14. Hofbauer-Kongress, Aufriss #11
„Als ich 16 Jahre alt war wollte ich selbstverständlich ein Gynäkologe werden. Das ist natürlich; jeder 16-Jährige will das. Als ich 19 war, wollte ich ein Kommissar sein. Jetzt bin ich Filmregisseur, das ist so etwas dazwischen“, resümierte der große Zbyněk Brynych 1994 HK-affin im Interview mit den rasenden SGE-Reportern Rainer Knepperges und Stefan Ertl. Zu diesem Zeitpunkt, kurz vor seinem Tod, konnte Brynych auf einen voluminösen Filmkörper zwischen Prag und München, zwischen den Barrandov-Studios und der Fernseh-Schmiede des Produzenten Helmut Ringelmann zurückblicken. Hundertfach hatte er teutonische Krimiserien wie „Derrick“, „Der Alte“ und „Der Kommissar“ mit lässiger Ultrakunst, süffisanten Verstrahlungen und knallharten Ironie-Schocks durchsetzt, mehrfach war er für seine kafkaesken tschechischen Filme über den Holocaust, seine Nachwehen und den kalten Krieg ausgezeichnet worden. Umso größer war angesichts letzterer Lorbeeren die Enttäuschung des ehrenvoll graumelierten deutschen Feuilletons, als es im Jahr 1970 der drei wundersamen, manischen und feinsinnig wollüstigen Kinofilme ansichtig wurde, die Brynych, endlich von höheren Sowjet-Instanzen unbehelligt, in euphorisch kurzer Abfolge für deutsche Produktionsfirmen gedreht hatte: ENGEL, DIE IHRE FLÜGEL VERBRENNEN, einer „eskapistische Raserei“ (Stefan Ertl), DIE WEIBCHEN („Es ist der Hunger, der große Hunger…“) und dem vielleicht schönsten, zärtlichsten und auch HK-relevantesten dieser drei Filme, OH HAPPY DAY, mit dem wir am 02. Januar um 21:15 im Filmhauskino die erste Kongressnacht und unser Special München im HK-relevanten Film 1969 – 1971 rauschhaft eröffnen werden. Es ist jener Film, der im Mai 2010 den Grundstein legte für die seither unvermindert anhaltende und bei jeder sich bietenden Gelegenheit geäußerte Bewunderung des Hofbauer-Kommandos für Zbyněk Brynych, und wir fiebern voller Ungeduld der Wiederbegegnung mit diesem immer noch allzu wohlbehüteten Geheimnis des deutschen Films entgegen, dieses Mal in eurer unschätzbaren Gesellschaft. Verlieben wir uns gemeinsam unsterblich in Anna – Anton, Nordpol, Nordpol, Anton.
Selbst Susan Sontag schrieb indes von der Lähmung, die einen Autoren im Schwebezustand der Bewunderung überkommt. Dementsprechend habe ich [Christoph] hier auf Eskalierende Träume einst wiederholt hilflos den Versuch unternommen, der Polymorphie des Brynych-Virus im Wort nachzuspüren und stieß dabei immer wieder an die Grenzen meines Artikulationsspektrums. Es soll mir daher nicht als Schande ausgelegt werden, einen Autoren zu zitieren, der im Angesicht der Brynychschen Regie-Eskstasen weit weniger hilflos gewesen ist:
„Diese verwegene kleine Teenager-Sex-Träumerei ist Triumph und Vollendung dessen, was Brynych konnte wie kein Zweiter: Dramatisches frei von der Decke hängen zu lassen wie ein Mobilé aus Fleisch und Blumen. Grotesk erotisch ist die Balance: Siegfried Rauch als scharfer Chauffeur und Hanne Wieder als Fetisch-Nonne; ihre Lippen, seine Augen lassen Anne-Marie Kuster im roten Inneren des weißen Kugelsessel schwitzend um sich selber kreiseln. Die Pubertät ist keine Krise der Kinder, sondern die Krise der Eltern. Nadja Tiller und Karl-Michael Vogler sind explosiv wie Taylor und Burton, ihr Yoga-Dress ist lila, seine Keller-Bar ist dunkel. Brynych wusste, wie fremd die Menschen sich selbst sind, wie leicht ihr Leben anstoßerregend in Trubel und Trance geraten kann. Eine Schlammschlacht – der Bayern gegen Aachen – schwingt sich auf ins Gospelglück der Edwin Hawkins Singers. Vergewisserndes Starren in den Spiegel geht über in zerreißendes Lachen. Von seiner Cutterin Sophie Mikorey lässt Brynych alle Verbindungen trennen, die das Erzählen noch ans Erklären fesselt, und das Lebendige, einmal befreit, gehorcht nicht länger der Schwerkraft.“ (Rainer Knepperges)
Und weil es so schön ist, gleich noch der bedeutendsten deutschen Filmpostille, Sigi-Götz-Entertainment, hinterherzitiert:
„Dieses delirierende Melo über Teenagerliebe ist Brynychs zweites Meisterwerk von 1970. Zwischen Traum und Realität, zugleich angezogen und abgestoßen von SGE-Glamour-Boy Amadeus August, erlebt und erleidet die junge Anne-Marie Kuster ein sentimentales coming-of-age. Mit der besten Fußballszene der Filmgeschichte: Zum Titelsong der „Edwin Hawkins Singers“ durchpflügen die Spieler von Bayern München und Alemannia Aachen den matschdurchtränkten Rasen.“ (Stefan Ertl)
Sehr schöner, lesenswerter Aufriss! Ausdrucken und an die Wand hängen!
Ein Special „München im HK-relevanten Film 1969 – 1971“? Kann man sich als München-Bewohner da vielleicht Hoffnung auf Post-Kongress-Leihgaben ans Werkstattkino machen?
Ach, woher denn, Schwanenmeister? Es ist ja doch zur Hälfte „geklaut“.
@ Dr. Pepe:
Wenn unsere guten Freunde vom Werkstattkino darauf Lust haben – an uns wird es sicherlich nicht scheitern. 😉
Danke! Dann hoffe ich mal, dass Eure Freunde Lust drauf haben. 🙂
Richtig klauen/zitieren will aber gelernt sein!
Die ET-Trüffelschweine heben eben stets selbst die tiefstliegendsten Edelknollen!