100 deutsche Lieblingsfilme #76: Zwischen uns beiden (1971)




    Ganz in weiß, mit einem Blumenstrauß
    So siehst du in meinen schönsten Träumen aus
    Ganz verliebt schaust du mich strahlend an
    Es gibt nichts mehr was uns beide trennen kann

    (Roy Black – Ganz in weiß)

Treffliche Bilder von Obsessionen – das verheißungsvoll-aseptische Weiß eines nur provisorisch mit feschen Posterboys ausgekleideten sowie mit Roy Black beschallten Zimmers gegen die schwarze Seele der Einsamkeit unten auf den Straßen. Gefangen getrennt voneinander gerade dort, wo der Gegenpart jeweils gerne gemeinsam wäre, eine Frau (Helga Anders) und ein Mann (Artur Brauss). Er Single mit leerer Wohnung, sie gestrandet in einem Wohnheim irgendwo in einer Betonvision von Berlin, die auch München sein könnte, Frankfurt, oder ganz was andres. Waren Roger Fritz‘ drei Kinofilme der 60er Jahre Studien aus dem Leben der Einzelnen über die Gesellschaft als Ganzes, Umbruchsstimmungen stets präsent, so ist diese in „Zwischen uns beiden“ – dem Beginn einer ungleich obskureren Phase beim Fernsehen – völlig rückabgewickelt, entzeitigt, bloße Wiege von Beton, Stahl, dem sehnsuchtsvollen Fleisch dazwischen. Wer nicht einmal Geselligkeit findet, dem bleibt sie eben versagt, die Gesellschaft.

Robinson Crusoe on Mars, ein fremder Planet könnte genauso nah sein wie die Umwelt, die beide um einen sich rasch entspinnenden, unterbrochenen, dann wieder aufgenommenen tieferen Kennenlerndialog vorfinden, jedoch kaum wahrnehmen. Man kennt sich ein wenig aus dem vergangenen Sommer, ein offensichtliches Unglück – wie es wirklich geschah, das wird nie klar. Vieles ist Spiel im Dialog, ausgesprochen alleinig für die Reaktion des Gegenübers, manchmal in Übereinkunft zum Spielen, ein ander Mal nicht. Verzweifelte Versuche der verbalen Zugangsfindung, die Nähe herstellen wollen und doch einzig Abweisungen produzieren. Sie versichert, jeder andere wäre recht gewesen, und trifft doch immer wieder ihn. Er beteuert, im sprichwörtlichen Sinne die Tür zugenagelt zu haben und stromert doch rastlos suchend auf den Bordsteinen umher. Zu ihr, zu einem Menschen, zu wem anders – es ist der kleinste gemeinsame Nenner, der fasziniert. Ein Mittel gegen Monotonie, mehr wird der andere nie. Selbst im Spiel, in dem alles erlaubt ist, fällt ihm kein triftigerer Grund für einen Abstecher in seine Wohnung ein, als die hypothetische Briefmarkensammlung.

Worte sind billig, da muss die Inszenierung sprechen. „Zwischen uns beiden“ ist ein Film jener magnetischen Zugkraft, die sich dort gebiert, wo zwei Einsame an einem nie endenden, aber auch nie wirklich abhebenden Traum von Gemeinschaft stricken, ihn verwahren – durch die Jahreszeiten, durch die Kälte des Alltags, durch jede einzelne Nacht. Helga Anders am Fenster wieder und wieder, Artur Brauss schlurft den Gehsteig hernieder, die Kamera fährt stalkergleich in ihren Rücken – ein gedankliches Fixieren. Dass wir nie erfahren, warum sie in einem frauenhausartigen Wohnkomplex lebt und wovor es ihn aus der Wohnung zieht, ist bereits Symptom der abgekapselten Existenzräume. Außen ist bereits so fern. Einmal gesellen sie sich vertieft im Gespräch in Reih und Glied der Wartenden des öffentlichen Nahverkehrs, im Grunde verhält es sich wie mit dem Stadtbild – die Klamotten fügen sich nahtlos in die Masse ein, aber die Körper in ihnen reden. Unentwegt, unweigerlich Nähe aufbauend zu den still lauschenden Menschen in der Tram; sie gedeiht frei der Pflege, schmerzhaft, intim, oder lediglich peinlich zwischen deren kühlen Blicken und abweisenden Gesten. Ganz münchnerisch, wie in einer Kommissar-Episode, der man jedes Verbrechen abgesaugt hat: Längst zielloses Beziehungsgerede zwischen noch frischem Glück und tausendfach durchexerziertem Unglück, bierseliger Kneipentourismus, reihum bürgerliche Gesichter im Anspannungsschnitt. Es ist der gleiche Schoß, aus dem dies kroch, er hat sich bloß verlagert. Denn München ist überall, die Stadt überall gleich. Und Roger Fritz kannte sie wie kaum ein zweiter.

Das Sehnen nach draußen aus seinem zweiten, die Innenansichten des Großstadtlebens zugunsten Panoramen gequetschter Häuserfronten vermeidenden Kurzfilm „Zimmer im Grünen“ (1964) ist zersetzend geworden. Aufgekocht in Zimmern, die stets einen Zacken zu groß und zu leer wirken, dann wiederum nie groß genug sind für ihre winzigen Bewohner. In den Empfangsräumen und Polizeistationen dieser Welt unvermittelt riesenhaft im niedrig oder hoch angesetzten Weitwinkel: Menschen, leider stets die anderen. Social anxiety, das entmutigende Element des Alltäglichen. Architektonische Missverhältnisse wie diese pinseln eine bisweilen sublim schauderhafte, jedem Paranoiathriller Ehre bereitende Sollbruchstelle zum immerzu nah, ganz nah der Großaufnahmen des sich örtlich ausdehnenden Zweierdialoges. Er ist das Überwinden dieser baulichen Grenzen, gleichsam entspringt ihm alles. Illustriert werden diese Vorgänge von dann besonders trommellastigen Avantgardejazzkompositionen, die dennoch mehr Oskar Sala sind als Peter Brötzmann und selbst eine Toilettenschüssel zum kalten, Sitzgemütlichkeit abweisenden Fremdkörper auszuschmücken vermögen. Ein akustisches Wabern des Hirnstromes nach außen, als sie nachts nicht schlafen kann, trompetet er elefantengleich aus allen Rohren.

Die Summe dieser Expressionen ist Roger Fritz‘ radikalster, experimentellster, auf eine unter die Haut gehende Weise janusköpfigster Film. Er ist Science Fiction ohne Science, Bericht aus einer Zukunft, die es nie gab, pseudogegenwärtig und ortlos. Das ist Kafka ohne die überpenibel mahlenden Ordnungssysteme des Äußeren, die Hölle im Inneren, was sie an Reaktionen anlockt sowie ihrerseits ausgestaltet, sie reicht völlig aus für die Weltenangst. Zartes Inneres, das am rigiden Äußeren zerbricht, das war Roger Fritz‘ großes Kinothema. Hier nun ist es das Innerste, das äußere Begebenheiten verfremdet, bis sie Horrorvision werden. Eine logische Konsequenz. Es bleibt am Ende als Bindeglied über, was der vielsagende Titel nicht aussprechen mag: Die Simulation geistiger Intimität zwischen Menschen, die wissentlich nicht zueinander wollen und doch allein einander haben. Man findet schließlich doch zusammen, und sei es nur es im zum scheinvertrauten Wohnalltag werdenden Spiel – ein beinahe tröstlicher Gedanke.


Zwischen uns beiden – BRD 1971 – 70 Minuten – Regie: Roger Fritz – Produktion: Karl Gillmore, Hans-Jürgen Bobermin für stern TV – Drehbuch: Ulf Miehe, nach dem Radiohörspiel „Between the Two of Us“ von Rhys Adrian – Kamera: Egon Mann, Wolfgang Kohl – Schnitt: Gisela Haller – Musik: David Llywelyn – Darstellende: Helga Anders, Artur Brauss, Rolf Zacher, Karola Goerlich, Erika Fresen u.v.a.

    Für Roger Fritz, 1936 – 2021

Dieser Beitrag wurde am Samstag, Dezember 11th, 2021 in den Kategorien Ältere Texte, André Malberg, Blog, Blogautoren, Deutsche Lieblingsfilme, Filmbesprechungen veröffentlicht. Sie können alle Kommentare zu diesem Beitrag über den RSS 2.0 Feed verfolgen. Sie können diesen Beitrag kommentieren, oder einen Trackback von ihrer eigenen Seite setzen.

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