Godot ist ein Schrank – goEast 2014 wie es wirklich war – Teil 1



Jpeg

Foto: Nikolas

Es fing ganz harmlos an. Die Menge im Saal wurde von Nikolaj Nikitin bespaßt, und danach ging es schon los mit „Ida“ von Pawel Pawlikowski, dessen Filmografie ich letztes Jahr für mich entdeckte. Ich war sehr gespannt, und der Erfolg des Films schien für sich zu sprechen (der Film wurde in 42 Länder verkauft). Und natürlich ist „Ida“ toll inszeniert, Charaktere werden auf wundervoll mühelose Weise skizziert, ohne dass ihnen ihr Geheimnis entrissen wird. Wie der Kino-Purist Martin Heilbutt mir nachher im Gespräch mitteilte: man sollte diesen Film an Filmhochschulen zeigen, damit die Leute sehen, wie so was geht. Das ist alles richtig. Dennoch blieb bei mir ein fader Nachgeschmack. Die leichte Abgründigkeit, die stille Ironie, die Aufrichtigkeit der Geschichte, all das, was ich von Pawlikowski kannte und liebte, war nicht da. Ich hatte eher das Gefühl, einen Film zu sehen, dessen Plot auf Nummer sicher geht, und der Dramaturgie eines Arthaus-Crowd-Pleasers folgt, was Pawlikowski wahrscheinlich die Finanzierung erleichterte. So konnte er sich voll und ganz auf seinen mystischen Bresson/Dreyer-Trip begeben, und sich um seine rätselhaften Einstellungen kümmern. Jedenfalls ist der Film nach dem enigmatischen „The Woman in the Fifth“ nicht wirklich eine Überraschung, eher schon eine Konsequenz, aber alles Interessante scheint gänzlich in den starren, und doch dynamischen Bildern verborgen zu sein – was natürlich zu mehrmaligen Sichtungen einlädt.

IDA von Paweł Pawlikowski, 2013

Ich hatte diesmal keinen genauen Schlachtplan, wollte mich vom Festival ein wenig treiben lassen, Leute treffen, und die Filme auf mich zukommen lassen. So landete ich zwangsläufig beim Symposium, das sich mit der Nouvelle Vague Polonaise beschäftigte. Fast alle Filme des Symposiums wurden im Murnau-Filmtheater gezeigt, wo Sano, Andi und die Anderen ihre Zelte aufgeschlagen hatten – im wortwörtlichen Sinne. Die Jungs haben tatsächlich vor dem Murnau gezeltet, um sich die ständige Pendelei zum Kino zu ersparen. Das war nicht ganz ungefährlich. In einer Nacht wurden sie sogar ausgeraubt, nur die Presseausweise hatten die Diebe dagelassen. Schwein gehabt.

Mein erster Jerzy Skolimowski, „Rysopis“ („Besondere Kennzeichen: keine“), erwischte mich irgendwie auf dem falschen Fuß. Dafür hat mich der zweite, „Walkower“, voll erwischt. Der bessere „Rocky“ war das, und noch viel mehr. Das gezielte Ausweichen einer Karriere, wie es Skolimowski in seinen ersten Filmen immer wieder darstellt, ist im damaligen Polen vielleicht der dezidierteste nonkonformistische Akt überhaupt. Der Protagonist seiner ersten drei Filme, Andrzej Leszczyc schlägt sich so durch, und tut alles, um sein Studium nicht abzuschließen, bzw. eine Festanstellung zu umgehen. In „Walkower“ boxt er sich buchstäblich durchs Leben, wie er es damals bei der Armee gelernt hat, und jeder Sieg ist eine weitere Verzögerung des Unausweichlichen. Ich war erstaunt, wie modern, und wie vertraut mir dieser Film war, obwohl er aus einer scheinbar außerirdischen Zeit stammt.

Bariera 1-F-60-12

Sein dritter Film „Bariera“ ist eher ein Nachtrag zu den beiden zweifelnden Vorgängern. Ein magischer Realismus, eine fast sorglose Verspieltheit macht sich breit in der Inszenierung, und nur die Liebe kann der Barriere der Konformität Einhalt gebieten.
Richtig begeistert haben mich auch einige der Vorfilme, von denen vier davon von Roman Polanski waren. Ich hatte „Zwei Männer und ein Schrank“ vorher nie gesehen, und war hin und weg. Als großer Polanski-Fan vermisste ich in seinen letzten Filmen vor allem den Humor, der ihn am Anfang seiner Karriere besonders ausgezeichnet hat, und eine dynamisch produktive Gegenbewegung zu seiner düsteren Ader erzeugte. Der 1958 entstandene „Zwei Männer und ein Schrank“ zeugt von einem Humor, der seinen Ursprung nicht nur im amerikanischen Slapstick, sondern auch im absurden Theater hat. Godot ist hier quasi der Schrank, und Wladimir und Estragon wissen nicht wohin mit ihm. In „Säugetiere“ von 1962 versuchen die Beiden ohne Godot auszukommen, und versinken in Schnee und Chaos. Beide Filme haben eine wunderbaren Soundtrack von Krzystof Komeda, der nicht nur ein toller Jazzmusiker war, sondern auch ein engagierter Filmkomponist. Der Witz von „Säugetiere“ wird hauptsächlich durch seinen Score vermittelt.
Polanskis erste Filme wie „Cul-de-Sac“ und „Tanz der Vampire“ haben einen ähnlich verschrobenen Humor, der schließlich im vollkommen unterschätzten „Was?“ explodierte. Leider zum letzten Mal.

Freitag war die goEast-Party im Schlachthof, auf die ich mich schon gefreut hatte. Ich zeigte kurz meinen Ausweis vor, und rechnete gleich mit Einlass. Stattdessen sagte mir einer der beiden Türsteher: „Warten sie hier.“
Ich wusste nicht wieso, habe mir aber nichts weiter gedacht. Der Türsteher ging in eine Ecke, um zu telefonieren. Er kam wieder und sagte: „Kommen sie bitte unauffällig mit.“
„Gibt es irgendein Problem?“, fragte ich.
„Es dauert nur einen kurzen Moment.“
Er führte mich in den Neubau des Schlachthofs. Eine Tür ging auf, ich ging hindurch. Ein kahler, weißer Raum mit einer Neonlampe, einem Tisch und einem Stuhl. Zwei Männer in Schwarz standen in einer Ecke. In der Mitte ein großer Mann mit Schnurbart und einem billigen Anzug.
„Setzen sie sich.“
„Was wird hier gespielt?“
„Wir stellen hier die Fragen.“
„Ich bin von der Presse“, sagte ich entrüstet.
„Setzen sie sich.“
„Ich würde gerne stehen.“
„Dann stellen sie sich dahin.“
Ich wurde hin- und her-dirigiert, wie in einem Miklós Jancsó-Film. „Csend És Kiáltás“ („Stille und Schrei“) lief übrigens auch auf dem Festival, da Jancsó dieses Jahr verstorben, und ihm letztes Jahr noch eine Retro gewidmet war. Thematisch eine Variation von „The Round-Up“ und „The Red and the White“, mit wunderschönen Breitwandbildern, die durch ihren Verzicht auf Musik eine intime Intensität erreichen, dass man die Stille im Kinosaal geradezu schmecken kann. Die Atmosphäre von Wut, Angst, Verzweiflung und Ohnmacht hat bei keinem anderen Filmemacher so geknistert wie bei Jancsó.

„In welcher Verbindung stehen sie zu Ivan Rodan?“, fragte der Mann mit dem Schnurbart, der sich, während ich abschweifte, vorgestellt hatte.
„Wer soll das sein?“
„Der berühmte Filmhistoriker, über den sie sich abfällig geäußert haben.“
„Ich hab von diesem Mann noch nie was gehört!“
„Mehrere Quellen beweisen das Gegenteil. Es wurde getwittert, dass sie, ich zitiere ‚angeekelt‘ waren, dass Herr Rodan zum Festival einfliegt. Sie sollen bereits seit längerem nicht mit seiner Politik einverstanden gewesen sein.“
„Ich wiederhole: ich kenne den Mann nicht. Ich weiß nichts über seine Politik. Ich weiß nicht, was getwittert wurde oder warum. Wollen sie, dass ich mich bei ihm entschuldige oder was?“
„Das wird nicht mehr möglich sein.“ Der Mann mit dem Schnurbart schien zu lächeln. „Ivan Rodan ist tot.“
„Was?“
„Man hat ihn vergiftet. Vor ein paar Stunden. Im Festivalzentrum.“
Ich schluckte. Aber ich traute der Sache nicht: „Woher weiß ich, dass sie die Wahrheit sagen?“
„Sie scheinen vieles nicht zu wissen, Herr Sven Safarow. Das ist ein seltsamer Name oder nicht? Wieso Sven? Wieso nicht – sagen wir, Wladimir?“
„Meine Eltern sind große Tarkowskij-Fans“, sagte ich. „Ihr Lieblingsfilm ist ‚Opfer‘. Sven Nykvist war der Kameramann. Daher…“
„Nette Geschichte. Aber sie hat Löcher. Jeder weiß, dass Sven Nykvist der Kameramann von Ingmar Bergman und Woody Allen ist.“
„Darf ich jetzt gehen?“
„Ich fürchte, wir müssen ihnen noch einige Fragen stellen.“
„Ich hab jetzt keine Zeit. Was läuft hier eigentlich? Ein kalter Krieg hinter den Kulissen?“
Ich öffnete die Tür und ging einfach raus. Sie schienen mir nicht zu folgen. Besser, sich unter die Leute zu mischen.

Auf der Party traf ich auf Michael Brodski.
„Kennst du einen Ivan Rodan?“
„Der Filmhistoriker, über den du hergezogen hast?“
„Warum sagen das alle?“
„Es wurde getwittert“, sagte er.
„Das ist verrückt. Angeblich hat man ihn vergiftet.“
„Wirklich?“
Michael war überrascht. Offenbar wurde es noch nicht öffentlich gemacht. Wenn es überhaupt der Wahrheit entsprach.
„Ich weiß nicht, was hier gespielt wird“, sagte ich, und wollte gerade mein Erlebnis schildern, als mich Michael unterbrach. Er sah in diesem Moment ein wenig aus wie Peter Lorre, der weder ein noch aus wusste: „Die Sache ist größer, als du denkst!“
„Was?“
Er blickte sich panisch um: „Sie stecken alle mit drin. Die Festivalleitung. Die Jury.“
Dann konnte er nicht mehr ernst bleiben, und lachte mich aus.
„Mach dich nur lustig“, sagte ich.
„Ach, komm. Amüsieren wir uns lieber.“
Und ein paar Wodka später hatte ich die Geschichte schon wieder vergessen. Jetzt verstand ich, warum die Menschen gerne tranken. Ich bin natürlich auch ein paar Mal unangenehm aufgefallen. Einmal hab ich versucht, der Produzentin von „Ida“ eine kommerzielle Fortsetzung zu pitchen: „Ida strikes again – The Whore who loved to be a Nun“ mit Megan Fox als Ida. Kam nicht gut an.

Fortsetzung folgt

Dieser Beitrag wurde am Freitag, April 18th, 2014 in den Kategorien Ältere Texte, Blog, Blogautoren, Essays, Festivals, Filmbesprechungen, Sven Safarow, Verschiedenes veröffentlicht. Sie können alle Kommentare zu diesem Beitrag über den RSS 2.0 Feed verfolgen. Sie können diesen Beitrag kommentieren, oder einen Trackback von ihrer eigenen Seite setzen.

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