Die Tschechoslowakei auf DVD



Szene aus "Pane vy jste vdova!"

Wer kennt sie nicht, die Tschechoslowakei. Ein weiterer Vielvölkerstaat unserer östlichen Nachbarn, mit zahlreichen kulturellen und politischen Ursprüngen. Doch halt – dast stimmt ja nicht mehr wirklich. Nach 1945 eher ein Staat der Tschechen und Slowaken, wurde die ČSR ab 1960 zur ČSSR, genauer gesagt zur Tschechoslowakischen Sozialistischen Republik. Und heute kann sich wohl auch keiner mehr daran erinnern. Das Millenium ist vorbei, die europäischen Staaten haben sich immer weiter spezialisiert (das Schlagwort der 80er war Unabhängigkeit), doch vom Kapital im Mantel der EU scheinen sie heute bereits wieder eingeholt. Was in 20 Jahren nicht alles passieren kann…

Ich gebe es zu – ich bin nie in der Tschechoslowakei gewesen. Und als es mit ihr 1990 zu Ende ging, war ich gerade einmal 6 Jahre alt. Dennoch konnte ich mich in der Folgezeit nicht wirklich damit zufrieden geben nun zwei Staaten statt des Einen vor mir zu sehen. Ob das etwas mit meiner Ablehnung der Multiplikation unter dem Deckmantel des Schulmathematik-Traumas zu tun hat, oder doch eher mit meinem persönlicheren Erlebnis des Zerfalls von Jugoslawien zusammenhängt, möchte ich an dieser Stelle nicht erörtern. Klar ist für mich vor allem eins. Wie auch immer die nun getrennte Tschechische und Slowakische Filmproduktion diese letzten 20 Jahre rigoroser Umwälzungen filmisch registriert hat, zu mir ist davon wenig durchgedrungen. Ich möchte nicht sagen, dass ich die Erzeugnisse dieser beiden jungen Staaten in dieser Zeit ignoriert hätte, und dass mich bei meinen cinephilen Reisen durch die Filmgeschichte die Gegenwart nicht interessiert. Aber ich habe das Gefühl, dass die Tschechen und Slowaken entweder nur wenig zur Lage und Entwicklung der neuen Nationen zu sagen hatten, oder es die Verleiher und Festivals außerhalb der beiden Staaten einfach nicht interessiert hat. Fakt ist, dass die tschechischen und slowakischen Filme seit dem Zusammenbruch der ČSSR nur sporadisch ihren Weg auf westliche Leinwände gefunden haben, und in der politischen wie sozialen Kultur des heutigen Europas (von der ästhetischen gar nicht zu sprechen) scheinbar so gut wie keine Rolle mehr spielen. Das war nicht immer so. Wir erinnern uns – tschechoslowakische Filme vor und nach dem Prager Frühling, Neue Welle, politisches Bewusstsein. Vielleicht verweist diese vermeintliche (internationale) Abwesenheit von politischen und ästhetischen Merkmalen ja lediglich auf die gesamteuropäische Krise des individuellen Ausdrucks, der „Globalisierung“, wenn man es denn so nennen will. Oder es ist nur eine filmpolitische Neuorientierung, der wiederholte Versuch eines paneuropäischen Koproduktionsfilms, diesmal jedoch unter verschärften wirtschaftlichen Bedingungen.

Dass in Europa heutzutage meist weniger Filme produziert werden als noch vor 30 Jahren dürfte bekannt sein. Ob es deshalb auch weniger brisante, gewagte, ausdrucksstarke und verspielte Werke geworden sind, ist schwer zu sagen. Durch den kapitalistischen Geldwall dringt jedenfalls weit weniger spektakuläres auf (deutsche?) Leinwände als durch den eisernen Vorhang je zurückgehalten wurde. Und Kultur – wer interessiert sich im globalisierten Sumpf der Verweise noch für Kultur?

Doch will ich an dieser Stelle keinen politischen Essay verfassen, denn meine assoziativ-fragmentarische Zustandsbeschreibung ist mehr eine Hinführung an das eigentliche Thema. Denn was immer man auch von filmhistorischen Veränderungen halten mag. Tatsache bleibt, dass ich seit dem Zusammenbruch der Tschechoslowakei keinen wirklich interessanten Film aus dieser Region mehr zu Gesicht bekommen habe. Und dass mir die Filme der 60er und 70er Jahre aus heutiger Sicht noch um einiges radikaler und visionärer erscheinen als es früher bereits der Fall war. Vielleicht hängt es damit zusammen, dass sich inzwischen so vieles, damals jedoch so wenig geändert hat. Das Gefühl der Stagnation, des Stillstandes und des Gefangenseins, muss in den 70ern wohl ausgeprägter vorhanden gewesen sein als heute. Jedenfalls wurde es bewusster wahrgenommen. Und zu entdecken gilt es diese beiden Jahrzehnte tschechoslowakischer Filmkunst (und natürlich auch die vorangegangenen 50er, sowie die nachfolgenden 80er) heutzutage, aufgrund mangelnder Möglichkeiten, nicht mehr so sehr im Kino, sondern vor allem auf DVD. Damit möchte ich nicht andeuten dass diese Werke auf der großen Leinwand nichts mehr zu suchen hätten. Ganz im Gegenteil. Doch zu Zeiten der Informationsflut, des Geschichtsüberflusses wie Überdrusses, stirbt die Kinolandschaft aus, und die Vielfalt entflieht ins Digitale. Wenn uns die letzten Zehn Jahre schon keine großartigen tschecho-slowakischen Neuentdeckungen auf die Leinwände gebracht haben, so wurde doch für die Digital Versatile Disc einiges an Schätzen wieder ausgegraben. Und was sich in den Archiven nicht alles findet! Untertiteln und dem Internet sei Dank, kann sich der interessierte Filmliebhaber ungeahnte Schmuckstücke ins Heimische Wohnzimmer holen (und ich spreche hier nicht von Torrents und Subs die auch zahlreich durchs Netz schwirren). Der geneigte (anglophile) Filmfreund kann inzwischen aus über 200 untertitelten Original DVDs wählen, die den Einfallsreichtum und die Originalität der Filmproduktion der Tschechoslowakei in einem neuen Licht erstrahlen lassen. Und darunter fallen zum Glück nicht nur die allseits beliebten Märchenfilmen sowie die viel gerühmten Autorenwerke, die in geringerer Anzahl (und meist mittelmäßiger Qualität) auch außerhalb der beiden Staaten ab und zu erschienen sind. Nein, mit Kreditkarte, Paypal oder meist schon einer funktionierenden Bankverbindung, kann man direkt auf das Gebiet der ehemaligen ČSSR und ihrer Produkte zugreifen, und wer auf Untertitel verzichten kann oder gleich die (beiden) Sprache(n) lernen möchte, sieht sich vom Angebot inzwischen schier erschlagen.

Für alle Uneingeweihten und Neuankömmlinge (und auf Wunsch unserer Leser 😉 ) möchte ich daher an dieser Stelle einige Links und Tipps aufzählen um der Vielfalt einen überschaubaren Zugang an die Seite zu stellen.

Zunächst einmal gibt es eine inzwischen zwar schon wieder etwas veraltete, doch immer noch sehr hilfreiche Auflistung von englisch untertitelten DVDs, auf dem sehr informativen aber leider nicht mehr aktualisierten Blog Closely Watched DVDs.

Außerdem habe ich zwei Tschechische/Slowakische Internetshops ausfindig gemacht, von denen einer teilweise mit einem englischen Navigationsmenü ausgestattet ist und definitv auch Produkte ins Ausland importiert: www.dvdr.cz sowie www.dvdedice.cz

Für diejenigen denen das navigieren auf diesen beiden Websites zu kompliziert sein sollte, gibt es aber auch die bewährten Leute von Xploited Cinema (hier von mir auf 2 Filme von Václav Vorlícek verlinkt). Die Auswahl ist jedoch weit geringer, und die Discs auch nicht ganz billig…

Wer der Sprache etwas mächtiger ist, oder auch nur gewillt sich im Tschechischen oder Slowakischen zu versuchen, dem sei auch die einheimische Vaiante der Imdb unter www.csfd.cz ans Herz gelegt. Zumindest die Kenntnis einer slawischen Sprache sollte man aber schon mitbringen um sich auf der Seite einen Überblick verschaffen zu können.

Und für alle die sich von meinem Post etwas anderes erwartet hatten, habe ich als Entschädigung ein paar Links auf Youtube ausgegraben. Der User paatyia hat auf seinem Kanal einige Klassiker in teils hochauflösender Qualität hochgeladen, die man sich komplett ansehen kann – manche sogar mit englischen Untertiteln!

Mit den Links zu zwei meiner Lieblingsfilme möchte ich daher dieses Poting abschließen. Genießt sie solange sie zugänglich sind, oder bestellt sie euch per DVD! Es lohnt sich. 😎

Pane, vy jste vdova! (Václav Vorlícek / 1970)

Sedmikrásky (Very Chytilová / 1966)

Dieser Beitrag wurde am Donnerstag, März 5th, 2009 in den Kategorien Ältere Texte, Blog, Blogautoren, Essays, Hinweise, Sano, Trägermedien veröffentlicht. Sie können alle Kommentare zu diesem Beitrag über den RSS 2.0 Feed verfolgen. Sie können diesen Beitrag kommentieren, oder einen Trackback von ihrer eigenen Seite setzen.

7 Antworten zu “Die Tschechoslowakei auf DVD”

  1. Alexander on März 6th, 2009 at 06:51

    Interessant, interessant. Jetzt wo du das schreibst fällt mir auch auf, dass ich kaum einen aktiven tschechischen oder slowakischen Filmregisseur nennen könnte. Naja, Jan Sverák mit KOLYA zumindest, obwohl ich den noch nicht gesehen habe, und Jiri Menzel ist ja auch noch aktiv. Das wars dann aber glaube ich schon, heute scheint die ehemalige Tschechoslowakei eher als kostengünstiger Drehort für Hollywoodproduktionen zu dienen oder wird gleich als abschreckender Hintergrund für Torture-Pornos mißbraucht als dass sich viel bei den Eigenproduktionen tun würde. Zumindest dringt wenig nach draußen, trotz renomierter Festivals wie in Karlsbad, die man doch eigentlich gut als Werbeplattform nutzen könnte.

    Bei älteren Filmen aus der CSSR sieht es bei mir auch nicht viel besser aus, außer dem frühen Milos Forman kenne ich da kaum was (das sieht bei mir momentan leider bei den meisten osteuropäischen Ländern so aus). Insofern sind die youtube-Links schon verlockend, aber ich werde mich zusammen reißen, TAUSENDSCHÖNCHEN zum ersten Mal in einem winzigen Fenster bei youtube sehen, nein, das geht gar nicht.

    Wenn man in der tschechischen Filmgeschichte noch weiter zurückgehen will: Das CineFest war 2007 den deutsch-tschechischen Filmbeziehungen gewidmet, wozu u.a. eine Begleit-DVD erschienen ist, auf der sich einige dieser europäischen Koproduktionen finden.

  2. Sano Cestnik on März 6th, 2009 at 11:27

    Zu den Youtube Links kann ich dich zumindest etwas beruhigen. Hab sie nur hinzugefügt, weil ein paar der Filme in ziemlicher guter Quali zu sehen sind – und das nicht im kleinen, sondern im großen Fenster. Dank der relativ neuen HQ Funktion, kannst du z.B. PANE, VY JSTE VDOVA! beinahe in DVD Qualität bestaunen. AUßer, dir ist der PC Bildschirm auch nicht geheuer.

    Was hat es genau mit dem CineFest auf sich? Klär mich auf, tappe da noch im Dunkeln. Und was für Filme sind auf der DVD enthalten?

  3. The Critic on März 8th, 2009 at 23:25

    Aber Herr Alexander, den Svankmajr werden’s doch wohl kennen, oder? Sehr löblich, den Sedmikrasky abzuwarten. Empfehle, in eurem Kino eine kleine Filmreihe mit der tschechoslowakischen Nouvelle vague zu initiieren. Oder wie wäre es mit einer Osteuropa-Reihe aus jener Zeit?
    Würde übrigens ebenfalls vermuten, daß die Filmproduktion der Tschechei heute nicht mehr so einflußreich ist (sowohl kommerziell als auch künstlerisch), da hat mittlerweile Rumänien den Spitzenplatz eingenommen.

    Herr Sano, welche Freude, daß man hier noch kundengerecht bedient. 🙂
    Habe allerdings mittlerweile schon mal selbst mich umgetan und bin fündig geworden. An Läden würde ich noch http://www.dvdbest.sk und http://superstarshop.cz/ hinzufügen wollen, die übersichtlich sind und meist ganz gute Preise haben. Da gibt es auch Vera Chytilovas Panelstory, der leider bisher nur ohne englische Untertitel erschienen ist. Bedauerlich, hört man doch nur Gutes über den Film.
    Eine Art DVDBeaver für tschechische DVDs ist http://dvdfreak.bloudil.cz/. Scheint aber ein Projekt einer Privatperson zu sein, man sollte also nicht allzu große Hoffnungen darauf setzen.

  4. Sano Cestnik on März 11th, 2009 at 16:28

    Das mit der Filmreihe klingt sehr verlockend. Da müsste man aber mal genauer schauen welche Filme im Verleih erhältlich sind – die üblichen Verdächtigen, oder auch ein paar versteckte Perlen.
    Bei Rumänien als heutigem Innovationshort bin ich mir aber nicht so sicher. Habe zwar bisher nur einen (sehr guten) Film dieses aktuellen Hypes gesehen, aber geschrieben wurde in den letzten Monaten so wie ich es mitbekommen habe über höchstens ein halbes Dutzend Filme, und zwei oder drei junge Regisseure. Ob diese Handvoll eine solche Aufregung rechtfertigt, scheint mir momentan eher zweifelhaft – aber ich lasse mich natürlich gerne vom Gegenteil überzeugen.
     
    Der Kunde ist immer König. Nur dauerts manchmal ein bisschen. 😉 „Panelstory“ kann ich dir ebenfalls empfehlen. Vor allem Formal ein Erlebnis wie Jess Franco auf Speed.
    Den Link zu der tschechischen DVD-Review Seite hätte ich auch noch hinzufügen können. Leider vergessen. Aber es scheint doch ein ähnliches Projekt wie DVDBeaver zu sein, also eher international orientiert. Konnte bisher auch nur eine Person ausmachen. Jedenfalls denken das alle Leute, deren Kommentare dazu ich bis jetzt gelesen habe, und ich konnte auch nichts gegenteiliges feststellen.
     
    Hast du schon ein paar Filme bestellt und interessantes entdeckt? 🙂

  5. Peto on März 23rd, 2009 at 00:42

    Hi guys!
    I run DVDFreak.bloudil.cz. I’ve read the comments above (I understand German, but writing in German is a bit difficult for me ;-)), and I was wondering – did you want anything in particular from „DVDFreak?“ The site is my private project, that’s correct, so I only work on reviews when I’ve some time left. But if you’re looking for info about Czech/Slovak DVDs, feel free to drop me an e-mail…
    Cheers!
    Peto

  6. Sano Cestnik on März 23rd, 2009 at 17:17

    Hi Peto,

    Thanks for dropping by. As I was writing my article, I also thought of your great project, but ultimately forgot to include it in the final draft. „The Critic“ therefore mentioned it, as an addition to find out about the transfers of some Czechoslovakian movies.
    How come you understand German? My knowledge and understanding of Czech/Slovakian is only rudimentary, but it’s usually enough to get some basic infos. I love the sound of it, but didn’t have time to learn it, yet.
    What I always wanted to ask you since I stumbled upon your site, is there a concept behind your reviewing, a method which you follow as to which titles you choose, or do you simply pick the films you like or the films available to you?

  7. Peto on März 24th, 2009 at 17:16

    Hi Sano!
    Well, I studied German for a year or so, and then watched German TV a lot, so now I understand practically everything. 😉 But speaking/writing does not come so easy to me…
    RE my reviewing „method“ – first, and most importantly, I only review the films I like. Because of that, I’m afraid there are lots of films out there I simply won’t review (unless someone pays me to do it, which is not likely). Then, I usually check if the film in question was reviewed already by someone else, and if so, I won’t review it again – I’ve precious little spare time as it is, so why spend it unnecessarily. (This mainly concerns foreign films, because the CZ/SK films released locally – they’re rarely reviewed on foreign sites.) That’s basically it. Anyway, I don’t make reviews in the proper sense – sometimes I just list the tech specs, if there’s nothing special to say about the given DVD. I always thought of my site as „dvdcompare.net WITH screenshots.“ (c:
    Cheers!
    Peto

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