Gott wird euch alle strafen – 1000 dollari sul nero (1966)




    Kneel at the cross, give your idols up
    Look unto realms above
    Turn not away to life’s sparkling cup
    Trust only in His love

    (The Louvin Brothers – Kneel at the Cross)


Sengend heiß glotzt die Sonne vom Firmament hernieder, während ein langsamer Kamerazoom näher an sie herankriecht, Schnitt, offenkundiger Perspektivenwechsel, nun landen ihre Strahlen direkt im ausgemergelten Gesicht von Johnny Liston (Anthony Steffen). Nur wenige Schnitte und verschobene Einstellungsgrößen später ist es noch etwas gänzlich anderes, das von droben auf diesen niedersaust – Kugeln aus zwei Gewehren, die Visier stramm nach unten aus den Seitenbegrenzungen der Kadrage in sie hineinragend beinahe den Eindruck aufdrängen, es handele sich um Gott höchstselbst, der den nun bis zur Unkenntlichkeit geschrumpft von oben aufgenommenen Mann im Canyon in den Staub schmettert, dort liegen und doch am Leben lässt. Solcherlei Spielereien mit filmischer Perspektive sind Butter und Brot von Alberto Cardones „1000 dollari sul nero“, der in Ko-Produktion mit Karl Spiehs Lisa-Film entstanden sowie aufgeladen mit einer zutiefst religiös-fatalistisch verbrämten Weltsicht fast die italienische Variante eines Harald-Reinl-Westerns vermuten lässt. Teilt er doch mit einem solchen nicht allein den 1966 bereits Winnetou-erprobten Chris Howland als komischen, hier allerdings rasch ermatteten Schutzwall gegen allzu trübe Verzweiflung („Das Leben meint es nicht gut mit einem, aber immerhin ist es gelegentlich ganz amüsant.“, scheint ohnehin häufig Credo der Arbeiten Cardones bzw. Reinls), sondern auch den normalerweise so unverkennbaren Blick auf Figuren und die sie ummantelnden Landschaften, den Reinl und Stammkameraass Ernst W. Kalinke wenige Jahre zuvor kultiviert hatten. Winzige Handlungsorte vor alles erdrückenden Umland, Beiwerk, das die Kontrolle über das Wesentliche anstrebt.

In einer altertümlichen Mayafeste haust Johnnys Bruder Sartana (Gianni Garko), gefürchteter Bandit und mit wohl geklauter Uniform nach Anerkennung heischender „Generale“, mit seinen Mannen. Unzählige Male, bei jedem einzelnen Übergang zu diesem Handlungsort genau genommen, präsentiert sie sich prominent, stets jedoch aus der gleichen, unveränderlichen Distanz eingefangen (nun ist das niedliche Matte Painting aber auch wirklich herzallerliebst!) – umgeben von unendlicher Wüste im Vordergrund, schlimmer allerdings noch: jedwede Relation im Keim erstickenden Gebirgskluften zur Linken wie Rechten. Bergmassive, Reinlsche Schicksalsfelsen schrumpfen die Menschen und ihre kümmerlichen Konstrukte auf Unter-Normalmaß, weisen ihre Probleme fort aus dem größeren Ganzen. Verstärkt wird was als Szenerie unabänderlich bleibt durch Cardones fabelhafte Mise en Scène. Mit höchster Konsequenz spielt diese einerseits das Gros menschlicher Tatkraft – Ritte, Kämpfe, wie auch immer geartete Aufarbeitung erfahrenen Leids – so bereits von Haus aus verkleinert gegen erdrückende Kulissen, andererseits geistiges Wirken – Reden, Entscheidungen, heiße Luft, alles ist eins – gegen ein geradewegs pathologisches Riefenstahlsches Unten aus. Manchmal ist Durchsetzungsvermögen, das in diesen Aufnahmen aus den Figuren spricht, dann doch wieder nur schlichter Großmut, nie weiß man, wen diese Aufnahmetechnik gerade bemächtigen soll und wen nicht. Viel eher kommt sie zumeist einem bitteren Verhöhnen bei. Und immerfort lauert sie derweil über den Köpfen, brennt sie hernieder – die Sonne, in ihrer schicksalsbestimmenden Leuchtkraft nicht einmal durch die so häufig vor ihr deponierten, zu einer Art dunkel überstrahlendem Heiligenschein umgeformten Hüte ausgebremst.

Interagieren Figuren miteinander – befindet sich die Kamera also auf ihrer, nicht einer übergeordneten, vielleicht gar göttlichen Ebene wie zu Beginn – wird eine kaum zu übersehende Aussparung von Aufsichten oder gar Vogelperspektiven deutlich. Es existieren Ausbrüche aus dieser Enthaltsamkeit, jedoch nur für einige Auserwählte. Rhonda Liston (Carla Calò), die dominante Mutter der beiden im Zerwürfnis begriffenen Brüder befindet sich nahezu durchgängig von Angesicht zu Angesicht mit Gino Santinis Aufnahmegerät, schwebt als einziger vollumfänglich für sich allein stehender Mensch über den Dingen, ist so fehl am Platz in der hölzernen Westernstadt wie das verfallende Herrenhaus, in dem sie einst als Dienerin, nun als Verwalterin des Todes residiert. Nie spricht der Film aus, was diese Familie in so unterschiedliche Richtungen driften ließ und doch liegen alle Antworten für einen tieferen Blick bereit. Das Ambiente ihrer Heimstätte hält die Mutter auf die gleiche Weise in ihrer nach Ausbruch und gesellschaftlicher Anerkennung lechzenden Dienerhaltung gefangen, wie die überlebensgroßen Mayastatuen und -fratzen den vom Pfade der Rechtschaffenen abgekommenen Sohn zwingen, seinen Kain-und-Abel-Stiefel herunterzuspielen.

Menschen verhalten sich exakt so, wie es der Blick auf ihre Umgebung nahelegt und jeder Ausbruch aus der perspektivischen Ordnung unterstreicht dies nur mehr. Versucht der gute Sohn die Bürger der geknechteten Stadt vom Kampf zu überzeugen, gibt die am Saloondach montierte, machtlose Menschentrauben abbildende Kamera bereits eine Antwort, bevor überhaupt jemand den Mund aufmachen kann. Sie werden das Komplott ablehnen. Berittene Banditenschleifen, demonstrativ aufgereiht oder in Bewegung, klein vor Felsen oder als Abzäunung hinterm sich groß wähnenden Anführer, ein Fackelkreis an Desperados um den eingekesselten Helden, schrittweise Verengung, übertragener Sinn, nicht übertragener Sinn, dann, vom dynamitbeladenen Eindringling ausgetrickst, ein plötzlicher Halt. Cardone beweist eine ausgeprägte Vorliebe für geometrische Anordnungen wie diese, knechtet seine Figuren wie der Herrgott durch die Formen, die er ihnen vorgibt.

Wie die Mutter meist mittig im Bilde präsentiert sich der, der als fast metaphysisches Instrument in diesen Experimenten den wenigsten eigenen Willen, aber die größte Handlungsfreiheit genießt und daraus direkt resultierend eben auch die höchste Permeabilität zwischen den Darstellungstechniken Cardones. Als er sich das erste Mal im größeren Stile mit der Bande schießt, setzen die Kugeln Ralphs (Sieghardt Rupp) – der rechten Hand Sartanas – etwas bislang Verborgenes frei. Noch siegessicher auf einem Stuhl ruhend darf Johnny über einen Schnitt verknüpft diesen mehrere Kugeln in seine Richtung abfeuern sehen – zu schnell für ein Ausweichmanöver und doch, als ein Schwenk im nächsten Augenblick zum Ausgangspunkt zurückkehrt, schlagen die Kugeln in einen vereinsamt, wie nie berührt auf weiter Flur stehenden Stuhl ein. Unser Held beamt sich schneller von Ort zu Ort, als das Kamerauge folgen kann, erreicht es sein Ziel, ist er schon dort – eine Fähigkeit, die interessanterweise auf seinen stummen Helfer Jerry (Roberto Miali) übergehen darf, diesem aber in Abwesenheit des Freundes verwehrt bleibt. Er ist ein göttlicher Richter. Für ihn ändern sich alle Vorzeichen.

Auf die gewählten Blickwinkel ist kein Verlass, kaum eine Handvoll Mal wird Antony Steffen von oben angeschnitten, nie das nahegelegt, was wirklich vonstattengeht. Nach einer Prügelei sehen wir ihn als Reflektion in einem Wassertrog, aus dem er eine Kamerabewegung nach unten später schon wieder als restauriert vor ihm Stehender hervorgehen darf. Hier, bei seiner dem vorgeblich Gebrochenen in ihrer Länge nicht gerecht werdenden Gefangenschaft kurz vor Ende und als ganz zu Beginn der heilige Geist in Form einer Unze Blei in ihn einfahren darf – immer liegen Täuschungen vor. Egal ob Jerry sich durch eine Kiste Dynmamit ermächtigt, Ralph scheinbar im Wüstensand krepiert oder Sartana seine Waffen ablegt, um sich von einem Schlappenschammes die Macht der Unionsfarben überstreifen zu lassen – die Form verleiht Größe und nimmt sie ein ander Mal nicht den althergebrachten Implikationen der Kameraperspektive entsprechend urplötzlich wieder fort. Was zusammengehört, wird von ihr zusammengeschweißt, Schnitt von zentriertem Gesicht zu zentriertem Gesicht als der Sheriff und Johnny sich für einander geleistete Schützenhilfe bedanken, nun ist man ebenbürdig. Joselita (Erika Blanc), die einzige wirkliche Vertraute Johnnys, findet sich gar einmal einer einzigen Aufnahme mit diesem in Blickrichtung und Haltung vereint, fast ineinanderübergehend.

Ein schrankenloses Entkommen aus dem Fatalismus scheint indes nicht möglich. Das Ende lässt alles zusammenbrechen. Sich endlich aus dem falschen Stolz befreit habend marschiert Mutter Liston in einem veritablen Todesmarsch gegen den eigenen Satansbraten auf, in durchgehender Aufnahme nie die Kamera aus den Augen verlierend, hinter ihr herstapfend die Fahrt überhaupt erst antreibend, nicht umgekehrt, handlungsberechtigt bis zum Untergang. Als sie später inmitten ihrer so vertrauten Mauern den Wunden erliegen darf, fällt sie mit dem Kopf auf einen praktischerweise genau am richtigen Platze drapierten Tisch, den Sturz aus Komposition wie zugewiesener Haltung endgültig vermeidend. Ein Duell später im Kreise des letzten Angehörigen aufgebahrt und zum ersten Male ohne Hintersinn aus erhöhter Position betrachtet: Sartana wie die Mutter im Tode, die einzigen, die gegen ihr Schicksal aufbegehrten – nun als Trümmerhaufen am Boden. Dunkle Wolken schieben sich vor die abermals herunterlächelnde Sonne, der Held wankt mit dem toten Bruder in ihren nicht existenten Untergang, kleiner und kleiner werden sie in der Luftaufnahme. Dann friert das Bild ein. Ein bisschen kommt es einem so vor, als hätte die vormals so präsente göttliche Macht diese Welt ins Chaos gestürzt, nur um dann wieder aus ihr zu weichen. Eine Eiswüste mitten im Sommer, sowas.


1000 dollari sul nero – Italien, Deutschland 1966 – 104 Minuten – Regie: Alberto Cardone – Produktion: Mario Siciliani, Karl Spiehs – Drehbuch: Ernesto Gastaldi, Vittorio Salerno, Rolf Olsen, Giorgio Stegani – Kamera: Gino Santini – Schnitt: Romeo Ciatti – Musik: Michele Lacerenza – Darsteller: Anthony Steffen, Gianni Garko, Erika Blanc, Sieghardt Rupp, Carla Calò u.v.a.


Dieser Beitrag wurde am Dienstag, November 20th, 2018 in den Kategorien Ältere Texte, André Malberg, Blog, Blogautoren, Essays, Filmbesprechungen veröffentlicht. Sie können alle Kommentare zu diesem Beitrag über den RSS 2.0 Feed verfolgen. Sie können diesen Beitrag kommentieren, oder einen Trackback von ihrer eigenen Seite setzen.

Eine Antwort zu “Gott wird euch alle strafen – 1000 dollari sul nero (1966)”

  1. Filmforum Bremen » Das Bloggen der Anderen (26-11-18) on November 26th, 2018 at 18:07

    […] André Malberg hat sich auf Eskalierende Träume sehr ausführlich und wunderbar bebildert mit „1000 dollari sul nero“ auseinandergesetzt. Dem Italo-Western in dem die Figur des „Sartana“ erstmals das Licht der […]

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