goEast 2017 Teil 1 – Aufzeichnungen aus dem Untergrund



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Das Jahr 2019 hatte Artur Brauner angepeilt für seinen Rückzug aus dem Filmgeschäft. Er war 98 Jahre alt, als er diese Prognose abgab. Er war zwar etwas schwach auf den Beinen und auf dem Weg zum Podium in der Caligari Filmbühne musste man ihn stützen, doch ansonsten erzählte der legendäre Gründer der legendären CCC immer noch gern Anekdoten und genoss die Aufmerksamkeit des Publikums. Anlass war eine Nachlese zum Brauner-Symposium des goEast-Filmfests vor zwei Jahren.

Und während er so da saß, neben Tochter und (mittlerweile) Geschäftsführerin Alice, musste ich die ganze Zeit daran denken, dass die CCC damals ganze acht Filme von Jess Franco produziert hatte. Nicht, dass man in der vorangegangenen Dokumentation (Achtung, Luft holen!) Marina, Mabuse und Morituri – 70 Jahre Deutscher Nachkriegsfilm im Spiegel der CCC (2017) davon etwas mitbekommen hätte. Überhaupt war Kathrin Andersons Film nicht viel mehr als ein Imagefilm (ist nur folgerichtig, wurde er doch von der CCC koproduziert). Er erinnerte mich an eine billige Doku über die Filme des Briten Harry Alan Towers, die dieser komplett selbst finanzierte. Als Produzent weiß man eben: Alles muss man selber machen. Towers (der einige Male mit der CCC zusammenarbeiten sollte) hatte eine Karriere mit ähnlich langem Atem, nur ungleich kleiner und weniger prestigeträchtig. Doch beide waren kreative Produzenten, die sich nicht nur inhaltlich einmischten, sondern auch furchtlos die vielen unbetretenen Pfade der internationalen Koproduktion beschritten. Sie waren Vorreiter, Populisten, Klassizisten und, vor allem, Workaholics. Brauner ist es wohl immer noch. Er lässt nicht locker. Beruflich gehe es daher zwischen ihm und seiner Tochter auch schon mal zur Sache, verrät Alice Brauner selbst. Aber Privates und Berufliches werde in diesem Familienunternehmen ohnehin getrennt.

Wie gesagt, das Jahr 2019 wurde als mögliches Rücktrittsjahr in den Raum geworfen. Das war der einen oder anderen Zeitung schon mal einen Artikel wert. Eine Journalistin einer großen deutschen Tageszeitung sprach von Brauner als „unerschütterlichem Greis“ (sollte das ein Kompliment sein?) und beschrieb sein „lackschwarzes“ Menjou-Bärtchen, das wohl genauso unerschütterlich sein sollte. Zwei Jahre zuvor schrieb dieselbe Journalistin schon einmal über sein Menjou-Bärtchen, als es eigentlich um seine osteuropäischen Koproduktionen ging, die beim goEast-Symposium gezeigt wurden. Aber damals wurde er bei der feierlichen Eröffnung des Festivals von irgendeiner Kulturplatzhalterin der Stadt auch in „Artur Braun“ umbenannt, von daher verwundert nichts mehr (Viel verwunderlicher ist es, dass Dario Argentos L’uccello dalle piume di cristallo in Andersons Dokumentarfilm immer noch als Bryan-Edgar-Wallace-Film bezeichnet wird. Was er niemals gewesen ist. Nur in Deutschland natürlich, wo der Name Edgar Wallace noch Gewicht hat. Ob mit oder ohne Bryan).

Gerne hätte ich Brauner zu seiner Zusammenarbeit mit Franco ausgefragt; zu seinen Disputen mit Fritz Lang, Menahem Golan und einigen mehr; oder zu seinem Pseudonym Art Bernd. Doch schon bald wurde er von seinen gestriegelten Enkeln in den Shuttlebus gehievt. Er sah dabei aus wie ein Don (irgendwo erklang Nino Rotas salbungsvolle Musik) und er verließ diesen Saal, dieses Kino, diese Stadt, als wäre alles nur ein schöner Traum gewesen.

Ave, Artur! Die Eingeweihten grüßen dich. Danke für all die Filme.

Safarow schreibt

Dieser Beitrag wurde am Mittwoch, Mai 10th, 2017 in den Kategorien Ältere Texte, Blog, Blogautoren, Festivals, Sven Safarow, Verschiedenes veröffentlicht. Sie können alle Kommentare zu diesem Beitrag über den RSS 2.0 Feed verfolgen. Sie können diesen Beitrag kommentieren, oder einen Trackback von ihrer eigenen Seite setzen.

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