STB Christoph

„Ihr müsst mir mal bei Gelegenheit das vollständige ET-Vokabular zur Verfügung stellen, also die Wörter und was sie genau bedeuten. Ich finde ‚Schangel‘ oder ‚trufte‘ nicht im Duden.“
Christian S., Köln

„Je mehr Filme ich sehe, desto höher bewerte ich sie.“
Christoph Draxtra

„Oh Gott, ich habe mir während unseres Telefonats meine ganze Unterhose zerrissen!“
Rajko B.

„Sorry for any confusion there, where I’m from a pansy is just a silly man and a fag is a ciggerette. I have a hard time keeping up with all the latest American insults.“
– Kommentar eines britisches Users auf amerikanischer Filmseite X, 2010.

„Hach, wär das [nach Nürnberg] nicht so weit… aber kriegen wir schon hin, bis auf die Fahrt kostets ja nicht viel. Wir ernähren uns ja eh von Filmen.“
Marco Siedelmann, Dr. phil. der Pornographie

„Mit der [ET-]Terminologie komme ich schon zurecht, auch wenn mir der Schangel-Kram am Anfang nicht ganz klar war.“
– Christian Schulze-Kalthoff, Journalist

„Pretentious & empty genre films are my bread & butter.“
Eric Cotenas, Eurocult-Fanboy

„Also ich finde, über sowas Ernstes wie Türken sollte man keine lustigen Filme machen.“
Rajko B. in einem Telefongespräch über „Almanya – Willkommen in Deutschland“


Zahlen in eckigen Klammern [2] = Wiederholte Sichtung.
Bewertungssysteme: 10-Punkte-System (Die grobe Öffentlichkeitsarbeit), 25-Punkte-System (Die private Feinmotorik)
Kommentare zu den jeweiligen Filmen sind purer Luxus und von mir keinesfalls als selbstverständlich zu erwarten. Sie geben darüber hinaus zumeist keine streng persönlichen Impressionen wieder, sondern sind als Orientierunghilfe für Sie, werte Leser, gedacht.
Wenn Sie in diesem Sehtagebuch nach etwas Bestimmtem suchen sollten, drücken Sie Strg + F und geben Ihren Suchbegriff ein.
Meine Sehtagebücher 2010 2009.

* In deutscher Synchronfassung
** In englischer Synchronfassung


Dezember

29.12.2011
Schwarzer Markt der Liebe [2]
(Ernst Hofbauer, BRD 1966) – 9/10 (23), Kino (35mm)
Verbotene Straße / Victímas del pecado
(Emilio Fernandez, Mexiko 1951) – 10/10 (25), Kino (35mm)*
Habe knapp vor Ende des Jahres beim „Climates“-Offkinomachertreffen im Filmclub 813 in Köln noch einen neuen, absoluten Lieblingsfilm gefunden, eine verführerisch reuelose Maßlosigkeitenschau ätherischer kinematographischer, haltlos sentimentaler und ungebremster sexueller Energie (im zeternden weiblichen Solidaritätskampf werden rustikal choreographierte Frauenmassen hier zum Action-Element!), ein Meisterwerk, das ihm die Tränen des Glücks, der Rührung und Erregung literweise in die Augen trieb: VERBOTENE STRASSE (Víctimas del pecado, Emilio Fernandez, 1951), ein beispielloses Beispiel melodramatischer Transzendenz, sicherlich eine der größten Sleaze-Offenbarungen der frühen 50iger-Jahre, oder, um sich der tiefen Schönheit von Roland Hartigs (Kinoptikum Landshut) Worten zu bedienen:
>>>Der Panzerkreuzer Potemkin unter den mexikanischen Melodramen – Emilio „Indio“ Fernandez‘ famoser Kitsch-Klassiker und Prototyp des genuin mexikanischen Subgenres „Cabaret-Melo“, in dem mit Recht und gekonnt dick aufgetragen wird: Ein zuhaltender, schmierig-charmanter Gigolo macht in einem südamerikanischen Nepplokal die eine oder andere Schönheit gefügig und dann unglücklich. Aus einem dieser Unglücke geht ein Kind hervor, welches in einem Hinterhof in der Mülltonne landet. Edelmütig nimmt sich eine Tänzerin des „Cabaret Changó“ des Kindes an, verliert dadurch ihren Job und muss zum Broterwerb anschaffen gehen. Es folgt eine herzerwärmende Kindstaufe bei Orgelmusik und, ein halbes Dutzend grandios dargebotener Mariachi-Nummern später, ein Totschlag sowie eine unbarmherzige Verurteilung trotz Notwehrsituation. Im Gegensatz zu DANCER IN THE DARK von Lars von Trier, der sich hier die Idee und einige Storylines geborgt hat, mündet das musikalische Drama nicht in eine Katastrophe, sondern in eine happy endende, wenn auch tränenfeuchte Amnestie am Muttertag (!). Kamera-Legende Gabriel Figueroa (Luis Bunuels langjähriger Kameramann) hat das von Auftritten erstklassiger Stars der Latino-Musikszene (u.a. Ninón Sevilla, Rita Montaner, Pedro Vargas, musikalische Leitung: Perez Prado) flankierte Sittengemälde um Sünde, Schuld und Sühne wundervoll expressionistisch, mit den Stilmitteln des Film Noir, fotografiert. Ein cinematographisch bewegtes Heiligenbild aus der Halbwelt der Sünde, das auf Platz 20 der Ewigenliste der 100 besten mexikanischen Filme aller Zeiten rangiert: Pulp Fiction unverdünnt und in ihrer reinsten Form – anders gesagt: Ein echter Heuler, Kintopp pur. „<<< 28.12.2011 Kameliendame 2000 / Camille 2000 [2]
(Radley Metzger, Italien 1969) – 9/10 (23), Kino (35mm)*
Wie ich den Sommerwind fing
(Reginald Ginster, Deutschland 2010) – 9/10 (22), DVD
Liebe und Anarchie / Film d’amore e d’anarchia, ovvero stamattina alle 10 in via dei Fiori nella nota casa di tolleranza
(Lina Wertmüller, Italien 1973) – 8/10 (20), Kino (35mm)

27.12.2011
Sabine 18
(Marran Gosov, BRD 1967) – 9/10 (23), Kino (35mm)
Jane erschießt John weil er sie mit Ann betrügt
(Rudolf Thome, BRD 1968) – 6/10 (15), Kino (35mm)
Just Happened [3]
(Marran Gosov, BRD 1968) – 8/10 (20), Kino (35mm)
Power Slide [2]
(Marran Gosov, BRD 1966) – 10/10 (24), Kino (35mm)
Henker Tom
(Klaus Lemke, BRD 1966) – 8/10 (21), Kino (35mm)
Das Manöver
(May Spils, BRD 1966) – 9/10 (22), Kino (35mm)
Das Portrait
(May Spils, BRD 1966) – 8.5/10 (21), Kino (35mm)

26.12.2011
Die Stunde des Wolfs
(Matthias Glasner, Deutschland 2011) – 6.5/10 (17), DVD
„Sie sind ein wunderbarer Mann, Tom. Ich liebe ihre Küche, ihre Musik… und ich schwöre bei meiner Seele, das ist der leckerste fettige Fasan, den ich je gegessen habe.“

*****

Leider ist nach einem Update wieder einmal ein Großteil meines Sehtagebuchs verschwunden. Ich werde das baldmöglichst beheben.

*****

25.12.2011
A. I. – Künstliche Intelligenz / A. I. – Artificial Intelligence
(Steven Spielberg, USA 2001) – 9/10 (23), DVD
„In der Nacht haspelte eine Stimme in meinem Kopf:
›Hast du mich lieb, hast du mich lieb?‹
Dann wurde die Sonne finster und raste auf uns zu.“
– „652 km nach Berlin“ von Silvia Szymanski (2002)
Finisterrae
(Sergio Caballero, Spanien 2010) – 8/10 (21), DVD
Melancholische Gespenster im Schnee. Sprechende Eulen. Videoinstallationen in Astlöchern. Elche, schläfrig durch Herrenhäuser stapfend. Prätentionsvertrashung! SCHANGEL! Nur die auslaufende Milch (nach Tarkowskij) fehlt noch – aber man kann nicht alles haben.

24.12.2011
Müllbumser / Trash Humpers
(Harmony Korine, USA 2010) – 9/10 (n/a), VHS
Das ist so ein Film, den man wegräumt, irgendwohin ablegt, für später. Ein guter Mensch wird ihn allerdings zum rechten Zeitpunkt hervorkramen, und da ich selbstverständlich ein guter Mensch bin und zu Weihnachten nur die besten Absichten habe, gleichsam Wärme im Herzen trage, kramte ich ihn hervor, als mir noch rechtzeitig einfiel, dass dieser Rotzklumpen aufgrund seines deutschen Starttermins unzweifelhaft listenrelevant ist. Ein Film, dem man abwechselnd applaudieren und den Hals umdrehen will. Die perfekte filmische Nervensäge, ein schauriges Vergnügen, auf brillante Weise enervierend und absolut eklig. Ein bißchen so habe ich mir immer die Filme von Christoph Schlingensief vorgestellt. Wenn Schlingensief ein genialer Sechsjähriger mit Videokamera und dem Verstand eines notgeilen Großväterchens wäre. Die ungezügelte Radikalität, mit der sich hier, einer Freistellung von ihrer Gesellschaft und cinelinguistischen Gesetzen gleich, auf Parkplätzen, schmuddeligen Veranden und siffigen Wohnzimmern eine folgenlose und boshafte Reinfantilisierung der Figuren vollzieht, wie die Kamera mit voyeuristischer Intimität Zeuge ihrer anarchischen, karnevalesken Sexualität wird, das verschlägt den Atem. Eine räudige Bescherung (ich musste übrigens den Originaltitel einfach übersetzen – es war wie ein Zwang).
(Dank an Alexander P. und Lukas Foerster)
Bellflower
(Evan Glodell, USA 2011) – 9/10 (23), DVD
E-Träumer Andreas, der deutschlandweit beste Festivalkurator, der kein Festival kuratiert, hat mir für den traditionellen Nachhol-Marathon versäumter aktueller Filme vor Jahresende wieder eine Handvoll Titel nahegelegt, von denen mich einer mehr und positiver überrascht als der andere (nur HANNA und BLACK FIELD standen von vornherein fest, ich habe leider beide tragischerweise im Kino und auf dem Filmfest München an mir vorüberrauschen lassen). Dieser Film war eine besonders merkwürdige Überraschung, ein Rätsel.
Schon zu Beginn habe ich nach Dingen gesucht, die mir missfallen oder die mich aufregen, ganz scharf hingesehen und jedes Bild umgedreht, ich hatte das Gefühl, den Film ablehnen zu müssen. Es ist bescheuert (und immer wieder aufs Neue nutzlos), und ich weiß nicht einmal, warum. Vielleicht sah er mir zu sehr nach zusammengestyltem Indie-Hipster aus oder ich wollte nicht wahrhaben, dass auch ein solcher Film das Recht darauf hat, ein aufrichtiges Melodram zu sein und sich mit diesem Vorhaben aller für ihn verfügbaren (kleinen?) digitalen Mittel zu bemächtigen. BELLFLOWER ist ein erstaunlich unprätentiös und ungezwungen in unscheinbaren Verschachtelungen elliptisch erzähltes Provinz-Melodram in der Tiefe des glimmenden Kalifornien, fühlt sich ein bischen an wie eine zeitgenössische Variation von SOME CAME RUNNING (1959). Ich habe versucht, die Figuren von mir fernzuhalten, aber irgendwie ging es einfach nicht, ich ertappte mich dabei, wie ich sie an mich heranließ, ganz nah. Irgendwann spekulierte ich, inzwischen schon etwas lethargischer, ob das ein Melodram nach dem Melodram sein könnte, ein Nachhall einer Tragödie, von der im Film nie erzählt wird, so, als sei sie tabu. Er wurde selbst zur Tragödie, aber vielleicht, nein: vermutlich, um zu zeigen, wie er es hätte tatsächlich falsch machen können, so falsch, wie ich ihn mir verbohrterweise gewünscht hatte. Das Seltsame daran ist, dass ich mir nicht sicher bin, ob ich den Film letztlich abgestoßen hätte, wenn seine dramatische Zuspitzung sich nicht am Ende in einer auf den ersten Blick Twist-artigen Manier als trotzige Dekonstruktion von Klischees des emotionalen Katastrophenfilms a là Larry Clarke und Darren Aronofsky offenbart hätte. Diese Offenbarung, verändert sie den Film tatsächlich so sehr? Diese, verglichen mit der ersten Hälfte, vermeintlich artifizielle Zuspitzung schien mir dennoch irritierend frei von Pathos, sie ist nur so surreal, wie die Situation der Figuren es vorzugeben scheint. Trotzdem ist der Film eisern: Hätte ich es so gemacht, scheint er zu brummen, hätte ich meinen Figuren die Würde vom Leib gerissen. Und diese Würde ist da, die ganze Zeit. Das ist viel – wie oft hat mich das schon an diesen amerikanischen Indie-Kleinstadttragödien abgestoßen, die forcierte Würdelosigkeit der Figuren, die sich ihren Schöpfern ergeben mussten: Da, seht, was für arme Menschen, schrien sie, und ich stellte mich sofort taub, zurecht. BELLFLOWER ist kein innerlicher Exploitationfilm dieser Art, er interessiert sich vorsichtig und ohne Sturheit für die Texturen des Schmerzes, ob sie in einem mit Blutergüssen marmorierenden Bart, einer vollgestellten Küche oder zwischen verkohlten Grashalmen in der Abendsonne schlummern. Die Inszenierung, unter einem selten organischen Einsatz des mir sonst so verhassten „Color grading“, geifert ihnen nicht nach, sondern taumelt immer etwas gedankenverloren der feinen Spur des Qualms nach, den diese Texturen nach sich ziehen. Eine „tour de force“, dieser Film, dieses Melodram. Ich wünschte nur, ich könnte ermitteln, warum ich das Gefühl habe, mich dieser abgekämpften Ergriffenheit schämen zu müssen. Ja, der Film hat mich zerschmettert – erschießen Sie mich. Merry christmas.

23.12.2011
Black Field / Mavro livadi
(Vardis Marinakis, Griechenland 2009) – 8.5/10 (22), DVD
Ein wenig mystischer Gleaze (= Gay-Sleaze) darf zum Jahresende nicht fehlen und ein queerer Nunploitation-Film aus dem derzeit irgendwie offenbar recht aufregenden Griechenland (IN THE WOODS? ATTENBERG? WASTED YOUTH?) ist natürlich eine ziemliche Bescherung / Beschangelei (= Beschenkung mit Schangel). In einem entlegenen, an den Felsen des Gebirges klebenden Kloster zwischen Nonnen als Frau verkleidet aufgewachsen, erwachen in einem Knaben ungeheure Gefühle, als ein verwundeter, markiger türkischer Soldat von den Nonnen gesundgepflegt wird. Er ist das Tor in die Welt und schließlich kann der androgyne Held nicht mehr anders, muss wehenden Schleiers mit dem verwirrenden Objekt der Begierde zu fliehen. Als die falsche Nonne nach mühsamen Annäherungs- und Ermännlichungsversuchen schließlich auf einer Lichtung von ihrem Soldaten genommen wird und die Manneskraft eingespeist bekommt, hört sie den Wald singen. Quieck!
Interim
(Jan Soldat, Deutschland 2011) – 7/10 (19), DVD
Berliner Schule-Porno. Ausbaufähig und natürlich trist.
Weekend
(Andrew Haigh, GB 2011) – 9/10 (23), DVD
Seit Jahren die erste „Schwulenromanze“ (passt eigentlich nicht), die sich nicht zugeschleimt und verdreht anfühlt. Ich mag nichts schreiben, das muss reichen. Der Film ist, ich vollziehe das persönlich nach, sehr „echt“.

22.12.2011
Zwischen Himmel und Hölle / Tengoku to jigoku
(Akira Kurosawa, Japan 1963) – 7/10 (18), Kino (35mm)
„Intense, macho acting style that was often both bombastic and emotionally honest.“ – ‚Trivia‘ in der IMDB über Toshirô Mifune
Hobo With a Shotgun
(Jason Eisener, Kanada 2011) – n/b, DVD
Goodness, gracious, me!?!
Mit diesem Massaker schickt sich das postmoderne Nerd-„Grindhouse“-Kino an, ins Transgressive vorzustoßen. Ich fühlte mich traumatisiert. Der Film ist kaum zu ertragen.

21.12.2011
Wer ist Hanna? / Hanna
(Joe Wright, GB/D/USA 2011) – 9/10 (23), DVD
F
(Johannes Roberts, GB 2010) – 8/10 (22), DVD
The Voice / Ses
(Umit Unal, Türkei 2010) – 8/10 (21), DVD

20.12.2011
Attenberg
(Athina Rachel Tsangari, Griechenland 2010) – 9/10 (23), DVD

19.12.2011
Die verborgene Festung / Kakushi-toride no san-akunin
(Akira Kurosawa, Japan 1958) – 9/10 (22), Kino (35mm)

„Advent, Advent, ein Schmierlein brennt, erst eins dann zwei dann drei dann vier… und wenn das fünfte Schmierlein brennt, dann hast du Weihnachten verschlemmt…“
Weihnachts-Blitzkonferenz des Hofbauer-Kommandos:
18.12.2011
A Night in Nude: Salvation / Nûdo no yoru: Ai wa oshiminaku ubau
(Takashi Ishii, Japan 2010) – 9/10 (23), DVD
Der „möglicherweise verkommenste [aktuelle] Film des Jahres“ suchte das Hofbauer-Kommando spät heim in Form dieser zu Beginn unter unappetitlichen Matsch- und Glitsch-Geräuschen vor sich hinmäandernden, sich dann schließlich im Schangel und in der Tragödie verlierenden Odyssee des Sleaze (Odyssleazee?), deren irritierende Bandbreite von voyeuristischem Sexploitation-Camp über Noir-Melodram bis hin zur melancholischen, trance-artigen, strahlenden und glitternden Oneironautik des von einer verträumt durch eine riesige Felsenhöhle segelnden Kamera gebannten Schlussaktes reicht. Es fehlten uns die Worte: Wo anfangen, wie beschreiben, wie preisen? „Takashi Ishii liebt den Sleaze“, schrieb verständnisvoll Alexander Karenovics im „Manifest“ und in der Tat sticht seine gefühlvolle Kamera den Darstellerinnen, die sich aus den unmöglichsten Gründen ständig ausziehen müssen, unaufhörlich zwischen die Beine, lässt sie die eigenen Brüste kneten, sich räkeln und einreiben, jedoch, der Film bemüht sich auch um Verständnis und wird auf dieser Suche zugleich zum sanften Traumspiel, einer Suche nach sinnlicher Geborgenheit im niemals enden wollenden, nächtlichen Regen und der Kälte einer raffgierigen Gesellschaft, die den Sex seiner Ideale beraubt hat! Ein großer Film, eine feuchte Offenbarung, ein fiebriges Gedicht von kühler Schönheit und furchtloser Anmut! Sollte auch der Rest der Welt völlig der Sterilisierung und politisch korrekten, saubermännischen Miefigkeit anheim fallen: In Japan lebt die nach HK-Auffassung schönste Sache der Welt – Sleaze – weiter, immer weiter! Darüber hinaus scheint man dort auch die Möglichkeiten digitaler Kinematographie längst weit tiefer ausgelotet zu haben als im Rest der Welt: Könnte digitales Kino öfter das, was der anbetungswürdig digitale, berauschend schöne A NIGHT IN NUDE: SALVATION kann, die ganze elende Digitalisierung schiene bei Weitem nicht so trist und einschüchternd.
Yojimbo – Der Leibwächter / Yôjinbô
(Akira Kurosawa, Japan 1961) – 9/10 (22), Kino (35mm)
Endlich ein begeisternder Kurosawa. Als Genreversteher war er offenbar groß, als Männerversteher gleichfalls, wie sich an der vor „Duftesse“ (= Aura, die ein „dufter Typ“ verstrahlt) triefenden Performance von Toshiro Mifune ablesen lässt. Weit markiger (der Film verdampft sein Testosteron nur so, unfassbar) sowie m. E. weit atmosphärischer, dezent surrealer und zynischer als das berühmte Remake PER UN PUGNO DI DOLLARI. Beide Filme sind Bestandteil des redundanten Kanon, es ist daher nicht redundant, sie redundant zu vergleichen. Die ganz große, überbordende Begeisterung stellte sich bei mir auch hier nicht ein, Kurosawa scheint mir immer zu sehr gestrenger Formalist zu sein, aber in diesem Glücksfall eines nach Formalismus verlangenden Stoffes hat es mich nicht gestört.
Hardbodies
(Mark Griffiths, USA 1984) – 8/10 (16), VHS*
Die amerikanische Teenie-Sexkomödie der 70iger und 80iger war ein dem doch eher eurozentrierten Hofbauer-Kommando bisher gänzlich fremdes Tal der Freuden, doch das ergiebige Bad im spritzigen Naß dieses ungetrübten Karussells lüsterner Infantilitäten, in dem alle involvierten Personen kompromisslos auf ihren geradezu viehischen, offenbar sämtliche Hirnwindungen verknotenden Trieb und ihr knackiges („Hardbodies“ – von ihnen, seltener als von „Frauen“ ist ständig die Rede) Äußeres reduziert werden, hat uns selbstverständlich ermutigt, eifrig weitere Bohrgänge in dieses scheinbar doch recht saftige Metier zu unternehmen. Ein glänzendes Beispiel für „Idioteaze“ (Idioten-Sleaze). Wollte man ein Doppelprogramm mit zwei Filmen dieser Spielart zusammenstellen, böte sich Umberto Lenzis einziger amerikanischer Film NIGHTMARE BEACH (Zitat Marian: „Eine Trash-Verwöhnpackung“) an. Darüber hinaus muss konstatiert werden, dass Filme wie dieser wohl das amerikanische Pendant zum deutschen Lederhosen-Sexfilm darstellen: Hier wie dort ist das Motiv geiler Urlauber aus der Stadt, die von regionalen Kleinstadt-Womanizern mit den regionalen „Hühnern“ (wie „chicks“ hier in der deutschen Fassung übersetzt wurde) verkuppelt werden, handlungstreibend, der ganze Film erweckt den Eindruck eines vom Schlockstick (= schlockiger Slapstick) überwucherten „Party-Surrogats“ in Filmform (für die, die nie auf Parties eingeladen werden) und er bietet schließlich sogar das genredefinierende, immer wiederkehrende Element des Lederhosen-Films auf: Männer, die über Leitern zu ihren Geliebten ins Fenster klettern! Selbstverständlich tut die deutsche Synchronfassung ihr Übriges, um die Grenzdebilität dieses angenehm wuselnden Treibens zu vervollkommnen. Es sollte belobigend erwähnt werden, dass das letzte Drittel des Films sich in seiner aggressiven Ausgelassenheit in geradezu dadaistische Höhen aufschwingt. Der außerplanmäßige 80iger-Themenabend des Hofbauer-Kommandos fand mit diesem Film ein hysterisches Ende.
Bettgeknister, Sexgeflüster / Porno lui erotica lei
(Mario Siciliano, Italien 1981) – 8/10 (18), VHS*
Schmudddelkönig Mario Siciliano scheint sich um den Status eines italienischen Jürgen Enz zu bewerben mit diesem hinterhältigen Spätwerk (Übersetzung des Originaltitels: „Porno für ihn, Erotik für sie“), einem Hardcore-Porno, der in der deutschen Fassung zum Softporno umgeschnitten wurde und so als sinnentleertes Nichts der schäbigsten, ranzigsten und tristesten Sorte einen Anblick bietet, der wohl nur von den hartgesottenen, gestählten Augen des Hofbauers-Kommandos als „liebreizend“ oder „faszinierend“ empfunden werden konnte. Eine Aura der Niedergeschlagenheit und Resignation liegt über diesen gräulichen Wohnzimmern und abgetakelten Lokalen, in denen verbrauchte Menschen versuchen, einen quirligen Sexreigen zu simulieren, der sich um ein ungleiches Paar dreht: Sie, ca. Mitte 40, unerquicklich sonnengebräunt und wasserstoffblond, verdient missmutig die Brötchen in einem düsteren, fensterlosen Büro in Rom während er, Anfang 30, stets in viel zu engen Slip-Badehosen, aus denen die Kronjuwelen geradezu hervorzuquellen scheinen, an der Adria umherkraxelnd, seine Zeit aufreibend mit einer Schar leichter Mädchen verlebt. Letztlich kollidieren diese unterschiedlichen Welten und er, der ölige Macho aus Überzeugung, wird von einer als goldene Weihnachtsgans betrogenen Frau und seiner wütenden Gattin entmannt. Den undurchsichtigen Gesetzen des italienischen Gossenkinos folgend, wird der lässige Superstecher in Folge dieser Kastration schwul (!!!) und zieht am Ende glücklich tuckend von dannen mit dem Ex-Liebhaber seiner Gemahlin, gespielt vom brachial schnauzbärtigen und geradezu abstoßend männlichen italienischen Pornostar Mark Shannon. Allmächtiger…
The Hard Way / Walking the Edge
(Norbert Meisel, USA 1983) – 9/10 (22), VHS*
Norbert Meisel enttäuschte das nach seinem epochal verkommenen DER ZERSTÖRER mehr als nur hoffnungsvolle Hofbauer-Kommando nicht mit diesem exquisiten Schmierlappen von einem Selbstjustiz-Reißer, der bevölkert ist von haarsträubenden Typen, siffigen In- und Exterieurs und, zumindest in der überaus kongenialen deutschen Fassung, asozialen Sprüchen („Seid ihr jetzt endlich fertig, ihr beiden Scheißhaufen?!“). Nicht nur in den unbeholfen hingegammelten Actionszenen, sondern auch in der zart erblühenden Proll-Romanze zwischen Robert Forster und Nancy Kwan, bei Kerzenlicht, Rotwein und Fritten, gemahnt der Film in geradezu verblüffender Weise an Alexander Titus Bendas Meisterwerk MACHO MAN. Endgültig durch die Decke wird das Ganze gestoßen von der unvergleichlich dreckigen Präsenz von Joe Spinell als Kleingangster in viel zu engen Hosen und mit Schmalzmatte, sowie Jay Chattaways anbetungswürdigem, treibenden Score. Ich beginne, die 80iger mehr und mehr zu lieben.

17.12.2011
Das Schloss im Spinnwebwald / Kumonosu-jô
(Akira Kurosawa, Japan 1957) – 4/10 (12), Kino (35mm)
Theatral und trist, trocken und miefig. Hat meine negativen Bauchgefühle gegenüber Kurosawa verschärft. Auch vereinzelte Ausflüge in den Schangel und die Mystikploitation konnten das auszuzelnde Erlebnis nur geringfügig versüßen.
Die Prinzessin von Montpensier / La princesse de Montpensier
(Bertrand Tavernier, Frankreich/Deutschland 2010) – 10/10 (24), Blu-ray
Kurz vor knapp noch den vermutlich schönsten Liebesfilme des Jahrs (man wagt es ja kaum, so etwas zu schreiben) gesehen. Von der „Ehrlichkeit der Gefühle“ twitterte unser verehrter Alex P. vor einem Jahr, und das trifft den Ansatz dieses nach innen gekehrten Melodrams und seiner fragilen Bilder nicht schlecht. Wieder einmal begeistert hat mich einer meiner heimlichen Lieblingsschauspieler, Lambert Wilson, dessen passive Züge ein großartiges, verstecktes Emblem des Films abgeben. Dieses Gesicht wirkt stets so, als würde es jeden Moment von Tränen überschattet zerbrechen, jedoch im Zerbrechen mit seinen Scherben alle Umstehenden töten, ohne das der Träger dieses Gesichts auch nur die kleinste Aggression in sich trüge. Als Vermittler der ehrlichen Gefühle, der selbst nicht fühlen darf und sich irgendwann im Stillen „off screen“ geistig opfert, ist er in diesem Film das tragische Zentrum. Man fragt sich, warum wir in Deutschland nicht einmal einen solchen Film sehen können, warum Kostümfilme hierzulande grundsätzlich dem schäbigen Filmföderungs-Schlock anheimzufallen scheinen. DIE PRINZESSIN VON MONTPENSIER ist kein direkt beobachtender Film, aber er gibt nicht vor, mehr über seine Figuren zu wissen als sie selbst, er lässt sie, ganz einfach, entspannt und rücksichtsvoll, den filmischen Raum füllen, den er ihnen geschaffen hat.

16.12.2011
Behindert und schwul
(Simon Begemann, Deutschland 2011) – 6.5/10 (18), Kino (Digital)
Nicht ganz so gelungen und spritzig wie der erste Film des jungen Nürnberger Nachwuchstalents Simon Begemann, der delirant-dichte Toiletten-Slasher BIS ZUM LETZTEN BLATT (2010), aber wieder einmal eine filmisch erstaunlich enthusiastische und filmhistorisch kompetent aufgespritzte Orgie selbstironisch feinziselierten und doch bisweilen hintersinnig versponnenen, parodistischen Fäkal- und „Gross out“-Humors, von den Beteiligten unter Aufbietung all ihrer Künste mit einer Schamlosigkeit zum Filmklumpen verdichtet, von der sich das Gros deutscher Amateurfilmer eine große Scheibe abschneiden könnte. Allein der Humor selbst, er harrt nach Begemanns zweitem Film JEAN-CLAUDE WANDERN (2010), in dieser dritten Manifestation immer noch einer wirklichen Weiterentwicklung. Am Handwerk und dem Esprit des Regisseurs (hier in gleich zwei Nebenrollen, als analmassierender Messias und als Satanistenführer, zu bewundern) zumindest soll es nicht scheitern.


November

17.11.2011
The Devil in Miss Jones
(Gerard Damiano, USA 1974) – 9/10 (22), DVD
Angestenzt von JÄGERBLUT, war mir nach einer Porno-Exkursion und da dieser Klassiker und HC-Kanonfilm mir noch unbekannt war, griff ich zu und empfing aus dem Schoß der großartigen, fraulich-sinnlichen Georgina Spelvin eine Rispe von Weintrauben! Der Film kühlte mich ab. Er hatte den leichten Willen zur gleichermaßen kunstvoll arrangierten wie entspannt zusammengeworfenen Selbstvergessenheit wie einige der besten Jess Franco-Filme, aber was bei Franco einem belebenden Windhauch und einer zärtlichen Hypnose gleichkommt, verursacht hier ein Frösteln. Wenn ich darüber nachdenke, scheint mir der Film selbst in seinen lichtesten und erotischsten Momenten, unglaublich düster. Aber: Ich bin nunmehr endgültig ein Fan von Harry Reems. Und natürlich von Georgina Spelvin, ohne jeden Zweifel eine Darstellerin, deren Furchtlosigkeit und geerdetes Charisma jede Scham beim Zuschauer aufhebt, gleichsam das in Gedanken fettgedruckte „Porno“ ausradiert.

17.11.2011
Jägerblut
(Hans H. König, BRD 1957) – 8/10 (21), VHS
Nach HEISSE ERNTE fieberte ich meinem nächsten König-Film entgegen und das war wohl falsch, denn natürlich (muss ich beinahe sagen) war JÄGERBLUT nicht ganz so extraordinär, etwas gewöhnlicher, etwas mehr den unvermeidlichen Tümeleien des Heimatfilms verpflichtet, inklusive einem Chor, der im Fraktur-Vorspann singt „Oh du mein Bayerland, wie bist du schön..“.
Trotzdem wird auch hier heftigst mit dem Genrekino geliebäugelt – ein Subplot um eine Gruppe von Schmugglern sorgt für schangelig-geheimnisvolle Berg- und Waldszenen bei Nacht, es finden sich diverse tolle, oft grelle Regie-Einfällen und der gesamte Film ist von einer angenehmen Dämmerstimmung umwoben. König tut sich einmal mehr in einer, an der Entstehungszeit gemessen, recht deftigen Weise gütlich am alpinen Sleaze: In einer besonders kecken Szene zieht die ständig auf Männerjagd befindliche, junge Ruth Drexel einen der schmuggelnden Tunichtgute ins Heu, um ihn zu einer frühen Form von Lederhosen-Sex anzutreiben. Die beiden Protagonistinnen gackern inbrünstig um die Gunst des neuen, jungen und hoffnungslos biederen (aber hinreichend umtriebigen) Försters, den seinerseits gleichermaßen der innere Stenz sticht, was zu aufbrausenden emotionalen Wortgefechten zwischen ihm und den beiden Hennen führt – feurige Momente, in denen König mit sichtlichem Vergnügen das Kindische seiner Figuren nach außen kehrt. Viel sexier hingegen der Anführer der Schmuggler – gespielt vom jungen Jan Hendriks, einst ein Faszinosum meiner Jugend. Als 13jähriger hätte ich ihn mir vielleicht an die Schranktür gehängt, bannte er mich doch im hautengen, schwarzen Taucheranzug und mit verschlagenem Blick in DAS GASTHAUS AN DER THEMSE. Seine Versuche bayerischer Mundart in JÄGERBLUT sind recht hölzern und man stellt sich ihn, mit seiner ölig-gelangweilten Laszivität, viel eher mit Zigarette und Anzug in einem mondänen Berliner Schwulenclub vor, als mit Revolver und in Lederhosen auf der Almenpirsch. Die interessanteste Figur ist hier allerdings ein alter, polternder Förster, der völlig den Kopf verliert, weil er durch einen jungen Nachfolger ersetzt wird. Im englischen Wikipedia-Eintrag zum deutschen Heimatfilm steht „In a broader sense it’s possible to view the Western-genre as the American counterpart to the german Heimatfilm.“
Ganz im Sinne dieser Überlegung steht der in seiner größten, melodramatischsten Szene wütend schreiend und zornig heulend vor sich hinwimmernde bayerische Koloss, dieser Förster, direkt neben den abservierten, alten Cowboy und Pistolero-Haudegen des langsam aufweichenden klasischen US-Westerns, die mit der changierenden Zeit in Konflikt geraten. Eigentlich doch ziemlich viel Interessantes und Spannendes an diesem Film. Vielleicht hat mir einfach die suggestionsreiche und moderne Kameraarbeit des genialen Kurt Hasse gefehlt, der hier leider nicht dabei war.
Ich bereue den Lustkauf der alten deutschen Videokassette (1 Euro im Amazon-Marketplace) nicht, hoffe allerdings, dass mir der flehend herbeigesehnte ROSEN BLÜHEN AUF DEM HEIDEGRAB und der bereits auf dem Weg zu mir befindliche DIE FISCHERIN VOM HEILIGENSEE ähnliche Höhenflüge verschaffen wie HEISSE ERNTE.

16.11.2011
Perrak II – Härter, schneller, schwuler / Derrick: Tote Vögel singen nicht
(Alfred Vohrer, BRD 1976) – 10/10 (24), DVD
Text folgt. Es ist nicht zu fassen, wie Alfred Vohrer hier zu sich kommt. Ein großes Alterswerk, traurig und rauh.

15.11.2011
Dracula im Schloss des Schreckens / Nella stretta morsa del ragno
(Antonio Margheriti, Italien/BRD/Frankreich 1971) – 9/10 (23), Kino (35mm)*
Gothic Horror und Popkultur. Rüschenhemden und E-Gitarren.
Gothic Horror und Riccardo Freda: Finsternis, bitter.
Gothic Horror und Mario Bava: Schangel, naiv.
Gothic Horror und Antonio Margheriti: Schwerelosigkeit, melancholisch.
Gothic Horror und Riz Ortolani: Zitronenminze.
Gothic Horror „Danza Macabra“, 1963, Schwarzweiß: Barbara Steele.
Gothic Horror „Nella stretta morsa del ragno“, 1971, Technicolor: Michêle Mercier.
Gothic Horror und Frauen: Noch keine verlorene Kunst.
Gothic Horror und Brüste: 1963 männlich, 1971 weiblich.
Gothic Horror und von Geisterhand geöffnete Türen: Vorhang und Leinwand, in diesem Film.
Gothic Horror und Meta-Kino: Vollmond.
Gothic Horror und 1971: Krieg und Frieden.
Gothic Horror und Peter Carsten: „Marmeladenmännchen“ (unorthodox und köstlich).
Gothic Horror und Klaus Kinski: Totale Klassik.
Gothic Horror US: Cinemascope. Gothic Horror IT: Techniscope.
Gothic Horror und Techniscope: Ballett.
Gothic Horror und Technicolor: Herzog und Kinski (ein Reflex).
Gothic Horror und Meisterschaft: Antonio Margheriti.
Gothic Horror und Antonio Margheriti: Ultra-Verstehung von Schatten und Licht.
Gothic Horror, Schatten und Licht: Antonio Margheriti.
Gothic Horror, Schatten, Licht und Antonio Margheriti: „I lunghi capelli della morte“, dann „Nella stretta morsa del ragno“.
PS: Gothic Horror und Joe Hembus: Todsünde.
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„Sein bekanntester Film Besonders wertvoll, in dem sich ein sprechender Penis über das neue Filmförderungsgesetz mokiert, bringt 1968 die Kurzfilmtage Oberhausen fast zum Platzen.“ – Aus der Kurzbiographie von Hellmuth Costard auf filmportal.de

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14.11.2011
Hotte im Paradies
(Dominik Graf, Rolf Basedow, Deutschland 2002) – 10/10 (24), DVD
Zitat aus einer SMS, die Sano mir vor zwei Wochen nachts um 3 schickte: „Leute, habe gerade die katze gesehen und bin völlig fassungslos. Was war das!?? Schon wieder der beste graf-film?“
Das Gleiche dachte ich eben, nach meinem 19. Graf-Film auch. Unglaublich. Ich wüsste wirklich nicht, wo ich anfangen sollte, würde ich versuchen, irgendwo anzufangen mit den Ergüssen der Begeisterung und des Staunens (und auch des Wehklagens: Es kann doch einfach nicht sein, dass so etwas nur fürs Fernsehen entsteht?! Der immer gleiche, einzige schale Gedanke nach fast jedem Graf-Film). Der Film dauert 118 Minuten. Bei Graf bedeutet das: 28 Minuten mehr Overkill als sonst, in seinen 90-Minütern. Dabei dachte ich immer, ich könnte mit den von Basedow geschriebenen Graf-Filmen wahrscheinlich nicht soviel anfangen wie mit den anderen. Warum eigentlich? Jetzt aber freue ich mich zum ersten Mal wirklich richtig auf IM ANGESICHT DES VERBRECHENS.

12.11.2011
Mit Django kam der Tod / L’uomo, l’orgoglio, la vendetta
(Luigi Bazzoni, Italien/BRD 1967) – 7.5/10 (20), Kino (35mm)*

12.11.2011
Elf Tage, elf Nächte / Undici giorni, undici notti
(Joe D’Amato, Italien 1987) – 9/10 (18), VHS*
Viel zu lange haben wir die späten Prä-Porno-Werke von Joe D’Amato gemieden. Nach dem hinreißendenden Tanzfilm DIRTY LOVE und dem aufwühlenden „Psychoerotikschocker“ AFTERNOON ist nun, nach dieser ungeuerlich geschriebenen und mit spritzigem Elan zusammengeschmierten, euphorisierend schäbigen Softporno-Seifenopern-Ultrasause endgültig klar, dass wir bisher nur die falschen D’Amato-Filme gesehen haben. Filme wie dieser machen Heißhunger auf die 80iger, wonach auch immer.

09.11.2011
Midnight Heat
(Roger Watkins, USA 1983) – 7.5/10 (20), VHS

04.11.2011
Chamaco / Killer Kid
(Leopoldo Savona, Italien/Spanien 1966) – 9/10 (22), DVD
Ein Italowestern, dem ich besonders entgegenfieberte, da Savonas vorletzter Film LA MORTE SCENDE LEGGERA (1972) einer der eigentümlichsten und diffusesten Gialli ist, die ich bisher gesehen habe. Ich war mir damals im Taumel der Verwirrung uneins mit mir selbst, ob es sich dabei um ein konzeptuelles Zerfasern oder tatsächlichen Dilettatismus handelte. Mein Gefühl riet mir zu Ersterem, nicht zuletzt, weil in die oneironautische Schwammigkeit, melancholische Unbestimmtheit und die selbst an den beglückend entfesselten Maßstäben des Subgenres gemessen chaotische Struktur immer wieder Momente von geradezu brutaler, perfektionistischer Selbstbeherrschung hineinbrachen. Vielleicht ein Alterswerk, dem der düstere Schalk im Nacken saß.
KILLER KID hat mein Erlebnis mit LA MORTE SCENDE LEGGERA retrospektiv noch mehr verschönert, weil er, auf ganz und gar andere Weise als erwartet, in etwa das ist, was ich mir ein Stück weit erhofft hatte (ein Stück weit, denn Hoffnungen und Erwartungen sind meist einerlei): Perfektion des Hingerotzten. Hinrotzen ist überhaupt ein ein wundervoller Term, um sowohl diesen, als auch den anderen Savona-Film zu beschreiben. Hingerotzt von Jemandem, der es vermutlich makelloser, reibungsloser und perfekter könnte, wenn er wollte. Aber er wollte nicht, lieber schüttelte er es aus dem Ärmel oder dem Hosenbein. So stehen in KILLER KID Italowestern-immanente Stilisierungen in unsaubererer oder spontanenerer Ausführung, neben improvisiert wirkenden Momenten, wie ich sie so in keinem italienischen Film dieser Zeit gesehen habe. Hypermoderne Reißschwenks / -zooms und Wackelkamera in den Actionszenen, die so gar nicht in die italienische Actionchoreographie passen wollen, eine komisch taube „Day for night“-Liebesszene von „französischer“ Luzidität, und echter Agitprop, der eine sonderbar archaische Härte entfaltet, die in den Filmen von Petri oder Damiani vom Pathos unterbunden würde (was aber nicht schlimm ist, ich liebe Pathos). Die Kampfansage des Films – so fühlt sie sich im Rückblick nach der krassen Schlussgeste an – zu Beginn, noch vor dem Comic-artigen Vorspann, ist sein pathetischster Moment: „Dieser Film ist dem mexikanischen Volk gewidmet, das in demütigem Heldenmut die Geburt einer modernen, unabhängigen, demokratischen Republik ermöglichte.
Und der dicke Fernando Sancho darf auch mal eine ernste, tragische Rolle spielen. Und Giovanni Cianfriglia ist mit Porno-Schnauzer wohl einer der bestaussehendsten Italowestern-Bösewichter überhaupt. Und die Musik ist von Berto DIE MÖRDERBESTIEN Pisano.

03.11.2011
Schakale der Unterwelt / Illegal
(Lewis Allen, USA 1955) – 6.5/10 (18), DVD
Erzreaktionärer Proll-Krimi, mega-markig, MEGA-MARKIG! – nach diesem Film fühlt man sich, als hätte man einen vollen Aschenbecher ausgelöffelt und anschließend mit drei Flaschen Fusel runtergespült. Das erste Mal, dass das mir bisher unbegreifliche Phänomen Edward G. Robinson begreiflich wurde. Leid tut einem in diesem Sumpf uramerikanischer Ehrerbietung und Stimmungsmache nur Nina Foch, die hier eine gräßliche Rolle spielen muss als mütterliches Tochter-Huhn, das Robinson und allen anderen Männern dauernd in die Tasche zu spielen hat – anscheinend war ihre Karriere ähnlich unglücklich wie die ihrer Figur in SINGING IN THE RAIN. Aber da es sich um ein Edward G. Robinson-Vehikel handelt, sind Frauen ohne Bedeutung denn Robinson hatte nicht Liebhaber, Held, Prinz oder ähnliches zu sein, er hatte einfach nur Mann zu sein, so richtig, Krötengleich zwar, aber doch Mann, genauso wie der ähnlich quasimodische James Cagney. Was für Typen! Was für Urviecher! Amerika, du Wiege des Kino-Testosterons!

02.11.2011
Japan
(Carlos Reygadas, MEX/NL/D/ES 2002) – 9/10 (22), Kino (35mm)
Bijou
(Wakefield Poole, USA 1972) – 9.5/10 (23), DVD


Oktober

30.10.2011
Schmieriger Törn / Kreuzfahrt des Grauens
(Guido Leoni, BRD/Italien 1969) – 9/10 (n/a), DVD*

29.10.2011
Und ewig singen die Wälder
(Paul May, Österreich 1959) – 8/10 (21), DVD
Saturnus
(Bruno Sukrow, Deutschland 2011) – 9/10 (23), Blu-ray
Die Zuckerrohr-Puppe mit der schwarzen Donnerbüchse
(Anonym, 197?) – n/a, DVD*

28.10.2011
Heiße Ernte
(Hans H. König, BRD 1956) – 9/10 (23), VHS
„Es sind nur die Äußerlichkeiten, die an das italienische Vorbild erinnern, die zusammengeströmten Hopfenpflückerinnen, die Tänze am Feierabend, das blinkende Messer, die spekulative Ausnutzung des Milieus. Die Menschen in diesem bunten Rahmen handeln nicht psychologisch folgerichtig, sondern nach den seltsamen Anweisungen des Drehbuchs. Spannung kommt erst im Augenblick des tödlichen Zweikampfes auf. Da gewisse milieubedingte Situationen in der Darstellung die Grenzen des Schicklichen streifen, sind Vorbehalte nötig.“ – Aus der Originalkritik des „Filmdienst“, 1956

26.10.2011
Vor Sonnenuntergang
(Gottfried Reinhardt, BRD 1956) – 9/10 (22), VHS
Hysterisch! Was für eine Ultrakunst! Was für ein gewaltiges Ultra-Melodram! Was für ein Inferno menschlicher Selbstvergessenheiten! Was für düstere, expressionistische Bilder von Hans Albers als alter deutscher Steineiche, die gefällt werden soll! Eine rührende Steineiche, allein gelassen und verstoßen im Mief. „Ein alter Mann, den keiner mehr braucht“, stößt Albers mit glasigen Augen hervor, altväterlicher Zorn und Depression eines deutschen Alters, noch zehntausend Mal härter als bei Curd Jürgens. Alle chargieren sich das Böse aus dem Leib, oder das Engelhafte, gemalt wird mit dicken Strichen, aber ephemerem graublau! Was für eine perfide Inszenierung, die sich pausenlos selbst überschlägt und verrenkt, räkelt und zischt! Was für ein schamloses Plädoyer für den „zweiten Frühling“! Was für einen androgynen Ultra-Charme Annemarie Düringer verstrahlt! Was für eine totale Beherrschung der ganz, ganz großen Visconti-Geste und des Sirk-Exzesses, um dann ihn, diesen Exzess, hinzuführen zum stillen Wasser, wo das Leben brodelt und Galle spritzt, wo es durch die Hallen und Korridore der feudalen Villa kreucht, in der die Steineiche gefällt werden soll, eine zwischen stilisierter Gothik und cremigem Realismus völlig unentschiedene Flut ausgelegter und -gezerrter, Ultra-Schwarzweißbilder, immer darauf bedacht, nicht zu distanziert zu werden. Diese Gratwanderung zwischen totaler Stilisierung und totaler Intimität im Angesicht der großbürgerlichen Apokalypse – was für eine Regie! Das Artur Brauner auch einmal einen so normalen, guten Film produziert hat…
In der Schule hat man mich, wie Generationen von deutschen Schulkindern vor mir, mit Gerhart Hauptmann gequält. Ich hätte damals nie zu träumen gewagt, dass man aus der „naturalistischen“ Tristesse diesem Knäckebrotduktus etwas derart Schanglophiles und Campiges extrahieren könnte.
Wahrhaftig eine Ultra-Entdeckung. Ich brauche jetzt ganz klar mehr von Gottfried Reinhardt, auch – und vielleicht vor allem? – seine amerikanischen Filme.

24.10.2011
Kinski Paganini
(Klaus Kinski, Italien 1989) – n/a, Kino (35mm)

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Ein altes „Filmstöckchen“ (#14) im Warentest:
Der beste Film mit John Cusack ist für mich wahrscheinlich AMERICA’S SWEETHEARTS, weil er da von einer Überwachungskamera dabei beobachtet wird, wie er sich Kaktusstacheln aus seinen Kaktusfeigen zieht.
Dass Akteure in Horrorfilmen oft unlogisch handeln ist ultrarealistisch, ein Naturgesetz, unerlässlich für den Suspense und eigentlich einer der Hauptgründe, warum das Horrorgenre so toll ist.
Der beste Film mit Kate Beckinsale ist für mich AVIATOR, in dem sie unfassbar fehlbesetzt ist.
Weibliche Darsteller haben in der Regel das Pech, mich einzig mit ihrer Präsenz, ihrer Nase und ihrem Spiel überzeugen zu müssen, da mich ihre Brüste, Beine, Hintern und Lippen unbeeindruckt lassen.
Logikfehler in Filmen zu kritisieren, finde ich kindisch.
Wolfgang Petersen hat immerhin seinen besten Film in Deutschland gedreht (EINER VON UNS BEIDEN) und dann rechtzeitig die Fliege gemacht, bevor er endgültig im bombastischen Schlock zu sich gekommen ist.
Mein zuletzt gesehener Film war KINSKI PAGANINI im Kino und der war offenbar ein herzerwärmend psychotisch-leidenschaftlich verbrennend-lüsternes Delirium und eine späte Großtat eines verhinderten Ultrakünstlers, welche ich jedoch nicht endgültig beurteilen und in vollen Zügen genießen konnte weil ich aufgrund akuter Übermüdung und Koffeinmangels in der Mitte des Films etwa 30 Minuten lang geschlafen habe.

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23.10.2011
The Ward
(John Carpenter, USA 2011) – 9/10 (22), Kino (Digital)*

21.10.2011
Sentimental Destinies / Les destinées sentimentales
(Olivier Assayas, Frankreich/Schweiz 2000) – 9/10 (22), Kino (35mm)

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„Die Ehefrau eines durch Strahlenversuche zeugungsunfähig gewordenen Professors tröstet sich in Italien mit einem Norweger, der sie schwängert. Der Edelmut aller Beteiligten gipfelt später im Zusammenleben des Ehepaars und der Herausgabe des dreijährigen Kindes an den leiblichen Vater. Ein pseudomoralisches Melodram, das sich edel und verständnisvoll gibt, stets aber an der Oberfläche bleibt. – Ab 16 möglich.“
(Der Filmdienst über VERGISS, WENN DU KANNST (Hans H. König, 1956). Groß. Früher war alles… ach, egal.)

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20.10.2011
Verdacht / Suspicion
(Alfred Hitchcock, USA 1941) – 7.5/10 (20), DVD

19.10.2011
Lady Blue Shanghai
(David Lynch, Frankreich/USA 2010) – 9/10 (n/a), DVD
Der feurige Pfeil der Rache / L’arciere di Sherwood
(Giorgio Ferroni, Italien/Spanien/Frankreich 1970) – 8.5/10 (21), DVD*

18.10.2011
Das triste Eichhörnchen / Schonzeit für Füchse
(Peter Schamoni, BRD 1966) – 4/10 (12), Betamax

17.10.2011
Blonder Lockvogel / Decoy
(Jack Bernhard, USA 1946) – 8/10 (21), DVD
Mondo Brutale / Last House on the Left [2]
(Wes Craven, USA 1972) – 8/10 (22), DVD*

15.10.2011
Viele kamen vorbei
(Peter Pewas, BRD 1956) – 9.5/10 (23), Kino (35mm)

15.10.2011
Skandinavische Lust / Bel Ami
(Mac Ahlberg, Schweden/Frankreich 1976) – 9/10 (22), Kino (35mm)*
Ich schlafe mit meinem Mörder
(Wolfgang Becker, BRD/Frankreich 1970) – 8/10 (20), Kino (35mm)
Zwei Überraschungen unterschiedlicher Art: Wolfgang Becker, Regisseur einiger brillanter und überaus inspiriert an einer Verquickung amerikanischer Genre-Ikonographie und deutschem Kolportage-Realismus arbeitenden Folgen von DER KOMMISSAR, darf in ICH SCHLAFE MIT MEINEM MÖRDER, einem seiner wenigen Kinofilme, leider nicht so ganz als Genre-Auteur zu sich kommen – was verschmerzbar ist, denn der Film trägt vielmehr die unverwechselbare „Slandschrift“ (= Sleaze-Handschrift) von Produzent Wolf C. Hartwig, der hier sehr offensichtlich sichergestellt hat, dass sich seine junge Frau Veronique Vendell (in einer unfassbar chauvinistisch konstruierten Rolle) so oft und billig wie möglich als blond-dusseliges Ultra-Betthäschen präsentiert, während sich an ihrer Seite ein sichtlich ungeführter und erfreulich in „Duftesse“ schwelgender Harald Leipnitz (zunehmend mehr einer meiner deutschen Lieblingsschauspieler dieser Ära) ordentlich chargieren und rüpelhaft gebährden darf, dass es eine wahre Freude ist. Der Noir-Plot tut nichts zur Sache, stattdessen wird man mit 85 Minuten possierlichstem Schmierentheater und trashigen Selbstdarstellungen der Münchner Filmschickeria – die sich in diesem Film ein beschauliches Stelldichein gibt – verwöhnt. Ganz sicher ein Ultra-Gegensatz zum Semi-Bohême-Kino der „Münchner Gruppe“, sehr schlecht, aber ungemein liebreizend gealtert. Bestechend auch ein Gastauftritt der seinerzeit irgendwie allgegenwärtigen Ellen Umlauf als alternde „Bordsteinschwalbe“, die in einer bemerkenswert zusammenhanglosen Ultraszene versucht, Leipnitz zu erpressen („Du warst mein bester Zuhälter“).
BEL AMI im unmittelbaren Anschluss, insofern Kontrastprogramm, als es sich möglicherweise um den „unschmierigsten“ und appetitlichsten (im Sinne von: Am wenigsten unappetitlichen) Porno handeln dürfte, den ich bisher gesehen habe. Nicht selten einen irisierenden Hauch von Radley Metzger und Just Jaeckin verstrahlend, darf der unvergleichlich charismatische, behaarte und attraktive Harry Reems als männliches Pendant zur großäugig-schüchternen mädchenhaften Unschuld ungeschickt, dann aber natürlich enthusiastisch stoßend, durch die Betten unbefriedigter Großbürgerfrauen taumeln, hopsen, winden und dabei Ungeheuerliches stottern in einer fantastischen, ohrenscheinlich durchgehend prominent besetzten deutschen Synchronfassung, die wundersam vor Augen führt, dass es einmal eine Zeit gab, in der die Filme in hiesigen Flutschkinos genauso klingen konnten wie die großen, prestigeträchtigen Hollywood-Produktionen im Filmpalast, einige Straßen weiter (früher war alles besser #9). Ein spritziger Reigen, vom sonst eher als Kameramann (RE-ANIMATOR!) bekannten Mac Ahlberg mit soviel Liebe, Timing, Esprit und Gespür für Rhythmus und Körpersprache seiner begeistert wirkenden Darsteller eingerahmt, dass man das Wort „Porno“ gar nicht mehr in den Raum werfen möchte.

14.10.2011
Das weiße Blatt / L’eau froide
(Olivier Assayas, Frankreich 1994) – 9/10 (22), Kino (35mm)

14.10.2011
Teutonisches Mief-Double-Feature #2:
Der Förster vom Silberwald
(Alfons Stummer, Österreich 1954) – 7.5/10 (17), DVD
Du darfst nicht länger schweigen
(Robert Adolf Stemmle, BRD 1955) – 8/10 (19), DVD

13.10.2011
Demonlover [2]
(Olivier Assayas, Frankreich 2003) – 8.5/10 (22), Kino (35mm)

11.10.2011
Vier Leben / Le quattro volte
(Michelangelo Frammartino, Italien/Schweiz/Deutschland 2010) – 9/10 (22), Kino (35mm)

11.10.2011
The Sexual Story of O / Historia sexual de O
(Jess Franco, Spanien 1984) – 8/10 (21), DVD
Schäbigkeit und Ultrapoesie nicht ganz im Gleichgewicht, aber dennoch im aufregenden Kampf miteinander, in einer von Francos zahllosen Variationen von „Die Philosophie im Boudoir“. Alicia Príncipe, ein besonders „kesses“ Franco-Girl, darf in einer Szene zu pumpendem 80iger-Rock (oder zumindest was Franco, der hier wieder einmal selbst die Musik kreiert hat, dafür hält oder in dieser Rolle möchte) auf einer Couch Norman Mailers „Die Nackten und die Toten“ lesen, natürlich nackt. Mari Carmen Nieto und Mauro Ribera sehen ihr dabei zu und werden von ungeheuren Gefühlen übermannt. Nach diesem erfreulichen Auftakt verliert sich der Film etwas in seinen Sexszenen, aber im Finale offenbart sich urplötzlich noch einmal das Ultra-Delirium, ein sadomasochistischer Mordrausch der für Francos Verhältnisse ausgesprochen grausam ausgefallen ist.
Eher ein Titel für den fortgeschrittenen Franco-Connoisseur. Er wird wissen, wann es geboten ist, diesen Film seiner eigenen Urteilskraft und Erotomanie zu überlassen.

09.10.2011
Ein Haufen dufter Hunde / Kelly’s Heroes
(Brian G. Hutton, USA 1970) – 9/10 (23), Kino (70mm)*
55 Tage in Peking / 55 Days at Peking
(Nicholas Ray, Guy Green, Andrew Marton, USA 1963) – 7/10 (19), Kino (70mm)*
A Chorus Line
(Richard Attenborough, USA 1985) – 7/10 (11), Kino (70mm)*

08.10.2011
Hamlet [2]
(Kenneth Branagh, GB/USA 1996) – n/a, Kino (70mm)
Dance Craze
(Joe Massot, GB 1981) – 8/10 (20), Kino (70mm)
Scheherazade – Der goldene Löwe von Bagdad / Sheherazade
(Pierre Gaspard-Huit, Frankreich/Spanien/Italien 1963) – 7/10 (13), Kino (70mm)*
Missouri / The Wild Rovers
(Blake Edwards, USA 1971) – 9/10 (22), Kino (70mm)*

07.10.2011
The Bat Whispers
(Roland West, USA 1930) – !!/!? (n/a), Kino (70mm)
Die größte Geschichte aller Zeiten / The Greatest Story Ever Told
(George Stevens, USA 1965) – 9/10 (23), Kino (70mm)*
Bela
(Stanislav Rostotsky, UdSSR 1966) – 7.5/10 (21), Kino (70mm)

05.10.2011
Eyewitness / Testimone oculare
(Lamberto Bava, Italien 1990) – 8/10 (22), VHS

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„In Reinecker’s world, a young girl who leaves her parents and moves from the country to the anonymous and evil big city, Munich, will necessarily end up as either a prostitute, or a drug addict, or a murder victim, or all of the above.“
– Aus dem englischen Wikipedia-Eintrag zu DER KOMMISSAR

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01.10.2011
Caterpillar / Kyatapirâ
(Kôji Wakamatsu, Japan 2010) – 9/10 (22), Kino (35mm


September

„It’s an interesting paradox. While I wouldn’t place THE WARD above, say, HALLOWEEN (1978) as an example of Carpenter’s work, HALLOWEEN has never convinced me of Carpenter’s mastery of the genre, but in a strange way, THE WARD does.“
– Tim Lucas

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3. außerordentlicher Filmkongress des Hofbauer-Kommandos: Lustvolle Hysterie und abstrakte Poesie, straight on ‚till morning. (24. – 26. 09. 2011)
26.09.2011
Zwei Kumpel in Tirol
(Alois Brummer, BRD 1978) – 10/10 (24), DVD
Was Sie sich schon immer von einer deutschen Sexkomödie wünschten, aber nie auch nur zu träumen wagten: Ein dadaistisches Kunstwerk, eine non-lineare, völlig befreite und hemmungslose Orgie des euphorischen Slapstick und der irrsinnigen Ausgelassenheit, totale Bewegung, Chaos, qualvoll brillante Kaskaden der Spruchdichtung, Spießer-Poesie, Kreativität, rastlos erfinderische Schmierigkeit, schamfreie Sinnlichkeit, Pulp-Elemente, Ultra-Kameraarbeit von Hubs Hagen (u. a. Stammkameramann der frühen Rudolf Thome, May Spils, Klaus Lemke) karnevaleske Sexualität, unaufhörliche Salven des Schangels und totale Burleske bis zum atomaren Hosensprengungs-Vernichtungsschlag. Marischka, Otto, Enz & Co. können alle mit eingezogenem Schwanz verduften, Brummer ist der Ultra-Auteur des Metiers.
Blow Job – Un soffio erotico
(Alberto Cavallone, Italien 1980) – 10/10 (24), VHS
Ein Film der ganz da ist und völlig neben sich steht zugleich: Alberto Cavallone, ohne jeden Zweifel einer der radikalsten italienischen Filmemacher seiner Generation, lässt sich in staunenswerter Weise von der desaströs gescheiterten Produktion dieses ohnehin schon „kleinen“ Films nicht beirren und entspinnt, ohne jede Furcht vor jedem auch noch so abseitigen Einfall, einen rabiat kruden und melodisch sanften Traumfilm über Nichtigkeit und Allmacht der menschlichen Existenz, als beunruhigend zuckende, gothische Fuge und lyrische, filmische Entsprechung einer sich unregelmäßig auftürmenden Trance, mit der er vermutlich die sexgierigen italienischen Zuschauer scharenweise aus der Handvoll Kinosälen getrieben haben dürfte, in denen BLOW JOB überhaupt gezeigt wurde. Die nahezu völlige Vergessenheit, in die Cavallone – selbst in seinem Heimatland – geraten ist, lässt das bereits zu seinen Lebzeiten tragische Schicksal dieses Widerständigen in einem noch fahleren Licht erscheinen.
Suicide Games in Casablanca / Juego sucio en Casablanca
(Jess Franco, Spanien 1984) – 9/10 (23), DVD
Francos Auge sieht (und filmt) was sonst niemand je zu sehen (oder zu gefilmt) haben scheint, die obsessive Spontaneität seiner Mise-en-scène ist auch in diesem zweifelsohne bereits dem Spätwerk zuzuschreibenden, bitteren Neo-Noir-Melodram um angespülte Menschen, die verloren in einem uferlos inszenierten, labyrinthischen Casablanca treiben, immer wieder aufs Neue gleichermaßen rührend, beneidenswert und unmittelbar poetisch – für mich ist Franco neben Bo Widerberg einer der „genuinsten“ Filmemacher überhaupt. Kinomythen, undefinierbare Sehnsucht ins Nichts und Sex – all das, in allen nur möglichen Spiegelungen, Interpretationen und Wucherungen, auch in diesem Film, über dem eine oneironautische Abschiedsdämmerung liegt, die direkt aus dem staubbedeckten Herz des von William Berger mit großer Geste, aber kleinem Pathos verkörperten Protagonisten aufzusteigen scheint. Hätte der alte Sam Peckinpah nach einer Entziehungskur in Europa experimentell angehauchte, kleine, persönliche Genre-Vignetten gemacht, wäre vielleicht so etwas entstanden.
Long Weekend
(Colin Eggleston, Australien 1978) – 9/10 (23), DVD*
Das schier endlos ausgebreitete, von jeglicher psychologischer Protokollierung befreite, letzte Drittel ist großartig (in ähnlicher Weise großartig wie die Taxifahrt durch Tokyo in SOLARIS) – es erlaubt beinahe eine völlige Wahrnehmungsumkehrung beim Zuschauer, dem die Kontrolle über diese Wahrnehmung zwangsläufig entgleiten muss, wenn sich der Film – endlich – ganz und gar von allem Genre-Ballast befreit.

25.09.2011
Waidmannsheil im Spitzenhöschen
(Jürgen Enz, BRD 1982) – 7.5/10 (11), DVD
Jürgen, der „Enzsetzliche“, der spektakuläre Nichtskönner, besondes kompakt: Die gähnende Leergeräumtheit und absolute Aseptik der statischen Bilder, ihre brutale Symmetrie, das monotone Synthesizer-Akkordeon, die triste Ausstattung, das lobotomische Schauspiel der sich roboterhaft bewegenden und sexuell „verausgabenden“ Darsteller in diesem klassischen Heimatfilmstoff um ein „rühriges, alterwürdiges“ Bergschlösschen, dass als Ferienpension vor dem Zwangsverkauf gerettet werden soll… all diese mit unheimlicher Konsequenz zu einem beispiellos biederen und grenzenlos miefigen, verschämt schwankhaften Höhepunkt getriebenen Bausteine – sind zuguterletzt doch so faszinierend und, auf ihre eigene, bemitleidenswert kränklich-bläßlich-sture Art, kompromisslos und einzigartig, dass man doch geneigt ist, verwirrt, beschämt und mit brummendem Schädel den Tirolerhut zu ziehen. Andreas, der größte Enz-Verehrer in unseren Kreisen, wird sich hoffentlich in Kürze noch ausführlicher und apotheotischer zu diesem starren „Vergnügen“ äußern.
Schulmädchen-Report 5. Teil – Was Eltern wirklich wissen sollten
(Ernst Hofbauer, Walter Boos, BRD 1973) – 8.5/10 (22), DVD
Die Reportfilm-Routine ragt leider bereits etwas hervor aus diesem 5. Teil, doch wie hier, ausdrücklicher als je zuvor, die sexuell vernachlässigten Großväterchen mit Geschichten von jungen, unschuldigen Mädchen, die sich nach erfahrenen, reifen Herren sehnen, anvisiert werden, das ist dann – auch dank der besonders geschmacklosen, schrillen Inszenierung und der Slexpertise (= Sleaze-Expertise) von Günther Heller – doch einmal mehr verwirrend schön. Höhepunkt ist eine erneut meisterlich arrangierte Slapstick-Episode um Rinaldo Talamonti und zwei Schulmädchen, die ihn in einem Waschraum um ein „Pausen-Wurstbrot“ bitten.
Monster aus dem All / The Green Slime
(Kinji Fukasaku, USA/Japan 1968) – 9/10 (22), Kino (35mm)*
Mit 16 hätte ich verzückt ausgerufen: „Das sind die coolsten Monster, die ich je in einem Film gesehen habe!“. Neben den einäugigen Hamburger-Kreaturen mit schwirrenden Nudel-Tentakeln und kreischendem Elektro-Kichern, begeistert auch die beazige (= bieder-schmierige) Rivalität der beiden amerikanischen Cartoon-Klotzschränke um die Gunst von Luciana Paluzzi (man ist versucht, vom Kampf zweier Gorillas um ein Weibchen zu sprechen), sowie die irritierende Japanisierung amerikanischer Stereotypen – der menschliche Versager muss, um Rehabilitation zu erlangen, sein Leben dem Wohle seines Landes, oder vielmehr seiner „Firma“ (hier also der USA, der Rest der Welt ist in diesem Film nonexistent) opfern, während der übermenschliche, erfolgreiche Macho die Frau bekommt. In einem rein amerikanischen Film wäre das so, glaube ich, bei gleicher Anlage der Figuren, undenkbar. Das alleine macht THE GREEN SLIME bereits zu einem unschätzbaren Kuriosum, seine Qualität als filmisches Comicheft ist da beinahe nur willkommene Beigabe.

24.09.2011
Karate, Küsse, blonde Katzen
(Ernst Hofbauer, Chih-Hung Kuei, BRD/Hongkong 1974) – 10/10 (24), DVD*
Wenn eine Erwartungshaltung, die sich über Jahre hinweg träumerisch in eisige Höhen geschraubt hat, nicht nur erreicht, sondern in geradezu verstörendem Maße, stichflammenartig und unter lautstarkem Platzen der Beinkleider, überflogen wird, dann muss das Objekt der Begierde in der Tat eine extraordinäre Stoßkraft besitzen.
Würde man aus diesen knapp 90 atemlosen Minuten reiner „Sleazeszendenz“ (= Sleaze-Transzendenz) lediglich all das dreckige Gelächter, lüsterne Grunzen und gierige Hecheln herausfiltern, man stünde vermutlich vor einem etwa 30minütigen Inferno von Brunftlauten, wie man sie im Kino vermutlich nie wieder so ohrenbetäubend und furchteinflößend vernommen hat. Es gibt, neben der ohrenscheinlich von Hofbauer und Günther Heller „überwachten“ deutschen Synchronisation, zahlreiche Momente, die eindeutig Hofbauers verspielte, anarchische Signatur tragen (einschließlich der Zeitlupenflüge, die sich auch in mehreren seiner deutschen Erzeugnisse finden) – Co-Regisseur Kuei war hier wohl in erster Linie für die (allerdings) zahlreichen Kampfszenen verantwortlich, denn in seinem sehr viel „gediegeneren“ BAMBUSCAMP DER FRAUEN konnte das Hofbauer-Kommando seinerzeit keine mit der feinfühligen Virtuosität des „großen Ernst“ vergleichbare, ausgeprägte „Slandschrift“ (Sleaze-Handschrift) ausmachen.

22.09.2011
Gone With the Cloud / Yun piao piao
(Chia-Chang Liu, Taiwan 1974) – 7.5/10 (20), DVD

21.09.2011
Kopfschuss
(Beate Klöckner, BRD 1981) – 7.5/10 (19), Betamax

20.09.2011
Ringo kommt zurück / Il ritorno di Ringo
(Duccio Tessari, Italien/Spanien 1966) – 10/10 (24), DVD
Vielleicht ist das der ehrgeizigste Film von Tessari, den ich bisher gesehen habe. Der impressionistischste Italowestern, den ich bisher gesehen habe. Und der provokativste. Es scheint mir sehr ungerecht, ihn gegen UNA PISTOLA PER RINGO auszuspielen. Letzterer ist vielleicht die beste „Lucky Luke“-Verfilmung, die gedreht wurde, bevor Lucky Luke überhaupt existierte. Der Ansatz der beiden nur im Titel von dem Namen „Ringo“ verbrüderten Filme könnte extremer kaum sein, beinahe bin ich versucht anzunehmen, dass Tessari sie mutwillig gegeneinander auflaufen lassen wollte, sie ineinander krachen lassen, ineinander verkanten und miteinander explodieren zu lassen. Wo sich der erste Film in einem fröhlichen, ungetrübten Comic-Zynismus ergeht, ist im zweiten nichts an seinem Platz, eine Taubheit nach einem anonymen Knall, einem Krieg, der auch im Frieden nicht ziehen will, hüllt alles in Watte, die Figuren schweben lose in einem filmischen Raum, der nicht für sie entworfen scheint, der aus einem Mantel und Degen-Film stammt, der so düster und giftig war, dass er nicht als Mantel und Degen-Film gedreht werden konnte. Keine Romantik, keine Ehrlichkeit der Seele, keine Orientierung in der Grotte der Gefühle. Blumentöpfe, Altäre, Gärten, Tische, Hinterzimmer, Innenhöfe – aus diesen kühl inszenierten Orten und Objekten steigt hier ein phosphorizierender Pesthauch auf, der Film ist beinahe eine mondäne, literarischere Zwillingsschwester des martialischen SE SEI VIVO SPARA von Giulio Questi (der im Rahmen meiner Italowestern-Inspektion inzwischen dringend nach einer Zweitsichtung verlangt), dort allerdings ist der Held ein messianischer Rächer, hier ist er nur eine Maschine, deren Motor unter der Unreinheit ihres Testosteron-Treibstoffes stottert, knallt und faucht, die Galle tröpfelt, alles gerät aus den Fugen, Latino-Kommunisten, Kolonial-Faschisten, einerlei, der Hass kann nicht so kultiviert werden, wie er soll, und die Topfblumen, und die Sägespäne, und der Wind, und die goldgelockte kleine Tochter, die ist viel heißer als ihre Mädchen-Mutter, die ist sowieso egal, und wenn der ganze Mexikaner-Haufen über sie drüberrutscht, auch egal, die Saloon-Nutte hält es ja auch aus, sollen sie doch, wenn er noch nicht müde ist am Abend, bringt er sie dafür vielleicht noch um, muss er ja als guter amerikanischer Held, wenn das nicht die grenzdebilen Dorftrottel erledigen, er tut ja nur so, muss ja nicht sein, kann grad nicht anders, also eben Manie, Manie, Manie. Unglaublich. Ein niederschmetterndes Vergnügen, total kaputt.

19.09.2011
Die drei Musketiere / The Three Musketeers
(Paul W. S. Anderson, D/GB/F/USA 2011) – 9/10 (22), Kino (Digital)*
Ich kann mich an keinen Blockbuster der letzten 20 Jahre erinnern, der so in Totalen schwelgt wie dieser, der sich so hemmungslos an seinen Kulissen, den Kostümen, den Stadtbildern und Landschaften ergötzt, ständig muss ihre verschwenderische Pracht überwältigend die Schauspieler als kleine Ketten an den unteren Rand des in echter Robert Surtees-Manier ausgekosteten Scope-Bildes drängen, genau wie in einem alten MGM-Film. Eine unbeschreibliche Wohltat im Zeitalter des betäubenden Closeup-Terrors, in dem Regisseure und Kameramänner das ständige „Ins Gesicht springen“ rechtfertigen mit solchem Unsinn wie „Wir wollten immer GANZ nah bei den Figuren sein“. Das 3D verüberflüssigt sich selbst, kaum Gimmicks, dafür aber unendlich viel Räumlichkeit, ganz viel Körperlichkeit, es wirbelt, splittert, tanzt, springt und raucht – es [das 3D] verlangsamt allerdings erfreulicherweise auch den gesamten Rhythmus und lässt in den schwindelerregenden, aber nicht mechanischen Actionszenen (Merke: Das Schlimme an der durchschnittlichen modernen Actionszene ist, dass der Bewegung vor der Kamera jeder autarke Freiraum genommen wird, dass die Kamera zur magnetischen Gummipuppe wird, die von allen Seiten einen Fick einfordert) echte Kinetik zu, durchaus eine Kinetik, die sich in der Tradition des Mantel- und Degen-Spektakels versteht. Wie war nochmal dieses wunderschöne Zitat von Max Zihlmann über Riccardo Fredas LE SETTE SPADE DEL VENDICATORE? An Freda musste ich ohnehin ständig denken – es scheint, als hätte sein Ethos sehr viel mit dem Andersons gemein. Anderson ist der klassische Stoff jedenfalls tatsächlich weit heiliger, als ihm viele unterstellen und er fühlt sich offensichtlich verpflichtet, ihn nicht der postmodernen Alberei anheim zu geben. Stattdessen wählt er, wie soviele Verfilmungen vor der seinigen (ein schriftlicher Vergleich der Kernelemente in George Sidneys Verfilmung von 1948, und Andersons Film wäre viel Arbeit, aber ich behaupte einfach mal, dass sich daraus viel Erhellendes über Zeitgeist im Detail und Überraschendes über Geschlechterbilder im Kino offenbart), den Weg des Schangels und des Sleaze, worunter für mich auch anderorts kritisch beäugte Neuerungen wie Luftschiffe und Ninja-Taucheranzüge fallen. Dieser Film nährt die Hoffnung, dass vielleicht irgendwann doch einmal Schluss ist mit der lähmenden, dummen, altklug-exhibitionistischen 90iger-Postmoderne und eine Rückkehr der privaten, selbstverständlichen und genreimmanent weisen Postmoderne der 70iger und 80iger möglich ist, ohne eitles Retro-Getue oder fluchtartiges Herumgestyle. Das einzige, woran Anderson noch feilen muss, ist die Neo-„Duftesse“ seiner Figuren, die sich redlich um Sleaze in diversen Ausführungen bemühen, dabei aber noch nicht so recht zu sich kommen mögen. Hier müssen die Hosen noch um einige Bel schwellen, damit es zu einer rückhaltlosen Belobigung des Hofbauer-Kommandos reicht!
Darüber hinaus ist Andersons/Jovovichs Interpretation der Lady De Winter, deren Verführungskünste bei weitem nicht die Stoßkraft einer Lana Turner oder Faye Dunaway erreichen und die bei einem Misserfolg eher eine Schnute zieht, als psychotisch auszurasten, zwar hochaktuell (sprich: jenseits der filmischen Grenzen reaktionär – also nicht im Film selbst, keinesfalls), aber leider nicht sehr Sleaze-induzierend. Der allgemeine Mangel an ungeheuren Gefühlen ist also ein wesentliches Manko des Films, denn für mich war diese Geschichte schon immer ein Exzess von Triebauswüchsen. Andererseits fiele mir im Augenblick kein gefühlvollerer Film dieser Größenordnung, aus den letzten 5 Jahren, ein. Demnach muss also nur noch abgeschmeckt und eingeschmiert werden.

19.09.2011
Arrebato
(Iván Zulueta, Spanien 1980) – n/a, DVD
Der vermutlich einzige genuine Cinemenschen-Horrorfilm. Groß.
Eine Pistole für Ringo / Una pistola per Ringo
(Duccio Tessari, Italien/Spanien 1965) – 9/10 (23), DVD
„Eine Spritze für Hans im Glück oder: Von einem liebenswürdigen Massenmörder, der unschuldig lächelnd durch die Welt zieht, um neckisch die Klassen zusammenzuführen und jede Ahnung von seinen Möglichkeiten hat“
Ich begreife überhaupt nicht, warum von diesem Film stets behauptet wird, er sei noch einer dieser frühen Italowestern, die sehr stark am US-Western klebten. Ich konnte davon keine Spur entdecken – Tessaris Antwort, nicht Trittbrettsprung, auf PER UN PUGNO DI DOLLARI, ist italienisch vom Scheitel bis zur Sohle, bis in die Ecken der Räume, in denen ausgesprochen italienische „Frauen und Männer“-Verständniskonstellationen brodeln, sehr viel mehr, als mancher spätere B-Italowestern, der sich der Normen seines Subgenres zwingend bewusster war (nach Auffassung vieler einer der Hauptgründe für den Niedergang des Genres, für mich ein wesentlicher Grund, gerade im B-Italowestern ab 1966 zu stochern). Giuliano Gemmas Ringo ist eine Figur, die geradewegs einer italienischen Komödie dieser Zeit entsprungen scheint, bubenhaft unschuldig und ständig schießwütig, Duftesse en masse, der Humor des Films ist sophisticated albern und sarkastisch, weit entfernt von den späteren komödiantischen Western mit Tomas Milian und Spencer/Hill sondern, Tessari-typisch, sehr entspannt und ausgesprochen schanglophil (= schangel-affin), immer ganz dezent und gekonnt unaufdringlich an der hier unsichtbaren Grenze zur Parodie, natürlich, ebenfalls Tessari-typisch, auch aus allen Poren politisch, beinahe agitatorisch schwitzend sowie überhaupt großartig unbekümmert am traditionsbewussten Ernst des Stoffes („Scritto e diretto da Duccio Tessari“) vorbei, aber nicht gegen ihn, in burlesken Übertreibungen schwelgend, fantasievoll inszeniert, brillant im Timing. Und Giuliano Gemma war zwar nie mein Fall, aber in diesem frühen Film sieht er aus wie ein amerikanisches Teenie-Idol der 50iger und ich stehe mitunter auf amerikanische Teenie-Idole der 50iger. Und sein schwieriges, eigenes Charisma kommt in dieser einen Rolle wirklich zur Blüte.
Ich habe schon viel zu lange nichts mehr von Tessari gesehen. Es wird Zeit für MEHR, vielleicht auch in Form dieser mutmaßlich unfassbaren, deutschen Alterssünde. Tessari + Simmel + Waldleitner + Steinberger + Duval + Wussow, Elsner, Meisel und Basedow?!! Der miserable Ruf dieses leider nicht greifbaren Films stimmt nur noch neugieriger.
Jaja, wieder ein wenig aussagekräftiger Kommentar, aber ich wollte mir keine Mühe geben.

18.09.2011
Sarah
(Daan Retief, Südafrika 1975) – 7.5/10 (20), DVD
Die Fremdheit Südafrikas (und des „Afrikaans cinema“) außer Acht lassend, schien mir dieser bemerkenswert manieristische Bildersturm als ein Heimatfilm seines Landes, Heimatfilm durchaus im Sinne der Konnotationen, mit denen dieser Begriff in unseren tümelnden Landen belastet ist. Ein südafrikanischer Heimatfilm ist aber natürlich für den Deutschen gleich etwas völlig anderes und ich starrte etwas ratlos auf diesen Film und seinen Kitsch, ebenso wie seinen unübersehbaren Rieseneifer. Es ist die klassische Geschichte des rastlosen alten Recken, eines markigen Mannes, auf der Flucht vor einer Untat in seiner Vergangenheit und vor sich selbst, der eines Tages bei einer frisch verwitweten Farmersfrau vor der Tür steht mit der Absicht, ihren Hof zu kaufen. Man könnte sich das sofort auch mit John Wayne und Barbara Stanwyck oder Trevor Howard und Katharine Hepburn vorstellen. Es entspinnt sich daraus all das, was sich auch dieser Konstellation geradezu entspinnen muss, aber über allem liegt diese eigenartige Selbstvergessenheit, eine völlige Befehlsverweigerung gegenüber der Erzählung, eine bedingungslose Bereitschaft, augenblicklich den Fortgang der (so oder so gleichgültigen) Handlung fallen zu lassen, sobald sich auch nur die geringste Chance bietet, stattdessen in berauschenden Aufnahmen der Landschaft, des Wüstengrases und der Tiere zu einlullenden Gitarrenklängen zu schwelgen – als ob alles nur Vorwand wäre, um die Wüste so unkaputtbar verführerisch zu fotografieren, sich an der ausgestellten „Lebensfreude“ der Buschmänner um den Hof zu laben, zu zeigen, dass Mutter Natur überhaupt viel perfekter ist als der Mensch, aber alles mit naiver Schmacht-Spiritualität und verniedlichten Noir-Spuren aufgeladen – in etwa so, als hätte der späte Terrence Malick ein Drehbuch von Harald Reinl verfilmt. Auf den ersten Blick hemmungslos kommerziell, auf den zweiten absolut persönlich und zugleich völlig neben der Kappe, auch trashig, irgendwie in meiner Vorstellung keinem unterhaltungsgierigen Publikum wirklich zumutbar, ziemlich makellos und total krude. Ein enorm seltsamer Film.

17.09.2011
Tatort – Der King
(Dietrich Haugk, BRD 1979) – 7.5/10 (19), VHS
Nicht an Haugks experimentierfreudige Genreverstehungs- und Verwirrungs-Eskapaden bei Helmut Ringelmann heranreichend, aber dennoch voll von appetitlichen und teilweise respektlosen Absonderlichkeiten (vielleicht müsste man für dergleichen Begriff „Grafismen“ einführen?) und mit einem hier irriritierend glatzköpfigen und schnauzbärtigen, auch in der Anlage seiner Rolle nazistisch potenten, irgendwie aber auch sehr schwul wirkenden Heinrich Schweiger in der Titelrolle, der seinem Westentaschen-Blofeld (das unermüdlichen Streben des 70iger-Tatorts nach Verschwörungsthriller und Agentenfilm ist schon ausgesprochen interessant) die gleiche sinistre Sanftmütigkeit verleiht wie seinen tragenden Figuren (derer drei) in Johannes Schaafs militant schangeldekonstruktivistischem TRAUMSTADT.

16.09.2011
Fimpen, der Knirps / Fimpen
(Bo Widerberg, Schweden 1974) – 10/10 (25), DVD
Bo Widerberg, god among filmmakers.
Wenn ich doch nur etwas dazu schreiben könnte. Aber hier versagen mir wirklich alle Worte. Nach WHITE OF THE EYE schon der zweite neue, fassungslos mitangesehene Ultra-Mega-Über-Alltime-Lieblingsfilm im September (merke – von einer 10/10-Wertung lässt sich das nicht automatisch ableiten. Lieblingsfilme und Wertungen, in profanen Zahlen, das passt ohnehin nicht). Geradezu unheimlich – aber dieses Risikos war ich mir vor der Sichtung bewusst – nicht umsonst bin ich seit zwei Jahren in Gedanken von Widerberg geradezu besessen.
Wenn ich doch nur ansatzweise nachvollziehen könnte, wie Widerberg schafft, was er schafft. Es ist wie die Suche nach dem heiligen Gral – eine Spur finde ich davon in beinahe jedem anderen Film, aber bei Widerberg scheint der Gral allgegenwärtig, ohne dass ich ihn schimmern sehe.
Ein Dollar zwischen den Zähnen / Un dollaro tra i denti
(Luigi Vanzi, Italien 1966) – 8.5/10 (22), DVD*

15.09.2011
Spiegelbilder / Images
(Robert Altman, GB/Irland/USA 1972) – 9/10 (23), DVD

14.09.2011
Politess im Sittenstress / La poliziotta fa carriera
(Michele Massimo Tarantini, Italien 1975) – 7/10 (17), DVD*
Die italienische Sexkomödie ist mir noch weitgehend unerschlossen und hat mich bisher auch nicht wirklich angemacht, aber wie Action-Spezialist Tarantini hier die wenigen Slapstick-Einlagen in furiose Action-„Set pieces“ verwandelt und der einfach immer großartige Giancarlo Ferrando ungerührt die etwas abgestandene, sich interessanterweise aber doch überzeugend mit küchenfeministischen Federn schmückende Posse um eine „tollpatschige junge Frau, die ehrgeizig ihren Traum, Polizistin zu werden, verwirklicht“ so fotografiert, als würde er gerade ein großes Mafia-Epos oder etwas ähnlich Elegantes, Ausholendes ablichten, das imponiert irgendwie doch. Ferrandos Passion für das Scope-Format und athmosphärische Arrangements war ohnehin bei vielen seiner Filme entscheidender als die oftmals etwas blassen Regisseure (u. a. Sergio Martino). Zudem gilt es auch, im Namen des Hofbauer-Kommandos die deutsche Synchronisation zu belobigen, in der in einer unfassbaren Passage auf dem Straßenstrich der dufte Verlobte unserer Heroine seinem sizilianischen Kumpel verspricht, ihm werde am Ende der Straße, bei den „ganz scharfen“, gewiß der Reißverschluss platzen. Die Omnipräsenz explodierender Beinkleider in deutschen Fassungen filmischer europäischer Unartigkeiten der 70iger rührt doch immer wieder zu Tränen. Wahre Seelenverwandtschaft unter der Gürtellinie!

13.09.2011
Der grüne Bogenschütze [4]
(Jürgen Roland, BRD 1961) – 6.5/10 (18), DVD
Nach den Offenbarungen, die mir ZINKSÄRGE FÜR DIE GOLDJUNGEN und vor allem POLIZEIREVIER DAVIDSWACHE (ein gewaltiges, beinahe neorealistisch angehauchtes Genre-Monument) bescherten, wollte ich Rolands von mir nie besonders geliebte Wallace-Filme noch einmal aus auteurroristischer Perspektive sehen – im Fall des grünen Bogenschützen nicht sehr befriedigend, da Roland sich verzweifelt gegen den Pulp und den naiven Grusel wehrt und an allen Ecken und Enden versucht, dem – unter anderem auch von seinem Autoren des Vertrauens, Wolfgang Menge – kaputtgeschriebenen Drehbuch irgendwie, so aussichtslos es auch bleibt, Psychologie und Realismus einzuhauchen. Beides hat natürlich in den Wallace-Filmen nur sehr begrenzt etwas verloren, es bedeutet in gewisser Weise einen fundamentalen Verstoß gegen die Gesetze dieser Filme, gegen deren Eigendynamik niemand ankam (und -kommt). Trotzdem macht dieser Kampf im Film den Bogenschützen aus meiner jetzigen Sicht zu einem weit interessanteren Artefakt als etwa die eher enervierende, lähmende Routine eines DIE BANDE DES SCHRECKENS oder DER SCHWARZE ABT (wobei Franz Josef Gottliebs Wallace-Filme den nicht mit Gold aufzuwiegenden Vorteil besaßen, dass der große Neo-Expressionist und Schwarzweiß-Mystiker Richard Angst sie im ihm wenig vertrauten UltraScope-Verfahren fotografierte). Es gibt immer wieder extreme Brüche in der Struktur oder Momente wie jene, in denen Eddi Arent sich mitten in einem Suspense-Moment zum Publikum umdreht und geheimnisvoll warnend den Finger an die Lippen legt. Das in ähnlicher Weise mehrfach wiederholte Verweisen auf das eigene „Filmsein“, das ausgestellte Desinteresse an der Ökonomie des Stoffes und die Distanzierung dahinter, die spür- und sichtbar Rolands Strohhalm ist, das ist schon ein Vorbote der wenige Jahre später aufblühenden Postmoderne (oder Moderne, wenn es nach den filmwissenschaftlichen Pedanten geht) im europäischen Kriminalfilm.
Und dann gibt es da beispielsweise eine Szene, in der Gert Fröbe am Flughafen von Reportern umringt wird. Nur sehr wenige Momente innerhalb der Rialto-Wallace-Reihe haben ähnlich viel echten, nicht erfundenen, Zeitgeist geatmet.

12.09.2011
Herzensbrecher / Les amours imaginaires
(Xavier Dolan, Kanada 2010) – 2/10 (6), Kino (Digital)
Schöne Menschen bewegen sich schön in schönen Bildern, sind schön gemein zueinander, haben schön Sex, umgeben sich mit schönen Gegenständen, leiden schön, flirten schön, sind schön leer, haben schönen Stil, führen schöne Gespräche, tragen schöne Kleidung, trinken aus schönen Teetassen, gehen auf schöne Parties. Manchmal sind sie auch schön erbärmlich und alles ist schön düster, aber alles schön, schön, schön.
*****
In grüblerischen, verbohrten Momenten, in denen ich die mögliche Signifikanz meiner Persönlichkeit mit Füßen trete, verursachen mir schöne Menschen Übelkeit. Sie sind wie eine göttliche Rache an meinem minderwertigen Sein, ein physischer Spott. Ihre Präsenz ist am Unerträglichsten, wenn ihre Schönheit dem Betrachter nicht einmal Projektionen aus der Distanz gestattet, sich ihrer Umwelt völlig verschließt, als erhabener Edelstein hinter Glas. Dieser Film ist ein ganzer Juwelierladen voll derartiger Klunker.

Ich hätte gerne mit einem dieser großen Hämmer, mit denen man Holzpfosten in die Erde treibt, alles kurz- und klein geschlagen. Aber es hätte keine Freude gemacht, nichts hätte geklirrt und gescheppert. Gummi klirrt und scheppert schließlich nicht.
*****
Ich war ganz allein im Kino. Ich hatte ein Glas mit Orangensaft dabei, gemischt mit Mineralwasser. Ich hielt es an mein Ohr und lauschte gelegentlich über dem französischen Zwitschern dem Knistern dieses Schaums, den Zitrussäfte gerne mit Kohlensäure zeugen. Ein banales Geräusch. Eine Wohltat, eine profane Erfrischung inmitten der abscheulichen Eleganz, Stilversessenheit, Homogenität.
*****
Narzissten zu bedauern, fällt mir sehr schwer.
Sind sie krank? Ist es politisch unkorrekt, sie abfällig von der Seite zu mustern? Muss ich mir Sorgen machen? Sie lustig finden, dass ist möglicherweise nicht ganz so schwer, aber in der vorliegenden ästhetischen Selbstproduktion fehlt die dafür wohl notwendige, sardonische Distanz. Selbstreflexiver Glamour eines sich kläglich fühlenden, aber süchtigen Narzissten, geht das? Aber ja, meinen die frischen Dolan-Fans. Aber ja, meine auch ich. Aber nicht hier. Da ist alles zu. Zugestopft mit Satinfetzen, Dreitagebartstoppeln und Seidenknäuel.
*****
Warum konnte ich keinen Text zu diesem Titel findem, in dem steht, was für ein kunstgewerblicher, monoton derivativer, nuttiger, miserabler Schundfilm das ist?
Heterosexuelle Kritiker sind manchmal sehr schlimm, wenn sie Filme schwuler Regisseure rezensieren:
Da sind sie ja wieder, diese tragischen Exoten des Urbanen, faszinierend, in der Tat. In ihrem Dschungel der Eitelkeiten und der mechanischen Zweckmäßigkeit ihrer erotischen Kommunikationsversuche. Erstaunlich, erstaunlich.
Da war auch so ein Text von Sascha Westphal in der letzten Ausgabe der „Sissy“…
Faszinierend, faszinierend, verführerisch, verführerisch.
Xavier Dolan hat da ganz offensichtlich eingeschlagen als „tragischer“ Exot. Er ist als Künstler auf der Höhe seiner Zeit, bravo, bravo. Natürlich sieht er außerdem sehr gut aus. Und er ist noch so jung!
Als ob das eine Entschuldigung für miserable Schundfilme wäre.
Die Wahrheit ist doch, dass es der Welt schlicht an Filmen 20jähriger Filmemacher mangelt, nicht an 20jährigen Filmemachern.
*****
Immerhin hat mich dieser Film einem neuen Wort für den Katalog unserer ET-Schangelwörter bereichert: „manichäistisch“. Dafür und für die psychedelische, zentrale Partyszene vergebe ich zwei Gnadenpunkte. Aber aus Dolan wird wohl kein großer Regisseur werden, denn vielversprechende Ansätze sehe ich hier ebenso wenig wie Nachsicht provozierende „jugendliche Unbeholfenheit“. Vielmehr ein Filmerlebnis von Kubrickesker Aseptik, Unerbittlichkeit und Gefangenheit, filmischer Tyrannei und (wortwörtlicher) Prätention – und das schon mit 20. „Es wird böse enden“, schrieb Werner Enke, dem ich bedeutend lieber in einer seiner vielbesungenen, dämmrigen Münchner Absturzkneipen begegenen würde, als dem gruseligen Xavier Dolan in einem seiner kunstledern gepolsterten und von metrosexuellen, perfekt gestylten Besserverdiener-Sprößlingen besetzten Szene-Cafés. Bang Bang.
*****
Eigentlich wollte ich den Film gar nicht sehen. Sehen wollte ich WAS DU NICHT SIEHST von Wolfgang Fischer. Doch der Zeitschlüssel der Filmdatei auf dem Kino-Server war überraschend abgelaufen, es hatte nicht sollen sein. Was für einen schäbigen Ersatz für eine mutmaßlich aufregende, deutsche Fusion von Arthouse- und Genrekino habe ich mir da nur auferlegt? Katzenjammer.

09.09.2011
Der Spiegel / Zerkalo
(Andrei Tarkovsky, UDSSR 1975) – 6.5/10 (n/a), DVD
Es sollte vielleicht in weniger Städten weniger Kinos geben, die bei jeder sich bietenden Gelegenheit diesen Film zeigen, in dem so unausfüllend, penetrant visionär und verselbstverständlicht triumphale Momente von Schangel und Erinnerungsmystik mit enervierender Hochkultur-Weltschmerz-Fruchtwassergischt ringen. Mir ist über die Jahre die Interpretierwütigkeit abhanden gekommen – hätte ich ZERKALO mit 17, 18 gesehen, wäre ich sehr wahrscheinlich in die Knie gegangen. Jetzt stochere ich im Geburtsschleim nach Momenten der Wahrheit und finde sie nicht. Ein Film, der eine Rezeption einfordert, die ich nicht jedem nächstbesten, dahergelaufenen Autorenfilmer XY zuzugestehen bereit bin.

08.09.2011
Eine schmutzige Geschichte / Une sale histoire
(Jean Eustache, Frankreich 1977) – 10/10 (24), VHS
Es sollte in jeder Stadt ein Kino geben dass einmal im Monat, einen ganzen Tag lang, in Dauerschleife, diesen Film zeigt. Die Ultrakunst.
Früher, als ARTE noch den Mumm (und die Mittel?) hatten, solche Filme zu zeigen, war vieles besser (#13).

07.09.2011
Strictly Forbidden
(Jack Deveau, USA 1974) – 8/10 (21), VHS
DAS WACHSFIGURENKABINETT als avantgardistisch angehauchter Schwulenporno mit Psych-Rock-Soundtrack, in einem Pariser Museum, in das ein mysteriöser, von Regisseur Deveau höchstpersönlich gespielter französischer Mephisto und Sleazer („Yu com tu my ‚ouse and we sliep togeser?“) einen jungen amerikanischen Lustknaben lockt. In einem dunklen Zimmer warten Adonisse aus Stein, bereit, von gierigen Händen aus ihrem ewigen Schlaf gerissen zu werden, zur Vereinigung in die Welt zurückzukehren.
Am Ende bleibt der Lustknabe selbst in diesem Museum zurück, für immer, versteinert, als eine der Figuren, mit denen er sich eine Nacht lang im „verbotenen Zimmer“ vergnügt hat. Toll.

05.09.2011
White of the Eye
(Donald Cammell, GB 1987) – 10/10 (n/a), DVD
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04.09.2011
Caligula / Caligola [„Pre-release cut“]
(Tinto Brass, Bob Guccione, Italien/USA 1979) – 7.5/10 (19), DVD
Wenn er sein naschendes Kameraauge in vertrauter Weise genüßlich über die ausschweifenden, unfassbaren Schangel-Exzesse der surreal-orgiastischen Massen(sex)szenen schweifen lässt, kommt Tinto Brass (dem es heute offenbar überhaupt nicht mehr recht ist, wie durchdringend er den Film mit seiner Handschrift gekrönt hat) völlig zu sich, der Rest ist von bisweilen ermüdend Drehbuchraschelnder Gediegenheit und stimmt – in Kenntnis einiger seiner „eigenen“ Filme – traurig angesichts der Tatsache, dass es ausgerechnet dieser zerquetschte, unpersönliche und körperlose Film-Elefant ist, für den man Brass kennt. Trotzdem hat das ganze etwas von einer verfressenen Mega-Sause, einer Eiswasser- und Honig-Dusche, einer burlesken Farce – starbesetzten, derartig verruchten und maßlosen Ultra-Bombast wird man so in einem Kinofilm vermutlich nie wieder zu sehen bekommen, was vielleicht, trotz des zwiespältigen Resultats, nahelegt, dass früher alles besser war (#12), als es tatsächlich passieren konnte, dass man einen „barocken Genussmenschen“ (Zitat aus einer Kritik zu Brass‘ PAPRIKA) und Erotomanen wie Brass einen Monumentalfilm drehen ließ, einen wahrhaftigen, verschwenderischen Sleaze- und Schangel-Blockbuster, vielleicht den einzigen, der überhaupt existiert.
Gesehen habe ich die auf den amerikanischen und britischen Editionen befindlichen, sogenannten „Pre-release cut“, der angeblich Brass‘ Schnittfassung am nächsten kommt und weitgehend frei ist von den nachgedrehten (und so über Gebühr berüchtigten) Hardcore-Szenen, die Bob Guccione nachträglich und gegen Brass‘ Willen in den Film einfügte.
Lieblingsszenen: Der sanft flüsternd in der gläsernen Badewanne verblutende John Gielgud. Die drei Mägde, die sich an einen schlafenden Soldaten heranschleichen und kichernd den Zipfel seines Wamsrockes heben, um interessante Aussichten zu erhaschen. Und Caligulas fiebriges Delirium an der Seite seines geliebten Schimmels, der mit ihm unter der Bettdecke liegt und mit den Pferdeaugen rollt.
Lieblingsidee: Es erschien mir letztendlich doch absolut plausibel, den Film als die politische Satire ernstzunehmen, als die er offensichtlich gedacht war. Ich habe das zwar nur sporadisch getan, aber ich sehe nichts, was dagegen spräche, den gesamten Film primär unter diesem Gesichtspunkt zu rezipieren.
Lieblingsidee Nr. 2: Da Brass mit Erzählkino scheinbar nichts anfangen kann (trotz seiner bekannten Verehrung des klassischen amerikanischen Studiokinos), hat er den Film – soweit das in dieser Fassung und allen anderen noch ersichtlich ist – so erzählt, wie er auch die meisten anderen seiner Filme ab SALON KITTY erzählt hat. Diese absolut undramaturgische, träge-genießerisch vor sich hin mäandernde, dezent antiklimaktische Erzählweise gibt CALIGULA, der es als Produktion auf ein Epos abgesehen hat, bisweilen einen süffigen autorenfilmerisch-prätentiösen (im „Guten“) Touch, der die biederen Drehbuch-Eskapaden stellenweise auffängt.

02.09.2011
Year of the Gun
(John Frankenheimer, USA/Italien 1991) – 7/10 (18), DVD

01.09.2011
Frankfurt Kaiserstraße
(Roger Fritz, BRD 1981) – 9/10 (n/a), VHS
Nach Fritz‘ sinnlichem Provinz-Melancholikum MÄDCHEN, MÄDCHEN (1966) das sich nahtlos in den aufregenden filmischen Kosmos der „Münchner Gruppe“ einfügte, versprachen wir uns von diesem Werk einen „normalen“, ernsthaften (Genre-)Film – und wurden erschütternd bestraft mit einer ohrenbetäubend und in alle erdenklichen und unvorstellbaren Richtungen detonierenden, unsere Hosen dutzendfach brutal sprengenden Sleaze-Atombombe, einem genuinen „Hintertreppen-Film“ (© Filmdienst) mit delirierendem Kolportage-Drehbuch, Rolf Olsen-artiger, atemloser „Hauruck“-Exploitation-Ultradramaturgie, Kurt Raab als unfassbar aufspielender, liebevoll-eifersüchtig-burlesker Tunten-Tante (!!!), Bundeswehr-„Treaze“ (= Tristesse-Sleaze), einem Feuerwerk der schmierigsten Sprüche aus deutschen Landen, blonden Lustknaben im Taumel des erwachenden Trieblebens, erregend-schockierend-schonungslosen Millieu-Bildern (Kamera: Ernst „Winnetou“ Kalinke), ziellosen und verführbaren Teenagern in grenzenlos selbstverschwenderischen Seifenopern-Tableaus, geflüchtet aus der Schlaffheit der hessischen Provinz und versucht, inmitten von billig-schäbigem Deutsch-Pop und flotten Disco-Lichtern, verloren im riskanten und idyllischen Höllenloch des Frankfurter Rotlicht-Viertels um jeden Preis ihre „young love, hot love“ zu leben, dort, wo es vor duften Typen, heißen Öfen, Sleazern, Zuhältern, miesen Punks, Ausländern und Lüstlingen nur so wimmelt, seedy, seedy, seedy. Aber auch die Jugend von heute, für die man diesen Film ausnahmsweise wohl tatsächlich konzipiert zu haben scheint (sonst adressierten derartige Streifen eher die reiferen Herren) muss vor den Tücken der Großstadt auf der Hut sein!
„Das ist ja der reinste Puff, die Gegend hier!“ meint Rolf, der blonde, angelische Freund unserer ständig am Rande der Hysterie Zickenterror und männlichen Ungestüm provozierenden, 17jährigen Heroine Susanne. Und es war der reinste Puff, und das Hofbauer-Kommando ging als zufriedener Kunde!
Außerdem hat dieser beispiellos spekulative und Herzinfarktinduzierend dadaistisch erzählte Film, der mich, ich übertreibe nicht, pausenlos in ekstatischer Fassungslosigkeit verwirrt und entsetzt aufkreischen ließ, ohne jeden Zweifel Pate für den filmisch nicht ganz ebenbürtigen NATALIE – ENDSTATION BABYSTRICH gestanden. In jeder Hinsicht also ein epochales Werk von extraordinärer, wegweisender Signifikanz für die deutsche Filmhistorie. Bislang der einzige mir bekannte (deutsche) Film, der die transzendenten Qualitäten eines MACHO MAN zu erreichen droht. Ich habe mich nass gemacht, es war wirklich schlimm.
(Ich widme diesen Kommentar der schreibenden Venus, als kleine Aufmerksamkeit und Dankeschön für die „Machoallüren“, derer sie mich so unwiderstehlich – und erfreulicherweise sogar ganz ohne Recherche über „die Natur männlicher Wesensart“ – bezichtigt hat! Mein belobigender Dank gilt weiterhin Frauke, die so freundlich war, mich auf dieses deliziöse Blogger-Praliné hinzuweisen.)


August

31.08.2011
The Innkeepers
(Ti West, USA 2011) – 10/10 (24), Kino (Digital)
Am Ende des FFF die ganz große Bezauberung, die ich nicht kommen sah: Mit unendlicher Erleichterung durfte ich feststellen, dass ich in meinem letztjährigen Kommentar zu THE HOUSE OF THE DEVIL nicht übertrieben hatte, als ich auf diversen Umwegen versuchte, die abolute Souveränität von Wests persönlicher Genre-Verinnerlichung zu erklären. An THE INNKEEPERS, mit dem West die 80iger hinter sich lässt und sich an einem ganz natürlich aus der Zeit gefallenen, modernen Setting versucht, lässt sich das vielleicht leichter nachzeichnen: West greift nie nur aus Nostalgie oder Formverliebtheit auf „altmodische“ Horrorfilmbilder zurück sondern fragt stets danach, welche dieser Bilder welche unmittelbaren Suggestionen auslösen, in Dialogszenen ebenso wie im rein filmischen Suspense. Und entfernt sich damit sehr weit sowohl von der Schublade des filmemachenden Horror-Nerds als auch von der (durchaus möglichen) eines Theoretikes. West ist vielleicht tatsächlich ein moderner Klassizist, interessiert sich wie ein Martin Scorsese bei aller Liebe zu altmodischen Sujets vor allem für das „Warum funktioniert das?“ (und auch für das „Was verbindet mich so sehr mit der Tatsache, dass das bei mir so funktioniert?“) als für das „Warum hat das mal funktioniert?“. Seine Filme geben ihm recht. Sie wirken. Zumindest bei mir. Und wie.
Ein Beispiel: Die beiden Protagonisten starren vom Kopf der Treppe in den dunklen Keller, der vom Strahl ihrer Taschenlampe nur fleckweise erleuchtet wird. Schnitt zur „Kellerperspektive“, die Kamera sieht zu den beiden auf. Und fährt dabei ganz leicht, sehr langsam, nach rechts. Es könnte sich also um die Subjektive eines der gesuchten, dort unten mutmaßlich lauernden Gespenster handeln, aber es ist eine glatte Dolly-Bewegung, technisch, keine lebende Bewegung (oder mitunter alles erschlagende, aufdringliche jedes Eigenleben von Orten, Gesichtern, Momenten erstickende Handkamera) sondern eine maschinelle, die Unsicherheit über die Natur und Herkunft der Bewegung bleibt aufrecht, der Effekt fällt kaum auf, weil er technisch bleibt und somit nicht auf sich selbst verweist. THE INNKEEPERS ist reich an solchen Momenten, er ist ein absolut räumlicher Horrorfilm, noch mehr als THE HOUSE OF THE DEVIL, er bezieht seine Spannung und seine emotionale Disposition aus Korridoren, Treppenhäusern, dem Hinterhof des Hotels, den Zimmern, und daraus, wie sich die Menschen darin bewegen oder auch nur ausnehmen. Die Nutzung des Scope-Formates ist rücksichtslos am inflationären und Kinoschädigenden, modernen Dauer-Einsatz von Gesichts-Closeups und Halbnahen vorbeifotografiert, die Anzahl echter, „großer“ Closeups lässt sich an zwei Händen abzählen und jeder von ihnen kommt wie ein Hammerschlag, springt einen aus der Weite des Bildes plötzlich an. Dafür möchte man Ti West schon umarmen, dass er dem Kino das zurückzugeben versucht, dass er filmisch so eloquent und so unheimlich – wirklich unheimlich, in zweierlei Hinsicht – sicher im Umgang damit ist.
Aber THE INNKEEPERS ist nicht nur ein formaler Rausch von aus der „Umgangssprache“ tragisch hinwegmarginalisiertem Filmvokabular, er ist auch ein ein melancholisch-intimes Stück über zwei Wurzellose, die nicht wissen, wohin mit sich und sich in der Ruhe und scheinbaren Abgeschiedenheit des Hotels sehr viel wohler fühlen als im Starbucks auf der anderen Straßenseite, wo man sich sofort in angriffslustigen Dating-Smalltalk mit Kellnerinnen und in Trend-Chinesisch verfasste Speisekarten verheddern kann, gleichsam unangenehm daran erinnert wird, dass man sich in einem Zwischenreich befindet, zwischen schwindendener Jugendzeit und gereiftem Konsumreich, zurück ins Hotel flüchtend vor der Aussicht, auch hinterm Café-Thresen oder in einer Werbeagentur zu landen, lieber ungesund vornüber gekauert an der Rezeption auf dem Laptop surfend oder erwartungsvoll mit Mikrofonen nach Geistern jagend, insgeheim trotzdem von etwas unbestimmt Besserem als dieser Wochenendjob-Tristesse träumend. Vielleicht beinahe ein modernes Märchen, dieser Film, dessen Figuren sich trotz Internet und Starbucks nach Märchen sehnen. Sicherlich aber, wie an diesem Satz abzulesen ist, ein zutiefst persönlicher Film seines Regisseurs, weit über jede Fanfilmerei (die ich in diesem Film, ebenso wie auch in HOUSE OF THE DEVIL, nirgends ausmachen konnte) hinaus.
Selten habe ich jedenfalls in den vergangenen Jahren die Protagonisten eines Genrefilms so inniglich geliebt und als so „wahr“ und „echt“, von Drehbuchfiltern so unversehrt empfunden wie hier, ich hätte ihnen auch über die gesamte Laufzeit nur bei ihren Schlagabtäuschen zusehen können, so sehr haben sie mich interessiert und fasziniert. Man kennt sie, diese Typen, nicht aus Filmen. Selbst der Sleaze wird auf einem verhaltenen, dezent sentimentalen Sparflämmchen gekocht: Wie auch Samantha in HOUSE OF THE DEVIL zeichnen sich Claire und Luke – die vom Drehbuch im Übrigen nie aufeinandergehetzt werden – durch jene Mischung aus impulsiver Verwegenheit und Unterlippenbeißender Unsicherheit aus, der Mischung schlechthin des klassischen amerikanischen Geisterhausfilms, von den nur äußerlich als „dashing heroes“ durchgehenden Figuren in den Filmen von Roger Corman bis hin zu Sidney Prescott in SCREAM.
Ich müsste noch viel, viel mehr schreiben, um langsam überzeugend und weniger beliebig zu klingen in meiner Argumentation, aber ich habe keine Lust. Der Film macht Lust. Die Filme, die keine Lust machen, über sie zu schreiben, die nenne ich oft auch „Lieblingsfilme“. THE INNKEEPERS ist ohne jeden Zweifel einer meiner Lieblingsfilme 2011, auch wenn ich das vermutlich wieder gegen so manchen irrgeleiteten, unvorsichtigen „Nostalgiker!“-Vorwurf verteidigen werde müssen. Und das, wo doch West nun schon zum zweiten Mal entwaffnend bewiesen hat (unter anderem auch), dass früher eben nicht alles besser war (#11), da in den 70igern oder 80igern niemand diesen Film gemacht hätte. Sondern eben THE BODY BENEATH, BURNT OFFERINGS und GHOST STORY auf der einen sowie SHINING und SUSPIRIA auf der anderen Seite. Aber keinen INNKEEPERS, bestimmt nicht. Wenn doch: Zeigt ihn mir!
Eine meiner absoluten Lieblingsszenen ist übrigens jene, in der Claire nach dem Abendessen einen Müllsack zum Container im dunklen Hinterhof des Hotels bringen muss und es ihr erst nach mehreren vergeblichen Versuchen gelingt, den Sack in den Container mit dem ständig zufallenden Deckel zu schleudern, wobei sie sich dann doch – trotz aller Versuche, das Ding nicht zu berühren – ein klein wenig mit dem Siff bekleckert, der aus einer Ecke des Plastikbeutels tropft.
Ansonsten ist es eine Tragödie, dass dieser Film vermutlich nie wieder auf deutschen Kinoleinwänden zu sehen sein wird – im Gegensatz zum Gros des amerikanischen Mainstream-Horrorfilms der letzten Jahre schreit er herzerweichend (und hoffnungslos) nach einem Kinostart, großen Leinwänden und scharfen 35mm-Projektionen.

31.08.2011
A Horrible Way to Die
(Adam Wingard, USA 2010) – 7.5/10 (18), Kino (Digital)
Django – Sein Gesangbuch war der Colt / Tempo di massacro
(Lucio Fulci, Italien 1966) – 10/10 (24), DVD*
Secret Chronicle: She-beast Market / (Maruhi) shikijô mesu ichiba
(Noboru Tanaka, Japan 1974) – 9/10 (22), DVD

30.08.2011
Kill List
(Ben Wheatley, GB 2011) – tba (tba), Kino (35mm)

29.08.2011
The Woman
(Lucky McKee, USA 2011) – 9/10 (22), Kino (Digital)
Cold Fish / Tsumetai nettaigyo
(Sion Sono, Japan 2010) – 9/10 (22), Kino (Digital)

27.08.2011
The Dead
(Howard J. Ford, Jonathan Ford, GB 2010) – 6.5/10 (16), Kino (Digital)

27.08.2011
Diary of a Murderess / La encadenada
(Manuel Mur Oti, Spanien/Italien 1975) – 7.5/10 (20), VHS**
Marisa Mell hätte in den 40igern eine fantastische „Femme fatale“ abgegeben. In diesem gothisch-schwulstvollen Edelkitsch-Schauerschmierenmelodram mit REBECCA- und Poe-Anklängen, darf sie eine Femme fatale sein, ohne, wie sonst so oft, auf fallende Hüllen beschränkt zu bleiben. Eigentlich war sie ein faszinierender Typ und durchaus kein typisches, rein dekoratives Exploitation-Starlet. Als eines der wenigen dieser Starlets hat sie sich auch häufig in den englischen Synchronfassungen ihrer italienischen und spanischen Filme selbst synchronisiert. So auch hier, wo im Dialog mit Richard Conte (der bravourös den „dirty old man“ gibt) und dessen amerikanischem Akzent, ihr stark österreichelndes Englisch besonders grazil und, bzw. oder, ruppig zur Geltung kommt. Der Film verstrahlt auch sonst viel altmodischen Studioglamour (obwohl er standesgemäß natürlich nicht im Studio sondern „on location“ in einer dieser schangelig-ornamentalen mediterranen Villen gedreht worden ist – in dieser Hinsicht haben die 70iger mit ihrem Zusammenbruch des Studiosystems weltweit viele Sehnsüchte bei Regisseuren, Kameramännern und Zuschauern gestillt), Manuel Mur Oti, seit den 40igern „im Geschäft“, nimmt den Film trotz des etwas generischen und sleazigen Drehbuchs (mitgeschrieben von Mario Siciliano) sehr ernst und die Mell darf, wenigstens dieses eine Mal, zum Glamour beitragen, statt mit der ihr sonst in diesen Filmen auferlegten, nuttigen Aura lacklederner Verworfenheit zu glänzen. Übrigens bin ich kein ausgesprochener Fan und wollte diesen Film in erster Linie sehen, weil ich mich positiv an Christian Kesslers Text dazu erinnerte. Aber sie wurde schnell zum Grund, hier überstrahlt sie alles, zusammen mit einem besonders schönen und angemessen symphonischen Score von Carlo Savina, den ich auch mehr und mehr schätze.

26.08.2011
Zeuge einer Verschwörung / The Parallax View
(Alan J. Pakula, USA 1974) – 9.5/10 (23), DVD
Räumlich und architektonisch veräußerlichtes Angst- und Zeitempfinden, auf die Spitze getrieben. Auf Filme wie diesen werde ich neidisch. Meisterwerk.
Ansonsten: Kanon-Film (well, sort of), bedarf keines Kommentars. Ich empfehle allerdings den ziemlich fantastischen Kinotrailer und den nicht minder großartigen Quasi-Zwillingsfilm I… COMME ICARE (1979) von Henri Verneuil – dessen Kinotrailer übrigens auch ziemlich toll ist – vielleicht war früher nicht alles besser (#10), aber Trailer waren es ganz bestimmt.

25.08.2011
Der Garten der Lüste / Il giardino delle delizie
(Silvano Agosti, Italien 1967) – 8/10 (22), DVD
Alptraum einer Hochzeitsnacht: In einem Hotelzimmer, das zur schwarzweißgrauen Hölle und das Meeresrauschen vor dem Fenster zum nagenden Gurgeln des Hades wird, fiebert Maurice Ronet schlaflos rauchend durch panische Horrorszenarien seiner bevorstehenden Ehe und seiner Kindheit in einer Klosterschule, in der man ihm den Ekel vor dem Weiblichen eingepflanzt hat. Ohne seine surrealistischen Überhöhungen wäre der ausgesprochen unappetitliche Film vermulich ausgesprochen problematisch, doch er zieht sich geschickt mit einem pausenlosen Spießrutenlauf misanthropischen Bilderschangels und polemischen Bezügen auf Boschs Gemälde aus der Affäre, wahrt dabei ständig den Eindruck eines sehr persönlichen Kampfes, den Agosti hier für sich alleine kämpft, wie mit einer Dampfwalze. Die Frau, gespielt von Ida Galli, ist konsequenter- und daher auch in diesem Kontext schlüssigerweise nur Objekt, Medium, Fragezeichen, Skulptur, Projektionsfläche für Ronets Figur. Vielleicht ist das auch ein geschlechtlicher 2001, plakativ mit Ligeti-artigen Klängen eingehämmert, aber unmissverständlich keiner Komplexität seiner abschälenden Triebwelten bedürfend. Im letzten Drittel des Films schleicht sich Ronet in das Nachbarzimmer, um es dort mit einer verführerischen Unbekannten (Lea Massari, nach L’AVVENTURA stetig als Autorenfilm-Schlampe getypecastet) zu treiben, während auf dem Nachtisch neben seiner Frau einige Arznei-Ampullen, die er für sie über einem Gasbrenner erwärmen wollte, im verkochenden Wasser zu Bruch gehen und schmelzen, derweil auch die Gesichter und Körperteile ihres Mannes und der Fremden verschmelzen, in einem sehr fleischlichen und unheimlichen Akt, zu einem apokalyptischen Musikstück, dass angeblich aus dem Soundtrack von Duccio Tessaris Italowestern IL RITORNO DI RINGO (1966) stammt und zu dem Quentin Tarantino in INGLORIOUS BASTERDS eine jüdische Familie in ihrem Versteck unter Bodendielen hingerichtet hat. Die Wege der italienischen Filmmusik sind unergründlich. Man könnte alleine mit einer Dokumentation ihres Recyclings in amerikanischen Pornos und Hongkong-Filmen ein Buch füllen.

25.08.2011
Love Me Deadly
(Jacques Lacerte, USA 1973) – 8.5/10 (22), DVD
Ein nekrophiles Coming-out-Drama melancholischer Prägung voller amerikanischer Sleaze-Karikaturen und einfühlsamer Perversion, ruhig erzählt, pointiert und gelassen inszeniert, unspektakulär toll.

24.08.2011
Der Sheriff / I Walk the Line
(John Frankenheimer, USA 1970) – 9/10 (22), DVD

22.08.2011
Up the Junction
(Peter Collinson, GB 1968) – 9.5/10 (23), DVD
Peter Collinson ist auch so einer, von dem ich endlich mehr sehen muss und das auch schon länger nachholen wollte. Bisher kannte ich nur das faszinierend psychotische Frauenmörder-Melodram STRAIGHT ON ‚TILL MORNING (1972), in dem sich die ewig unschuldige, rehäugige Rita Tushingham (eine meiner persönlichen Kino-Göttinnen, ohne Zweifel) aus den Tiefen ihrer elenden Liverpooler Arbeiterklassen-Existenz und ihrer unversehrten, naiven Seele eine spießige Märchenwelt aufbaut. Suzy Kendall tut das Gleiche in dem beinahe episch ausgebreiteten, nicht selten sich in somnambulen, großartig abdriftenden Einzelszenen an den minutiösen Eskapismus seiner Figuren verlierenden UP THE JUNCTION – und es endet hier ebenso brutal. Nur hat man mit der von Suzy Kendall verköperten Protagonistin Polly längst nicht soviel Mitleid. Sie ist das, was man heute eine „Elendstouristin“ nennen würde, so wie sie sich als „posh Chelsea girl“ im Londoner Arbeiterviertel Battersea einnistet – oder zumindest einzunisten versucht. Sie sammelt die Fettnäpfchen ein wie Erdbeeren. Als sie in der Mittagspause zum ersten Mal mit ihren Kolleginnen aus der Fabrik „Egg and chips“ essen geht, stellt sie geistesabwesend und unverfroren ihre feudale Handtasche auf den Tisch und am Freitagabend zeigt Collinson in einer Parallelmontage, wie sich die Arbeiterinnen in Hauseingängen jungen Männern hingeben, während Polly verträumt nach Hause läuft, in der Abenddämmerung, zurück in die väterliche Villa. Wie der Film zwischen ihrer Wahrnehmung und der ihrer irritierten Außenwelt changiert, ist manchmal plakativ, sehr oft aber auch atemberaubend.
Ach, ich kriege schon wieder Gefühle für das britische Kino der 60iger und 70iger, dass ich mir während meines Aufenthaltes in England nicht so ausreichend wie erhofft erschlossen habe. Denn das britische Kino davor und danach, das kennt man auch als Deutscher etwas. Dafür haben die Dritten in meiner Kindheit und Jugend gesorgt. Aber gerade diese Zeit, der ich auf dem europäischen Festland schon soviel Obsessionskraft geschenkt habe, gerade diese 20 Jahre des britischen Kinos sind mir noch weitgehend unerschlossen. UP THE JUNCTION ist dieses Jahr nach Roddy McDowalls völlig wahnsinniger, chamäleonischer Romantik- und Mystikploitation THE BALLAD OF TAM LIN schon meine zweite britische Ultra-Entdeckung aus dieser Zeit. Time to catch up!

20.08.2011
Super 8
(J. J. Abrams, USA 2011) – 8/10 (20), Kino (Digital)*

20.08.2011
Akt der Gewalt / Act of Violence
(Fred Zinneman, USA 1948) – 10/10 (25), DVD
In den frühen Morgenstunden des 20. August 2011 beschloss der Cinemensch Christoph W., dass es ihn noch nach einem kurzen, aber aufgrund der fortgeschrittenen Stunde „gewöhnlichen“ Film gelüstete. Die knappe Laufzeit, W.s bisher geringe Wertschätzung von Fred Zinneman und das „Noir“-Ettikett, mit denen ACT OF VIOLENCE lockten, waren eine Falle.
Erschüttert musste W. nach 15 Minuten feststellen, dass er sich mitten im Horrorfilmartigen Malstrom eines kolossalen amerikanischen Weltuntergangsszenarios befand, dass ihm CAPE FEAR, THE DEER HUNTER und HALLOWEEN vorwegzunehmen, zusammenzufassen und vorgreifend zu übertreffen schien. Mit zunehmender Ratlosigkeit über der Brillanz des Gesehenen spekulierte W. darüber, wie er wohl überzeugend über den Film schwelgen könnte, denn es war ihm ein Bedürfnis, das Licht in die Welt zu tragen. Vom vielen Grübeln und hastigen, gierigen Aufsaugen der mannigfaltigen expressionistischen Kraft, der passiven Todesverachtung und rohen Menschlichkeit wurde W. schließlich ganz anders. Erschlagen von dem finsteren Bilderreigen, dessen oneironautische Impressionen und wiederhallende Orakel sich ihm für vermutlich lange Zeit eingebrannt hatten, entnahm W. die DVD dem Player und überlegte schwirrenden Schädels für einen Moment, ob er das Konzept des „mit großer Spannung erwarteten Films“ nicht auch noch aus dem über die Jahre hinweg immer weiter abgespeckten Kanon seiner Sichtungsgewohnheiten verbannen sollte.
W. äußerte sich später folgendermaßen über den Film:
„Meeeeeeeeiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiissssteeeeerrrweeeeeeeeeeeeeeerrrk!“

19.08.2011
Die blonde Stute (…) / Fiona on Fire
(Shaun Costello, USA 1978) – 7.5/10 (19), VHS
Nachdem ich nun dieses Hardcore-Remake von Otto Premingers LAURA (bewusst) vor seinem Kanon-Original gesehen habe, werde ich nicht umhin kommen, bei dessen Sichtung in der möglicherweise nahen Zukunft eine sonderbar entrückte Szene zu vermissen, in der Laura, bzw. Fiona, mit dem Glaspfropfen eines Parfumflakons vor ihrem Spiegel masturbiert. 1:0 für Shaun Costello.

19.08.2011
Bronson
(Nicolas Winding Refn, GB 2008) – 8/10 (21), Blu-ray
Glücklicherweise habe ich mich doch relativ grundlos vor diesem Film gefürchtet und ihn vielleicht passend lange vor mir hergeschoben: Refn weiß auch im Rahmen dieses einigermaßen heiklen, zum Posieren verführenden Sujets sehr genau, was er tut und wie das wirkt, was er tut, und versucht ebensowenig einen „Film für die Ewigkeit“ (wie A CLOCKWORK ORANGE, mit dem man BRONSON sehr gerne und vorteilhaft vergleichen darf, wenn es nach mir ginge) zu drehen, noch einen FIGHT CLUB oder ähnlich unerquickliches saucooles, megakrasses zynisches Vidotheken-Nerd-„Kultfilmfutter“. Ich bin dem Ganzen gegenüber noch etwas indifferent, habe aber keine nagenden Zweifel oder verschämten Einwände gegen seinen Ansatz. Er handelt eigentlich, wie die anderen drei mir bisher bekannten Refn-Filme, auf sehr verquere, inkonsistente Weise von der Unergründlichkeit des domestizierten Menschen, über dessen Oberfläche und Selbstdarstellung hinaus. Und macht daraus in diesem Fall wider Erwarten kein Körperkino – fast schade, das. Aber nur fast.

18.08.2011
Explosion des Testosterons / Blast of Silence
(Allen Baron, USA 1961) – 7.5/10 (20), Kino (35mm)*
Ab heute ist es amtlich: Ich hasse Off-Monologe.
Ansonsten bin ich es inzwischen gewohnt, bei meinen späten, ersten Begegnungen mit allseits umjubelten Genre-Klassikern nicht zum Höhepunkt gestoßen zu werden und seufzend vorzeitigen Samenergüssen beizuwohnen. Nicht etwa aufgrund irgendwelcher vermessenen Erwartungshaltungen (bei Kanon-Filmen sind meine Erwartungen schon seit Langem grundsätzlich eher niedrig), sondern weil ich gerade bei Genrefilmen offenbar schlicht auf andere Dinge wert lege als die meisten anderen Cineasten. Barons in der antiquierten deutschen Fassung teils unfreiwillig komische Orgie der Markigkeit (wäre der Film 20 Jahre später gedreht worden, hätte bestimmt Robert De Niro die Hauptrolle gespielt) kitzelt zwar mit filmischen Reizen noch und nöcher, ist mir jedoch auch zu sehr von der Dichte ihrer eigenen Noir-Ikonographie überzeugt, hält sie in einer rigiden Umarmung an sich gepresst, ohne Distanz, welcher Art auch immer. Der Film war mir, auch im Kontext seiner Entstehungszeit, zu prätentiös. So.
Trotzdem formschön anzusehen und filmwissenschaftlich ausgezeichnet zu filetieren, wenn einem der Sinn nach derartigen SM-Spielchen steht.

17.08.2011
Ein Mann von Welt / En ganske snill mann
(Hans Petter Moland, Norwegen 2010) – 1/10 (1), Kino (35mm)*

17.08.2011
Ghosts of Mars [2]
(John Carpenter, USA 2001) – 8.5/10 (22), DVD

17.08.2011
Man spricht über Jacqueline
(Werner Hochbaum, Deutschland 1937) – 9/10 (22), VHS
Zwar nicht so experimentell, wortkarg, poetisch und rau wie Hochbaums radikaler MORGEN BEGINNT DAS LEBEN, dafür aber eine der schönsten deutschen Komödien, die ich kenne. Wera Engels ist der pure Glamour, total sexy und irgendwie auch männerfressend queer (Hochbaum war schwul) als schlagfertiges Luder, dass sich nimmt, wen sie will und wann sie will und damit alle vor den Kopf stößt, bis sie sich um ein Haar das Leben nimmt, als der Tratsch um ihre Person an den existenziellen Bedürfnissen nagt. Doch ihr Angebeter entscheidet sich im letzten Moment für seine verrufene Geliebte und gegen den unheilvollen Speaze (= Spießigkeits-Sleaze).
Der frische Esprit und die suggestionsreiche visuelle Umsetzung dieser erquickend von der „Grund-Schmierigkeit des deutschen 30iger Jahre-Kinos“ (Zitat Sano) kräftig durchwirkten, frivolen „Screwball Comedy“, führt schmerzhaft vor Augen, das ganz besonders deutsche Komödien früher, viel früher, einmal viel besser waren (#9).
Werner Hochbaum ist damit schon jetzt eine meiner erfreulichsten Entdeckungen des Jahres. Ich kann es kaum erwarten, mehr von ihm zu sehen. Was dank einiger verdienstvoller Cineasten, die seine auf DVD nirgends erhältlichen – und vermutlich auch weiterhin für lange Zeit unsichtbaren – Filme im Netz zugänglich gemacht haben, überhaupt erst möglich geworden ist. Es steht düster um das deutsche Filmerbe, wenn ein so aufregender Filmemacher wie Hochbaum (oder Roger Fritz, Michael Pfleghar, George Moorse, Haro Senft, Gustav Ehmck, etc., etc., etc.) praktisch aufgrund der völligen Nicht-Verfügbarkeit seiner Filme verschüttet wird. Murnau-Stiftung / Deutsche Kinemathek / Transit Film = Epic Fail.

16.08.2011
Die Aufklärungsrolle – Als die Liebe laufen lernte
(Michael Strauven, div. dt. Autorenfilmer, BRD 1988) – 8/10 (n/a), Kino (35mm)
Ein düsteres, geradezu erstickendes Destillat des geballten, erzdeutschen Kollektiv-Gesellschaftsmiefs der auslaufenden 60iger (mehr Mief und vertrocknete Vierschrötigkeit auf einmal kann zumindest ich mir nicht mehr vorstellen), in Form eines „Best of“-Zusammenschnitts aus zahlreichen Aufklärungsfilmen, nicht nur von Oswalt Kolle (Besonders hevorstechend einige geradezu außerirdische Sequenzen aus „Geheim-Techniken der Sexualität“). Zwischen ekstatischem Sleaze-Vergnügen und blankem Horror vor der eigenen Nationalität ein gleichermaßen spritziges wie erschütterndes Kinoerlebnis.

16.08.2011
Beatrice Cenci
(Riccardo Freda, Italien/Frankreich 1956) – n/a, DVD

14.08.2011
Zum Zerreißen gespannt / Tension
(John Perry, USA 1949) – 9/10 (23), DVD

12.08.2011
Schlockwork Orange / A Clockwork Orange [5]
(Stanley Kubrick, GB 1971) – 3/10 (7), Kino (35mm)*
Ich wollte ihn nicht wieder sehen, teils aus unheilvollen Vorahnungen heraus, teils aufgrund der Tatsache, dass ich das Gefühl hatte, ihn bereits in- und auswendig zu kennen – und hätte es auch nicht, wäre ich nicht kurzfristig für einen Kollegen als Vorführer eingesprungen. Und dieses Mal, gut 4 Jahre nach der letzten Sichtung, waren die 135 Minuten eine beispiellose Folter, bisher eines der schlimmsten Kinoerlebnisse des Jahres. Meine in den letzten zwei Jahren immer weiter angestaute Aversion gegen Kubrick, meine Entfremdung von seinem Kino, dürfte in diesem grässlichen Abend ihren vorläufigen Höhepunkt gefunden haben. Ich wüsste gar nicht, wo ich anfangen sollte: Ich war abgestoßen vom gefräßigen und mimosenhaften Guckkasten-Blick des Films, überhaupt von der gesamten Fremdartigkeit, mit der Kubrick aus seinem intellektuellen Kokon das Weltgeschehen 1970 wahrgenommen haben wird, wie er das, was er zeigt, mit spitzen Fingern anfasst, wie er in jeder Einstellung vor Sorgfalt und Budget stinkt, sich selbst von oben herab für seine ästhetizistische „Zeitgeist-Verstehung“ in den Bauchnabel fickt, von seiner bürgerlichen, aus großer, berechnender Distanz mit geschmackvoller Kühle getarnten Perspektive (die letztlich ins Reaktionäre mündet), die totale Kontrolle, die Tyrannei Kubricks (auch hier in seinem selbsternannten „Experimentalfilm“) über gerade diesen Film war mir noch weit unerträglicher als zuletzt noch bei meinen letzten Sichtungen von 2001: A SPACE ODYSSEY und SHINING. Die bloße Vorstellung, er könnte mit der Weitwinkel-Handkamera, etwa bei der Ermordung der Sängerin oder in der Sequenz, in der Alex von seinen beiden ehemaligen Droogs verschleppt wird, 20, 30 Takes gedreht haben, pflanzte mir einen derartigen Ekel in den Magen, dass ich das dringende Bedürfnis verspürte, die Vorführstätte zu verlassen, vor dieser martialischen Bilderwalze zu fliehen. Das Schlimmste an diesem und letztlich Kubricks Filmen generell ist, dass sie völlig abgeriegelt sind, keine Offenheit zulassen, sich an ihrer universellen Gültigkeit betrinken, ihren Zuschauer zur völligen Passivität verdammen, ihm jede Interaktivität verweigern. Wenn man sich gegen sie auflehnt, verliert man sie. Das sind alles keine neuen Argumente, ich weiß. Trotzdem: Entweder, man lässt sich in Kubricks Filme einsperren, oder man bleibt draußen. Ich bin diesmal draußen geblieben und habe, erfüllt von grenzenloser Tristesse, Hass und unsanfter auf-dem-Stuhl-hin-und-herrutschender Nervosität, die Gefängnismauern angestarrt. 135 Minuten lang. Nun ja. Ganz für mich selbst, im stillen Kämmerlein meiner Cine-Seele, würde ich resümieren: Kubrick ist tot, es lebe das Kino.

11.08.2011
Ich atme mit dem Herzen / A Winter Tan
(Jackie Burroughs, Louise Clark, John Frizzell, John Walker, Aerlyn Weissman, Kanada 1987) – n/a, Kino (35mm)

09.08.2011
Manila – In den Klauen des Lichts / Maynila – Sa mga kuko ng liwanag
(Lino Brocka, Philippinen 1975) – 10/10 (25), VHS
Criterion verüberflüssigen sich ja seit geraumer Zeit mehr und mehr selbst, indem sie statt den „wichtigsten“ Filmen nur noch die sichersten veröffentlichen, aber dass ich diesen Film als VHS-Rip aus dem Netz sehen musste, matschig, pixelig, ausgewaschen, das geht einfach nicht. Nicht mit Firmen wie Criterion, Eureka oder Koch Lorber und dem, was sie sich auf die Fahnen schreiben. Mir ist klar, dass ich von Criterion auf keine Veröffentlichungen obskurer Wunsch-DVDs wie (der mir bekannten) DIE TOTE VON BEVERLY HILLS oder von CRAZY LOVE (1968) oder von ZUCKERBROT UND PEITSCHE oder von TRANSPORT AUS DEM PARADIES oder von ARCANA zu hoffen brauche – aber dieser Film hier, der sollte „selbstverständlich“ sein. Ich wage es nicht, über ihn zu schreiben. Was weiß ich schon von den Philippinen, umso mehr den Philippinen der 70iger, den Umständen, unter denen dieser Film entstanden ist? Ich kann ihn nur bescheiden und schweigend bewundern, diesen gewaltigen, zerschmetternden Film, dieses seltene Beispiel eines durch und durch filmischen Elendsfilms, der das Elend seiner Figuren und ihres Landes zum Elend und zur Verunsicherung des Zuschauers macht, mehr und unnachgiebiger als fast alle anderen, die ich kenne. In Gedanken steht er bei mir schon neben Elio Petris LA CLASSE OPERAIA VA IN PARADISO (1971). Über den ich vielleicht etwas Ähnliches sagen könnte. Vielleicht aber auch nicht. Woran es mir in diesem Vergleich fehlt, ist Kontext. Aber woher nehmen, wenn nicht ein Leben investieren?

07.08.2011
Lauf um dein Leben / Corri uomo corri
(Sergio Sollima, Italien/Spanien 1968) – 8.5/10 (22), DVD
Ein wenig enttäuschend nach der euphorischen Genre-Ursprünglichkeit vonLA RESA DEI CONTI (1966) und vor allem der schwelenden Intensität und dem größenwahnsinnigen humanistischen Gestus des überlebensgroßen FACCIA A FACCIA (1967), letzterer eine düstere Oper von der Schwäche und ihrer Kraft, aber immerhin innerhalb von Sollimas goldenem Trio – das für mich inzwischen weit über Leones Dollar-Trilogie steht – der Film, der am großzügigsten „Duftesse“ (siehe 11 Filme tiefer) und Sleaze atmet, damit im Grunde seine ganz eigene Variante einer Italowestern-Komödie vorschlägt – die umsoviel dynamischer und weniger klamottig scheint als das, was wenig später das Duo Spencer-Hill, aber auch Millian selbst als Galeonsfiguren ins Genre trugen. Faszinierend auch, wie sich Sollima immer wieder ganz offen auf Sergio Leones Filme bezieht und ihre berühmten Momente, bzw. Bilder paraphrasiert, karikiert, zweckentfremdet, dekonstruiert. Und sie sind ja auch so unendlich leicht zu dekonstruieren. Leone wollte etwas Anderes als italienisches Kino. Und genau das lässt ihn, beschäftigt man sich erst einmal näher mit dem Italowestern und seiner Vielfalt, auch etwas alt, glatt, gewöhnlich aussehen. Zumindest in meinen Augen. Sicherlich ist es unendlich schwer, diesen gordischen Knoten zwischen Leone und dem „Rest“ zu entwirren, weil nicht bestritten werden kann, dass es ohne ihn diese gigantische Welle nie gegeben hätte und man ohne Weiteres behaupten könnte, das nahezu jeder spätere Italowestern sich irgendwann und irgendwo auf ihn bezieht – aber ich sehe das anders: Er hat nur angefangen, andere haben es zur Blüte gebracht. Ich mag übrigens, am Rande und zur leichteren Schubladisierung meiner Person geflüstert, IL BUONO, IL BRUTTO, IL CATTIVO nicht besonders, ONCE UPON A TIME IN AMERICA fast gar nicht und nenne GIÙ LA TESTA meinen Lieblings-Leone.
Man beachte den zauberhaften Trailer, der sich, wie die meisten Italowestern-Trailer ganz auf Bilder, Rhythmus und Musik verlässt, nicht auf Sprecher, Dialoge und Tempo.

07.08.2011
Himmel ohne Sterne
(Helmut Käutner, BRD 1955) – 9,5/10 (23), DVD
Die hemmungslose Käutner-Verehrung schreitet in lyrisch bestiefelten Riesenschritten voran. Abgesehen vielleicht von etwas romantischem Mief hier und da, ist HIMMEL OHNE STERNE, im Grunde auch ein Nachtlied, vor dem Mauerbau, geradezu erschütternd gut gealtert, eigentlich ein moderner, „neuer“ Film durch und durch. Sollte man ihn eines Tages wiederentdecken, wird er möglicherweise verdientermaßen sehr schnell sehr viele sehr viel mittelmäßigere und didaktischere (Filmförderungs-)Filme zum „Thema“ aus dem Rampenlicht drängen, vielleicht sogar in die Kette früher „neuer deutscher Filme“ neben DAS BROT DER FRÜHEN JAHRE eingereiht? Warum käme es heute niemandem mehr in den Sinn, das Nebeneinander von BRD und DDR ganz unmittelbar als „Romeo und Julia“ umzusetzen? Man kann jedenfalls nicht behaupten, dass die schön dreckig zurechtgestylte und zurechtglasierte Konfektschachtel WIE FEUER UND FLAMME (2001) etwas Vergleichbares gewagt hätte.

06.08.2011
Internal Affairs
(Mike Figgis, USA 1990) – 8,5/10 (21), DVD
Dem heutigen amerikanischen Mainstream mangelt es entschieden an Arschlöchern. An richtigen Arschlöchern, als Protagonisten, meine ich. Nicht an duften Typen, die wegen ein paar fiesen Chauvi-Sprüchen genervtes Augendrehen von der Damenwelt kassieren und später im Bett dann den Rest. INTERNAL AFFAIRS ist noch ein Film der alten Schule, von einem jungen Regisseur, der wohl diese alte Schule des Arschlochkinos gerne erhalten hätte. Hier ist selbst der Held ein Riesenarschloch (wenn schon nicht wegen seinem Machismo, dann zumindest seiner Frisur und seines scheelen Blickes wegen), alle Männer sind hier Mega-Machos und die Frauen lassen es sich schluchzend gefallen, so sehr sie auch leiden. Heute würde dieser Film den Blätterwald des Feuilletons zum Rauschen bringen. Man sähe ihn mit Schaum vor dem Mund, wüsste gar nicht, wo ansetzen, soviele Steilvorlagen böte er. Ich hatte allerdings auch Schaum vor dem Mund. Beim Abwägen zwischen ideologischer Ohfeige und Bewunderung waren die Präsenz der großartigen Laurie Metcalf (der Film lässt beinahe im Dunkeln, ob ihre Figur lesbisch ist oder ob es sich dabei nur um eine sexistische Spekulation ihrer Kollegen handelt – da sie aber nach Andy Garcias Ankunft im Bezirk beginnt, ihrer Frisur mehr Aufmerksamkeit zu widmen, darf von letzterem ausgegangen werden) und der enorme, für Mainstream-Verhältnisse teils unglaubliche Sleaze-Gehalt nicht unbedeutend. Man muss den Film eigentlich alleine wegen jenes Moments lieben, in dem Garcia und Metcalf im Auto ihr Fastfood-Lunch einnehmen und beide beinahe simultan, aber zeitlich leicht (entscheidend) versetzt, einer drallen Blondine nachschielen.

05.08.2011
Gastmahl der Liebe / Comizi d’amore [2]
(Pier Paolo Pasolini, Italien 1964) – 10/10 (24), VHS
Während meine erste Sichtung dieses reichen Films in einem Nürnberger Arthouse-Kino vor drei Jahren noch von der Anwesenheit einiger weinschwenkender BildungsbügerInnen beeinträchtigt wurde, bot diese Zweitsichtung im vertraulichen ET-Kreise nunmehr die Gelegenheit für ausgiebiges Sleazen (= Sleaze genießen). Und ich dachte einmal mehr: Wäre ich als Mädchen ins Italien der 50iger und 60iger geboren worden, ich hätte mich wohl erhängt, spätestens nach dem ersten Mal.

04.08.2011
Apocalypse Now [Kinofassung]
(Francis Ford Coppola, USA 1979) – 10/10 (24), Kino (35mm)*
Zum ersten Mal gesehen, von einer berauschend schönen deutschen Erstaufführungskopie, die vor materialästhetischem Schmutz nur so glänzte. Kino wird, leider, nie wieder so aussehen, in Zukunft. Der Film war das erwartete und ausgewiesene Meisterwerk, wenn auch etwas anders als erwartet. Eigentlich ein reinrassiger Horrorfilm – and quite eerie at that. Ich muss dazu nichts schreiben, oder? Kanonfilm. Ende. Lest woanders, wenn ihr denn noch lesen müsst.

04.08.2011
Tatort – Zwei Leben
(Wolfgang Staudte, BRD 1976) – 9/10 (22), VHS
Besprechung ist in Arbeit. Einer der Schlüsselfilme des deutschen Genrekinos der 70iger. Kein Scherz. Ein nachtschwarzer Mafia-Reißer im Ruhrpott. Unglaublich.

02.08.2011
10.000 blutige Dollar / 10.000 dollari per un massacro
(Romolo Guerrieri, Italien 1966) – 9/10 (23), DVD
Auch hierüber möchte ich irgendwann noch etwas mehr schreiben, mit passenden Bildern veredelt. Eine meiner schönsten Italowestern-Entdeckungen bisher, denn: Ich kenne kaum einen Italowestern, nein: überhaupt einen italienischen Genrefilm, der so tief im Gleaze (= Gay-Sleaze) watet wie dieser. Alles Heterosexuelle (und davon verbleibt nicht viel) in diesem Film scheint bloßes Alibi. Hinter der markigen Fassade verzehren sich Gentleman-Revolverheld Gianni Garko und Latino-Bösewicht Claudio Camaso (der unvergleichlich – pardon – heiße Bruder von Gian Maria Volonté) nacheinander. In einer ihrer großen Konfrontationen lassen sie dabei die Masken, bzw. die Hosen geradezu fallen, viel fehlt nicht mehr. „Ich schieße nicht von hinten!“, klärt Camaso Garko auf, in einer Einstellung, die an Deutlichkeit kaum zu wünschen übrig lässt. Aber schon ihre erste Begegnung in der Wüste, schweigend aneinander vorbeireitend, lässt die sexuelle Spannung hoch auflodern. Als Garko seiner Geliebten offenbart, dass er lieber weiter hinter Camaso herjagt, als mit ihr, wie vereinbart, nach San Francisco zu reiten, macht sie ihm eine drastische Eifersuchtsszene. Der Dialog strotzt vor Doppeldeutigkeiten. Mir platzte mehrmals die Hose. Ich hatte mit vielem gerechnet im Rahmen meiner Italowestern-Retrospektive, aber mit etwas Derartigem nun wirklich nicht.
Und als ob das nicht schon eine ganze Menge wäre, inszeniert Guerrieri – bei mir nach seinen brillanten Polizeifilmen der 70iger, vor allem UN UOMO, UNA CITTA, inzwischen ganz besonders hoch im Kurs – so ekstatisch, als wäre es sein erster Film. Auch in dieser Hinsicht eine Entdeckung: B-Italowestern, die sich ohne Berührungsängste und epigonisches Vorgehen, so wonnevoll der völligen, genreimmanenten Stilisierung ergeben, have ich bisher auch nicht allzu viele gesehen. Unter diesem Gesichtspunkt reicht 10.000 DOLLARI PER UN MASSACRO in vielen Passagen ohne Weiteres an bisherige persönliche Favoriten wie DJANGO IL BASTARDO (Sergio Garrone / 1969) oder MATALO (Cesare Canevari / 1970) heran. Ach, war das schön, als die Martino-Brüder selbst nur als Produzenten für wirklich interessante Regisseure tätig waren. Leider begann einer von ihnen, Sergio, später dann auch noch selbst mit dem Filmemachen, mit einem Berg maßlos überschätzter, aufgestylter Dutzendware als Resultat [/Polemik].

01.08.2011
Flucht zu dritt / Mrs. Soffel
(Gillian Armstrong, USA 1983) – 5/10 (13), DVD
Zwei Drittel quälend berechenbarer, qualitätsfilmerischer und allumfassend biederer Kostümfilm- und Oscar-Schlock, im letzten Drittel entgleitet sich der Film dann aber in einer überraschend dichten Abfolge von Trash-Exzessen selbst, die Menschen beginnen plötzlich aus unerfindlichen Gründen, sich ständig wie betrunkene Penner zu bewegen, der Kitsch eskaliert, die wenigen Action-Szenen werden spektakulär verstümpert. Im Anschluss meinte ich zu Sano, der Film sei „schloll“ (= Schlock-toll) gewesen. Heute würde einer derartigen Prestige-Studio-Produktion so etwas vermutlich nicht mehr passieren. Spätestens das Publikum in Testvorführungen (eine widerliche Erfindung) würde darauf aufmerksam, heute. Ungemein schade. Früher war alles… na, ihr wisst schon. (#8)

01.08.2011
Cliffhanger
(Renny Harlin, USA 1994) – 8/10 (22), DVD
Ebenso wie Hyams NARROW MARGIN und die beiden Paul Verhoeven/Joe Eszterhas-Meisterwerke BASIC INSTINCT und SHOWGIRLS eine Carolco-Produktion. Warum, Oh warum nur musste uns diese verdienstvolle Produktionsfirma Mitte der 90iger verloren gehen? Vielleicht auch bezeichnend. Cannon war weg, Carolco war weg – und Hollywood ward schlagartig trist.

01.08.2011
Rendez-vous
(André Téchiné, Frankreich 1985) – 8/10 (21), DVD
Einer der besseren französischen „Frauen- und-Männer“-Verständnis-Plauderfilme, die ich in letzter Zeit genießen durfte. Juliette Binoche war nie wieder so eträglich und bäuerlich glamourös wie hier als mondgesichtiger Backfisch, lange bevor sie zur grazilen, französischen „Mutter der Nation“ aufstieg. Ein Hauch von Zulawski hängt über den spröden Cinemascope-Bildern (sehen französische Filme der 80iger immer fantastisch aus?), besonders dann, wenn der von mir immer sehr gern gesehene, manische Lambert Wilson (LA FEMME PUBLIQUE) ins Bild kommt. In einer der hervorstechendsten Szenen des Films sucht er die Binoche in ihrer Theatergarderobe heim: „Wenn du mich willst, dann sag‘ jetzt JA, wenn nicht, dann sag NEIN!“. Sprachs, setzte sich ein Rasiermesser an die Kehle und schleppte sie in ein Porno-Cabaret, das er moderierte. Überhaupt trieft der Film vor veständnisvoller Agressleazität (= aggressiver Lüsternheit), die bisweilen recht verstörende Formen annimmt. Jedenfalls müssen sich bei Téchiné die Frauen nicht solange soviel schmieriges Aufhebens um ihre Person gefallen lassen wie bei anderen französischen „Altmeistern“. Und sie darf auch mal „Nein“ sagen oder sich aufregen, immerhin.


Juli

31.07.2011
12 Stunden Angst / Narrow Margin
(Peter Hyams, USA 1990) – 10/10 (26), DVD
Kaum zu fassen, dass vor noch nicht ganz 20 Jahren amerikanisches Mainstream-Genrekino noch in solche Höhen – solche heute unerreichbar, unwiederbringlich verloren anmutenden Höhen – vorstoßen konnte. Totale Kinetik, totale Klassik, totales Experiment, totales Genre. Mir war hilflos zumute. Dieser Film! Das kann doch einfach nicht wahr sein! Sollte es sich bei Peter Hyams (hier selbst auch für die a-t-e-m-b-e-r-a-u-b-e-n-de Kameraarbeit verantwortlich) um einen versteckten Meister handeln? Eine ausführliche Würdigung von Sano und mir wird in Kürze folgen. Früher war alles besser (#7), ganz besonders der amerikanische Mainstream (und nicht nur der).

31.07.2011
Der Tag des Söldners / Rolf
(Mario Siciliano, Italien 1983) – 9/10 (23), VHS*
Wider Erwarten kein Ultratrash sondern ein frostiges Melodram über eine disparate männliche Selbstwahrnehmung am Rande der Zivilisation, die sich in Wald und Feld bei einem nahezu schweigend ausgetragenen Kampf auf Leben und Tod, mehr und mehr zersetzt. Siciliano, ein Exploitation-Veteran, der mit diesem unerbittlichen Eisenquader von einem Film seine letzte Regiearbeit ablieferte – zu einer Zeit, zu der sich die meisten italienischen Genrefilmer seiner Generation aus dem Geschäft verabschiedeten – ist wahnsinnig inspiriert und unverbraucht bei der Sache. Nüchterne Totalen kontrastieren sich in einem ganz entfernt an den Italowestern reminiszierenden, aber immer wieder von in beinahe surrealer Weise in den Film hineingehetzten Bildkaskaden – eine beispiellos grausame Vergewaltigungsszene gemahnt in ihrer Montage schon beinahe an PSYCHO – unterbrochenen Rhythmus mit extremen Closeups, in denen die fiebrig funkelnden Gesichter der Männer, besonders des aus sich herausglühenden Hauptdarstellers Antonio Marsina, in jedem Moment in das fahle Grün des Waldes gerissen zu werden scheinen. Lucio Fulcis damaliger, brillanter Hauskomponist Fabio Frizzi tanzt dazu zwischen dem unvermeidlichen Synthie-Gehämmer und anderweltlichen Horrorklängen. Vielleicht ist dieser Film tatsächlich ein besserer, zumindest aber ein filmisch interessanterer, heterogenerer RAMBO. Denkwürdig war auch der Live-Audiokommentar, den Siciliano-Fan Simon (Frauendorfer) uns in euphorischer Ivo Ritzer-Manier dazu kredenzte.

30.07.2011
Love Web – Die Liebesfalle / Intrigo d’amore
(Mario Gariazzo, Italien/Venezuela 1988) – 7/10 (18), VHS*
Gariazzos im gleichen Jahr entstandener, an den gleichen (venezuelanischen) Locations gedrehter Softporno SAPORE DI DONNA war noch etwas schöner, noch etwas bescheuerter, schäbiger und kitschiger, aber dieses Kleinod ist mit seinen sensationell billigen Foto-Shootings, seinem beinahe durchgehend schabrackigen weiblichen und überwiegend an schwerer „Duftesse“ (= Substantiv, das die Aura um „dufte Typen“ beschreibt) leidenden männlichen Cast, dem unwiderstehlichen Synthie-Score und Nebenfiguren wie einer pausen- und zusammenhanglos Freud und Jung zitierenden, bergeweise diffusen Unsinn plaudernden „Psychologin“, auch nicht zu verachten. Obschon das redundante Herumgereite auf dem völlig nebensächlichen Seifernopern-Plot in der zweiten Hälfte etwas… Wobei eigentlich schon jener Plot die Nackenhaare wohltuend sträubt: Da sie die Dienste eines zwielichtigen (aber natürlich anziehenden) Fotografen in Anspruch genommen hat, um sich für ihren zu ihrem großen Leidwesen im Bett desinteressierten Mann erotisch ablichten zu lassen, gerät die naiv-drachenartige Gattin eines Interpol-Agenten in tolle Intrigen um einen Politiker, der mit gleichgestaltigen Bildern seiner Gattin erpresst werden soll! Das hört sich nach großem Kino an, hm? Ist es auch! Steigen Sie ein in Mario Gariazzos erotischen Zeitgeist-Express!
(Auch bekannt unter dem noch ranzigeren deutschen Alternativtitel FATAL EXPOSURE 2. Die deutsche Synchronfassung ist, wie so oft bei illustren Videopremieren jener Zeit und dieser Coleur, unbedingt zu empfehlen.)

30.07.2011
Die Sünderin
(Willi Forst, BRD 1951) – 9/10 (21), DVD
Eine Sternstunde düster-melodramatischer, schicksalshaft-religiös verbrämter deutscher Miefigkeit, maximale Dosis. Diesen Film können Sie als Deutscher nur verkraften, wenn sie einen ausgeprägten Sinn für Humor oder einen Fetisch für Hildegard Knef haben. Im Idealfall beides.

25.07.2011
Greek Lightning
(Warren Stephens, USA 1973) – 6/10 (17), VHS
Besprechung auf Hard Sensations, zusammen mit Marco Siedelmann.

23.07.2011
Sperling und das Loch in der Wand
(Dominik Graf, Deutschland 1996) – 8/10 (20), VHS
Dominik Graf und die deutschen Stars: Es immer wieder erstaunlich. Was er hier mir dem sonst eigentlich grundsätzlich entweder steinernen oder chargierenden, kaum bemerkenswert charismatischen und schon gar nicht sexuellen Benno Fürmann anstellt, das ist im Fernseh-Kontext unverschämt, das ist überraschend und auch – Grafs filmischer Kosmos ist sicherlich eine der letzten Oasen, die das deutsche Kino heute den ungeheuren Gefühlen noch bieten kann – einigermaßen sleazig. Entzückend. Ganz abgesehen davon, dass es Graf auch hier auf rätselhaften Wegen spielend gelingt, ein besonders deutschtümeliges Format und eine besonders deutsche Fernsehkrimi-Figur in amerikanische B-Movie-Windeln zu wickeln (in diesem Fall zumindest, amerikanische). Immer wieder aufs Neue wunderbar irritierend.

22.07.2011
The Night of the Felines / Mesuneko-tachi no yoru
(Noboru Tanaka, Japan 1972) – 9/10 (22), DVD
Ein deutscher Titelvorschlag: „Eine lustige Geschichte von kessen Nutten und traurigen Strichern“. Den Selbstmord des an den „Tücken“ des heterosexuellen Akts verzweifelnden Strichjungen visualisiert Tanaka, indem er einen durchsichtigen, pinken Plastik-Regenschirm in Richtung der gen Himmel starrenden Kamera schweben lässt. Unglaublich – Fragwürdig, aber auch ziemlich toll, eigentlich, trotzdem.
Danke an Sano, der mich auf Tanaka aufmerksam gemacht hat.

21.07.2011
Deutschland 09 – 13 kurze Filme zur Lage der Nation
(Diverse, Deutschland 2009) – 4/10 (Schnitt der Einzelwertungen)
1. Erster Tag (Angela Schanelec) – 7/10 (19) – Das hätte ich, glaube ich, genau so, sehr gerne in Spielfilmlänge…
2. Joshua (Dani Levy) – 2/10 (5) – inkl. Trash-Bonus
3. Der Name Murat Kurnaz (Fatih Akin) – 1/10 (0) – Schlock.
4. Die Unvollendete (Nicolette Krebitz) – 1/10 (1) – inkl. Schlock-Bonus
5. Schieflage (Sylke Enders) – 5/10 (11) inkl. „Kitchen Sink“-Bonus
6. Der Weg, den wir nicht zusammen gehen (Dominik Graf, Martin Gressmann) – 9/10 (23) – Das einsame Meisterwerk.
7. Fraktur (Hans Steinbichler) – 7/10 (18) inkl. Deutschtümel-Bonus
8. Eine demokratische Gesprächsrunde zur festgelegten Zeit (Isabelle Stever) – 6/10 (14) – inkl. „SozPäd“-Bonus
9. Gefährder (Hans Weingartner) – 1/10 (1) – Ein Punkt für Claudia Geisler. Ich mag ihr Gesicht.
10. Feierlich reist (Tom Tykwer) – 6/10 (15) – inkl. Hochglanz-Bonus
11. Ramses (Romuald Karmakar) – 7/10 (20) – inkl. Realsleaze-Bonus
12. Krankes Haus (Wolfgang Becker) – 2/10 (4) – inkl. Mitleids- und Schlock-Bonus
13. Séance (Christoph Hochhäusler) – 7/10 (17) – inkl. Prätentions-Bonus

Eigentlich sollte diese hochnotpeinliche und mehrheitlich geradezu spektakulär schlockige Sammlung heißen: „13 liliputanische Filme zur Lage des deutschen Kinos“. Über selbige jedenfalls erzählen diese 150 Minuten deutlich mehr als über Deutschland 09 – und beinahe ausschließlich Ernüchterndes, Betrübliches und Beschämendes. Und wie auch jüngst innerhalb der DREILEBEN-Trilogie, ist tatsächlich Dominik Graf der Einzige, der nicht nur überzeugen, sondern geradewegs zu begeistern weiß mit seinem kleinen, evokativen, zutiefst filmischen (wären doch wenigstens ein, zwei dieser Filme überhaupt nur filmischer!) Poem, dass sich so überhaupt nicht anstrengen muss, in physischen Texturen der Vergangenheit nach Gegenwärtigkeit zu suchen. Da kommt auch Karmakars vielgelobter, aber doch einen unangenehm artifiziellen, autistischen Konstruktionswillen versprühender Beitrag, nicht gegen an. Unbequem-verschämte Bonuspunkte an Sylke Enders (deren Filme ich irgendwie immer sympathisch finde obwohl sie eigentlich der Inbegriff von plakativem Hartz IV-Kino sind) und Isabelle Stever, die sich der unfreiwillig komischen Didaktik, die schon im Titel des Gesamtfilms steckt, mit scheinheiliger Naivität annähert. Und Hans Steinbichler sollte für seine speazige (= spießig-sleazige) Groteske gleichfalls belobigt werden – gewiß der Beitrag, der am ehesten den Vorstellungen nahekommt, die sich das Hofbauer-Kommando tendenziell von gesellschaftskritischen Thesenfilmen macht!
Last but not least hätte man doch noch soviele andere, soviel interessantere deutsche Filmemacher bitten können – als nur, bis auf einige Ausnahmen, die Elite der derzeit führenden Filmförderungs-Regisseure.
Ich musste soeben erschüttert feststellen, dass „der“ Film just an meinem 21. Geburtstag die bundesdeutschen Programmkinos überflutete. Ich bin nicht abergläubisch. Ein Glück.

20.07.2011
Virgins and Vampires / Vierges et vampires
(Jean Rollin, Frankreich 1973) – 7/10 (20), DVD

18.07.2011
Naked / La tentación desnuda
(Armando Bo, Argentinien 1966) – 10/10 (25), Kino (35mm)*
Nichts, was ich hier schreiben könnte, würde auch nur im Entferntesten meiner, bzw. unserer maßloßen Euphorie nahekommen, unserer verzauberten Fassungslosigkeit angesichts dieser Offenbarung. Armando Bo, ein von der Filmgeschichtsschreibung übersehener, verschütteter Meisterregisseur, erhebt gemeinsam mit seiner Frau Isabel Sarli, der versengendsten Muse, die einen Regisseur je um seinen Verstand gebracht hat, das Exploitationkino zur puren, unantastbaren, erhabenen und erschöpfenden Kunstform, transzendiert es zur existenzialistischen Feuerprobe von Auge, Geist und Körper in diesem sinnlichen, rauhen, poetischen, ungestümen und infernalischen Meisterwerk voll von viehischer Begierde und neorealistischer Weltuntergangsstimmung. Hier, in den unergründlichen Tiefen und Abgründen des Busches, unter dem finalen Gericht des opulenten, gleichermaßen aufreizenden wie maternalen Busens der Sarli, entscheidet sich das Schicksal der Menschheit, verfällt diese Menscheit dem Wahnsinn, egal ob männlich oder weiblich, ob gläubig-rein oder animalisch-schmutzig. Eine unfassbare Entdeckung, ein Erlebnis, dass solch himmlische Glücksgefühle evoziert hat, Gefühle von solch unverdorbener Wahrhaftigkeit, dass nur drei Wörter, befreit von Dünkel, Hintergedanken und kunstfeindlicher Rezeptionsmoral, hier angebracht sein kann: DIE. ABSOLUTE. ULTRAKUNST.
Ich wollte ursprünglich eine epische Lobeshymne schreiben, doch wie so oft habe ich zu lange gezögert, gehadert, an meinen Fähigkeiten gezweifelt, völlig verstört von Isabel Sarlis Erhabenheit und Armando Bos Virtuosität. Daher verweise ich nochmals auf den spritzigen kleinen Text von Andreas, der sich mit mir bisher wirklich nur selten so ganz und gar, so seelisch einig war wie bei diesem Film. Ich sehen mich – Nein! – ich VERLANGE eine Blu-ray- und DVD-Veröffentlichung dieses Films, wie sie die Welt noch nicht gesehen hat!

17.07.2011
Die Bestie aus dem Weltraum / La bestia nello spazio
(Alfonso Brescia, Italien 1980) – 9/10 (23), DVD *
Alfonso Brescia erhebt sich, gleich Phoenix aus der Asche, als einer der großen Naiven des Kinos aus den Trümmern des bröckelnden italienischen C-Kinos. Ein schwirrender, mäandernder, schmuddelnder, summender und delirierender böse-trauriger Traum in glühendem Rot, wässrigem Nebelgrau und nocturnem Graublau, ein Film in dessen watteweicher Umlaufbahn die Grenzen verschwimmen zwischen Megatrash und Ultrakunst, zwischen Dilettantismus und Meisterschaft, zwischen Instinkt und Selbstbeherrschung, zwischen Glam Rock und Schlager, zwischen Blümchensex und Perversion, zwischen Styropor und Stahl, zwischen Sleaze und Romantik, zwischen Idiotie und Poesie und schlussendlich, da der hier selbstverständlich geoffrippte, von mir aus tiefster Seele gehasste STAR WARS diesem Juwel in meinen demütigen Augen nicht einmal aus der Hand fressen dürfte, die Grenzen zwischen italienischer Exploitation und amerikanischem Blockbuster. Mit anderen Worten: Pure Transzendenz!
(Die bezaubernde Synthie-Partitur des von mir ohnehin schon ehrfürchtig verehrten Marcello Giombini allein wäre schon dazu angetan, den Film zum Jahrhundertwerk zu erheben.)

17.07.2011
Jaka, der Rebell / Jaka Sembung [2]
(Sisworo Gautama Putra, Indonesien 1981) – 9/10 (22), DVD *

16.07.2011
Eros-Center Hamburg
(Günter Hendel, BRD 1969) – 10/10 (n/a), DVD
Mögen wir vom Hofbauer-Kommando bislang vielleicht noch einige Rest-Zweifel gehegt haben, so hat die tosend-tobende Sichtung dieses vehement verkommenen Hintertreppen-Films es nunmehr endgültig in Stein gemeißelt: Günter Hendel ist vermutlich der einzige deutsche Filmemacher, der Ernst Hofbauer als Slünstler [= Sleaze-Künstler] das Wasser reichen kann. Ich zitiere den werten Intergalactic Apeman aus einer Email, die er mir nach Genuss (bzw. Gesluzz) dieses Meisterwerkes (bzw. Sleisterwerkes) schrieb:
„Was für ein Schmierlappen! Ich kann es immer noch nicht verwinden, dass dieser Reporter [gespielt von Hendel selbst, Anm. d. Verf.] nicht nur der Held des Tages ist, sondern sich nebenher durch einen Akt der plötzlichen Liebe untergraben durch Turteleien mit Prostituierten ungestraft an einer Minderjährigen vergeht. Und dann noch diese gekünstelte Gossensprache! Diese DVD hat definitiv Fettränder in meinem Player hinterlassen.“

16.07.2011
Summer Night Fever
(Sigi Götz-Rothemund, BRD 1978) – 8,5/10 (22), DVD

16.07.2011
Aquaplaning
(Eva Hiller, BRD 1987) – 9/10 (23), Betamax
Eine aufregende Entdeckung, die ich irgendwann noch in unserer Reihe „deutscher Lieblingsfilme“ ausführlich zu würdigen gedenke.

15.07.2011
Tropische Sinnlichkeit / Lujuria tropical
(Armando Bo, Argentinien/Venezuela 1962) – 10/10 (24), Kino (35mm)*

14.07.2011
Django spricht kein Vaterunser / Quel caldo maledetto giorno di fuoco
(Paolo Bianchini, Italien/Spanien 1968) – 9/10 (22), DVD*
Leider nicht so großartig minimalistisch und weltabgewandt melancholisch wie Bianchinis kleines Meisterwerk LO VOGLIO MORTO (ebenfalls 1968), dafür allerdings gegensätzlicherweise bisweilen hyperstilisiert und im gleichen Atemzug politisch offensiv und vielfältig ganz seiner Zeit entsprechend – nicht unbedingt die Regel in diesem Genre, sieht man von den bekannten Ausrutschern renommierter und daher im Kontext eben dieses Genres nicht so sehr aus politischen Gründen interessanter Regisseure wie Damiano Damiani oder Carlo Lizzani ab.
Ein besonderes Sleaze-Schmankerl: Robert Woods (der sich langsam, aber sicher zu einem meiner absoluten Lieblings-“Regulars“ des Italowestern entwickelt), der an einem Stier-Rodeo teilnimmt, um die kühle Großgrundbesitzerin sexuell zu provozieren. Besonderes Action-Highlight: Eine Schießerei auf einem Friedhof bei Nacht. Besonderes Besetzungs-Highlight: John Ireland, der hier als gealterter und ausrangierter amerikanischer Westernstar ein Halbblut mimen darf, das von allen als „Bastard“ verachtet wird. Von ihm hat man einst gemunkelt, er habe eine Affäre mit Montgomery Clift gehabt. Es ist eigentlich ungemein schade, dass Montgomery Clift zu früh gestorben ist, um auch einmal in einem Italowestern aufzutreten. Besonderer Anachronismus: Der orgelnd vor sich hinjazzende Score von Piero Piccioni, der abermals demonstriert, wie fehl am Platz sich Easy Listening-Künstler wie er und sein großer Kollege Piero Umiliani im Italowestern gefühlt haben müssen.

12.07.2011
Django – Sein letzter Gruß / La vendetta ê il mio perdono
(Roberto Mauri, Italien 1969) – 8/10 (21), Kino (35mm)*
Ein roher Schundwestern, hundsgemein, reaktionär, rüde synchronisiert („Mach dir lieber jetzt noch in die Hosen, bevor ich dir deinen Arsch abschieße!“), einer interessanten Besetzung zahlreicher markanter „ewiger“ Nebendarsteller des italienischen Genrekinos und einem sehr appetitlichen – aber in seinen Zügen für einen Italowestern eigentlich viel zu amerikanisch geschnittenen – Tab Hunter in der Hauptrolle. Wütend stierend bricht er über die Mörder seiner zarten Braut („Ja ja, Django ist ein guter Junge, Lucy.“) herein wie ein Ungewitter. Sicherlich ein eher primitiver Film, aber als solcher ausgesprochen authentisch und formal (Kamera: Franco Delli Colli) in seiner mitunter gewinnbringend eingefassten Kargheit nicht ohne widerborstigen Reiz.
Roberto Mauri schuf nach diesem Film noch einen ganzen Schwung weiterer – und offenbar noch um einiges billigerer – Italowestern, die er teilweise in echter Godfrey Ho-Manier im Schneideraum aus Teilen früherer Filme zusammenbastelte. Sein zunehmend zwielichtiges Spätwerk verspricht interessante Altersartefakte mit Titeln wie dem als recht schangelig bekannten Gothic-Horrorfilm MADELAINE – ANATOMIA DI UN INCUBO (1972 – laut eines IMDB-Users „Kind of a 70’s Italian „Wizard of Oz“ on some really bad acid“) oder dem auf den mir bekannten Bildern extrem schmierig aussehenden Sexploiter LE PORNO KILLERS (1980).

10.07.2011
You Are a Carrion And I Will Kill You /
Una cuerda al amanecer
[Italienische Schnittfassung]
(Angelo PannacciÒ, Manuel Esteba, Spanien/Italien 1972) – 5/10 (14), VHS**
Aus dem mit geradezu urwüchsiger Frische und euphorischer Vitalität inszenierten und sein gebräuchliches Material faszinierend elliptisch bearbeitenden, neugierig nach seinen seinen Möglichkeiten suchenden B-Italowestern des spanischen Regisseurs Manuel Esteba hat sein italienischer Produzent Angelo PannacciÒ (sonst von mir für seine völlig irrsinnigen Regiearbeiten sehr verehrt) in der italienischen Schnittfassung ein nur drei Minuten kürzeres, aber brutal um- und letztlich kaputtgeschnittenes Inferno lähmender „nachträglicher Sinnstiftung“ verwandelt. Der offensichtliche Versuch, den in seiner Originalfassung aller Spielfreude und Reduktion zum Trotz bereits ausreichend publikumsfreundlichen Film auf einen noch kleineren Nenner, eine noch generischere Geschichte herunterzubrechen und umzumodellieren, verwandelt eine im Kontext ihrer Entstehungszeit atemberaubend unbekümmerte, wilde und anmutige Genreminiatur voll innerfilmischer Spannung in eine – besonders im unmittelbaren Vergleich – quälende Kette von Einzelszenen, die, selbst dort, wo PannacciÒ sie, abgesehen von der Nachsynchronisation, im Urzustand belassen hat, keinerlei Nährboden mehr finden, um sich zu entfalten. Und selbstverständlich hat er auch gleich einige der besten Szenen des gesamten Films entfernt, etwa einen nächtlichen, schweigenden Umtrunk des Gentleman-Bösewichts (Pierre Brice!) und eines frisch engagierten Killers nach einer erfolglosen Jagd auf den flüchtigen Goldgräber Fernando Sancho. Der Saloon liegt im Dunkel, nur im spärlichen Licht einer Lampe am Tresen trinken diese beiden Männer und mustern einander mit den herablassend abwägenden Blicken zweier Gladiatoren vor dem Gruppenkampf, die beide wissen, dass, obwohl sie noch auf gleicher Seite kämpfen, nur einer von ihnen lebend die Arena verlassen wird.

09.07.2011
Morgen beginnt das Leben
(Werner Hochbaum, Deutschland 1933) – 9.5/10 (23), VHS
You Are a Carrion And I Will Kill You /
Una cuerda al amanecer
[Spanische Schnittfassung]
(Manuel Esteba, Spanien/Italien 1972) – 9/10 (23), VHS
Transport aus dem Paradies / Transport z ráje
(Zbyněk Brynych, Tschechoslowakei 1962) – 9.5/10 (23), VHS

03.07.2011
Das 3. Evangelium: Terentius / The Tree of Life
(Terrence Malick, USA 2011) – 7/10 (21), Kino (35mm)
„Look! This is where god lives!“
Eigentlich schätze ich sonst den Term „guilty pleasure“ nicht sonderlich, aber kein anderer kommt meinen Gefühlen für diesen Film näher.

02.07.2011
A Stone’s Throw Away / A tiro de piedra
(Sebastián Hiriart, Mexiko 2010) – 6,5/10 (18), Kino (35mm)
Jean Gentil
(Israel Cárdenas, Laura Amelia Guzmán, DOM/MEX/D 2010) – 8/10 (21), Kino
Chantrapas
(Otar Iosseliani, Frankreich 2010) – 7/10 (19), Kino (35mm)
The Sky Above / O céu sobre os ombros
(Sérgio Borges, Brasilien 2010) – 8,5/10 (22), Kino (35mm)
3 dufte Typen und eine Marimba / Las marimbas del infierno
(Julio Hernández Cordon, GTM/F/MEX 2010) – 9/10 (22), Kino (Digital)

01.07.2011
The Last Circus / Balada triste de trompeta
(Álex de la Iglesia, Spanien/Frankreich 2010) – 8,5/10 (22), Kino (35mm)
Polizeiruf 110: Cassandras Warnung
(Dominik Graf, Deutschland 2011) – 10/10 (24), Kino (Digital)
Tyrannosaur
(Paddy Considine, GB 2010) – 7/10 (19), Kino (35mm)
Guilty of Romance / Koi no tsumi
(Sion Sono, Japan 2011) – 10/10 (24), Kino (35mm)


Juni

30.06.2011
Dad / Oča
(Vlado Škafar, Slowenien 2010) – 10/10 (n/a), Kino (35mm)
Unten Mitte Kinn
(Nicolas von Wackerbarth, Deutschland 2011) – 8/10 (21), Kino (Digital)
Truce / Peremiriye
(Swetlana Proskurina, Russland 2010) – 9,5/10 (24), Kino (35mm)
Cold Weather
(Aaron Katz, USA 2010) – 8/10 (20), Kino (Digital)
American Translation
(Pascal Arnold, Jean-Marc Barr, Frankreich 2011) – 10/10 (24), Kino (Digital)

29.06.2011
The Day He Arrives / Book-chon bang-hyang
(Sang-soo Hong, Südkorea 2011) – 3,5/10 (8), Kino (35mm)
The Journals of Musan / Musanilgi
(Jung-bum Park, Südkorea 2010) – 7,5/10 (8), Kino (Digital)
Black Bread / Pa negre
(Agustí Villaronga, Spanien/Frankreich 2010) – 7,5/10 (20), Kino (35mm)
Hell
(Tim Fehlbaum, Deutschland/Schweiz 2011) – 1/10 (0), Kino (35mm)
Futures Market / Mercado de futuros
(Mercedes Álvarez, Spanien 2010) – 8,5/10 (22), Kino (Digital)

28.06.2011
Arirang
(Ki-duk Kim, Südkorea 2011) – 8/10 (n/a), Kino (Digital)
Father / Aita
(José María de Orbe, Spanien 2010) – 9/10 (24), Kino (35mm)
Ocaso
(Theo Court, Chile 2010) – 7,5/10 (20), Kino (Digital)
Meek’s Cutoff
(Kelly Reichardt, USA 2010) – 10/10 (24), Kino (35mm)
Michael
(Markus Schleinzer, Österreich 2011) – 8,5/10 (22), Kino (Digital)

27.06.2011
Headshots
(Lawrence Tooley, Deutschland/Österreich 2010) – 9/10 (23), Kino (Digital)
The Sword and the Rose / A Espada e a Rosa
(João Nicolau, Portugal/Frankreich 2010) – 7,5/10 (21), Kino (35mm)
Year Without a Summer
(Tan Chui Mui, Malaysia 2010) – 7/10 (19), Kino (35mm)
Aardvark
(Kitao Sakurai, USA/Argentinien 2010) – 8/10 (21), Kino (Digital)
Wasted Youth
(Argyris Papadimitropoulos, Jan Vogel, Griechenland 2011) – 9/10 (22), Kino (Digital)

26.06.2011
Die Räuberin
(Markus Busch, Deutschland 2011) – 8,5/10 (22), Kino (Digital)
Play
(Ruben Östlund, Schweden 2011) – 7,5/10 (19), Kino (Digital)
A Little Closer
(Matthew Petock, USA 2011) – 5/10 (15), Kino (Digital)
Der Junge mit dem Fahrrad / Le gamin au vélo
(Frêres Dardenne, Frankreich/Italien/Belgien 2011) – 8,5/10 (21), Kino (35mm)

25.06.2011:
Post Mortem
(Pablo Larraín, Chile/Deutschland/Mexiko 2010) – 6,5/10 (18), Kino (35mm)
Atmen
(Karl Markovics, Österreich 2011) – 9/10 (22), Kino (35mm)
Bonsái
(Cristián Jiménez, CHI/ARG/P/F 2011) – 8,5/10 (22), Kino (Digital)
Porfirio
(Alejandro Landes, COL/ARG/UR/E 2011) – 9/10 (22), Kino (35mm)
Sennentuntschi
(Michael Steiner, Schweiz 2010) – 5,5/10 (19), Kino (Digital)
Corman’s World: Exploits of a Hollywood Rebel
(Alex Stapleton, USA 2011) – 6,5/10 (17), Kino (Digital)

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Dario Argentos DRACULA 3D wird derzeit tatsächlich doch noch gedreht. Leider.
Soeben ist aber an mein fassungsloses Ohr, bzw. Auge gedrungen, dass sich Argento endlich von dem spektakulär unbegabten Kameramann seiner letzten Filme, Frederic Fasano, getrennt und für diesen Filmen tatsächlich nach fast 30 Jahren, zum ersten Mal seit TENEBRE, wieder mit dem großen Luciano Tovoli vereint hat, seines Zeichens legendärer DOP von Göttergaben wie Antonionis PROFESSIONE: REPORTER und IL MISTERO DI OBERWALD, Peter Fleischmanns LA FAILLE, Walerian Borowczyks INTERNO DI UN CONVENTO, Filmen von Valerio Zurlini, Barbet Schroeder, Ettore Scola, Juan Luis Buñuel, Liliana Cavani, Marco Ferreri, Julie Taymor und, natürlich, ganz wichtig, SUSPIRIA.
Das lässt dann doch hoffen, trotz der verheerenden letzten drei Argento-Filme.
Alles andere klingt eher trist: Ein Budget von 10 Millionen Euro, Asia Argento und Thomas Kretschmann in Hauptrollen, Ein Drehbuch von einem spanischen Schlock-Produzenten und Italohorror-Bibliograph Antonio Tentori, produziert von DTV-Trasher Giovanni Paolucci, Ankündigungen, die großzügigen CGI-Gebrauch versprechen – und die Musik soll auch schon wieder der längst verbrauchte, aufgezehrte Claudio Simonetti basteln. Wenn das nicht schlimm enden soll, muss ein Wunder geschehen. Zum Beispiel ein später, längst überfälliger, neuer Ultra-Inspirationsrausch zwischen Argento und dem Kameramann, mit dem er seinen größten Erfolg feiern konnte. Es ärgert mich beinahe, dass Tovoli mit an Bord ist. Dadurch wird das Projekt plötzlich doch wieder dezent interessant für mich – und das, nachdem ich mir nach LA TERZA MADRE geschworen hatte, aus Selbstschutz keinerlei ernsthaftes Interesse mehr an zukünftigen Argento-Filmen zuzulassen.

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18.06.2011: Schulmädchen-Report 4. Teil – Was Eltern oft verzweifeln lässt
(Ernst Hofbauer, BRD 1972) – 9/10 (22), DVD
Der bisher erotischste und zugleich wirklichkeitsfremdeste Schulmädchen-Report, gesäumt von drolligsten bis widerlichsten Gemeinheiten der alleruntersten Kajüte. Erreicht beinahe (aufgrund des bisweilen etwas betulichen Erzähltempos nicht ganz) die Qualitäten des dritten Teils, übertrifft diese stellenweise sogar noch durch vollends ins Zwischenreich Vorstoßendes, etwa in der Episode, in der sich Christina Lindberg (!) schweißgebadet auf ihrem Bett wälzend nach ihrem Bruder und ihrem Vater (!!!) verzehrt, was in höchst schangeliger und gruseliger Weise psychedelisch eingehämmert wird. Es ist aber auch kein Wunder – mit dem unwiderstehlich kraftstrotzenden Gunther Möhner mit dem sanften Blick voll markiger Unschuld in einem (Kinder-)Zimmer schlafen und ihm beim Einseifen unter der Dusche zusehen zu müssen, das würde wohl noch jede(n) zum hemmungslosesten Inzest hinreißen!
Spektakulär ist jedoch auch sonst beinahe jede Episode, von der organisierten Gruppenvergewaltigung einer farbigen Mitschülerin („Wir wollen doch nur sehen, ob du’s wirklich so gut machst, Negermieze!“), über die in Eigenregie organisierte Babystricherei einer gesamten Schulklasse (bis auf das obligatorische dicke Mädchen, das mit den verständnisvollen Worten „Dich können wir doch nicht verkaufen! / Na also, das hätten wir!“ verabschiedet wird) bis hin zur letzten Episode, in der einem liebeshungrigen Schulmädchen auf der verzweifelten Suche nach einem Deflorateur viel Einfühlsamkeit entgegenschlägt: „Na? Wie ist’s bei dir?“ – „Es tut noch weh, aber langsam krieg‘ ich schon Gefühle…“
Selbstredend waren da unsere Gefühle auch nicht mehr weit – unsere Hosen platzten bereits während der großartigen, irritierend virtuos getimten Slapstick-Episode mit Rinaldo Talamonti als von kichernden Gymnasiastinnen verdinglichtem Tollpatsch im Freibad, der nach einigen Peinlichkeiten (mehrmals vom Sprung ins kalte Wasser willentlich vernichtete Erektionen inklusive!) den vorlauten Gören zeigt, wo das berühmte „Klein, aber Oho“ zum Zuge kommen kann. Am Ende nehmen sie alle Reißaus, was ihn traurig gestimmt im Wald zurücklässt. Ein nachdenklicher Moment in einem instinktiven Film.

17.06.2011: Schulmädchen-Report 3. Teil – Was Eltern nicht mal ahnen
(Ernst Hofbauer, Walter Boos, BRD 1971) – 9/10 (23), DVD
Selbst gemessen an den üblicherweise sehr hohen und stoßkräftigen Hofbauer-Standards ein geradezu absurd schmieriges Inferno reifer, männlicher Gierigkeiten im Angesicht schäkernd geschlenkerter Mädchenbeine. Wie hier unbescholtene Menschen über dem jungen, lasziven Glück zu geifernden Bestien werden und sich ganz und gar aufgeben, das hat man so im deutschen Kino davor oder danach nie wieder so bedingungslos, radikal und hart gesehen – die Intensität und Passion, mit der die Hofbäuerliche „sleaze-en-scêne“ atemlos, geradezu frenetisch, diese Abbilder deutscher Abgründe und Frustrationen verquirlt, verknetet und umkreist, das ist wahre, durchstoßende Sleisterschaft (=Sleaze-Meisterschaft) wie sie schöner, gefühlvoller und geil-ekelerregender kaum noch sein könnte. Ein traumhaftes Ereignis, das dem Hofbauer-Kommando Schreie der Lust entlockte!

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Ein ganz besonders wohlgefühliger Trash-Tipp des Hofbauer-Kommandos, für alle die auf ERNSTe Weise Verständnis finden wollen für die (weibliche) Jugend von heute, ihre Medienwahrnehmung und all ihre fröhliche Keßheit:
http://venus-scribet.blogspot.com/
http://lalacrima.blogspot.com/2011/06/gastpost-ein-wort-vier-buchstaben.html

Wenn Frau auf eine E-Mail wartet …
…wartet sie nicht nur auf eine Mail, sondern gleich noch eine SMS, einen Anruf und eine Twittermessage. Nach einen ersten Date, nach dem die erste Kontaktaufnahme von ihm folgen sollte, verwandelt sich Frau in eine wandelnde Multimediastation. In der linken Hand das Handy, die rechte Hand auf der PC-Maus um kontinuierlich alle Social Webs abzuklappern, und beiläufig den Blick fest auf das Telefon gerichtet. Man will ja kein Lebenszeichen von IHM verpassen. Ja, ja als Frau hat man es schon schwer. Und das heute sogar noch mehr als damals.
Meine Güte hatten Frauen es früher leicht. Sie haben auf EINEN Brief gewartet oder auf einen Anruf. Ganz easy. Wenn Frau also bereitwillig ihrem Herzblatt die Daten rausgibt, realisiert sie noch nicht, was das im weiteren Verlauf ihres „Dates“ bedeutet. Studivz, Twitter, ICQ, Facebook, Handy (SMS), Festnetznummer – alles muss im Blick behalten werden. Wir Frauen mutieren zu einer Art Zombie. Der ganze Lebensinhalt der nächsten Tage wird vom „Wann meldet er sich und wie“ dominiert.
(…)
Doch dann geschieht das Unfassbare. Das unwirkliche und doch stetig Erwartete. Das Handy klingelt. Der erste Ton des Handys wirkt fast elektrisierend. (…) Die Multimediastation ist wieder in Betrieb und überglücklich.

Man beachte auch ihr tiefenscharfes Profil:
http://venus-scribet.blogspot.com/p/faq.html

Und gemessen an ihren sonstigen Ausführungen ist das noch das Harmloseste. Verheerender, als Ernst Hofbauer es sich je hätte träumen lassen können.

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„MENU TOTAL war gerade mal der zweite Langfilm von Christoph Schlingensief, und als ich ihn zum ersten Mal sah, war ich verwirrt, gelinde gesagt. Daß ich damals verwirrt war, lag wohl daran, daß ich vom amerikanischen Kino komme, wo alles Schlaue psychologisch ausdeutbar sein muß. Wenn es nicht psychologisch ist, taugt es nichts. Die Grundlage dieses Gedankens ist natürlich die überhebliche, wenn auch allzu verständliche Hoffnung, man selber – der Künstler oder Rezensent – gehöre zu denjenigen, die den Film wirklich kapiert haben, ihn in all seinen Facetten erfaßt haben. Film und Künstler sind gebändigt. DVD kommt in den Schrank. Auf zu neuen Abenteuern.“
– Christian Kessler

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16.06.2011: Ein Sarg voller Dollars /
Per una bara piena di dollari

(Miles Deem [=Demofilo Fidani], Italien 1970) – 8/10 (14), DVD*
Niemand hat in diesem Metier so disparate, brachial tollpatschige und großartig dysfunktionale „Action-Szenen“ offenbart wie Demofilo Fidani, der „Ed Wood des Italowesterns“ (oder, da er die berüchtigte „Cut and paste“-Verfahrensweise sehr schätzte, vielleicht eher der Godfrey Ho des Italowesterns.) Wenn dann in den eher an einen Abenteuerspielplatz denn eine Westernstadt erinnernden, ärmlichen Kulissen noch ein junger Joe D’Amato die vorzugsweise geschulterte Kamera führt, ein fetziger Rock-Score von Lallo Gori alles einlullt, eine deutsche Synchronisation mit so manchem unvermittelt ausgestoßenen duften Spruch erfreut und die Hauptrollen von solch hingebungsvollen Göttern und Ultrachargen wie Jeff Cameron, Klaus Kinski und Gordon „I know everything“ Mitchell himself gespielt werden, dann kann das dreist nach Leone schielende, wahnsinnig schäbige, aber dennoch mit feierlichstem Ernst gezimmerte Schundprodukt par excellence eigentlich nur entzücken. Spiel mir das Lied vom Trash!

16.06.2011: Scheinleben: Schlock-Thrombosen eines Autorenfilmers /
Dreileben – Eine Minute Dunkel

(Christoph Hochhäusler, Deutschland 2011) – 5/10 (22), DVD
Es war zu befürchten, aber das unsere Hosen so gnadenlos strapaziert würden, das war dann doch nicht abzusehen: Alles, was an dem all seinen (im Duden-Sinn) prätentiösen Drehbuch-Peinlichkeiten und ehrgeizigen Verkrampfungen zum Trotz ziemlich tollen UNTER DIR DIE STADT schon grenzwertig, am Rande der Eigenkarikatur, erschien, findet in Hochhäuslers Abschluss des in seiner Gesamtheit zweifellos künstlerisch gescheiterten DREILEBEN-Projekts seinen geradezu grotesken Zenit: Totaler Trash. Unfreiwillige Komik quillt hier aus allen Poren, sowohl in den zumindest zeitweise beinahe dichten Passagen um den flüchtenden Molesch (den Hochhäusler in der „Vereinsamung und Vertierung in der Natur“ Selbstgespräche zum Fremdschämen führen lässt) als auch, ganz besonders, in geradezu verheerendem Ausmaß, in den Ermittlungen des ungeschickt dem amerikanischen Archetyp des alternden Knochenbullen nachempfundenen, deutschtümelnden Inspektors. Selbigem gehört gemeinsam mit seiner von Imogen Kogge gespielten, noch deutschtümeligeren Frau einer DER Sleaze-Momente des laufenden Kinojahres – zu dessen Ende hin wird das sicherlich eine Nominierung des Hofbauer-Kommandos wert sein! Wenn es ans eingemachte Schwarze des Deutschtums geht, kann sich der sonst so pedantische (und akademische Nerd) Hochhäusler ohnehin kaum zügeln: Wie schon in FALSCHER BEKENNER wird er da auch hier ganz plötzlich zum alle Vorsicht vergessenden Fassbinder im chinesischen Schuh, sehr unterhaltsam, aber auch sehr, sehr altmodisch. Außerdem scheint er Genrekino nur in Form amerikanischer Klassiker von Hitchock, Hawks, Welles & Co zu kennen – jedenfalls ist die Idee von Genrekino, die hier durchschimmert, eine ziemlich limitierte. Unter anderem deswegen (besonders das mit dem Deutschtum!), aber nicht nur, ist sein Film ohne wenn und aber der Ultraschlock. So doll, wie ihn wohl seit Langem kein gefeierter deutscher Autorenfilmer mehr vollbracht hat – dennoch für Schaulustige unverzichtbar, da desaströs faszinierend. Vielleicht sollte man Hochhäusler verbieten, seine eigenen Drehbücher zu schreiben. Andreas‘ nachfolgender Bemerkung, dass DREILEBEN vermutlich nur dann den angeblich gewünschten Austausch der im Endergebnis säuberlich und ausweichend aneinander vorbei- und für sich filmenden Regisseure herbeigeführt hätte, wenn die drei Beteiligten ihre Drehbücher per Los untereinander weitergegeben hätten (statt sie mit auteurroristischem Getue selbst zu verfilmen), ist nichts mehr hinzuzufügen. Das wäre aufregend gewesen, das hätte zum erstrebenswerten Crash der Ansätze geführt, das hätte unsere drei Ultrakünstler wirklich gefordert, mit sanfter Gewalt zueinander geführt und vor allem endlich den Stock aus Petzolds und Hochhäuslers Allerwertestem entfernt – denn die beiden haben sich in meinen Augen mit ihren Beiträgen wirklich bis aufs Mark blamiert, lässt man einmal die ungeheuren Sleaze- und Trash-Qualitäten sowie eine neuerliche (allerdings auch erwartete) Offenbarung der Ultrakamerakunst von Reinhold Vorschneider außen vor.
PS: Der „Hollywood Reporter“ merkte nach der Premiere auf der Berlinale an, Grafs Beitrag sei „the weakest“ der drei und fühle sich „very ’small-screen‘ in its look and approach“ an, während er Hochhäuslers Film als „excellent“, „the most accomplished“ und als eine Art eingelöstes Versprechen eines aufregenden jungen Regisseurs pries. Warum der Autor dieses sehr unangenehmen und tendenziösen Textes den mannigfaltigen, schmerzhaften weil wohl unfreiwilligen, dafür aber umso durchdringenderen, schäbigen TV-Schlock in EINE MINUTE DUNKEL nicht bemerkt hat, darüber möchte ich lieber gar nicht erst spekulieren. Jedenfalls ist es ihm doch nebenbei gelungen, einige der wesentlichen, flächendeckenderen (= nicht im Detail heimischen) Vorzüge von Grafs kleiner, gemeiner Nachtmusik (und Ultrakunst) sehr minimalistisch zusammenzufassen: „…Jo and Vera reminisce about a boyfriend they unwittingly „shared“ years before. Wine-fueled conversations are played out at unrewarding length; the manhunt scenes, conversely, are excessively brisk and choppy. The (implausibly easy) capture of Molesch is presented almost as an afterthought, via narrated stills. Graf struggles to integrate a streak of off-beat humor within essentially serious material. The story-strands only occasionally and arbitrarily come together, as if the Jo/Vera business was being shoehorned into the darker template established by the other two movies.

14.06.2011: Night of Lust / Le concerto de la peur
(José Bénazéraf, Frankreich 1963) – 8/10 (22), DVD

14.06.2011: Tatort – Nasse Sachen
(Johannes Grieser, Deutschland 2011) – 1/10 (0), TV
Der erste aktuelle Tatort seit ca. 3 Jahren und ein Erlebnis von seltener Abscheulichkeit. In jeder Hinsicht grotesk mies und unfreiwillig klinisch ist dieser geradezu surreal idiotisch geschriebene, schockierend billig fotografierte, bis in die letzte Faser uninspirierte Gebrauchs-Cocktail aus deutschtümelig psychologisierenden und schwermütelnden Problemchen-Tableaus (Kommissarin Zimtziege hat jemanden angeschossen, Kommissarin Zimtziege findet heraus, dass ihr Vater bei der Stasi war, Kommisarin Zimtziege muss mit sich und ihrer geheimen Vergangenheit ins Reine kommen etc.) und enorm lächerlicher, unfassbar durchsichtig aufgepfropfter Historyploitation – eine biologische Vernichtungswaffe von Anfang bis Ende, Sondermüll, kaum zu ertragen, physische Folter, von der psychischen ganz zu schweigen. Wenn man bedenkt, was für Tatorte einst Regisseure wie Wolfgang Becker, Jürgen Roland, Michael Verhoeven, Wolfgang Staudte oder auch Dominik Graf (und – einmal – sogar Samuel Fuller!!!) machen durften – früher war alles besser (#6), sogar das deutsche Fernsehen. Selbst mäßige Folgen der Serien von Helmut Ringelmann („Derrick“, „Der Kommissar“, „Der Alte“) scheinen wie Ultrakunst gegen diese Pestilenz.

12.06.2011: Lady Dracula
(Franz Josef Gottlieb, BRD 1978) – 4/10 (12), VHS
Ziemlich schmerzhaft, da randvoll mit den unlustigsten Gags, die je eine deutsche Gruselkomödie (*schluck*) aufgefahren hat, aber auch erfüllt von peinlichsten Auftritten abgehalfterter Komödianten des deutschen Gardinen- und Gartenzwerg-Kinos, schangeliger 70iger-Mucke und mit einem hosensprengenden, äußerst gefühlvollen Mini-Auftritt von Herbert Fux, der hier wieder einmal mit großem Nachdruck unter Beweis stellt, dass er ein unübertroffener Maître de Sleaze war, zurecht ein ET-Superstar. Eher ein Film für Komplettisten, aber nicht gänzlich frei von staubigem Liebreiz und gelegentlichen atmosphärischen Aufnahmen von Reinl-Kameramann Ernst W. Kalinke. Wenn nur Kurt Nachmann, Zbynek Brynych, Alfred Vohrer oder Ernst Hofbauer auf dem Regiestuhl gesessen hätte…

12.06.2011: Der Pfarrer von St. Pauli
(Rolf Olsen, BRD 1970) – 8/10 (20), VHS
Der miefigste, biederste (weil mit starken Heimatfilm-Anklängen versehene) und leider auch letzte, einzige wirklich schwächelnde von Rolf Olsens aus dem Himmel entsandten Reeperbahn-Sleazern (KÄPT’N RAUHBEIN AUS ST. PAULI fällt wohl nicht mehr so recht in dieses Schema), der allerdings unserem großen Curd Jürgens als Pfarrer (!) im Sündenpfuhl ein weiteres Mal eine ideale Plattform bietet, altväterliche Bürgermoral, Rechtschaffenheit, vierschrötige Sittlichkeit und anstandsvolle Empörung zu versprühen, das es eine wahre Freude ist! Eine urdeutsche, hühnenhafte Steineiche von unerschütterlicher Gutmütigkeit, aber auch hart zupackend mit dem zuhälterischen Gesindel, eine Eiche, die den von Unzucht und Sünde Erschöpften eine starke Schulter und ein Tässchen brummiger Beziehungsratschläge mit Herz und Schnauze bietet! Dagegen verblasst freilich auch das schäbige Retorten-Drehbuch, dass die atemlosen verwebten, multiperspektivischen Schmierenkolportagen Olsens früherer Exploitation-Meisterwerke (bzw. „Sleisterwerke“) vermissen lässt. In der Szene, in der Jürgens dem jungen Wolfgang Condrus vor der schäumenden Nordsee paternal schulterklopfend erklärt, wie man am Geschicktesten seiner Angebeten eine Liebeserklärung macht, war es um die zum Bersten gespannten Hosen des erwartungsvoll versammelten ET-TEams geschehen. Ein Paradebeispiel von Ultramiefkunst, mit dem leider viel früh verstorbenen und nie wirklich angemessen gewürdigten Charakter(kehl)kopf Günther Stoll als eiskaltem Bösewicht.

12.06.2011: Spetters – knallhart und romantisch / Spetters
(Paul Verhoeven, Niederlande 1980) – 9/10 (23), DVD
Ein Film, der keine Wünsche offen lässt – ein früher Verhoeven-Ultraexzess, der die hervorstechendsten und wildesten Verlockungen (u. a. Sex und Gewalt, religiöse Verstrahlung, mondäne Ghettobilder, Rutger Hauer, hündischer Egoismus, spießbürgerliche Vorstadtalpträume, vulgärer Gleaze, Absturz-Tristesse, Sleaze-Dates) seines Schöpfers so intensiv bündelt, dass man sich am Ende ähnlich geschändet fühlt wie Eef nach seiner stoßkräftigen Zwangsbekehrung durch die Lederschwulen in der U-Bahn. Ein quintessentieller Beitrag zum kurzlebigen, intellektuellen Neo-Euro-Exploitationkino der frühen 80iger (weitere empfehlenswerte Beispiele: LOFT, CANICULE, THE COOK THE THIEF HER WIFE AND HIS LOVER, TENEBRE, LA LUNE DANS LE CANIVEAU, LA CHIAVE, L’AMOUR BRAQUE).

11.06.2011: Boulevard der Dämmerung / Sunset Blvd. [2]
(Billy Wilder, USA 1950) – 7/10 (20), DVD
Alles in diesem bei der erneuten Sichtung enttäuschend enttäuschenden Film ist kalt, nur der junge William Holden ist heiß. Wilders (raschelnde Drehbuch-)Perfektion verursacht mir von Mal zu Mal mehr Magenbeschwerden und gestaltet sich beim Schlucken besonders sperrig, da SUNSET BLVD. sehr viel exploitativer und greller, mit tatsächlich störenden Horrorelementen zur Sache geht, als ich ihn in Erinnerung bewahrt hatte. Enervierend und unendlich überflüssig wirkte diesmal die vielgepriesene Off-Narration von Holden, die ich spätestens, als sie die legendäre Schlusssequenz, in Union mit Franz Waxmans donnernden Orchesterstößen, für mich mehr oder minder ruinierte. Die gleiche Sequenz, ohne diese Stimme, ohne diese Musik, nur eingehüllt in das betroffenen Schweigen der Umstehenden, das Rascheln von Gloria Swansons Toga und das Knacken der Treppenstufen- nicht auszudenken. Aber Wilder vertraut nie der Kraft seiner Bilder und Darsteller, das geschriebene Wort war ihm alles (was bekannt war und ist), visuelles Erzählen die Ausnahme. Ständig droht er, diesen so aussichtsreichen Film zu Tode zu schwätzen und dann dem Effekt zu opfern, gegen den per se sicherlich nichts einzuwenden ist (auch, da er hier oft sehr toll und schangelig ist), der aber in keinem ausreichend der Fantasie und Urteilskraft des Zuschauers geöffneten Bett liegt. Der Film ist hermetisch abgeriegelt und treibt unterhaltungsfilmerischen Schindluder mit seinen Figuren. Was auch nicht exorbitant ärgerlich wäre, würde ihm nicht immer und immer wieder, seit Jahrzehnten, von Tausenden, das Gegenteil untergeschoben. So steht für mich nach dieser erneuten Sichtung SUNSET BLVD. direkt neben Robert Aldrichs weit offenherzigeren Joan Crawford-Hagploitation-Filmen, wobei mich in Gedanken HUSH… HUSH, SWEET CHARLOTTE als der stimmigere, zärtlichere und verletztlichere SUNSET BLVD. ankitzelt.
Eigentlich wollte ich hier nur polemisch und faul „Kanonfilm. Bedarf keiner Worte.“ schreiben. Aber um eventuellen Attacken überzeugter, in der deutschen Cine-Blogosphäre zahlreich vertretenen Kanonisten vorzubeugen, habe ich meine Spendierhosen angezogen, auch wenn sie nun selbstverständlich in Fetzen hängen.
PS: Mit einer möglichen Konstellation der ursprünglich geplanten Besetzung – Montgomery Clift und Mae West – wäre der Film, Wilder zum Trotz, sicherlich eine traumhafte Unfassbarkeit und ein genuiner Sleaze-Rausch geworden. ‚Tis a pity.

09.06.2011: ‚Tis Pity She’s a Whore / Addio, fratello crudele
(Giuseppe Patroni Griffi, Italien 1971) – 10/10 (24), DVD
Schon wieder eine 10er-Wertung, bereits die fünfte in diesem noch jungen Monat, aber es hilft alles nichts: Wenn die Ultrakunst an deiner Tür klopft, so zaudere nicht sondern gewähre ihr Einlass und bewirte sie mit dem Besten, was dein Keller und Schoß zu bieten haben!
So ähnlich wie dieses raureifen knisternde, hauchzarte Gespinst aus Licht und Nebel habe ich mir wohl vor langer Zeit die Filme von Peter Greenaway vorgestellt. Als ich dann einige von ihnen sah, war der Schock groß (ein später Nachruf auf diese Hassliebe). Aber glücklicherweise hat die kurze Welle „aufgeklärter“, eigensinnig ausgestatteter, surrealistisch getönter Historienfilme und Literaturadaptionen, die die Europäische Filmindustrie in der Abenddämmerung nach den 68igern (und vor der Nacht der Schlöndorffitis) hervorbrachte, auch diesen inwändig expressiven Idealfall eines „Theaterfilms“ ermöglicht, der meiner einstigen Vorstellung sehr nahe gekommen ist und sie letztlich übertroffen hat. „Sie werden alle mit mir zugrunde gehen, alle!“ deklariert der mal mit Zulawskieskem erotischen Jähzorn schwadronierende, dann wieder ewige Momente lang qualvoll schweigende Oliver Tobias nach seiner selbstauferlegtem Marter im Schlossbrunnen, als seine Schwester, die gleichermaßen gläserne und undurchsichtige Eisprinzessin Charlotte Rampling (die nie wieder so schön war), ihre Liebe zu ihm den Avancen des Macho-Cavaliere Fabio Testi geopfert hat. Augenscheinlich keine sehr zeitgemäße Liebeserklärung in einem kristallinen Film von kontemplativer Oneironautik, der schon damals nicht zeitgemäß gewesen sein kann, zur Zeit seiner Geschichte nicht zeitgemäß gewesen wäre und more likely than not niemals zeitgemäß sein wird. Er ist also nicht zeitlos. „Zeitfremd“, das schon eher. Die Zeit als Konstante offenbart sich erst am Ende, als Tobias mit dem blutigen Herz seiner Schwester fuchtelnd, vor versammeltem Hofe eine Liebeserklärung an seinen eigenen Wahnsinn abgibt. Unglaublich und weit entfernt sowohl vom traditionellen Kostümfilm-Mief wie auch vom (von mir in diesem Moment behelfsweise so titulierten) „Glam Rock“-Kostümfilmallüren. Ein sanft pulsierendes Geflecht von Äderchen hinter den Bildern lassen ihn leben, diesen Film.
Ennio Morricone hat mit keiner seiner späteren sinfonischen Arbeiten für Kostüm- und Historienfilme, je wieder soviel nagend indifferente Verlorenheit so verführerisch eingefangen. Ein deprimierender Film, weil letztlich die beiden Männer, die die Zeit stillstehen lassen möchten, die Frau, die sich dagegen entscheidet, um den Preis ihrer eigenen, verstümmelten Spiritualität überleben. Die mit ornamentalem Pathos inszenierten Räume ihrer Herrenhäuser triefen vor resignierter Selbstvergessenheit. Es ist ein stiller und sickernder Wahnsinn, so still wie der Morgentau, der durch die Ritzen der Mauern zieht.
Möglicherweise aufführbar als zweiter Film und hundertprozentige Steigerung in einem Double Feature mit Ken Russells WOMEN IN LOVE – oder als „companion piece“ zu BARRY LYNDON, dem er mit seinem beinahe noch extremeren Formalismus (= Schangel) und seiner sicherlich noch extremeren Sentimentalität in jedem Fall den Weinkelch reichen kann. Ein neuer Lieblingsfilm. Ich könnte ihn gleich nochmal sehen, so endlos ist er.
(Und sollte übrigens unbedingt in der Italienischen, nicht der verbreiteteren Englischen Fassung, genossen werden)

08.06.2011: Miefomania – Deutschland ist nicht genug /
Ich werde dich auf Händen tragen

(Veit Harlan, BRD 1958) – 8/10 (11), DVD
Veit Harlans REBECCA, sein letzter Film und mit Sicherheit einer der miefigsten deutschen Filme der 50iger Jahre überhaupt. So schlimm, dass es Freude macht. Die kleine Tochter von Hans Holt mit ihren Mordgelüsten gegen Kristina Söderbaum hatte mein ehrliches Mitgefühl.

07.06.2011: Rocco – Ich leg dich um / L’ultimo killer
(Giuseppe Vari, Italien 1967) – 10/10 (24), DVD
Auf Filme wie diesen hatte ich gehofft, als ich vor etwas mehr als einem Monat meine Italowestern-Rundschau startete: Das Budget ist winzig, alles andere ist riesig und Regisseur Giuseppe Vari, selbst auch für die atemberaubende, lauernde Montage verantwortlich, der klare Fall eines Ultra-Auteurs, der nur unter solch spartanischen Drehbedingungen zu sich kommen konnte, ein (Spät-)Sam Fuller des Italowesterns. Zutiefst melancholische und hinreißend schlichte Ultrakunst von rührender Ruhe. Ich war danach sehr, sehr glücklich.

07.06.2011: Speed Racer
(Andy Wachowski, Lana Wachowski, USA/Deutschland 2008) – 9/10 (n/a), DVD
Ich hatte während des Films so wunderbar kompakte Sätze im Kopf, mit denen ich es euch allen so richtig gezeigt hätte. Hinterher aber wie üblich alles vergessen, daher zitiere ich mich aus einer polemischen Blitz-Mail an Rajko B., der sich sorgenvoll erkundigte, ob meine hohe Wertung dieses Films nicht vielleicht einer „halbverdauten avantgardistischen Filmrezeption“ entsprungen sei:
Avantgarde? Hat dir jemand Stroh in den Kopf gestopft? SPEED RACER und Avantgarde?! Nee, nee, nee. Das ist vielmehr so, als ob der dämonische Geist eines bereits verstorbenen Paul Verhoeven in den Körper des 80iger-Steven Spielberg gefahren wäre, um dann ein bischen von Alfonso Brescias Schnupftabak zu naschen und gleichzeitig vergnügt brabbelnd anal mit Disney-Toys zu masturbieren. Suuuper! Ich werden den Wachoswkis zwar MATRIX 2 und 3 niemals verzeihen und beide Filme wohl auch für immer als todeswürdigen Verrat am Kino ansehen (und strenggenommen ist SPEED RACER eigentlich auch ein cineastischer Sündenfall, aber ein besonders obszöner und daher besonders verführerischer), aber das hier war einfach, irgendwie, trotz CGI-Zuckerguss… der Ultraschangel! Die m. E. konstante Ambivalenz zwischen finsterer Satire und amerikanischer Selbstbestätigungsarschleckerei war auch sehr hübsch, wie Eros und Thanatos, sozusagen.
So, und diese Mail missbrauche ich wahrscheinlich aus Faulheit gleich als STB-Kommentar.

06.06.2011: Stadt Land Fluss
(Benjamin Cantu, Deutschland 2011) – 8/10 (20), Kino (digital)

06.06.2011: Von Angesicht zu Angesicht / Faccia a faccia
(Sergio Sollima, Italien/Spanien 1967) – 10/10 (25), DVD*

06.06.2011: Der Richter, den sie Sheriff nannten / Le juge Fayard dit Le Shériff
(Yves Boisset, Frankreich 1977) – 9/10 (22), Kino (35mm)
Dem hedonistischen Rausch von TORINO VIOLENTA hinterher ein besonders stures, wütendes, stock-im-arsch-iges und daher irgendwie doch auch ziemlich tolles, sehr tristes und nachhaltig deprimirendes Beispiel für das bis zur Diabetes ausgenüchterte Polit-Genrekino der 70iger. Sehr anstrengend, sehr funktionell, sehr dicht, sehr inspirierend. Ein staubig-dämmeriges Rätsel aus dem schwarzen Herzen der verarmten französischen Provinz-Industrie, beinahe ein Endzeitfilm. Stilecht in rot mit DEFA-Synchronisation.

05.06.2011: Gewalt über der Stadt / Torino violenta
(Carlo Ausino, Italien 1978) – 9/10 (24), DVD*
Die absolute Essenz seines tendenziell reaktionären und oft formal exzessiven Genres, ein vollkommener, atemberaubend schöner, sehr exzessiver und sehr sinnlicher Musterfilm mit einem widerborstigen, antireaktionären Ende, dass sich gewaschen hat. Schwer zu sagen, ob mich seit meinen ersten Annäherungen an den Poliziesco einer seiner Vertreter wieder so begeistert hat wie dieser, die Werke grenz-autorenfilmerischer Regisseure wie Damiano Damiani oder Romolo Guerrieri einmal ausgenommen.

05.06.2011: Deutschland in der Abenddämmerung:
Poetische Reise eines didaktischen Autos / In jenen Tagen

(Helmut Käutner, Deutschland 1946) – 9/10 (22), DVD

03.06.2011: Vinyan
(Fabrice Du Welz, Belgien/Frankreich/GB 2008) – 10/10 (24), Blu-ray

01.06.2011:
Tender Flesh
(Jess Franco, Spanien/USA 1998) – 9/10 (23), DVD
Das zweite Gesicht [2]
(Dominik Graf, BRD 1982) – 10/10 (24), Kino (35mm)


Mai

31.05.2011:
2. außerordentlicher Filmkongress des Hofbauer-Kommandos
Cinemanie bei Nacht und Morgen, vom Sonnenaufgang abwärts in die Nacht:

#6 – Der Sexbaron von St. Pauli / Laß knacken, Schätzchen
(Jürgen „Der Enzsetzliche“ Enz, BRD 1980) – 1/10 (1), DVD
Der Sexbaron von St. Pauli„! DER gnadenlose, harte Horrorschocker, der ihnen das Blut in den Adern gefrieren lässt! Sehen Sie diesen Film nicht allein – sonst könnte es vielleicht ihr letzter sein! Was Sie in diesem Film sehen, ist so pervers, dass die menschliche Sprache dafür keinen Ausdruck findet! Menschen, die nur ein Ziel vor Augen haben: Sex in seinen widerwärtigsten Darstellungsformen! Ein abstoßender, häßlicher und aseptischer Film, aber auch ein talentfreier Film voll von Tristesse, Deutschtümelei, erschreckenden Heimatbildern, Rassismus und gottlos missratenen Gags. Ein lähmender Film, den Sie sehen müssen, ein Erlebnis, dass so schnell gewiß nicht wiederkehren wird! „Der Sexbaron von St. Pauli“! Demnächst hier!
(Frei zitiert nach den originalen deutschen „Vorspännern“ zu Exzesse im Folterkeller (1979), Die Rache der Kannibalen (1981), Die Rückkehr der reitenden Leichen (1973) und Aus dem Tagebuch einer Siebzehnjährigen (1979))

#5 – Ohrfeigen
(Rolf Thiele, BRD 1970) – 7/10 (20), DVD
Curd Jürgens, der „normannische Kleiderschrank“ und des Hofbauer-Kommandos liebste, rechtschaffendste Galionsfigur altdeutsch-väterlicher Lüsternheits-Grummelei, darf Rolf Thieles peinlich misslungene Zeitgeist-Verstehung und großartig, aufregend gescheiterte Gesellschaftssatire aus seiner mondänen, kristallbelüsterten Villa zu einem glimpflichen Treffpunkt am Meeresstrand führen, an dem Gila von Weitershausen nackt mit einem Muff vor ihrer Scham marxistische Parolen ausstößt, umringt von tanzenden Seifenwerbungs-Hippies. Sinnbildlich. Oder so ähnlich.

#4 – Todesgrüße aus Shanghai / Jing Wu Men
(Lo Wei, Hongkong 1972) – 9/10 (22), Kino (35mm)*
Nachdem ENTER THE DRAGON mir die kinetische Anziehungskraft des Phänomens Bruce Lee nicht ausreichend nachvollziehbar offenbarte, kann dieser scheinepische Film genau das für sich beanspruchen – selbst in Anbetracht der Tatsache er einerseits weit trashiger ist als der großartige Hongkong-Trailer, andererseits aber auch weit großartiger und weniger trashig als der erbärmliche deutsche Kinotrailer (ein Musterbeispiel der „Trailer-Erwartungshaltungsproblematik“, das Erwähnung verdient).

#3 – In Frankfurt sind die Nächte heiß
(Rolf Olsen, Österreich/BRD 1966) – 10/10 (23), VHS
Niemand sonst verstand sich so auf das minutiöse Destillieren von Exploitation-Essenzen wie Rolf Olsen. Dieser Film ist ganz klar die zügellose, rasende Generalprobe für sein folgendes, ewig am Slimmel (= Sleaze-Himmel) leuchtendes Reeperbahn-Sextett und verdichtet dessen Grundelemente zu einer hinreißend wüsten, ruppig schwarzweißen „Sex and Crime“-Kolportage, deren absolute Ursprünglichkeit und euphorischer Ungestüm ihn nicht nur zu einem Urknall, sondern auch zu einem unübertroffenen Höhepunkt in Olsens exzesstrunkener Exploitation-Phase (1966 – 1979) machen. Die von 93 auf 58 Minuten gekürzte Videofassung setzt der üblicherweise bereits atemlosen Verknüpfung gefühlter 50 Schmierendramatischer Erzählstränge noch die Krone auf und so fühlte sich das Hofbauer-Kommando nach dieser gnadenlos rasanten Stunde auf dem nächtlichen Straßenstrich durchdringend geschändet und überglücklich. Rolf Olsen, der Andrzej Zulawski des Gossenkinos. Schmacht.

#2 – Grimms Märchen von lüsternen Pärchen
(Rolf Thiele, BRD 1969) – 9/10 (23), VHS
Keine Ultrasleaze- sondern eine unleugbare, mythische Ultrakunst-Offenbarung ist diese kuriose Mischung aus deutschem Komödienmief und krude-verspieltem, anarchischen Halbsurrealismus, erstaunlicher- und bezaubernderweise tatsächlich ein unschuldiger Märchenfilm, von dem man sicherlich noch in unserer vorsichtig vorankriechenden Reihe „100 Deutsche Lieblingsfilme“ lesen wird.

#1 – Die Mörderbesteien / La morte ha sorriso all’assassino [2]
(Joe D’Amato, Italien 1972) – 9/10 (21), DVD**
Irgendwann, mitten im Dunst von feinen Kanten irisierenden Gegenlichts, begehrlicher Augenduelle, vor- und zurückschnellenden Weitwinkeltänzen und naiver Gruselromantik fragte ich mich, wie aus Aristide Massaccesi eigentlich der spektakuläre Pfuscher und knallharte Gebrauchsfilmer Joe D’Amato werden konnte, als den man ihn heute kennt (und, in meinem Fall, fürchtet). Vor vielen Jahren gesehen als dezent überdurchschnittlichen Vertreter des erotischen 70iger-Gothic Horros in Erinnerung behalten, überraschte mich der suggestive Sog des frei vor sich hin mäandernden Films bei dieser erneuten Sichtung und riß mich mit in seinem silbrigen Fluss zwischen efeubewachsenen Mauern und welkem Eichenlaub.

*****

30.05.2011:
Der Gefangene von Alcatraz / The Birdman of Alcatraz
(John Frankenheimer, Guy Trosper, USA 1962) – 8/10 (22), DVD
Das nackte Gesicht / The Young Stranger
(John Frankenheimer, Robert Dozier, USA 1957) – 6/10 (21), DVD
Film 1: Starvehikel für Burt Lancaster, der leider einigen sozialpädagogischen Stanley Kramer-Mief in diesen Film hineinhievt, ebenso wie das Drehbuch, dass nach Gemütskitsch verlangt. Frankenheimer bändigt das aber mit einer rauen mise-en-scéne, die eher an Robert Bressons PROCÈS DE JEANNE D’ARC als etwa an THE SHAWSHANK REDEMPTION erinnert und demonstriert mittels dieser reservierten Stilisierung und lakonischen Ökonomie im Vergleich mit den unsäglichen Gefängniskitschern eines Frank Darabont, dass früher alles besser war (#6). Immerhin ist es vermutlich diesem Film und seinem Erfolg zu verdanken, dass Frankenheimer nicht wieder zum Fernsehen zurückkehrte, sondern sich kurz darauf aufmachte, uns als sein eigener Produzent und Auteur pausenlos die Ultrakunst um die Ohren zu schlagen.
Film 2: Grobschlächtig und mit fetten Strichen gepinseltes Jugendproblemdrama, dessen unbefriedigende Dreharbeiten (Frankenheimer erwähnte später, dass ihn die negativen Erfahrungen mit dem von Produzentenseite gestellten, lustlosen Team später dazu veranlassten, all seine Mitarbeiter selbst auszuwählen) sich in einer beispiellos sterilen, statischen Tristesse niederschlagen, die mitunter an die Filme des deutschen Sexploitationfilmers Jürgen Enz erinnert. Bisweilen schlägt Frankenheimer aus dieser aseptischen Atmosphäre Gewinn, u. a. bei den geradezu grotesk alptraumhaften familiären Abendessen, doch die ungeheure Starrheit der Kamera und die didaktischen Dialoge wecken Verständnis für Frankenheimers Entscheidung, nach dieser Enttäuschung seines ersten Kinofilmes wieder in die vertrauten Arme der dynamischeren, für ihn weniger von produktionstechnischen Widrigkeiten begleiteten Live-Theaterübertragungen zurückzukehren.
Trotzdem ein faszinierender, angespannter Film, gerade wegen seiner für Frankenheimer völlig atypischen Starre, die gegen seine hier gewohnt großartige, naturalistische Schauspielführung anläuft und letztlich in einem Gesamtgefühl resultiert, dass beinahe den Eindruck erweckt, als habe ein vom miefigen PEYTON PLACE-Kitsch verstimmter François Truffaut Mark Robson zeigen wollen, wie man ein Vorstadt-Jugenddrama „richtig“ macht. Alles, was an diesem Film falsch, plakativ und stereotyp wirkt, gereicht ihm letztlich auf wundersam verkehrte Weise doch zum Vorteil – hier findet eine Reibung statt, werden stimulierende ästhetische und ethische Widersprüche aufgeworfen, von denen etwa ein REBEL WITHOUT A CAUSE oder ein BLACKBOARD JUNGLE nur träumen können.
Außerdem ein Fetischfilm für alle, die amerikanische Highschool-Boys mit großkotzigem Cowboy-Gang und nostalgischen Letterman-Jacken zum Anbeißen finden – Hauptdarsteller James MacArthur ist, zumindest in dieser Ausstaffierung, eine knuddelige Augenweide, wie hier überhaupt, vermutlich nicht zuletzt aufgrund des niedrigen Budgets, die aufreizend triviale, billige Seite der männlichen 50iger-Mode aus der Leinwand hängt.
Beide Filme: Sicherlich keine Großtaten ihres großen, GANZ großen Schöpfers, aber auch besonders eindrückliche Demonstrationen seines schieren Könnens, das selbst unter den ungünstigsten Bedingungen – am Anfang seiner Karriere ebenso wie am Ende bei der zweitklassigen Weinstein-Produktion REINDEER GAMES (2000) – noch die merkwürdigsten und überraschendsten Blüten der Inspiration trieb. Ich habe jetzt nach diesem 17. und 18. gesehenen Film jedenfalls wieder ungeheure Lust auf Frankenheimer und werde sicherlich bald den Rest seiner Filmographie verspeisen.

29.05.2011: Incubus
(Leslie Stevens, USA 1965) – 9/10 (23), DVD
Im süßen Wiesengrunde, wo der Teufel haust: Ein oneironautisch tänzelndes und geistesabwesend morbide Melodien summendes, sich zwischen knorrig verwachsenen Baumstämmen, lichtdurchbrochenen Auenwäldern, Feldern und schroffen Küstenfelsen entspinnendes, mystisches Natur-Gruselmärchem, in anderweltlichem, expressionistischen Pabst- und Bergman-Schwarzweiß von Conrad Hall (!), gedreht auf Esperanto (!!) und dann noch mit William Shatner (!!!), der in der Hauptrolle als reiner, gottesfürchtiger Kriegsheld salbungsvolle Dinge über die Wahrheit der seelischen Liebe deklarieren darf, natürlich auch auf Esperanto, dem ungeheuren mythologischen Cocktail Rechenschaft ablegend. Herz, was begehrst du mehr?
Ganz klar ein glühender Wunscherfüllungsfilm des sich offenkundig auf Knien nach Avantgarde, Schangel sowie europäischem und japanischem „Kunstkino“ sehnenden, jungen TV-Regisseurs Leslie Stevens, der wie soviele andere, sehnsuchtsvolle junge Regisseure der 60iger, nach einem kurzen, aber kommerziell erfolglosen künstlerischen Aufbäumen, wieder in der Fernsehwüste versickerte. Tragisch – INCUBUS ist mit Sicherheit einer der verrücktesten, ehrgeizigsten, hedonistischsten, versponnendsten, triebhaftesten, surrealsten und verzauberndsten, schönsten Wucherungen des amerikanischen Horrorkinos. Eine Ultra-Entdeckung.

28.05.2011: Close-Up / Nema-ye Nazdik
(Abbas Kiarostami, Iran 1990) – 9/10 (22), DVD
Während der ersten 20 Minuten wand ich mich ungemütlich: Autorenfilmerische Masturbation, Prätention, alles falsch, alles unecht, alles aus Kondensat kondensiert, Portwein-Sintflut, Godard-Fanfilm. Irgendwann begann ich in meiner misstrauischen Unruhe, mir vorzustellen, wie ich diesen (oder nur: einen dergestaltigen) Film gedreht hätte, woran ich ihn konstruiert hätte, an welchen Punkten ich vielleicht aufgehört hätte, zu konstruieren. Danach war alles gut. Der Film funktionierte, Penetration statt Masturbation, er war echt, er war richtig. Dieser Rezeptionsansatz (mir gerade das vorzustellen) ist einer meiner bevorzugten Ansätze, besonders, wenn ich an einem Film abrutsche oder mich über ihn ärgere (ja, dazwischen differenziere ich). Doch ich wünsche mir stets, dass er nur einer von vielen möglichen Ansätzen bleiben möge, da er dazu tendiert, eine Ausschließlichkeit zu beanspruchen, etwas, auf das ich nach Möglichkeit verzichten möchte. Ausschließlichkeit ist natürlich generell eher pfui. Da aber eine solche Ausschließlichkeit dieser tendenziell ausschließlichen Rezeption eher selten entsteht, war sie als letzter Strohhalm für diesen Film richtig und echt. Ob ich unter diesem Gesichtspunkt in absehbarer Zeit mehrere Filme von Kiarostami – vorrausgesetzt, sie ähneln diesem – emotional durchstehen könnte, ist zu bezweifeln – aber diese schmarotzerische Überbeanspruchung hat er (der Regisseur, Kiarostami), behaupte ich unverschämt, dann selbst zu verantworten. Er wird mir deswegen immerhin, um zum ursprünglichen, aktuellen Gegenstand der ausschließlichen Rezeption zurückzukehren, schließlich auch keine roten Blumen vor die Haustür stellen.

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„Das ekligste an diesem widerwärtigen Indianer-Western ist, dass er sich selbst scheints irgendwie für liberal hält; klar, Audrey Hepburn als Indianerin (mit netter Lacanscher Selbstkonstitution vor dem Spiegel), sowas sah man in den 50er Jahren nicht allzu oft, doch was der Film daraus macht, ist grauenhaft. Um die erfolgreiche Integration dieser einen Rassenfremden zu vollenden, sind 50 bis 100 Indianerleben kein allzu hoher Preis (die Liebe muss wieder mal als zusätzliche Motivation herhalten). Die Rothäute sind so böse, dass sie sogar Konzertflügel zerstören, das geht natürlich gar nicht. Selten offenbart ein Film rückblickend seine Ideologie offener als dieser, gerade weil er an manchen Stellen scheinbar liberal zu argumentieren scheint und eine „ernsthafte“ Auseinandersetzung mit seinem Thema sucht.
Zusätzlich funktioniert der Film auch dramaturgisch nicht, alles geht entweder zu schnell oder zu langsam, die Figuren sind stets nur darauf beschränkt, ihre Funktion innerhalb dieses Blödsinns zu erläutern, selbst Westerngrössen wie Lilian Gish (die ich nie in einer dooferen Rolle gesehen habe) haben da keine Chance. Auch die manchmal wirklich grandiosen Cinemascope-Aufnahmen nützen nichts. The Unforgiven ist eine von vorne bis hinten unerträgliche Angelegenheit.
John Huston hat viele wunderbare Filme gedreht. Der hier gleicht aber gleich mehrere davon wieder aus.“
– Der junge Lukas Foerster im September 2005 über einen meiner Lieblingswestern, THE UNFORGIVEN. Großartig.

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27.05.2011: Die längste Nacht / La nuit la plus longue
(José Bénazéraf, Frankreich 1965) – 10/10 (24), DVD
Bénazéraf, genannt „Le Godard du X“ – der bessere Godard, ein Meister der abstrakten Reduktion, der anreichernden Entleerung, des lautmalenden Schweigesanges, der implosiven Öffnung, noch mehr. Gegen ihn scheint Godard wie ein tollwütiges und notzüchtigendes Schangel-Spielkind ohne Herz und Verstand. Oder Klaus Lemke mit seiner Style-Orgie 48 STUNDEN BIS ACAPULCO wie ein Modedesigner für Autobahnen. Oder Rudolf Thome mit seinen ersten beiden Filmen wie der Quentin Tarantino der Münchner Gruppe. Oder Eckhart Schmidt als wahrer Sleazepeare. All diese Vergleiche sind, zumindest an dieser Stelle, als Kritik zu verstehen.
Ich würde schrecklich gerne einen empfindungsvollen Text über diesen kühlen, schlafwandlerisch und schweigend in sich selbst hinein- und durch sich hindurchfiebernden Film schreiben – aber die enorme Irritation, die in ihm steckt – oder die er zumindest mir beschert hat – ließe sich doch nicht abstecken. Seht ihn euch an, staunt euch die Augen (und auch besonders, tick-tack, die Ohren) aus dem Kopf oder langweilt euch gegebenenfalls zu Tode, qualvoller als das mit einem Godard-Film je möglich wäre. Bénazéraf und ich, das ist wohl die Cine-Liebe auf den ersten Blick. Ich bin fassunglos. Wie konnte DAS bisher nur an mir vorbeiziehen? Ein cinephiler Festtag.

26.05.2011: Die endlose Nacht [2]
(Will Tremper, BRD 1963) – 9/10 (23), VHS

25.05.2011: Vital / Vitâru
(Shinya Tsukamoto, Japan 2004) – 9/10 (23), DVD

24.05.2011: Die Bande des Schreckens [5]
(Harald Reinl, BRD/Dänemark 1960) – 7/10 (18), DVD

23.05.2011: Tepepa
(Giulio Petroni, Italien/Spanien 1968) – 7/10 (20), DVD*
Petronis Weg zum anbetungswürdigen Objekt meiner Italowesternbegierde (bzw. neuen Genre-Fetischfilmes meinerseits), LA NOTTE DEI SERPENTE war Leonisiert und steinig, aber jener Film ist alles, was zählt. TEPEPA, der vielen offenbar als Petronis bester Western gilt, ist trotz zahlloser veritabler Ultramomente ein Zwerg im Vergleich, wohl einer der rührendsten und am ehrgeizigsten scheiternden Versuche eines komplexem Italowestern-Erzählkinos (sowie eines echten 68iger-Westerns) und natürlich alleine schon aufgrund der verstörenden Zusammenstellung des handlungsführenden Dreigestirns mit Tomas Milian (!), John Steiner (!!) und Orson Welles (!!!) eine mittelschwere assoziative Irritation. Im eindrucksvoll bombastischen Finale nimmt Petroni im Namen aller von der Arbeit mit Welles traumatisierten europäischen Regisseure Rache und zeigt den seinerzeit bereits aufgedunsenen Meister so, wie es sonst wohl keiner gewagt hätte. Chapeau!
Die indifferente Artikulation seiner (ehrlichen) politischen Ambitionen hingegen zieht den 130minütigen Koloss ins zeremonielle Francesco Rosi-Quecksilberbad, woran ein Ennio Morricone im Routine-Halbschlaf gleichfalls atmosphärisch nichts zu ändern vermag. Vielleicht ist der Film an einer nach LA NOTTE DEI SERPENTE utopischen Erwartungshaltung zugrunde gegangen (hatte ich die?), vielleicht war er mir aber auch, ebenso wie der von mir nicht allzu sehr geschätzte UOMO DA UOMO, zu verkrampft, zu ängstlich das Streben nach handwerklicher Perfektion und inszenatorisher Konkurrenzfähigkeit vor die eigene Ambition schiebend sowie, schlussendlich, mit seinen Intervallen von kaum erträglicher Konzentration und starker filmischer Geistesabwesenheit den offensichtlich so sehr herbeigesehnten „erzählerischen Atem“ abschnürend. Wäre er doch nur ein bisschen kruder, nicht ganz so literarisch, weniger aufwändig und etwas billiger gewesen!
Ich werde ihn in Gedanken wohl als „Heaven’s Gate di Giulio Petroni“ archivieren.

20.05.2011: Vampire gegen Herakles / Ercole al centro della terra
(Mario Bava, Franco Prosperi, Italien 1961) – 10/10 (25), DVD
Eine flammenzüngelnde Eruption hochprozentigen Schangels, nein, vielmehr sogar ein definitives, definierendes Schangelwerk ohne Maß und Grenzen, ein Film, für den dieses Wort mehr gelten darf als jedes andere, ätherische Ultrakunst in Technicolor, ein filmgewordener (Wunsch-)Traum. Und daher natürlich ein Meisterwerk, ein mystisches, romantisches, surreales, obsessives, naives, changierendes, expressionistisches, unschuldiges, irrlichtiges, radikales, esoterisches, poetisches und vollkommenes. Bavas erfolgreiche Emanzipation von seinem Lehrmeister Riccardo Freda, sein zweitbester Film nach dem unübertroffenen LISA E IL DIAVOLO und um soviel persönlicher und intimer als ein SEI DONNE PER L’ASSASSINO oder TERRORE NELLO SPAZIO. Wer hier tatsächlich kühl genug bleibt, um etwas von „Style over substance“ (Odio!) zu faseln, hat seine Seele vermutlich dem Cineteufel verkauft und versündigt sich an Bava, dem großen Bava, vor dem ich nunmehr endlich Respekt verspüre. Es hat lange gedauert, aber ich habe ihn schließlich, allen Vorbehalten zum Trotz, doch noch angenommen. Mein gefühlvoller Dank gilt der beharrlichen Fanboy-Aura meines ET-Weggenossen Andreas, der mich in meinem Suchen immer wieder bekräftigt hat.

18.05.2011: Harlan – Im Schatten von Jud Süß
(Felix Moeller, Deutschland 2008) – 4/10 (13), DVD

17.05.2011: Der Junge und der Satan / Das dritte Geschlecht
(Veit Harlan, BRD 1957) – 1/10 (0), DVD
Ich vermisse in dem Drehbuch, dass es zweierlei Homosexuelle gibt – nämlich diejenigen, an denen die Natur etwas verbrochen hat, und diejenigen, die gegen die Natur verbrecherisch vorgehen. Die letzteren tun das entweder aus angeborener Unsittlichkeit oder aus materiellen Gründen oder aus fluchwürdiger Schwäche. Die ersteren hingegen verdienen unser ganzes Mitgefühl. Der Film darf diese Homosexuellen, die wir tragisch betrachten müssen, wenn wir hochherzige Menschen sein wollen, nicht aus spießbürgerlichen Motiven verurteilen oder verfolgen. Wir dürfen sie nur in dem Sinne verfolgen, als sie junge Menschen, deren Natur im Grunde in Ordnung ist, verführen.„ – Veit Harlan

Aus der Einseitigkeit der Milieuzeichnung ergibt sich eine Überbewertung des Kreises der Homosexuellen, die als eine Art Propaganda für (!) sie wirken muß. (…) Durch die breite Darstellung des Treibens der Homosexuellen muß bei Vorführung des Films vor einem durchschnittlichen, aus allen Lebensaltern zusammengesetzten Publikum das sittliche Empfinden verletzt werden. Auch muß der Film, da er keine eindeutige Stellungnahme gegen das Treiben der Homosexuellen erkennen läßt und da ihm jeder sittliche Maßstab fehlt, sittlich verwirrend und damit entsittlichend auf weite, normal empfindende Kreise wirken. Nicht nur aus Gründen der Moral sondern auch aus dem Gesichtspunkte der Erhaltung der Volksgesundheit muß der Film, der zur Popularisierung eines perversen sexuellen Verhaltens beiträgt, vom Publikum ferngehalten werden. Es geht hier um schutzwürdige Lebensgrundlagen des Staates und der Gesellschaft.“ – Aus der FSK-Begründung für die Freigabeverweigerung der Originalfassung

Angesichts von soviel Verständnis von Dr. Harlan muss man sich als Homosexueller freilich glücklich preisen. Ein seltener Luxus! Mir fehlen dir Worte. Gesichtet habe ich – der Gerechtigkeit halber – eine Fassung, die den Versuch unternimmt, Harlans originale Schnitt- und Tonfassung zu rekonstruieren. Jene Fassung also, die von manchen seiner Fans (die er heute ja zuhauf hat) als „deutlich weniger homophob“ bezeichnet wird. Jeder Kommentar erübrigt sich. Das FSK-Zitat ist dabei beinahe noch grotesker und faschistoider als das von Harlan – denn wie der Film mit allen Mitteln des expressionistischen Horrorfilms das Wohnzimmer des ausgerechnet vom schwulen Berliner Schauspieler Friedrich Joloff (von jeher auf Bösewichter abonniert) gespielten Boris Winkler zum von infernalischem Schwefelgestank durchwehten Sodom, zur Dämonenhöhle stilisiert, das alleine ist schon nicht mehr mit Worten zu beschreiben – aber ja, ein Film, wie er Homosexualität schmackhaft macht! Hierbei fällt auch ins Auge, dass der Film nicht nur die Beschäftigung mit „moderner Kunst“ sondern auch sehr schnell jede intensive Beschäftigung mit bildender Kunst im Allgemeinen als „Symptom“ ausweist. Als dann aber am Ende Paula Wessely (die sich hier, ebenso wie in Georg Tresslers ein Jahr später entstandenem Sitten-Sleazer NOCH MINDERJÄHRIG in der Rolle des zu Tode besorgen Mütterchens gefällt) ihren „geheilten“ Sohn (dessen Besetzung mit dem androgynen Christian Wolff gleichfalls ein infamer Schachzug ist) umarmt mit den Worten „Es ist ja alles gut!“ – da ist alles aus. Mein größter Filmschock seit langem. Als reißerisches und, wie üblich bei Harlan, ohne jeden Anflug von Subtilität mit ganz viel unheilsschwangerem Tamtam inszeniertes Schmierenmelodram mit einer Extraportion miefiger Deutschtümelei, ermöglicht der Film in seinen weniger düsteren Momenten teilweise noch die panische Flucht in den Trash, aber am Ende stand, zumindest bei mir, Fassungslosigkeit der verstörteren Sorte.
Also nochmal:
„Ein antisemitischer Film, wie wir ihn uns nur wünschen können.“ – Joseph Goebbels über JUD SÜSS
„Aus der Einseitigkeit der Milieuzeichnung ergibt sich eine Überbewertung des Kreises der Homosexuellen, die als eine Art Propaganda für sie wirken muß.“ – Die FSK über DAS DRITTE GESCHLECHT

17.05.2011: Von der Polizei gehetzt / Crime Wave
(André De Toth, USA 1954) – 8/10 (21), DVD
Früher war alles vieles besser #5: Dieser rohe, kleine Film (seine blitzartige Produktion erhebt ihn zur Ultrakunst, mehr als alles andere) führte mir wieder einmal besonders einstechend vor Augen, dass es dem Kino heute an Gesichtern mangelt. Die Gesichter in diesem Film sind allesamt unvergesslich – nicht so, wie die vor kurzem von mir genossene, beispiellose Hackfressen-Parade des Italowesterns AMMAZZALI TUTTI E TURNA SOLO (1968). Vielmehr, weil De Toth sich Gesichter ausgesucht hast, denen man das Abgekämpfte der Figuren nicht erst unter Aufbietung größtmöglicher Führungskünste einschreiben muss. Manchmal glaube ich, dass ein solches Verfahren sogar unbedingt zu bevorzugen ist. Jedenfalls beeindrucken die harten Gesichter von Phyllis Kirk (eine Schönheit, zu herb für heutige Leinwände), Sterling Hayden (hier als Ultra-Pitbull), Charles Bronson (besonders sleazig), Ted de Corsia und Jay Novello ungemein. Und der großartige Gene Nelson mit seiner aufregenden Aura von in hilfloser Müdigkeit gefangener, unsicherer Tragik und aufrechter amerikanischer Maskulinität nach dem Fall, ist aus dem Stand zu einem meiner heißesten „glamour boys“ des amerikanischen Kinos der 50iger avanciert, gleich neben Marlon Brando und Stephen Boyd.

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Hurra! ET-Superheld und Ultra-Auteur Paul Verhoeven dreht ENDLICH einen neuen Film: DE STILLE KRACHT (englischer Titel: „The Hidden Force“) nach einem Drehbuch von seinem treuesten Komplizen Gerard Soeteman. Die vagen bisherigen Beschreibungen des Projekts lassen bereits eine Unfassbarkeit und einen Sleazezess für die Götter erahnen.

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17.05.2011: Scream 4
(Wes Craven, USA 2011) – 8/10 (21), Kino (Digital)*
„Freunde? In welcher Welt lebst du? Ich brauche keine Freunde, ich brauche Fans!“
Erst wenn man den Film tatsächlich auf der Leinwand eines Multiplex-Kinos sieht, die (durchaus auch positiven) Reaktionen eines gewöhnlichen, jungen und während des Films schwatzend mit dem intellektuellen Ballast kämpfenden Multiplex-Publikums im Nacken, erst dann kann man vollends begreifen, mit welchem Dilemma Craven und Williamson hier zu kämpfen hatten, welche Hürde sie nehmen mussten und schlicht unmöglich nehmen konnten. Den Einzug des Übersinnlichen oder von Sci-Fi-Elementen als Steigerung zu erwarten, das wäre zuviel gewesen. Es musste zwangsläufig in altmodischer Selbstdisziplin enden, denn das, wofür SCREAM steht – selbstreflexives, postmodernes und dabei figurenorientiertes Slasherkino – das hat 2011 im Multiplex keinen Platz mehr. Die hilflos mit den Armen rudernde, in eben jene Richtung stichelnde, auf ihre Weise cinephile Backpfeifenparade der rührend verwegen wirken wollenden Eröffnungssquenz (die sofort falsche Erwartungen wecken muss) ist symptomatisch und erntete in der von mir besuchten Vorstellung Kommentare wie „Was soll das denn?“ und „Worüber reden die denn da?“ und „Hoffentlich geht das nicht so weiter!“. Dieser Tonfall wird aber sehr schnell abgelöst von einem irritierend düsteren, „ernsten“ Genrefilm – letztlich irgendwo das, was ich mir nach dem zu Tode produzierten, verdooften und merchandisierten dritten Teil erhofft hatte. Diese Eingangssequenz zeigt auch, wie sehr Williamson sich gewünscht hat, sein Baby ins neue Jahrtausend zu retten – vielleicht zu sehr. Ästhetisch werden zwar keine Konzessionen gemacht (abgesehen von einem bedauerlichen Schritt in Richtung des unsäglichen neuzeitlichen Closeup-Zwanges – leider, Mr. Deming, können Kamerapositionen nach wie vor keinen Ausdruck ersetzen), das Drehbuch hingegen, obschon ohne große windschiefe Fehlgriffe, ringt sich die zweifellos notwendigen und wünschenswerten Zeitgeistigkeiten ab, die sowohl Autor als auch Regisseur meist zwar bekannt, aber spürbar fremd zu sein scheinen, und die entweder leidenschaftslos abgehakt oder mit sichtlichem Spott zugunsten des Films ausgeschlachtet werden (sehr schön, teilweise). Das klingt alles schrecklich zerfasert, ist aber tatsächlich ökonomisch homogen und seine dramatischen Sequenzen und seine Set pieces meistert Craven auch hier mit Passion und seiner neuen, stoischen Selbstironie, die auch nicht davor zurückschreckt, eine Szene mit Schwung in den Matsch der Lächerlichkeit zu tunken. Die diversen Nachtszenen mit Polizeiautos sind alle unfassbar gefilmt.
Es ist all das Andere dazwischen und untendrunter und obendrüber und leider damit auch ein Großteil von Williamsons postmodern witzelnder Sprücheklopferei, der verunsichert. Aber nur ein wenig und auf höchst interessante Weise. Doch, SCREAM 4 ist eigentlich ziemlich toll, einer der spannendsten und ergiebigsten mir bekannten Kino-Clashs der 90iger mit den 2000ern und stellenweise sogar beinahe der atmosphärischste der vier Filme. Und, was vielleicht den nostalgischen Fan in mir etwas enttäuscht hat, dem Film aber in Zukunft selbstverständlich zum Vorteil gereichen wird, kein besonders nostalgisches oder sentimentales SCREAM-Familienalbum.
Trotzdem: Aus auteurroristischer Sicht das letzte Wort zum Thema „Wes Craven und das postmoderne Selbstverständnis des Horrorfilmemachers“ hat eigentlich vor einigen Monaten bereits der um soviel wahnsinnigere, verwegenere und furchtlosere MY SOUL TO TAKE gesprochen.

17.05.2011: Hanna Amon
(Veit Harlan, BRD 1951) – 8/10 (12), VHS
In jeder Hinsicht noch gewaltsamerer, martialischerer und menschenverachtenderer Melodram-Splatter als OPFERGANG und natürlich ebenso bis zum unter ohrenbetäubend schmetternden, unheilvollen Chorälen („Wer nie sein Brot mit Tränen aß…“) berstenden, farbblutenden Anschlag mit religiösem und sonstigem mythologischen Irrsinn vollgestopft, geht es wieder einmal um Dr. Harlans fetischisiertes Thema von der vollkommenen Sünde, der schicksalshaften Unreinheit, dem schändlichen Begehren und der unausweichlichen Gottlosigkeit, von der der abscheuliche Menschenkörper nur durch Tod und Selbstopfer gereinigt werden kann, wenn das satanische italienische Hurenweib von der Stadt Besitz ergriffen hat von dem sauberen, wohlbehüteten Bauernhof im schönen Alpenland. Um ihren Bruder (mit miefigem Bubi-Sexappeal: Lutz Moik) vor dem Verderben in der Lust zu bewahren, verfällt die mehr denn je einer glasierten Kindertransvestitenpuppe ähnelnde und mit Curd Jürgens-artiger, manischer Rechtschaffenheit chargierende Kristina Söderbaum (künstlerisch ebenso grotesk militant wie ihr apokalyptophiler Gatte) in einen Wahn aus gequält inzestuösem Begehren und plastillinen Träumen, in denen sie beschwörend delirierend, in Gold gekleidet und mit Flügeln bewehrt, als ägyptische Gottesmutter Isis das fehlgeleitete Bruderlamm ins Leben zurückreißt, garniert mit phallischen wie vulvischen Symbolen noch und nöcher. Mit einem Wort: Unfassbar.
Harlans proletarische „Poesie“ erreicht hier solche tosenden Höhepunkte der teutonischen Geschmacklosigkeit, dass man sich als Zuschauer nur geschändet (oder vielmehr pervertiert) fühlen kann. Die bürgerlichen Alptraumszenarien des – von sich besinnungslos am sterbenskitschigen Harlan-Bilderschangel besaufenden Neo-Cinephilistern – häufig mit Harlan verglichenen Douglas Sirk nehmen sich dagegen aus wie frostige Vorreiter der „Berliner Schule“. Wie üblich heuchelt Harlan mit der Hingabe eines Henkers im Umgang mit der dämonischen, antagonistischen Partei und täuscht der hysterisch „Femme fatalisierenden“ Verführerin Ilse Steppat ein menschliches Antlitz ins Gesicht, nur um im weiteren Verlauf seinen geliebten Weibsteufel von der Leine zu lassen und in seiner Gestalt das Aufgeklärte und Moderne gegen bäuerliche Gottesfürchtigkeit und Reinheit auszuspielen. Das ist alles enorm widerwärtig, stets so laut, bedeutungsschwanger und brutal wie möglich inszeniert ohne jeden Anflug menschlicher Zerbrechlichkeit hin auf dem Weg zum stählernen Söderbaum-Heiligenbild, diesmal nicht im Ozean sondern im Schnee und gefrorenem Gebirgswasser. Ein oder zwei Gedanken später ist HANNA AMON faschistisches Kino par excellence, im Nachkriegsdeutschland millionenfach goutiert.
Dazu eine nie verebbende Flut von todesseligen Vorschlaghammer-Metaphern, für die sich wohl wirklich jeder andere Regisseur später in Grund und Boden geschämt hätte. Andererseits kann man dem Film wegen all dem noch eher verzeihen als dem machistisch-altruistischen OPFERGANG: All diese bis zum Völlegefühl immer weiter aufgetürmten Ingredienzen machen HANNA AMON zu einem der vollkommensten Beispiele von „high camp“ und Genre-Trash, die das deutsche Kino je gesehen hat. John Waters würde diesen Film lieben.
Man möchte innerlich die Nase rümpfen, ist aber viel zu beschäftigt mit der Verdauung des alles zermahlenden Pomps. Daher fühlt man sich, bzw. fühlte zumindest ich mich geschändet und „pervertiert“. Allerdings sehe ich nun auch ruhigen Blutes der immer wieder aufgeschobenen Sichtung von JUD SÜSS entgegen, da ich nun nicht mehr daran zweifle, ganz und gar abgetoßen zu sein, fein und rein.
Die niedrige 25er-Wertung bezieht sich übrigens nicht nur auf die ideologische Ausrichtung des Films sondern auch auf Harlans sehr bescheidenes Talent. In den wenigen Momenten, in denen die Gewalt, die angstvoll geflüsterten Lügen und der Lärm von der Leinwand weichen, zeigt er das Gesicht eines eitlen Biedermeiers, ohne jeden Geschmack an Mensch oder Natur, Sensitivität, erzählerischen Atem und zuvorderst ohne jegliches Stilempfinden. Es ist daher einerseits sehr schade, dass man ihm kein Berufsverbot erteilt hat, andererseits aber auch bedauerlich, dass er die Regie von DIE NACKTE UND DER SATAN (1959) ablehnte. Dieser Film wäre in seinen Händen sicherlich ein mythisch-martialisch-moralistischer Sexzess der alleruntersten Kajüte geworden, vulgär bis zum Gehtnichtmehr. Wahrscheinlich auch widerlich, aber als Horrorfilm bestimmt nicht so gruselig wie HANNA AMON.

15.05.2011: Graf Porno und seine Mädchen
(Günther Hendel, BRD 1969) – 9/10 (22), DVD
Seit unserem wahrhaft fulminanten, ersten Zusammenstoß mit Hendels Debüt, dem bizarren „Sleaze-Film noir“ …SOVIEL NACKTE ZÄRTLICHKEIT (1968) und dem unter seiner Leitung geradezu schmerzhaft großartig synchronisierten (und mit selbst nachgedrehten deutschen Szenen wundersam verschnittenen) italienischen Sexploitationheuler TOP SENSATION (Sklaven ihrer Triebe, 1969) hatten, begehrten Andreas und ich sehnsüchtig weitere Erforschungsgänge in das Oeuvre dieses illustren Herren und siehe da: Mit diesem ersten seiner drei „Graf Porno“-Filme für den Kaiser von Pornistan, Alois Brummer, offenbart sich Hendel als einer der talentiertesten, ambitioniertesten, verspieltesten und originellsten aller deutschen Sexfilmer mit hervorstechenden Auteur-Qualitäten, die zweifelsohne mindestens an die Güte des großen (und, das sollte vermerkt werden, filmisch sehr anders verfahrenden) Ernst Hofbauer heranreichen. Dieser Film ist – man fasst es kaum! – das seltene Beispiel einer jenseits purer Schlock- und Trash-Vorzüge wirklich ernstzunehmend komischen und filmisch durchaus interessanten deutschen Sexkomödie. Rinaldo Talamonti darf sich – und er durfte so eigentlich nie wieder – als fantastischer, natural born slapstick actor und Körperkomiker entpuppen, der m. E. beispielsweise Jerry Lewis mühelos ausstechen könnte und nur stellenweise so chargiert, wie man es von ihm kennt. Ein kalter Schock alleine schon, dass er hier nicht den „kleinen lustigen Italiener Toni“ spielt, sondern den „erfolglosen deutschen Privatdetektiv“ Harry und man angesichts seiner hier makellosen, beinahe völlig akzentfreien deutschen Aussprache plötzlich schockiert feststellt, was der gute Mann später im Namen des duften Lederhosenspaßes alles mit sich anstellen hat lassen. Dieser radebrechende italienische Akzent, den man seit eh und je sofort mit ihm assoziiert – ein Produkt der stereotypen Rollen, die man ihm über die Stirn schrieb. Talamonti offenbart hier also sein ungeheures Talent als „leading man“, während Hendel mit einem geradezu selbstverständlichen Understatement die komischen Momente häufig aus angenehm voyeuristischer Distanz filmt und mittels eines verwirrend sicheren Timings stimmig genug arrangiert um dem leidgeprüften deutschen Sexploitation-Connoisseur die Spucke wegbleiben zu lassen. Das alles hat eine sanfte, szeneweise beinahe zärtlich-melancholische Naivität und gekonnte filmische Disziplin an sich, die schwer fassbar scheint angesichts der Aggressivät des großen Ernst auf dem Gipfel des deutschen Sexfilmberges und der deprimierenden Sterilität und düsteren Tristesse von Jürgen Enz tief in den untersten Höhlen eben dieses Berges.
Selbst die Qualität der teils überraschend originellen, oft entspannt absurden Dialoge ist weit entfernt von den üblichen, groben Elefantasmen deutscher Sexkomödien. Als sich gegen Ende des Films auf einer deutschtümeligen, dämmrigen Pyjama-Party auch noch im LSD-Rausch eine nicht nur üblicherweise psychedelische sondern sogar überaus avantgardistische Traumsequenz offenbarte, waren unsere Hosen endgültig dahin. Schon jetzt eine der schönsten und überraschendsten deutschen Entdeckungen des Jahres und ohne jeden Zweifel eine der besten deutschen Sexkomödien überhaupt! Mit Günther Hendel wird man im Kanon des Hofbauer-Kommandos in Zukunft rechnen müssen.
Anmerkung: Die deutsche DVD wurde leider von einer im Rotstich verblichenen Kinokopie abgetastet, deren „Look“ dann offenbar durch sehr erfolglose Experimente mit Farbfiltern noch verschlimmbessert worden ist. Da Farbe in dieser Fassung ohnehin abwesend ist, empfiehlt das Hofbauer-Kommando ausdrücklich, den Film schwarzweiß (statt eben pink-weiß) anzusehen, was nebenbei auch atmosphärisch die Parallen zum anbetungswürdigen Schwabinger Pop-Autorenkino jener Tage besonders einstechend offenbar werden lässt.

14.05.2011: Dschungel Django / Il cacciatore di squali
(Enzo G. Castellari, Italien 1979) – 9/10 (21), Kino (35mm)*

14.05.2011: Die heißen Engel / La nottata
(Tonino Cervi, Italien 1974) – 8/10 (21), Kino (35mm)*

12.05.2011: Anna und Elisabeth
(Frank Wisbar, Deutschland 1933) – 8/10 (21), VHS

11.05.2011: Yankee
(Tinto Brass, Italien/Spanien 1966) – 7/10 (18), DVD*
Eine kleine Enttäuschung. Obwohl dieser Film sicherlich nach MATALO einer der schangeligsten Italowestern sein dürfte, fährt Brass – von dem ich mir, und daran ist er mit NEROSUBIANCO selbst schuld, nicht geringeres als die totale Schangeleszenz [= Schangel-Transzendenz] erwartete – nicht ausreichend buntes Brimborium auf, um das ermüdend banale Drehbuch angemessen mit poppigem Zuckerguss zuzukleckern. Ob der generischen Tristesse der Narrative helfen auch die sehr wohl zahlreichen Comic-Tableaus, der verschrobene Soundtrack, das sagenhaft lässige Sprücheklopfen und Philippe Leroys fiebrig-psychedelische „shirtless bondage“-Szene (solche Terme lernt man nur in der IMDB!) nur bedingt. Die pompöse Anti-Schießerei in dem Geisterdorf hätte einen sehr angemessenen Showdown abgeben – stattdessen werden wir über eine halbe Stunde hinweg mit einem absurd ausgewalzten, zweiten Finale gequält, dass soviel uninteressanter, soviel redundanter und soviel konventioneller bleibt. Vielleicht die Schuld der Produzenten, denen Brass heute angeblich das von ihm so empfundene Scheitern des Films in die Schuhe schiebt. Vielleicht aber auch seine Schuld, weil er nicht ausreichend entgleist ist – „noch meeeeehr“ wäre hier eine rettende Devise gewesen. Natürlich muss man den Film mit all seinen ätherischen visuellen Pirouetten und seiner windschiefen Schlitzohrigkeit trotzdem mögen – der Schangologe [= Schangel-Connoisseur] bekommt seinen Schuss, aber der finale Gesamteindruck fühlte sich bei mir eher lauwarm an. Was? SO hat Brass seinen Italowestern verschwendet?

09.05.2011: Ohne Limit / Limitless
(Neil Burger, USA 2011) – 8/10 (21), Kino (Digital)*
Der überaus schanglophile [= Schangel-affine] Vorspann (Handelte es sich dabei nur um einen echten Endlos-Zoom! Aber auch mit CGI-Assistenz schon famos genug.) hat mich sofort für den Film eingenommen – und der Film selbst hat mich trotz seines gelegentlichen Style-Overkills und sporadischer Lackaffen-Coolness auch behalten. Als Satire auf gewisse Visionen von Erfolg wird man sich vermutlich einmal an ihn erinnern, als von semi-verschachteltem Drehbuch-Schlock weitgehend befreiter und dabei doch mit weitgehend erquicklich altmodischen Verfremdungseffekten am Rand des urbanen Wahnsinns entlanghangelnder Faustischer und angenehm schlichter Thriller entzückt er inmitten der derzeit in Schlockszendenz [= Schlock-Transzendenz] verwesenden Mainstream-Landschaft ungemein. Sehr schön: Robert de Niro endlich einmal in einer wirklich selbstironischen Altersrolle – das hart geschulte Urviech gegen die neuschlauen, aufgedröhnten Yuppies. Noch schöner: Italohorror-Veteran Tomas Arana als stummer, sehr verwahrlost und sehr beängstigend wirkender Killer der großen Dunkelmänner. Für ihn in diesem Kontext ganz sicher eine dankbare und überraschend markante Rolle, die der hier dankenswerterweise nur karikativ angedeuteten Idee der gesellschaftlichen Doppelwelten eine obskure genreimmanente Note verleiht. Trotzdem meine ich als Fan, dass Arana gerne auch wieder einmal einen größeren (Sprech-)Part in einem Film dieser Größenordnung ergattern dürfte – mit THE BOURNE SUPREMACY hätte das ja beinahe geklappt.

08.05.2011: The Man Who Killed Billy the Kid /
El hombre que mató a Billy el Niño

(Julio Buchs, Spanien/Italien 1967) – 8/10 (22), DVD**
Man spürt, dass das kein kleiner, kurzer B-Western hätte werden sollen, sondern ein großes zweieinhalb Stunden-Epos, nüchtern und doch „klein“, also schlicht, erzählt, aber auch mit dem Hauch einer großen Tragödie um den Teufelskreis der geraubten und sich stets erfolglos selbst reproduzierenden Unschuld. Buchs hat versucht, all das trotzdem in diesen kleinen Film zu pressen und ausnahmsweise – denn wie oft passiert das schon? – gereicht ihm das dank der beinahe beängstigend konzentrierten Präzision seiner glasklaren und unauffällig formalpsychologischen mise-en-scêne nicht zum Nachteil sondern lässt den Film seinem äußerlichen Korsett entfliehen und den gedrungen manischen Peter Lee Lawrence tatsächlich zum aus dem Paradies vertriebenen Engel transformieren. Die Sequenz, in der er zu Beginn sein Bad in einem Fluss unterbricht und seiner unsittlich bedrängten Mutter zur Hilfe eilt, gleicht einem rabiat erzwungenen Initiationsritual: Halbnackt steht er über der Leiche des Angreifers, makellos, schön und beschmutzt. Und genau so schlägt er kurz darauf bei Pat Garrett auf – zumindest für einen kurzen Augenblick blitzt hier die Überlegung einer homoerotischen Komponente im Verhältnis der beiden auf. In Sam Peckinpahs Macho-Weeper PAT GARRETT AND BILLY THE KID hat das selbstverständlich nicht stattgefunden. Was vielleicht nicht völlig unsinnig ist, sind diese beiden Figuren doch in Buchs‘ Film trotz ihrer äußeren Idealisierung im Grunde noch leerer und dringlicher in ihrer panischen Selbstausfüllung, die in den Gänsehaut induzierenden letzten 15 Minuten des Films die Leinwand zu sprengen droht. Ein Film, der in vielen Momenten die Qualitäten eines späten Samuel Fuller besitzt.
Leider lag mir nur die um 16 Minuten gekürzte, seitlich beschnittene und wieder einmal besonders klinisch synchronisierte amerikanische Fassung vor. Ich sehne mich nach einer angemessenen DVD-Veröffentlichung und lecke mir schon jetzt begierig die Finger nach den beiden traumhaft martialisch betitelten Filmen, die der leider recht früh verstorbene Julio Buchs hiernach gedreht hat, dem Giallo LAS TROMPETAS DEL APOCALIPSIS (Trumpets of the Apocalypse, 1968) und dem weit berühmteren, offenbar tatsächlich „großen“ Italowestern LOS DESPERADOS (Um sie war der Hauch des Todes, 1969). @ Koch Media: Bitte, bitte diesen Film rausbringen und bitte, bitte nicht den schäbigen deutschen Verleihtitel „Sein Steckbrief ist kein Heiligenbild“ verwenden!

07.05.2011: Treffer
(Dominik Graf, BRD 1984) – 9/10 (22), Kino (35mm)
Ein besonderer Wunscherfüllungsfilm: Dominik Graf, jung und hungrig auf ein anderes, rohes, wahres, genuines Deutsches Kino, dreht „seinen“ ROCKER. Und übertrifft Klaus Lemke, tatsächlich.

07.05.2011: Die Nieren des Skorpions / La coda dello scorpione [2]
(Sergio Martino, Italien/Spanien 1971) – 5/10 (15), DVD
Mit so rastlos erfinderischen Kameramännern wie Emilio Foriscot oder Giancarlo Ferrando (der 1994 mit seiner einzigen Regiearbeit LA RAGAZZA DI CORTINA den vielleicht besten und selbstreflexivsten aller Spät-Gialli gedreht hat) deren Kamera ständig das eigene Kamerasein zelebriert, mit einem sich hörbar euphorisch überschlagenden Bruno Nicolai auf der Tonspur, mit einem der verlässlichsten Schnittmeister des italienischen Genrekinos (Eugenio Alabiso, der von Leone über Sollima bis hin zu Lenzi mit fast allen gearbeitet hat), mit einem sonst oft bestechenden und engangierten Drehbuchautoren (Ernesto Gastaldi) und einem überdurchschnittlich agilen Ensemble – mit all dem einen so mediokren, uncharismatischen und dem ganzen Engagement zum Trotz uninspirierten Film zu drehen, das schafft nur ein ewiger Routinier und starrer Handwerker wie Martino. Es ist nicht unfair, diesen Film (häufig als das schwächste Glied von Martinos in Fanboy-Kreisen bis zur Ohnmacht verehrtem Giallo-Quintetts angesehen) gegen ihn zu verwenden – gerade weil er angesichts der Leidenschaft, mit dem alle Beteiligten jenseits des Regiestuhls bei der Sache sind, so ein prächtiges Beispiel seines Metiers hätte sein können, in den Händen eines Regisseurs, der auch nur ein wenig Herzblut und Interesse an den vorhandenen, trotz des biederen Krimi-Plots mannigfaltigen Möglichkeiten mitgebracht hätte. In den Händen eines Leopoldo Savona, Luigi Bazzoni, Cesare Canevari, Lucio Fulci, Mario Colucci, Paolo Cavara, Romano Scavolini, Massimo Dallamano, Julio Buchs – oder, oder, oder. So wie er ist, ist LA CODA DELLO SCORPIONE eine lähmende und geradezu schwachsinnig geschwätzige Trockenübung, bei der aber alle voll bei der Sache sind – außer dem Regisseur selbst, der selbst potenzielle Mega-Über-Ultra-„Set pieces“ zu lapidaren Revuenummern verschimmeln lässt – die zwar blendend aussehen, aber dem Kenner der Materie nur ein phlegmatisches „Ach so“ entlocken können. Und damit ist dieser Film für mich ein emblematisches Martino-Werk – wie oft habe ich mich schon vor längerer Zeit gefragt, warum Szene X in Martino-Film Y trotz Einsatz diverser sonst von mir in ähnlichen Filmen zeitgleich aktiver Regisseure als höchst wirkungsvoll empfundener filmischer Mittel und liebgewonnener Manierismen nie so recht funktionierte, irgendwie flach wirkte, ihrer räumlichen und sinnlichen Entsprechung beraubt. Dieser Film gibt die enttäuschende Antwort, indem er ein sehr unangenehmes Verständnis von „Publikumsbefriedigung“ demonstriert. Das erinnert beinahe an die miefigen deutschen Hongkong-Abenteuerfilme der 60iger aus der Schmiede von Wolf C. Hartwig.

07.05.2011: Horror-Sex im Nachtexpress / La ragazza del vagone letto
(Ferdinando Baldi, Italien 1980) – 7/10 (19), DVD*
Sie haben schon seit Längerem keine wirklich widerlichen und unappetitlichen Sex- und Vergewaltigungsszenen mehr in einem Film gesehen und möchten diesen beklagenswerten Zustand ändern? Dann greifen Sie zu diesem sterbensdreckigen und sensationell abstoßenden Spätwerk und „Sleazathon“ (Zitat Christian Kessler) des „perversen“ (Zitat Sano) vormaligen Literaturprofessors Ferdinando Baldi. In diesem Film können sie einer Garde finanziell ausgehungerter und nicht mehr ganz unverbrauchter italienischer und deutscher Jungdarsteller dabei zusehen, wie sie sich im Schweiße ihres Angesichts und ihrer Körperfalten so richtig verausgaben und sich ganz doll asozial aufführen! Und einen anbetungswürdig virilen Score des unnachahmlichen Synthesizer-Trashgottes Marcello Giombini (1 2) bekommen Sie sogar noch oben drauf!

07.05.2011: Black Velvet / Velluto nero
(Brunello Rondi, Italien 1976) – 9/10 (23), DVD
Eine etwas ausführlichere Würdigung.

05.05.2011: Glut der Sonne / Dove si spara di più
(Gianni Puccini, Italien/Spanien 1967) – 8/10 (22), DVD

04.05.2011: Spieler
(Dominik Graf, Deutschland 1990) – 7/10 (20), Kino (35mm)

04.05.2011: Die Schlange im Regenbogen / The Serpent and the Rainbow [2]
(Wes Craven, USA 1987) – 9/10 (22), DVD

04.05.2011: Scream 3 [5]
(Wes Craven, USA 2000) – 7/10 (18), DVD

03.05.2011: Biedermeiers widernatürliche Kollektion aseptisch-arischer Lustaustreibungs- und Genitalverknotungstableaus / Anatomie des Liebesakts
(Hermann Schnell, BRD 1970) – 3/10 (9), Kino (35mm)

03.05.2011: Das Tier / The Howling
(Joe Dante, USA 1981) – 9/10 (22), Kino (35mm)*

03.05.2011: Django – Ich will ihn tot / Lo voglio morto
(Paolo Bianchini, Italien/Spanien 1968) – 9/10 (22), DVD

01.05.2011: Dreileben – Komm mir nicht nach
(Dominik Graf, Deutschland 2011) – 9/10 (23), Kino (Digital)

01.05.2011: Dreileben – Etwas Besseres als den Tod
(Christian Petzold, Deutschland 2011) – 8/10 (17), Kino (Digital)

01.05.2011: Der Felsen
(Dominik Graf, Deutschland 2001) – 11/10 (28), Kino (35mm)


April

30.04.2011: Das Gelübde [2]
(Dominik Graf, Deutschland 2008) – n/b, Kino (35mm)

30.04.2011: Scream 2 [2]
(Wes Craven, Kevin Williamson, USA 1997) – 9/10 (22), DVD

30.04.2011: Scream [3]
(Wes Craven, USA 1996) – 10/10 (24), DVD

29.04.2011: Kalter Frühling
(Dominik Graf, Deutschland 2003) – 9/10 (23), DVD

29.04.2011: Schmetterlinge weinen nicht
(Klaus Überall, BRD 1970) – 7/10 (20), Kino (35mm)

28.04.2011: Das Lied in mir
(Florian Micoud Cossen, Deutschland/Argentinien 2010) – 8/10 (20), Kino (Digital)

26.04.2011: Unter Kontrolle
(Volker Sattel, Deutschland 2011) – 9/10 (23), Kino (35mm)

26.04.2011: City Under Siege / Un uomo, una cittÃ
(Romolo Guerrieri, Italien 1974) – 10/10 (24), DVD

25.04.2011: Triumph der Gerechten
(Josef Bierbichler, BRD 1987) – n/b, Kino (35mm)

25.04.2011: Das rote Zimmer
(Rudolf Thome, Deutschland 2010) – 8/10 (22), Kino (35mm)

25.04.2011: Töte alle und kehr allein zurück / Ammazzali tutti e torna solo
(Enzo G. Castellari, Italien/Spanien 1968) – 8/10 (21), DVD*

23.04.2011: Sauna
(Antti-Jussi Annila, Finnland/Tschechien 2008) – 5/10 (14), DVD

22.04.2011: El puro / La taglia ê tua… l’uomo L’ammazzo io
(Edoardo Mulargia, Italien/Spanien 1969) – 9/10 (22), VHS**
Der ideale Karfreitagswestern: Eine großartig verlorene Karikatur der Passionsgeschichte des Revolverhelden schlechthin, die Ballade eines Abschieds ohne Wiederauferstehung – Il Dj(v)angelo secondo il Western. Ein ausführlicher Text folgt eventuell in der näheren Zukunft auf der Startseite.

20.04.2011: Django – Die Geier stehen Schlange / Sette dollari sul rosso
(Alberto Cardone, Italien/Spanien 1966) – 7/10 (19), DVD
Wenn ein Darsteller überchargiert, bietet die Englische Sprache die schöne Phrase „chewing the scenery“. Sleaze-König Fernando Sancho erhebt das im vorliegenden Werk zur Ultrakunst. Sobald er in diesem sonst besonders stark (und mit überraschendem Erfolg!) nach amerikanischen Vorbildern schielenden Film als dröhnend dauerlachendes und die Schmalzlocken schüttelndes Monstrum den Bildquader betritt, ist alles aus.

19.04.2011: Zwei Teufelskerle auf dem Weg ins Kloster
(Ernst Hofbauer, BRD/Italien/Kolumbien 1975) – 8/10 (21), Kino (35mm)
Dieser Film determiniert den Zeitlupen-Prügelflug wie er in exakt gleicher Anordnung auch in KARATE, KÜSSE, BLONDE KATZEN und DSCHUNGELMÄDCHEN FÜR ZWEI HALUNKEN anzutreffen ist, endgültig als den geheimen, innehaltenden „money shot“ der Hofbauerschen action-en-scêne, ebenso wie unser „Ernst des Lebens“ hier seinen ungeheuren Fetisch für surrealistische Nachvertonungen orgiastisch auslebt: Pausenlos läuten die Glocken, pfeifen Kessel, ratschen Reißverschlüsse und hallen die Pauken, wenn der dufte Jeff und der dufte Jim ihre akrobatisch verabreichten Ultra-Backpfeifen austeilen. Besonders der als Stuntman zu Ehren gekommene Alberto Dell’Acqua lässt den Film in den brillanten Schlägereien als schwindelerregende Turnstunde zu sich kommen, während der Rest leider trotz gewohnt nahrhaft-präziser hofbäuerlicher sleaze-en-scêne bisweilen den Anschein erweckt, als habe man den Film in aller Eile am Set in Kolumbien geschrieben, um ihn noch schnell mit dem Restgeld der DSCHUNGELMÄDCHEN zu drehen.
Neben einem dezent enervierenden Effekt, der insbesondere auf eine besonders beharrliche Aneinanderreihung der altersschwächsten Slapstick-Gags zurückgeht, bezaubert aber gerade das Krude und Unmittelbare vieler improvisiert wirkender Momente und weist Hofbauer abermals als Meister aller Filmkampfklassen aus, der sich nicht nur auf Tempo, sondern auch eine unwiderstehliche Verführung zum hedonistischen Gammeln versteht. Und wieder einmal auch auf Gleaze (= Homoerotik), da erneut keine Gelegenheit ausgelassen wird, sich an den muskulösen Oberkörpern und den ausgebeulten Beinkleidern von Dell’Aqua und Wolf Goldan zu weiden, seien sie nun mit Erdöl beschmiert, von Schweiß gebadet oder in Drag gekleidet. Oder gar – ein unvergessliches, ikonisches Hofbauer-Tableau! – rücklings von einem Faultier am Hintern ergriffen! An errötend zweideutigen Situationen mangelt es nicht, ganz im Gegensatz zu den im Vergleich häufig herangezogenen Spencer/Hill-Komödien. So ist dieser Film auch in seiner ziellosen, aber unentwegt extremen Slapstick-Verköstigung auch ein noch visuellerer Film als der Vorgänger und die meisten komödiantischen Arbeiten Hofbauers – Kino als selbstblätterndes Comicheft! Das dieses lotterliche Werk trotz seiner Ziellosigkeit und dem fahrig gekitteten Drehbuch keinen Schandfleck im Ernsten Oeuvre darstellt, ist daher primär der schmissigen Spielfreude seiner Darsteller – in diesem Film insbesondere Rinaldo Talamonti, dessen Groupies hier Freudentränen vergießen dürfen – und der furchtlosen Spontaneität und „Hauruck!“-Attitüde von Hofbauers empathischer Regie zu verdanken. Eine Sternstunde filmischer Albernheit und Infantilität.

19.04.2011: The Night of the Serpent / La notte dei serpente
(Giulio Petroni, Italien 1970) – 10/10 (24), DVD
Als einer der wenigen „A“-Italowestern seines Jahrgangs hat es ausgerechnet dieses Meiiiiiiiisteeeerweeeerk damals nicht in die deutschen Kinos und auch später nicht in die Videotheken geschafft. Vielleicht aus Mangel an bekannten Namen, vielleicht weil man ihm keinen derben „Django“-Titel verpassen konnte, vielleicht hielt man ihn für zu „actionarm“, zu „soft“ und zu „anspruchsvoll“, zu sehr für ein „Weichei“. In jedem Fall tragisch, denn das hier ist ein Fall von absolut unwiederholbarer, einmaliger Italowestern-Ultrakunst, die ganz und gar isoliert für sich stehen kann und im Gegensatz zu Petronis ewigem Klassiker VON MANN ZU MANN sich von allem derivativen Ballast und LiebLeoneÄugeleien befreit. Es ist ein melancholischer Italo-Spätwestern als prophetische Frühgeburt – Jahre vor Michele Lupos CALIFORNIA, vor Enzo Castellaris KEOMA, vor Sergio Martinos MANNAJA, vor Lucio Fulcis SILBERSATTEL und vor Monte Hellmans CHINA 9, LIBERTY 37.
Soviel Euphorie schreit nach einer umfangreicheren Lobeshymne. Vielleicht demnächst auf der Hauptseite.

18.04.2011: Satans heiße Katzen / The Female Bunch
(Al Adamson, USA 1970) – 6/10 (17), Kino (35mm)*
In der ersten Hälfte ein liebreizend ordinäres Schundfest, kippt der ganze brav exploitative Reigen um die scharfen Teufelsweiber spätestens mit dem „Tod“ des unnachahmlich dringlichen, ungeheuer gefühlvollen Lon Chaney in der tristen zweiten Hälfte, in der mich weder die dreckige deutsche Synchronisation noch das reizvolle 35mm-Erlebnis darüber hinwegtrösten konnten, dass Adamson, in der Tat ein miserabler und fantasieloser Handwerker, in keinster Weise befähigt oder beflissen ist, seiner ausgelatschten Banalitätenparade mehr als 08/15-Exploitation-Szenarien und -Abläufe abzuringen wie sie schon 1970 eher Fett und Falten angesetzt hatten. Ich beuge mich dem Kanon und sage: Dann doch lieber Russ Meyer oder gleich ein faszinierendes filmisches Massaker wie bei Herschell Gordon Lewis. Wer entweder eine besondere, persönlich Affinität dazu oder aber davor wenige bis gar keine amerikanischen Exploitation-Filme dieser Zeit gesehen hat, kann sich vermutlich königlich amüsieren mit diesem „überlangen BH-Werbespot“ (Zitat aus dem Publikum), mir war das dann doch zu dünn, nicht lustig-doof sondern zu enervierend-doof und ich hätte gerne, um es im verlangenden, begehrlichen Sano-Modus zu sagen, „noch meeeehr“ gehabt.

17.04.2011: Carrie
(William Wyler, USA 1952) – 10/10 (24), DVD
Liebes Sehtagebuch,
heute habe ich nach einigen trockenen Monaten einen Film gesehen, bei dem ich hemmungslos weinen musste. Das war zwar ein bischen komisch, weil ich über Laurence Olivier geweint habe – und wie du weißt, mag ich Laurence Olivier meistens nicht so sehr – aber so doll hat es mich wirklich schon lange nicht mehr erwischt – fast peinlich, sich so zu vergessen, das alles fließt! Du kennst mich ja: Filme, in denen Menschen ohne Rücksicht auf Verluste durchs Feuer gehen für Liebe als ephemere Utopie, um dann doch verbrannt in der Asche liegen zu bleiben, solche Filme kann ich oft kaum ertragen. Ich habe ganz schön gelitten, das kannst du mir glauben. Aber für so einen Film leide ich natürlich mit Wonne. Habe ich dir schon erzählt, dass der Film nur einen Zoom enthält, der einer der besten Zooms überhaupt sein könnte? Der kommt in der Szene, als Carrie es einfach nicht fertigbringt, aus dem Zug zu steigen, um George zu verlassen und ist nur sehr kurz und langsam, aber nicht sehr. Ich verliebe mich wegen solchen Sachen einfach jedes Mal aufs Neue in William Wyler, obwohl er so ein schrecklich brutaler Regisseur ist, dauernd so unnahbar konzentriert und immer so schadenfroh Gesellschaftskritik übt. Aber gerade das macht es doch total erstaunlich, dass ich bei seinen Filmen am Ende immer in einer Salzwasserlache sitze, oder nicht?

17.04.2011: Garringo – Der Henker
(Rafael Romero Marchent, Spanien/Italien 1970) – 7/10 (20), DVD*
Und rein zufällig gleich noch ein Western von Rafael Romero Marchent. Eigentlich auch banal gesprochen der deutlich bessere, interessantere Film als …UND SANTANA TÖTETE SIE ALLE, doch er will ein wenig zuviel von seiner Selbstjustizgeschichte, deren mögliche, ungeheuer verschwurbelte moralische Dunkelzonen er lange vor meinem anerkennenden Auge hegte und pflegte, nur um sie dann genau im falschen Moment in die schwarzweiße Zone zu ziehen. Das ist ärgerlich, vor allem, da die beiden Kontrahenten auch noch von Engelsgesicht Peter Lee Lawrence und Stoiker Anthony Steffen gespielt werden, zwei Dauerbeschäftigten im Genre, deren Besetzung ein Clou gewesen wäre, hätten die Drehbuchautoren keine kalten Füße bekommen. So enttäuscht das eher farblose und abermals, wie auch in …UND SANTANA TÖTETE SIE ALLE unangenehm den Zeigefinger schwingende letzte Drittel ob der bis zum Zerreißen gespannten Offenheit der ersten beiden ungemein und reißt den Film in die Durchschnittlichkeit. Ich würde gerne meine eigene, plakativ destruktive Schnittfassung erstellen, in der Lawrence und Steffen sich am Ende entweder in einer nicht enden wollenden, enervierend montierten Zeitlupensequenz zu elektronischem Gekreische gegenseitig schächten oder zu fröhlichem Banjo-Getingel à la IL NERO von einer aufgebrachten Meute gelyncht werden.
Sehr schön nichtsdestotrotz wieder der Score von Marcello Giombini und die faszinierend distanzierte Kameraarbeit von Aldo Ricci, dessen kleine Filmographie sich recht bizarr liest: Vom Kameraoperateur bei FÜR EINE HANDVOLL DOLLAR über SÜPERMENLER (aka TURKISH SUPERMAN) mit Cüneyt Arkin bis hin zum bitterschmierigen Ende in Gestalt der liebenswerten, trashigen Softpornos von Mario L’OSSESSA Gariazzo Ende der 80iger. Also zwar eine kurze Filmographie, aber eine ganz besonders erlesene! Man kann nur neidisch erblassen.
Übrigens ist der gesamte Film in ansehnlicher Qualität auf YouTube bewundern, allerdings natürlich nur in der englischen Synchronfassung.

16.04.2011: Eine Stadt wird erpresst
(Dominik Graf, Deutschland 2006) – 9/10 (24), DVD
Graf rettet mit Grazie der sterbenden Kunst des Zoomens das Leben in diesem frenetischen Meisterwerk, neben seiner Güte als Genre-Ultrakunst (und oneironautischem Essay über den europäischen Genrefilm der 70iger), auch einer der besten deutschen Geschichtsaufarbeitungsfilme (leider konnte ich noch keine Rezensionen aus dem Feuilleton ausfindig machen) der letzten 10 Jahre.

15.04.2011: Goobye, South, Goodbye / Nan guo zai jian, nan guo
(Hsiao-hsien Hou, Taiwan 1996) – 4/10 (11), Kino (35mm)
Hat mich, abgesehen von gelegentlich vorbeiziehenden Nebelschwaden von Ultrakunst, weder inspiriert, fasziniert, stimuliert, bewegt, interessiert oder zumindest ausreichend verärgert. Ein Film, der den Normen seines ästhetischen Modells mustergültig folgt und dadurch sein eigenes Klischee gebirt. Vielleicht wird mir eine Zweitsichtung irgendwann mehr offenbaren, da ich mich während dieser ersten zugegebenermaßen in physisch miserabler Verfassung befand, doch mein Geist war wach – und er wurde betäubt.

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„Es gibt das Niedere in der Kunst, das Gemeine, das ich das Böse nenne. Das ist heute so frech und so weltbeherrschend. Man meint, man habe 1945 das Böse besiegt. So heißt es nach demokratischer Lesart. Man lügt und betrügt, aber man ist kein Nazi. Ich möchte behaupten, daß das Böse heute viel schlimmer ist, weil ihm die Leidensfähigkeit abgeht.“
„Der eine macht das, der andere das. Nicht jeder kann Künstler sein. Ich bin gegen Vermengungen. Es gibt eben doch Stände.“
„Eigentlich hätte es unter Hitler große Kunst geben müssen. Warum es sie nicht gab, das ist die Frage. Ich glaube, der Grund ist, daß Hitler sich selbst, seinen Staat, zum Kunstwerk erheben wollte.“
„Sie ist die Theaterfrau. Ich bin der Filmmann. Sie akzeptiert mich und wird von mir geschändet mit Plastikkunst.“
Ja, ist denn das alles auf Band? Ich fürchte, ich habe vielleicht doch etwas zu viel geplaudert.“ – Hans-Jürgen Syberberg in einem völlig unfassbaren Interview, welches mir mehrmals donnernd die Hose platzen ließ. (danke, CARGO)

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15.04.2011: Drei Halunken und ein Halleluja / Roy Colt e Winchester Jack
(Mario Bava, Italien 1970) – 9/10 (22), DVD
Ich kenne die beiden Italowestern, die Bava in den 60igern drehte, leider noch nicht – aber ROY COLT E WINCHESTER JACK scheint mindestens ebenso vielgeschmäht wie selbige zu sein, was mir spanisch vorkommt. Schließlich ist er bei weitem nicht der einzige Italowestern, der sich breitseitig im Blödel-Humor suhlt. Laut Bava sah das ursprüngliche Drehbuch eine ernste Rachegeschichte vor, wurde dann aber von ihm im improvisatorischen Eilverfahren zugunsten eines parodistischen Ansatzes verworfen, da er es als „langweilig und grotesk“ empfand. In dieser Interpretation ist der entgegen der Behauptungen ignoranter Fans sehr wohl sehr Bavaesk und famos kristallin fotografierte Film gewiß nicht langweilig, wohl aber höchst grotesk und für Bava-Verhältnisse schockierend anzüglich. Bisweilen entsteht der Eindruck, man würde einer Theateraufführung beiwohnen, bei der man auch den Beleuchtern, den Ausstattern und den Souffleuren bei der Arbeit zusehen kann: Postmoderne!
Bava, neben seinem so geschätzten, romantischen Traumfilm-Schangel auch stets für „comic relief“ zu haben, kommt vollends zu sich in einer brillanten, ganz und gar wahnsinnigen, 10minütigen Slapstick-Kanonade, die sich über die gesamten Räumlichkeiten eines Bordells erstreckt und Blake Edwards die pikierte Schamesröte ins Gesichts getrieben hätte.
Ernüchternd der Score von Easy Listening-König Piero Umiliani, der hörbar noch weit weniger mit dem Genre anfangen kann als der Regisseur.
Bemerkenswert der häufige Einsatz skurriler Matte Paintings (u. a. eine Miniaturausgabe von Monument Valley!), den ich so noch in keinem anderen Italowestern gesehen habe und der eindeutig auf Bava, den Matte Painting-Fetischisten, zurückzuführen ist.
Bemerkenswert ist außerdem und ganz besonders die burschikose Heroine Manila, gespielt von der herb-bezaubernden Marilu Tolo, die hier als heiratswütiges Halbblut die in der deutschen Fassung titelgebenden Halunken das Fürchten lehrt und den stinkenden Winchester-Jack vor dem Liebesspiel mit vorgehaltener Pistole zum Baden zwingt…
Aus dem Stand ein neuer Lieblings-Italowestern und ganz sicher nicht der verschweigenswerte Betriebsunfall, als den Bava-Fans ihn oft hinstellen. Gäbe außerdem ein schönes Double-Feature ab mit DER TOD ZÄHLT KEIN DOLLAR, dem bizarren Anti-Italowestern von Bavas Lehrmeister Riccardo Freda. Im Gegensatz zu seinem Mentor zieht sich Bava allerdings mit deutlich weniger grummeliger Qual und sichtlich größerem, kichernden Genuß aus der Affäre.

15. 04. 2011: …und Santana tötete sie alle /
Lo irritarono… e Sartana fece piazza pulita

(Rafael Romero Marchent, Spanien/Italien 1970) – 9/10 (20), DVD *
Die erste Ultrasleaze-Offenbarung meiner Italowestern-Retrospektive. Nichtsahnend ließ ich die vor drei Jahren gebraucht für 2 Euro erstandene und seither Staub ansetzende DVD in mein Laufwerk gleiten, nur um sofort ohne Vorwarnung in eine Backpfeifen-Parade geworfen zu werden: Eine Brandt-Synchro! Eine echte!
Damit war der Film als orgiastisch-schmierige Sprücheklopferei natürlich von vornherein zum Erfolg verurteilt, obwohl ich nicht bezweifle, dass auch die Originalfassung durch den überbordenden Buddy-Sleaze bereits hosengefährdendes Potenzial besitzt. Leider ist das Ganze visuell etwas steril geraten – was allerdings in Anbetracht der Tatsache, dass Rafael Romero Marchent zwischen 1966 und 1973 insgesamt 12 Western inszenierte (!) nicht allzu sehr erstaunt. Trotzdem ein dufter Spaß, auch wenn das stellenweise doch sehr eindeutige, miefige Moralisieren über Geschlechterrollen und Beziehungsmodelle nicht so recht eins werden will mit dem verniedlichten, hemmungslosen Augenzwinker-Zynismus, der in dieser speziellen Ausprägung bisweilen eher an Hollywood-Action der jüngeren Zeit denn an die Western-Klamotten seiner eigenen erinnert.
Besonders toll: Der Score von Marcello Giombini, einer Art B-Genie, das sogar dann noch Größe bewies, wenn es, wie hier, mit debilen Tingeleien zugange war.

14.04.2011: Die Nadel / Igla
(Rashid Nugmanov, UDSSR 1988) – 8/10 (22), DVD

12.04.2011: Knie nieder und friß Staub / Anda muchacho, spara!
(Aldo Florio, Italien/Spanien 1971) – 9/10 (23), DVD*
Ein idealer Schwesternfilm für Giulio Questis brachiale Apokalypse TÖTE DJANGO, etwas feingeistiger, viel aufwändiger, dezent anachronistisch besetzt, irritierend verletzlichen Figuren, furios erzählt, noch marxistischer und von einer eigentümlichen, kühlen Passivität, möglicherweise poetischer Realismus. Fabio Testi ist im Eastwood-Outfit so sexy wie nie zuvor, Eduardo Fajardo gibt eine famos Kinskieske Vorstellung als frigider Gentleman-Villain und der (nicht zuletzt von seinen Auftraggebern) stets unter Wert verkaufte Bruno Nicolai lebt hingebungsvoll schwelgerisch alle epischen Gelüste aus, die ihm solange vorenthalten blieben, weil für die großen, epischen Italowestern stets sein Mentor Ennio Morricone verpflichtet wurde. Grandiose Parallelmontagen zwischen Gegenwart und Vergangenheit kitzeln das Schangel-Herz. Eine weitere Italowestern-Ultraoffenbarung auf meinem neuen Weg zum Italowestern-Fan, den ich in mir nie vermutet hätte.
Das Interview mit dem angenehm bescheidenen Aldo Florio auf der deutschen DVD gewährt einen faszinierenden Einblick in die Mechanismen und die unberechenbare Logik der italienischen Genre-Produktion dieser Zeit. Und das bis hin zu einem Punkt, an dem Florio, ganz unsleazig und nüchtern, für einen Moment ins Schwärmen über die Brüste der Hauptdarstellerin gerät, die er für diesen Film aus einem „drittklassigen“ Theater in Madrid direkt an den Set holte.

11.04.2011: Deine besten Jahre
(Dominik Graf, Deutschland 1998) – 9/10 (22), VHS
Extrem unfassbar. Der Auftakt, das gesamt erste Drittel: Wie eine Rosamunde Pilcher-Verfilmung, klebrig bis zum Gehtnichtmehr, Spielberg fürs Taschenformat (Zitat Graf: „Das, was die Herzen der Redakteure höher schlagen lässt.“). Aus dieser grotesken und heiklen Situation heraus offenbart sich jedoch mit plötzlicher Härte ein im das bürgerliche Setting zersetzenden und überhöhenden Wahnsinn torkelndes Ultramelodram mit Gothic Horror-Einschlag. Einige Momente erinnern ganz direkt an Grafs großartigen Debütfilm DAS ZWEITE GESICHT, in einer seiner surrealen Traummontagen finden sich die wohl offensichtlichsten Referenzen an Mario Bava, die je ein deutscher Fernsehfilm erbracht hat. Martina Gedeck, die eben doch eine ziemlich tolle Schauspielerin ist, egal in wievielen LEBEN DER ANDEREN und BAADER-MEINHOF KOMPLEXEN sie auch herumdöst, mäandert nach dem Tod ihres Mustergatten und ihres Mustersohnes, wie im Fieber durch ihre Villa und als verwirrte „damsel in distress“ durch mystische Gassen und Wälder, ihre einstigen Wegbegleiter als Gruselfratzen um sich starrend und lächelnd. Wie es sich für ein klassisches Suspense-Melodram gehört, ist ihre Figur ebenso anstrengend naiv und treudoof wie auch imponierend robust, instinktiv und in der Lage, als in die Enge getriebene Furie, alles um sich herum plattzumachen.
Ein immens bizarres Ding. Vom Musterbeispiel einer biederen TV-Seifenoper hin übers hysterische Melodram bis zum schlingernden Horrorfilm – so etwas kann ich unmöglich widerstehen. Außerdem muss es eigentlich ja ohnehin schon zu Unglaublichem führen, wenn sich im Deutschland der 90iger jemand wie Graf die frühen amerikanischen Hitchcock-Filme vorknöpft.

10.04.2011: Mondo Cane 2000 / La vie nouvelle
(Philippe Grandrieux, Frankreich 2002) – 5/10 (14), DVD

09.04.2011: Der Skorpion
(Dominik Graf, Deutschland 1997) – 8/10 (21), Kino (35mm)
In vorbildlicher 35mm-Projektion offenbart sich besonders eindrücklich, wie kinotauglich und teilweise auch fernsehuntauglich Grafs Fernsehfilme tatsächlich sein können: DER SKORPION ist ein fiebrig-muffiges Gespinst aus automatisierten Bewegungen von Menschen in finsteren Innenräumen und ineinanderknickenden Linien und fließendem Verkehr in den Außenaufnahmen, fast wie in DIE KATZE oder bei Henri Verneuil. Der großartige, Giallo-artige Vorspann zu Verdis „Dies irae“ (selten so überraschend und, jenseits martialischer Gelüste, psychologisch eingesetzt wie hier) sorgt schon für Gänsehaut. Die Exposition der ersten Hälfe ist hochkonzentrierte Erzählökonomie, in der zweiten Hälfte, in der Heiner Lauterbachs mit überragend konzentrierter und dabei doch träger Manie von Marek Harloff gespielter Sohn sich in einen amphetamingetränkten Dauerrausch begibt, triumphiert dann aber Günther Schütters schleichender Surrealismus auf Bild- wie Dialogebene und zaubert eine verstrahlt-esoterische und sleazige Überraschung nach der Nächsten aus dem Hut, wozu Graf ein Feuerwerk seiner liebsten Formliebkosungen abbrennt. Erstaunlich ist, wie ranzig, versifft, roh und trist der Film dabei bleibt und sich unerschütterlich der Fernsehregel „Schöne Menschen müssen an schönen Orten schöne Dinge tun“ entgegenstellt. In vieler Hinsicht einer von Grafs häßlichsten und unappetitlichsten Filmen, aber selbstverständlich im Guten. Wo der Schweiß von der im Neonlicht fahlen Stirn tropft und die Wurstsemmeln am Porno-Set herumliegen, da laß dich nieder! Die alltagsexistenzialistische Komponente in der gelangweilt ruppigen Beziehung zwischen Lauterbach und seinem Sohn kommt wohl dem sehr nahe, was Graf in dem wunderbaren „Sight & Sound“-Interview über die Schwierigkeit deutscher Polizisten als Filmfiguren sagt. Lieblingszitate: „Mir fehlt der Schlüssel zu deiner Traurigkeit“ und „Elefanten sind bescheiden und schamhaft“.

09.04.2011: Das Auge des Sleaze / Casa d’appuntamento
(Ferdinando Merighi, Italien/BRD 1973) – 8/10 (18), DVD*

09.04.2011: Verflucht / Cursed [2]
(Wes Craven, Bob Weinstein, Harvey Weinstein, USA 2005) – 8/10 (21), DVD*

08.04.2011: 2x Dominik Graf-Ultrakunst:
Der Fahnder – Nachtwache
(Dominik Graf, Deutschland 1993) – 9/10 (23), Kino (Digital)
Polizeiruf 110 – Der scharlachrote Engel
(Dominik Graf, Deutschland 2005) – 9/10 (22), Kino (Digital)

08.04.2011: Silbersattel / Sella d’argento
(Lucio Fulci, Italien 1978) – 9/10 (23), DVD
Die Teilnahmslosigkeit der deutschen Synchronisation führte nach nur wenigen Minuten dazu, dass ich auf die italienische Tonspur auswich. Zum ersten Mal überhaupt bei einem Italowestern. Ein ätherisches Erlebnis mit Suchpotenzial. Die lyrische Klarheit dieses unauffällig bizarren, ganz neuen und durch seine zugeknöpfte Selbstgenügsamkeit von vornherein zum unverstandenen Einzelgängertum verdammten Entwurfs eines „neuen“ Italowesterns, hätte keine Routine-Synchronisation so behalten können. Fulci, im Genre zwar kein „Regular“, aber mit zwei früheren Western doch erfahren, nimmt alles weg: Das todesselige Pathos, die schummrigen Scheunen und Dachböden, den Rausch der Rache, die weltlichen Ideale, die weltliche Resignation, die messianische Aura des einsamen Reiters. SELLA D’ARGENTO ist trotz der großen visuellen Gesten des genialen, genialen, genialen, genialen, genialen Sergio Salvati – für einen verkappten Formalisten wie Fulci der ideale Komplize – Understatement pur. Es grenzt daher an ein Wunder, dass er den tendenziell overstateten Italowestern in sich mit Erfolg bewahrt, zumal der Film im Kern ein „Buddy movie“ eher amerikanischer Prägung ist – ein wenig sentimentales, eher versonnenes und wenig ausbuchstabiertes zwar, aber nichtsdestotrotz. Die Freundschaft zwischen Roy und dem kleinen Thomas Barett, ebenso wie die in ihrer Gesamtheit kaum wahrzunehmenden Städte und die Reinheit der isolierten Wüstenstädte und Farmen, durch die die Reise zur Rache sie führt – das hat dieses schwer fassbare Fulci-Etwas eines gleichmütig vollzogenen Neubeginns nach der völligen Vernichtung, z. B. nach einer Eiszeit. Keine präsente, nachvollziehbare oder reale Vernichtung, nur eine Vernichtung, die Assoziationen in die Vergangenheit nicht mehr zulässt, alte Orte ausrottet und die nicht die Mühe des Neubeginns sondern seinen Mangel an Profil beschreibt. SELLA D’ARGENTO ist kein Requiem eines sterbenden Genres. Hier wird keinem Glanz vergangener Tage nachgewein, keiner aussterbenden Lebensform ermüdeter Westmänner. Der wahre Racheakt eröffnet den Film und wird lapidar und realistisch schnell abgefrühstückt.
In Fulcis sauberer, hell erleuchteter, vom Winter noch kahlgeschorener, karger und von jungen Menschen bevölkerten, hellgrünen Prärie gibt es keinen Glanz vergangener Tage. Der Glanz muss überhaupt erst kommen, dann kann er vergehen und dann kann er irgendwann einmal glänzen. SELLA D’ARGENTO könnte, sieht man von dem trashigen Pop-Titelsong ab, auch in den späten 80igern oder letztes Jahr gedreht worden sein. Das ist mein voller Ernst. Aus der Historie und den ästhetischen Philosophien des Italowesterns klinkt er sich völlig aus – wenn er dann einmal den Sollima oder den Castellari heraushängen lässt, entsteht beinahe ein entfremdender Hohlraum. Ein Hohlraum in einem Italowestern, der keiner ist, jedoch selbstverständlich so tut, als sei er einer. Aber dafür nimmt er, ganz ohne Ironie, Rippenstoß und Augenzwinkern, nicht ernst genug, was er zeigt. Stattdessen spielt er eine eigenartige, von Romantik scheinbar befreite, kühle Klarheit aus gegen die Unwirklichkeit seiner generischen Geschichte, welche das überdurchschnittliche Drehbuch des interessanten Adriano Bolzoni (QUARTA PARETE, 1969) mit aufrichtigem Interesse und versuchter Romantik zum Leben erweckt.
Und vermutlich schreibe und schreibe ich hier schwurbelig und platt in der Gegend herum, ohne wirklich auch nur anzudeuten, was mich an diesem Film so maßlos fasziniert und irritierend bewegt hat – dieses „kaum hörbare Flirren“, dieses „kaum sichtbare Leuchten“, dieses „tonlose Summen“, diese „realistische Künstlichkeit“? Mir fehlen die Worte, der Film ist elusiv, ephemer, oneironautisch.
Ich hätte es gar nicht erst versuchen sollen.

07.04.2011: Andrea – Wie ein Blatt auf nackter Haut
(Hans Schott-Schöbinger, BRD 1968) – 9/10 (22), VHS
Unwiderstehlich: Die blutjunge Dagmar Lassander (leider in diesem Film von einer fürchterlichen Frisur verunstaltet) als biestige Femme fatale im goldenen Käfig, die alles vernascht, was ihr vor die Flinte kommt: Ihren Stallburschen (Arthur Brauss!!!), die Ehemänner ihrer Freundinnen und schließlich sogar einen rüden Westentaschengangster, gespielt von einem grandios prolligen Herbert Fux (!!!). Danach lässt sie sie alle gelangweilt fallen – ein proemanzipatorischer Kommentar? Da das aber alleine nach herkömmlichem Filmverständnis – Regisseur Schott-Schöbinger verdiente sich seine Sporen zuvor mit Heimatfilmen und frühen Sleaze-Vignetten wie NACKT, WIE GOTT SIE SCHUF (1958) – noch keinen Film macht, vollzieht diese Kette burschikoser Triebhaftigkeiten bizarre Sprünge in Richtung ruppiger Sex’n’Crime-Kolportage und Melodram: Am Ende darf sich Dagmar nach ihren vielen Abenteuern völlig unvermittelt nach einer panischen Jagd durchs Schilf in einen gesuchten Mörder (Hans von Borsody!!!) verlieben, doch der Auserkorene fällt der Polizei in die Hände, bevor sie mit ihm ein neues Leben anfangen kann. Die wilde Mixtur entwickelt sich über eine sagenhafte Laufzeit von nur 67 Minuten (in der gekürzten deutschen Videofassung) zum dekadenten Genuss, der von pastellenem Heimatfilm-Grandeur über ordinären, Hofbäuerlichen Rustikal-Sleaze bis hin zu schicker Erotik-Psychedelia ausholt. Opas Kino hat das aufkeimende Exploitationkino der späten 60iger selten so anziehend umarmt. Früher war alles besser #4.

05.04.2011: Liebe kann wie Gift sein
(Veit Harlan, BRD 1958) – 9/10 (23), Kino (35mm)
Originalton Sano nach Besichtigung dieses aufwühlenden Sittenfilms (ich habe diesen Term schon immer geliebt), sinngemäß: „Hätte man den Film genau so im dritten Reich gedreht, wäre er heute als Propagandafilm verschrien, die Darsteller hätten behauptet, zur Mitwirkung gezwungen worden zu sein und man würde den Film heute noch aufgeregt diskutieren und verdammen“.
Veit Harlans erregend-erschreckende Geschichte von der unschuldigen, jungen und hochanständigen Sabina Sesselmann, deren gesellschaftlicher und menschlicher Abstieg unaufhaltsam in rasantem Tempo voranschreitet, nachdem sie einem schmierigen Maler Aktmodell gestanden, ihre Unschuld an ihn verloren hat und der sie schließlich auf den Strich und zum Morphium bringt, steht – ebenso wie Harlans ein Jahr zuvor gedrehter, homophober Hetzfilm DAS DRITTE GESCHLECHT – selbstverständlich seinen NS-Filmen in Sachen teutonischer Menschenverachtung in nichts nach, besticht aber dabei als besonders zügelloses Beispiel des militant moralistischen, reaktionären altdeutschen Kino-Miefs der 50iger und so als in staubig-diabolischem Schwarzweiß gehaltene Sleaze-Atombombe, die vor schäbigen Anzüglichkeiten, Lüsternheit, vorgeblicher moralischer Empörung, vierschrötig doppeldeutigen Dialogen und entfesselten Altherrenbegierden nur so trieft und eine Entdeckung als frühes deutsches Exploitation-Meisterwerk mehr als verdient hat. Die durch die Bank hochnotprominente Besetzung gibt mit delirierender Spiellaune alles, um Harlans penetrative Vision vom infernalischen Ende der Unschuld in tiefster Sünde und Abkehr von Gott fleischliche Wirklichkeit werden zu lassen. Ein schweißtreibendes Filmerlebnis, an dessen Ende die (Schaden-)Freude am verlogenen „Speaze“ und „Beaze“ (Spießigkeits-Sleaze und Biedermeier-Sleaze) und den Perversionen von gestern den Ekel überwindet.

05.04.2011: Der Mann mit der Todeskralle / Enter the Dragon
(Robert Clouse, USA/Hongkong 1973) – 8/10 (21), Blu-ray

05.04.2011: Die jungen Ausreißerinnen
(Walter Boos, BRD 1972) – 7/10 (14), Kino (35mm)
Von allen Report-Filmen, die das Hofbauer-Kommando bislang genossen hat, ist dieser der unangefochten schmierigste, niederträchtigste und drastischste. Nach diesem Film müssen Sie an sich eine Ganzkörperdesinfektion vornehmen lassen.
Unschuldige deutsche Maderln, die in die Hände von „sexuell ausgehungerten Gastarbeitern“ gelangen, die in Hongkong „die Rechnung ohne den chinesischen Wirt gemacht haben“, in Beduinenzelten von schmutzig lachenden Turbanen mit fauligen Zähnen dauervergewaltigt und verstümmelt werden, in Rom als Edelprostituierte der schleimigen Filmwelt an der Nadel enden, in Pariser Bordellen an schwäbische Touristen geraten und zuguterletzt als Au pair-Mädchen bei einem sadistischen britischen General die Rute zu spüren bekommen. Jede Episode endet in der gleichen Moral: Zuhaus in Deutschland ist’s eben doch am Schönsten und im Ausland droht an jeder Ecke die totale Vergewaltigung durch Schimpansenartige Schlemihle. Da bleibt kein Auge trocken, keine Hose heil und mit der alles weggroovenden Musik von Gert Wilden sowie einem selten verkommenen Drehbuch des großen Hofbauer-Autoren Günther Heller platziert sich dieses Werk in der tiefsten Gosse. Allerdings gestaltet sich der Rassismus (bzw. der Rassleazemus) bisweilen derart extrem und nazistisch, dass einem der Wonnekloß stellenweise im Halse stecken zu bleiben droht. Daher ein leichter Abzug, aber ein kumpelhafter Schulterschlag für Walter Boos – der hat mit diesem grenzenlos asozialen Werk nicht nur seinen Mentor Ernst Hofbauer einen Film lang ins Reich der Träume verbannt sondern auch seinen Ruf in ET-Kreisen wiederhergestellt, nachdem das Hofbauer-Kommando ihn aufgrund von saubermeierischen, quälend unlustigen, biederen Sex-Schlomödien wie URLAUBSGRÜSSE AUS DEM UNTERHÖSCHEN oder MEI, HABEN DIE OSTFRIESEN RIESEN bereits an die Bedeutungslosigkeit verloren glaubte.

05.04.2011: Paprika / Papurika
(Satoshi Kon, Japan 2006) – 8/10 (21), Blu-ray

05.04.2011: Und Jimmy ging zum Regenbogen
(Alfred Vohrer, BRD/Österreich 1971) – 7/10 (20), DVD
Leider erliegt Alfred Vohrers elaborater Versuch einer breit angelegten Spionage-Geschichte mit Vergangenheitsbewältigungskolorit stellenweise doch oft dem Mief von Opas Kino, aber die sinnliche Kameraarbeit des wilden Charly Steinberger (ein Jahr zuvor auch für Zbyněk Brynychs großartigen DIE WEIBCHEN verantwortlich), das gewaltige Aufgebot altdeutscher Kultgötter (Ruth Leuwerik, Horst Frank, Judy Winter, Horst Tappert, Konrad Georg, Doris Kunstmann) sowie einige der wohl düstersten und deprimierendsten Sexszenen des Deutschen Films in klassischer „Der-Mensch-ist-nichtmal-im-Trieb-zuhaus“ Vohrer-Manier machen diesen ersten Simmel-Blockbuster doch zu einem Erlebnis, das stellenweise sogar seine Versprechungen melancholischer Verlorenheit beinahe einzuhalten vermag. Die DVD von Kinowelt glänzt übrigens, ganz im Gegensatz zur überwältigenden Mehrheit ihrer lieblosen Veröffentlichungen älterer Deutscher Filme, mit einer nagelneuen, leider aber nicht korrekt auf 1:1,66 maskierten sondern im rohen Vollbild belassenen, exzellenten 35mm-Abtastung – für alle, die es interessiert.

04.04.2011: Das jüngste Gericht / Di yi lei xing wei xian
(Tsui Hark, Hongkong 1980) – 10/10 (24), Kino (35mm)*
Der WEEKEND des Hongkong-Kinos, totale Weltuntergangsstimmung, ein solitärer Neuentwurf filmischen Surrealismus und absurde Genre-Avantgarde von traumatischer Intensität und Wut. Eine meiner wahrhaftigsten Kino-Erfahrungen der jüngsten Zeit, leider stark beschädigt durch eine bodenlose deutsche Synchronisation, die wohl direkt von einer Videotheken-VHS der frühen 90iger ihren Weg auf diese Kinokopie gefunden haben muss.

04.04.2011: Sein Name war Schlock – aber sie nannten ihn Oje /
Il suo nome era Pot

(Demofilo Fidani, Italien 1971) – 5/10 (14), VHS*

04.04.2011: Bel Ami 2000 oder Wie verführt man einen Playboy?
(Michael Pfleghar, BRD/Österreich/Italien 1966) – 9/10 (22), DVD

03.04.2011: Das Gesetz der Begierde / La ley del deseo
(Pedro Almodóvar, Spanien 1987) – 4/10 (11), Kino (35mm)*

03.04.2011: Unter Geheimbefehl / Panic in the Streets
(Elia Kazan, USA 1950) – 8/10 (21), Kino (35mm)*

01.04.2011: Sehnsucht / Touha
(Vojtěch Jasný, Tschechoslowakei 1958) – 9/10 (22), DVD
Viele Western würden vor Neid erblassen angesichts der gewaltigen, unheimlichen Landschaftsbilder, mit denen Jasný einen hier erschlägt – später Glanz vielleicht, weil dieser schwarzweiße Episodenfilm ruhelos um das Motiv der Landflucht kreist, der ausbrechenden Jungen und der zwischen Feld und Scheune sterbenden Alten. Besonders groß die dritte Episode „Angela“, an deren Ende sich eine unnachgiebige Bäuerin, die nicht bereit ist, mit ihrem Hof der Dorfgemeinschaft beizutreten, auf ihrem Acker mit dem Pferdepflug aus Sturheit beinahe zu Tode arbeitet, obwohl ihr Nachbar ihr gelassen-demonstrativ innerhalb weniger Minuten mit seinem Traktor alles gepflügt hat.
Ein fantastischer Heimatfilm, der nur von einem etwas inflationär eingesetzten und etwas sehr ohrenbetäubenden Score getrübt wird (der, für sich betrachtet, sicherlich als beachtliche Arbeit gelten kann). Und auch ein weiteres Indiz dafür, dass die Tschechen den Schangel verstanden haben wie kaum ein anderes europäisches Filmland


März

Buon compleanno, Andrea Bianchi! Grazie mille per il Ultrasleaze! (* 31. 03. 1925)

31.03.2011: Beichte eines Arztes / The First Legion
(Douglas Sirk, USA 1951) – 8/10 (20), VHS
Hadern mit Glauben und Zweifel, Sirk-Style. Ein wenig erinnert die dialoglastige filmische Askese und Ergriffenheit in Schwarzweiß, mit der hier hinter den Wänden eines Jesuiten-Klosters ausdauernd über ein vermeintliches Wunder diskutiert wird, an Bresson und Bergman. Aber nur ein wenig, denn obwohl THE FIRST LEGION einer der wenigen mehr oder minder unabhängig produzierten – und wohl auch günstigsten – Filme Sirks war und seinen Regisseur ungewohnt naturalistisch präsentiert, ist er – Gottlob! – dem fürs amerikanische Nachkriegskino typischen klerikalen Kitsch nicht abgeneigt und dadurch davor gefeit, einer Bergmanschen Andächtigkeit oder der penetranten Feierlichkeit eines THE SONG OF BERNADETTE anheim zu fallen.
Vor allem hat mich allerdings beeindruckt, wie unauffällig und würdevoll der Film seine Liebesgeschichte einflicht und sich unscheinbar, fast lautlos bewegt zwischen den zweifelnden Jesuiten, dem Protagonisten Arnoux (Charles Boyer) und dem „ungläubigen“ Arzt, der das Geheimnis des „Wunders“ kennt, mutwillig schweigt und in die gelähmte Terry verliebt ist (!), diese Ruhe vor dem Antlitz des Wahnsinns, das erreicht beinahe die unerklärliche, paradoxe Qualität des UFA-Sirk, die sich direkt aus seinen frühesten Melodramen in diesen im Grunde uramerikanischen Film gerettet hat.
Dass sich am Ende dann doch noch ein „echtes“ Wunder offenbaren muss, ist etwas schlockig aber Barbara Rush rettet ihre große Szene mit einem so inniglichen, aufzehrenden und intensiven Ausdruck von Sehnen und Begehren, dass die ästhetische Schallmauer durchbrochen, das fragwürdige Konzept transzendiert und Jennifer Jones‘ demutsvolle Trash-Performance in THE SONG OF BERNADETTE ihres Platzes verwiesen wird. Also doch eines dieser rahmensprengenden, großartigen Sirk-Enden, die den Griff zum Taschentuch unausweichlich machen. Ich sollte wieder mehr Sirk sehen – auch nach 22 Filmen (Im Herbst 2007 packte mich nach WRITTEN ON THE WIND eine Art Blutrausch) ist er mir immer noch ein faszinierend elusives Rätsel und ein cineastischer Sonderling wie THE FIRST LEGION weckt neuen Hunger – zumal er mit Sirks im gleichen Jahr entstandenen, ersten „großen“ Universal-Film, dem expressiveren und schangeligeren Nonnen-Drama THUNDER ON THE HILL ein angenehm krudes „Glauben und Hadern“-Doppel bildet, wobei mir besagter Film, häufig lapidar als Vehikel für Claudette Colbert abgewunken, noch etwas besser gefallen hat. Trotz der esoterischeren Natur des Vorgängers.

30.03.2011: Gang War in Milan / Milano rovente
(Umberto Lenzi, Italien 1973) – 1/10 (6), DVD
Die rührende Geschichte eines armen, aber charmanten und hübschen sizilianischen Emporkömmlings, der eigentlich nur ein guter Massen-Zuhälter mit den besten Löchern im Stall und in selbigem respektiert und verstanden sein will, ein dufter Typ also, der keinem was Böses will, ja auch von irgendwas leben muss und sich nebenher auch noch liebevoll um seine arme, kranke Mamma kümmert. Verdorben, in den Drogenhandel gezogen und bis zum tödlichen Fall gebracht wird diese arme, jungenhafte Unschuld vom Lande jedoch im großen Mailand von undankbaren, verlogenen, geilen Nutten im Lady-Kostüm, die ihn des Geldes wegen verraten, und gefühlskalten französischen Schwuchteln und Tunten-Fickern ohne italienische Ehre, die selbst die edelste aller Männerfreundschaften mit seinem alten Busenfreund und Zuhälter-Partner zerstören.
Unfassbar daneben. Diesen Film als „fragwürdig“ zu bezeichnen wäre eine groteske Untertreibung. Zu versuchen, ihm mit dem Argument, er sei doch „bloß ein Exploitation-Film“ die Ehre zu retten, fadenscheinige Ignoranz. Dass Lenzi hier rein inszenatorisch auf der absoluten Höhe seines Könnens operiert, kann nicht mehr als redeeming quality gelten, ganz im Gegenteil. Denn eine aristokratische Inszenierung eines proletarischen Films ist, ohne Fanboy-Brille gesehen, das Mindeste, was man von ihm erwarten kann.
Das zunächst nur enorm ärgerliche, dann unangenehm manipulative und schließlich in seiner dreisten romantischen Verklärung und sentimentalen Verschleierung erschreckend faschistoide Machismo, dass hier in jeder nur erdenklichen Hinsicht selbst im Kontext des ohnehin mit einem sehr satten Maß von grundsätzlicher ideologischer Zwiespältigkeit belasteten – und gerade daher von mir oft nachsichtig rezipierten – italienischen Kriminalfilms dieser Tage die Grenzen des Erträglichen und Verkraftbaren weit überschreitet, ist schlicht und ergreifend, ganz einfach, so richtig durchdringend, widerwärtig.
Wer über mein Verhältnis zum italienischen Genrekino und zu den weitgehend verehrten Poliziesci von Umberto Lenzi im Bilde ist, der wird auch wissen, was solche Worte aus meinem Mund bedeuten. Wenn ich nun direkt vergleiche mit Romano Scavolinis zeitgleich entstandenem, kürzlich von mir sehr genossenen SERVO SUO, einer unfeierlich nüchternen, trockenen Hitman-Odyssee, die das Bedeutungslose der Maskulinität ihres Protagonisten mit sichtlichem Schalk auskostet, bin ich gleich nochmal schockierter und sage angeekelt „Bäh! Mainstream!“ zu MILANO ROVENTE.

29.03.2011: Die Terroristen!
(Philip Gröning, Deutschland 1992) – 8/10 (21), Kino (35mm)

28.03.2011: Victor/Victoria
(Blake Edwards, USA/GB 1982) – 9/10 (22), DVD

27.03.2011: 13 Assassins / Jûsannin no shikaku
(Takashi Miike, Japan/GB 2010) – 9/10 (23), Kino (Digital)

27.03.2011: Afternoon – Stunden der Leidenschaft /
Undici giorni, undici notti 3

(Joe D’Amato, Italien 1987) – 8/10 (15), VHS *

27.03.2011: Brigadoon [2]
(Vincente Minnelli, USA 1954) – 9/10 (22), DVD

26.03.2011: Cannibal Man / La semana del asesino [2]
(Eloy de la Iglesia, Spanien 1972) – n/b, Kino (35mm) *

25.03.2011: Die Weibchen
(Zbyněk Brynych, BRD/Frankreich/Italien 1970) – 10/10 (23), VHS

25.03.2011: Unter der Milchstraße
(Matthias X. Oberg, Deutschland 1995) – 7/10 (19), VHS

25.03.2011: Essential Killing
(Jerzy Skolimowski, Polen/Frankreich/Ungarn/GB 2010) – 8/10 (21), Kino (35mm)

25.03.2011: The Ballad of Tam Lin
(Roddy McDowall, GB 1970) – 10/10 (24), VHS
„What a terrible film! It’s no wonder this is Roddy McDowall’s only directorial effort ever; it’s the kind of film nobody sees/likes/understands, and has only one category of possible defenders: those who like the „It’s-incomprehensible-so-it-must-be-profound“ school of filmmaking (examples: „Don’t Look Now“, „The Shout“).“
Aus der IMDB
„Outstanding! Ravishing! Haunting! Touching! Surreal! Outrageous! Sensual! Diverse! Poetic! Hilarious! Elusive! Terrifying! Original! Psychedelic! Ungraspable! Romantic! Comforting! Disturbing! Enchanting! Personal! Obscene! Gentle! Unique! Mean! Bewitching! Abstract! Seductive! Mythical! Lovely! One of a kind! Inexplicable! Incomprehensible! It’s profound beyond reach!
– Aus meinem Gedankensalat

24.03.2011: Geheimauftrag CIA – Istanbul 777 / Coplan FX 18 casse tout
(Riccardo Freda, Frankreich/Italien 1965) – 6/10 (17), VHS *

23.03.2011: 3 Kugeln für Ringo / 3 colpi di Winchester per Ringo
(Emimmo Salvi, Italien 1966) – 7/10 (19), DVD *

22.03.2011: Dealer Connection / La via della droga
(Enzo G. Castellari, Italien 1978) – 7/10 (20), DVD *

22.03.2011: Lisa und der Teufel / Lisa e il diavolo [2]
(Mario Bava, Italien/Spanien/BRD 1973) – 10/10 (25), DVD

19.03.2011: Princess Sen and Hideyori / Sen-hime to Hideyori
(Masahiro Makino, Japan 1962) – 10/10 (24), DVD

19.03.2011: Dave – Zuhaus in allen Betten / Sinful Davey
(John Huston, GB 1969) – 9/10 (21), DVD

18.03.2011: Your Honor / Servo suo
(Romano Scavolini, Italien 1973) – 9/10 (22), VHS

17.03.2011: High Frequency – Tödliche Strahlen / Qualcuno in ascolto
(Faliero Rosati, Italien 1988) – 8/10 (20), VHS

16.03.2011: Das Mädchen aus dem Wasser / The Lady in the Water
(M. Night Shyamalan, USA 2006) – 9/10 (22), DVD

16.03.2011: Von Göttern und Menschen / Des hommes et des dieux
(Xavier Beauvois, Frankreich 2010) – 7/10 (20), Kino (35mm)

15.03.2011: A Cry in the Dark / Un urlo nelle tenebre
(Angelo PannacciÒ, Luca Damiano, Italien 1975) – 7/10 (15), VHS**

15.03.2011: Bis das Blut gefriert / The Haunting [2]
(Robert Wise, USA/GB 1963) – 9/10 (23), DVD

14.03.2011: Dirty Love / Amore sporco
(Joe D’Amato, Italien 1988) – 9/10 (13), VHS*

14.03.2011: Signs – Zeichen
(M. Night Shyamalan, USA 2002) – 9/10 (23), DVD

14.03.2011: Tödlicher Segen / Deadly Blessing
(Wes Craven, USA 1981) – 9/10 (22), DVD

13.03.2011: The Opening of Misty Beethoven
(Radley Metzger, USA 1976) – 8/10 (21), Kino (35mm) *

13.03.2011: A Ghost of a Chance
(Gorton Hall, USA 1973) – 7/10 (19), VHS

10.03.2011: Die jungen Wilden / The Young Savages
(John Frankenheimer, USA 1961) – 8/10 (21), DVD

Misanthropie und Fäulnis:
Altdeutsches Mief- und Tristesse-Double Feature (03. und 09. 03.):

Aus dem Tagebuch einer Siebzehnjährigen
(Jürgen Enz, BRD 1979) – 6/10 (0), VHS
Das Unheil
(Peter Fleischmann, BRD/Frankreich 1972) – 7/10 (18), VHS
Zwei Filme, die mir, obwohl ich sie mit einigen Tagen Abstand voneinander sah, keine andere Wahl lassen: Sie sind vor meinem geistigen Auge miteinander verschmolzen zu einem blauweiß karierten, riesigen Glibber-Monster, das mich mit einem riesigen Senf-Schlauch und überdimensionalen Weißwürsten durch einen finsteren Traum jagte.
Jürgen Enz, jener berüchtigte Nicht-Filmemacher, hinter dessen ausschließlich den niedersten Niederungen der Sexploitation zugewandten Å’uvre das Hofbauer-Kommando bereits seit längerem das Tor zu Hölle des deutschen Sexploitation-Kino vermutete, hat sich fürchterlicherweise als noch weit fataler und kastratorischer erwiesen als befürchtet und erhofft. Von seinem TAGEBUCH EINER SIEBZEHNJÄHRIGEM (Ein belgischer IMDB-User meint: „It appears to have been an earnest and heartfelt attempt by its spectacularly untalented director to make a movie that mattered.“) geht ein intensiver Ungeruch aus, wie von fauligem Obst oder einer seit einigen Wochen hinterm Heizkörper versteckten, toten Maus. In schwülstigen Monologen wie aus einem letztklassigen „erotischen“ Kitsch-Roman beschwört Enz in quälend statischen, abstoßend lustlosen und unappetitlich schäbigen, grenzenlos tristen, sterilen, häßlichen Bildern wie aus einem billigen Einrichtungskatalog, eine selbst an ihrem pornographischen Vorsatz völlig scheiternde, biedere Altherrenfantasie der besonders miefigen, deutschen Art: Von dem sexuellen Erwachen der jungen Elke, die, voll von „scheuer Sehnsucht“ durch diese filmgewordene Fantasie betagter BILD-Leser taumelt – eine noch nicht einmal lüstern inszenierte Mär von „taufrischen, erwachenden Körpern, die in Liebe erbeben“. Zitiert aus dem mittlerweile in ET-Kreisen bereits berüchtigen und begehrten – leider nicht im Netz zu betrachtenden – Original-Kinotrailer dieser braungelben Schaumkrone auf dem Abwasser der Kino-Gosse. Jener wundersame Trailer versprach Großväterchen viele Dinge, die dieser beispiellos lebens- und sexualfeindliche Kellertreppen-Film selbst hilflos und gänzlich unfreiwillig ins komplette Gegenteil verkehrt: „Noch nie wurde die Liebe zwischen jungen Menschen so hinreißend verfilmt! Zauberhafte junge Mädchen, deren Gefühle entbrennen! Ein gewagter Film, aber auch ein Film voll Poesie und Romantik!“
Wer auch immer tatsächlich Poesie und Romantik in diesem graugrünen Brei deprimierend-ekelerregender Tristesse inmitten muffiger Wohnzimmer-Sofapolster und Einbauküchen finden sollte, ist bereit für den letzten Aderlass, den Schierlingsbecher, den goldenen Schuss, für den Strick.
So groß war mein Enzetzen ob dieses magenwendenden Anblicks eines abgetriebenen, in Urin eingelegten Filmfötus, dass die beunruhigende Faszination, die von diesem Frevel an der deutschen Sexfilmkunst, dieser Materialisierung der schlimmsten Ängste vor den schlimmstmöglichen Auswüchsen derselbigen und Überhöhung reaktionärer deutscher Schreckensbilder, dass also diese beunruhigende Faszination dafür bisweilen der blanken Angst wich. Gegen Jürgen Enz nimmt sich Ernst Hofbauer wie der sprichwörtliche Waisenknabe aus. So bleibt mir nurmehr erstaunt und zutiefst traumatisiert festzustellen, dass das Erlebnis, AUS DEM TAGEBUCH EINER SIEBZEHNJÄHRIGEN zu sehen, meiner Vorstellung davon, einen echten Snuff-Film zu sehen oder mit Laserstrahlen entmannt zu werden, sehr nahe kommt. Eines meiner deutschesten und singulär schmerzhaftesten Filmerlebnisse seit sehr, sehr langer Zeit. Bei dem bloßen Gedanken daran, dass uns „lediglich“ die barmherzigerweise existente, gekürzte Softcore-Fassung des ursprünglich als Hardcore-Porno gedrehten Films vorlag, wurde mir kurzweilig schwarz vor Augen und ein kalter Schauer der Furcht durchzuckte meinen nicht mehr taufrischen Körper.
Die Cinegötter waren mir diese Woche scheinbar nicht wohlgesonnen, denn nur wenige Tage später musste ich das Autorenfilm-Pendant zu eben jenen Schrecken von Jürgen, dem Enzetzlichen, überdauern. DAS UNHEIL von Peter Fleischmann hatte mich schon seit einiger Zeit mit Visionen deutschen Weltunterganges gelockt. Die nun erfolgte Sichtung war ein kalter Schock: Anders als der distanziert-schrille Sarkasmus von DIE HAMBURGER KRANKHEIT ist dessen Generalprobe DAS UNHEIL ein hasserfüllter Film, der wenig mehr tut, als dem betäubt lauschenden und starrenden Zuschauer 95 Minuten lang anhand des psychischen und physischen Verfalls eines zur Jauchegrube stilisierten Wetzlar zu zeigen, warum Deutschland gefälligst unterzugehen hat. Die unappetitlich hechelnden, nervös zittrigen Handkamerafahrten, mit denen Fleischmann die dem Kleinstadt-Spießertum verfallenen Schlesier wabernd umkreist, so wie absonderliche, warzige Insekten, sind schwer zu ertragen. Alles gerät so außer Kontrolle, wie man es von einer typischen Fleischmann-Asozialität wie dieser erwartet: Die Menschen sind alle verachtenswert knickerig, gewalttätig harmoniesüchtig, manisch der Ordnung und der Religion zugetan, in nostalgischen Sehnsüchten auf der Suche nach einem vierten Reich, ausbeuterisch, dumm und verlogen. Die altdeutsche Niedertracht, die der Film, dessen sprunghafte Struktur große Ähnlichkeit zum überlegenen Vorgänger JAGDSZENEN AUS NIEDERBAYERN aufweist, in siffigen Fontänen über den Zuschauer ergießt, wird im Verlauf des Films immer redundanter, immer repetetiver – ein zuverlässig gleichbleibender, mit benebelndem Gestank von Verwesung kündender Fluß genießerisch ausgekosteter Zynismen, der seine kritische Antriebsfeder in der eigenen, blutunterlaufen und ohne Grinsen starrenden Schadenfreude ersäuft. Wahrscheinlich ein Lieblingsfilm von Ulrich Seidl.
Filmisch ist das oft erstaunlich und ehrgeizig umgesetzt, doch das Unbehagen und die Übelkeit, die die blinde Zerstörungswut von Fleischmanns miefiger Freakshow hinterlässt, lassen sich nicht ohne weiteres herunterschlucken. „Aber dann hat der Film sein Ziel doch erreicht!“ möche mancher jetzt vielleicht ausrufen. Schön, er hat sein Ziel erreicht. Aber dieses hat Peter Fleischmann schon mit HERBST DER GAMMLER erreicht, mit JAGDSZENEN AUS NIEDERBAYERN hat er es erreicht und die Steigerung hin zum größtmöglichen, abstoßendsten Extrem bringt in DAS UNHEIL keinen Mehrwert. Fast genauso eklig wie das TAGEBUCH DER SIEBZEHNJÄHRIGEN. Nach soviel deutscher Brachial-Tristesse sehnte ich mich in den Mutterleib zurück.

05.03.2011: Wenn bei süßen Teens die Hüllen fallen / Quella età maliziosa
(Silvio Amadio, Italien 1975) – 9/10 (21), Kino (35mm) *
Bisher kannte ich von Amadio nur seine beiden beliebten Gialli ALLA RICERCA DEL PIACERE und IL SORRISO DELLA IENA. Ersterer ist ein sagenhaft schundiges, aber üppig verfilmtes, äußerst schmieriges und liebenswert stimmungsvolles Gebräu aus Hitchcock und D’Amato (50:50). Letzterer ist ein absolutes Schlusslicht des Genres, völlig uninspiriert, grottig inszeniert und so ziemlich der mieseste mir bekannte 70iger-Giallo. QUELLA ETÀ MALIZIOSA (der seinen irreführenden deutschen Titel von „Flotte Teens“-Synchronschmierfink Uwe Schier erhielt) belegt einmal mehr, das Amadio ein echter Nicht-Meister war, doch in diesem Fall ist das sehr vernachlässigenswert: Der tosende Sleaze-Wasserfall, den dieses in allen Perlmutt-Farben changierende Inselexploitation-Füllhorn auf den ahnungslosen, eine dämliche Sexkomödie erwartenden Zuschauer herniederrauschen lässt, duldet keinen Wiederstand und plättet in jeder Hinsicht.
Gleich nach dem Vorspann geht es los: Aus dem Off muss Nino Castelnuovo, Götterbild eines maskulinen italienischen Vollhengstes, endlose, keifende Beschimpfungen seiner Frau erdulden, über mehrere Minuten hinweg, endlos. Die meisterhafte deutsche Synchronisation überschlägt sich bereits in dieser Szene. Bei einem solchen Hausdrachen („vixen“ im Englischen) bleibt nur die Flucht, und die verschlägt den Gestrauchelten nach Elba, wo er sich als Gärtner bei einer attraktiven High-Society-Lady (Anita Sanders aus NEROSUBIANCO) verdingt. Recht schnell wird offenbar, dass die Dame und ihr süßes Töchterlein Gloria „Miss Italy“ Guida ein vertracktes aufreizendes Spiel mit unserem ahnungslosen Helden spielen möchten, der anfangs noch recht schockiert ist von den spastischen Befruchtungstänzen, die ein über seiner ungebändigten proletarischen Lust vertierter Fischer (MIMMO PALMARA!!!) unter Gloria Guidas Fenster aufführt.
Zwischen diversen, den Atem verschlagenden, anzüglichen Dialogen ebenso wie öligen Katz- und Maus-Spielen zwischen dem „Dreiergespann der beherrschten Begierde“ und Postkarten-Bildern der Insel zu penetrantem Fahrstuhl-Easy-Listening, plätschert der Film frivol grunzend und beglückend gemütlich vor sich hin, bis sich plötzlich nach drei Vierteln völlig unerwartet ein Ultra-Plottwist in Richtung Kriminalreißer offenbart, der so unglaublich eingeleitet und montiert ist, dass mir und meinen lieben E-Mitträumern nur noch fassungsloses Keuchen blieb, da unsere Hosen freilich schon lägst während einer Szene, in der der lüsterne Stiefvater der Guida den „Gärtner“ bittet, die Brüste seiner „kranken“ Tochter mit Salbe einzureiben, donnernd geplatzt waren. Danach herrschte Einigkeit: Ein absolutes Sleisterwerk!
Ein Film, den man nur dem fortgeschrittenen Sleazehound empfehlen kann. Alle anderen müssen nicht nur um ihre Beinkleider, sondern auch um ihren Verstand und ihre Libido fürchten.

05.03.2011: Die Folterkammer des Hexenjägers / The Haunted Palace [2]
(Roger Corman, USA 1963) – 9/10 (22), Kino (35mm) *
Was ich bisher angesichts meiner ohnehin schon ungeheuren Gefühle für Roger Corman als Regisseur nicht für möglich hielt: Erst auf der großen Leinwand und von 35mm kommt die Anmut von Cormans singender Mise-en-scêne vollends zu sich, offenbart den letzten Hauch fragiler Geste und schwereloser Bewegung, der zur völligen Zeitlosigkeit führt, nicht Klassik sondern eine Emanzipation von Zeitempfinden, Zeitzwängen und Zeitstrukturen im Kino. Das haben außer ihm im so zeitgebundenen – nicht im Sinne von Zeitgeist – Genrekino nur sehr wenige andere Filmemacher in gleicher Intensität geschafft. Vor allem natürlich Dario Argento. Was ich vor kurzem über Tim Burtons BATMAN-Filme schrieb, ließe sich hier auch ohne weiteres anwenden: Corman weiß, was der Zuschauer annimmt und spart sich jede unnötige Exposition oder zusätzliche Erklärung – er vertraut dem grundlegenden Eigenleben dessen, was er da auf die Leinwand bringt und weiß, dass er nur einen filmischen Körper dafür schaffen muss. Nur?
Vincent Price war schon wesentlich dezenter, aber auch sein furioses Chargieren (hier sogar mit Sleaze-Bonus) ist Teil des erwähnten Eigenlebens und wenn er in einem Moment nächtlicher Einkehr mit seinem Ahnengeist mit leicht gesenktem Kopf an einem Tisch in der tönern erhellten Halle des Schlosses steht, unter hohen Torbögen, in einer extremen Totalen, wie sie nur das Scope-Format so erlaubt, dann ist man als Zuschauer im Saal quälend umfangen von dieser hoffnungslosen, dem Untergang geweihten Tragik und Schönheit des Verfalls, an der sich dieser Film wie im Vorbeigehen so sehr und so respektvoll labt, dass die angeblich so dubiose Zusammenwürfelung des Drehbuchs aus Poe- und Lovecraft-Motiven eindeutig auf letztere Seite umschlägt. Die Kurzgeschichten THE LURKING FEAR und THE HAUNTED HOUSE atmen zwischen den Wänden von Cormans THE HAUNTED PALACE, auch ohne linguale Verschwurbelungen, giftige Nebel, Schimmelpilze und weiße Gnome. THE HAUNTED PALACE ist eine rührende, zärtliche cineastische Nocturne.

02.03.2011: Engel des Bösen – Die Geschichte eines Staatsfeindes /
Vallanzasca – Gli angeli del male

(Michele Placido, Italien/Frankreich 2010) – 6/10 (17), Kino (35mm) *
Meine ziemlich gemischten Gefühlen für Placidos neueste Hochglanz-Gangsterploitation habe ich hier ausführlich, aber auch mit einer gewissen persönlichen Distanz niedergeschrieben. Es war schön, einmal einen neuen italienischen Action-Film im Kino zu sehen. Placido ist aber immer noch ein problematischer Regisseur und VALLANZASCA setzt dem bereit dubiosen ROMANZO CRIMINALE eher noch einen drauf, statt die Fahrt etwas zu verlangsamen.


Februar

25.02.2011: Mädchen, Mädchen
(Roger Fritz, BRD 1966) – 9/10 (23), Kino (35mm)
Ein eindeutiger neuer deutscher Lieblingsfilm, even more so als Fritz‘ ebenfalls zauberhafter Traumfilm HÄSCHEN IN DER GRUBE, den ich vor kurzem erleben durfte. Da ich wild entschlossen bin, die bisher restlos begeisternde Entdeckung dieses völlig in Vergessenheit geratenen Ultrakünstlers der „frischen Münchner Brise“ oder „Cinéma nouvelle de Schwabing“, wie ich es jetzt mal trotzig nenne, um mich von dem sehr sperrigen und trashigen offiziellen Term „Neue Münchner Gruppe“ zu entfernen, auch auf dem Blog, bzw. bei den „100 Deutschen Lieblingsfilmen“ etwas ausführlicher in Worte zu fassen, drücke ich mich jetzt hier mal um weitere Worte – und versichere eindringlich und oberlehrerhaft, dass er, der er noch nicht in Kontakt gekommen ist mit den frühen Filmen von Fritz, Marran Gosov, Eckhart Schmidt, Franz-Josef Spieker, Martin Müller und all den anderen faszinierenden Querdenkern und Sonderlingen der Schwabinger Filmszene, dass also er, der er das versäumt hat, das schönste, überraschendste und unmittelbarste Kapitel des „neuen deutschen Films“ versäumt hat. Diese Filme bewirken tatsächlich, dass man nach ihnen ähnlich denkt wie ihre Schöpfer: „Was will ich denn noch mit den Filmen der Oberhausener?“. Ich kann mir jedenfalls kaum vorstellen, eines Tages einmal ABSCHIED VON GESTERN diesem Film vorzuziehen (schöner Vergleich: Beide im gleichen Jahr gedreht, beide handeln von einer ziellos durch das Hinterland der Bundesrepublik mäandernden Frau, bei Fritz ist das angenehm, bei Kluge unangenehm).

25.02.2011: Nightmare 3 – Freddy Krueger lebt / A Nightmare on Elm Street Part 3 – Dream Warriors [3]
(Chuck Russell, USA 1987) – 8/10 (21), DVD
Einst von mir über die Maßen geschätzt, hat dieser besonders schangelige weil in den Traumsequenzen besonders surreale Teil bei dieser erneuten Sichtung nach Jahren ein Quentchen von seiner Anziehungskraft eingebüßt: Hinter der Art und Weise, wie das Drehbuch die NIGHTMARE-Traumgesetze neu schreibt und stellenweise für etwas albern, recht klebrig anmutende Episoden um die „Dream warriors“ missbraucht und die Rückkehr von Nancy (Heather Langenkamp) zur eher lieblosen Pflichterfüllung verkommt, dahinter meinte ich die Drehbuchmitarbeit von Frank Darabont zu erkennen, der mit ersterem das für ihn charakteristische Schlock-Pathos in den Film injiziert hätte. Ungemein schade, denn der erwähnte Schangel der Traumsequenzen, irgendwo zwischen Metal-Musikvideo (auf der Tonspur finden sich dann auch gleich zwei dreschende Songs der Band „Dokken“ mit rollenden Gitarrenriffs, quietschenden Solos und Eunuchen-Gesang – an sich sehr launige Vertreter ihrer Spielart, andererseits aber auch der letzte Schritt in Richtung Merchandisierung) und „Cinéma du look“, ist immer noch ungemein faszinierend, rasant und Robert Englunds Freddy Krueger befand sich hier noch im angenehm ausbalancierten Schwebezustand zwischen furchteinflößendem Monster und fiesem Sprücheklopfer. Aufgrund des Drehbuchs und seinem nur notdürftig kaschierten Desinteresse an den Figuren also teilweise eher zwiespältig, doch die prachtvolle Austattung, die enthusiastische Inszenierung von Chuck Russell und Angelo Badalamentis (!) großzügiger Score hieven den Film in sehr achtbare Höhen.

25.02.2011: Nightmare 2 – Die Rache / A Nightmare on Elm Street Part 2 – Freddy’s Revenge
(Jack Sholder, USA 1985) – 8/10 (21), Kino (35mm) *
Es sind Filme wie dieser, die einen für einige sehr lange, sehr ätherische Momente glauben lassen, dass die 80iger tatsächlich eine Verheißung waren – statt filmgeschichtlichen Vertrashungswitzeleien die Verheißung einer völligen Herrschaft des Camp über das amerikanische Kino! NIGHTMARE 2 ist so randvoll mit Schlagsahne, dass man Gefahr läuft, sich hemmungslos zu überfressen: Von dem ersten, Spielbergesken Familienfrühstück (Cravens Sarkasmus hat in Sholders Todernst ihren Meister gefunden, sozusagen. Und so.) über die schnapsdrosselige Teenager-Exploitation, die sich völlig verquer zu Cravens erstem Film verhält, das hinreißend abgegriffene Setdesign, der gequält chargierende Hauptdarsteller Mark Patton mit seiner heimlichen Ultra-Tanznummer, die Seifenopern-Dialoge mit sporadischen, eindeutigen Doppeldeutigkeiten der Kategorie „extra cheesy“ – bis hin zum entsaftenden und vor allem entkräftenden Mega-Gleaze (= Gay-Sleaze, für alle, die es immer noch nicht wissen) der ersten Filmhälfte- das Herz des geneigten und vorzugsweise hartgesottenen Zusehers (Zuschauer, das wäre hier schon zu implizit) tut lebensgefährliche Luftsprünge und übersieht angesichts der ganzen windschiefen Herrlichkeit beinahe, wie bodenlos sich der zwar nicht völlig uninspiriert, aber doch ziemlich indifferent in erster Linie an sich selbst scheiternde Film im Vergleich zum Vorgänger ausnimmt. Aber selbigen muss man wohl ohnehin einfach als separates Werk nehmen und außer Acht lassen bei der Bewertung der auch untereinander recht verschiedenen Nachfolger. Daher: Einfach mitreißen lassen vom Treibholz und den Schaumkronen dieser hosensprengenden Vernichtungsflut aus Coming-out und -of-age-Trashbombe, pubertärer schwül-schwuler Filmmasturbation (Der Ausflug in die S/M-Bar!!! Der Handtuchmord in der Dusche!!! DDas Schlafzimmer-Rendezvous!!!) mit Schwenk in Richtung C-Körperkino, seifenglitschigem und dabei ergreifend ernstem Halblaienschauspiel, einem der schlampigsten Scores des großen Christopher Young und diversen Einzelmomenten, die man – Nase, Mund und Ohren weit geöffnet – gedanklich mit Worten wie „Nein, dass so etwas Schönes seinen Weg ungehindert auf die Leinwand finden konnte…“ zu kommentieren versucht ist. Nicht die Ultrakunst, aber eindeutig die Ultraparty und ein echter 80iger-Fetischfilm, vor allem, wenn man ihn von einer farbechten 35mm-Kopie sichten kann.

24.02.2011: Die Zwangsjacke / Strait-Jacket
(William Castle, USA 1964) – 9/10 (23), DVD
Vielleicht bin ich naiv, vielleicht ist mir aber auch einfach die Intensität des Augenblicks wichtiger als die Perfektion des Ganzen. Ein Freund meinte einmal zu mir, STRAIT-JACKET würde nach der ersten halben Stunde eine gesamte weitere darauf verwenden, einen durchsichtigen und mageren Twist vorzubereiten. Hätte er mir das nicht gesagt, ich hätte an diesen Twist vermutlich keinen Gedanken mehr verschwendet und wäre nie auf die Idee gekommen, ihm während der Sichtung hinterher zu spekulieren. Ich ahne solche Twists nämlich fast nie. Sie interessieren mich erst dann, wenn sie sich offenbaren – und danach. Nicht selten höre ich über Film X, das Ende sei doch „absehbar“ gewesen. Meist wundere ich mich dann, weil ich nichts kommen sah. Meist interessiert mich auch nicht, was kommt. Ich setze Filme immer erst nach dem Abspann erneut zusammen. Die Zukunft vorrauszusagen ist auch nirgends langweiliger als im Kino (jaja, das war jetzt doppeldeutig) Aber: In STRAIT-JACKET ist keine Minute irrelevant und die Intensität von Joan Crawfords Alltagsangst und Misstrauen, die unangenehme Geschäftigkeit von Diane Baker, das in seiner Ruhe und flüchtigen Selbstsicherheit monströse Americana, in dem sich alles abspielt – das ist großes Kino und sicherlich kein „B-Movie“ (absurder Gedanke, alleine schon angesichts der Besetzung auch abgesehen von Joan – und bezeichnend für die Mechanismen der Filmgeschichtsschreibung – wieviele heute unzweifelhafte Filme anderer Genres es gibt, die damals im Kontext nichts anderes waren als B-Movies), eine scharf, weitgehend ohne reißerisches Kalkül sondern vielmehr dezidiert zurückhaltend beobachtete Tragödie, dass die Frage aufwirft, ob die Selbstdarstellung und Vermarktung eines Filmes mitunter nicht viel zuviel Macht über dessen Reputation für die Ewigkeit hat. Zumal Castle im vollen Bewusstsein über die einschlägigen „Schwächen“ seines Materials selbige ohne Federlesen in fruchtbares Gut verwandelt: Zum einen ist der ungleiche Kampf zwischen Mise-en-scêne und Drehbuch (erstere liegt natürlich immer oben und fickt letzteres hart) dem Suspense äußerst zuträglich und zum anderen ermöglicht er Castle ein sardonisches Spiel mit der anzunehmenden moralischen Urteilswütigkeit des (zeitgenössischen) Zuschauers, deren wachsende, schadenfrohe Verwirrung in der finalen Enthüllungssequenz parallel zur Spannungskurve kulminiert und dadurch bei so Manchem für heiße Ohren gesorgt haben dürfte. Was bleibt, ist die besagte Intensität des Augenblicks, der über filmästhetische Kategorisierungen und Drehbuchanalysen so restlos erhaben ist, dass STRAIT-JACKET schlicht jeden glücklich machen muss. Die Ultrakunst. Früher, als es noch Horrorfilme (sofern man hier überhaupt noch davon sprechen kann und möchte) mit ALTEN FRAUEN in der Hauptrolle geben konnte, war alles besser (#3).

24.02.2011: Nightmare – Mörderische Träume / A Nightmare on Elm Street [2]
(Wes Craven, USA 1984) – 9/10 (23), DVD
Als ich diesen Film vor gut 6 Jahren zum ersten Mal sah, hatte ich den selbstreferenziellen Funsplatter-Exzess von FREDDY VS. JASON, den brachialen postmodernistischen Overkill von NEW NIGHTMARE und den surrealen Friedhofsspaziergang von A NIGHTMARE ON ELM STREET 3: DREAM WARRIORS bereits hinter mir und in meinem Hunger nach „mehr“ eine Erwartungshaltung, an der Cravens Urfilm zerbrechen musste. Heute hat mich der fragile Minimalismus dieses vielleicht einzigen genuin unheimlichen NIGHTMARE-Films völlig verzaubert. Craven bastelt sich hier (wieder im Gegensatz zu Carpenter – das nicht als Kritik sondern nur aus der Feststellung heraus, wieviele Welten zwischen diesen beiden häufig in einem Atemzug genannten Filmemachern liegen) kein Universum, um Genregesetzmäßigkeiten in Bewegung zu bringen, er sucht nach Genregesetzmäßigkeiten, die mit seinem Universum harmonieren. Es ist kurios, dass in diesem Film das Klingeln eines Telefons einen Traum nicht beendet, sondern ihn einleitet, Heather Langenkamp ist eine der natürlichsten und pausbäckigsten Scream queens überhaupt und wie bedrohlich Freddy Krueger tatsächlich sein kann, ohne die Sprücheklopferei, mit der man ihn heute aufgrund der Fortsetzungen assoziiert, das hat wohl nur sein Schöpfer verstehen können. Überwältigend ist stellenweise, wie die der Horror der Alpträume vom Horror der Adoleszenz verdrängt und letztlich als Schatten des selbigen, nicht als Symbol dafür, zu einer neuen Bestimmung findet: Exorzismus der Dämonen im Publikum nicht vor, sondern durch die Kinoleinwand. Nach diesem Film erscheint Craven einmal mehr als der eine Regisseur, der dazu berufen war, später SCREAM zu drehen. Bei ihm lag die Idee eines wider der Dekonstruktion dramaturgisch in sich geschlossenen, postmodernen Horrorkinos schon jahrelang wissentlich ungenutzt herum, bevor er damit herausrückte. Beeindruckend, diese Geduld. Und dann der Mut, ein Lebenswerk, dass unter anderem einen Film wie diesen beinhaltet, mal eben so mit Schwung durch den Kakao zu ziehen. MY SOUL TO TAKE (In diesem Moment vielleicht noch für einige wenige Tage im Multiplex deines Vertrauens zu bestaunen!!!) ist schließlich schon als Filmtitel ein Zaunpfahlwink in Richtung Elm Street.

22.02.2011:
Ultracomicverfilmungsburtonkunst-Double Feature:
Batman Returns
(Tim Burton, USA/GB 1992) – 10/10 (24), DVD
Batman
(Tim Burton, USA/GB 1989) – 9/10 (23), DVD
Früher war alles besser #2.
Mitunter sogar das Blockbusterkino. Der postmodernistisch fetischistische erste Film mit seinen eskalierenden Fluten wahnsinnigen Schangels und der psychotisch-gothisch-melodramatische Pop- und Pulp-Surrealismus des zweiten Films, damit hat Tim Burton vor knapp 20 Jahren gezeigt, wie weit Comicverfilmungen im Kampf mit filmischem Realismus gehen können und wie weit das moderne Blockbusterkino an sich gehen kann. Leider hat das keine Schule gemacht und wir müssen uns heute unter unbändigem Schmerz über den gierig leckenden Zungen von Christopher Nolans Höllenfeuer unverschämter cineastischer Schaumschlägereien und banalen Ernsthaftigkeiten winden. Der durchaus gerechte, absolut notwendige und besonders angesichts der vergleichsweise geringen zeitlichen Distanz unausweichliche Vergleich zwischen Burton-Batman und Nolan-Batman gerinnt schön automatisch zur Chronik eines Untergangs, des Untergangs des Intimen, des Visionären und der mit selbstverständlicher Oneironautik exekutierten und daher mit der Grundidee einer filmischen Comic-Umsetzung harmonierenden, postmodernen Ironie. Burton hat zu keinem Zeitpunkt auch nur den Versuch unternommen, sein Gotham City in Frage zu stellen, zu erklären oder als transparente Kulisse zu sehen. Die Regeln stehen fest, das Publikum kennt sie und der Regisseur erst recht. Die Figuren sind real, aus ihnen allein kann der Film (jetzt also BATMAN RETURNS) Realismus schöpfen. Wozu also noch Erklären, Psychologisieren oder mit der Handkamera herumeiern in diesem unerschütterlichen, ewigen und subjektiven Kosmos? Ich bezweifle, dass Christopher Nolan darauf eine Antwort geben könnte – alleine schon deshalb, weil er dieser Welt in seinem monströsen Akt filmischer Gehirnwäsche moralische Gesetzmäßigkeiten eingespritzt hat, die in Burtons Gotham City völlig undenkbar, um nicht zu sagen: indiskutabel, wären. Burton gönnt seinen Freaks ihre eigene Würde. Nolan hat aus ihnen würdelose Anzugträger gemacht.
Mein besonderer Dank gilt Rajko B., der mir dieses Ultrakunst-Doppel eingeführt, mich gleichwohl ausnahmsweise einmal vorteilhaft zu meinem Glück gezwungen und endlich in den Genuss dieser mir zuvor unbekannten Meisterwerke gebracht hat.

21.02.2011:
Der Name der Rose [2]
(Jean-Jacques Annaud, BRD/Italien/Frankreich 1986) – 7/10 (18), DVD
Das Eichinger-Konfektionskino auf seinem künstlerischen Höhepunkt, nach dem kruden Auftakt mit CHRISTIANE F. – WIR KINDER VOM BAHNHOF ZOO (hätte Eichinger doch Roland Klick nur machen lassen…) und vor dem Abstieg in den auf die Kinoleinwand gehievten TV-Schlock mit Filmen wie DER BEWEGTE MANN oder DER UNTERGANG. Die geschmacksunsichere Tollkühnheit, hinter der Kamera einen Cinegott wie Tonino Delli Colli mit einem Cineteufel wie James Horner zu vereinen, das ist wohl charakteristisch für den Hang des Eichinger-Kinos zur enervierenden Mittelmäßigkeit (Umberto Eco hat mal ein Buch über das Phänomen DERRICK verfasst in dessen Titel auch das Wort „Mittelmäßigkeit“ auftaucht). Hier geht die Rechnung aber weitgehend auf: Hinreichend bespaßende Mittelalter- und Literaturploitation mit Trash-Mystik und 80iger-Sleaze, fantastisch fotografiert (bei dem Kameramann aber auch das Mindeste) und noch weitgehend mit echten Stars (abgesehen von dem unfassbar ausdruckslosen Christian Slater) statt mit den Semi-Stars des späteren Eichinger-Kinos besetzt, alles unter der Regie eines Beinahe-Auteurs. Danach sollte alles schlimmer werden. Trauere ich Bernd Eichinger nach? Um ein unsterbliches Bette Davis-Zitat zu zweckentfremden und mich mal so richtig pietätlos zu geben:
„One shouldn’t say bad things about the dead. Bernd Eichinger is dead. Good.“

*****

DER KOMPLETTE BERLINALE-TERROR IN NACKTEN ZAHLEN:
(Mehr werde ich dazu vorraussichtlich auch nicht mehr absondern)

20.02.2011:
Sa chêre prétention / Cet homme
(Markus Ruff, Allemagne 2011) – 6/10 (17), Kino (Digital)
Sleepless Nights Stories
(Jonas Mekas, USA 2011) – 9/10 (22), Kino (Digital)

19.02.2011:
Lost Land / Territoire perdu
(Pierre-Yves Vandeweerd, Belgien/Frankreich 2011) – 9/10 (22), Kino (Digital)
Mondo Lux – Die Bilderwelten des Werner Schroeter
(Elfi Mikesch, Deutschland 2011) – 8/10 (21), Kino (Digital)
Bullhead / Rundskop
(Michaël R. Roskam, Belgien/Niederlande 2011) – 7/10 (19), Kino (Digital)

18.02.2011:
Drunkard’s Paradise / Yopparai tengoku
(Minoru Shibuya, Japan 1962) – 9/10 (22), Kino (35mm)
Kampf der Königinnen
(Nicolas Steiner, Deutschland 2011) – 3/10 (6), Kino (Digital)
Dirty Eyes
(Lawrence Weiner, USA/Frankreich 2011) – 6/10 (17), Kino (Digital)
The Angel of Doel / De engel van doel
(Tom Fassaert, Niederlande 2010) – 5/10 (16), Kino (Digital)
Das schlafende Mädchen
(Rainer Kirberg, Deutschland 2010) – 9/10 (23), Kino (Digital)

17.02.2011:
The Residents / Os residentes
(Tiago Mata Machado, Brasilien 2010) – 9/10 (22), Kino (35mm)
Twenty Cigarettes
(James Benning, USA 2011) – 8/10 (19), Kino (Digital)

16.02.2011:
Day Is Done
(Thomas Imbach, Schweiz 2011) – 8/10 (21), Kino (Digital)
Idleness / Ocio
(Juan Villegas, Alejandro Lingenti, Argentinien 2010) – 6/10 (18), Kino (Digital)
Licht im Winter / Nattvardsgästerna
(Ingmar Bergman, Schweden 1963) – 2/10 (8), Kino (35mm)

15.02.2011:
Auf der Suche
(Jan Krüger, Deutschland/Frankreich 2011) – 8/10 (20), Kino (35mm)
Die besten Wechseljahre unseres Lebens / E-love
(Anne Villacêque, Frankreich 2011) – 6/10 (17), Kino (Digital)
The Big Sleaze / The Big Eden
(Peter Dörfler, Deutschland 2010) – 9/10 (21), Kino (Digital)
The Shrikes / Mozu
(Minoru Shibuya, Japan 1961) – 8/10 (20), Kino (35mm)
Eine Serie von Gedanken
(Heinz Emigholz, Deutschland 2011) – 9/10 (23), Kino (Digital)
The Terrorists / Poo kor karn rai
(Thunska Pansittivorakul, Thailand/Deutschland 2011) – 9/10 (22), Kino (Digital)

14.02.2011:
Das Geheimnis der Sleaze-Insel / La isla de la muerte [Außer Konkurrenz]
(Ernst R. von Theumer, Mel Welles, BRD/Spanien 1967) – 9/10 (22), Kino (35mm) *
Swans
(Hugo Vieira da Silva, Deutschland/Portugal 2010) – 8/10 (22), Kino (Digital)
Rebounce / Frit fald
(Heidi Maria Faisst, Dänemark 2011) – 7/10 (19), Kino (35mm)
The Days of Evil Women / Akujo no kisetsu
(Minoru Shibuya, Japan 1958) – 8/10 (21), Kino (35mm)
Cave of Forgotten Dreams
(Werner Schangel-Herzog, USA/CAN/GB/F/D 2010) – 9/10 (22), Kino (Digital, 3D)

13.02.2011:
Vampire
(Shunji Iwai, USA/Japan 2011) – 8/10 (22), Kino (Digital)
Schlafkrankheit
(Ulrich Köhler, Deutschland/Frankreich 2011) – 7/10 (19), Kino (Digital)
Heaven’s Story / Hevunzu sutôrî
(Takahisa Zeze, Japan 2010) – 9/10 (23), Kino (35mm)

12.02.2011:
Doctor’s Day Off / Honjitsu kyûshin
(Minoru Shibuya, Japan 1952) – 8/10 (20), Kino (35mm)
Alles fliegt dir um die Ohren / Comin‘ at Ya! [EFM]
(Ferdinando Baldi, Italien/Spanien/USA 1981) – 8/10 (21), Kino (Digital, 3D)
We Were Here
(David Weissman, Bill Weber, USA 2011) – 7/10 (19), Kino (Digital)

11.02.2011:
The Stool Pigeon / Sin yan
(Dante Lam, Hongkong 2010) – 8/10 (21), Kino (35mm)
Die Flucht
(Roland Gräf, DDR 1977) – 7/10 (18), Kino (35mm)
Himmel und Erde – Teil 1: Die Ordnung der Dinge
(Michael Pilz, Österreich 1983) – 9/10 (23), Kino (35mm)

*****

09.02.2011: The Village
(M. Night Shyamalan, USA 2004) – 10/10 (25), DVD
Es ist wirklich tragisch, dass damit wohl mein Schicksal als werdender Shyamalanist besiegelt sein dürfte – aber man kann diesem ikonischen und oneironautischen Ultramelodram, dieser allumfassenden Offenbarung der filmischsten Ultrakünste, unmöglich widerstehen. Alles an ihr ist großartig und alles ist echt, genuin, aller subtextuellen Ironie zum Trotz trüben kein postmoderner Fake und kein nostalgisches Lächeln das klare, reine Wässerchen, welches Shyamalan hier elusiv plätschern und schließlich zu Schneeflocken, die von der Erde in die Wolken aufschweben, gefrieren lässt. Ein Schneefall von ergreifender Klassik, asketischer Mystik und geheimnisvoller Intimität – so sehr, dass man die Satire dahinter vergisst. Ein an Intensität kaum zu überbietendes Filmerlebnis – Allerdings keines, welches schockierend wäre, daher auch mit Bewertung (siehe PICCO, zwei Kommentare tiefer). Dieser Film wird bleiben, weil er tatsächlich zeitlos ist und entgegen der Behauptungen eines gewissen Rajko B. nicht durch Schnickschnack, sondern durch Filmemachen als Empfindung fesselt. Und ein Twist ist ein so guter Spezialeffekt wie jeder andere auch.

08.02.2011: Tron
(Steven Lisberger, USA/Taiwan 1982) – 8/10 (21), DVD
Obwohl ich den STB-Eintrag meines lieben Mitträumers Sano zu SUPERMAN II als eher fragwürdig empfunden habe, zweifle ich keinen Moment daran, dass ich TRON: LEGACY alleine schon deshalb nicht so sehr mögen werde wie den ersten Film, weil er sich sicherlich kaum damit begnügen wird, ein Märchen zu erzählen. Die profunde Naivität dieses Films verschlägt bisweilen den Atem – kaum zu glauben, dass es bis zur MATRIX nicht einmal mehr 20 Jahre dauern sollte.

08.02.2011: Red Eye
(Wes Craven, USA 2005) – 8/10 (21), DVD
Die Schöne und das Biest, nicht im Zaubergarten sondern im Flugzeug, ohne Prolog und Epilog, hochkonzentriert, brachial kondensiert und ohne auch nur einen Schnörkel zuviel oder zuwenig. Genau der richtige Film für Wes Craven, um sich vom CURSED-Desaster zu erholen – nach dem zerstörten GGHFÜAA (ganz großen Horrorfilm über alle Anderen) folgte die Flucht ins erfolgreiche Kräftemessen mit den Atomkernen des amerikanischen Genrekinos. Was dann darauf folgte, war allerdings wiederum auch ganz folgerichtig und endgültig der GUGGFÜF (Ganz und gar größenwahnsinnige Film übers Filmemachen), nämlich MY SOUL TO TAKE. Sollte das überhaupt noch möglich sein, ist mir während RED EYE endgültig die Fruchtblase geplatzt vor Vorfreude auf SCREAM 4. Siiiiiiiiidneeeey!

06.02.2011: Picco
(Philip Koch, Deutschland 2010) – n/a, Kino
Bei Filmen, nach denen ich mit den Nerven völlig am Ende bin und auf Quarkbeinen erschüttert aus dem Kino eiere, misstraue ich meist meiner eigenen Urteilskraft. Daher bewerte ich PICCO nicht und sage mal, dass das nach einem überaus stattlichen Debütfilm mit Mut zur offenen Klammer aussah – man merkt ihm nur selten an, dass er ein eben solcher ist. Schön, dass in unserer einheimischen, verzagten Kinolandschaft zwischen all diesen deprimierenden, brutalen Psychoschockern wie DER LETZTE SCHÖNE HERBSTTAG, OTTO’S ELEVEN oder KOKOWÄÄH auch noch echte Feelgood-Movies für Herz und Seele wie dieses entstehen können.

06.02.2011: Im Angesicht des Todes / A View to a Kill [5]
(John Glen, GB/USA 1985) – 8/10 (22), DVD
Das exzessive Schangel-Feuerwerk, die trockene Amerika-Vertrashung, das amouröse Bekenntnis zum eigenen Camp und teilweise sogar zu postmodernen Spitzen („California Girls“ in der Eröffnungssequenz! Die Western-Schlägerei in der Villa! Der Überwachungsroboter!), der gülden schimmernde Alt-Sleaze und die gesamte barocke, reiche Inszenierung verdeutlichen einmal mehr schmerzhaft, was den Bond-Filmen seit dem Einbruch nach LICENSE TO KILL alles abhanden gekommen ist. Da ist es dann gar nicht mehr wichtig, dass mich dieser Film, einst einer meiner liebsten Bond-Filme, bei der erneuten Sichtung nach Jahren, nicht mehr ganz so sehr begeistert hat wie einst. Er ist immer noch totaler Genuss von der ersten bis zur letzten Minute und für den Titelsong von Duran-Duran, ebenso wie auch für das teutonische Grandezza versprühende, zentrale Action-Thema von John Barry, möchte man sterben (376mal besser als der gesamte INCEPTION-Score von Hans Zimmer. Aber was ziehe ich da überhaupt für kränkende Vergleiche.) Überhaupt: Barry: Wenn man sich vor Augen führt, was ein Komponist mit soviel Prestige immer wieder für eine Filmreihe wie diese geleistet hat dann ist das schlicht ein erneuter Beweis dafür, dass früher alles besser war. RIP, John Barry.

05.02.2011: Foltermühle der geschändeten Frauen / Les raisins de la mort [2]
(Jean Rollin, Frankreich 1978) – 9/10 (23), Kino *
Hat mich beim zweiten Mal von 35mm (ich wollte schon immer mal einen Rollin so sehen) weit mehr begeistert als beim ersten Mal. Rollin hat hier den womöglich einzigen wirklich eigenständigen europäischen Zombie-Entwurf vorgelegt: Von der Welt vergessene, arme Bauern in den tiefen Tälern der Pyrenäen ziehen in Rollins lichter Nacht durch ihr eigenes Dorf wie eine traurige Truppe ziel- und heimatloser Wanderschauspieler und Vogelscheuchen, abgeschlagene Köpfe und Sensen als kuriose Requisiten mit sich führend, zu minimalistischen Synthesizer-Fugen als Totenmarsch, aus ihrer irdischen Existenz gerissen durch kontaminierten Wein – das flüssige französische Nationalheiligtum als Elixier des Todes! Mir war ganz entfallen, wieviel Rollin-Mystik, wieviel vage, nein, elusive Poesie auch dieser Film in sich trägt und selbst die deutsche Synchronisation mit ihren Versuchen, den stillen Film spektakulärer zu gestalten, konnte diesem anti-oneironautischen Zauber nichts anhaben.

05.02.2011: My Films to Take
(Wes Craven, USA 2010) – 9/10 (22), Kino *
Wer in diesen Film geht in der Hoffnung, einen „normalen, guten“ Slasher zu sehen, wird vermutlich das Gefühl haben, einen gigantischen Bären aufgebunden zu bekommen und sich hilflos diesem post-postmodernistischen Trashfeuerwerk ausgeliefert sehen, ohne Gnade, ohne rettende Verweise. Wer in diesen Film geht, weil es sich dabei und den neuen Craven handelt, wird sich auch nicht notwendigerweise verstanden fühlen. Ich zumindest fühlte mich jedoch im schangeligen, selbstreflexiven, selbstreferenziellen und selbstdestruktiven Dauerbeschuss mit irre kichernden, kleinen Monsterbällen von der Leinwand völlig durchverstanden. Von der geradezu dadaistischen ersten Hälfte bis zum grotesk, weil mit scheinheiligem Bierernst zusammengeschnürten finalen Wortgefecht zwischen zwei potenziellen Killern, die nicht auf das Subversive ihres Dialogs verweisen wie noch in SCREAM – und dem folgenden Scheinpathos der Schlusssequenz. Craven prescht über alles hinweg: Über seinen eigene Filme, deren Geist in den Räumen dieses Films zu wandeln scheint, die er zitiert, dass das Gebälk kracht, über zeitlose Genreklischees hinweg bis über das (Mainstream-)Horrorkino der letzten 10 Jahre, so wie er es sieht. Und er sieht es nicht barmherzig sondern stampft es ungerührt mit seinem Pop-Surrealismus, der nun, 16 Jahre nach NEW NIGHTMARE, endlich eine luzide, inwendige Wiedergeburt erfährt (die sich in CURSED bereits ankündigte) unnachgiebig in Grund und Boden. Die völlig wahnsinnige erste Hälfte könnte tatsächlich von dem gleichen Wes Craven stammen, der die Satire LAST HOUSE ON THE LEFT und den Traumfilm ANGELA, THE FIREWORKS WOMAN gedreht hat; nur weniges erinnert hingegen ohne Umwege an den Wes Craven, der die SCREAM-Trilogie gedreht hat – sie ist zitierbare Vergangenheit geworden, auch ein Stück weit der Lächerlichkeit preisgegeben, die die Vergangenheit mit sich bringen kann und die Spekulationen darüber, was für ein Film SCREAM 4 wohl werden könnte, scheinen gleich nochmal so spannend. Jedenfalls ist Craven im Umgang mit seinen Figuren schon sehr lange nicht mehr mit so halsbrecherischer Dramaturgie- und Publikumsverachtung (zauberhaft!) zwischen genuiner Intimität und genuinem Camp changiert; als Brittany (Paulina Olszynski) auf der Flucht vor dem Killer durch den dreckigen Wald stakst, eine 16jährige, die aussieht wie 14, komplett in modischer Uniform wie aus dem Katalog und auf Geländeuntauglichen High Heels, ist das ein gleichermaßen sardonisches, groteskes wie auch mitleiderregendes Bild. Welches SO wohl nur von jemandem kommen kann, der das Metier mit wissendem Auge beobachtet, also nicht als Fanboy. MY SOUL TO TAKE ist über weite Strecken überhaupt nicht unheimlich – weil Craven seinen eigenen Film über weite Strecken nicht ernst genug nimmt. Als er sich dann dafür entscheidet, funktioniert es aus dem Stand. Dass er davor eine einstündige Megatrash-Sause abgefackelt hat, die vor keiner Peinlichkeit, keiner genreimmanenten Kitsch-Burleske zurückschreckt, erzählerisch völlig diffus und genussvoll unkonzentriert dahinwabert und von den nahezu ausschließlich unfassbaren Figuren und noch unfassbarereren Dialogen zur Explosion getrieben wird (Explosion der „innerfilmischen Glaubwürdigkeit“ wie auch der Hosen des Zuschauers) – das verliert von einem Moment zum Nächsten ohne Anstrengung seine Bedeutung. Denn MY SOUL TO TAKE ist auch der Film des Melancholikers und unprätentiösen Melodramatikers Craven, den ich persönlich mir schon lange zurückgewünscht habe und der hier tatsächlich den oft klebrig beschworenen „kleinen, persönlichen Film“ gedreht hat. Es wäre aber auch ignorant, zu vergessen dass Craven einer der Filmemacher gewesen ist, der als noch unabhängiger Regisseur den „Teenie-Horror“ im Mainstream etabliert hat und wenn dieser Wes Craven heute einen Teenie-Horrorfilm dreht, wäre es naiv, ihn der reinen Pflichterfüllung zu bezichtigen. Wie George A. Romero nicht von seinen Zombies lassen kann, so kann auch Craven von seinen gothischen amerikanischen Kleinstädten im Dämmerlicht der Abendsonne nicht lassen, in denen sich schüchterne Jugendliche mit tyrannischen Klassenkameraden und untoten Serienmördern herumschlagen müssen. Gerade in den „Standard-Momenten“ von MY SOUL TO TAKE offenbart sich, wie stark, wie konsequent und wie inniglich sich Craven mit diesem Genre identifiziert, um wieviel stärker er das tut als beispielsweise ein John Carpenter, dem heute das Mitleid langjähriger Fans zuteil wird, während sich Craven durch seine Harmonie mit dem Studiosystem und die „hippe Teenie-Pest“ der SCREAM-Filme bei diesem Klientel den Weg verbaut hat. Aber das macht nichts. So wird MY SOUL TO TAKE weitgehend unbeachtet an diesen Menschen vorbeifließen, ohne dass sie sich allzusehr über diesen billigen Scheiß ereifern und danach mit Genugtuung feststellen müssten, dass der „Craven auch nicht mehr das ist, was er früher mal war“. Nein, das ist er ohne jeden Zweifel nicht. Ob er es früher gewagt hätte, sich selbst einen Film wie diesen zu bescheren und damit den totalen Spott zu riskieren? Wohl eher nicht. Vielleicht bekennt er sich irgendwann ja auch doch noch zu ANGELA, THE FIREWORKS WOMAN – prüde geworden scheint er jedenfalls nicht zu sein. Sexualität ist in MY SOUL TO TAKE deswegen kein Thema, weil er sich bewusst vom spätpubertären Sleaze abgrenzen will, mit dem heute in Slashern oft hantiert wird – so nah will er seinen frühpubertären Charakteren, die allem Trash zum Trotz immer noch eben solche sind, nicht auf die Pelle rücken. Er weiß, warum er das tut. Weil sein Film auch von Menschen in eben jenem Alter gesehen werden wird. Und denen will er keine Angst machen, jedenfalls nicht als Talkmaster auf der Leinwand.
*****
Abschließend sei noch audrücklich von der blamablen 3D-Fassung und der grotesk schlechten, da unbeschreiblich sterilen deutschen Synchronisation abgeraten. Sollte sich von selbst verstehen, aber in diesem Fall hat ein besonders schöner, sturer Film besonders schmerzhaft darunter zu leiden, vor allem auch, weil die eindeutig zweidimensionale, „flache“ Klassik der schlichten 35mm-Scope-Bilder ohne exzessiven Grün-, Blau- oder Gelbfilter, eindeutig sabotiert wird von diesem unerwünschten Räumlichkeitszwang.

04.02.2011: Plein Sud
(Sebastien Lifshitz, Frankreich 2009) – 9/10 (21), Blu-ray
Die Faszination Road Movie hat sich mir nie ganz erschlossen. PLEIN SUD habe ich als Road Movie mehr gemocht denn als Film an sich. Die elliptische Struktur, die selbstverständliche und ausnahmsweise nicht stimmungsschwangere Wortkargkeit, die pausenlose multisexuelle Spannung und die sich ihrer Stimme enthaltende Kameraarbeit hieven diesen Film auf das Level „Toll!“, obwohl ich kaum daran zweifle, dass sich Schlock offenbaren würde, bekäme man einen möglichen, dialoglastigeren und narrativeren Entwurf eines früheren Drehbuchs in die Finger. So wie der Film jetzt ist, kann man sich tatsächlich für einen langen Moment in seiner betonungslosen Leere verlieren, ohne unangenehm von niederen dramaturgischen oder ökonomischen Instinkten angetanzt zu werden. Es gibt keinen Anfang, kein Ende und über mögliche Veränderungen der Figuren im Verhältnis zueinander („Der Weg ist das Ziel!“) lässt der Film nichts verlautbaren. Gerade letzteres hat mir die Faszination Road Movie häufig versperrt hat und Sebastien Lifshitz umsegelt es mit Grazie, aber ohne sich dessen so bewusst zu sein, dass er es ausstellen könnte. Außerdem offenbart sich relativ spät im Film plötzlich die Ultra-Wunscherfüllungsszene für den lüsternen Zuschauer und den sich verzehrenden Mathieu, als Sam beim Lagerfeuer am nächtlichen Strand doch noch über ihn herfällt.

01.02.2011: Black on White / Nerosubianco
(Tinto Brass, Italien 1967) – 10/10 (24), DVD **
Ein filmischer Rausch, eine Orgie des Kinetischen, eine fliegende Pop Art-Vernissage, eine nymphomanische, 85minütige Kopulation von Kamera und Montage, eine Odyssee durch den Ozean des Schangels, ein Prog-Rock-Musical, Kino als Oase aller Lüste und als vollkommener Trip – und das 43 Jahre vor Gaspar Noes verkrampftem ENTER THE VOID.




Januar

31.01.2011: Glückliche Fügung
(Isabelle Stever, Deutschland 2010) – 9/10 (23), Kino
Um ein wenig für diesen Film zu werben, solange er noch in den Kinos läuft (und wie lang wird das sein, wenn ich als einer von 6 Vorführern in einem hiesigen Programmkino bereits viermal die Tür zum leeren Saal schließen musste?) habe ich meinen zugegebenermaßen dafür untauglichen STB-Eintrag auf den Blog verpflanzt. Peinlich, so hingepfuscht wie er ist – aber der Film geht vor.

29.01.2011: Johanna, die Jungfrau – Der Kampf /
Jeanne la Pucelle I – Les batailles

(Jacques Rivette, Frankreich 1994) – 8/10 (21), Kino
Dieses Leugnen der Kamerapräsenz, nur um sie dann letztlich doch zu offenbaren, das scheint charakteristisch zu sein für Rivette. Und wäre mir auch schon ans Herz gewachsen (ich stehe eigentlich total auf sowas), stünde dahinter ein geständiger Willen zum Konzept. Doch hinter einer Fassade des neckisch mit den Zehenspitzen winkenden Elusiven brütet Rivette ungerührt seine Ideen und bevormundet den Zuschauer, ohne sich zu offenbaren oder zu sich selbst als Regisseur (oder „Spielleiter“, wie man es einst nannte) zu bekennen. So bleibt am Ende doch der Hauch eines Gefühls, drei Stunden für die Katz mit diesem Film verbracht zu haben. Aber nicht oft ist eine Katz, für die man drei Stunden mit einem Film verbringt, so gelassen und stilbesessen. Und dann ist da natürlich noch Sandrine Bonnaire – wahrscheinlich die einzig wahre Jeanne d’Arc, wenn man von der der Rolle selbst ausgeht.

27.01.2011: Jessy – Die Treppe in den Tod / Black Christmas [2]
(Bob Clark, Kanada 1974) – 8/10 (22), DVD
Ein offenbar brillanter Film, der weiterhin einer konzentrierten Sichtung unter idealen Umständen harrt, um vor meinem Auge zu voller Blüte zu gelangen. Clarks stoische Regie, das exzellente Drehbuch, die an Lindsay Andersons Filme erinnernde Kameraarbeit, das zeitlose Setting und einige der meistkopierten Gruseleffekte in hochkonzentrierter Rein- und Urform – all das müsste mir eigentlich noch besser gefallen. Hoffentlich beim dritten Mal. Auf jeden Fall eines der unheimlichsten Horrorfilmenden überhaupt. Und ich liebe Olivia Hussey einfach.

27.01.2011: Babylon
(Ralf Huettner, Deutschland 1991) – 10/10 (25), DVD
„Sie wissen, was sie wollen!“ – „Nein. Das weiß ich nicht. Noch nicht.“
„Ich mach dir Flügel und fick dich in den Himmel – oder die Hölle. Mein Schwanz kann alles!“
„Mit ihm fühle ich mich wirklich überlegen. Nicht mehr so wie die kleine, blonde Krankenschwester Bibi!“
„Hätte die sich nicht von einem anderen Haus stürzen können? Sind doch viel höhere Gebäude hier in der Gegend!“
„Du schaffst es, Maria! Du musst nur an dich glauben! Es liegt in deiner Hand!“
„Wenn sie wüssten, wie gut das tut.“ – „Das sehe ich.“
„Du hast eh viel zu kleine Titten, Maria! Hörst du? Du hast zu kleine Tit-ten!“
„Ich bin eine Maschine, die aus 100 Billionen Einzelteilen besteht und Jahrmillionen gebraucht hat, um auszureifen. Spürst du das nicht?“
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„Der Vorsatz war ja schließlich auch, mal richtig auf die Kacke zu hauen.“ (Ralf Huettner)
Schon jetzt eines der oneironautischsten Filmerlebnisse des Jahres. Die aus tiefstem Herzen empfundene Sehnsucht dieses filigran magischen und skrupellos obszönen Films erfährt aus sich selbst in einem beispiellosen Selbstopfer eine orgiastische Stillung, die ihr im deutschen Kino anderorts verwehrt geblieben wäre. Ralf Huettner, der geheime Meisterregisseur. Nach dem Scheitern seiner visionären Erstlinge, deren Ruf nach einem neuen, somnambulen, mystischen, surrealistischen deutschen Kino nie erhört wurde, zum Fernsehen und zum Klamauk verurteilt, während ein Tom Tykwer als die deutsche Offenbarung der 90iger gefeiert wurde. Zu tragisch, um in Worten ausgedrückt zu werden.

26.01.2011: Valerie – Eine Woche voller Wunder / Valerie a týden divu
(Jaromil Jires, Tschechoslowakei 1970) – 9/10 (24), DVD
Und am 9. Tag der Schöpfung sprach der Cinegott: „Es werde Schangel!“
Und es ward Schangel und die Menschheit war beschenkt auf alle Zeit.
Wer als Leser von Eskalierende Träume bisher tatsächlich noch nicht die Bedeutung des Wortes „Schangel“ erfasst haben sollte, dem sei dieses schangeleszente Meisterwerk nachdrücklich an die Brust gelegt.

25.01.2011: Das Brot der frühen Jahre
(Herbert Veseley, BRD 1962) – 9/10 (22), VHS
Weniger an die von Kritikern oft herbeizitierten französischen Vorbilder (alles Gute kommt aus France) sondern vielmehr an das „free cinema“ und den großen Will Tremper erinnernd, verkneift sich Veseley in diesem deutlich als solchen erkennbaren Wunscherfüllungsfilm analytische Ausschweifungen und lässt den irritierend undurchdringlich spielenden Christian Doermer („Die Halbstarken“) in der durchdringlich monologisierenden Rolle eines gesellschaftsmüden Mechanikers durch eine in prätentiösen, bzw. schangeligen Narrations- und Repetetionsverschachtelungen erzählte, konsequent esoterische Befreiungsfantasie wandeln, die immer wieder zu zerschellen droht an der Stetigkeit seiner völlig verständnislosen und dabei doch völlig aufgelösten Verlobten Vera Tschechowa. Während die Sinnlichkeit des schwarzweißen Films und seiner enthemmt formalistischen Kameraarbeit mitunter einen unwiderstehlichen assoziativen Sog entwickeln, gerinnt der Film teilweise auch zum Sandkasten des Manierismus, wenn die Figuren, möglicherweise aus der mir unbekannten Vorlage von Böll, im Off Sätze wie „Ich weiß nichts von dieser Zukunft, die nie Gegenwart sein wird“ von sich geben, zu Standbildern eines kleinbürgerlichen Alltags 1961. Dennoch: Mitunter offenbaren sich hier schon beinahe surrealistische Qualitäten, wenn unvermittelt eine sehnsuchtsvolle Szene des Wartens mit Hitchcockesken, strengen Ein- und Ausfahrten aufgeblättert wird oder über einem erotischen Tagtraum von Doermer der Ton der Ursprungsszene einfach weiterläuft und die unsicheren, förmlichen Begrüßungsrituale für einen Moment von den Bildern der beiden ineinander verschlungenen, nackten Körper einge- und überholt zu werden scheinen. Insgesamt also irgendwie doch eine außerordentlich ätherische Angelegenheit, ein suggestiver Strom, in dem man sich gerne treiben lässt, ein Film auch für alle, die sich von Familienterror aller Art geschädigt fühlen. Trotzdem bleibt Will Tremper für mich das schockierend endgültige Nonplusultra des Prä-Oberhausener „neuen deutschen Films“, wenn man überhaupt davon sprechen will.
PS: Kamera: Wolf Wirth (aus Nürnberg!). Der einer der größten deutschen Kameramänner gewesen sein muss, ziehe ich neben diesem Film auch noch das in Betracht, was ich in den wenigen mir bekannten seiner zahlreichen Rolf Thiele-Filme gesehen habe. Kaum zu glauben, dieser Wille zum bedingungslosen Bildersturm. Die graue, deutsche Tristesse der frühen 60iger habe ich sonst außer hier und bei Tremper nur noch in POLIZEIREVIER DAVIDSWACHE so schön und fragil gesehen.

23.01.2011: Notre musique [2]
(Jean-Luc Godard, Frankreich/Schweiz 2004) – 6/10 (12), DVD
Umringt von meinen eskalierenden Mitträumern, die erwartungsvoll mit der virtuellen Popcorntüte der da zu erhoffenden, ekstatischen Wutausbrüche meinerseits harrten, offenbarte sich leider bei der Zweitsichtung dieses inzwischen legendären Hassfilms nicht der totale Hass. Die ersten 15 Minuten: Immer noch atemberaubend. Wäre der ganze Film doch nur so. Danach, eine Dreiviertelstunde lang: Blablabla et Blablabla et Blablabla plus, Godard ist penetrant, Godard hat einen Baumstamm im Arsch, Godard nervt. Aber dann, nach etwa einer Stunde, ganz plötzlich und ohne Vorwarnung, offenbarte sich mir plötzlich die Ultrakunst; der physischen Hölle und dem grausamen, ekelhaften, Krämpfe induzierenden Zwischenreich folgte ein Himmel der – wie auch immer Godard das passieren konnte – in seiner Erscheinung ephemer himmlisch ist, auch wenn er durch Maschendrahtzaun abgegrenzt ist. Ein Film, der mich bis aufs Mark genervt, geärgert und doch zutiefst inspiriert hat. Das ist mehr, als ich über meinen Todfeind JLG sonst meist sagen kann.

21.01.2011: Black Swan
(Darren Aronofsky, USA 2010) – 3/10 (9), Kino
Endlich wieder ein neuer Film von Darren Aronofsky! Wie kaum ein anderer Regisseur stellt er sich seit einigen Jahren im US-Mainstream quer und überrascht mit ungewöhnlichen Filmen, die sich gängigen Sehgewohnheiten verschließen. Für BLACK SWAN begibt er sich in die märchenhafte Schweinwelt des Ballett und dekonstruiert die äußere Grazie des Tanzes, indem er auch die körperliche Gewalt, die dahinter steckt, nicht verhüllt. Visuell wird das hervorragend getroffen von Ausnahme-Kameramann Matthew Libatique, der mit seiner unruhigen Handkamera hautnahen Realismus erzeugt, ohne dabei auf schöne Bilder zu verzichten. Doch der wirkliche Star dieses Films ist Natalie Portman! Ständig völlig mühelos zwischen unschuldigem jungen Mädchen und schizoider Manie pendelnd, ist ihre erschütternde, eindrucksvolle Performance in ihrer intensiven Vielseitigkeit ganz klar DER Oscar-Kandidat 2011 und das verdientermaßen. Der restliche Cast ist aber auch sehr gut, vor allem Mila Kunis (im real life eine Freundin von Portman!) und Vincent Cassel sind sehr glaubwürdig. Besonders interessant ist, wie Aronofsky die weibliche Sexualität und ihre dunkle Seite in Szene setzt in den Momenten, in denen sich Nina mit der Libido ihrer Kollegen konfrontiert sieht – solche gewagten, jedoch auch sehr einfühlsam gefilmten Szenen bekommt man im amerikanischen Mainstream nicht alle Tage zu sehen und sie legen einmal mehr beredtes Zeugnis ab von Aronofskys Courage, sich auch heiklen Themen einmal im Gewand eines Unterhaltungsfilms anzunehmen. Absolut brillant ist das verstörende Finale, in dem wir die wohl bislang überwältigendste Leinwandadaption von Tschaikowskys „Schwanensee“ bewundern können – die Schwerelosigkeit von Ninas besessenem Tanz wird direkt spürbar und man kann nur staunen über Natalie Portmans Tanzkunst. FAZIT: Darren Aronofsky enttäuscht uns nicht und liefert uns nach THE WRESTLER gleich das nächste Meisterwerk. Nach der rohen Rauheit des Wrestling-Milieus nun ein Ballett-Film – solche Kontraste beherrscht Aronofsky einfach wie kein zweiter! BLACK SWAN ist originell, kunstvoll, verstörend, sensibel, surreal, bewegend und wunderschön – schon jetzt der Film des Jahres!

20.01.2011: Unbreakable
(M. Night Shyamalan, USA 2000) – 10/10 (24), DVD
Da ich mich auf Eskalierende Träume unter der ständigen, wachsamen Beobachtung zweier überzeugter und terroristischer Shyamalanisten befinde, wage ich kaum, mich ausführlich hierüber zu äußern. Ich lasse daher furchtsam die Zahlen sprechen und flöte besagten Shyamalanisten sanft eine Melodie ins Ohr, die sie gerne hören: Total fragwürdig und trotzdem total toll!
Ein spirituell aufgeladenes Amerikanikum in ephemeren Scope-Bildern, deren entschlossene Klarheit und kühles Pathos wahrhaftig an den späten Antonioni erinnern. Die Ultrakunst.

19.01.2011: Zwei Teufelskerle auf dem Weg in die grüne Hölle / Dschungelmädchen für zwei dufte Typen
(Ernst Hofbauer, Fernando Orozco, BRD/Italien/Kolumbien/Spanien 1975) – 9/10 (23), Kino
Im kolumbianischen Urwald, weit weg von klammen deutschen Einbauküchen und miefigen Polstersesseln, kommt der rasende Action-Auteur Hofbauer zu sich. Kurz darauf sollte ihm der pompöse Durchstoß gelingen mit dem berüchtigten Schulmädchen-Eastern KARATE, KÜSSE, BLONDE KATZEN. Wie in jenem mythisch verehrten Meisterwerk enden auch hier die meist kompromisslos aufs Burleske und auf schwirrenden Körper-Schangel hininszenierten, brillant choreographierten Schlägereien mit einem schwerelosen Zeitlupen-Flug durchs Fenster oder die Wand – das Schlüsselmoment in Hofbauers action-en-scêne? Offenbar. Im wesentlichen gehört dieser Film dem kleinen Jim (Italo-Stuntman Alberto Dell’Acqua!) und dem großem Jeff (sehr sexy: Wolf Goldan), die als dufte Typen – so dufte, dass sie schon beinahe verduften – arm, gaunernd und frisch-fröhlich-frei durchs sonnige Brasilien landstreichen, immer hinter schnellem Geld, Wassermelonen-Lawinen und kessen Bienen her. In einer Stadt treffen sie dann aber den Millionärssohn Rinaldo Talamonti (!!), der sie als Scouts für eine Expedition in den Urwald zu den Amazonen engagiert (!!!). Bis man schließlich bei den leichtbekleideten und mannstollen Damen ankommt und bizarren Sex-Ritualen zum Opfer fällt, wird allerdings noch so mancher saftige Spruch geklopft, was einmal mehr beweist, dass die Sprücheklopferei zu Hofbauers sleaze-en-scêne gehört wie der Senf zu Wurst! Erzählerisch und fotographisch wird hier nicht mit dem gleichen Ernst operiert wie noch in Hofbauers deutschen Werken, doch Stelvio Ciprianis (!) trällernde Songs und die Gestaltung des von keinem geringeren als Hans Jura (!) fotografierten Films schaffen dennoch Cartoon-artige Tableaus von beispielloser Virtuosität und rustikaler Eleganz – womit wir vielleicht beim wahren, absoluten Ernst angekommen sind, denn Hofbauers Vorliebe für den filmischen Comic demonstrierte er bereits wirkungsvoll in WAS SCHULMÄDCHEN VERSCHWEIGEN und WENN DIE PRALLEN MÖPSE HÜPFEN. Sowie natürlich besonders in „Karate, Küsse, blonde Katzen“. Passend dazu gesellt sich ein nahrhafter Spritzer Homoerotik, der sich selbst im Kontext eines Abenteuer-Sleaze-Buddy-Movies sehr protzig darstellt und den Atem stocken lässt: Der stramme Wolf Goldan kämpft, witzelt und trinkt entweder mit offener oder gleich ohne Jeansjacke (!!), nach vielsagenden, selbstbezogenen Blicken fehlt in manchen Momenten nicht mehr viel zum Versöhnungskuss zwischen Jim und Jeff (dem ewig streitenden Paar); als Rinaldo Talamonti in einer von leider vergleichsweise wenigen Slapstick-Szenen, mit denen er hier bedacht worden ist, beim Verrichten der Notdurft von einer Schlange in den Allerwertesten gebissen wird, drücken seine grinsenden Begleiter ihn kurzerhand auf den Boden, reißen ihm die Hosen herunter – und saugen ihm das Gift aus den Hinterbacken! Angesichts solcher Offenherzigkeiten, denen Hofbauer überraschenderweise in diesem zu zwei Dritteln nahezu Frauenfreien Film keinen Einhalt gebietet, bleibt einem nur ein verblüfftes „Das war noch nie dagewesen!“
Die Hosen hingen nach dieser Offenbarung freilich wieder einmal in Fetzen – das Herz des Hofbauerkommandos jedoch hüpft nun in freudiger Erregung bei dem Gedanken an die weiteren drei „Teufelskerle“-Filme, die unseren herrlichen Ernst noch nach Italien und zuguterletzt sogar in die Türkei und zu Cüneyt Arkin führen sollten! Ohnmächtige Glücksgefühle bemächtigten sich meiner ob der ungeheuren Gefühle, mit denen die reine Vorstellung der nahenden Erfüllung meinen Busen füllte!

19.01.2011: Ein Mann sieht rot / Death Wish
(Michael Winner, USA 1974) – 5/10 (15), Kino *
Über die Jahre habe ich so manchen italienischen Polizeifilm gesehen, dem vielerorts nachgesagt wird, er bediene sich kräftig bei DEATH WISH. Ich ging angesichts der Brachialität, mit denen einem die Polizieschi ihre reaktionären Parolen um die Ohren schlagen, aus einem unbestimmten Grund immer davon aus, dass DEATH WISH wahrscheinlich dezenter und weniger trashig sei (wobei „trashig“ hier nur einen Bruchteil besagter Polizieschi beschreibt). Weit gefehlt. DEATH WISH ist noch trashiger, weil er mit Seifenoper-Gestus um den heißen Brei, also die aufrechte Bürgerwehr, herumredet und sehr differenziert und sehr ambivalent tut, es im Endeffekt aber doch auch nur krachen lassen will. Mit den amerikanischen Urwerten und so. Obwohl Michael Winners Inszenierung gewohnt „classy“ ist, ringt er sich nicht einmal das ab. So sieht man sich gezwungen, Interesse zu hegen für diesen egozentrischen amerikanischen Spießer und all die miesen Parolen über sich ergehen zu lassen, ohne dass sich dabei wenigstens ein anständiger Exzess und die totale, lautstarke Fragwürdigkeit offenbaren würde, weswegen DEATH WISH phasenweise durchaus langweilt und mit seiner Scheinheiligkeit die Nerven dehnt. Dann doch lieber Maurizio Merli auf 180. Darüber hinaus sei vermerkt, dass in Italien auch vor DEATH WISH bereits solche Filme gedreht wurden, etwa Enzo G. Castellaris TOTE ZEUGEN SINGEN NICHT.

18.01.2011: Das Geheimnis der weißen Nonne / The Trygon Factor [7]
(Cyril Frankel, BRD/GB 1966) – 8/10 (21), DVD
Einer der Edgar Wallace-Filme, der mich auch nach der Entzauberung vieler übriger Titel der Reihe nie losgelassen hat. Das abstruse, oder, genauer gesagt: Völlig bescheuerte Drehbuch und seine rundum exploitative, schrille Umsetzung sind nur ein Faktor. Die unauffällige Regie ist völlig unbedeutend. Dieser sichtlich aufwändige (Budget: 4 Mio. DM) und doch sehr käsige Film ist, neben seiner beachtlichen Besetzung, vor allem gemacht, bzw. wurde und wird gemacht von drei Personen: Von dem Veteranen Harry Waxman und seiner grellen Technicolor-Fotografie, von Architekt Roy Stannard und seinen klebrigen, zauberhaft geschmacklosen Sets sowie – in allererster Linie – von dem großen Peter Thomas, der mit seinem zwar weniger avantgardistischen, dafür aber umso markerschütternder und orgiastischer (manchmal auch trashiger) aufspielendem Score eine seiner dekadentesten, einprägsamsten Arbeiten geschaffen hat. Neben Thomas‘ extravagantem Bombast verblasst alles. Außer vielleicht die außerordentliche, brutale Mordlust des Films, die ihn mit 22 (!) in aller Deutlichkeit ertränkten, vergasten, verbrannten, erschossenen, erdrosselten und erschlagenen Leichen zum Wallace mit dem höchsten Bodycount erheben (als Teenager war ich der Ansicht, dass britische Abenteuerfilme beinahe immer sadistischer seien als deutsche). Unter diesen zahlreichen Morden findet sich auch einer meiner „liebsten“ Filmkills überhaupt: Während die peinlich-unfassbar das herzensgute, „dumme Blondchen“ mimende Sophie Hardy, erregt vom anzüglichen Grinsen des graumelierten, väterlich-schmierigen Inspektors Stewart Granger (den nicht von ungefähr 1966 in Hollywood keiner mehr wollte), in ihrem Hotelzimmer einen genießerischen Strip nur für sich selbst hinlegt und dann ausgiebig in der Badewanne einseift, kämpft, begleitet von einem treibenden Tango aus dem Radio, direkt auf der anderen Seite der Wand Diane Clare mit dem Killer in schwarzer Lederkluft um ihr Leben, bis er sie nach einem endlosen, ungemein unangenehm anzusehenden Kampf im dampfenden Badewasser ertränkt. Eine Szene, die geradewegs aus einem italienischen Giallo stammen könnte, nur dass sie erwartungsgemäß in einem britischen Film weit häßlicher und realer wirkt. In jedem Fall wird in diesem theatralen Sado-Moment der Genuss des Täters am Frauenmorden (für den der Film später ein unglaubliches Motiv aus dem Hut zaubert) fürs starrende Publikum konkret spürbar. Sehr selten, das.

18.01.2011: So finster die Nacht / LÃ¥t den rätte komma in [2]
(Tomas Alfredson, Schweden 2008) – 9/10 (23), DVD
Der berauschende Effekt der Erstsichtung in scharfer 35mm-Projektion auf dem Fantasty Filmfest vor zwei Jahren mochte sich auf DVD leider nicht mehr in gleicher Intensität einstellen – was ich zu großen Teilen auf das Medium und die Sichtungsumstände zurückführen würde (seinerzeit stürmten wir mit Verspätung atemlos in den Kinosaal und landeten direkt im blutigen Schnee). Ansonsten ist der Film aber immer noch ein leicht traumwandlerisches Portrait einer Zwischenwelt, die nur an Orten wie diesen entstehen und gedeihen kann: An schäbigen Wohnsiedlungen in einer schwedischen Kleinstadt in den 80igern, im tiefsten Winter, im Schnee, in dem Oskar und Eli durch einen Rubikwürfel sich misstrauisch, zögerlich aneinander heran lassen. Und während ich das schreibe, schweifen meine Gedanken wieder einmal sehnsüchtig zum (in meinen Augen) größten Filmemachers Schwedens, Bo Widerberg, von dessen schwerelosem Sur-Realismus sich preisenswerterweise so einiges in Alfredsons Film wiederfindet – ob gewollt oder zufällig. Was mir diesmal nicht eingehen wollte: Wenn man schon beinahe vollständig ohne Filmmusik auskommt, warum dann nicht gleich den letzten Schritt gehen und ganz darauf verzichten, statt hier und da doch noch ein wenig gefühliges, handelsübliches Piano-Geblubber einzustreuen? Das Tondesign selbst entwickelt hier in einigen Momenten beinahe schon eine eigene Musikalität.

17.01.2011: Der neue, heiße Sex-Report – Was Männer nicht für möglich halten
(Ernst Hofbauer, BRD 1971) – 8/10 (21), DVD
Das hinterhältigere Pendant zum schrillen, auf Schock hin kalkulierenden EROTIK IM BERUF. Während Hofbauer, wie in den meisten seiner frühen Report-Filme jenseits des „Schulmädchenreports“, sich mit letzterem Werk mehr oder minder an einem offensiv kritischen Konzeptfilm versuchte (siehe auch „Die dressierte Frau“), ist DER NEUE, HEISSE SEX-REPORT ein satirisches Werk, das im Guten an Paul Verhoeven erinnert: Vor dem Hintergrund des diesmal besonders absurd und schmierig geratenen, „wissenschaftlichen“ Blabla über „grüne Witwen“ (man lernt nie aus beim Sehen dieser Filme, sie sind linguistische Intensivkurse), die ihren schwer arbeitenden Ehemännern mit falben Postboten und häßlichen Bierkutschern untreu werden, reproduziert Hofbauer kaltlächelnd und mit skrupelloser Konsequenz die kleinbürgerlichen Ideale von Hans Mustermann und deren moralisches Futter, ohne es dabei – wie in vielen seiner übrigen Filme – schlussendlich zum sardonischen, sarkastischen, mindestens aber ironischen Bruch kommen zu lassen. Hemmungslos darf nach dem peinlichen Besuch der einsamen Ehefrau auf einer freizügigen Party der Nachbarsfrau oder der sexuellen Ausbeutung des Liebhabers der Mutter (Carl Möhner!!!) durch die frühreife Tochter kräftig von den Figuren selbst auf die entrüstete Anstandspauke gepocht werden; ein erotisches Intermezzo einer frustrierten Händlersgattin mit ihrer lesbischen Nachbarin endet gar damit, dass sich die Frau sofort mit ihrem Mann versöhnt, als er sie mit dem Kauf eines luxuriösen Einfamilienhauses überrascht!
Derart geschmacksunsichere und schwarze Pointen weisen den „neuen, heißen Sex-Report“ als den STARSHIP TROOPERS unter Hofbauers frühen Hartwig-Produktionen aus und spätestens in jener Episode, in der Astrid Frank (Hofbauers ewige, grazil-naive Muse, von den 60igern bis hin zu seinen letzten Werken) in einem Anfall erregter Verzweiflung ihren Gynäkologen beim Hausbesuch zu vergewaltigen versucht, bleibt kein Auge trocken. Wie auch dieser Besuch auf dem Ernstbauernhof dem seit über einem Monat nach einem neuen Spritzer und dem „Ernst des Lebens“ dürstenden Hofbauer-Kommando völlige Befriedigung und eine explosionsartige Hosen-Generalüberholung verschaffte. Ernst, du bist und bleibst der Schärfste!

17.01.2011: Esel mit Schnee
(Romuald Karmakar, Deutschland 2010) – 10/10 (25), YouTube
In einer ruralen Schneelandschaft und einer einzigen, fast statischen, langen Einstellung lässt das mutmaßliche Prätentionsungeheuer Karmakar – ich wagte mit dieser Miniatur den ersten Stich in sein Oeuvre – einen asinus (Esel) aus einer Scheune heraus auf die Kamera zuwatscheln und beinahe 2 Minuten lang durchdringend selbige anstarren, bevor er [der asinus] zwei zaghafte Tanzschritte vollführt. Daraus konnte sich freilich nur die absolute Ultrakunst offenbaren und sie tat es auch. Bedauerlicherweise werden sich mir aus den übrigen Karmakareien vergleichbar transzendente Ultrakünste und minimalistische Burlesken wohl kaum offenbaren und so sehe ich schweren Herzens aber doch auch befreit und voll wissbegieriger Neugierde einer Sichtung des von dem fränkischen Undergroundfilmer Gerry Schuster mir gegenüber als Autorenfilm-Trash angepriesenen DIE NACHT SINGT IHRE LIEDER entgegen, gerne auch inklusive eines Mitschnitts der zugehörigen Berlinale-Pressekonferenz, welche sich leider noch nicht offenbart hat, dem Vernehmen nach aber Hosensprengendes Potenzial besitzen soll. Zuschriften bitte per Email an mich.

15.01.2011: Mathias Kneissl [2]
(Reinhard Hauff, BRD 1970) – 9/10 (23), Kino
Demnächst in der Reihe „100 Deutsche Lieblingsfilme“ auf dem Blog ihres Vertrauens: Reinhard Hauffs tieftrauriger, brillant zwischen Elia Kazan, Harald Reinl und Rembrandt van Rijn oszillierender 68iger-Bavarowestern mit dem musikalischen Ultrawehklagen von Peer Raben und Volker Schlöndorff als trotteligem Stationsvorsteher. Das müssen Sie gesehen (und gelesen) haben!

15.01.2011: Tatort-Double Feature:
Fortuna III
(Wolfgang Becker, BRD 1976) – 8/10 (21)
Freund Gregor
(Jürgen Roland, BRD 1979) – 7/10 (20)
Die ersten 20 Minuten von FORTUNA III sind umwerfend. Wie in einer prototypischen Exploitation-Szene aus einem italienischen Rape-and-Revenge-Sleazer darf Gerd Böckmann (natürlich mit Schnauzer, wie er sich für eine solche Figur gehört) auf dem trinkseligen Heimweg vom Stammtisch eine Kellnerin überfallen und beim Vergewaltigungsversuch töten. Bevor er sie vom Fahrrad zieht, lallt er noch „‚N hübsches Mädchen wie du, allein in dieser Gegend! Das is‘ doch gefährlich!“.
Zeuge dieses nach damaliger TV-Logik archetypischen Spießer-Vergehens (wie oft dieses Motiv in den damaligen Krimiserien auftauchte) ist der 12jährige Paul, einer fürs Format überdurchschnittlich komplexen Kinderfigur, die diesem Film zu jeder Zeit eine gewisse Unberechenbarkeit aufpfropft. Nach einer Stunde Laufzeit lässt er sich, auf der Flucht vor Kommissar Hansjörg Felmy (der sich nach dem Geständnis, er habe „mit Kindern keine Erfahrung“, dem misstrauischen Jungen mit angebotenen Zigaretten und heimlichen Fahrstunden zu nähern versucht!!!), von einer Rockerbande mitschleifen. Auf den ersten Blick scheinen die entsprechenden Szenen direkt aus Lemkes ROCKER entwendet, verorten sich aufgrund ihres natürlich schauwertigen Charakters jedoch eher in der Nähe der „Hell’s Angels“-Szenen aus ICH, EIN GROUPIE, was natürlich großartig ist, genauso wie das Arterienverengende Action-Finale vor pittoresker Ruhrpott-Schäbigkeit (Kamera: Joseph Vilsmaier!?). Eine andere Welt ist das, eine ganz andere. Von enormen Reiz aber, weil Wolfgang Becker wirklich ein bemerkenswerter Regisseur ist, der das über weite Strecken auf Kino-Niveau inszeniert. An dieser Stelle sei seine unfassbare, Fellinieske „Der Kommissar“-Folge EIN PLAYBOY SEGNET DAS ZEITLICHE empfohlen, welche Alex S. und mir vor einem Jahr ungläubiges Keuchen abgerungen hat.
Leider stören in vielen dieser tollen 70iger-Tatorte meist die geschwätzigen Ermittlungsszenen – die sorgen dann nämlich erst für das Fernsehgefühl, während der Rest faszinierende, oft wortkarge Millieuploitation ist.
Der große Jürgen Roland nutzt in seiner nicht ganz so großen Folge FREUND GREGOR den redseligen Hang zur Biederkeit deutscher Fernsehware, bestmöglich für seinen Stoff aus:
Beinahe ausschließlich angesiedelt zwischen diversen deutschtümeligen Veranstaltungen wie Bergsteigen, Paartanz-Wettbewerben, Schlagerparties, Geschäftsessen, Opernbesuchen und alpinistischen Vorträgen, zieht sich die tückische Schlinge der Spionage um den Hals von Bundeswehr-Inspektor Günther Ungeheuer (unübertroffenes Ungeheuer aus zahlreichen Roland-Filmen, hier einmal rechtschaffen, sehr rechtschaffen). Die Katzen, die ihn gierig und mit leutselig-scheinheiliger Nettigkeit umkreisen, sind Klausjürgen Wussow und Ingmar Zeisberg. Gleich zu Beginn, direkt nach dem „Tatort“-Vorspann, werden wir per Texteinblendung über jüngste Fälle von Spionage in der BRD aufgeklärt – eingeblendet über der siechen, altdeutschen Visage von Wussow. Typisch Roland.
Die biedere Betulichkeit dieser Folge ist teilweise ein starkes Stück. Doch am Ende steht doch wieder Roland, der unsentimentale, konzentrierte Protokollant und Dokumentar, der minutiös nachvollziehen will, wie ein sozial ausgehungerter Beamter nach Jahren der Isolation dem Drang zur Geselligkeit, und sei sie noch so affektiert, nachgibt und so zum Spielball politischer Untergrundkämpfe wird. Die finale Demütigung, als Wussow Ungeheuer ins Gesicht sagt, dass er „so ein Dummkopf“ sei, ist kaum zu ertragen. Für Roland-Fans wie mich also trotz und gerade des altdeutschen Miefigkeits-Overkills wegen ein Muss.

14.01.2011: Lulu
(Rolf Thiele, Österreich 1962) – 10/10 (24), DVD
Eine donnernde Sleaze-Oper in gothischem Schwarzweiß, ein burleskes Lied vom Masochismus. Ich bin diesem Film genauso hoffnungslos verfallen wie seine Figuren der titelgebenden Protagonistin. Nadja Tiller ist eine der wenigen Frauen, von der ich mich bekehren lassen würde. Und Rolf Thiele… der wird nochmal ein Lieblingsregisseur von mir, ich sehe es kommen – die Staubwolke um seine Faunen-Hufe zeichnet sich bereits am Horizont ab.

13.01.2011: A Dog’s Dream / To oneiro tou skylou
(Angelos Frantzis, Griechenland 2005) – 7/10 (19), DVD
Typ: Dystopische Großstadt-Odyssee bei Nacht und Neon, gehalten in abgewrackten 16mm-Repliken des „Cinema du look“ und mit einer enorm bizarren Lynch-Referenz: Ein zentraler Punkt der nur lose miteinander verknüpften Episoden ist ein Pappkarton mit einem Luftballon, in dem die Stimme einer Opernsängerin gefangen ist! Auch sonst fährt der Film diverse theoretisch surreale oder burleske Ideen auf, ist allerdings zu jedem Zeitpunkt darum bemüht, ein Maximum an existenzieller und soziologischer Tristesse zu verstrahlen und nicht in Genre-Dynamiken zu verfallen, was ausgesprochen seltsam anmutet, da er seine diversen assoziativ zusammengehaltenen, teils schwer zu entschlüsselnden Überlegungen zur Gegenwart beinahe ausschließlich über Genre-Ikonographie transportiert, selbige dabei aber soweit abstrahiert, das nur noch eine unhygienisch schillernde Wasserleiche von Film übrigbleibt. Ich bin mir nicht sicher, ob das nur Neo-Prätention (= postmodernes Arthouse-Kino) in ihrer nervigsten Ausprägung oder faszinierend überambitionierte Fehlgeburt in schillerndem Fruchtwasser ist. Da Angelos Frantzis nach seinem brillanten jüngsten Werk IN DEN WÄLDERN (demnächst auch in den deutschen Kinos) allerdings bei mir einen Stein im Brett hat, tendiere ich zu letzterem. Die eigensinnige, trockene Absurdität vieler Einzelmomente ist jedenfalls ausgesprochen angenehm.

11.01.2011: Die Katze [2]
(Dominik Graf, BRD 1988) – 9/10 (22), DVD
Dank des Sprungs von der übersteuerten, entfärbten, grisseligen und seitlich beschnittenenen VHS-Aufnahme, die ich vor fast drei Jahren sichtete, zu der hiermit ausdrücklich empfohlenen Breitwand-DVD der „Frankfurter Allgemeinen“ hat sich mir Dominik Grafs kommerzielles „Portfolio“ doch noch erschlossen. Wie mehrere von Grafs frühen Filmen, vor allem „Das zweite Gesicht“ (vermutlich mein Liebling), schlägt auch DIE KATZE insbesondere durch eine labyrinthische, teils regelrecht gespenstische Inszenierung von Räumen und Architektur in ihren Bann. Soviel sinnlichen Suspense extrahiert Graf alleine schon daraus, dass man nicht umhin kommt, die Wahl der Location als den größten Kunstgriff des Films und visuelle Hommage an die Filme von Henri Verneuil zu betrachten – nicht selten evoziert das hier nämlich ein zutiefst befremdliches, futuristisches Sehgefühl, welches stark an Dario Argentos TENEBRE erinnert, was durch die Tatsache bekräftigt wird, dass Grafs Vorliebe für nuschelnde Schauspieler diesen Film teilweise beinahe zum halbdokumentarischen Stummfilm geraten lässt, wenn die Dialoge nur noch die nervösen Wellen einfangen und die übertragenen Informationen an Wichtigkeit verlieren. Und da ist man bei der Essenz angekommen: Genrekino als reinste Gestalt des Kinos überhaupt.
Der unfassbar physische Götz George stirbt einen der eindrucksvollsten Filmtode des deutschen Kinos überhaupt, allerdings erst, nachdem er den geheimen Protagonisten des Films, den rasend-fragilen Heinz Hoenig, in einem absoluten Horrorbild ins Jenseits befördert hat. Gudrun Langrebes bürgerliches Gangsterliebchen ist schon etwas problematisch, aber egal – sie ist trotzdem toll. Und dann ist da noch der Kommissar, Voss – statt einen bewährten deutschen TV-Kommissar für diese Rolle zu wählen, hat Graf sie kurzerhand mit Joachim Kemmer besetzt – einem der größten deutschen Synchronsprecher und Stimme zahlloser Heroen in Western und Kriminalfilmen der 60iger- und 70iger Jahre. Sowie, in über 15 Filmen, als deutsches Organ von Humphrey Bogart…

10.12.2011: Heroin / Milano… difendersi o morire
(Gianni Martucci, Italien 1978) – 8/10 (18), Kino *
Überraschend dynamisch gefilmt, hangelt sich dieser schmutzige Zwitter aus zweitklassigem Poliziesco und reaktionärem Schmierenmelodram hinab an der langen Checkliste aller Dinge, die ein richtiger Schundfilm braucht, um richtig geil schundig zu sein. In der deutschen Fassung hat man das dann noch mit (Straffungs-)Kürzungen von ca. 10 Minuten und einer traumhaft ordinären Drecks-Synchronisation gekrönt. Sprüche wie „Halt’s Maul, du miese Tunte! Irgendwann kommt noch der Augenblick, in dem du all deine faulen Zähle einzeln schluckst!“ (adressiert an Al Cliver, hier mit Pomade-Schmiermatte und im Anzug!) oder „Jetzt wird’s dir gleich zu eng in der Hose, mein Junge!“ vermitteln dem ahnungslosen Zuschauer sogleich das authentische Gossen-Flair, genauso wie auch die zahllosen brillanten Nebendarsteller, die allesamt mit einprägsamsten Feilhaltungen der berühmten Maulaffen zu bestechen wissen. Ein Vergnügen von niederen Gnaden. Früher war eben alles besser, als solche Filme noch regulär in deutschen Kinos liefen, statt auf Video verheizt zu werden.

10.01.2011: The Fog [6]
(John Carpenter, USA 1980) – 10/10 (25), DVD
Bewertungsterror…
Unmittalbar nachdem ich „The Fog“ zum vorletzten Mal gesehen hatte, in Gedanken: „10/10, ein klarer Fall. Meisteeeerweeerk! Wahnsinn! Suuuper!“
Ein paar Tage, nachdem ich „The Fog“ zum vorletzten Mal gesehen hatte: „Hmm, vielleicht sind 10/10 doch ein bischen arg für diesen Film. Soooooooooo toll war er dann doch nicht. Vielleicht bist du nur nostalgisch. War immerhin eine der ersten DVDs, die du dir gekauft hast. Wahrscheinlich eher 9/10.“
Unmittelbar nachdem ich „The Fog“ zum letzten Mal sah: „Unfassbar! Ich schwebe einige Meter über dem Boden! Die Ultrakunst! Transzendenz! Unbeschreiblich! Natürlich 10/10!“
Einige Tage, nachdem ich „The Fog“ zum letzten Mal sah: „Komisch, irgendwie kommen dir schon wieder Zweifel an dieser 10/10. Ist das nicht ein bischen viel? Verehrst du den Film etwa noch glühender als HALLOWEEN, der beim letzten Mal ja nicht mehr so toll war? Vielleicht solltest du auf 9/10 abstufen…“
Gerade eben habe ich „The Fog“ zum 6. Mal gesehen. Vielleicht sollte ich einfach aufhören, ihn zu bewerten. Er verschlägt mir jedes Mal die Sprache, ich verliebe mich jedes Mal neu in ihn, bin hingerissen von seiner Grazie, seiner Finesse und ich habe ein vages Gefühl, dass er immer nur noch besser und noch größer wird. Ach ja: Dean Cundey ist der Freddie Young des amerikanischen Genrekinos.

10.01.2011: Das Bourne Ultimatum / The Bourne Ultimatum
(Paul Greengrass, USA/Deutschland 2007) – 9/10 (23), DVD
Totale Entkörperlichung, Ausblutung, Menschen als Maschinen, Menschen als Fleischfetzen, die an Glas- und Stahlwänden (hin)abgleiten, Formen als Flächen, Flächen als Fixpunkte, Bewegungsabläufe als „Stillstand durch Stakkato„, die Neuerfindung des Zooms, der Verlust der Sicherheit der Perspektive. Kino, wie es elusiver nicht sein könnte. Ja, in THE BOURNE ULTIMATUM hat sich mir die Ultrakunst offenbart. Die Kamera trägt den Sieg über die Montage davon und findet im Elektroschocktanz und Falten der Bildebenen zu sich und zum Schangel. Ganz groß.

09.01.2011: Die Bourne Verschwörung / The Bourne Supremacy
(Paul Greengrass, USA/Deutschland 2004) – 8/10 (21), DVD
Martialisches Berieselungskino, scheinbar montiert aus dem Material, das zahlreiche Überwachungskameras im Moment ihres Falls aufgenommen haben. Das setzt der einerseits verspielten, andererseits gepimpten Genre-Klassik des Vorgängers den problematischen Ansatz des vormaligen Fernseh-Sozialfilmers Greengrass entgegen, dem tatsächlich nichts Gewitzteres einfällt, um zu kaschieren, dass das Drehbuch des zweiten Films nicht mehr gekonnt minimalistisch, sondern lausig aufgeblasen ist. Das Martialische dieser Inszenierung wird zum Problem, weil es LEIDER in keiner elliptischen Entkörperlichung resultiert, sondern in einer ständigen, ehrgeizig konstruierten Ahnung von Körperlichkeit, ohne selbige jemals zu erreichen – dafür ist der Konkurrenzkampf von Kamera und Montage (die sich hier letztlich gegenseitig aufheben und aneinander keinen Ansatzpunkt mehr finden – aber nicht im Guten, alas!) zu verbissen und der abgeklärte, postmoderne Glamour, der den Parkinsonschen Bildern nichtsdestotrotz innewohnt (anders als in Teil 1), nicht radikal genug. Hätte Alex Infascelli, der Meister körper- und atemloser, digitaloider Hochglanz-Entkörperlichung und Körperzersetzung, diesen Film gedreht, er wäre vielleicht ein Meisterwerk des Oberflächenkinos geworden. So muss man sich ständig über das biedere, einschränkende, schlicht naive Gedankenkonstrukt ärgern, das sich hinter dieser zeitweise doch ätherisierend militanten, in einigen wenigen Momenten seicht in experimentellen Gewässern fischenden Inszenierung versteckt – einschlägige amerikanische Krimi-Fernsehserien der jüngeren Zeit sind stets nur einen Steinwurf entfernt und nur die Form hält die Distanz (und warum dieser Film, ganz im Gegensatz zum Vorgänger, plötzlich mit soviel musikalischem Hintergrundrauschen verwässert werden musste, leuchtet mir auch nicht ein). Meine Freude auf den hoch gelobten dritten Film ist jetzt jedenfalls ein klein wenig abgekühlt. Aber ich hatte meinen Spaß. Und den von mir aufgrund seiner charismatischen italienischen Jugendsünden sehr geschätzten Tomas Arana einmal in einer Produktion dieser Größenordnung zu sehen, das hatte auch was.

08.01.2011: Ein komischer Heiliger
(Klaus Lemke, BRD 1979) – 8/10 (20), Kino
Dieser Film hat ein unlösbares Problem: Eine schwindelerregend changierende Hauptdarstellerin, die ihren stagnierenden Regisseur eiskalt aussticht und in Unterwäsche im Regen stehen lässt – die atemberaubende Cleo Kretschmer, die sämtliche Hosen platzen, jede Kamera beschlagen und alle Herzen glühen lässt. Sie hätte das Zeug zur deutschen Schwulenikone gehabt, wäre Lemkes Kino nicht so unendlich heteronormativ. Jedenfalls gewinne ich mehr und mehr den Eindruck, dass jeder weitere Film meinem Bild des wilden Klaus nicht gut bekommt. Schon immer das Gleiche und ziemlich egal, irgendwie. Vielleicht ist auch das ein Grund, warum ROCKER sein bekanntester Film ist – er ist noch am ehesten so etwas wie eine Utopie.

08.01.2011: Wonnekloß
(Marran Gosov, BRD 1972) – 10/10 (23), Kino
Ein düsteres, deprimierendes Werk, durchzogen von burlesker Heiterkeit aus dem Schoß der nervösen Angst vor dem Scheitern, die eben das Scheitern erst herbeiführt. Dieter Augustin ist einer der größten Mimen, die die deutsche Leinwand je geboren hat. Mit Songs der „Comedian Harmonists“ und vielen langen, statischen Einstellungen. Nur Ausländer wie Gosov oder Ernst Hofbauer konnten die Deutschen so herb und einfühlsam verstehen. Der triste Sonntagsausflug mit dem traurig-elegischen Gummipuppentanz ist ein bislang übergangener Schlüsselmoment der deutschen Filmgeschichte.

06.01.2011: Die Bourne Identität / The Bourne Identity
(Doug Liman, USA/D/CZ 2002) – 9/10 (22), DVD
Es ist schade, dass der Kinostart dieses Films nur einen Monat vor dem Tod von John Frankenheimer lag und der ihn daher vermutlich nicht mehr sehen konnte. Er hätte sich sonst vielleicht, ich bin versucht zu sagen: Wahrscheinlich, gefreut über diesen Film.

05.01.2011: Ein Sarg aus Hongkong
(Manfred R. Köhler, BRD 1964) – 2/10 (5), VHS
Ich habe zwar an und für sich eine Schwäche für diese naiven deutschen Abenteuerschinken der frühen 60iger, aber bei dieser qualvollen Schlock-Atombombe des sonst vor allem als Drehbuchautor tätigen Manfred R. Köhler, hilft jeder gute Wille nichts mehr. Ein selten stupides Drehbuch, wie aus stinkendem Brackwasser gezogen, eine grauenhaft biedere, schlicht inkompetente Regie (Köhler, der hiermit sein Regiedebüt hinlegte, nahm glücklicherweise nicht mehr oft auf dem Regiestuhl Platz), die so uninspiriert und hölzern ist, dass Faustkämpfe aussehen wie schläfrige Paarungsakte von Nacktschnecken und die Darsteller sich im gefühlten Halbschlaf durch den Film dösen, eine sich selbst im Kontext des deutschen Exotikploitation-Kinos jener Jahre sehr stattlich ausnehmende Dosis rassistischer Stereotypisierung und ein geradezu erstickender Schwall unterhaltungsindustrieller deutscher Miefigkeit, eine konsequente Verschwendung jeglicher potentieller Sensationen in einem ganz klar auf Sensationen hin konzipierten Film. Nicht einmal aus der theoretisch reizvollen Tatsache, dass mit Willy Birgel ein in diesen Jahren selten besetzter UFA-Veteran den Bösewicht geben darf, entwickelt Köhler irgend etwas, jegliches Potenzial irgendeiner Art verpufft einfach. Wolf C. Hartwigs Entscheidung, seinem Drehbuch-Spezi Köhler hier die Regie zu übertragen, darf angesichts des katastrophalen Resultats als ein neuerliches Indiz für die Publikumsverachtung des pathologisch pragmatischen Produzenten gelten.

02.01.2011: Stoppt die Todesfahrt der U-Bahn 123 / The Taking of Pelham One Two Three
(Joseph Sargent, USA 1974) – 9/10 (23), Kino *
Die totale Genreverstehung, im Kino von einer wunderbaren Technicolor-Kopie zum Sterben schön. Als ich danach feststellt, dass Joseph Sargent sonst beinahe ausschließlich fürs Fernsehen drehte, war ich fassungslos und wollte es nicht glauben. Dies ist einer der Filme, nach dem ich mich sofort zu der Aussage „Früher war alles besser“ versteigen würde. Für die große, ikonische Geste ist hier, wenn sie denn überhaupt auftritt, die Form verantwortlich, ansonsten herrscht eine großartige Reduktion aufs Sinnliche, es werden keine lockeren Sprüche geklopft, in dem Waggon herscht schweigende Kälte, alles scheint möglich, der eher konservative Schluss erhält beinahe den Geschmack eines Twists. Diese Farben, diese anbetungswürdigen Farben! David Shires blecherne Musik. Diese Visagen – Shaw, Balsam und natürlich irgendwie auch Matthau. Wer spielt diese Rollen nochmal in Tony Scotts Remake? Oh je.
Diese Montage! Diese Scope-Kompositionen, die diesem Film – eigentlich einem klaustrophobischen Geiselthriller – die Aura geben, für die dieses Format gemacht ist: Eine von Analyse und räumlicher Begrenzung entbundene Aura der Offenheit. Aber keine falsche Coolness, keine Andächtigkeit, keine Selbstverständlichkeit der Dynamik. Und keine Geschwätzigkeit. Und keine Quote für dufte Sprüche. Aber das schrieb ich schon. Ein Film, der Heißhunger macht auf diese amerikanischen Studio-Reißer der 70iger. Das hier, das ist Genre-Meditation als totale Energie!

01.01.2011: Raging Sun, Raging Sky / Rabioso sol, rabioso cielo
(Julián Hernández, Mexiko 2009) – 10/10 (24), DVD
Auch Tage später noch völlig benebelt, verzaubert und stimuliert von diesem ausladenden, fetischistischen, irritierenden, fiebrigen und mystischen „Gleaze“-Rausch, verweise ich in Ermangelung eigener, angemessener Worte und aus Faulheit auf den tollen Text von Lukas Foerster.

01.01.2011: Paula-Paula
(Jess Franco, Spanien 2010) – 8/10 (21), DVD
Der alte Franco-Zauber kehrt zurück in dieser 67minütigen Sexszene, deren Darstellung pendelt zwischen hypnotisch-psychedelischen digitalen Kaleidoskopen (toll), fröhlichem Striptease (charmant) und dem Franco-üblichen, unästhetischen Bildragout aus plump, unvorteilhaft gefilmten, molligen Frauenleibern (schäbig-bizarr) zu Friedrich Guldas reuelos recyceltem Jazz-Score aus NECRONOMICON (super), alles im notdürftig mit silbernen Folien ausgekleideten Franco-Wohnzimmer (großartig). Natürlich nur geeignet für fortgeschrittene Franco-Jünger. In einem der wenigen Monologe des Films (Dialoge bleiben mehr minder ganz außen vor) erzählt die brünette Paula der blonden Paula das gleiche Märchen, welches auch Antonio Mayans Lina Romay in MIL SEXOS TIENE LA NOCHE (1984) erzählt – von einem Mädchen, das in seinem Traumprinzen den Teufel und in dessen Palast die Hölle erkennt…
Ausgezeichnet mit dem Jurypreis 2010 des Hofbauer-Kommandos!

142 Antworten zu “STB Christoph”

  1. Der Außenseiter on September 3rd, 2011 at 10:38

    @ Christoph

    Da unterschätzt Du Fleischer. Er war vom Filme machen genauso besessen wie jeder gute Regisseur seines Kalibers. Sonst hätte er sich nie gegen die unmöglichen Produktionsumstände unter Howard Hughes bei der RKO durchsetzen können. Für NARROW MARGIN (1952) wollte man ihm nicht nur keinen Waggon oder ein Modell o.ä. zur Verfügung stellen, sondern nicht mal stock footage von Zügen. Er hat den Film trotzdem gemacht und was für einen. Als die Produzenten forderten, dass bei der Spielfilmbiographie CHE GUEVARA keine politischen Implikationen vorkommen sollen (absurd) drehte er den Film trotzdem. Auch einen Film auf der literarischen Grundlage von Polizeiberichten zu inszenieren, POLIZEIREVIER LOS ANGELES-OST, zeugt davon. Fleischer steht in der Tradition eines erzählökonomischen Prinzips eines Howard Hawks und Raoul Walsh. Direkt beeinflusst von Hitchcock und Zinnemann. Mein „Hochgeschwindigkeitsargument“ bezog sich darauf, dass Hyams sehr gut aus seiner erzählerischen Ruhe ausbrechen kann. Siehe auch UNTERNEHMEN CAPRICORN. Mit OUTLAND hat Hyams ja dann ein Weltraum-Remake von Zinnemanns 12 UHR MITTAGS gemacht, womit der Kreis zu Fleischer wieder geschlossen wäre. Hyams ist jedoch spontanes, trotzdem plausibles Dynamisieren aus der Erzählung heraus wichtiger.

  2. Der Außenseiter on September 3rd, 2011 at 13:21

    Nachtrag:

    Inwiefern sich meine letzte Aussage auf der technischen Ebene wiederfinden lässt, erwähnst Du ja schon. Hyams führt gerne selbst die Kamera. Zuletzt bei UNIVERSAL SOLDIER: REGENERATION, bei dem sein Sohn Regie geführt hat. Eines der interessanteren B-Movies aus dem Actionbereich der letzten Jahre.

  3. Mr. Vincent Vega on September 3rd, 2011 at 13:51

    Kannst du dir nicht mal angewöhnen, dir einen einheitlichen Nick für Kommentare auf anderen Blogs anzugewöhnen, du Schlamper?

    ?

    Bin doch immer Vega. So kennt man mich, so liebt man mich.

  4. Christoph on September 6th, 2011 at 08:39

    @ Der Außenseiter:

    Vielleicht nehme ich mir bzgl. Fleischer tatsächlich zuviel heraus, da ich noch nicht allzu viel von ihm kenne, ihm allerdings einerseits einen Lieblingsfilm meiner Kindheit (20000 LEAGUES UNDER THE SEA – oder verwechsle ich den gerade mit JOURNEY TO THE CENTER OF THE EARTH? Oje. Alles Kindheit, alles Schwarzweiß. Welcher war der mit den Riesenpilzen?) und andererseits eines meiner irritierendsten Erlebnisse mit einem „alten“ Studiofilm überhaupt beschert hat (mit THE BOSTON STRANGLER). Wenn ich Letzteren einmal im Kino sehen könnte (und alles andere geht eigentlich bei diesen „Reisfeld-Bildern“ – dafür gibt es inzwischen, im Zeitalter von Peter Greenaway, einen eigenen Begriff, aber ich habe ihn vergessen), wäre es vielleicht um mich geschehen.
    Bezüglich Hyams gebe ich dir Recht – würde beinahe noch ein Stück weiter gehen und behaupten, dass „Erzählen“ bei ihm etwas beinahe Organisches hat.

    EDIT: Schade, ich sehe gerade Bilder von Riesenpilzen aus JOURNEY TO THE CENTER OF THE EARTH. Also doch keine Fleischer-Kindheitserinnerungen.

    @ Mr. VV:

    Nein, bist du nicht. Manchmal Rajko Burchardt, manchmal VV. Aber ich verstehe schon – Schizophrenie ist sexy.;-)

  5. Sano Cestnik on September 6th, 2011 at 13:05

    Zu Fleischer gibt es auf Oliver Nödings Blog zur Zeit eine wunderbare Besprechungsreiche. Kenne selbst auch nur 3 Filme, von denen ich mich nur mit RED SONJA ausgiebiger beschäftigt habe. Mea culpa.

    @Christoph

    Wird es zu WHITE OF THE EYE noch in absehbarer Zeit ein paar Worte von dir geben? Wollte mich dem Cammellschen Schmal-Werk ja schon seit Eeeeeeewigkeiten nähern, bin aber über eine zufallsbegegnung mit PERFORMANCE ja bisher leider nicht hinausgekommen. Bist du auf den Film übrigens über Grafs Text gekommen? CAMMELL hat übrigens mit Brando einen (Schund/Groschen?)-Roman verfasst, der erst nach beider Tod veröffentlicht werden sollte, und seit einiger Zeit die Regale deutscher Buchhandlungen schmückt. Da lohnt es sich vielleicht auch, einen näheren Blick hinein zu werfen. 😉

  6. Alexander S. on September 6th, 2011 at 19:30

    Wow, das so eine Reaktion noch aus dir herausgekitzelt werden kann! Muss WHITE OF THE EYE dringendst sehen, zumal ich schon Cammels mit dem Bildervirtuosen Nicolas Roeg entstandenen PERFORMANCE, sowie auch den minimal trashigen – aber das positiv – DEMON SEED sehr schätze. Bitte schreib nichts mehr dazu Christoph, das ist so Aussage genug, suuuper!

    Bei CALIGULA hätte ich ja eigentlich eine höhere Wertung von dir erwartet, zumal du die gleichen Qualitäten wie ich darin siehst. Das ist wirklich DER Schangel-Blockbuster und als solcher hat er mich viel zu sehr in Bann gezogen, als dass ich überhaupt auf den Drehbuchschlock geachtet hätte, den ich vermutlich als narratives Hintergrundrauschen hinter dem ganzen schönen Porno-Pomp wegrezipiert habe. 😉
    Zu den besten Szenen gehört natürlich auch die von dir hier nicht aufgelistete, mir gegenüber aber schon am Telefon erwähnte „Hochzeitsnacht“-Szene, die wir hier allerdings nicht durch Explikation verderben wollen… ^^

  7. Simon Frauendorfer on September 7th, 2011 at 17:09

    Ich ergreife hier mal die Gelegenheit, um auf Richard Fleischers fast vergessenen Film MANDINGO aufmerksam zu machen. Die Schwierigkeiten mit den Produzenten im Rahmen von CHE GUEVARA waren mir nicht bekannt, aber es passt perfekt zu dem Bild, das ich von Richard Fleischer habe. Auch MANDINGO wurde von einer ganzen Reihe namhafter Regisseure abgelehnt bevor Dino De Laurentiis doch noch Fleischer verpflichten konnte. Es erforderte schon eine ganze Menge Mut, Kyle Onstotts vor Sleaze triefendes Buch für die Leinwand zu adaptieren. Das Ergebnis ist mehr als beachtlich: Ein überdimensionales Südstaaten-Drama, das trotz seiner breiten Palette an spektakulären menschlichen Grausamkeiten nicht vergisst, die Mechanismen dieser Epoche und dieser Sklavenhalter-Gesellschaft schonungslos offenzulegen, um somit – entgegen seinem Ruf als reines Schreckenskabinett – eine niederschlagende Wirkung zu entfalten.

    Für mich wird es in nächster Zeit wohl mehr Fleisch(er) geben. Sorry, aber der musste sein 🙂

  8. Christoph on September 8th, 2011 at 22:02

    Liebe, verehrte, hochgeschätzte Kommentatoren meines Sehtagebuches,
    da ich an einem finsteren Ort verweile, wo Internet ein Luxusgut darstellt, wird eine Antwort noch etwas auf sich warten lassen.
    Mit nebligen Grüßen,
    C. R. Savoy

  9. Mr. Vincent Vega on September 13th, 2011 at 00:27

    Jetzt zitiert er sich auch schon selbst. The Wahnsinn is coming.

  10. Mr. Vincent Vega on September 13th, 2011 at 14:50

    Na ja, mal abgesehen, dass Du LES AMOURS IMAGINAIRES hier offenbar als Projektionsfläche für eine akute Misanthropie missbrauchst, hat der Film ganz klar den Bonus verdient, dass Xavier Dolan zur Zeit der heißeste Typ der Welt ist. 😀

    Ansonsten Zustimmung, hatte mich ja auch über den Film ausgekotzt bei mir. Dass die meisten sowas auf den Leim gehen – geschenkt. Und ist ja auch nix neues.

  11. Silvia Szymanski on September 14th, 2011 at 13:16

    Das hört sich nicht gut an für den Film. Da sehe ich lieber dieses Bild vor mir von einem Mann allein im dunklen Kino, Orangensaft am Ohr, der leidet, weil er „Was du nicht siehst“ nicht sehen kann.

  12. Mr. Vincent Vega on Oktober 6th, 2011 at 15:09

    Wann kommen denn endlich Deine unabdingbaren 9 Punkte für Carpenters THE WARD?

  13. Christoph on Oktober 6th, 2011 at 20:38

    Unabdingbar, bei Carpenter? Du musst da (wieder mal) irgendetwas durcheinander bringen, ich bin (noch) kein Carpenter-Fanboy. Meinst du vielleicht den ehrenwerten ET-Kollegen und Carpenter-Fanboy extraordinaire Alex P.?

    Abgesehen davon habe ich den Film noch nicht gesehen. Und habe irgendwie auch keine Lust auf die deutsche Synchro und eine Digitalprojektion (anders läuft er hier nicht – doppeltes Leid). Und verspreche mir davon auch nicht viel, ungeachtet des Tim Lucas-Zitats, von dem ich mich in erster Linie „allgemein“ in meiner Rezeption von „Meisterregisseuren“ und weniger im Bezug auf Carpenter verstanden fühlte. 🙂

  14. Mr. Vincent Vega on Oktober 7th, 2011 at 01:37

    Na gut. 😀

  15. Silvia Szymanski on Oktober 18th, 2011 at 20:35

    Ja, Harald Leipnitz („Ich schlafe mit meinem Mörder“)… Ich kann dich verstehen, Christoph. Hier ist zum Beispiel ein Lied von Uschi Glas mit Ausschnitten von ihm und ihr – die deutsche Version von „Love grows where my Rosemary goes“ von Edison Lighthouse. Der Clip ist nix besonderes, aber Leipnitz hat in diesen blitzartigen Ausschnitten einen hm, lässig selbstbewussten, aber auch etwas schmierigen? Machocharme (alles falsche Wörter, irgendwann durch richtige ersetzen), der auch mir aus dunklen Gründen gefällt. Aber der Song ist heavy zu hören für mich, denn etwas an dieser Melodie (schlimmer aber bei der Originalversion) lässt regelmäßig mein Herz übergehen und erinnert mich an einen sehr jungen Mädchentraum vom Leben, den ich nie aufgeben und nur höchst selten leben konnte. Ach, will nicht jammern. So geht`s allen. http://www.youtube.com/watch?v=58aO2r9Q0Ww

  16. Mr. Vincent Vega on Oktober 22nd, 2011 at 00:49

    Wie kann man sich bitte LAST HOUSE ON THE LEFT auf Deutsch anschauen? Sakrileg.

  17. Christoph on Oktober 22nd, 2011 at 07:46

    Das kann man, innerlich lauthals murrend und blutenden Herzens tun wenn man nach 15 Minuten zu dem Schluss kommt, von dem einigermaßen blechernen Originalton (das 16mm-Syndrom) ohne Untertitel nicht ausreichend viel verstehen zu können, gerade von dem, was man besonders gerne verstehen würde (die Nebensächlichkeiten und den Sleaze und so). Es war mir ein Graus, aber ich neige leider dazu, mich total aufzuregen, wenn ich nicht mindestens 95 % verstehe (SUSPICION habe ich z. B. diese Woche ohne Untertitel gesehen, ein Klacks) – immerhin ist die deutsche Synchro dankenswerterweise irritierend hochkarätig und glänzt u. a. mit Christian Brückner auf David Hess und, wie ich gerade in der Synchronkartei sehe, die Stimme von John Malkovich und Mickey Rourke auf „Junior“ Marc Sheffler o__O. Trotzdem ätzend, ich hatte ständig das Gefühl, etwas ganz Falsches zu tun, gerade bei diesem Film, dessen Sinnlichkeit und krude Musikalität unter einer Synchronisation unweigerlich leiden muss. Ich kann dich aber dahingehend beruhigen, dass der Film trotzdem erheblich in meiner Gunst gestiegen ist.

    @ Silvia:

    Es ist nun nicht so, dass ich Leipnitz außerordentlich sexy finde, aber als Typ fasziniert er mich enorm und als Schauspieler ist er von einer, hm, „interessanten Flüchtigkeit“. Seine Filmographie in den 60igern ist unglaublich, da sie immerhin von Extremen wie Edgar Wallace und Karl May bis zu Will Tremper und eben Marran Gosov reicht, letzterer der großartige Regisseur des mir leider noch unbekannten DER KERL LIEBT MICH – UND DAS SOLL ICH GLAUBEN, aus dem die Filmszenen in dem von dir verlinkten Clip stammen. Auf mich wirkt er immer ein wenig wie jemand, der einmal aus tiefer Überzeugung ein Rowdy gewesen ist, dem man dann irgendwann einen Anzug angezogen hat und der deshalb ständig eine Aura der gehemmten Aggressivität und kryptischen Manie um sich hat, die das spießige Outfit nicht so recht verdecken kann, wie ein Hund, der ein Halsband abzustreifen versucht – ein erfrischender und in gewisser Weise auch zeitloser Kontrapunkt zu den meisten anderen, miefigeren (und kaum je so widersprüchlichen, sperrigen) männlichen Stars dieser Zeit – sowohl in seinen zahlreichen (und fast immer imposanten) Auftritten als Bösewicht oder Unsympath wie auch in seinen wenigen Hauptrollen als charmanter „leading man“. Und seine Stimme…Weil du lässig schreibst – das hat er meinen bisherigen Kenntnissen nach nur bei Gosov so gezeigt, der Leipnitz mehr oder minder für eine kurze Zeit noch einmal zum Topstar gemacht hat, als dessen Karriere eigentlich schon am Schrumpfen war. Harald Leipnitz als unverschämter und unersättlicher Schürzenjäger in BENGELCHEN LIEBT KREUZ UND QUER dürfte jedenfalls viele sehr erstaunt haben.
    Dir würde bestimmt DIE ENDLOSE NACHT gefallen – nicht nur wegen Leipnitz, der dort eher eine seiner „charakteristischen“, fiesen Rollen spielt, sondern insgesamt, als einsamer Film über einsame Menschen in einem einsamen Flughafen, in einer einsamen Nacht.

  18. Mr. Vincent Vega on Oktober 22nd, 2011 at 13:33

    Wie, stand der vorher tiefer bei Dir? Dachte Du hättest ihn jetzt eher runtergestuft, da mir 8/10, gerade bei Deinem Bewertungssystem, viel zu niedrig vorkommen. Aber gut, wusste nicht, dass Du den Film vorher offenbar nicht mochtest (noch mal Sakrileg :D).

  19. Christoph on Oktober 24th, 2011 at 08:16

    Obwohl ich es dir zwischenzeitlich am Telefon zum gefühlt 10 000. Mal erklärt habe, noch einmal auch für alle stillen Mitleser: 8/10 vergebe ich an einen Film, den ich „sehr gut“ finde, allerdings mit kleinen, jedoch mitunter sehr prägnanten Einwänden. Oder aber, was auch oft zur 8 führt: Ich konnte mein Urteil nicht vollständig abschließen, habe es aber auch nicht weit genug unvollendet belassen, um es nicht zu „vollziehen“. LAST HOUSE ON THE LEFT ist ein sehr guter und sehr politischer Film (lol), dem Letzteres zuteil geworden ist. Davor stand er übrigens bei 7/10, sprich: Es gab *noch* konkretere Einwände oder *noch mehr* Unentschlossenheit. Wie Sie sehen, sehen Sie nichts, wenn sie derartige „Erklärungen“ provozieren. 🙂

  20. Mr. Vincent Vega on Oktober 25th, 2011 at 03:14

    Besonders politisch sind die beiden Dorfpolizisten, die in Zeitraffer zu lustiger Musik auf der Landstraße umher hoppeln.

    Klares Meisterwerk. R.I.P., Krug.

  21. Silvia Szymanski on November 3rd, 2011 at 19:58

    @Bijou: Ich hab ihn bei Hard Sensations zu verhalten besprochen, obwohl ich schon ahnte, dass dieser Film im Kopf noch weiter wachsen würde. Ist inzwischen mein liebster Film mit nackten Männern. IST aber auch schwer zu beschreiben, was, außer seiner schönen und ausdrucksvollen Physis, dieses sehr Besondere an Bill Harrison ausmacht. Ich finde diesen Film so, hm, erwachsen, aber was meine ich damit? Vielleicht, dass er sich nicht verbiegt und Sexualität nicht kleiner oder künstlicher macht als auch ich sie sehe. Und der Film findet nur ein Minimum an Konstruktion und Rolle nötig, keine Witze, keine Spiele, nicht mal Schmerz und Abgrund, nur diese spezielle Atmosphäre um einen Mann, der allein und etwas traurig mit sich im Reinen ist. Er bleibt so schön ein Rätsel. Die undramatische Sehnsucht, die Harrison ausdrückt, wenn er wichst, hat nichts Gemachtes und Gespieltes. Ich glaub, es ist das Menschenbild, das ich an diesem Film sehr mag. Aber ich muss jetzt schon wieder aufgeben; es lässt sich von mir immer noch nicht in Worte fassen.
    @Heiße Ernte: Der Filmdienst ist echt ein treuer Jagdgenosse;-) Lustig, wie er jeden Film mit seinen knappen, harten, trockenen Schwarzbrotworten schon ganz richtig umreißt und dann sein unerbittliches Urteil fällt und warnt. Hat irgendwie auf strenge Weise Sex.
    @Vor Sonnenuntergang: Wie die Worte wieder aus dir herausbrechen, Christoph 🙂 – großartig, und so wahr, was Hans Albers betrifft, und also vielleicht auch den ganzen Film, den ich nicht kenne, mir aber nun ziemlich phantastisch vorstellen kann. Scheiße, ich will dir huldigen und weiß nicht wie.

  22. Sieben Berge on November 4th, 2011 at 23:26

    James Cagney „quasimodisch“? Ist das wirklich so? Gut, Edward G. Robinson war seit „Der kleine Cäser“ eben EGR und meinetwegen Quasimodo-Genie, aber trügt mich meine Erinnerung den so sehr, wenn sie den jungen Cagney ganz anders in Erinnerung hat, durchaus auch als Mann der leichten Muse?

  23. Christoph on November 6th, 2011 at 18:17

    @ Silvia:

    Du hast mir letztes Wochenende ja nun wirklich ausreichend gehuldigt, mehr oder elaborater wäre nur beschämend für mich.;-)
    Die richtigen Worte zu finden, das fällt ja auch mir immer sehr schwer, bzw. eigentlich sogar zunehmend schwerer. Zu BIJOU hätte ich vielleicht einen eher sachlichen Text unter den Gesichtspunkten „queerer Popkultur“ und „interaktivem Pornogucken“ schreiben können, aber meinen Gefühlen und Gedanken, auch meiner Erregung, während der Sichtung hätte das nicht entsprochen. Interessant, dass du die Masturbationsszene so besonders hervorhebst – auch für mich der heimliche Höhepunkt des Films, ohne dass ich wirklich herausschälen könnte, was genau ich daran so großartig finde. Ihre Stimmung, das Charisma der Figur…. Obwohl ich „Baby, I’m gonna leave you“ und „Dazed and confused“ von Led Zeppelin abgöttisch liebe, glaube ich nicht, dass es nur daran liegt. Es fühlt sich in diesem Moment einfach absolut richtig an, dass Bill Harrison nach Hause in seine ranzige, kleine Wohnung kommt, sich in seinen Jeans und seinem karierten Hemd aufs Bett lümmelt und dann etwas gelangweilt anfängt, sich einen runterzuholen. Nicht wie das „unvermeidliche Schicksal“ einer Porno-Figur.
    „Er bleibt so schön ein Rätsel. Die undramatische Sehnsucht…“ – Das drückt doch eigentlich schon Vieles aus. Ich mochte übrigens auch die zweite Hälfte des Films sehr, auch wenn ich mir einige Male dachte: „Das müsste jetzt noch stilisierter sein, noch mehr auf Monument getrimmt, noch mehr dem Fragilen dieser Situation mit Bildern entgegenkämpfend“. Und diese kurze, kleine, flüchtige Schlusssequenz…
    Im Endeffekt mein bisher reichstes Erlebnis mit einem „golden age“-Schwulenporno, auch wenn ich dieser bisher noch nicht viele gesehen habe – in dieser Hinsicht bist du mir vermutlich schon meilenweit voraus.;-) Beklagenswert ist das – ich habe sicherlich schon mehr als doppelt soviele Hetero-Pornos aus dieser Zeit gesehen. Wirklich schade, dass Wakefield Poole offenbar nur einen derart versessenen Film gedreht hat.

    RE: Filmdienst: Die unterschwellige Missliebigkeit über „Unschicklichkeiten“ und „vorgetäuschtes Verständnis“ in den Filmdienst-Kommentaren zu Hans H. Königs Filmen lässt erahnen, dass HEISSE ERNTE vielleicht nur eines von mehreren herausragenden Erzeugnissen dieses Regisseurs sein könnte. Ich hoffe, dass sich, woher auch immer, noch einige seiner anderen Filme offenbaren.
    Der Filmdienst schrieb über VOR SONNENUNTERGANG (den ich zugunsten von HEISSE ERNTE etwas heruntergestuft habe – im Endeffekt aber völlig egal) übrigens, der Film sei „ein Beispiel des bildungsbürgerlichen deutschen Nachkriegskinos“ und „bedeutungsschwanger“. Ich kann all das zwar nachvollziehen, letztlich siegt in dem Film aber für mich ein über die Grenzen theatralischer Biederkeit hinausgehender Exzess, sogenannter „Camp“, allerdings im Guten (ach, was heißt im Guten? Ich liebe „echten“ Camp) – nicht so, dass er den emotionalen Kern des Ganzen angreifen würde. Oder, vielmehr: Erstaunlicherweise ist dieser Kern zu mir durchgedrungen, obwohl mich das etwas verzweifelte Chargieren von dem steindeutschen Albers, den ich sonst nie allzu sehr mochte, auch belustigte.

    @ Sieben Berge:
    Wie jung?;-) Zuletzt habe ich Cagney in Henry Hathaways ziemlich ätzender Propaganda-Spätlese (bzw. revisionistischem Nachkriegsfilm?) 13 RUE MADELEINE von 1948 gesehen und dort erschien er mir bereits außerordentlich quasimodisch. Vermutlich schon eine seiner späten Rollen, ich bin über seine Karriere nicht ausreichend unterrichtet. Seinem Gesicht würde ich, hm, sensiblere Nuancen durchaus zutrauen, aber zumindest in den Rollen, in denen ich ihn bisher gesehen habe, musste er immer den feisten Scotchman mit gedrungener Mächtigkeit geben.

    „EGR“… „The Duke“… Oh Mann. Aschenbecher und Whiskeyflaschen… Da hört wirklich alles auf… %-)

    (PS: Wie Sie sehen, hat sich Ihnen die Bedeutung des Adjektivs „quasimodisch“ aus dem Stand heraus erschlossen. Soviel zum Thema „esoterische Privatsprache“!)

  24. Andreas on November 11th, 2011 at 00:36

    Um JAPON beneide ich dich ein bisschen, hätte sehr gerne die Kinogelegenheit genutzt, um ihn endlich zu sehen (ebenso bei den weiteren Assayas-Filmen, wobei bei dir Zeit, Anwesenheit und/oder Lust wohl auch nur noch die sentimentalen Schicksale zugelassen haben?!), er scheint dir ja auch deutlich besser als BATTLE IN HEAVEN gefallen zu haben. Aber da kam ich nicht umhin, noch für Lav Diaz in Wien zu bleiben. In dessen neuem Film gibt es übrigens einen Dialog, bei dem ich aus naheliegenden Gründen fast vom Stuhl gekippt wäre, denn der beginnt mit „Pretentious is the most abused word in art and film.“ und geht dann mit minutenlangen Aufzählungen, für welche Haltungen und Ansichten man sofort als prätentiös abgestempelt werde, weiter. Heute, wo dieses von gewissen Personen einst zweifellos „most abused word“ nun in unseren Kreisen zum Glück längst völlig ausgezuzelt und gewissermaßen zu einer entleerten und gleichfalls beliebig aufladbaren Hülle und zum (manchmal fast sympathischen) Allerweltssynonym geworden ist, kann man darüber entspannt schmunzeln. Vor ein paar Jahren wäre dieser Dialog aber zweifellos mit offenen Armen empfangenes, verständnisvolles, wohltuendes Balsam gewesen. 🙂

  25. Mr. Vincent Vega on November 11th, 2011 at 21:59

    Bist Du eigentlich in der Zeit gereist, Christoph? 😀

  26. Christoph on November 11th, 2011 at 22:20

    Nicht mehr als sonst, denke ich. Wieso?

    @ Andi:

    Solche Dialoge gäbe es in einem Film von mir wohl auch, irgendwie. Die erste Cinemenschen-Screwball-Comedy steht noch aus.

  27. Mr. Vincent Vega on November 12th, 2011 at 02:05

    November /= Oktober. Unravel the mystery!

  28. Silvia Szymanski on November 12th, 2011 at 12:45

    Du meinst in der Zeit GEREIST, nicht in der ZEIT gereist, Mr. Vincent Vega?

  29. Christoph on November 12th, 2011 at 17:28

    Passiert. Ich kopiere immer das Datum des vorherigen Eintrags, weil ich zu faul bin, die ganzen Tags zu tippen.

  30. Chet on November 13th, 2011 at 01:10

    Hach, das freut mich aber, dass du auf die D’Amatos aus den 80ern auch so abfährst! Beweist auch irgendwie schön, dass diese „Erotik“-Streifen weit mehr als nur nackte Tatsachen zu bieten haben – schließlich kann man dich vermutlich nicht so einfach mit einer lasziv agierenden Jessica Moore ködern.

  31. Andreas on November 17th, 2011 at 02:47

    McKenzie goes Ivo Ritzer?! 😀

  32. Christoph on November 19th, 2011 at 08:16

    @ Chet:

    Schön, dass du dich auch mal hierher verirrt hast!
    Ja, ich genieße es in vollen Zügen – DIRTY LOVE, AFTERNOON, ELF TAGE, ELF NÄCHTE… sie haben mich, bzw. uns alle in Ekstase versetzt, insbesondere ersterer. Dass ich noch einmal so sehr auf D’Amato abfahren würde, hätte ich nie für möglich gehalten. Vor der Entdeckung dieses reifen, altersschmierigen Spätwerkes konnte ich mit ihm ja nicht wirklich viel anfangen. Der Begriff „Seifenoper“ gewinnt hinsichtlich dieser Filme einen ganz neuen, ungeahnten Reiz.

    @ Andreas:

    Hm, ja, Mist, jetzt wo du es sagst… Da Ivo Ritzer über Filme wie DRACULA IM SCHLOSS DES SCHRECKENS nicht zu schreiben pflegt, ist mir das nicht in den Sinn gekommen. Erschreckend.

  33. Sano on Dezember 7th, 2011 at 06:08

    Schön, dass dich ANGEL EXPRESS so beeindruckt hat! Ich habe mir ja schon gedacht, dass er dir von uns allen am Besten gefallen könnte.

    Der bessere LOLA RENNT? Kann sein. Auf jeden Fall der obsessivere, und aus heutiger Sicht auch teilweise interessantere Film. Und wie Kahl seine weiblichen Darsteller filmt und inszeniert zeugt meiner Meinung nach definitiv von großem Enthusiasmus für seine Schauspielerinnen. 🙂

  34. Christoph on Dezember 7th, 2011 at 22:25

    Beeindruckt ist das falsche Wort – da steckt schon so eine Ehrfurcht drin, die von mir wirklich nur sehr wenigen Filme aus nicht wirklich nachvollziehbaren (auch für mich nicht) Gründen zuteil wird. ANGEL EXPRESS zu sehen war für mich ein bischen so, wie es sich meinem Empfinden nach meist anfühlt, wenn man jemanden trifft, dessen Welt man eigentlich überhaupt nicht spüren kann oder will, von diesem Jemand überschüttet wird mit Beschreibungen dieser Welt und dann irgendwann merken muss, dass die Persönlichkeit dieses Jemand einen doch irgendwie auf unwiderstehliche Weise für sich eingenommen hat (ein Effekt, der sich beispielsweise bei einem uns bekannten Herrn A. S. bedauerlicherweise nie einstellt, private Anmerkung d. A.), obwohl sie auch Ergebnis seiner Welt ist. Oder so ähnlich. In jedem Fall fließt in dem Film ein Fluss, der auch einige etwas misslungene Momente (zu denen für mich leider irgendwie auch die letzten 5 – 10 Minuten gehören) wegspült oder als Geschmackskomponente ins Gesamtbild saugt. Ich fühlte mich auch eingesogen, auf etwas unangenehm angenehme Weise.

    Enthusiasmus?! Die ET-Sprache bietet glücklicherweise für diese Art von Begeisterung einen adäquateren Term: „Slenthusigasmus“.

  35. Rajko Burchardt on Dezember 23rd, 2011 at 22:09

    Interim

    Oh, Jan hat einen Film mit Stan-Brakhage-Gedächtnistitel gedreht. Wie/wo hast Du den gesehen? Wäre mir übrigens neu, ihn mit Berliner Schule zu assoziieren.

  36. Rajko Burchardt on Dezember 23rd, 2011 at 22:12

    Hobo With a Shotgun
    (Jason Eisener, Kanada 2011) – n/b, DVD

    In der ofdb hast Du ihm 8 gegeben!?

  37. Christoph on Dezember 24th, 2011 at 16:35

    RE: Interim
    War für mich absolut Berliner Schule-esk, aber im Guten. Wo ich den gesehen habe? Ich bin doch offiziell Autor bei Hard Sensations! 😉

    RE: Hobo With a Shotgun
    Jaja, in der OFDB bewerte ich auch nicht so akribisch und auch manchmal auch etwas weniger ehrlich als hier. Bin mir immer noch nicht sicher, ob ich mir erlauben kann, den Film so zu bewerten, wie es mir mein Bauch befiehlt (das wären dann wohl eher 9/10, welche Schande). Unfassbar, das Ding.

  38. Paul on Dezember 25th, 2011 at 13:15

    Haha, Trash Humpers am Heiligabend, das ist geil. 🙂 Hätte ich eigentlich auch 9/10 geben können, aber naja…scheissegal: KULTFILM. 🙂

  39. Lukas on Dezember 30th, 2011 at 12:18

    was ich hier schon lange mal reinschreiben wollte und was jetzt, wo der entsprechende eintrag verschwunden ist, noch sinnloser ist, aber egal: zu deinem schönen brocka-text, besonders zu dessen letztem satz passt sehr gut ein serge-daney-zitat, das mir so wichtig ist, dass sein erster teil das motto meines blogs geworden ist: „die form ist begehren, der inhalt nur das tuch, in das man uns hüllt, wenn wir nicht mehr sind.“

  40. Sano on März 10th, 2012 at 15:31

    Gesegnet seien unsere Eskalierende-Träume Admins ohne die hier sowieso nichts laufen würde. Gottseidank ist dein 2011er STB wieder zurück, Christoph. 😀

  41. Sieben Berge on April 16th, 2013 at 23:48

    Oft bin ich mit deiner Herangehensweise an Filme nicht einverstanden, manchmal billige ich ihr interessante Teilwahrheiten zu und öfters als Du es wahrscheinlich für möglich hältst, lese ich sie sehr gerne. Weil sie im Idealfall mit ihrem sehr persönlichen Zugang überhaupt den einizg weiterführenden Weg aufzeigt, mit einem Film umzugehen. Das hängt allerdings sehr von den Filmen selbst ab. Im Falle von THE INNKEEPERS habe ich wenig, ja fast nicht besseres gelesen, als deine Bemerkungen. Der Film ist herausragend, vor allem aufgrund von Ti Wests einzigartig persönlichem und alle verrrotteten Konventionen hinwegfegenden Zugang zu den verstörten Seelen seiner Protagonisten. Nebenbei ein grandioses Casting, wie schon bei HOUSE OF THE DEVIL. Die Müllsackszene gehört ab sofort zu den berührendsten und abgründigsten Lieblingsszenen des modernen Kinos. Wie noch ein weiteres Dutzend Einzelszenen, die jede für sich die Jahresproduktion an nervigem Pseudohorrorschrott aufwiegen. Fast möchte ich sagen, der Film hätte seine Zugeständnisse an Genrekonventionen garnicht gebraucht. Aber dann hätten ihn wahrscheinlich noch weniger Leute gesehen als eh schon. Man könnte, sollte und müsste eigentlich noch viel mehr schreiben. Ach je.

  42. Christoph on April 26th, 2013 at 09:10

    „Man könnte, sollte und müsste eigentlich noch viel mehr schreiben. Ach je.“

    🙂

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