Die Eröffnung des 13. goEast-Filmfestivals in Wiesbaden… und der ganze Rest
Das war mein erstes goEast seit drei Jahren. Also, als Journalist. Es war komisch, wieder da zu sein, am Tag der Eröffnung, mit dem ganzen Trubel, dem kleinen roten Teppich, den wichtigen oder sich wichtig gebenden Leuten, den Praktikantinnen, die mit den Wodkagläschen und den Häppchen zirkulierten, von denen die veganen Gäste eh nichts hatten. Ich holte meine Akkreditierung ab, vergaß aber das rote Bändchen, das als eigentlicher Türöffner für die kommende Festivität fungierte. Ob sie mich überhaupt reinließen? Ich hatte Hunger.
Noch nicht ganz 19.00 Uhr. Ich unterhielt mich mit David, der ein Auslandssemester in Israel verbrachte und nur auf der Durchreise war. Er besuchte seine Fernbeziehung in Hamburg, und machte einen kleinen Abstecher aufs Festival, bei dem er selbst vor einigen Jahren gearbeitet hatte. Neben ihm stand Alena, die nicht von seiner Seite wich. Seit sie zusammen auf dem goEast gearbeitet haben, war sie in ihn verliebt und er nicht in sie, und das merkt man noch immer.
Ich sprach mit David über Gaza und das Wetter, und Alena sah ihn an, als würde sie in die Ferne starren. Ich hatte das Gefühl, mich zurückziehen zu müssen, und so machte ich mich in dem Gewühl der schwarzen Anzüge und strengen Frisuren auf die Suche nach der Häppchenfrau. Da begegnete ich einem alten Lehrer von mir, der jetzt im Magistrat ist, und bei allen wichtigen Kulturveranstaltungen in Wiesbaden anwesend ist.
„Hallo, Herr Rohrbach! Wie geht es Ihnen?“
„Oh, gut, gut, und Ihnen?“
„Sehr gut, danke, ich bin gerade…“
„Oh, da ist ja meine Frau!“
Und schon war er weg. Vielleicht hätte ich doch ein Jackett anziehen sollen.
Die Eröffnung im Kinosaal des Caligari war wie man sich so eine Eröffnung vorstellt. Sehr förmlich. Sehr feierlich. Sehr staatstragend. Außer der Festivalleiterin Gabi Babic kamen einige Kulturverantwortliche der Stadt zu Wort, die bei ihren Reden einen running gag über die Zahl 13 einführten (es ist ja auch das dreizehnte (!) goEast), und diesen virtuos in alle Richtungen feuerten. Die, die dabei gewesen sind, werden sich erinnern. Und Rita Süssmuth ist die neue Schirmherrin des Festivals. Das heißt, wenn es regnet, bestimmt sie, wer wichtig genug ist, um nicht nass zu werden. Oder so was. Sie selbst war zwar nicht anwesend, hat aber eine Nachricht hinterlassen, in der sie mitteilte, dass sie sich für einen lebhaften Dialog zwischen Ost und West einsetzen würde. Mal was anderes.
Essen und Trinken gab es in der Wiesbadener Casino-Gesellschaft. Innen drin sah es aus wie in der Kulisse eines unanständigen Films über den Marquis de Sade. Es wurde auch ganz schnell ganz stickig trotz der hohen Decke. Die ganze heiße Luft eben.
Ich traf auf meine georgische Bekannte Natia, deren Kurzfilm „Kalter Winter“ im Rahmen des Hochschulwettbewerbs gezeigt wird. Mit ihrer Kamerafrau Olga konnte ich mein Russisch auffrischen. Ich wollte Olga ganz hart anbaggern, doch dann redet sie plötzlich über ihren Ehemann. Ich war entrüstet, und fragte, was das soll, sie sei doch so jung.
„Ach so, damit du in Deutschland bleiben kannst!“, sagte ich, als hätte ich als Letzter einen dummen Witz verstanden.
„Nein“, sagte sie und warf mir einen Blick zu, der Ekel implizierte, „aus Liebe. Menschen heiraten auch aus Liebe.“
Natürlich. Liebe. Das hatte ich vergessen.
Ich marschierte zur Theke, ein Bier war nötig. Ich stellte mich neben eine Frau, die so aussah, als würde sie schon seit Stunden von der Bedienung ignoriert werden, die im Übrigen aus jungen, hübschen Leuten bestand. Es war wie bei einem DSDS-Casting. Aber glücklicherweise wurde nicht gesungen. Eine freundliche junge Frau brachte mir ein Bier, und die arme Frau neben mir sah mich an, als hätte ich die Mauer gebaut.
„Ich steh hier schon viel länger“, sagte sie zu mir, und ich erzählte ihr Geschichten über meine besondere Ausstrahlung, die sie mir nicht zu glauben schien. Währenddessen unterhielten sich die schönen jungen Menschen hinter der Theke über eine WG-Party, die später noch stattfände. Sie wollten ein paar Getränke mitgehen lassen. Ich wünschte ihnen viel Glück.
Irgendwann drehte sich alles und ich tanzte den Kasatschok mit Rita Süssmuth. Zumindest behauptete sie, sie sei Rita Süssmuth. Ich musste schnell hier raus.
Ich sagte mir, „there is no place like home“, schlug dreimal die Hacken zusammen und war wieder in Mainz bei den Kollegen von Negativ Film, wo der Abend im Oberbayern endgültig zu Ende ging. Ein klassisch ausgebildeter Opernsänger befand sich unter den gestrandeten Gästen und gab hochkulturelle Evergreens zum Besten. Optisch passte er ziemlich gut ins Oberbayern, doch seine Stimme war wirklich gewaltig. Das Paul Potts-Phänomen. Gibt’s also doch nicht nur im Fernsehen. Euphorisiert von seinen Sangeskünsten holten wir ihn an unseren Tisch. Der Kerl entpuppte sich als Tresenphilosoph und Phrasendrescher. Schwankend, wie ein alter Kahn, zeigte er mit dem Finger auf einen von uns und sagte, was derjenige für ein Mensch war. Messerscharfe Analysen folgten. Dabei blieb er aber so allgemein wie eine Wahrsagerin, die dir sagte, dass schon bald, sehr bald irgendetwas eintreten werde, etwas Gutes, vielleicht aber auch etwas Schlechtes. Er rauchte eine nach der anderen, und schien darauf stolz zu sein, dass er, als klassisch ausgebildeter Opernsänger, trotzdem rauchte wie blöd. Er gab sich als Nonkonformist, der nicht mit dem Strom schwimmen wollte und es allen gezeigt hatte. Er sang übrigens immer draußen vor dem Dom. I did it my way. Ich hätte mir doch ein Jackett anziehen sollen.
Ciprian von Negativ beschloss den Abend mit den Worten: „Irgendwie mussten wir ja dafür zahlen, dass wir ihn singen gehört haben.“
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