Liebestraum (1991)
„Not really now any more. Is there, then, no now because the past has consumed the present, reduced it to a series of compulsive repetitions, and what seemed to be new, what seemed to be now, is only the playing out of some out-of-time pattern?”
(Mark Fisher, The Weird and the Eerie)
Ein Film-Noir-Setting. Draußen regnet es in Strömen. Drinnen strömen die Leidenschaften. Ein Mann und eine Frau. Eine Schallplatte spielt den „Liebestraum“ von Franz Liszt in der Jazzvariante von Earl Bostic.
Ein Dritter kommt hinzu und stört die Selbstvergessenheit. Ein Schuss fällt. Dann noch einer.
Wir sind im Jetzt. Der jäh beendete Liebestraum ist plötzlich ganz fern. Nick Kaminsky (Kevin Anderson), ein junger, düster attraktiver Architekturprofessor, ist auf dem Weg ins Krankenhaus. Seine leibliche Mutter (Kim Novak) liegt im Sterben. Es wird das erste Mal sein, dass er sie sieht. Er beschließt, eine Weile in der Stadt zu bleiben und ihre letzten Stunden mit ihr zu verbringen.
In der Nähe seines Hotels befindet sich ein Gebäude, das sein Interesse weckt. Ein Gebäude aus Gusseisen, ein „missing link in american architecture“, das ihn fasziniert. Irgendwelche Arbeiten werden gerade durchgeführt. Wird es restauriert? Da trifft Nick auf seinen alten Collegefreund Paul (Bill Pullman). Sein Bauunternehmen soll das alte Ralston-Building, das einmal ein Kaufhaus gewesen ist, abreißen. Vor langer Zeit ist dort ein Doppelmord geschehen, eine unangenehme Geschichte, von der sich die Stadt durch diesen Akt befreien möchte, Kulturerbe hin oder her.
Ein einstürzendes N des Ralston-Schriftzuges, das einmal majestätisch über der Stadt thronte, droht Paul unter sich zu begraben. Nick, der als Einziger ein aufrichtiges Interesse, einen Blick für das Gebäude zu haben scheint, sieht die Gefahr, sieht sie als Einziger und schubst Paul zur Seite und rettet ihm so das Leben. Er wird zum Dank zur Geburtstagsparty von Pauls Frau Jane (Pamela Gidley) eingeladen.
Nick trifft Jane. Und die Verbindung zwischen ihnen ist sofort spürbar. Sie ist Fotografin und interessiert sich ebenfalls für das Gebäude. Zusammen erkunden sie das Innere des ehemaligen Kaufhauses, das voller Echos zu sein scheint. Schaufensterpuppen, die beinahe menschlich wirken, erzählen elegisch davon, dass hier einmal konsumiert wurde, dass dieser Ort relevant war, bevor die Zeit ihn eingemottet hatte. Manchmal glauben Nick und Jane sogar Stimmen zu vernehmen. Der ganze Ort ist geisterhaft, er klammert sich an eine Vergangenheit, die nicht wiederkommt und von der die Räume doch durchzogen sind.
Paul verlässt die Stadt und Nick und Jane haben eine unvermeidliche Affäre. Dann erfährt Nick mehr über seine Mutter, deren Biographie eng mit der des Ralston-Buildings verbunden ist. Die Geister, die durch den Abriss vertrieben werden sollen, regen sich.
Liebestraum ist eine unglaublich hypnotische Erfahrung, eine Meditation über Vergangenes, das nicht vergeht, über Liebe und Verantwortung und kapitalistischen Pragmatismus, der die Sünden der Geschichte überdecken soll. Ein Film, der sich zudem jeder Genreklassifizierung geschickt entzieht. Noirish, ohne vollständig Noir zu sein; romantisch, ohne zu einer Romanze zu werden; unheimlich, ohne in inhaltliche wie strukturelle Fallen des Horror- oder Mysteryfilms zu tappen. Der Film strotzt vor lakonischer Elegie (späteren Mike-Figgis-Werken nicht unähnlich; überhaupt ist dies vielleicht einer seiner definitivsten Filme), gepaart mit einem gesunden Humor und einer an David Lynch erinnernden Weirdness, die jedoch nicht da ist, um zu irritieren, sondern den unvermeidlichen Link zwischen Vergangenheit und Gegenwart zu unterstreichen.
Figgis bedient sich dabei einer Montage, die in ihrer Virtuosität mehrfach an Roegs Don’t look now erinnert. Und doch ist der Film ganz autonom, ganz bei sich, in seiner eigenen Welt, die, fern von jeder Hermetik, den Zuschauer einlädt, sich in seinen Takt zu begeben, dem Rhythmus aus Schnitt, schattendurchtränkten Bildern und enigmatisch melancholischen Klavierklängen zu folgen (Figgis’ wunderbarer „Photo Blues“ erinnert stark an David Shires Musik zu Coppolas The Conversation).
Der Film ist ein Essay über Zeit und Gleichzeitigkeit, Langsamkeit und Repetition – seine Dynamik entspricht eher einem Musikstück als einem Thriller. Genau wie Liszts berühmter „Liebestraum“ Nr. 3, ist er eine Nocturne, ein Nachtstück. Hier passieren die wichtigen Dinge, wenn der Tag sich verabschiedet, wenn Verlangen und andere Notwendigkeiten erwachen, wenn die Stadt und ihre Bewohner ihr verstecktes Gesicht zeigen. Es ist eine Nacht, die sich über den Tag erstreckt und einen schwülen Schleier über die gesamte Erzählung legt.
Ein Gebäude aus Gusseisen, ein „missing link in american architecture“, das ihn fasziniert. Irgendwelche Arbeiten werden gerade durchgeführt. Wird es restauriert? Da trifft Nick auf seinen alten Collegefreund Paul (Bill Pullman). Sein Bauunternehmen soll das alte Ralston-Building, das einmal ein Kaufhaus gewesen ist, abreißen.
Das erinnert mich etwas an das Kaufhaus Bonwit Teller in New York. Das wurde 1980 allerdings nicht abgerissen, um Geister der Vergangenheit loszuwerden, sondern weil Seine Donaldness hier den Trump Tower errichten ließ. Art-déco-Fassadenreliefs, die eigentlich dem Metropolitan Museum of Art hätten überlassen werden sollen, ließ Trump von seinen Arbeitern zerbröseln, weil das billiger kam.