Versunkene Perlen aus dem Eskalierende-Träume-Archiv #01: No Man’s Land (1964)

Es ist wahrlich verlockend leicht, diesen offensichtlichst im extremen Maße kostengünstig (oder kosteneffizient, wie ich meinen möchte) zusammengeklöppelten Koreakriegsreißer als das zu verlachen, was er ist. Eine extensive Sammlung sich teils auch noch frech wiederholenden Archivmaterials von echten Kampfhandlungen, das sich mit sicherlich 75 Prozent der Gesamtlaufzeit um eine narrativ dürftigst herausgearbeitete Handlung und minimalistische Heldenreise geradewegs in die filmische Ausflucht erstreckt. Dies würde allerdings schnöde verkennen, dass er sich selbst am allerwenigsten dafür interessiert, was ist, und lieber in dem verharrt, was hätte sein können. Früh wird deutlich, dass vielerorts keinerlei Raumbegrenzungen existieren und andere gleichzeitig von größter Bedeutung sind.
Corporal Jerry Little – gespielt von Russ Harvey, dem gleichfalls Hauptdarsteller des einzig wirklich gut überlieferten Films aus diesem Produktionsumfeld, dem Gothichorror „The Dungeon of Harrow“ (1962), und wie die meisten weiterführend identifizierbaren Köpfe hinter dieser Obskurität Veteran – wird ins Niemandsland um eine der militärischen Trennungslinien in Korea versetzt und soll unter Anleitung eines alten Sergeanten (der einzig professionelle Schauspieler und Boyette-Regular Lee Morgan) umgehend zum Material eines Zugführers modelliert werden. Vermutlich wohl nur, weil die anderen Soldaten der Truppe selten Wichtigeres zu tun haben, als auf der blanken Erde herumzufläzen, während man die Tagesration Futter erwartet. Viel mehr würde in rund 70 Minuten gar nicht passieren, wenn nicht im Minutentakt und aus der Verleimung des Films selbst erbarmungslos Schlachtengetümmel auf das arglose Gehirn des Publikums einprasseln würde. Seine Protagonisten mögen davon nicht viel mitbekommen, aber „No Man’s Land“ ist wahrhaftig einmal einer dieser vielbeschworenen filmischen Angriffe auf alle Sinne. Das vollmundige „Filled with explosive action!“ des Plakates lügt nicht; die Vielzahl an Explosionen degradiert Michael Bay zu einem Regisseur gediegener Kammerspiele. Ständig rattern die Maschinengewehre, schießen schwere Haubitzen von links nach rechts, oben, unten und wieder zurück, werfen Flugzeuge Bombencluster in die Landschaft, duplizieren sich Jerrys maximal sechs Kameraden in Totalen aus der Archivdose ins Unendliche. Das Insistieren der Montage ist bemerkenswert, der Schnitt schlagendes Herz von etwas, das bestenfalls ein kleiner Amateurdreh von Freunden im texanischen Hinterland gewesen sein dürfte und zwischen seiner Rahmung aus fremden Händen auch selten nach mehr aussieht.

- The Vampire of Hanover (Creepy Things #06, Juni 1976)
Dann liegt plötzlich gespenstische Ruhe über dem angeblich so barbarisch umkämpften Tal, das keine Brandnarben aufweist, und die Nachtwache weist den Weg in andere Welten jenseits der realsten Realität. Ein Busch, den Jerry für den hervorragenden Kopf eines verborgenen Feindes hält, mit einer Granate bombardiert und schließlich unter leichtsinnigstem Einsatz seines Lebens ausreißt, führt ihn geradewegs in den Schlupfwinkel eines überbordend exotisch gezeichneten Verbündeten mit Turban, aber dafür ohne augenscheinliche Verbindung zu irgendeiner Armee, Freund wie Feind. Dieser will mit einem Schrumpfkopf als Lockkarotte Scharfschützen ausräuchern und schleicht prompt gemeinsam mit Jerry durch nichts als helllichten Tag, der narrationsintern mit gleißendem Vollmond wegerklärt wird. In seinen besten Momenten nimmt das den Eisenschmeißer mit dem Granatwerfer und andere Verrückte des Krieges aus Coppolas „Apocalypse Now“ unvermutet vorweg. Der ist vielleicht als pessimistischer Gegenentwurf ohnehin der richtige Bezugspunkt, um das Ganze etwas in Seriosität zu erden.

- The Vampire of Hanover (Creepy Things #06, Juni 1976)
Der spätere Comicheftzeichner wie -autor Pat Boyette (Schöpfer des jüngst durch „The Suicide Squad“ zur breitflächigen Wiederentdeckung gekommenen Peacemakers), den die Credits der überlebenden Positivkopie allein als Produzenten anführen, Russ Harvey und ihre Freunde haben den Krieg im Gegensatz zu Coppola aus erster Hand gekannt, intimer, als es jungen Männern recht sein dürfte. Und ein wenig macht es den Eindruck, als hätten sie von Boyettes damals noch überwiegend aus seiner Tätigkeit als Nachrichtensprecher stammendem Geld und ohne Hoffnung auf die großen Kinosäle einmal schildern wollen, was sie gerne erlebt hätten, wäre das Leben schön. Gedreht haben sie dafür in offenbar voller Ernsthaftigkeit teilweise auf der Ranch des texanischen Generalmajors Harry H. Johnson; viel weiter als San Antonio dürfte es das fertige Regionalprodukt dann in der Auswertung auch nie gebracht haben.

- Aus „Meet Pat Boyette“ (The Peacemaker #01, März 1967)

- The Geek (Nightmare #06, Dezember 1971)
Mit Boyettes ab Ende der 60er Jahre folgenden Arbeiten für die zahlreichen Kriegscomicreihen aus dem Hause Charlton wie „War“ oder „Fightin‘ Army“ sowie vom Thema nicht lassen könnenden Geschichten in anderen Publikationen eint diese Vorstudie der Blick auf Kurioses, vielleicht gar nicht Reales oder gleich Außerweltliches im technokratischen Räderwerk Krieg. Egal, wie oft der Vorspann Russ Harvey als alleinigen Autorenfilmer ausweist (ganze drei Mal!), gerade die nächtlichen Begegnungen im Niemandsland der Seele tragen unverkennbar die Handschrift des bedeutenden Sentimentalisten der neunten Kunst. Ob er den gesamten Film konzipierte oder lediglich mit seinem bisschen Regieerfahrung aus zwei vorherigen einsprang, um den selbst fertig auf der Leinwand noch gut sichtbar strauchelnden Dreh von Freunden ein wenig aufzupeppen? Wer kann das heute schon noch ganz abschließend sagen. Fest steht: Pat Boyette hält Krieg, wie er ihn selbst erlebt hat, auch in seinen besten Comicgeschichten einen bedingungslosen Humanismus und unerschütterlichen Glauben an das Gute im Menschen entgegen. Dessen Seele wandert auf günstigem Papier stets in Kleinigkeiten, trivialen Reisegefäßen mit ihm mit.

- The Wake of a Monster! (Monsters Attack #03, Juni 1990)
In einer der anrührendsten Geschichten, die Boyette für Charlton in Bilder kleidete, „Superstition“ aus der „Ghostly Tales #62“ (1967), gibt ein Fliegerass, das sein fortwährendes Überleben einzig dem schon reichlich abgeliebten Plüschhündchen zuschreibt, dem ärgsten Zweifler seines Geschwaders ohne dessen Wissen den kleinen Stofffreund mit auf einen gefährlichen Flug ohne Bordschützen – auf dass er ihn behüten, auch aber überzeugen möge. Kurz darauf rettet der Verspottete seinem Spötter in größter Not das Leben, als er im entscheidenden Moment in dessen Heckkanzel auftaucht und einen hartnäckigen Verfolger abschießt. Kaum gelandet will der Glückliche die frohe Kunde überbringen und abermals betonen, wie er ohne emotional aufgeladenen Tinnef überlebte, nur um zu erfahren, dass diese Begegnung sich nicht zugetragen haben könne, der vermeintliche Retter sei schließlich bereits vor dieser Heldentat abgeschossen worden und gefallen. In der wieder vakanten Heckschützenposition liegt indes sein Maskottchen. Es ist unübersehbar, dieses Fliegerhündchen und alles, was es über die menschliche Existenz impliziert, findet sich sowohl im Schrumpfkopf als auch im Gestrüpp, am meisten allerdings in dem, was aus der bezauberndsten Weltfremde des Films entspringt.

- Children of Doom (Charlton Premiere #02, November 1967)
Eines Morgens auf einer Patrouille, die in den meisten Realitäten einen legeren Spaziergang und damit eine ausgewachsene Fahnenflucht darstellen würde, flaniert Jerry einer jungen Frau von chinesisch-englischen Wurzeln über den Weg, die es offensichtlich vorrangig in die Kampfregion verschlagen haben dürfte, damit in der filmischen Wirklichkeit einfachheitshalber weiter Englisch gesprochen werden kann. Ihre zentrale Sorge in allem, was ihrer Heimat sowie den Menschen in ihr widerfährt, ist ausgerechnet der Fortbestand der Linie ihres Hündchens aus der „Ming-Dynastie“, wie sie dem fremden Soldaten gegenüber rasch zum Punkt kommend preisgibt. Hier werden Nägel mit Köpfen gemacht – bald schon steht ein Date in ihrer Heimatstadt an, zu welchem Jerry den Hund eines Kameraden für ein paar gar zu drollige tierische Kennenlernmomente direkt aus der zeitgenössischen Heimfilminszenierung und die Zukunft der kleinsten aller möglichen Welten mitbringt. Konventionelle Kriegsfilmdramaturgie würde wohl auch hier den Zeitpunkt für eine standrechtliche Füsillade wittern, der alte Sarge hingegen merkt nicht mehr an, als dass Jerry der Mann für den Job sei, weil er sich zu jeder einzelnen Patrouille bereiterklärt. Spätestens in diesen, vor dem Hintergrund des Filmteams zutiefst irritierenden, Momenten platzen die Nahtstellen endgültig auseinander.
Andere Menschen, für die man Verantwortung übernehmen könnte – sie existieren schlicht nicht. Das größte Leid in diesem Universum ist die Gefangenschaft zwischen den Welten, einem Zustand, den man extern von den Filmemachern und ihrem weiten Archiv aufoktroyiert bekommt. Dieser Film wird von Archivmaterial strukturiert und eingeordnet, nicht umgekehrt, wirft das ganze Konzept von Realitätsschnipseln im noch von den Möglichkeiten der neuen journalistischen Teilhabe berauschten Kriegsfilm der insbesondere 40er und 50er Jahre über Bord und ist gerade darin so nah wie wenige an der künstlichen Natur des modernen Krieges dran. Boyette hält Krieg eine Spinnerei entgegen, kleine Zweige, an denen man sich im Wahnsinn festhalten kann. Und ein paar bemerkenswerte Ideen zur Darstellung seiner Künstlichkeit selbst. Der Koreakonflikt gehört neben den zweiten Weltkrieg zu den ersten wirklich gut und umfassend visuell überlieferten Kriegshandlungen der medialen Moderne, kam jedoch noch überwiegend ohne die Partizipation der unabhängigen Presse aus, die für die Wiedergabe des weiteren Verlaufs des Vietnamkrieges ab den 60er Jahren von größtmöglicher Bedeutung sein sollte. Er befindet sich an einem Scheideweg in der Mediengeschichte, endete er doch zu früh, um in der Überlieferung wesentlich mehr bieten zu können, als militärisches Bildmaterial, wie es dem überwiegenden Teil von „No Man’s Land“ zu Grunde liegt und dessen jederzeit übergeordnete Intention wie Funktion Propaganda war.

- The Sentry (Beyond the Grave #01, 1975)
Zu dieser verhält sich der Film in seiner samt Spielfilmeinsprenklern entstehenden Gesamtheit wie ein eigentümliches, fiktionales Home Movie ganz nah an den spinnerten Wirklichkeiten einzelner. Zwei Welten stehen in seinem Zentrum, doch sind sie weder als die USA, noch China, Korea oder irgendetwas realiter Geographisches, sondern vielmehr als Kampf des Materials untereinander und von wirklich Erlebtem gegen die erlösende Fiktion zu begreifen. Zwei Planeten, einer bombardiert unentwegt den anderen mit einem Krieg, den man so auf seiner Oberfläche nicht erkennen mag. Das Archivmaterial ist letztlich völlig ungefährlich für die Soldaten unserer kleinen Traumkolonne; grundsätzlich widersteht der doch so agitierte Schnitt der Versuchung, einen von ihnen den unzählbar aufbollernden Kugeln aus der Realität zum Opfer fallen zu lassen. Gefährlich ist für sie allein der einzelne koreanische Heckenschütze, dessen Beseitigung Jerrys gesamte Heldenreise darstellt. Denn er ist nicht echt, mit ihm muss man den Kampf aufnehmen, um aus dem Film zu entfliehen. Mehr ein hinterlistiger Projektionist denn ein Sniper ist er, der von der Botanik wie aus dem Fenster einer Projektionskabine herauslugend gerahmt, mit jedem Schuss ein Trommelfeuer an kaum einzufangenden Kriegsimpressionen lostritt.

- The Sentry (Beyond the Grave #01, 1975)
Als er schlussendlich einer Kugel aus Jerrys Gewehr zum Opfer fällt, endet dessen Weg dementsprechend sogleich: aus dem filmischen Raum läuft er begleitet von Filmmaterial feiernder Soldaten wie Hänschen klein auf der Leinwand davon. In die große Welt hinein, Richtung Fronturlaub und Hochzeit mit einer Frau, deren Hund er bloß kennt. Ganz so, als wäre der ganze Krieg mit dieser einen Kugel schlagartig aus und vorbei. Als habe man sich ihm in der Aktivität verweigert. Auch hier scheint das lustvoll ausgespielte Paradoxon des Peacemakers – Töten für den Pazifismus – nicht mehr fern. „No Man’s Land“ ist ein im Kontext seines Genres, vielleicht sogar des althergebrachten kinematografischen Denkens, ein freilich bizarres Unikum, unbekümmert naive Außenseiterkunst – ein seltenes Produkt reiner, sorgenfreier Träumerei, eines Widerstandes gegen das Realitätsgebot im Traumverschlinger Kino und explizit des Filmemachens selbst. Macht das versehentlich oder aus einem experimentellen Impuls heraus profundes Kino aus ihm? Wer vermag das, gerade mit dem Abstand von sechs stärker und stärker zur Professionalität auf der Leinwand neigenden Jahrzehnten, schon zu bestimmen. Sei’s drum, er bekommt die Artifizialität des Krieges ja so oder so auf interessantere Weise zu packen, als die meisten kommerziellen Kriegsfilme es jemals fertigbringen.
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Im Gegensatz zu „The Dungeon of Harrow“ galten die beiden weiteren Filme Pat Boyettes lange als verschollen, für den Science-Fiction-Film „The Weird Ones“ gilt dies weiterhin. Es wird gemeinhin angenommen, dass sowohl die Negative als auch etwaige Positivkopien bei einem Brand in Boyettes Garage zerstört wurden, der ihn ebenso vom weiteren Filmemachen abgehalten zu haben scheint. Diese anzunehmende Unikatskopie fand den Weg in unser Archiv, als sie im März 2023 unvermittelt im amerikanischen Ebay auftauchte. Kurz zuvor hatte sich der Film selbst fast 60er Jahre nach seinem Erscheinen erstmals digital auf einschlägigen DVDr-Vertriebsseiten, die sich überwiegend an Kriegsfilmfreunde und Militariasammler richten, materialisiert. Gemäß angepriesener Screenshots handelt es sich bei dieser Kopie mit ziemlicher Sicherheit um die Basis des schnöde und nicht besonders gut von der Leinwand abgefilmten Digitalisats. In dieser schludrigen und maximal gewinnorienterten Handhabe des wahrscheinlich einzig überlebenden Materials zu diesem Film offenbart sich letztlich auf besonders augenscheinliche Weise das Credo der fortwährenden Digitalisierung, wie es seit jeher auch im institutionellen Rahmen gilt: Ist ein Film erst einmal „gerettet“, wird das eigentliche Artefakt unwichtig und kann entweder für den Rest seiner Lebensdauer eingeschlossen oder gleich vernichtet werden. Diese Herangehensweise hat das Filmerbe gerade in vergangenen Jahrzehnten viele einzigartige Nitrokopien gekostet und so manchen Film zu einem Dasein als Digitalisat auf dem technischen Stand der 90er Jahre verdammt. Auch „No Man’s Land“ hätte nach der behelfsmäßigen digitalen Sicherung der Müllcontainer oder das Verschwinden in einem Sammlerkeller (und dann, nach dem eventuellen Ableben, wieder die mögliche Entsorgung) treffen können. Stattdessen liegt diese schöne, wenig gespielte und technisch gut erhaltene Kopie auf Kodakmaterial nun überliefert in unserem Archiv vor, wo sie sich hoffentlich weiter von etwas zu trockener Lagerung erholen und der Öffentlichkeit erhalten bleiben kann.
No Man’s Land – USA – 72 Minuten – Regie: Pat Boyette, Russ Harvey – Produktion: Pat Boyette – Drehbuch: Pat Boyette, Russ Harvey – Kamera: James C. Houston, unzählige ungenannte Armeeangehörige – Schnitt: Charles L. Kimball, Don Russell – Musik: Jaime Mendoza-Nava – Darstellende: Russ Harvey, Kim Lee, Lee Morgan, Osvaldo Martínez, Tom Lytel u.v.a.
- Superstition (Ghostly Tales #62, August 1967)








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