Zeitnah gesehen: 100 Dinge (2018)





Der Knoten ist geplatzt – etwas mehr als 10 Jahre nachdem Til Schweiger und sein Keinohrhase den Goldstandard einer zeitgenössischen Optik des zutiefst durchkommerzialisierten deutschen Komödienkinos installierten, hat diese Saat nun Früchte getragen, die visuellen Versatzstücke zu einer weiten Spiel- wie Experimentierfläche umformuliert. In Florian David Fitz‘ opulenter Minimalismusdramödie „100 Dinge“ – benannt nach einer Verzichtswette, 100 Tage und an jedem kehrt allein ein unverzichtbar gewähnter Alltagsgegenstand der Wahl zum Eigentümer zurück, zwischen zwei urbanen Besserlebern – tritt sie an gegen die leergefegt-kargen, aus den entlegensten Winkel des Raumes vermessenen, auf diese Weise zum Refugium gegen die unverbindliche Moderne aufgeblasenen Stahl-und-Glas-Wohnlandschaften. Gegen die wärmende Werbefilmästhetik des ungeliebten Trendsetters mit ihren von der knatschigen Übersättigung beflügelt alles zermalmenden Katalogfarben und das sengend durch jedes noch so kleine Fenster berstende Weißlicht der Sonne.

Beginnend im Kleinstdenkbaren, den eigenen vier Wänden, regt sich bei Fitz ein Widerstand. Allein in nahezu monochromatisches Gräulich-Blau getaucht treten die ausgetauschten Intimitäten, die Seelenöffnungen im Wettverlauf langsam hinter der bunten Fassade hervor. Derart augenscheinlich, dass das trügerische, die Szenerie einnehmende Feuerleuchten des Zimmerofens auf seinem Gesicht Matthias Schweighöfers frauenaussaugende Absichten schon lange offenlegt, ihn der Lüge bezichtigt, bevor er überhaupt gestehen kann, bei der angelachten Totalaussteigerin rein der Egopolitur willen einen „Elfmeter“ landen zu wollen. Dennoch – man schläft miteinander, ein Bad in violett bis rötlichen Einfarbigkeiten eigenartiger Herkunft nehmend. Verschraubt sind sie dort nicht in der Wohnung, die Laser Bars und Neonleuchter der Großstadt – hat man auch sie abgetragen? Es scheint beinahe, als strahle es aus den Figuren selbst heraus – als schäle sich eine neue, sich Schritt für Schritt steigernde Farbenlehre unter der Haut empor, nur um dann still wieder zu versiegen. Mit der Gespielin scheiden die Bildüberzüge.

Zurück bleibt ein virulenter Keim, der die Außenwelt graduell, kaum merklich in ein nüchterneres, somit allerdings auch menschlicheres Antlitz hüllen darf. Von den viereckigen Garagen, in denen Besitz, doch auch unerfüllte Träume Unterschlupf gefunden haben ausgehend, dabei im Lauf vorerst scheiternd an den unnatürlich, gleichsam geometrisch in Wände gefrästen Großraumbüros der dem großen Wurf hinterherjagenden Start-Up-Unternehmen, ihrer aggressiv-pissgelben Bepinselung. Und nichtsdestotrotz einen Bruch hinterlassend in der einst auf Erfolg eingespielten Gemeinschaft. Aus zwei gegenüberliegenden Räumen, gefilmt durch beider Durchgangsquadrate die interieurs im selben Bilde preisgebend, müssen sich die nun zu neuerlicher Verhärtung gefundenen Lebensvorstellungen gegeneinander aufschreien lassen. Das überbordende Gelb in seinem Revier droht Matthias Schweighöfer zu verzehren – seine Haare haben es bereits hinter sich – während Fitz vor dem mattesten Schwarz, das sein Film bereithält, zum fleischgewordenen Fremdkörper gerät.

Sie werden sich wieder vertragen – eine selbsterfüllende Prophezeiung freilich, immerhin befinden wir uns nach wie vor in der Welt deutscher Romantikstoffe und doch ist es nicht allein das Auserzählte der Freundschaft, das schlussendlich zum Einlenken zwingt. Vielmehr ein sonderbar erdig zwischen Gelb und Braun oszillierendes Farbetwas, welches sich nach den erwartbaren Läuterungsstationen auf den Jacken von Schweighöfer und Wolfgang Stumph oder den zwecks Begießung eines Millionendeals bereitstehenden Flaschenhälsen ausbreitet, den zuvor so mächtigen Gelbtönen in unmittelbarer Nachbarschaft alle Lebenskraft abzusaugen droht. Die Kavallerie, sie kommt in Form eines exaltierten Farbenspiels dahergeritten. Schon in seinem Zweitling „Der geilste Tag“ (2016) hatte Florian David Fitz direkt neben den grellen Kalenderblattweisheiten wie Charakterstereotypen fast fragile Pinselstriche gesetzt – hier hat er sie nun endgültig zu einer eigenen Filmsprache erweitert. Und man möchte beinahe ein wenig ins Träumen geraten – davon, dass mehr als 55 Jahre nach Oberhausen das Feinsinnige und das Grobe im deutschen Kino wieder vermehrt Hand in Hand zu gehen lernen. Möglicherweise ist es das auch, wozu es hinter der vordergründigen Aussteigerromantik der 100 Dinge zusammenläuft: Träumen zu wollen – das ist eine Entscheidung, die man trifft.


100 Dinge – Deutschland 2018 – 111 Minuten – Regie: Florian David Fitz – Produktion: Dan Maag, Daniel Sonnabend, Florian David Fitz, Matthias Schweighöfer – Drehbuch: Florian David Fitz – Kamera: Bernhard Jasper – Schnitt: Denis Bachter, Ana de Mier y Ortuño – Musik: Josef Bach, Arne Schumann, Chester Travis – Darsteller: Florian David Fitz, Matthias Schweighöfer, Miriam Stein, Katharina Thalbach, Hannelore Elsner u.v.a.

Dieser Beitrag wurde am Dienstag, Januar 29th, 2019 in den Kategorien Aktuelles Kino, Ältere Texte, André Malberg, Blog, Blogautoren, Filmbesprechungen, Zeitnah gesehen veröffentlicht. Sie können alle Kommentare zu diesem Beitrag über den RSS 2.0 Feed verfolgen. Sie können diesen Beitrag kommentieren, oder einen Trackback von ihrer eigenen Seite setzen.

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