Leben, Lachen, Laufen und Kohle – The Molly Maguires (1970)




    O what can you give me?
    Say the sad bells of Rhymney.

    Is there hope for the future?
    Cry the brown bells of Merthyr.

    Who made the mineowner?
    Say the black bells of Rhondda.

    And who robbed the miner?
    Cry the grim bells of Blaina.

    (Idris Davies – Gwalia Deserta XV)


Ein Film über Wider- wie Stillstand, über Lachen und Bewegung, Sean Connerys Lachen, Sean Connerys Bewegung oder aber: vielmehr deren Abwesenheit. Als Kopf einer Geheimorganisation semi-versklavter irischer Minenarbeiter im fremden Pennsylvania legt er mit seinen Vertrauten Sprengladungen im verhassten Kohlestollen, bevor man draußen mit dem Rücken zur erwartenden Detonation der Kamera entgegenschreitet. Michael Bayscher code of cool – nicht ganz, erst schleichen sich die Compagnons seitwärts aus der Bildkadrierung, dann macht sich auch James Wong Howe rückwärts vor Connery davon, der stoischen Schrittes weiterstapfend immer kleiner, ausstauschbarer gar gerät. Was wie die Aufweitung des filmischen Blickes zum präzis alle möglichen Begebenheiten in Betracht ziehenden Scopepolitpanorama anmutet, enthüllt Martin Ritt – der genaue Figurenpostierer des amerikanischen Sozialdramas – erst retrospektiv als dessen exaktes Gegenstück. Den heimtückischen weil trügerischen Perspektivwechsel von Hauptcharakter zu Hauptcharakter.

Umgehend tritt Richard Harris auf den Plan, der sich als Detektiv in die Zeit, Geld und Material, schlicht Kapital vernichtende Vereinigung einschleusen soll. Nun wird er unser Held, er, der redet und sich erklärt, mit dem konsequenten modus operandi des immerhin 15 Minuten gänzlich im Zeichen der Stummheit stehenden Auftaktes bricht. Eine Stummheit, die, wie wir nach und nach erfahren werden, nicht visuelle Exaltation sondern Symptom ist. Außen und Innen sind hier abgesteckte Areale, in den Stollen spricht man nicht, man plackt sich ab. Sie sind die großen Gleichmacher eines Filmes, der auf fast unbekannte Weise mit dem zur Drehzeit im Sommer 1968 fast grenzenlosen Ruhm seiner Hauptdarsteller spielt (diesen als Flop ungeahnten Ausmaßes dabei allerdings auch längerfristig beschädigen sollte). Unter den Stützbalken herrscht Getümmel im Halbschatten, ein gleichmachendes Bärteaufgebot – viele Seans und Richards meint man bereits erspäht zu haben, ehe sie überhaupt erstmals die Leinwand betreten. Dort unten sind sie nichts als einer unter vielen, dort oben zählen dezidiert maschinelle Anstrengungen – Wagenladungen schlängeln sich tagein, tagaus entlang ihrer predeterminierten Pfade, Transportbändern rattern in unentwegter Rotation, Abbau- und Maschinenlärm untergräbt Harry Mancinis orchestrale Friedensbemühungen, die sich mit keltischer Harfe, Penny Whistle oder Ziehharmonika besonders wehmütig in Heimweh kleiden.

Lange bleibt dieses Treiben die einzige Ertüchtigung oberhalb der Erdkruste. Kein Wunder, dass man so nicht aus dem Quark kommt. Nur abseits des narrativen Hauptstromes blitzt eine Ahnung von Nahbarkeit im sonst so charismatischen James Bond der Herzen auf, im Körperlichen, nicht Worten und Gesten. So verschlossen im Auftreten, beinahe schüchtern; unter seinen Kameraden ist er der, der am wenigsten mit den Mitmenschen interagiert, auch visuell steht er stets am Rande – nicht weil er über ihnen thront, weil er hadert. Wir sehen, können jedoch nicht verstehen, dass er ihr Anführer ist. Martin Ritt erzählt davon, was passiert, wenn ein Mensch in seinem persönlichen Koordinatensystem verrottet oder aus diesem entfernt wird; selten verdichtet erfasst er, wie Menschen inner- und außerhalb ihres angestammten Bezugsraumes wirken. Auf sich selbst, auf andere, wiederum unterteilt in jene fern und nahe der eigenen Gefüge. Viele Jahrzehnte galt Ritt als ausgewiesener „Social issue“-Regisseur, dabei ist er weniger politisch exponiert als einer der großen, stillen Soziologen des amerikanischen Kinos. Des Oberkörpers beraubt tritt Sean Connery einmal wohl vom Dunkel der Tunnel ermächtigt aus dem linken Nichts hinein in den Bildausschnitt, direkt neben den dort leicht gebückt schuftenden Neuankömmling, den er über seine Haltung und Loyalitäten auszuquestschen gedenkt. Man weiß sofort, wer dieser fremde Mann nur sein kann, an dessen Statur die Kamera eingeschüchtert Zentimeter für Zentimeter emporklimmt. Eine erste Ahnung davon, was dem Elend der Baracken enthoben in ‚Black Jack‘ Kehoe schlummert.

Wenig später explodiert in einem enthemmten Rugbymatch zwischen unterschiedlichen Nationalitäten förmlich die Leinwand. Connery lächelt, prescht grazil übers Feld, drischt mit der Kraft des vom Siegesgedanken Beflügelten auf einen Widersacher ein. Knapp vor der Halbzeit des Filmes spielt Richard Harris zum ersten Mal seit seinem Auftauchen plötzlich und bloß für Momente die zweite Geige. Explosionen, sie fördern etwas zu Tage – Kohle, Energie, lange Verkapseltes. Außerhalb derart körperlicher Bahnen lacht Sean nur ein einziges Mal, überrascht von einer schlagfertigen Replik des schnell zum Nachwuchsaufrührer Avancierten hellen sich die Züge auf, der Mund öffnet sich und … schnell dreht er den Kopf zur Seite, bis nur mehr der Schimmer entblößter Zähne unterm Schnauz zurückbleibt. Der aufregendste Mann des 20. Jahrhunderts schön wie nie. Doch auch dieses Lachen bleibt ein stummes, stumm wie die Verzweiflung, stumm wie das geballte Leben in seinem Tun. Erst nach und nach sickert die Erkenntnis ein, dass nicht allein mit der körperlichen Präsenz etwas nicht stimmt. Nachdem er das Schweigen der ersten 15 Minuten für sich selbst auf respektable rund 40 erweitert hat, schleppt sich seine ungewohnt undeutliche Aussprache darauf tief verbrummt umher. Auch Richard Harris spricht beim Aufschlag in der Lebenswirklichkeit der anderen, im Trost und Bier spendenden Pub, mit extrem heißerer, kaum verständlicher Klangfärbung. Bald lebt er sich in den Auftrag ein, findet erst Stimme, dann deutliche Wort sozusagen. Ob gewollt oder nicht, er muss nicht nur intrigieren, er muss auch mangels attraktiver Alternativen als unser Sprachrohr fungieren.

Ritts Koordinatensysteme bilden nicht jene ab, in denen Menschen dank lebenslanger Beschäftigungstherapie besonders glänzen; die vielbeschworene Komfortzone, er leugnet sie komplett. Es gibt sie nicht, sie ist Konstrukt der Priviligierten – allein Harris steht die echte Außenwelt offen, für ihn ist diese überhaupt existent. Schaufensterbummel und Felsenromantik unternimmt er mit Samantha Eggar; eine Anheimelei auch an uns, die Zivilisierten, zwangsläufig muss er sympathischer erscheinen. „You don’t have decency, you buy it.“, belehrt er sie vor wildromantischer Kulisse. Er, der Gebildete und Belesene, ist ihnen, den Arbeitern der Kohlesiedlungen überlegen, sie hatten es schon an den gepflegten Händen erkannt. Jedoch – Detective James McParlan vermag die übergeordnete Natur der Menschen, nicht aber deren konkrete Lebenssituation zu reflektieren. Hilflos hängt er in Büchern. „I really tried.“ – mehr bleibt ihm nicht zu lamentieren, als sein Versuch die neuen Freunde mittels Vernunft von beständig eskalierenden Revolten abzubringen endgültig scheitert. Für weiteste Teile zwängt „The Molly Maguires“ die Zuschauenden hinter den Sicht- und Gedankenapparat des Priviligienbehangenen, ein bemerkenswerter Kniff, der mit der Ikonographie vergleichbarer Spitzeldramen nachhaltig bricht. McParlan ist keiner, der übermäßig schwer an einer Entscheidung trägt und letztlich durch externe Einflüsse zum somit von vornherein absolutionswürdigen Handeln gegen das eigene Gewissen gedrängt wird. Er mag kein Unmensch sein, empathisch in der Annäherung, ein Zweifel besteht dennoch nie: Das Ankämpfen gegen die Tyrannei ist der entflammten Lust an der Rebellion, nicht deren Notwendigkeit, der Wahrnehmung des gleichen Stiefels am eigenen Halse, nicht dessen tatsächlichem Druck geschuldet. Ausgefragt nach den Namen der Verschwörer zögert er einige Sekunden – dann reiht er diese souverän aneinander. Für ihn gibt es jederzeit einen offenstehenden Ausweg: Aus den Kohleminen, aus der Charade, aus dem niederen Dienst. Wie eine biografische Anekdote aus Police Captains Davies‘ (Frank Finlay) Mund illustriert, sind diese Hierarchien darüber hinaus semipermeabel – etwas muss zurückbleiben, damit der eingeschränkte gesellschaftliche Aufstieg gelingen kann. Vom Geknüppelten zum autoritären Knüppel.

Nicht so für den schwarzen Jack, der schlussendlich tut, was ein jeder tut, dem sich die Schlinge zuzieht und alkoholischen „fuel to the fire“ gibt. Aus diesem rasch gärenden Gebräu heraus findet auch Connery endlich zur so wohlvertrauten Stimmgewalt. Beim verzweifelten Einbruch in den örtlichen Gemischtwarenladen bricht ihm das Gelächter aus übervollster Kehle, finden die Stimmbänder Arbeit in sinnloser Destruktivität. Wutverzerrtes Gesicht, die Entgleisung der Züge, Freiheit nach der Eingepferchtheit im Spiel. Abermals spielt Ritt nicht mit offenen Karten – es vollzieht sich auch hier ein Perspektivenwechsel, Seitenwechsel eher; nicht filmmechanisch angestoßen, sondern kraft neu erstarkter Starausstrahlung. Die Zugkraft des wahrhaftig Verzweifelten. Strategisches top billing hatte es mit dem dezent nach oben versetzt an zweiter Stelle gelisteten Namen schon vorab angetäuscht: Aus dem Harris-Vehikel wird zu guter Letzt ein Connery-Vehikel … da sind die Geschicke allerdings schon längst besiegelt. Besiegelt durch jenen Schnitt, der sich Connerys sukzessivem Verblassen zu Beginn und den Credits anschloss – auf eine fatale Totale in geduldiger Erwartung von Harris‘ Zugabteil, aus dem er heraustritt, um Geschichte zu schreiben. Geschichte aus den Augen der Stärkeren transkribiert. Wir sehen ihn nach dem Zusammenbruch der Molly Maguires noch einmal wieder. In der Zivilisation. Beiläufig spielt er Karten mit dem Vorgesetzten in einem Nebenraum des Gerichtssaales, während man Connery und zwei verbliebene Getreue draußen zum Tode verurteilt. Spielt er Karten, wie er sie einst mit den Kumpels spielte, nur manirierter, gefügter. Zurück in der lähmenden Gewohnheit der vertrauten Umgebung geht es ihm nicht anders als seinem Gegenpart – nun ist er der Gehemmte. Dass die Liebe sich nicht mehr für ihn interessiert scheint kaum weniger aus der Schuld sich zu speisen als der Tatsache, dass jeglicher Glanz von ihm gewichen ist. Einsam tritt er zuletzt aus dem Gefängnis heraus, vorbei an Proben für die Hinrichtungen und vorne links aus dem Geschehen heraus, dem nur mehr jene sorgsam geprüfte Falltüre bleibt, die wohl für den schwarzen Jack bestimmt sein muss. Kein Perspektivwechsel, nur eine Leerstelle.


The Molly Maguires – USA 1970 – 124 Minuten – Regie: Martin Ritt – Produktion: Walter Bernstein, Martin Ritt – Drehbuch: Walter Bernstein, nach dem Bericht „Lament for the Molly Maguires“ von Arthur H. Lewis – Kamera: James Wong Howe – Schnitt: Frank Bracht – Musik: Harry Mancini – Darstellende: Sean Connery, Richard Harris, Samantha Eggar, Frank Finlay, Art Lund u.v.a.


Dieser Beitrag wurde am Sonntag, Dezember 22nd, 2019 in den Kategorien Ältere Texte, André Malberg, Blog, Blogautoren, Essays, Filmbesprechungen veröffentlicht. Sie können alle Kommentare zu diesem Beitrag über den RSS 2.0 Feed verfolgen. Sie können diesen Beitrag kommentieren, oder einen Trackback von ihrer eigenen Seite setzen.

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