Nočni izlet (Nächtlicher Ausflug, 1961)



Der Vorspann beginnt mit einem abstrakten Gitternetzwerk, schwarz-weiß, in dem sich Lichtreflexe spiegeln und brechen. Ein Geflecht, unentwirrbar, komplex, kalt. Unentwegt dreht es sich, während die orchestrale Filmmusik leitmotivisch zwischen romantischer Dramatik und unheilvoller Beklemmung oszilliert. Die Moderne hat auch im jugoslawischen Kino (in diesem Fall durch den slowenischen Film) Einzug gehalten. 1961 ist das Jahr, in dem unglaubliche fünf slowenische Kinofilme ihre Premiere feiern sollten. Eine zuvor nicht einmal ansatzweise erreichte Quantität, die leider auch erst 1973 wieder erreicht werden sollte. Im Gegensatz zum im gleichen Jahr erschienenen Ples v dežju (Tanz im Regen, Regie: Boštjan Hladnik), dem berühmtesten slowenischen Kinofilm überhaupt – also dem slowenischen Citizen Kane (oder inzwischen wohl eher Vertigo) – ist jedoch der aufkommende Modernismus kein Grund zur Freude, keine langersehnte Möglichkeit zum (auch kinematographischen) Träumen, keine Option für einen Bruch oder Ausbruch, kurz gesagt nicht Ansatz zum Aufbruch in neue Gefilde und Kritik des scheinbar allumfassenden provinziellen Miefs. Nein, die Moderne ist in Nächtlicher Ausflug die Wurzel allen Übels und die filmische Auseinandersetzung mit den gesellschaftlichen Neurosen eine sozialistische Pflicht (da die Neurosen in diesem Falle sowieso hauptsächlich aus ihr hervorzugehen scheinen). Antworten statt Fragen. Kritisieren, anklagen, moralisieren. Zumindest je länger der Film dauert. Denn angefangen hat er ganz anders.

Das Abarbeiten des engen szenaristischen Korsetts ist es dann auch, das im Laufe des Films zu den eigentlichen Höhepunkten der delirierenden Handlung und seiner entgleisenden Figuren führt: Hand in Hand geht das immer abstrusere Abklappern von konstruierten Drehbuchmomenten mit einer eskalierenden Exaltation der Dekadenz. Die hysterische Anklage vermischt sich in bester Exploitation-Manier mit dem voyeuristischen Exzess, geht eine bizarre Liaison im cineastischen Niemandsland zwischen Renato Polselli und Karl Ritter ein. In die Hände spielt dem die Tatsache, dass sich die Handlung innerhalb eines Abends und einer Nacht abspielt, und die vorprogrammierte Tragödie somit quasi im Zeitraffer abgearbeitet werden kann. Zu Beginn ist zunächst Tarnung angesagt, wenn scheinbar noch der von den Sowjets abgeschaute, sozialistische Realismus am Zug ist, in den sich erst zaghaft (dafür aber später mit voller Wucht) der Modernismus eines Hladnik einschleicht (und ganz viel Jazzmusik!). Dieser gebiert sich als Zerstörer der vormaligen Idylle, von dem was war, was sein könnte, und eigentlich sein müsste. Also vielleicht sogar als Zerstörer des Kommunismus. Aber der Sozialismus lässt sich natürlich nicht in die Suppe spucken, und am Ende kommt alles heraus, und am Ende kommt die Polizei. Unumgänglich, wie immer. Resigniert, denn es musste ja so kommen. Das Leben aber geht weiter, das wirkliche Leben. So scheint es jedenfalls das Schlussbild nahezulegen. Derart brav und bieder wie hier waren nicht einmal Die Halbstarken bei Georg Tressler. Die durften aber immerhin durch die Straßen Westberlins toben. In Slowenien gab es in den 50ern für Jugendliche hingegen wenig. Selbst der Konsum ist aus zweiter (oder vielleicht sogar dritter) Hand. Sie haben nur die Welt, die Straßen und die Gerätschaften der Erwachsenen zur Verfügung. Ihnen selbst gehört nichts.

Die slowenische Filmkoryphäe Zdenko Vrdlovec schreibt 2009 in seinem ausgezeichneten Buch ‚Die Geschichte des slowenischen Films‘, dass sich die junge und aufstrebende Produktionsgesellschaft Viba film mit diesem Werk wohl an die sogenannte „schwarze Serie“ der Produktionsfirma Triglav Film dranhängen wollte (das wären die 1960 erschienen Akcija und Veselica sowie der bereits erwähnte Tanz im Regen, welche eine nihilistischere Grundstimmung verbreiteten als die zuvor generell eher humanistisch orientierten Werke der 40er und 50er). Die Orientierung an Vorbildern wie Marcel Carnés Les tricheurs (1958) und Nicholas Rays Rebel Without a Cause (1955) misslinge aber gründlich.

Mirko Grobler drehte danach keinen weiteren Film mehr. Er starb 1962 im Alter von 40 Jahren. Dies war erst sein zweiter Spielfilm, zuvor war er für eine Reihe von Aufsehen erregenden Kurzfilmen verantwortlich. Die slowenische Filmgeschichte ist voll von solchen Anfängen. Der slowenische Kulturkritiker Marcel Štefančič, jr. sagte dazu einmal auf wunderbare Weise, dass der slowenische Film mit jedem slowenischen Film von Neuem beginnt, und deshalb auch jeder slowenische Film so aussieht, als ob er der erste wäre (oder zumindest der erste seiner Art). Oft kann man daher den Eindruck gewinnen, dass die Filme nicht nur untereinander kommunizieren, sondern vor allem mit den Filmen, die nie gedreht worden sind. Ein Phantomkino, eine parallele Kinematographie, die nicht entstanden, aber deren Einfluss unermesslich ist. Und sicherlich ist es auch die Tatsache, dass retrospektiv die Unmenge an Kulturfilmen, kurzen Dokumentar- und Spielfilmen, später auch Fernsehspielen und Fernsehfilmen, schwer ersichtlich und schwer greifbar ist, der kulturelle Kontext, in dem die insgesamt über 200 slowenischen Kinofilme der letzten 100 Jahre entstanden sind – also vor allem der filmische! – nun mühevoll rekonstruiert werden muss (und ein Unterfangen, welches allein von den Kinospielfilmen ausgehend in Angriff genommen wird, daher zwangsläufig nur misslingen kann). Wenn man sich diese Mühe nicht macht, bleibt vor allem der am offensichtlichsten politische, in der Diktatur allgegenwärtige Einfluss sichtbar. Was schade wäre. Denn die Filme haben mehr zu bieten, als es auf den ersten Blick oft den Anschein hat.


Nočni izlet – Jugoslawien (Slowenien – Viba film Ljubljana) 1961 – Regie: Mirko Grobler – Produktion: Boško Klobučar – Drehbuch: Mirko Grobler, nach einer Vorlage von Herbert Gruen und Andrej Hieng – Kamera: Mile de Gleria – Schnitt: Darinka Peršin Andromako – Musik: Marjan Vodopivec – Darsteller: Špela Rozin, Primož Rode, Tone Slodnjak, Manja Golec, Janez Škof st., Anka Cigoj, Jože Pengov, Angelca Hlebce, Marjan Kralj, Mitja Pipan, Radko Polič, Cvetka Blažič, Janez Pipp, Borka Stojanovič, Silva Slokar, Marija Ribič, Ludvik Škof, Ksenija Hribar

Dieser Beitrag wurde am Sonntag, Januar 28th, 2018 in den Kategorien Ältere Texte, Blog, Blogautoren, Filmbesprechungen, Sano veröffentlicht. Sie können alle Kommentare zu diesem Beitrag über den RSS 2.0 Feed verfolgen. Sie können diesen Beitrag kommentieren, oder einen Trackback von ihrer eigenen Seite setzen.

Kommentar hinzufügen