Auf Schicksalspfaden im Wilden Westen – All’ombra di una colt (1965)




    The animal dies with fear in his eyes
    With a gun
    Don’t touch him, don’t touch him
    Stay away from him, he’s got a gun

    (Lou Reed – The Gun)

Eine Geschichte, wie man sie als alter Hase schon zu Genüge aus dem italienischen Westen vernommen hat: Zwei Männer – eher Partner als Freunde, für Freundschaft ist man zu hart – zwischen ihnen eine Frau, Susan (Anna Maria Polani) in diesem Falle, Tochter des älteren, zuerst vernünftiger wirkenden Duke (Conrado San Martín). Nach dem obligatorischen letzten großen Coup vor dem ruhigen Lebensabend – gegen Geld verteidigt man ein mexikanisches Dorf vor Banditen (Hallo Akira Kurosawa! Hallo John Sturges!) – den der Film ganz unverfroren an seinen Anfang verfrachtet und zu allem Überfluß auch noch glattgehen lässt, ist es mit diesem rudimentären Gemeinschaftssinn schnell vorbei; brennt Steve (Stephen Forsyth), der jüngere, hitzköpfigere Pistolero, doch einfach, alle Drohungen Dukes ihm einige Unzen Blei zwischen den Augen zu platzieren ignorierend, mit Susan durch. Während der so Gegrämte sich von einer Schussverletzung erholt, begibt man sich gemeinsam auf die Suche nach einem kleinen Stück bürgerlichen Glückes. Ein gewagtes Unterfangen, wie Nico Fidencos sehnsuchtsvolle Filmmusik zu Bildern vor gewaltigen Felsmassiven schrumpfender Reiter unmissverständlich klarmacht. Speziell auf den wieder und wieder so ablaufenden Ritten zu wie von einer abgelegenen Farm – das designierte Glücksobjekt – kann man sich, werden sie doch bar jeglicher zeitlicher Beschleunigung gezeigt, eines Eindruckes kaum erwehren: Das Schicksal ist gegen diese jungen Menschen, lässt sie Glück nur in wenigen zerdehnten Momenten zwischen den Polen ihres Lebens finden.

Das Gespür für den Fluss der Zeit ist in Grimaldis Film ohnehin meisterhaft, fast durchgängig geht alles konzis seiner Wege, nur um dann hinterhältig von einer der spärlichen Actionszenen zerschmettert zu werden. Vieles wird allein durch Tempowechsel kommuniziert, so auch im Herzstück der Inszenierung:
Steve hat gerade einem resignierten Farmer sein Land abgekauft, da vergräbt er auch schon seinen Colt – ewiges Symbol seines Pistolerodaseins, das ihn immer aufs Neue quasi zum Töten zwingt – vor der neuen Heimstätte. Ein komischer Farmer sei er, der Pistolen statt lebensstiftender Nahrung sät, meint der Alte noch, doch Steve erwidert nur, dass er hoffe, sie niemals ernten zu müssen. Ein Fehler, lauern ihm doch schon auf dem Heimweg Schergen zweier skrupelloser, allen anderen Besitz verzehrender Großgrundbesitzer auf. Um ihm das Land wieder abzuluchsen, pusten sie den gemächlich vor den Schicksalsbergen Dahinreitenden kurzerhand vom Pferd. Hier und jetzt hat seine Bestimmung ihn eingeholt. Nur nicht ganz so, wie man es sich vorstellt. Als man nach dem scheinbar Verblichenen sehen will, erschießt dieser seine Häscher in Bruchteilen von Sekunden, auch den nun Unbewaffneten, dessen Revolver er sich zu diesem Zwecke geborgt hatte – die Selbstverständlichkeit des Tötens, mag sie auch gedungene Mörder treffen, ist erschreckend. Ein größerer Bruch in Tempo wie Stimmung zu den just vorangegangenen Bildern kaum vorstellbar. Ob er auf andere schießt oder andere auf ihn, nicht einen Millimeter verzieht sich Steves Gesichtsausdruck; die vergrabene Waffe braucht er gar nicht, ist er doch selbst eine stets einsatzbereite Killermaschine. Wie schon Nick Rays Johnny Guitar (1954) – der Hochmut der Banditen vor dem tiefen Fall erinnert frappierend an Ernest Borgnines Ende in ebendiesem Film, wie so vieles hier an amerikanischen Vorbildern geschult scheint – lehrt uns All’ombra di una colt, dass man einem gefährlichen Mann zwar die Waffe, jedoch nie seinen Instinkt nehmen kann.

Im Gegensatz zu vielen anderen Italowestern gereicht dies Steve jedoch nicht zum Vorteil und dem Zuschauer nicht zum feiernden Johlen zwischen dutzendfach abgefrühstückten Revolvermännern. Wie auch Duke isoliert sein Ruf ihn von den Menschen um ihn herum: beide Männer sind auf der Freudenfeier der eingangs erwähnten Mexikaner nicht im Bilde zu finden, denn obwohl der längst gesundete Duke noch in ihrem Dorfe verweilt, muss seine Geliebte erst zu ihm, der einsam in einer Hütte vor sich hingrübelt, geführt werden. Auch an dieser Front verfehlen die wiederkehrenden Bilder einsam Umherreitender ihre Wirkung nicht und Stephen Forsyths hübsch-maskenhaftes Gesicht ist es, das uns glattweg einen tiefergehenden Blick ins dahinterliegende Seelenleben verwehrt. Möglicherweise war er kein großer Mime, aber wie einige Jahre später in Mario Bavas Serienmördergroteske Il rosso segno della follia (1970), in der sich hinter seinem smarten Lächeln Entsetzlichkeiten abspielen, die so niemand wahrnehmen möchte, ist dies ein größtmöglicher Castingglücksgriff.

Und so droht dann, wenig überraschend, alles zart keimende Glück endgültig vom Kodex des Pistoleros erschlagen zu werden, welchen der inzwischen seine Beute eingeholt habende Duke zur Rechtfertigung seiner geplanten Tötung ausgiebig vor seinem ehemaligen Partner herunterbetet. Reden ist nicht, ein Duell muss den Ruf des unnachgiebigen Killers retten. Man trifft sich im nahegelegenen Städtchen, schreitet bedrohlich auf das in Schussreichweite fixierte Gegenüber… und wieder schlägt die Ökonomie der Actionszenen in Form der Landdiebe und ihrer Handlanger aus dem gelegten Hinterhalt zu. Im Überlebenskampf funktioniert die alte Dynamik zwischen den Beiden sogleich reibungslos: man gibt sich Deckung, wirft dem eben-noch-Todfeind vertrauensvoll Ersatz für den leergeschossenen Colt zu und tötet die Widersacher bevor sie überhaupt wirklich zum Angriff übergehen können. Erneut ist in einer Notsituation die alte Intuition zur Stelle und abermals macht Grimaldis weit über dem Genreschnitt befindliche Inszenierung dies mit ihren schnellen Schnitten, Bewegungsabläufen, mit ihrer harten Konsequenz geradezu körperlich greifbar. Zwei bislang ausgiebig porträtierte Oberschurken sterben beinahe im selben Moment, in dem sie sich entschließen zur Waffe zu greifen; sang- und klanglos gehen sie im Getümmel unter, sind schon Geschichte, bevor sie sich überhaupt für eine speziell ihnen gewidmete Todesszene hätten vor der Kamera in Position bringen können, bekommen so schließlich die Relevanz zugesprochen, die sie für unsere „Helden“ immer schon hatten. Dem Kodex der Pistolen muss sich alles unterordnen.

Und doch – es kann nur dem wiedergewonnen Respekt geschuldet sein – verzichtet Duke nach überstandenem Kampf auf seine Rache, zieht, wie weiland schon John Wayne, von dannen, ohne noch einmal kehrtzumachen. Zurück geht es für ihn in die Einsamkeit. Am Ende sind es eben doch meist die Menschen, die im Leben die Entscheidungen festmachen. Jedoch, so sehr das auch nach einer Wesensänderung klingen mag – den alten Italowesternklassiker des sich amoralisch gebenden, um sich dann doch als kümmernd erweisenden Antihelden versagt uns Grimaldi. An seiner statt nimmt er Vorlieb mit einem an amerikanischen Melodramen geschulten unhappy happy end und mit Menschen die – vereinzelten guten Entscheidungen zum Trotz – wohl bis zum Ende aller Tage unter der Knute, oder, wie der italienische Titel weiß, im Schatten ihrer Pistolen gefangen sein werden. Die Gefahr ist gebannt, doch seinen Colt hatte Steve dafür vorm Finale wieder ans Tageslicht befördern müssen – ob er ihn wieder vergraben wird? Ich bezweifele es.


All’ombra di una colt – Italien, Spanien 1965 – 81 Minuten – Regie: Giovanni „Gianni“ Grimaldi – Produktion: Vincenzo Genesi – Drehbuch: Giovanni „Gianni“ Grimaldi – Kamera: Julio Ortas – Schnitt: Franco Fraticelli – Musik: Nico Fidenco – Darsteller: Stephen Forsyth, Anna Maria Polani, Conrado San Martín, Helga Liné, Franco Ressel u.v.a.


Dieser Beitrag wurde am Montag, April 16th, 2018 in den Kategorien Ältere Texte, André Malberg, Blog, Blogautoren, Filmbesprechungen veröffentlicht. Sie können alle Kommentare zu diesem Beitrag über den RSS 2.0 Feed verfolgen. Sie können diesen Beitrag kommentieren, oder einen Trackback von ihrer eigenen Seite setzen.

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