100 Deutsche Lieblingsfilme #54: Condottieri (1937)



(mit Dank an Bruce Baillie)

Als ich ins Kino komme, haut es mich fast hintenüber, versucht mein Körper reflexartig rückwärts stolpernd umzufallen, wohl erstaunt von den Bildern, die ihm von der Leinwand entgegentreten. Der Film läuft bereits, und ich stehle mich, etwas benommen und schwankend, in eine der vorderen Sitzreihen, um mich in seine Welt hineinfallen zu lassen, deren Entstehung ich jedoch verpasst habe. Auf einer Burgmauer thronend, klagt das Gesicht einer Kriegerin, einer Mutter (eine Medici, wie ich später erfahren werde) die Welt an, fordert sie gleichzeitig heraus, wie Johanna von Orleans auf einem Rennaisancegemälde. Der ganze Film ist ein Renaissancegemälde, eine Abfolge malerischer Tableaus in gemeißeltem oder gaziertem Schwarzweiß. Das Glücksgefühl der Erkenntnis in etwas für mich Besonderes hineingeraten zu sein, überkommt mich sofort, und die verzögerte Realisation desselben lässt mich bereits erahnen, dass dieses Gefühl für den Rest der Vorstellung andauern wird. Liebe auf den ersten Blick also.

Recht unbedarft einer Ahnung folgend, hatte ich nun eine Variante dessen angetroffen, wie ich mir Film im Idealfall erhoffe: kraftvoll und energisch. Bilder von einer permanenten Zartheit und Wucht, ineinadergewoben und ineinandermontiert, für Momente (die) verweilen, jedoch vom Schnitt akzentuiert. Blicke die schweben, Körper die vibrieren. Menschliche Skulpturen, Aureolen, Gesichter wie Landschaften, Landschaften die Atmen, Das Atmen der Wolken, Licht, Augen. Das Zittern des Filmmaterials komplementiert dabei das Zittern der auf der Filmemulsion eingefangenen Lichtreflexe. Wenn Film Licht ist, beziehungsweise das Festhalten und Wiedergeben von Lichtphänomenen, demnach zumindest durch Licht hervorgebracht wird und vor uns ersteht (wir also eigentlich nur eine Leinwand brauchen (oder die Augen schließend vor den Augenlidern Formen aufblitzen und auferstehen lassen – vermutlich die früheste Form des Kinos; dann geht es in manchen Filmen darum, oder wir lassen uns darauf ein sie sich darum drehen zu lassen: Menschen, Dinge, als Ereignisse wahrzunehmen. Augenblicke formen sich zu Legenden, die Zukunft verschmilzt mit der Vergangenheit (und das ist es auch, was wir Gegenwart nennen).

Condottieri ist ein einziges Ereignis, von Gesten, Gesichtern und Orten, und lässt die Ästhetik des Stummfilms, seine Klarheit und die malerischen Qualitäten des stummen Kinos im Konkreten, sowie die romantizistischen Tendenzen seiner pastoralen Werke, wiederauferstehen. Ich musste auch an Eisensteins Alexander Newski denken, und an Dowschenkos Erde, als deren überaus gelungene Transfusion mir dieser Austausch von Italien nach Deutschland erschien. Das Beste aus beiden Welten, festgehalten durch eine eigene Vision von Kino. Die Töne erscheinen teilweise ebenfalls aus einer anderen Welt, wie ein sanfter akustischer Teppich, der sich über die visuellen Eindrücke legt, ohne sie jedoch vollends zu berühren.

Wenn Giovanni de‘ Medici auf einem Hügel im Gras sitzend, sinnierend auf seine ehemalige Heimat, eine Burg, blickt, und ein vorüberziehender Einheimischer ihn fragt, was er denn überlege, antwortet er unverblümt und geradeheraus, mit dieser Mischung aus verträumter Unbedarftheit und klarsichtiger Eingebung welche ich so bewundere: „wie ich diese Festung einnehmen kann“. Das für ihn Offensichtlichste also, seinem Gegenüber jedoch verborgene. Ein Versprechen, denn der Film und sein Hauptdarsteller werden immer wieder auf das für sie Offensichtliche aus sein.

Szenen die sich mir eingebrannt haben: Als Giovannis Rücken und Gesicht über dem Leichnam eines eben von ihm Gemordeten erstarren, seine Muskulatur sich verkrampft und erschlafft, und wir parallel Ströme von auslaufendem Korn dazwischengeschnitten bekommen, deren Strahl sich hinaus- und hinabgießt, das Leben verrinnen, aus den schweren Säcken aushauchen lässt. Oder als er am Fluß kniend am anderen Ufer seine Freundin aus Kindheitstagen als Schäferin erblickt (was natürlich in diesem Moment nur wir Zuschauer wissen). Überhaupt besteht der ganze Film aus einer Aneinanderreihung monumentaler, symbolschwangerer Momente und Chiffren, Josef und Maria, Kunst und Geschichte als Mythosmaschine.

Faschistische Propaganda war selten schöner. Zwei Bekannte mit denen ich mich danach unterhalte zeigen sich abgestoßen und entsetzt. Eine andere Dame ist hingegen sichtlich entzückt: „Ich liebe diese faschistischen Filme“. Was bleibt auch mir anderes zu sagen? Zumindest über Condottieri, aus Ehrfurcht vor den Bildern.

Und beim Schreiben fällt mir auch wieder ein, wann ich das letzte Mal beim Film in dieser und über diese Form gestaunt habe: bei den ersten zwanzig Minuten von Pasolinis Matthäus-Evangelium, sicherlich mit das Schönste, was dieser etwas südlicher geborene Italiener je fürs Kino gedreht hat.


Condottieri – Italien, Deutschland 1937 – 101 Minuten [deutsche Version] – Regie: Luis Trenker, Werner Klingler – Produktion: Heinrich Schier – Drehbuch: Luis Trenker, Kurt Heuser, Mirko Jelusich – Kamera: Albert Benitz – Schnitt: Willy Zeyn jun. – Musik: Giuseppe Becce – Darsteller: Luis Trenker, Ethel Maggi, Carla Sveva, August Eichhorn, Waltraut Klein, Erwin Klietsch, Herbert Hübner, Hans Zesch-Ballot, Otto Collin, Aribert Wäscher, Reinhold Pasch, Aribert Grimmer, Erich Dunskus, Giuseppe Addobbati, Ferdinand Trenker, Josef Kamper, Hans Jamnig, Luis Gerold, Umberto Sacripante, Nestor Szytar,Tito Gobbi, u.v.a.

Dieser Beitrag wurde am Donnerstag, Mai 28th, 2015 in den Kategorien Blog, Blogautoren, Deutsche Lieblingsfilme, Filmbesprechungen, Sano veröffentlicht. Sie können alle Kommentare zu diesem Beitrag über den RSS 2.0 Feed verfolgen. Sie können diesen Beitrag kommentieren, oder einen Trackback von ihrer eigenen Seite setzen.

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