahen – und kaum einer will sich eingestehen, dass die originale Anmutung eines Films nach Jahrzehnten womöglich einfach nicht einmal mehr näherungsweise erreicht werden kann, der aufwändigsten Digitalisierung zum Trotz (die häufig sowieso an den falschen Stellen ansetzt und eher einer oberflächlichen und zeitgeschmacksgemäßen „Aufhübschung“ gleicht, die mit dem Original-Look dann mitunter nichts mehr zu tun hat). Das gefällt mir auch im obigen Video, dieser nachdrückliche Hinweis darauf, dass man bei diesem Thema mit bestimmten Verlusten und Einschränkungen leben muss, und sie sich eingestehen sollte. Dazu scheinen viele nicht bereit.
Und was du mit der Verfügbarkeit anspricht, da gibt es sehr viele Beispiele. Kann man sich ja heute auch kaum noch vorstellen, extra z.B. nach Frankreich zu fahren, weil ein heiß ersehnter neuer (oder wiederentdeckter) Film schlichtweg nur dort zu sehen ist. Eine solche Sichtung hat dann natürlich einen anderen Stellenwert. Oder als Erinnerung an einen Kinobesuch womöglich auf Jahrzehnte nur ein Aushangfoto zu haben, aber nicht die ständige Option, einfach mit einem Klick nochmal in den Film zu zappen. Wobei ich beileibe nicht für künstliche Verknappung plädieren will oder das übertrieben romantisieren will, im Gegenteil ist es natürlich erstmal sehr erstrebenswert, dass sich die Verfügbarkeitssituation zumindest für den Heimgebrauch so dramatisch verbessert hat (trotz damit eingeher gehender Rückschritte bei der Rezeptionssituation). Und trotzdem erliegt man dabei auch schnell einer Illusion, dass plötzlich *alles* irgendwie erreichbar wäre. So viel (gerade von bekannteren Namen und Titeln) es über verschiedene Kanäle nun relativ einfach gibt – noch mehr gibt es nach wie vor nicht, und das liegt eben auch am Umgang mit Filmgeschichte, gerade in obskureren Bereichen. Von allen Filmen, die es mal als Filmkopien fürs Kino gab, sind nur Bruchteile auf VHS und ins TV gelangt, und davon wiederum nur noch Bruchteile auf DVD/BD. Und selbst wenn im Internet- und vereinfachten Tausch-/Kopierzeitalter manche VHS-/TV-Raritäten wieder auftauchen, bleibt vieles andere ungreifbar. Gerade die deutsche Filmgeschichte veranschaulicht das immer wieder in aller Deutlichkeit (es reicht auch ein Abgleich mit Programmen von Retro-Festivals wie eben Bologna, vieles was da läuft, kriegt man sonst eben nirgends). Eine komplette alternative Filmgeschichte könnte man da schreiben mit Filmen, die einzig noch irgendwo in Filmarchiven liegen oder eben möglicherweise überhaupt nirgends mehr existieren oder (wissentlich) zugänglich sind. Auch das sind alles noch Aspekte, die implizit zum komplexen Oberthema hier gehören.
Im deliria-italiano-Forum lese ich gerade eine Meldung des Cinestrange-Festivals, dass die Argento-Filme als DCP gezeigt werden (außer „Spiel mir das Lied vom Tod“, der läuft auf 35mm)
Ja, schade. Ist aber meines Wissens schon seit längerem (Ende Juni?) bekannt. Für mich ein Grund zu Hause zu bleiben und meinen Geldbeutel zu schonen. Sonst hätte ich natürlich gleich mein Sparbuch geplündert und Übernachtungsmöglichkeiten geprüft. Aber es gibt sicher auch genügend Leute die das nicht stört, bzw. die den Unterschied nicht bemerken. Daher stelle ich mir vor, dass die Veranstaltung auch in dieser Form viele Fans (und die die es dann vor Ort sicher werden) glücklich machen wird. Nur für mich (und einige ETler) ist das leider nichts. Wenn’s in meiner Nähe wäre, würde ich aber natürlich trotzdem vorbeischauen, mir ein paar der neueren digitale(re)n Werke ansehen, und Argento leibhaftig bewundern.
Und die Atmosphäre solch eines Festivals, mit den entsprechenden Veranstaltern und Besuchern ist sicher auch nicht zu unterschätzen. Bin persönlich ja bekanntlicherweise aber primär Film-Reisender, da ich wie die meisten Menschen ja notgedrungen Prioritäten setzen muss. Fährst du eigentlich (trotzdem) hin?
Thomas ging es wohl auch darum, dass es statt DVD/Blu-Ray zumindest DCPs sind. Letzteres wäre dann zugegebenermaßen zumindest schon angemessener, als einfach eine DVD einzulegen. Was anderes als die gängigen Blu-Ray-Master wird aber letztlich auch kaum die Vorlage sein. Kann mir eigentlich auch nicht recht vorstellen, dass sie die wirklich alle nochmal als DCPs ausspielen bzw. umwandeln. So oder so jedenfalls bei auch noch erhöhtem Eintrittspreis schon sehr fragwürdig. Enorm trist ist zudem, dass sie zumindest in einem Saal offenkundig durchaus 35mm spielen können (das Festival ist offenbar vom ursprünglich angekündigten Rundkino in den Kristallpalast umgezogen), aber das lediglich bei einem einzigen Film nutzen. Das sehe ich dann wie Sano, dafür ist mir einfach Zeit und Geld zu schade. Auch wenn es dank der Rahmenveranstaltungen dann über die Filme hinaus natürlich andere gute Gründe gibt, trotzdem hinzufahren.
Habe ich wohl so überlesen. Sehe da aber nicht den großen Unterschied zur Blu-Ray (wenn es jetzt kein Riesensaal ist). Das könnten von mir aus aber auch 8k Projektionen sein. Mir ist das letztendlich wurscht. Bei älteren (nicht-digitalen) Filmen interessiert mich halt nur: Film oder nicht. Da ist mir auch ne rotstichige Kopie meist lieber – von Laufstreifen u.ä.brauchen wir gar nicht zu sprechen. Sowas hat mich im Kino selten gestört.
Das wiegt für mich alles den zeitlichen und finanziellen Aufwand halt nicht aus. Dann schon eher das Rahmenprogramm. Aber im Grunde müsste ich schon Freikarten bekommen um unter digitalen Umständen dieses Jahr trotzdem noch hinzufahren. 😉
Sehr angenehm finde ich die differenzierte Betrachtung dieses komplexen Themas, die der Leiter des Wiener Filmmuseums Alexander Horwath in diesem Interview an den Tag legt. Das ist doch deutlich zielführender als das Editorial des neuen Programmheftes des Filmmuseums München, das mit Sätzen wie „Wenn wir
nicht eine nagelneue 35mm-Kopie bekommen, ist in fast allen Fällen die
digitale Kopie die bessere Alternative.“ aufwartet.
http://www.allesfilm.com/show_article.php?id=22024
Mir ging es, wie Andreas schon sagt, nicht darum, jetzt doch nochmal Dresden als Reiseziel ins Auge zu fassen, es ging mir nur einem sachlich korrigierenden Hinweis, da Andreas schreibt:
„Obwohl in beiden Fällen sogar die Regisseure persönlich anwesend sein werden, wird jeweils nahezu komplett (mit jeweils einer einzigen kümmerlichen Ausnahme) auf die Aufführung von Filmkopien verzichtet und dabei mangels entsprechender Aufbereitungen noch nicht einmal auf den digitalen DCP-Kinostandard, sondern einzig auf Heimvideomedien wie DVD und Blu-Ray zurück gegriffen. “
Und das scheint offenbar nicht ganz korrekt zu sein. Mit den Details kenne ich mich aber eben auch nicht aus, deswegen nur der Hinweis auf die Meldung in dem Forum.
Ist entsprechend korrigiert. Danke für den Hinweis. Weitere Details wären da natürlich interessant. Vielleicht tauchen noch weitere Hinweise auf. Stimme Sano ansonsten aber natürlich zu (daher, Sano, schrieb ich lediglich von „angemessenER“ [im Vergleich], soviel sollte man dann nämlich schon zugestehen, aber eben nicht von „adäquat“): So oder so lockt mich das nicht, im Gegenteil. Wenn Argento allerdings von Film gezeigt worden wäre, hätten wir und viele andere aus unserem Umfeld uns sofort auf den Weg gemacht (nicht umsonst sind wir 2007 immerhin sogar nach Wien gefahren, um SUSPIRIA als neue 35mm-Kopie zu erleben – ein Wahnsinnserlebnis, das alle Mühen wert war). Die Anmerkungen bei deliria-italiano und andernorts deuten darauf hin, dass das andere ähnlich sehen.
Christian, in der Tat zeigt sich immer wieder, dass Alexander Horwarth da zu den wenigen besonnenen, klugen und differenzierenden Stimmen in der Debatte gehört. Filmmuseum Wien gibt ja auch regelmäßig Textmaterial zu diesem und anderen Themen heraus: http://www.filmmuseum.at/forschung__vermittlung/vermittlung/textmaterialien
Das verlinkte Interview ist zwar schon einige Jahre alt (danke aber für den Hinweis bzw. die Erinnerung!), aber seine Aussagen treffen natürlich nach wie vor den Nagel auf den Kopf. Besonders dieser Absatz ist eine treffende Entgegnung zum Münchner Editorial, das im Grunde wirklich eine unangebracht pauschalisierende Frechheit ist – da kann man Horwarths Worte nur dick unterstreichen: „Ich glaube, dass die Behauptung, es wäre austauschbar, im Grunde die Existenzberechtigung dieser Häuser in Frage stellt; wenn sie nur das, was sich so schön Content nennt, als das eigentliche Werk ansehen, nicht aber das Artefakt als solches; Bei einer minoischen Vase geht es den Historikern ja auch nicht nur darum, was da drauf ist. Daher würde ich natürlich auf einen Film verzichten, wenn er nicht mehr oder nur noch in einer nicht mehr vorführbaren Form existiert. Man soll aber nicht meinen – sehr Meidlingerisch gesagt – ‚Dann moch ma halt a Abtastung, spümas Video ausse‘. Primär ist das ein Verrat an der eigenen Profession, und es ist das Gegenteil von Unterscheidungsvermögen schaffen: Es gewöhnt das Publikum daran, dass es nicht auf den Träger ankommt, sondern auf das, was da abgebildet ist. Aus diesem Grund ist dieser Aspekt der Werktreue für mich ein unhintergehbarer. „
Nachdem ich heute Abend einen eloquenten Kommentar als Antwort an Christian und Thomas formuliert hatte, dann aber ungläubig feststellen musste, dass über mein Smartphone kein Absenden-Knopf vorhanden war, und ich auch sonst den Kommentar nicht abschicken oder speichern konnte, bin ich froh, dass Andi inzwischen auch geantwortet hat, und ich einfach (wie so oft) auf seinen Kommentar verweisen kann. 🙂
Ansonsten noch kurz:
@Christian
Habe das Interview mit Genuß mal wieder gelesen und stimme Horwath auch in fast allem (außer dem Thema ‚Heimkino‘) zu. Sollte aber wie schon oft gesagt meiner Meinung nach eine reguläre und gängige Position sein, also ‚politisch‘ gesprochen in etwa „Mitte-links/rechts“, und damit voll Konsensfähig. 😉 Radikal (wie manche es wohl teilweise sehen) ist daran rein gar nichts!
@Thomas
Sorry, hatte den genauen Wortlaut bei Andis Text schon wieder vergessen. Ist natürlich ein wichtiger und relevanter Hinweis von dir! Nur für mich persönlich ändert das, wie gesagt, rein gar nichts.
Ich bin zwar grundsätzlich in Horvaths Nähe, was das Thema betrifft, aber gerade das Vasen-Beispiel halte ich für eine argumentative Achillesferse und alles andere als gelungen.
Erstens, erfolgt die historische Forschung an solchen Artefakten sehr oft auf Grundlage eines fotografischen Zwischenschritts, je nachdem welche Fragestellung von Interesse ist. Es gibt keinen Grund, kunsthistorische Forschung unbedingt am empfindlichen Artefakt direkt durchzuführen. Insbesondere Althistoriker (ich habe gerade nachgefragt) arbeiten vor allem mit Abbildern, schon aus logistischen und infrastrukturellen Gründen (man fliegt eben als Berliner Althistoriker in der Regel nicht nach Istanbul ins Archiv). Das heißt: Das Bild funktioniert schon von vornherein nicht, vielmehr ist es eigentlich sogar ein Plädoyer für möglichst gute digitale Abtastungen: Sämtliche Historiker jubeln über die Möglichkeiten detailreicher, plastischer HD-Digitalfotografie.
Zweitens, ist das Interesse, das der Forscher einer Vase entgegen bringt, soweit weg vom Alltagsgebrauch des Artefakts (er lagert z.B. in der Regel kein Öl darin, etc.), dass es sich mit einer Kinosichtung eines historischen Films nicht vergleichen lässt. Zwar hat Horvath natürlich recht, wenn er sagt, dass auch die Sichtungen und Vorführungen in seinem Museum in einer spürbaren historischen Spannung zur ursprünglichen Aufführungssituation stehen, dennoch gruppieren sich beide Aufführsituationen im Kern um das selbe Ereignis und das selbe Interesse: Es wird ein Film vor Publikum aufgeführt. Mir befinden uns also nicht in völliger Distanz zur eigentlichen kulturellen Einbindung des Artefakts, ganz anders als im Fall der Vase.
Drittens, ziehe ich 35mm zwar ebenfalls vor, finde nun aber gerade den Materialfetisch, der hier zum Ausdruck kommt, sonderbar. Die apparative Anordnung des Kinos basiert ja nun gerade darauf, dass das Material selbst zum Verschwinden kommt (i.d.R. gibt es kein Anrecht des Publikums, im Vorführraum den Bildstreifen zu begutachten, etc.). Das Kino zementiert in der Geschichte der Bilder und ihrer Zirkukaltion ja gerade endgültig die Trennung von Bild und materiellem Datenträger (und präfiguriert damit ja gerade die heutige Selbstverständlichkeit, mit der wir Bilder in der heutigen Digitalkultur als operationalisierbar und unabhängig vom materiellen Datenträger begreifen). Diese Insistenz, dass es Kino damit unbedingt um das historische verbriefte Material gehe und nicht um den „Content“, finde ich dadurch medienhistorisch nicht haltbar – und jede Filmvorführung unterstreicht das, weil darin faktisch nie das Material thematisiert wird, sehr wohl aber der „Content“ angesehen wird. Im Kino erblickt man eben i.d.R. nie die Vase an sich, sondern höchstens eine Vase auf der Leinwand.
Komme bei nächster Gelegenheit noch auf deine spannenden Anmerkungen zurück, Thomas.
Hier nur kurz nochmal zu den Argento-Projektionen in Dresden – habe da die Korrektur wieder zurück genommen, weil sich nach ersten Berichten in den Foren von Cinefacts, Deliria Italiano und Dirty Pictures die Vermutungen leider bestätigt haben: Die Argento-Filme wurden demnach nicht als DCP (wenn auch zumindest in einem Fall scheinbar der Wille dazu da war), sondern von Blu-Ray gezeigt – OPERA und SUSPIRIA sogar lediglich von DVD. Allesamt offenbar zudem bewusst in deutscher Synchro. Zwei vielsagende Forumszitate dazu:
„Zur Info: bei „Suspiria“ handelte es sich um die DVD aus dem Hause „Dragon“. Es war die gleiche Fassung mit den nachsynchronisierten Stellen aus selbiger DVD-Version. Und ja der Ton war mies, arg laut und teilweise recht übersteuert“ (Link)
„INFERNO. Da die DCP-Fassung auf Italienisch war wurde hier kurzerhand eine BlauStrahl-Scheibe hinterher geschoben – die Stimmung litt darunter aber nur wenig nachdem das Menü endlich ausgeblendet war.“ (Link)
Dürfte für sich sprechen. Verdammt trist, dieses Vorgehen. Da braucht man sich auch nicht wundern, wenn dann viele auf die Anreise verzichten und offenbar kaum eine Vorstellung voll war. Erfreulich wiederum für die Anwesenden, dass dafür zumindest die Rahmenveranstaltungen, die italienischen Gäste, die Stimmung und die Atmosphäre für gute Laune gesorgt zu haben scheinen.
Sehr trist, das Feedback zum Argento 🙁
@Thomas
Wollte eigentlich nicht mehr großartig auf deinen schönen Kommentar (Nr.15) eingehen, da er mir die Diskussion an dieser Stelle wieder zu weit zu öffnen schien, und ich über dieses Thema sowieso ständig zu diskutieren pfleg(t)e, dieser Beitrag mich hier also ein wenig überforderte. Aber eigentlich kann man dich hier auch nicht einfach so (im regen) stehen lassen. Daher doch noch ein paar Zeilen.
Das Vasen-Beispiel ist jetzt nicht von mir, aber ich denke das Wort „nur“ in Horwaths Satz ist von entscheidender Bedeutung. Ansonsten operieren Filmhistoriker ja auch nicht viel anders (wie du ja schreibst): jeder freut sich über digitale Reproduktionen, und auch im Außnahmefall bleibt oft nur die Begutachtung des Films auf der Schneidemaschine. Eine ausführlichere (auch zeitlich längere) Beschäftigung mit dem filmischen Artefakt (auch im Zustand seiner Vorführung) findet selten statt, ebenso wie ein Historiker selten eine Originalvase längere zeit in seinen Händen wird halten können. Zumal sind die vielen Filmkopien ja oft schon Kopien von Kopien (und eben nicht das originale Kameranegativ). Nichtsdestotrotz geht es ja immer um den Versuch sich dem Original so weit wie möglich(!) anzunähern. Kein Kunsthistoriker wird glaube ich jemals behaupten, dass z.B. eine Vase auch entsorgt werden könnte, solange es genügend Annäherungsmöglichkeiten an sie gäbe. Und diesen Fehler macht ja auch kein Filmhistoriker (die wenigsten Filmfans sind aber [leider] auch Filmhistoriker).
Bei der Anwendung muss ich dir aber schlicht widersprechen. Ein Kunsthistoriker (um den es sich beim Film meist handelt) hat vergleichbare Probleme wie der reguläre Historiker. Die Vase kann theoretisch wie praktisch in einen Gebrauchsgegenstand der Jetztzeit ‚rückverwandelt‘ werden ebenso wie der Film im Kontext der Kinovorführung. Kino ist aber nicht gleich Film, ebenso wie Vase nicht gleich Gefäß zur Aufbewahrung ist. Funktionen von Artefakten sind wandelbar und vielschichtig. Die Vase kann auch zur Dekoration dienen, und wäre unter diesem Gesichtspunkt wiederum für einen Kunsthistoriker relevant. Wie der Film als Artefakt das aufgeführt wird (im Gegensatz bzw. in der Ergänzung zum Gebrauchsgegenstand der einen chemischen Herstellungsprozess durchläuft, etc. pp.). Die „eigentliche kulturelle Einbindung“ von der du sprichst ist bereits historische (Re)Konstruktion.
Ich persönlich ziehe Filmmaterial eben nicht ‚digitalem‘ vor. Ich besitze dahingehend keine Vorliebe. Es sind schlicht unterschiedliche Materialien, Artefakte, zwei unterschiedliche Dinge, die ihre eigene Struktur haben die repektiert gehört. Digital gedrehte und erzeugte Filme will ich auch nicht von Filmmaterial aufgeführt sehen. Ich bin eben Materialfetischist (und Andreas vermutlich auch) im eigentlichen Sinn des Wortes: es geht um das (jeweilige) Material. Ganz im Gegensatz zu deiner Definition (bzw. Wahrnehmung) der apparativen Anordnung des Kinos, nehme ich diese (ebenfalls?) völlig anders wahr. Das Kino ist für mich ein Ort (und eine Anordnung) der Hervorbringung, des Sichtbarmachens, des Erkennens. Da gibt es für mich keinerlei „Verschwinden“. Dass historisch gesehen (bei uns im Westen!) oft der Vorführapparat in einem separaten Raum als der Kinosaal liegt, hat meiner Ansicht nach mehr etwas mit der Lautstärke der Apparatur als mit sonstigen Kinoimmanenten Gründen zu tun. Der Vorführapparat kann beim Film auch mitten im Saal stehen.
Ich glaube wir diskutieren hier vielleicht auch (habe jetzt nicht noch einmal den Beitrag und alle 15 Kommentare gelesen) etwas aneinander vorbei, wenn wir Kino und Film in eine Schublade stecken. Für mich sind das zwei unabhängige Dinge (wie vielleicht auch das Gemälde und die Gallerie).
Abschließend noch zu zwei Aussagen von dir:
„Das Kino zementiert in der Geschichte der Bilder und ihrer Zirkukaltion ja gerade endgültig die Trennung von Bild und materiellem Datenträger (und präfiguriert damit ja gerade die heutige Selbstverständlichkeit, mit der wir Bilder in der heutigen Digitalkultur als operationalisierbar und unabhängig vom materiellen Datenträger begreifen). Diese Insistenz, dass es Kino damit unbedingt um das historische verbriefte Material gehe und nicht um den “Content”, finde ich dadurch medienhistorisch nicht haltbar“
Würde dir in diesem Punkt zustimmen, jedoch nicht als Aussage im Sinne von: Das Kino bewegt sich von vornherein in diese Richtung, diese Richtung stand schon immer fest, oder gar diese Richtung wäre eine für das Kino bzw. das Filmbild (in welcher Form auch immer) unumgängliche. Die Geschichte des Kinos ist kurz, und lässt sich aus unterschiedlichen Blickwinkeln betrachten
„ – und jede Filmvorführung unterstreicht das, weil darin faktisch nie das Material thematisiert wird, sehr wohl aber der “Content” angesehen wird. Im Kino erblickt man eben i.d.R. nie die Vase an sich, sondern höchstens eine Vase auf der Leinwand.“
Dem kann ich wiederum nur widersprechen. Es geht eben um das Material, weil das Material eben zum Vorschein gebracht wird. Licht (meiner Meinung nach das wichtigste im Film, für einen Filmemacher) ist auch bei der Projektion bestimmend. Daher meine Analogie des Hervorbringens. Wenn wir beim Filmmaterial bleiben: Durch die Projektion auf eine Leinwand erblicken wir eben doch „den Film an sich“, zumindest in einer ursprünglicheren, beabsichtigteren Form als wenn wir den Filmstreifen in der Hand halten. Und der ‚Content‘ jedes Kunstwerkes (und auch des Films, egal ob analog oder digital) ist auch das Material, dass bei jeder Filmvorführung eben doch faktisch thematisiert wird – sonst würden wir diese Diskussion nicht führen. Das Fazit ist doch eben: Content und Material sind nirgendwo(!), auch nicht in der Kunst, voneinander zu trennen. Diese Trennung ist eine rein abstrakte, gedankliche, die im realen Leben (also in der momentanen Erfahrung und Wahrnehmung) nie zum tragen kommt. Es handelt sich um eine Idee, also eine Erfindung des Menschen (genauso wie die religiöse Diskussion um Körper und Geist). Sie ist Konstrukt.
Ich habe mir heute den Videobeitrag des Artikels noch einmal zur Gänze angeschaut, und bin unter anderem auch auf andere ähnliche nichtschriftliche Fixierungsformen von Filmdiskursen gestoßen. Da ich keine Lust hatte, die Kommentare und die anschließende Diskussion hier wieder durchzulesen (ich habe sie bewusst – von den Argumenten her – bereits vergessen) oder sie gar weiterzuführen, und es auch jetzt am Abend an meinem aktiven Interesse daran fehlt habe ich aber eine andere Perspektive auf das „Problemfeld“ Kino/Film/Konstruktion entdeckt, eine Diskussionsrunde ebenfalls in Bologna 2012 aufgenommen, und auf den ersten oberflächlichen Blick scheinbar das (Haupt)Thema Digitalisierung nur streifend. Doch im Grunde ist es meiner Meinung nach fast ein komplementäres Video, sozusagen die andere Seite der Medaille. Denn wenn ich manchmal sagen würde, die befürworter von Digitaler Zukunft und analoger Vergangenheit haben jeweils in ihrer Art beide recht, dann nur so:
CINEFILIA ALLO STATO PURO, CINEFILIA CLASSICA IN TRASFORMAZIONE E CINEFILIA NEW SCHOOL ONLINE from cineteca on Vimeo.