Filmtagebuch (3)



Dezember 2009 (Teil 1)

Der Dezember war für mich ein ziemlicher toller Filmmonat. Nicht nur dass ich den schneeweißen und kalten Winter grundsätzlich Liebe (und mich wenn ich hier beim schreiben ohne den Kopf zu drehen aus dem Augenwinkel Richtung Fenster blicke das Licht das sich durch die Vorhänge bricht in euphorische Laune versetzt): ich habe meine Leidenschaft für Film nach einigen üblen Monaten und guten Startversuchen im Herbst endlich wieder gefunden. Gleich zu Anfang hab ich mir mit Cliffhanger was für die Seele gegönnt. Nachts im dunkel ein widersehen mit Stallone und Renny Harlin. Ein Film aus meiner Kindheit, damas oft gesehen wenig verstanden. Diesmal: noch besser. Fast schon eine Offenbarung. Klassisches Hollywood Actionkino wie es nach 1994 (nach Speed?) nicht mehr existiert. Und diese ganz besondere Note der frühen 90er, erkennbar an der Ausleuchtung und den Farben. Da hat es für mich zwischen 1990 und 1994 immer ein Vakuum gegeben. Vielleicht ein (persönlich sehr angenehmes) Stillstehen in der Entwicklung von Technik und neuem Filmmaterial…

Cliffhanger ist auf jeden Fall ein Meisterwerk das zeigt was hätte werden können, und Renny Harlin hier mal ein echter auteur. Die Zeitlupensequenzen bei den Sterbeszenen erinnern mich in ihrer Genialität an Peckinpah, obwohl sie genau Gegenteilig eingesetzt werden. Ein existentialistisches Drama – wie immer bei Harlin. Der einsame Held und die feindliche Umgebung, wobei der Held die Fähigkeit besitzt seine Umgebung zu nutzen. Der Feind sitzt im Kopf. Ein bisschen ist das wie bei Hawks. Selbstüberwindung und Professionalität. Auch deutlich zu sehen was Zensur in Deutschland immer wieder anrichtet: in der gekürzten Fassung verliert der Film an Intensität und Handschrift durch das verstümmeln der Gewaltszenen.

Red Planet habe ich 2001 im Kino nicht gesehen. Das Plakat war schon da genial, aber der Film hätte mir mit Sicherheit nicht gefallen. Jetzt ist das anders. Schiebe die DVD ein und der Film ist wunderbar, herrlich altmodisch. Angenehmes unangestrengtes Genrekino das so völlig auf die Zeit pfeift in der es entstanden ist. In den 50ern wäre das sicher ein B-Film geworden. Leider hat das Studio dem Regisseur wohl ziemlich reingepfuscht. Der vermurkste Anfang und das angeklebte Ende passen so gar nicht ins Gesamtbild und machen verständlich warum so viele Drehbuchgurus den Voice-Over im (Mainstream)Film verdammen. An sich wird der Film dadurch aber auch wieder interessant. Vieles was nicht funktioniert macht ja manchmal Platz für Neues. Reibungsfläche -> Visionen beim Zuschauer. Also wieder irgendwie genial für einen Science-Fiction Film. Freue mich schon aufs wieder-sehen.

Chaplin im Kino war dann fast wieder wie die Cineastenentdeckung Nachts um eins, damals, als derVideorekorder noch mitlief. Geheult hätte ich diesmal auch fast wieder genau so. Hab mich aber im Kino doch nicht getraut und mich ziemlich zusammengerissen. Definitiv eine der besten Schlußsequenzen der Filmgeschichte. Und die originalen englischen Zwischentitel noch einmal eine ganze Klasse besser als die deutschen. Der ganze Film ein Beweis wie simpel das Geniale ist. Ich stelle mir eine Zeitungsschlagzeile vor: „Chaplin ein Genie oder doch nur der beste Filmemacher des 20. Jahrhunderts?“ Zu viele Superlative für einen Streifen Zelluloid. Meinen Eltern hats übrigens auch sehr gefallen.

Abends dann der Doppelpack. Der Mann und sein Vorbild. Abschluß der Carpenter-Reihe mit einer verhunzten 90er Jahre Synchro, dafür aber einer tollen Kopie. Den Film hab ich halb verschlafen. War selten so müde im Kino, und obwohl ich bei Müdigkeit im Kino immer an meine Sichtung von Kiarostamis „Der Wind wird uns tragen“ beim ersten „Filmfestival“ in meiner Heimatstadt denken muss, war es diesmal vermutlich schlimmer. Fast schon ein Delirium. Wahrlich In the Mouth of Madness. Eine wunderbare Szene ist mir aber doch im Gedächtnis geblieben. Der Übergang von der realen Welt in die Welt des Romans. Im Auto durch einen Tunnel. Danach Hawks. Für mich fast eine Wiederentdeckung. Seine eigenen Filme einfach nochmal zu drehen. Warum nicht? El Dorado ist jedenfalls mindestens genausogut wie Rio Bravo. Und ich habe mich wohl endgültig in Hawks verliebt. An dieser Stelle möchte ich noch das Buch von Rolf Thissen empfehlen das im Heyne Verlag in der Reihe Filmbibliothek erschienen ist: „Howard Hawks. Seine Filme – sein Leben„.

Was sagt mein Viewing Log noch so? Dead Man zum x-ten Mal gesehen. Diesmal mit meiner Freundin. Robby Müller, William Blake, Jim Jarmusch. Mit Abstand der beste Film über den Wilden Westen den ich kenne. “ The Vision of Christ that thou dost see, is my visions greatest enemy.“

Drei mal Science Fiction: Der schweigende Stern beweist, dass Sozialisten doch die besseren Menschen sind und Kurt Maetzig Science-Fiction drehen kann. Ein bisschen wie die Filme von Toho aus den 60ern nur ohne Monster. „Krieg im Weltenraum“ von Ishiro Honda kommt in den Sinn. Stanislaw Lem ist dann doch wieder eine andere Geschichte, und diese Verfilmung hat so gar keinen Lem-Touch (den auch Tarkowskij 10 Jahre später völlig verfehlt bzw. ignoriert hat). Dennoch, die Schlußeinstellung mit den ineinanderverschränkten Händen ist fantastisch. Danach der übliche Méliès Schmarren. Le voyage dans la lune muss immer noch als Ersatz für Filmgeschichte herhalten. Das lustige Kuriosum, Ignoranz von frühem Kino. Dass Méliès ein genialer Filmemacher war fällt dabei sowieso keinem ein. Das ist natürlich Polemik meinerseits, und hat gar nichts mit der Art der Präsentation und Einbindung des Films im Kino zu tun wo ich ihn gesehen habe. Aber: wo gabs das letzte mal eine Méliès-Retro? „Die Reise zum Mond“ ist meiner Meinung nach einer seiner schwächsten und uninteressantesten Filme, und taugt als Literaturverfilmung schon mal gar nicht. Ein Kuriosum also, und ein Zeichen dafür welche Erinnerungskultur in Deutschland herrscht. Das nächste mal wenn jemand von diesen lustigen alten kurzen Filmen spricht werde ich wahrscheinlich gewalttätig. Himmelskibet war wohl der erste stumme Trashfilm den ich in meinem Leben gesehen habe. Dilettantisch von vorne bis hinten, habe ich mich doch recht gut amüsiert. Eigentlich ziemlich unfassbar, aber wohl definitiv im Zeitgeist der 10er Jahre. Faschismus trifft auf Fiedensbewegung in einem Propagandafilm der besonderen Art. So stelle ich mir eigentlich die idealen NSDAP-Streifen vor. Verbrämt ist hier wohl das richtige Wort. Ein Beweis, daß im 1. Weltkrieg noch unsäglicheres Zeug gedreht wurde als im zweiten. Dennoch visuell ein paar Glanzlichter. Eine Einstellung mit Prozession am Horizont erinnert z.B. stark an spätere Sachen von Nykvist.

Im Kino an neuen Filmen noch We are the Strange, The Hurt Locker und Halloween II geguckt. All auf ihre Art ziemlich gut, aber nichts was mich in Begeisterung ausbrechen lässt. Ersterer lässt positiv in die Zukunft des amerikanischen Independentfilms blicken, während zweiterer endlich wieder Kathryn Bigelow auf dem Regiestuhl Platz nehmen ließ. Und da gehört sie sowas von hin, Hawks hätte wahrscheinlich seine Freude an ihr gehabt. Mit Halloween II hat Rob Zombie seine Chance auf eine stringente Weiterentwicklung seines ersten Teils zwar vertan, aber fast schon ein interessantes Gegenstück dazu geschaffen. Beide Teile habe ich direkt hintereinander geschaut, beide in der Kinofassung. Bin gespannt, was der Director’s Cut jeweils verändert, und was die Studiobosse nicht haben wollten. Was Zombie gelingt, ist eine Neuaneignung des Meyers-Mythos, und das ist zumindest schon mal etwas. Was fehlt ist das Pathos, die Betonung des Melodramatischen. Die beiden besten Momente in Teil I und II: Michael Meyers sitzt als kleiner junge an Halloween abgeschoben am Bordstein vor dem Haus, darüber „Love Hurts“ von Nazareth. Im zweiten Teil muss dann Laurie Strode bei strömendem Regen eingezwängt in einem Wärterhäuschen zu The Moody Blues‘ „Nights in White Satin“ klaustrophobische Ängste durchstehen. Die Melancholie des Todes, und das Ende der Naivität.

Playlist:
Nazareth – Love Hurts
Stelvio Cipriani – La polizia chiede aiuto (Titelthema)
Courtney Love – Dirty Girls
The Moody Blues – Nights in White Satin (längere Version)

Dieser Beitrag wurde am Sonntag, Januar 10th, 2010 in den Kategorien Ältere Texte, Blog, Sano, Verschiedenes veröffentlicht. Sie können alle Kommentare zu diesem Beitrag über den RSS 2.0 Feed verfolgen. Sie können diesen Beitrag kommentieren, oder einen Trackback von ihrer eigenen Seite setzen.

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