Blooming Wastelands: Notizen zum US-Fernsehen zwischen 1948 und 1980 – Teil I: Grauman, Maddow und „The Noise of Death“ (USA 1960)



Newton Minows Charakterisierung der US-Fernsehlandschaft als vast wasteland aus dem Jahre 1961 hat sich eingebrannt in das kollektive Gedächtnis und ist auch heute noch schnell bei der Hand, wenn es darum geht, kulturkritische Untergangsszenarien heraufzubeschwören. Eine weitere folgenschwere Zuschreibung erfolgte im Zuge der Debatte um das so genannte ,Qualitätsfernsehen‘ in den neunziger Jahren. John Thornton Caldwell reduzierte die Ästhetik des gesamten US-Fernsehens vor HILL STREET BLUES (NBC 1981-87) und MIAMI VICE (NBC 1984-90) auf den uncharmanten Begriff des zero-degree style, gedacht als blasse Kopie der Hollywood‘schen continuity-Prinzipien auf B-Film-Niveau, konservativ, nichtssagend, homogen. Damit konnten zwar Feuilleton und Wissenschaft in trauter Zweisamkeit endlich frei, ohne Rechtfertigungspflichten über die ästhetische Überlegenheit zeitgenössischer US-Serien gegenüber ihren Vorläufern oder gar dem Kinofilm fabulieren – der Fernseh- und mithin Mediengeschichtsschreibung jedoch wurde damit ein Bärendienst erwiesen. Dabei zeigt sich das US-Fernsehen dieser viel gescholtenen Periode von immerhin drei Dekaden als äußerst dynamisch, vielfältig, gar experimentierfreudig und immer wieder überraschend und zuweilen irritierend, voller kleiner und großer Wunder. Von eben diesen Wundern soll an dieser Stelle in mehr oder minder regelmäßigen Abständen die Rede sein.

THE UNTOUCHABLES (ABC 1959-63, dt.: Die Unbestechlichen) dafür als Einstieg zu wählen, mag auf den ersten Blick wenig verheißungsvoll erscheinen – soll aber umso mehr unterstreichen, dass selbst Serien, die man zu kennen glaubt, die man vielleicht als Kindheits- oder Jugenderinnerung längst abgehakt hat, Wieder- bzw. Neubegegnungen nicht nur verdienen, sondern gar erfordern.

Hervorgegangen aus Phil Karlsons Zweiteiler für das Desilu Playhouse (CBS 1959, teilweise in Spielfilmlänge als THE SCARFACE MOB vermarktet), firmiert die Serie, vielleicht auch dank des DePalma-Films von 1987, häufig unter dem Genre-Label des police procedural. Und obwohl einiges für diese Kategorisierung spricht, nicht zuletzt wegen Reporter Walter Winchells hektischer Erzählerstimme oder den exzessiven Verdächtigen- und Zeugenbefragungen à la DRAGNET (USA 1951-59), läuft die Serie gerade dann zur Höchstform auf, wenn sie den Blick vom Haupt-Narrativ um Al Capone und Eliot Ness mit seinen kaum differenzierten Kollegen abwendet und sich auf die kleinen und größeren Ganoven-Melodramen konzentriert, in denen die stoischen Gesetzeshüter nur am Rande als Zaungäste des kriminellen Geschehens auftauchen; diese Perspektivverschiebung würden wenig später, wenn auch nur mit kurzem Quotenerfolg, Serien wie OUTLAWS (NBC 1960-62) und BREAKING POINT (ABC 1963-64) noch konsequenter verfolgen.

Walter Grauman, in Christopher Wickings und Tise Vahimagis Taxonomie von US-Fernseh-Regisseuren einer der Kings of the Stardust Ballroom, in cinephilen Kreisen wohl am ehesten bekannt für seine Kinoarbeit LADY IN A CAGE (1964), inszenierte insgesamt 21 Episoden von THE UNTOUCHABLES, darunter einige der besten seiner gesamten Karriere. In Zusammenarbeit mit Kameramann Charles Straumer (ein ehemaliger Camera Operator von Gregg Toland und Harry J. Wild) verlagerten Regisseure wie Grauman, Robert Florey oder Ida Lupino das ursprünglich angelegte semi-dokumentarische Konzept ästhetisch weit in Richtung Noir. Graumans „The Purple Gang“ (1960), mit einem brennenden Steve Cochran als soziopathischer Gangsterboss, der mit Capones rechter Hand Frank Nitti (Bruce Gordon) aneinander gerät, legt hiervon ein beredtes Zeugnis ab: Das Chiaroscuro wird hier in ähnlicher Weise bis zur Abstraktion getrieben wie in Lewis‘ THE BIG COMBO (1955) oder anderen radikal monochromen Arbeiten von Kameramann John Alton. Als sich die beiden verfeindeten Gangs zunächst zu Verhandlungen und später zum finalen Gefangenenaustausch in einer verlassenen Lagerhalle treffen, werden Figuren mitunter gänzlich vom allgegenwärtigen Tiefschwarz verschlungen, sobald sie aus den wenigen Lichtkegeln heraustreten. Fast könnte man meinen, Johnnie To habe sich hiervon für die Ästhetik seiner nachtschwarzen Hongkong-Krimis inspirieren lassen.

Die anderen frühen, ebenfalls durch die Bank großartigen UNTOUCHABLES-Episoden von Grauman wie „The Noise of Death“, „The White Slavers“, „The Rusty Heller Story“ (mit einer fantastischen Elizabeth Montgomery, besser bekannt aus BEWITCHED, ABC 1964-1972) oder „The Mark of Cain“ (alle 1960) sind zwar visuell konventioneller, aber thematisch interessanter. Graumans Regie ist im Unterschied zu seinen ungleich flamboyanteren Kollegen wie Walter Doniger, Sutton Roley oder Sydney Pollack modulierter, häufig dem Spiel seiner Darsteller untergeordnet. Will heißen: Keine elaborierten Plansequenzen, keine exzessiven deep-focus-Einstellungen, keine staccatohaften Montagemanöver. Seine Vorliebe für low-key-Lichteffekte, Untersichten und fein ausgezirkelte, pointierte Nahaufnahmen, wohl mit ein Grund für Wickings/Vahimagis Charakterisierung seiner Arbeit als ,pure TV‘, drängt sich selten in den Vordergrund. Die Selbstverständlichkeit und Gelassenheit, mit der Grauman seine Kamera platziert und bewegt, mit der jeder Schnitt, jeder Einstellungswechsel sitzt, erinnert an Tugenden von Hollywoods Studio-Ära, ohne jedoch zum reinen Schema zu verkommen.

Für Stephen Bowie, dessen Classic TV History Blog nicht genug gelobt werden kann, markiert „The Noise of Death“ den Wendepunkt der Serie hin zum Charaktermelodrama, und tatsächlich geht die Geschichte um den alternden Mafiaboss Joe Bucco (J.Carrol Naish), der durch einen jüngeren Kollegen (Henry Silva) ersetzt werden soll, weit über die üblichen Genre-Standards hinaus.1 Erst nach und nach findet der stolze Bucco heraus, was alle anderen bereits wissen. Obwohl er darum kämpft, sein Gesicht zu wahren, sich gar verhandlungsbereit gibt, ist sein Ende besiegelt, sobald sich die Maschinerie in Gang gesetzt hat – unsichtbar, unaufhaltsam, unerbittlich. Bereits zu Beginn wird er von der Frau eines Restaurantbesitzers, der später tot aufgefunden wird (ohne Buccos Wissen von seinem impertinenten Nachfolger in spe hingerichtet), übel beschimpft und verflucht. Ein Vorfall, den Bucco und seine verängstigte Frau nicht auf die leichte Schulter nehmen. Dieses Motiv von tragischer Schicksalhaftigkeit zieht sich wie ein roter Faden durch die Geschichte; auch von den gesichtslosen Entscheidern in der Chefetage ist als ,Wahrsager draußen auf der Farm‘ die Rede. Es sind ganz besonders Graumans expressive Großaufnahmen von Naish und Silva (zurückhaltend, aber doch bedrohlich), die den Konflikt und Buccos Erkenntnis um sein unausweichliches Ende, ganz ohne Dialoge, nur über die Mimik und Blicke der Schauspieler, zu erzählen vermögen. In der geradezu kafkaesken Schlussequenz in einem gespenstisch leeren Restaurant, in dem selbst die im Hintergrund spielende Band eine potentielle Bedrohung darstellt, stirbt Bucco einen plötzlichen, unpersönlichen Tod, im Off erschossen von einem unbekannten Attentäter. Mit der anschließenden Szene, in der Ness den vollständig bandagierten, aber bereits toten Bucco auf dem Sterbebett befragt, und Buccos letzter Nachricht an Ness, in der er ankündigt zu ,singen‘, um dann tatsächlich in eine Arie auszubrechen, schließt die Episode auf einer nicht minder bizarren Note.

Geschrieben wurde „The Noise of Death“ von Ben Maddow, einem Schriftsteller, Dokumentaristen und Blacklist-Opfer, der zuvor (oft mit Philip Yordan als front) für die Drehbücher von THE ASPHALT JUNGLE (1950), JOHNNY GUITAR (1954), MEN IN WAR (1957) und GOD‘S LITTLE ACRE (1958) verantwortlich zeichnete. Mit Hustons THE UNFORGIVEN (1960) und den beiden UNTOUCHABLES-Episoden (daneben noch „Head of Fire, Feet of Clay“, ebenfalls inszeniert von Grauman) war Maddows‘ Name seit gut zehn Jahren erstmals wieder in den offiziellen Stabangaben zu lesen. Es lässt sich trefflich darüber spekulieren, inwiefern Maddows‘ eigene Erfahrungen als Verfolgter in die Skizzierung von Buccos Situation eingeflossen sind.2 Maddow jedenfalls, der in Portraits als invisible man oder als hombre misterioso charakterisiert wird, überstand die Blacklist nicht gänzlich unbeschadet, konnte sich in Hollywood aber besser wieder einfügen als andere und kehrte sogar zu seiner Arbeitsweise in den Dreißigern und Vierzigern zurück: Auch in der Dekade nach „The Noise of Death“ wechseln sich entsprechend experimentelle, häufig semidokumentarische Projekte und sozialkritische oder gar linke Themen mit größeren Hollywood-Produktionen ab.

Grauman indes würde in den kommenden Jahren eine langjährige Partnerschaft mit Produzent Quinn Martin eingehen und für diesen u.a. Episoden von THE NEW BREED (ABC 1961-62), THE FUGITIVE (ABC 1963-67), THE FBI (ABC 1965-74), THE STREETS OF SAN FRANCISCO (ABC 1972-77) und BARNABY JONES (CBS 1973-80) inszenieren. Zwischendurch ist zwar immer wieder Zeit für die Anfang der Sechziger aufkommenden professional-Serien, u.a. EAST SIDE/ WEST SIDE („Creeps Live Here“, CBS 1963) und THE ELEVENTH HOUR („Of Roses and Nightingales and other Lovely Things“ und „Eat Little Fishie Eat“, NBC 1962), wie auch für Beiträge in der ein- oder anderen Anthologiereihe (etwa ROUTE 66 und das ALCOA THEATRE), er bleibt aber dem zeitgenössischen Kriminal- und Actiongenre weitgehend treu. Ungewöhnlich Graumans Beitrag zu THE TWILIGHT ZONE, „Miniature“ (CBS 1963), und sein trocken-dokumentarisches Plädoyer gegen die Todesstrafe „Prime of Life“ für NAKED CITY (ABC 1963).

Häufig ist zu lesen, dass THE UNTOUCHABLES nach den ersten beiden Staffeln und der scharfen Debatte um die Darstellung von Gewalt und Ethnizität im Fernsehen, besonders im Zuge der Anhörungen von Senator Thomas J. Dodd, zunehmend zahmer und generischer wurde. Vahimagis UNTOUCHABLES-Buch findet entsprechend kaum freundliche oder überhaupt ausführlichere Worte zu Folgen aus Staffel drei und vier. Weniger Gewalt und weniger ethnische Stereotypen sollten allerdings nicht den Blick verstellen – als ob es tatsächlich darum ginge! – auch spätere Folgen bieten mit Arbeiten von Lupino, Paul Stanley, Bernard L. Kowalski, Paul Wendkos oder Stuart Rosenberg ausgesprochen sehenswerte Gangstermelodramen. Es lohnt auch durchaus, einen Blick auf die Konkurrenzprodukte zu werfen, von THE LAWLESS YEARS (NBC 1959-61), über THE ROARING 20’S (ABC 1960-62) und TARGET: THE CORRUPTORS (ABC 1961-62) bis hin zu CAIN’S HUNDRED (NBC 1961-62). Der häufig vorgebrachte Vorwurf der Epigonalität ergibt im Genrekontext ohnehin wenig Sinn, vor allem aber finden sich im Episodenfernsehen, völlig ungeachtet von Sender, Studio, Produktionsfirma, Serie oder Staffel, überall kleinere und größere Wunder.

Das nächste Mal: Bernard L. Kowalski, Bruce Geller und das Ende von RAWHIDE (Tausend Meilen Staub)…

1. Graumans „The Mark of Cain“, nach einem Drehbuch von David Zelig Goodman, erzählt die Geschichte von Silvas Figur weiter und lässt ihn als Spielball in einem Bruderkonflikt innerhalb des obersten Gangster-Konzils ein ähnliches Schicksal erleiden wie Bucco zuvor.

2. Auch Bowies Lesart der Episode als Kritik an der US-corporate culture der fünfziger Jahre im Stil von Rod Serlings PATTERNS (TV: 1955, Kino: 1956) hat durchaus etwas für sich.

 

Dieser Beitrag wurde am Montag, Dezember 23rd, 2019 in den Kategorien Ältere Texte, Blog, Blogautoren, Filmbesprechungen, Filmschaffende veröffentlicht. Sie können alle Kommentare zu diesem Beitrag über den RSS 2.0 Feed verfolgen. Sie können diesen Beitrag kommentieren, oder einen Trackback von ihrer eigenen Seite setzen.

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