Die große Nutzlosigkeit und die Natur der Dinge – The Mechanic (1972)



„Wenn du dich konzentrierst und in Trance gerätst; wenn du in Meditation sitzt und deine Aufmerksamkeit auf ein Objekt richtest; wenn du deinen Geist in Gewahrsein und Betrachtung ruhen läßt und den Weg wie eine mechanische Puppe praktizierst – wann wirst du da je dein Ziel erreichen?“
(Baozhi, Die Natur der Dinge[1])

In der ersten Viertelstunde von The Mechanic wird nicht gesprochen, es wird gearbeitet. Das Schweigen ist nicht weihevoll, ist nicht ratlos; es ist deskriptiv, es verweist auf das Wesentliche. Schweigen, Vorbereiten, Warten. Eine einsame Arbeit. Charles Bronson befindet sich in seinem Hotelzimmer, schaut in ein Fenster auf der anderen Straßenseite. Er breitet sein Equipment aus. Man denkt zunächst, er baue ein Scharfschützengewehr zusammen. Doch es ist ein Fotoapparat. Er beginnt, Fotos zu schießen. Dann sehen wir ihn zuhause, wie er sich die Fotos anschaut, darüber brütet. Er steht vor einem Problem und ist kurz davor, es zu lösen. Später betritt er die Wohnung seines Opfers, macht sich mit den Gegebenheiten vertraut, präpariert die Herdplatte, verschwindet wieder. Dann checkt er wieder in das Hotel gegenüber ein, wo er freie Sicht auf die Wohnung hat. Bis sein Opfer endlich kommt. Bis der Auftrag ausgeführt ist.
Der stumme Fokus aufs Detail, der an Jean-Pierre Melville erinnert, hat etwas Meditatives. All die einzelnen Schritte, die notwendig sind, das Ziel zu erreichen, werden mit grenzenloser Geduld durchgeführt. In diesen Schritten ist der Killer Arthur Bishop, den Bronson verkörpert, ganz bei sich, befindet sich in einer Welt, die für ihn vollkommen ist. Sie existiert aus nicht viel mehr als dem Erfüllen der Aufgabe, die ihm übertragen wurde. Eine einfache, jedoch von gusseiserner Selbstdisziplin durchzogene Philosophie, die sich selbst genügt: „Es gab keinen Schmerz, keine Freude, keine Erregung, keine Erleichterung, kein Glücksgefühl, keinen Laut und auch kein tiefes Durchatmen. Es war nur das Begreifen einer großen Nutzlosigkeit […].“[2]

In Michael Winners erstem Hollywoodfilm, seiner zweiten Zusammenarbeit mit Charles Bronson, wendet er sich einem Sujet zu, das ihn auch in seinem nachfolgenden Film Scorpio (1973) beschäftigen wird. Da wird ebenfalls ein Duell zwischen zwei Killern ausgefochten, einer davon Alain Delon, ein noch klarerer Verweis auf das Werk Melvilles. Beim Verweis bleibt es aber auch, ist Melville doch ungleich romantischer, selbst in seiner Lakonie noch schwärmerisch: Er vergleicht Delons „Eiskalten Engel“ in einem vorangestellten Motto mit einem Samurai und einem Tiger im Dschungel.[3] Solch majestätischen Metaphern liegen Autor Lewis John Carlino und Regisseur Michael Winner fern. In The Mechanic fehlen die sentimentalen Elemente, die zum Beispiel in Scorpio zu finden sein werden. Gefühle sind hier nur als fernes Echo vernehmbar. Auch ist The Mechanic erstaunlich reduziert, was Handlung und Struktur angeht. Es gibt einen Mann und einen Freund, dessen Sohn und die Organisation („The Association“). Der Mann bekommt den Auftrag, seinen Freund zu töten, was er ohne zu zögern tut. Aus unerfindlichem Grund nimmt er den Sohn unter seine Fittiche, merkt, dass Beide aus dem gleichen Holz geschnitzt sind und beginnt ihn auszubilden. Der Organisation gefällt das nicht. Und der (Zieh-)Sohn oder besser: der Schüler soll daraufhin den Lehrer beseitigen. Der Lehrer kriegt es vorher raus. Am Ende verlieren Beide.

Ein asketischer Film, wenn man von den elaborierten Actionszenen absieht. Aber die Nuancen und Anspielungen sind zahlreich, pochend und eindringlich. The Mechanic zeigt die „most dehumanized Bronson portrayal“[4], eine Darstellung, die von einer kargen, klaren (der Titel sagt es schon) Mechanik ist, einer kalten Logik folgend. Und doch werden im Laufe des Films immer mehr Risse sichtbar. Da ist zunächst das Rollenspiel, das er mit einer Prostituierten (Jill Ireland) treibt, die ihn zu lieben vorgeben muss und ihm dabei gar Liebesbriefe schreibt. Da ist sein teils schwächelnder Gesundheitszustand, die Schwindelanfälle, die er genau wie die Pillen, die ihm der Arzt verschreibt, ignoriert. Und da ist die Begegnung mit Steve (Jan-Michael Vincent), dem Sohn seines Freundes Harry McKenna (Keenan Wynn). Bishop lässt sich mehr und mehr auf ihn ein, entdeckt in ihm eine verwandte Seele und beginnt ihn auszubilden. Doch warum tut er das? Er verbringt seine Freizeit mit dem Sohn eines seiner Opfer. Höchst unprofessionell. Sind es Schuldgefühle? Oder gar eine homoerotische Anziehung? Letzteres ist gar nicht so abwegig, wenn man bedenkt, dass Autor Carlino diesen Aspekt in sein Originaldrehbuch durchaus integriert hat: „Lewis John Carlino’s original script […] specified a homosexual relationship between the two male leads. […] Charles Bronson and Jan-Michael Vincent finally agreed to star in the film if the sexual nature of the relationship was omitted.“[5]
In Michael Winners filmischer Adaption ist dieses Verhältnis weitgehend verschleiert. Doch es ist keineswegs verschwunden, ist es doch noch im dandyhaften Spiel von Vincent spürbar, sowie einigen verräterischen Einstellungen. Auch New-York-Times-Kritiker Vincent Canby ist die „sexual dynamic“[6] zwischen den Hauptfiguren in seiner damaligen Kritik nicht entgangen.
Carlino hatte ursprünglich ein „chess game“, ein Duell zwischen Schüler und Meister im Sinn, in dem Bishops Sexualität als Achillesverse fungiert, und fand, dass der Film sich, nachdem er sich von diesem Strang entfernte, in einen „pseudo James Bond film“ verwandelt hatte.[7] Dabei ist gerade die Verschleierung der persönlichen Motive, das Diffuse in der Charakterisierung die eigentliche Stärke des Films. The Mechanic streift all diese Psychologisierungen, die Vater-Sohn-Konstellation, das Lehrer-Schüler-Verhältnis, die latente Homosexualität, verweigert sich aber diesen klugerweise komplett. Figuren wie Bishop und Steve McKenna brauchen keine reiche Psychologie, sie haben ja auch kein reiches Gefühlsleben. Es sind Charaktere, deren Menschsein sich manchmal noch einschleicht und ihre Natur durcheinanderbringt. „I live in my mind“, sagt Steve auf der Beerdigung seines Vaters zu Bishop, „and so do you“. Nicht nur wird eine Seelenverwandtschaft ausgedrückt, auch wird eine Art Buddhismus evoziert, den Steve jedoch außerstande ist konsequent zu verfolgen. Für ihn ist alles ein moralfreies, darwinistisches Spiel, das einen Gewinner und einen Verlierer haben muss. Der Stärkere überlebt. So funktioniert Bishop nicht. Er weiß, dass es um solch weltlichen Dinge längst nicht mehr geht.

The Mechanic ist vielleicht der einzige Film über Auftragskiller, in dem es darum geht, dass Gefühle einmal da waren und es ihr Echo ist, das Verwirrung stiftet. Der letzte Rest an Menschlichkeit, die ihre Philosophie ihnen eigentlich abtrainiert haben müsste, bäumt sich auf, klammert sich an das Leben, das eigentlich überwunden scheint: „Die Natur der Dinge ist grundlegende, immerwährende Stille: offen und klar, ohne Grenzen und Begrenzungen. Wenn du deinen Geist auf Festhalten und Abwehren einstellst, dann werden diese beiden Zustände Macht über dich erhalten.“[8] Und dann verlierst du das Spiel.


Safarow schreibt


Quellen:

1 Baozhi: Die Natur der Dinge. In: Zen. Worte großer Meister. Hg. v. Thomas Cleary. Zürich: Diogenes 2002. S. 34-35, hier S. 34.
2 Herzog, Werner: Eroberung des Nutzlosen. 4. Auflage. Frankfurt am Main: S Fischer 2013. S. 327.
3 Vgl. das Eingangszitat aus Melvilles LE SAMOURAÏ (Der eiskalte Engel, F 1967): „Il n’y a pas de plus profonde solitude que celle du samouraï si ce n’est celle d’un tigre dans la jungle… peut-être…“
4 Jackson, Frank: The Mechanics of „The Mechanic“. In: The Velvet Light Trap 16 (1976). S. 38-40, hier S. 39.
5 Russo, Vito: The Celluloid Closet. Homosexuality in the Movies. New York, u.a.: Harper & Row 1981. S. 91.
6 Ebd.
7 Vgl. ebd.
8 Baozhi: Die Natur der Dinge. S. 34.

Dieser Beitrag wurde am Mittwoch, November 6th, 2019 in den Kategorien Ältere Texte, Blog, Blogautoren, Essays, Filmbesprechungen, Sven Safarow veröffentlicht. Sie können alle Kommentare zu diesem Beitrag über den RSS 2.0 Feed verfolgen. Sie können diesen Beitrag kommentieren, oder einen Trackback von ihrer eigenen Seite setzen.

Eine Antwort zu “Die große Nutzlosigkeit und die Natur der Dinge – The Mechanic (1972)”

  1. Filmforum Bremen » Das Bloggen der Anderen (11-11-19) on November 11th, 2019 at 17:44

    […] – Sven Safarow schreibt auf Eskalierende Träume über die große Nutzlosigkeit und die Natur der Dinge in „The Mechanic“ von 1972. […]

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