100 Deutsche Lieblingsfilme #55: Der Felsen (2001)



Durch den Regen, der auf die Windschutzscheibe prasselt, sieht sie ihn nur für Augenblicke ganz, bevor er wieder davongespült wird, aufgelöst von den sich wiegenden Linien des Wassers, um wieder daraus hervorzutreten. Sie spürt seinen Blick zwischen diesen Strömen, kann seine Umrisse vor dem schwarzen Nachthimmel, im Licht ihrer Scheinwerfer, durch die Glasscheibe erkennen. Dieses Bild wird sich ihr einbrennen, wie es sich uns einbrennen wird. Der Blick brennt sich ein, vielleicht unser Blick in die Bilder.

Jedes Bild ist zerbrechlich. Ist verletzlich. Aus Angst, dass es sich verflüchtigt, wie eine Fata Morgana, eine Erscheinung, versucht man zu erkennen. Die Unschärfen und das Ungenaue des Digitalen, trotz Filmkorn, weigern sich. Eine Idee von Klarheit, die eine Absage erteilt bekommt, nicht ganz zu durchdringen, von unserem Blick nicht einzufangen. Das Bild hinterlässt seinen Eindruck und verschwindet wieder. Wie Spuren im Sand, über die das Wasser hinwegwischt, um den Blick in der Gischt und den Schaumkronen mit sich zu reißen, in etwas Anderes zu überführen, ein neues Bild. Dieser Anschein ist trügerisch, denn der Widerstand spiegelt sich in uns, ist Nachhall, von den Bildern ausgehend, eine Erkenntnis, dass auch jedes Bild, wie der Blick, für sich steht, autonom. Es hält stand. Nur das Gefüge schwankt, ist schwach, ist konstruiert, wie alle Zusammenhänge, erschaffen oder reimaginiert. Bedeutung wird gegeben, geschenkt, angenommen, aufgedrängt oder abgelehnt.

Wenn man unter Wasser taucht, taucht man in eine Welt ein, in der die Gesetze an Land nicht mehr richtig zu gelten scheinen. Man muss neu lernen zu kommunizieren, neue Verbindungen schaffen, vielleicht auch eine Sprache erfinden. Wenn die Sicht sich ändert. Wie Fallschirmspringer, ins Bodenlose springend, hoffen dass die Welt einen auffängt, wenn man weiß wie man fallen muss. Fallschirme, die wie Quallen durch die Luft gleiten, sich durch die Elemente bewegen, von ihnen eingehüllt und auf sie angewiesen. Ein Schwarm von Pusteblumen.

Wer kennt das nicht, man begegnet jemandem und die Umgebung ändert sich, die Wahrnehmung ändert sich, man begibt sich auf eine Reise, und findet sich auf der anderen Seite wieder. Der Rausch des Augenblicks, des Moments, dem man sich hingeben kann, in dem man sich verlieren kann. Im Film wird mit allem gehandelt, auch mit Gefühlen, mit Liebe, die Figuren versuchen sich zu nehmen, was sie wollen, wissen aber nicht wie, da sie nicht wissen was sie brauchen. Das weiß nur der Autor. Ich bin ein anderer. Die Welt ist eine andere. Wo bist denn du überhaupt Malte, was machst du hier, wundert sich Katrin über sich selbst. Die Figuren bewegen sich durch die Natur, die Natur bewegt sich durch sie, bewegt sich in ihnen, durchschreitet sie und formt sie, wie wir die Figuren durchschreiten und formen. Eine Fliege, ein Fuchs, Fotografien, tauchen auf, die Zukunft erzählt über die Vergangenheit. Beschwörungsformeln, Doppelgänger, auch Widergänger werden herbeizitiert. Unter Wasser, unter einer Glocke, in einem Universum, an dessen Ende der Tod lauert. Das Innenleben ist auch ein Fluss, scheinbar von Willkür und Zufall geleitet, aber durch die Umstände determiniert, wie der Abspann am Ende der Erzählung. Die Möglichkeiten sind begrenzt, was da ist, muss auch zum Einsatz kommen. Berlin ist in Korsika. Verbundenheit, Mojo, Schicksal, Kanäle der Seele. Sie nachzuzeichnen. Sie zu begehren. Begehren. Wenn ich mein Spiegelbild berühre, verwandelt es mich dann in mein Gegenüber?


Der Felsen – Deutschland 2001 – 122 Minuten – Regie: Dominik Graf – Produktion: Gloria Burkert, Ulrich Limmer, Rainer Kölmel, Michael Weber – Drehbuch: Markus Busch, Dominik Graf – Kamera: Benedict Neuenfels – Schnitt: Hana Müllner – Musik: Dieter Schleip – Darsteller: Karoline Eichhorn, Antonio Wannek, Sebastian Urzendowsky, Ralph Herforth, Peter Lohmeyer, Caroline Schreiber, Ulrich Gebauer, Max Richter, Christian Munteanu, Marlon Kittel, Martin Reinhold, Dirk Borchardt, Robert Schupp, Filip Peeters, Mark Zak, Nicole Max, Lucia Stefanel, Peter Benedict, Eriq Ebouaney, Veronique Ofenhitzer, Mathieu Camus, Herré Rovtier, Max Marcortelle, Soraya Gomaa, Guy Cimino, Daniel Delhorme

Dieser Beitrag wurde am Dienstag, Juni 16th, 2015 in den Kategorien Blog, Blogautoren, Deutsche Lieblingsfilme, Filmbesprechungen, Sano veröffentlicht. Sie können alle Kommentare zu diesem Beitrag über den RSS 2.0 Feed verfolgen. Sie können diesen Beitrag kommentieren, oder einen Trackback von ihrer eigenen Seite setzen.

Kommentar hinzufügen